Modernistische Theologie (E.Linnemann)

Eta Linnemann


Original oder Fälschung


Historisch – kritische Theologie im Licht der Bibel

 

Inhaltsverzeichnis

– Anmerkungen zum Studium der historisch-kritischen Theologie
– Der Glaube der Theologie und die Theologie des Glaubens
– Die Denkweise der historisch-kritischen Theologie
– Die Bibel und der moderne Mensch

Einleitung
»Warum sagen Sie NEIN zur historisch-kritischen Theologie?« Diese Frage wurde mir gestellt und ich möchte vorab auf sie antworten: Mein NEIN zur historisch-kritischen Theologie entspringt dem JA zu meinem wunderbaren Herrn und Heiland Jesus Christus und zu der herrlichen Erlösung, die Er auf Golgatha auch für mich vollbracht hat.

Als Schülerin von Rudolf Bultmann und von Ernst Fuchs, von Friedrich Gogarten und Gerhard Ebeling habe ich die besten Lehrer gehabt, welche die historisch-kritische Theologie mir bieten konnte. Auch sonst war ich keineswegs zu kurz gekommen: Mein erstes Buch erwies sich als ein Bestseller. Ich wurde ordentliche Professorin für Theologie und Methodik des Religionsunterrichtes an der Technischen Universität in Braunschweig. Aufgrund meiner Habilitation ernannte man mich zur Honorarprofessorin für Neues Testament an der theologischen Fakultät der Philipps-Universität in Marburg und nahm mich als Mitglied in die Society for New Testament Studies auf. Ich durfte mich der zunehmenden Anerkennung durch meine Kollegen erfreuen.

Geistig beheimatet in der historisch-kritischen Theologie, war ich fest davon überzeugt, mit meiner theologischen Arbeit Gott einen Dienst zu tun und einen Beitrag zu leisten zur Verkündigung des Evangeliums. Dann aber mußte ich – aufgrund von Einzelbeobachtungen und -informationen ebenso wie aus Selbsterkenntnis – einsehen, dass bei dieser »wissenschaftlichen Arbeit am Bibeltext« unter dem Strich keine Wahrheit herauskommen kann und dass diese Arbeit der Verkündigung des Evangeliums nicht dient.

Damals war das nur eine praktische Erkenntnis, aus Erfahrungen gewachsen, die ich nicht länger wegzuleugnen vermochte. Inzwischen hat mir Gott durch Seine Gnade und Sein Wort auch theoretische Einsicht gegeben in den Charakter dieser Theologie: Anstatt im Worte Gottes gegründet zu sein, hat sie Philosophien zu ihrem Fundament gemacht, welche sich entschieden haben, Wahrheit so zu definieren, dass Gottes Wort als Quelle der Wahrheit ausgeschlossen und der Gott der Bibel, der Schöpfer Himmels und der Erde und Vater unseres Heilandes und Herrn Jesus Christus auf der Grundlage dieser Voraussetzung nicht denkbar ist.

Heute darf ich erkennen, dass sich in dem Monopolcharakter und der weltweiten Verbreitung der historisch-kritischen Theologie Gottes Gericht vollzieht (Röm 1,18 ff.). Gott hat es in Seinem Wort vorhergesagt: »… es wird eine Zeit sein, da sie gesunde Lehre nicht ertragen können, sondern nach ihren eigenen Lüsten selbst Lehrer aufhäufen, weil es ihnen in den Ohren kitzelt« (2Tim 4,3). Er hat auch verheißen, dass er »eine wirksame Kraft des Irrwahns« sendet, »dass sie der Lüge glauben« (2Thes 2,11).

Gott ist nicht tot; Er hat auch nicht abgedankt, sondern Er regiert und Er vollzieht bereits das Gericht an denen, die Ihn für tot erklären oder als einen Götzen deklarieren, der weder Gutes noch Böses tut.
Heute weiß ich, dass ich jene anfänglichen Einsichten der vorlaufenden Gnade Gottes verdanke. Zunächst aber führten sie mich in eine tiefe Frustration, auf die ich mit Abgleiten in Süchte reagiert habe. Ich versuchte, mich zu betäuben; ich wurde ein Sklave des Fernsehens und geriet in zunehmende Abhängigkeit vom Alkohol.

Als ich vor dem Hintergrund eigener bitterer Erfahrung die Wahrheit des Bibelwortes erkennen konnte: »Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren« (Mt 10,39), führte Gott mich zu lebendigen Christen, die Jesus persönlich als ihren Herrn und Heiland kennen. Ich durfte ihre Zeugnisse hören, in denen sie berichteten, was Gott in ihrem Leben getan hat. Schließlich sprach Gott selber durch das Wort eines Bruders zu meinem Herzen und durch Seine große Gnade und Liebe habe ich mein Leben Jesus übergeben.

Er hat es sogleich in Seine Heilandshände genommen und damit angefangen, es radikal zu verändern. Ich wurde frei von der Sucht, war hungrig und durstig nach Seinem Wort und nach Gemeinschaft mit Christen und ich durfte Sünde klar als Sünde erkennen, für die ich bisher nur Entschuldigungen gehabt hatte. Ich kann mich noch an die herrliche Freude erinnern, als zum ersten Mal Schwarz wieder Schwarz und Weiß wieder Weiß für mich wurde und aufhörte, zu einem unterschiedslosen Grau ineinanderzufließen.

Etwa einen Monat nachdem ich mein Leben Jesus übergeben hatte, wurde ich von Gott überführt, dass Seine Verheißungen Realität sind. Ich hörte den Bericht eines Wycliff-Missionars, der in Nepal diente. Er teilte mit, dass sein Sprachhelfer während seiner Abwesenheit ins Gefängnis gekommen war, weil es in Nepal verboten ist, Christ zu werden und was dieser junge Christ bei der Gerichtsverhandlung gesagt hatte. Aufgrund von früheren Berichten, in denen ich von diesem Sprachhelfer gehört hatte, war mir augenblicklich klar, dass er diese Antwort niemals aus seinem eigenen Vermögen hätte geben können. Markus 13,9-11 drängte sich in mein Bewußtsein – ein Wort, das ich bisher nur mit akademischem Interesse zur Kenntnis genommen hatte – und ich konnte nicht umhin, zuzugeben, dass diese Verheißung hier erfüllt war.

Schlagartig wurde ich davon überführt, dass Gottes Verheißungen Realität sind, dass Gott ein lebendiger Gott ist und dass Er regiert. »Denn so er spricht, so geschieht’s; so er gebeut, so steht’s da« (Ps 33,9). Alles, was ich in den Monaten vorher an Zeugnissen gehört hatte, fügte sich in diesem Augenblick wie Puzzle-Stücke ineinander und mir wurde meine Torheit bewußt, angesichts dessen, was Gott heute tut, zu behaupten, die Wunder, welche im Neuen Testament berichtet werden, seien »nicht passiert«. Schlagartig wurde mir klar, dass ich für meine Studenten ein blinder Blindenleiter gewesen war und ich tat Buße darüber.
Etwa einen Monat danach stand ich – ohne Zutun von Menschen, allein in meinem Kämmerlein – vor der Entscheidung, entweder die Bibel weiter durch meinen Verstand zu kontrollieren oder mein Denken durch den Heiligen Geist verwandeln zu lassen.

An Johannes 3,16 wurde mir diese Entscheidung klar, denn ich hatte inzwischen die Wahrheit dieses Wortes erfahren. Es machte jetzt mein Leben aus, was Gott für mich und für die ganze Welt getan hat – seinen lieben Sohn dahinzugeben. Das konnte ich nicht mehr als ein unverbindliches Theologumenon eines – mehr oder weniger – von der Gnosis beeinflußten theologischen Schriftstellers beiseite schieben. Auf Gottes verbindlicher Zusage kann der Glaube ruhen. Theologische Sätze sind nur von akademischem Interesse.

Durch Gottes Gnade durfte ich dann Jesus als den erfahren, dessen Name über alle Namen ist. Ich durfte erkennen, dass Jesus Gottes Sohn ist, von der Jungfrau geboren, dass Er der Messias und Menschensohn ist und Ihm solche Titel nicht durch menschliche Überlegungen beigelegt wurden. Ich durfte die Inspiration der Heiligen Schrift zunächst erkennen und dann auch lebendig erfahren.
Ich habe – nicht durch Reden von Menschen, sondern durch Zeugnis des Heiligen Geistes im Herzen – klare Erkenntnis, dass mein verkehrtes Lehren Sünde war und bin froh und dankbar, dass mir diese Sünde vergeben wurde, weil JESUS sie ans Kreuz getragen hat. Deshalb sage ich NEIN zur historisch-kritischen Theologie.

Nach wie vor erachte ich alles, was ich gelehrt und geschrieben habe, bevor ich Jesus mein Leben übergab, für einen Dreck. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um darauf hinzuweisen, dass ich meine beiden Bücher »Gleichnisse Jesu …« und »Studien zur Passionsgeschichte« samt meinen Beiträgen in Zeitschriften, Sammelbänden und Festschriften verworfen habe. Was sich davon in meiner Wohnung befand, habe ich 1978 eigenhändig in den Müll getan und bitte Sie herzlich, mit dem, was sich davon etwa noch auf Ihrem Bücherbord findet, das Gleiche zu tun.
Dr. Eta Linnemann, Prof. i.R. –  5. Juli 1985

 

Anmerkungen zum Studium der historisch-kritischen Theologie

Vorbemerkung: An der Formulierung des Themas wurde Anstoß genommen. Man hat gesagt, es müsse heißen: Anmerkungen zum Studium der historisch-kritischen Methode.
Dazu ließe sich manches sagen; ich möchte mich jedoch auf zwei Bemerkungen beschränken:

1. Die Formulierung »historisch-kritische Theologie« hält sich durchaus im Rahmen des allgemeinen Sprachgebrauchs.
Wenn jemand zum Beispiel erzählt, dass er zu einer Kneippkur fährt, dann weiß man, was er dort verordnet bekommt: Wassertreten, Kniegüsse und Ähnliches mehr. Exakt müßte es freilich heißen: Er fährt zu einer Kur, in der er nach den weiland von Pfarrer Kneipp gefundenen Methoden behandelt wird. Jeder weiß, dass eine Kneippkur nach diesen Methoden erfolgt und sich gerade darin von anderen Kuren unterscheidet.

Ebenso ist es in der Theologie. Die Theologie, wie sie heute rings um den Erdball an den meisten Universitäten gelehrt wird und die ganz gewiß in Deutschland an den staatlichen Universitäten das Monopol hat und den Alleinvertretungsanspruch erhebt, basiert auf der historisch-kritischen Methode. Diese ist nicht nur Grundlage in den exegetischen Disziplinen. Sie entscheidet auch darüber, was der Systematiker sagen kann und was man ihm abnimmt und wie man in Katechetik, Homiletik und Ethik vorzugehen pflegt. Vielleicht ist das denen, die darin leben, gar nicht so bewußt. Das Historisch-kritische hat wirklich – wie ein Sauerteig den Teig – die gesamte Universitätstheologie durchdrungen. Wenn man aber ständig mit Sauerteig arbeiten muß, nimmt man den Geruch wahrscheinlich gar nicht mehr wahr.

2. Meine früheren Kollegen, mit denen ich bei den Meetings der Society for New Testament Studies Gemeinschaft hatte, würden sich streng dagegen verwahren, wenn man sie als historisch-kritische Methodiker einstufen würde anstatt als Theologen. Denn sie selber verstehen sich als Theologen und wollen als solche ernst genommen werden. Dann ist es aber doch wohl nicht verkehrt, ihre Arbeit als historisch-kritische Theologie anzusprechen und nicht bloß von historisch-kritischer Methode zu reden.
Es ließe sich gewiß noch mehr dazu sagen. Aber lassen wir es dabei bewenden und kommen zur Sache.

A. Der Grundansatz der Theologie als Wissenschaft 

1. Es wird geforscht, ut si Deus non daretur, d.h. die Realität Gottes wird von vornherein theoretisch ausgeklammert, auch wenn die Forscher einräumen, dass er sich in seinem Wort bezeugen könne.

2. Der Maßstab, an dem alles gemessen wird, ist nicht Gottes Wort, sondern das Prinzip der Wissenschaftlichkeit. Aus der Schrift entnommene Angaben über Ort und Zeit, Handlungsabläufe und Personen werden nur soweit akzeptiert, wie sie sich mit den anerkannten Unterstellungen und Theorien in Einklang bringen lassen. Alles übrige wird als »unwissenschaftlich« abgewiesen. Die Wissenschaftlichkeit ist zum Götzen geworden.

3. Voraussetzung der wissenschaftlichen Theologie ist die Einordnung der Bibel und des christlichen Glaubens in die Vergleichsebene mit anderen Religionen und ihren heiligen Schriften. Auch da, wo man das Besondere des Christentums betont, ist die allgemeine religionswissenschaftliche Einordnung die Grundvoraussetzung. Diese Vergleichsebene ist aber keine Tatsache, keine Gegebenheit, sondern sie ist eine Abstraktion, ein Kunstgebilde, das man gewonnen hat aufgrund der Abwendung vom lebendigen Gott. (Wer Theologie studiert, wird zwangsläufig mit seinem Denken auf den Boden dieser lügenhaften Unterstellung versetzt.)

4. Der Begriff »Heilige Schrift« wird religionsgeschichtlich relativiert: Da auch andere Religionen ihre heiligen Schriften hätten, könne man nicht von vornherein davon ausgehen, dass die Bibel die Heilige Schrift sei. Deshalb wird mit ihr umgegangen wie mit jedem anderen Buch. Man macht keinen Unterschied in der Untersuchung der Bibel und der Untersuchung der Odyssee, wenngleich man in solcher Untersuchung Unterschiede zwischen beiden feststellt.
Gerade im Feststellen solcher Unterschiede meint man der Verkündigung des Evangeliums einen Dienst zu tun. Man übersieht dabei, dass man in solchem Vergleichen das Wort Gottes zu religiösen Vorstellungen und theologischen Begriffen reduziert und dadurch aus dem lebendigen Wort einen toten Buchstaben macht. Erst auf der Kanzel wird das offenbar, wenn der Prediger sich vergeblich darum bemüht, diesen toten Buchstaben zum Reden zu bringen und schließlich versucht, ihm mit Hilfe von Psychologie, Soziologie, Sozialismus und anderen -ismen Leben einzuhauchen.

5. Man geht mit der Bibel nicht so um, dass man sie als Gottes Wort respektiert.

a) Es wird unterstellt, dass Bibelwort und Gotteswort nicht identisch sind. Das, was zwischen den beiden Buchdeckeln des Bibelbuches an Gedrucktem stehe, sei an und für sich noch nicht Gottes Wort. Gottes Wort sei es lediglich dann, wenn es sich je und dann beim Lesen oder im Hören der Predigt als solches erweise.

b) Man spielt das Neue Testament gegen das Alte aus, bis hin zu der Unterstellung, dass der Gott des Neuen Testaments nicht derselbe sei, denn Jesus habe einen neuen Gottesbegriff gebracht. Paulus wird gegen Jakobus ausgespielt. Es wird auch behauptet, der Paulus der Apostelgeschichte sei nicht vereinbar mit dem Paulus, der die Briefe an die Römer, Korinther, Galater usw. geschrieben habe. Der Apostelgeschichte wird vielfach nur literarischer Wert zuerkannt. Als Berichterstatter wird Lukas ebensowenig ernst genommen wie als Theologe; ja, seine »Theologie«, die man anstelle einer treuen Wiedergabe des Geschehenen in jedem Satz vermutet, wird geradezu als negatives Paradebeispiel herausgestellt. Mit grotesken literarkritischen Methoden, die sich sofort ad absurdum führen ließen, wenn man sich nur einmal daran machte, sie auf das biografisch überschaubare Werk eines Dichters oder eines Theologen – sagen wir Johann Wolfgang von Goethe oder Karl Barth – anzuwenden, wurden für die Pastoralbriefe und für den Epheser- und Kolosserbrief Behauptungen der Unechtheit aufgestellt und werden unbesehen von einer Theologengeneration an die nächste überliefert. Unterschiede zwischen einzelnen Büchern der Heiligen Schrift werden aufgebauscht und als Unvereinbarkeiten hochgespielt.

c) Da man nicht an die Inspiration der Schrift glaubt, kann man nicht annehmen, dass die einzelnen Bücher der Schrift sich ergänzen. Man findet durch dieses Vorgehen in der Bibel nur noch ein paar Hände voll unverbundener schriftstellerischer Erzeugnisse. Man räumt zwar ein, dass sich in ihnen der Glaube ihrer Verfasser bezeugt, aber man will nicht sehen, dass sich in ihnen der bezeugt, an den diese Verfasser glauben. Anders gesagt, man läßt sie nicht als Offenbarung gelten. Sie werden nur als schriftstellerische und theologische Erzeugnisse betrachtet. Als solche – zwei- bis dreitausend Jahre alt, von antiken Verfassern für antike Leser geschrieben, in Verhältnissen, die nach historisch-kritischer Untersuchung angeblich völlig anders als die unsern sind, bescheinigt man ihnen, alles andere als aktuell zu sein.

d) Um dem Anspruch der Verbindlichkeit gerecht zu werden, den der Kanon für die Kirche hat und natürlich auch zur eigenen Orientierung, sucht man nach dem »Kanon im Kanon«. Für einige bleibt nicht viel mehr übrig als Römer 7, der barmherzige Samariter, Lukas 10 und das »Gleichnis vom Weltgericht«, Matthäus 25. Bei anderen fällt dieser »Kanon im Kanon« breiter aus. An diesem Maßstab wird dann die ganze Bibel gemessen und es wird – ausgesprochen oder unausgesprochen – Sachkritik getrieben. Mit dem Römerbrief wird der Jakobusbrief abgewertet; vom paulinischen Glaubensverständnis wird 1. Korinther 15,5-8 kritisiert: Paulus sei hier nicht auf der Höhe seiner Theologie, da er von der Auferstehung Jesu wie von einer historischen Tatsache rede.

e) Da man in den biblischen Büchern nur Erzeugnisse theologischer Schriftsteller sieht, wird das einzelne Bibelwort zu einem unverbindlichen »Theologomenon«. Johannes 3,16 zum Beispiel ist demnach nur eine theologische Aussage eines urchristlichen Theologen, der gegen Ende des 1. Jahrhunderts sein Evangelium geschrieben hat und der entweder Gnostiker (d.h. ein Häretiker) war oder die Gnosis mit Hilfe ihres Vokabulars bekämpfte oder nur mehr oder weniger von der Gnosis – einer antichristlichen, teilweise auch pseudochristlichen Heilslehre – beeinflußt wurde. Anders gesagt: Für die historisch-kritische Theologie ist Johannes 3,16 keine verbindliche Heilszusage Gottes, sondern nur eine unverbindliche Menschenmeinung.
In gleicher Weise verfährt man mit sämtlichen Gottesverheißungen in der Bibel, obwohl sie doch nach Gottes Wort »Ja« und »Amen« in Jesus Christus sind (2Kor 1,20).

6. Die Heilige Schrift wird als »Text« verstanden, welcher der Auslegung bedarf.

Der unmittelbare Zugang zur Schrift wird zwar nicht bestritten, aber er wird in Frage gestellt als subjektive, nur für den Auslegenden selbst verbindliche »existentielle Interpretation« und ohne einen vorherigen Durchgang durch die historisch-kritische Interpretation allein im Privatgebrauch für zulässig erklärt.

Verantwortliche Auslegung für andere, z.B. in Predigt und Unterricht habe »methodisch«, nach Regeln, zu erfolgen, damit sie kontrollierbar sei. Der Heilige Geist, der weht, wo er will, wird beiseitegestellt, »weil kein Mensch jederzeit garantieren könne, dass er ihn hat« (so Rudolf Bultmann). An seine Stelle wird die Auslegungsmethode gesetzt, welche die Objektivität der Auslegung und ihre Angemessenheit an den Bibeltext garantieren soll.
Doch, der im Himmel sitzt, spottet ihrer. Abgesehen von einigen Grundannahmen und der Übereinstimmung in den Methoden kann man sicher sein, dass da, wo sich zwei Theologen über Ergebnisse ihrer Arbeit austauschen, in der Regel zwei verschiedene Meinungen zutage treten. Wo dagegen Bibellehrer, die Gottes Wort wörtlich nehmen, im Vertrauen auf den Heiligen Geist mitteilen, was sie empfangen haben, wird man immer wieder die Einheit im Geist und die Übereinstimmung in der Lehre feststellen können – quer durch Konfessionen, Kontinente und Zeitalter.

7. Der nicht erklärte, aber praktizierte Grundsatz alttestamentlicher und neutestamentlicher Wissenschaft ist: So, wie es dasteht, kann es auf keinen Fall gewesen sein. Der Exeget ist darauf eingestellt, »Schwierigkeiten« im »Bibeltext« zu entdecken und zu lösen. Je besser der Ausleger ist, um so größer wird seine Findigkeit darin sein. Denn wenn er als Professor etwas taugen will, muß er sich »einen Namen machen«. Dazu ist er verpflichtet, wenn er nicht ein Dieb sein will, der sein Professorengehalt umsonst bezieht. Er ist in der Zwangslage: Er muß nach Menschenehre trachten, auch wenn er charakterlich alles andere als ehrsüchtig ist. Dem Charakter nach sind die meisten meiner früheren Kollegen weithin eher demütig und bescheiden, wie ich ihnen gerne bescheinige. Aber durch das System der Universitätstheologie stehen sie unter dem Zwang, sich einen Namen zu machen und nach Menschenehre trachten zu müssen.

Unser Herr Jesus aber sagt: »Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, nicht sucht?« (Joh 5,44).

Ein Theologiestudent, der dem Bedürfnis nach Anerkennung durch Menschen noch nicht gestorben ist, steht unter dem gleichen Druck. Kein Wunder, dass viele gläubige Theologiestudenten bald ernsthafte Glaubensschwierigkeiten haben. Oft ist es auch so, dass sie vom Glauben abdriften, ohne es selber wahrzunehmen. Es bleibt so einiges hängen von dem, was sie gelernt haben – wie sollte es anders sein? Dazu studieren sie ja doch. Es werden Abstriche gemacht an Gottes Wort. Es wird ihm nicht mehr alles abgenommen, was er sagt und deshalb wird auch seine Kraft nicht mehr so erfahren. »Die Pastoralbriefe sind nicht von Paulus«, hat man gelernt; »der Verfasser des Johannesevangeliums ist natürlich nicht der Zebedaide Johannes«, »die 5 Bücher Mose sind nicht von ihm, sondern aus verschiedenen Quellen zusammengeschrieben«. Wer das im 6. Semester noch nicht gelernt hat, gilt als »bescheuert« und so wird der Weinberg von den kleinen Füchsen verwüstet. Das sieht alles so harmlos aus: Das sind doch alles nur Kleinigkeiten, nicht entscheidend für den Glauben, was hängt schon daran. Aber die Autorität des Wortes Gottes wird dadurch in Frage gestellt. Es verliert an Verbindlichkeit und das macht sich bald dort bemerkbar, wo es uns unbequem wird. Lassen wir uns nicht beirren. Selbst ein Mauseloch kann einen Deich gefährden. Wenn eine Sturmflut kommt, wird das offenbar.

8. Der kritische Verstand entscheidet in der historisch-kritischen Theologie darüber, was in der Bibel Realität ist und was es nicht sein kann und zwar aufgrund der alltäglichen, jedermann zugänglichen Erfahrung. Nur das wird als Tatsache genommen, was allgemein für möglich gehalten wird. Geistliches wird fleischlich beurteilt. Erfahrungen von Gotteskindern werden völlig ignoriert.

Es kommt aufgrund der Voraussetzungen, von denen man ausgeht, gar nicht in den Blick, dass der Herr, unser Gott, der Allmächtige, regiert. Man ist offensichtlich nicht einmal in der Lage, Wunder, die heute geschehen, zur Kenntnis zu nehmen, selbst wenn sie glaubhaft bezeugt und medizinisch nachgewiesen sind. Zumeist bekommt man sie gar nicht erst in den Blick, weil die Bücher, die solches zur Ehre des Herrn berichten, nur in Verlagen erscheinen können, deren Veröffentlichungen für den historisch-kritischen Theologen von vornherein und unbesehen »unter dem Strich« sind und als »Erbauungsliteratur« abgewertet werden.

9. Nach ihrem eigenen Selbstverständnis will die historisch-kritische Theologie Hilfe zur Verkündigung des Evangeliums leisten durch eine Bibelauslegung, die wissenschaftlich zuverlässig und objektiv ist. Es besteht jedoch ein ungeheuerlicher Widerspruch zwischen diesem Selbstverständnis und der Realität.
Dass die Verkündigung des Evangeliums durch einen solchen Umgang mit Gottes Wort nicht gefördert, sondern behindert wird, das sollte nach dem Vorangegangenen offenbar sein. Aber auch die Objektivität und wissenschaftliche Zuverlässigkeit der Schriftauslegung, die man unterstellt, ist keineswegs gegeben. Es stimmt nicht, dass anstelle subjektiver Eindrücke eine gegründete Wahrheitsfindung durch Abwägen von Argumenten getreten sei.

a) Der Widerspruch von Theorie und Praxis, von Ideal und Wirklichkeit zeigt sich bereits im Umgang mit der einschlägigen Literatur. Der Theorie nach müßten alle einschlägigen, historisch-kritischen Veröffentlichungen zum Thema berücksichtigt werden. In der Praxis erweist sich das angesichts der ständig wachsenden Literaturflut als unmöglich.

– Auf der Zeitlinie ist man deshalb zu einer mehr oder weniger willkürlichen Beschneidung genötigt. Der Schnitt wird entweder in das Jahr 1900 oder in das Jahr 1945 gelegt. Aus der Zeit von 1900 bis 1945 werden nur ausgewählte Klassiker der historisch-kritischen Theologie benutzt, aus der Zeit vor 1900 nur einige wenige Werke.

– Obwohl heute in allen Ländern und Erdteilen historisch-kritische Theologie betrieben wird, bleiben die Veröffentlichungen dieser Theologen oft allein aus dem Grunde unberücksichtigt, weil sie in einer Sprache abgefaßt sind, die ihre Kollegen nicht beherrschen. Bereits das Französische stellt für viele angelsächsische und deutsche Forscher eine Sprachbarriere dar, die zu übersteigen eine Mühe macht, die man nur bei wichtigen Klassikern auf sich nimmt. Wer aber macht sich schon daran, die Sprachen zu lernen, um die Bücher neugriechischer, spanischer oder japanischer Kollegen zu studieren, um nur einige Beispiele zu nennen. Solche sprachlich nicht zugängliche Literatur bleibt für die Wahrheitsfindung von vornherein unberücksichtigt.

– Vielfach gibt es obendrein noch Schwierigkeiten bei der Beschaffung der bekannten und sprachlich zugänglichen Literatur. Wartezeiten bei der Fernleihe können ein Vierteljahr und länger sein. Ausdrücklich oder stillschweigend beschränkt man sich deshalb »auf die mir zugängliche Literatur«.

– Ein in jüngerer Zeit zunehmend angewandtes Hilfsmittel, um die Literaturflut einzudämmen, das besonders von Linguisten gerne gebraucht wird, ist die grundsätzliche Ausklammerung der einschlägigen Literatur, welche nicht die gleichen Spezialmethoden verwendet.

– Mehr und mehr setzt sich die fragwürdige Technik durch, sich Literatur, deren intensive Bearbeitung eindeutig vom Thema her erforderlich wäre, dadurch vom Halse zu schaffen, dass man ein solches Buch in einer einzigen Anmerkung nennt und nach einer verzerrten Kurzdarstellung von wenigen Zeilen so abfällig beurteilt, dass man damit eine weitere Bearbeitung ausschließt. Auf diese Weise erspart man sich eine Mühe, welche die eigene Veröffentlichung um Jahre verzögern würde. Angesichts der bestehenden Verhältnisse kann man das als Notwehr gelten lassen. Allerdings wird bei diesem Verfahren übersehen, dass dadurch Bücher, welche von namhaften theologischen Fakultäten als Dissertationen oder Habilitationsschriften angenommen und somit gutgeheißen wurden, als indiskutabel hingestellt werden – ein Sachverhalt, der bisher anscheinend niemandem aufgegangen ist.
Als Ergebnis ist festzustellen, dass bereits die Praktiken der Literaturbenutzung die behauptete Objektivität der historisch-kritischen Theologie in Frage stellen.

b) Dass Wahrheitsfindung aufgrund von kritischen Argumenten stattfindet, ist eine Selbsttäuschung:
– Für entgegenstehende Hypothesen lassen sich in der Regel gleichgewichtige Argumente finden, wenn auch nicht beim selben Forscher. Entsprechend der Blickrichtung auf Figur oder Grund springt jedem das ins Auge, was seine eigene Unterstellung bestätigt. Werden gegnerische Argumente im eigenen Bezugsrahmen geprüft, erweisen sie sich zwangsläufig als schief. Eine solche Überprüfung führt deshalb in der Regel zur Erhärtung und Stabilisierung der eigenen These.
Die grundsätzliche Bereitschaft in der historisch-kritischen Bibelauslegung, die eigenen Thesen für überholbar zu halten und zur Diskussion zu stellen, bedeutet deshalb keineswegs, dass auf diesem Weg Wahrheit ermittelt würde.
Wo im Einzelfall eine Ansicht geändert wird – was besonders bei Forschern von Rang nicht allzu häufig vorkommt, werden sofort genauso gute Argumente für die neue Ansicht gefunden, denn die Vernunft ist nun einmal eine Hure.

– In der Praxis des Umgangs der Forscher miteinander, abgesehen von den Veröffentlichungen, herrscht das Beharren auf einmal gewonnenen Positionen vor. Auf die Zusendung von Sonderdrucken wird gerne geantwortet: »Ihre Ausführungen finde ich sehr interessant, aber ich kann mich ihnen nicht anschließen.« Gründe werden dafür nicht genannt. Das ist kein Charakterfehler, sondern in der Sachlage begründet: Der Professor muß in der Lehre ein verhältnismäßig breites Gebiet repräsentieren und soll in der Lage sein, aus dem Gesamtbereich alttestamentlicher oder neutestamentlicher Forschung Informationen aufzunehmen. Aber nur auf dem kleinen Spezialgebiet, das er zur Zeit bearbeitet, kann er solchen Fragen wirklich nachgehen. Aber selbst dort ist er durch frühere Forschungen bereits stark festgelegt, so dass die Aufnahme neuer Gedanken ein unverhältnismäßig großes Maß an Neubearbeitung erfordern würde, das sich oft im Rahmen der übrigen Pflichten: Lehre, Verwaltungsarbeit, Betreuen von Examensarbeiten und Dissertationen, Arbeit an der Fertigstellung eigener Publikationen oder als Herausgeber von Zeitschriften u.a. gar nicht aufbringen läßt.

Die Aufnahme von neueren Forschungsergebnissen durch Forscher, welche sich bereits in einem breiten Bereich eine Meinung gebildet haben, wird dadurch zwangsläufig willkürlich. Der »Name« des Verfassers einer Veröffentlichung und die »Schule«, welcher derselbe angehört, entscheiden vielfach darüber, wie dieselben aufgenommen werden.
Unter diesen Voraussetzungen kann die behauptete Objektivität historisch-kritischer Bibelauslegung von vornherein unmöglich zustande kommen.

10. Unter der nachwachsenden Forschergeneration breitet sich vielfach Resignation in Bezug auf Wahrheit aus. Sie wird ausgemünzt in Theorien der Subjektivität. Eigentlich müßte sie das Ende wissenschaftlicher Arbeit in der Theologie markieren, wird aber in dieser Weise nicht ernstgenommen. Man muß sich fragen, ob hier Wissenschaft als Selbstverwirklichung getrieben wird. Man darf aber auch nicht übersehen, dass das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, das besteht, solange die Kirchen den Zugang zum Pfarramt in der Regel nur über das Studium an diesen theologischen Fakultäten freigeben, diesen Fakultäten so, wie sie sind, ein gutes Gewissen bei ihrer Arbeit gibt.

11. In zunehmendem Maße ist bei der jüngeren Theologengeneration eine sozialistische Unterwanderung festzustellen.
An die Stelle des Heilsplanes Gottes und die ewige Erlösung in Jesus Christus sind menschliche Ziele der Weltverbesserung getreten. Sie werden verbrämt mit willkürlich ausgewählten Worten des sogenannten »historischen Jesus«, der je nach Spielart als Sozialreformer oder als Revolutionär gedeutet wird. Vorzugs»texte« sind: die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) und vom Weltgericht (Mt 25,31-46), ferner Jesu Wort über den Sabbat (Mk 2,27-28), wobei das Wort »Menschensohn« in Vers 28 einfach als »Mensch« interpretiert wird, was sprachlich möglich ist. Jesu Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern (Mk 2,15-17) wird als Beweis genommen, dass er ungerechte soziale Strukturen verändert hat und wir es ihm darin gleichtun sollen.
Kennzeichnend ist die Theorie vom »Überbau«, mit der das Alte Testament weitgehend beiseite geschoben wird als etwas, das uns nichts angeht. Es wird verstanden – ganz oder in Teilen – als eine geistige Konstruktion, die Ausfluß damaliger patriarchalischer Gesellschaftsstrukturen und bäuerlicher Produktionsverhältnisse ist und die Funktion hatte, dieselben zu rechtfertigen und zu stabilisieren. Aufgrund dieser Theorie sind selbst die Zehn Gebote für uns nicht mehr verbindlich. Jesus habe sie im Liebesgebot aufgehoben. Was aber unter Liebe zu verstehen ist, wird nicht an Gottes Wort abgelesen, sondern fleischlich beurteilt.
Die Propheten werden als Sozialreformer eingestuft, wofür Amos als Alibi herhalten muß.


B. Die Praxis der historisch-kritischen Theologie

1. Wie jede Wissenschaft ist auch die Theologie angewiesen auf Hypothesen. Eine Hypothese ist eine Unterstellung, dass etwas sich so verhält.

In den Naturwissenschaften werden aufgrund von Erfahrungen Gesetzmäßigkeiten unterstellt und durch Experimente nachgeprüft. In den Geisteswissenschaften dagegen haben Hypothesen keineswegs die gleichen Funktionen und können auch nicht auf dieselbe Weise geprüft werden. Die alttestamentliche und die neutestamentliche Wissenschaft haben sich u.a. die Fragestellungen der Geschichtswissenschaft und der Literarkritik zu eigen gemacht.

a) In der Geschichtswissenschaft benutzt man vorliegende Sachfunde und sprachliche Zeugnisse als Quellen für Informationen über eine vergangene Epoche, in welche man diese Funde und Zeugnisse datiert. Bei solcher Datierung setzt bereits das Unterstellen ein; sie ist ein wichtiger Komplex der Hypothesenbildung.

Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen:

– Wenn man unterstellt, dass das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13) nicht von Jesus selbst gesprochen ist, sondern erst in der Urgemeinde entstand, dann ordnet man es in einen anderen Zusammenhang ein. Man entnimmt ihm dann keine Informationen über Jesus, sondern über die Urgemeinde. Man zieht zu seinem Verständnis auch nicht das heran, was man über Jesus weiß, sondern dasjenige, was einem über die Urgemeinde bekannt ist.

– Unterstellt man aufgrund der Unterschiede zwischen dem Johannesevangelium und den drei übrigen Evangelien, dass der Verfasser dieses Evangeliums nicht Johannes, der Jünger Jesu ist, dann zieht diese Unterstellung eine Kette von weiteren nach sich: In diesem Fall konnte der Verfasser das, was er mitteilt, nicht von Jesu selbst erfahren. Also mußte er Vorlagen benutzen. Sofort erhebt sich die weitere Frage, welcher Art die Vorlagen gewesen sind. Daraus folgt die Frage, wie diese Vorlagen von dem eigenen Beitrag des Evangeliums abzugrenzen sind. Das setzt weitere Unterstellungen in Bezug auf dessen Theologie, Tendenz und Gruppenzugehörigkeit in Gang. Dabei taucht die Frage nach dem religionsgeschichtlichen Hintergrund auf (wobei zwischen dem Evangelisten und seinen Vorlagen zu unterscheiden ist): Welche Einflüsse haben auf den Verfasser des Johannesevangeliums eingewirkt? Gnosis? Qumran? Gnostizierendes Judentum? Oder orientiert er sich wirklich nur am Alten Testament? Und wenn Gnosis, wie ist seine Beziehung dazu: polemisch? positiv? oder kritisch?

b) In der Literarkritik hat die Hypothesenbildung eine andere Funktion. Es wird Antwort auf die Frage nach Struktur und Überlieferung des »Textes« gesucht. Unter anderem spielen folgende Fragen eine Rolle: Mündlich geprägt oder von vornherein schriftlich fixiert? Mündlich oder/und schriftlich überliefert? Literarisch einheitlich oder nicht? Wurden Quellen benutzt oder Traditionszusammenhänge oder Einzelüberlieferungen? Liegt literarische Abhängigkeit vor? Ist mit einer späteren Bearbeitung zu rechnen oder gar mit mehreren? Lassen sich Gesetzmäßigkeiten in der Formbildung erkennen, die den Aufbau charakterisieren?

Diese Fragen sind herausgegriffen ohne Zusammenhang und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Auf jede solcher Fragen wird durch Unterstellungen Antwort gegeben. Diese Antworten lassen sich samt und sonders nicht überprüfen. Sie sind lediglich ausgewiesen durch Plausibilität und durch die Kunst des Forschers, seine Unterstellungen mit Argumenten zu begründen. Sie werden dadurch für andere Forscher annehmbar, dass sie sich in die Komplexe der bereits mehr oder weniger allgemein angenommenen Unterstellungen gut einfügen, d.h. durch einen sorgfältigen Rückbezug auf die bisherige Forschung. Anders gesagt: Die Hypothesenbildung in der alt- und neutestamentlichen Wissenschaft ist ein sich selbst stabilisierendes System.

Es ist ein müßiges Spielen mit Gottes Wort, das nicht nach Gott fragt, auch wenn der einzelne Forscher in dem Glauben sein kann, damit Gott einen Dienst zu tun. Sehr viel Arbeit und Entbehrung wird darin investiert – eine 60-Stunden-Woche ist für solche Forscher durchaus normal – und das ein ganzes Leben lang, bis die geistigen und körperlichen Kräfte verfallen.

Soll diese Lebensarbeit nicht vergebens sein, dann ist der Alt-oder Neutestamentler darauf angewiesen, dass seine Hypothesen Anerkennung finden. Er muss danach trachten, Ehre von den Menschen zu nehmen. Allein durch dieses wechselseitige Ehre-Geben und -Nehmen gewinnt diese Arbeit, welche unter so viel Einsatz und Entbehrung geschieht, den Schein der Realität.

c) Aufgrund seiner Arbeit gewinnt der Theologieprofessor zwangsläufig die feste Überzeugung, dass man Gottes Wort nicht verstehen kann, ohne sich die Hypothesengebilde alt und neutestamentlicher Wissenschaft zu eigen gemacht zu haben. Er ist wirklich überzeugt davon und deshalb in der Lage, diese Überzeugung auch seinen Hörern zu übermitteln.

Da die Studenten sich nie im gleichen Umfang die in lebenslanger Arbeit erworbenen »Ergebnisse der Forschung« zu eigen machen können, werden sie unsicher und geraten in Abhängigkeit. Anstatt den Heiligen Geist nicht nur formal zu bitten, sondern wirklich von ihm zu erwarten, dass er ihnen sein Wort aufschließt, greifen sie nach einem »Kommentar«, einem Werk, das ein Buch der Bibel Vers für Vers historischkritisch »erklärt«. Sie werden durch das Studium so darauf getrimmt, »Schwierigkeiten« im »Text« zu entdecken, dass sie gar nicht mehr damit rechnen können, ohne Hilfe eines Kommentars mit dem »Text« zurechtzukommen.

Da jede Unterstellung eine Kette von weiteren Unterstellungen nach sich zieht, genügt es überdies, dass zu einem Bibelwort eine der gelernten Hypothesen ins Gedächtnis kommt, um das Bedürfnis, »nachzuschlagen« zu wecken.
Der studierte Theologe ist meistens unfähig, Gottes Reden in Seinem Wort zu vernehmen. Deshalb gibt er die ihm eingeimpfte Überzeugung, dass allein durch die historisch-kritische Theologie die Heilige Schrift erschlossen werden könne, an seine Gemeinde weiter und lehrt sie unter Abstrichen, was er selber an der Hochschule gelernt hat. Je mehr Mühe ihn der Erwerb dieses Wissens gekostet hat, je kostbarer ist es ihm geworden. Überdies bringt es ihm die Ehre ein, als »Sachverständiger« vor seinen Schülern oder Gemeindegliedern zu stehen. Der schlichte Umgang mit Gottes Wort, der darauf abzielt, ein Täter des Wortes zu werden, verschafft ihm solche Ehre nicht. Denn dabei teilt der Heilige Geist zu, wem Er will und das muss keineswegs der »Herr Pfarrer« sein.
Überwältigt durch den »Sachverstand« des Theologen verliert der Schüler, der Konfirmand oder das Gemeindeglied das Zutrauen, er könne selber Gottes Wort verstehen und zumeist auch die Freude am Umgang damit.

2. Nirgendwo wird so viel »geglaubt« wie im wissenschaftlichen Studium, zumindest im Studium der Theologie.

a) Den einzelnen Hypothesen liegen zwar Argumente zugrunde, aber der durchschnittliche, ja selbst der sorgfältigere Student nimmt 80-90% der Hypothesen auf, ohne in der Lage zu sein, die Argumente abzuschätzen und zu wägen und etwa 40-50%, vielleicht sogar mehr, ohne die Argumente auch nur zu kennen. Denn die Argumente werden in den Lehrveranstaltungen im Allgemeinen nur soweit in den Blick gebracht, wie Thesen vertreten werden, die relativ neu und noch nicht allgemein anerkannt sind oder soweit die Ausführungen des Lehrenden auf Widerspruch stoßen. Ein sorgfältiges Einarbeiten in die Lehre kommt im Einzelfall zwar vor, ist aber nicht die Regel und kann es auch nicht sein. Denn das Gebäude der Wissenschaft besteht aus einer Vielzahl von Hypothesen, von denen jede einzelne zu ihrer Unterstützung zahlreicher Argumente bedarf.

b) Eine Reihe von Grundannahmen, die den Charakter eines Consensus Communis haben, d.h. betreffs deren eine allgemeine Übereinstimmung unter den Forschern besteht, bilden einen Raster, ohne den es überhaupt nicht möglich ist, in Vorlesungen und Seminaren Informationen aufzunehmen oder zu verarbeiten.

Diese Grundannahmen werden zwar nicht in der Theorie, wohl aber im praktischen Umgang Tatsachen gleichgesetzt, d.h. man geht mit ihnen um, als ob es Tatsachen wären. Wer sie solchermaßen in sein Denken einbezieht, wird durch sie geprägt und verändert.

Das Risiko des Theologiestudiums ist deshalb sehr groß, denn diese Veränderungen geschehen zwangsläufig und unbemerkt. Man atmet eine Atmosphäre ein, die tödlich ist wie Kohlenmonoxid und von demjenigen, der sich darin aufhält, ebensowenig wie dieses wahrgenommen wird, wenn nicht Gottes Gnade in besonderer Weise helfend eingreift.

c) Objektivität wissenschaftlicher Arbeit ist weithin Schein. In der Praxis spielen außerwissenschaftliche Elemente eine erhebliche Rolle: z.B. Gruppenbildung, personale Vertretung, der »Name« des Wissenschaftlers (der in verschiedenen theologischen Lagern unterschiedliche Bedeutung haben kann), Schlüsselstellungen als Inhaber eines Lehrstuhles oder Leiter eines Institutes, vor allem aber Herausgeber von Zeitschriften oder Fachberater von Verlagen für die Publikation von Reihen.

d) Scheinbar ist der Student in der Lage, sich ein objektives Urteil zu bilden. In Wirklichkeit ist seine Informationsaufnahme vorgefiltert. Dieser Filter wird gebildet
– durch seine Lehrer. Die »Wahl« des Hochschulortes, oft nach völlig anderen Kriterien als der an der Hochschule vorherrschenden Richtung getroffen, kann für die theologische Prägung des Studenten entscheidend sein.

– Gleichermaßen wird der Filter gebildet durch die Begrenzung seiner Möglichkeiten zum Buchstudium in der begrenzten Studienzeit. Der Student kann nur eine Auswahl verarbeiten und hält sich deshalb zunächst an das, was ihm empfohlen wird in den besuchten Lehrveranstaltungen. Aber auch da, wo er unabhängig wählt, bekommt er nur einen Ausschnitt in den Blick. Die Literatur, welche ihm in den Seminarbüchereien und der Universitätsbibliothek zur Verfügung steht, ist vorgefiltert. Christliche Literatur von bibeltreuen Verfassern ist weithin tabu. Die Erzeugnisse mancher Verlage gelten von vornherein als indiskutabel und können im Literaturverzeichnis einer wissenschaftlichen Arbeit nicht angeführt werden, wenn man sich keine Minuspunkte einhandeln will. Der Professor kennt sie auch nicht und man setzt ihn unter Druck, wenn man sie in seiner Arbeit anführt. Er müßte sie erst einmal anschaffen, sie lesen und sich damit auseinandersetzen. Da er aber ohnehin unter Zeitdruck steht und von vornherein von der Fragwürdigkeit dieser Druckerzeugnisse überzeugt ist, wird er sie in der Regel abweisen.

– Heutzutage bietet man den Studenten im Seminar sogar die Möglichkeit an, »sich an der Forschung zu beteiligen«.

Genau gesehen handelt es sich dabei aber entweder um die Übernahme von zeitaufwendigen Routineaufgaben, die der Professor in einem von ihm zuvorbedachten Arbeitsvorhaben erledigt haben möchte oder aber um eine Arbeit mit vorgefertigten Materialien. Sie verläuft dann ähnlich, wie Kinder mit Lego-Spezialkästen ein bestimmtes Haus oder Fahrzeug zusammenbauen. Natürlich sind Abweichungen möglich, aber sie erweisen sich gegenüber dem vorgeplanten Modell als nicht optimal, was der Professor oder selbst der ältere Student mit Leichtigkeit demonstrieren kann. Durch das Material wird das erwartete Ergebnis sichergestellt; doch scheinbar hat sich der Student »selbst überzeugt«. Auf diese Weise werden Rebellen ins System eingebunden. Die Ehre, als »Forscher« ernstgenommen zu werden, tut das ihrige hinzu.

3. Der Studienverlauf hat den Charakter einer sekundären Sozialisation. Der Student erfährt eine starke Prägung. Er kommt als homo novus in das Studium hinein, als einer, der nichts weiß und nichts kann und die Gepflogenheiten und Spielregeln nicht kennt. Um akzeptiert zu werden, muss er sich diese Regeln und Gepflogenheiten zu eigen machen und dasjenige Können und Wissen erwerben, das in seinem Studium zählt.

a) Der Student steht unter dem Druck eines gewaltigen Informationsgefälles, das nicht durch pädagogische Staustufen abgemildert ist. Der Professor breitet in Vorlesungen und Seminaren die Ergebnisse seiner Lebensarbeit aus, die auf der Arbeit von Forschergenerationen vor ihm beruht, während die Studenten noch Mühe haben, die Methoden zu erfassen, nach denen diese Ergebnisse erarbeitet wurden.
Angesichts dieses Informationsdruckes ist es schwer, an mitgebrachten Einsichten aus Gottes Wort festzuhalten, wenn diese als »unwissenschaftlich« disqualifiziert werden. Von seiten der Lehrenden begegnet dem gläubigen Studenten vielfach Widerstand in folgenden Spielarten:

Herablassung: »Sie werden es schon noch lernen!«
Versuchung: »Stellen Sie sich doch wenigstens theoretisch auf diesen Standpunkt.«
Verführung: »Ist denn Ihr Glaube so schwach und trauen Sie Gott so wenig zu, dass Sie sich auf diese Gedanken nicht einlassen wollen?«
So wird er dazu gebracht, sich Gedanken zu eigen zu machen, die dem, was er im Worte Gottes gelernt hat, widerstreiten.

b) Der Studierende steht zugleich unter einem starken Gruppendruck. Die Kommilitonen, besonders diejenigen aus den höheren Semestern oder solche, die sich durch besondere Begabung auszeichnen, sind »Miterzieher«, die entscheidenden Mit-träger dieser Sozialisation. Ein gläubiger Student, der auf Grund seiner anderen Einstellung zu Gottes Wort nicht bereit ist, bestimmte Methoden oder Ergebnisse der historisch-kritischen Theologie zu akzeptieren, wird meistens diskriminiert. Er wird belächelt, verspottet und – bei allem heimlichen Respekt – als Außenseiter behandelt. Wenn er seine Ansichten geschickt zu vertreten weiß, kann er vielleicht hier und da auch einen Achtungserfolg erringen. Mit einer Anerkennung seiner Ansichten als gleichberechtigt darf er höchstens in Einzelheiten rechnen, mit denen er sich nicht zu weit vom Traditionszusammenhang der in Frage stehenden wissenschaftlichen Disziplin entfernt.

c) In dem Maße, wie der Student zunehmend in die historisch-kritischen Gedankengänge eingeweiht wird, wird er den Menschen entfremdet, mit denen er zuvor im Glauben verbunden war. Sie können jetzt »nicht mehr mitreden« und es wird ihm schwer, auf sie zu hören. Er versteht sie nicht mehr und wird von ihnen nicht mehr verstanden. Er wird isoliert und steht in der Gefahr, sich zu überheben. Um so anfälliger wird er für den Gruppendruck durch die Lehrenden und durch die Mitstudenten.

d) Der Student hat Arbeiten vorzulegen, in denen er nachweisen muss, dass er sich die Arbeitsweise der historisch-kritischen Theologie hinreichend zu eigen gemacht hat. Er steht unter dem Zwang, selber historisch-kritisch zu denken, zu reden und zu schreiben. Ohne besondere Gnade Gottes führt das zu einer schwerwiegenden Veränderung in seinem Denken und in seinem Glauben. Er ist nicht mehr derselbe. Sein Umgang mit Gottes Wort wird grundlegend verändert, auch dann, wenn er es zu seiner eigenen Erbauung lesen will. Das im Studium Gelernte schiebt sich vor das Wort und verstellt ihm den Zugang.

4. In der Praxis des Umgangs mit der christlichen Überlieferung geschieht in der historisch-kritischen Theologie das, was man in der Gnosisforschung mit dem Begriff Pseudomorphose belegt hat. Pseudomorphose besagt, dass Begriffe ihres ursprünglichen Sinnes entleert und mit einem neuen Inhalt gefüllt werden, der mit dem ursprünglichen Sinn nicht viel mehr als nur den Namen gemein hat. Diese Sinnvertauschung ist eine Erscheinung, die in der theologischen Wissenschaft auf Schritt und Tritt vorkommt. Die biblischen Begriffe wie Rechtfertigung aus Glauben, Stellvertretung, Gnade, Erlösung, Befreiung, Erbsünde, Glaube, Gebet, Gottessohnschaft Jesu werden zwar weiterhin gebraucht, aber so, dass diesen Begriffen ein anderer Sinn unterlegt ist.

Dass Jesus Gottes Sohn ist, wird z.B. vielfach nicht so verstanden, dass er »Gott von Gott, Licht von Licht, wahrhaftiger Gott aus wahrhaftigem Gott« ist, sondern lediglich als eine Chiffre, die aussagen soll, dass am »historischen Jesus« etwas Besonderes ist, wodurch er sich von anderen Großen der Geschichte unterscheidet und dass wir es in ihm – irgendwie – mit Gott zu tun bekommen. In diesem Zusammenhang begegnet die Aussage, dass jede Epoche ihr eigenes Geschick habe und ihre eigene Christologie hervorbringen müsse. Diese Formel kenne ich seit 30 Jahren. Ich habe sie früher selbst verbreitet und allen Ernstes auf eine solche Christologie gewartet – vergeblich. Es erwies sich, dass diese Formel lediglich ein Freibrief war, um das, was uns Gottes Wort von unserem Herrn und Retter Jesus sagt, als unverbindlich beiseite zu schieben als »Christologie« einer vergangenen Epoche.

Man pflegt zu sagen: Messias sei nur ein Würdetitel, Gottessohn ebenso, Retter desgleichen, den verschiedene Gruppen des Urchristentums Jesus angehängt hätten, um seine »Bedeutsamkeit« denjenigen klarzumachen, welche mit diesen Titeln Heilserwartungen verbanden. Man scheut sich heutzutage nicht zu sagen, Jesus sei durch solche Titel »von seinen Anhängern hochgejubelt worden«. Wer sich auf diese Denkweise einläßt, der verläßt den einfältigen Glauben an Gottes Wort und wird Schaden leiden. »Glaubst du, so hast du«, sagt Luther mit Recht. Wenn ich Gottes Wort keinen oder nur halben Glauben schenke in dem, was es über Jesus sagt, dann werde ich Mangel haben an dem, was Er für mich ist. Ich werde Jesus nur erfahren entsprechend meinem Glauben und ich werde bei solcher Einstellung Mangel haben an Seinem Segen und an Gemeinschaft mit Ihm. Lassen wir uns nicht davon abbringen, dass Jesus der Messias, der Gottessohn, der Retter ist, auch wenn man uns deswegen den Gebrauch einer überholten und unzulänglichen Philosophie unterstellt, weil wir nach ihrer Ansicht bloße Worte für Tatsachen nehmen.

Nur einen Heilsbegriff aus der Heiligen Schrift kenne ich, der von dieser Sinnvertauschung nicht erfaßt worden ist: das Blut Jesu. Diesen Begriff schiebt man beiseite mit der Behauptung, die Rede vom Blut sei ein fragwürdiges Überbleibsel aus einer Epoche, in der bei Juden und Heiden blutige Opfer an der Tagesordnung waren.

Nur der Heilige Geist kann uns Licht geben, dass wir diese Sinnvertauschungen durchschauen. Wir dürfen Gott dafür um Weisheit bitten. Es sind Lügengewebe vom Feind, so fein gesponnen und gewebt, dass man ihnen nur mit Hilfe des Heiligen Geistes beikommen kann. Wir sollten uns nicht täuschen – die Theologieprofessoren glauben, was sie sagen. Sie sind selber in diesen Lügennetzen gefangen, bis Gott sie aus Gnade herausholt und versetzt aus der Verfügungsgewalt der Finsternis in das Reich Seines lieben Sohnes (Kol 1,13f.).
Es wird gesagt, die alten Begriffe seien so, wie sie einmal ursprünglich gebraucht wurden, den modernen Menschen nicht mehr zugänglich und man müsse deshalb das, was sie meinen, in die heutige Situation übertragen. Es wird aufgefordert in Gottes Wort zwischen Gesagtem und Gemeintem zu unterscheiden. Dagegen ist geltend zu machen: »Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig zugerüstet« (2Tim 3,16-18).

Man sagt, die Heilige Schrift sei Gotteswort und Menschenwort, wie unser Herr Jesus Gott und Mensch ist nach dem Bekenntnis der Kirche. Aber in dem gleichen Bekenntnis heißt es: unvermischt und ungeschieden. Deshalb ist es nicht zulässig und auch nicht möglich, zeitbedingtes Menschenwort und ewig gültiges Gotteswort auseinanderzuklauben. In einer Mischung von Eisenfeilspänen und Sägemehl kann ich das Eisen mit einem Magneten aussortieren. Aber Gottes Wort ist keine Mischung von gültigem Gotteswort und zeitbedingtem Menschenwort, die sich auseinandersortieren ließe.

C. Konsequenzen

Diese Zeilen sind nicht zu dem Zweck geschrieben, Menschen zu verurteilen, für die doch unser Herr Jesus ans Kreuz gegangen ist. Vielmehr soll das System der historisch-kritischen Theologie in seiner Gefährlichkeit gekennzeichnet werden, so, wie man auf eine Giftflasche ein entsprechendes Etikett aufklebt, damit niemand aus Versehen daraus trinkt und meint, er würde sich etwas Gutes einverleiben.

Wenn man weiß, was man im Theologiestudium zu erwarten hat, dann wird man nicht mehr ohne weiteres den Schluß ziehen, dass jemand, der vom Herrn berufen ist, Apostel, Missionar, Evangelist, Hirte oder Lehrer zu werden, selbstverständlich Theologie studieren müsse.

In der Welt muss man – wenn möglich – studieren, um ein gutes Einkommen zu erringen und »etwas aus seinem Leben zu machen«. Wir sind aber nicht in der Welt zu Hause, sondern unser Bürgerrecht ist im Himmel (Phil 3,20). Wir werden aufgefordert, uns nicht der Welt gleichzustellen (Röm 12,2). Wir dürfen nicht vergessen, dass die Welt uns haßt (Joh 15,19; 1Jo 3,13). Wir sind Soldaten Jesu Christi und kein Soldat bewegt sich ohne Marschbefehl, schon gar nicht in Feindesland. Sollte er es aber doch tun, dann zieht er sich Schwierigkeiten zu.
Ein junger Mensch, der vor der Frage steht, ob er diese Theologie studieren soll, der sollte mit lauterem Herzen, bereit die eigenen Pläne dranzugeben, Gott fragen, ob das Sein Wille ist. Er sollte Klarheit gewinnen, ob er vom Herrn dazu berufen ist, nicht nur dazu, »ein Gelenk des Dienstes« (Eph 4,16) zu werden, sondern ausdrücklich auch zu solchem Studium der Theologie.

Wen der Herr dazu beruft, der begebe sich fröhlich – und getrost an die Theologische Fakultät. Er ist ein Gesandter seines Königs und der wird ihn auch an diesem Ort zu bewahren wissen. Nur muss er sich mit aller Vorsicht dort bewegen, wie das ein Soldat in Feindesland tut.

Wer zu diesem Theologiestudium keinen Ruf hat, der sollte wissen, dass unser Vater im Himmel über viele Möglichkeiten verfügt, einen Menschen zum Dienst vorzubereiten:
Josef wurde nicht an der königlichen Verwaltungsakademie ausgebildet, der zweite im Reich des Pharao zu sein, sondern im königlichen Gefängnis.
Mose war zwar, da er als Sohn der Tochter des Pharao galt, in allen Wissenschaften und Künsten der Ägypter unterwiesen. Aber er wurde zubereitet, sein Volk aus Ägypten bis zum verheißenen Land zu führen, in einer vierzigjährigen Ausbildung als Schafhirte seines Schwiegervaters Jethro in der Wüste Midian.
Josua hat seine Zubereitung durch eine jahrzehntelange Tätigkeit als Diener Moses erhalten.
Gott spricht: »Gib mir, mein Sohn, dein Herz und laß deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen« (Spr 23,26).
Der Glaube der Theologie und die Theologie des Glaubens

I. Vorbemerkungen zum wissenschaftlichen Studium

A. Wissenschaftliches Studium ist zunächst einmal eine Disziplinierung des Denkens.

1. Der Vollzug des Denkens wird von der persönlichen Betroffenheit gelöst. Die das Herz bewegenden, den Verstand beschäftigenden und den Menschen umtreibenden, antwortheischenden Fragen werden verworfen zugunsten »wissenschaftlicher Fragestellungen«. Eine Weile mag der Student meinen, in der Wissenschaft Antworten auf seine mitgebrachten Fragen zu erhalten. Mit der Zeit muss er begreifen, dass es für »vorwissenschaftliche« Fragen keine wissenschaftlichen Antworten gibt. Sie sind im Bereich der Wissenschaft auch gar nicht relevant.

2. Die Verstandestätigkeiten werden geschult und geläufig gemacht.
Der Student übt sich im: Beobachten, Benennen, Vergleichen, Unterscheiden, Zuordnen, Einordnen, Voraussetzen, Schließen u.a.m.
Das Ergebnis solcher – anfangs oft mühseligen – Übung erfährt er als persönlichen Gewinn: Er hat etwas gelernt, er kann etwas und er unterscheidet sich dadurch von anderen, denen dieses Können abgeht.

3. Der Student lernt es, sich Einzelinformationen zu besorgen und so in vorgegebene Raster einzufügen, dass ihm allmählich größere Zusammenhänge geläufig werden. Aufgrund der notwendig aufzuwendenden Mühe wird dieses Ergebnis natürlicherweise als erhebliche Bereicherung erfahren. Der Student hat den Eindruck, Durchblick zu gewinnen, wo er sich in den ersten Semestern wie durch einen Nebel hindurchtasten mußte und bekommt dadurch automatisch ein Überlegenheitsgefühl solchen gegenüber, die diesen Durchblick (noch) nicht besitzen. Was er erworben hat, ist ihm wert und teuer, denn er hat zuvor unter der Situation gelitten, zumeist nur Glocken läuten zu hören, von denen er nicht wissen konnte, wo sie hingen.

4. In den höheren Semestern lernt der Student, angesichts der Vielzahl abweichender Meinungen Stellung zu beziehen und eine durch Argumente gestützte Position zu gewinnen, die ihm von sich selbst den Eindruck geistiger Eigenständigkeit vermittelt. Das ist ein großer Lustgewinn, der für manche Mühe vorangegangener Monate und Jahre entschädigt.

5. Ein Teil der Studierten erreicht in der Disziplinierung des Denkens die Stufe der disziplinierten Kreativität, die zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führt. Das wird von einer gar nicht so kleinen Zahl von Menschen als ein sinnvolles Lebensziel und ein so tiefes Glückserlebnis erfahren, dass sie dafür bereit sind, ein wahrhaft asketisches Leben mit 60 Wochenarbeitsstunden über Jahre und Jahrzehnte zu führen und den Großteil ihrer Finanzen in Arbeitsmittel zu investieren.

B. Wissenschaftliches Studium ist nicht nur eine Disziplinierung, sondern auch eine Reglementierung des Denkens.

Jede Wissenschaftsdisziplin stellt einen Traditionszusammenhang dar, der durch die im Zeitverlauf gesehenen Probleme des Fachbereichs, die angebotenen Lösungsversuche, ihre Annahme und Abstoßung unter dem Einfluß wissenschaftlicher Gesichtspunkte und außerwissenschaftlicher Faktoren gebildet wird. Auch wenn diese Geschichte der Disziplin gar nicht bewußt im Blick und den Vertretern der Fachrichtung möglicherweise nicht einmal hinreichend bekannt ist, reglementiert dieser Traditionszusammenhang dennoch die gesamte wissenschaftliche Arbeit innerhalb der Disziplin.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse können nur in Anbindung an den Traditionszusammenhang zur Geltung gebracht werden.

Die fachwissenschaftliche Reglementierung des Denkens ist ein Lernprozeß, der von der Fremdbegrenzung zur Selbstbegrenzung führt. Die Reglementierung des Denkens ist an sich keineswegs negativ zu sehen, sondern ist eine Notwendigkeit, wenn Denken kommunizierbar sein soll. Ich kann mir über vieles meine Gedanken machen, aber es bleibt fruchtlos, wenn es nicht auf einer Ebene geschieht, die anderen ermöglicht, daran teilzuhaben und darauf hinzuweisen.
Der Theorie nach ist wissenschaftliches Denken frei und erkennt keine Begrenzung an. »Freiheit der Wissenschaft«. »Lehr- und Lernfreiheit« sind allgemein als berechtigt anerkannte Forderungen. In der Praxis gibt es diese Freiheit nur innerhalb des Traditionszusammenhanges der verschiedenen Fachrichtungen und Disziplinen. Für diesen Tatbestand besteht weithin Betriebsblindheit, auch wenn der einzelne Wissenschaftler mehr oder weniger schmerzliche Erfahrungen damit macht. In wissenschaftlichen Darstellungen kommt der Tatbestand manchmal in den Blick, wenn es heißt, die Zeit sei noch nicht reif gewesen für eine bestimmte Erkenntnis. De facto war jedoch ihre Einbindung in den Traditionszusammenhang nicht zufriedenstellend vollzogen. So entstehen Außenseiterpositionen – teils im Abseits verschwindend, teils vom Lavafluss des Traditionsstromes eingeholt, mitunter auch, wenn durch Gruppenbildung eine Außenseiterposition sehr stark besetzt wird, in bewußtem Brückenschlag allmählich einholt.

Wissenschaftliche Fragestellungen ergeben sich in der Regel nicht (oder nicht primär) aus dem untersuchten Gegenstand, sondern aus den jeweiligen Gegebenheiten des Traditionszusammenhanges. Eine freie Wissenschaft in dem Sinne, dass sie nur den Gesetzmäßigkeiten eines disziplinierten Denkens unterworfen und dem Gegenstand, den sie erforscht, verpflichtet sei, gibt es nicht, zumindest nicht im Sinne der Freiheit des einzelnen Forschers. Die Entstehung eines separaten Zusammenhanges ist möglich und, soweit ich sehe, teilweise auch schon verwirklicht worden. In solchem Fall ist einerseits mit weitgehender Diskriminierung und Negierung der Neubildung zu rechnen. Auf der anderen Seite werden in dem Fall, dass sich die Neubildung als lebensfähig erweist, Integrationsbemühungen kaum ausbleiben, die Umklammerungstendenzen haben.

C. Wissenschaftliches Studium verändert den Studierenden

Aus dem Vorangegangenen sollte deutlich geworden sein, dass wissenschaftliches Studium nicht lediglich ein Sammeln nützlicher Erkenntnisse oder das Einholen von Antworten auf wichtige Fragen ist. Es ist nicht nur eine Ausbildung, in der Fähigkeiten geschult und Fertigkeiten gewonnen werden.
Wissenschaftliches Studium bewirkt vielmehr eine tiefgreifende Veränderung in der Person des Studierenden. Die Disziplinierung des Denkens bedeutet eine starke Prägung, die vom Studierenden ungeachtet aller möglichen Nebenwirkungen notwendig als Gewinn verbucht wird. Auch der Reglementierung des Denkens kann er sich nicht entziehen, wenn er sein Studium erfolgreich zum Abschluß bringen will. Er kann sie nicht nur übungsweise über sich ergehen lassen, sondern er ist zwangsläufig genötigt, sich dieselbe weitgehend zu eigen zu machen. Ihm werden ja weniger die Antworten diktiert, als vielmehr die Fragestellungen vorgegeben, durch welche die Antworten bereits vorprogrammiert sind, auch wenn sie von ihm relativ eigenständig gewonnen werden sollen.
Diese Einsichten müssen wir im Blick behalten, wenn wir im Folgenden die wissenschaftliche Theologie, wie sie an unseren Universitäten gelehrt wird, ins Auge fassen wollen.

II. Der Glaube der Theologie

1. Der Studierende wird genötigt, »vorurteilslos« an das theologische Studium heranzugehen, »radikal und rückhaltlos nach der Wahrheit zu fragen«. Es wird von ihm erwartet, das, was er bisher aus Gottes Wort gelernt hat und was er im Glauben erfahren durfte, beiseite zu stellen zugunsten dessen, was er im Studium zu lernen hat.
Der Studierende ist ja an die Hochschule gekommen, um zu lernen und er geht von der Voraussetzung aus, er werde im Verlauf seines Studiums tiefer eindringen in die Erkenntnis der Wahrheit. Deshalb scheint ihm diese Zumutung tragbar, selbst wenn sie ihn vielleicht schmerzlich anmuten mag. Er strebt ja der Wahrheit nach und Wahrheit wird ihm versprochen.
Was ihm verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass die Wissenschaft selber, auch und besonders die theologische Wissenschaft, keineswegs vorurteilsfrei und voraussetzungslos ist. Die Voraussetzungen, die den Arbeitsvollzug jeder ihrer Disziplinen bestimmen, walten im Verborgenen und werden nicht offen dargelegt.

Die grundlegende Voraussetzung der gesamten wissenschaftlichen Theologie, wie sie an unseren Universitäten gelehrt wird, besteht darin, dass der disziplinierte, fachmäßig reglementierte kritische Verstand die letzte Instanz in der Frage der Wahrheit ist. D.h.: Der Verstand wird der Heiligen Schrift übergeordnet. Der Verstand entscheidet, was in der Schrift wahr und was wirklich ist. Der Verstand entscheidet, was sicher, wahrscheinlich, wenig wahrscheinlich oder gar nicht geschehen ist, geschieht oder geschehen wird. Der Verstand entscheidet, ob Gott als handelndes und redendes Subjekt anzusehen ist oder ob man es nur mit menschlichen Gottesvorstellungen und Gottesbegriffen zu tun hat.

Der Verstand bedient sich dabei seiner ihm innewohnenden Möglichkeiten des Erkennens: Singuläres Geschehen entzieht sich dem Verstand; also muss er die grundsätzliche Gleichartigkeit allen Geschehens voraussetzend behaupten.
Erkenntnis ist dem Verstand nur möglich durch Vergleichen und Unterscheiden. Also muss er da, wo er erkennen möchte, zunächst einmal Vergleichsebenen entwerfen. Offenbarung ist dem Verstand nicht faßbar; er geht aus von zu jeder Zeit von jedermann machbaren Erfahrungen. Er urteilt fleischlich und ist von sich aus völlig außerstande, Geistliches zu beurteilen, das geistlich beurteilt werden muss. Es wird für ihn zum bloßen Begriff und zu einer Vorstellung ohne Realitätsgehalt.

2. Machen wir uns das an einem Beispiel klar: Für den Glaubenden ist Johannes 3,16 Realität: »Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben.« Er dankt Gott dafür.

Von dieser Realität soll er als Student in der theologischen Arbeit Abstand nehmen und statt dessen zusehen, wie ein solches Wort auf das Prokrustesbett des religionsgeschichtlichen Vergleichs geschnallt wird: Der religionsgeschichtliche Vergleich sieht völlig ab von Realität und Wahrheit. Das zu Vergleichende wird von vornherein reduziert auf Gedanken, Vorstellungen und Begriffe. Gedanken, Vorstellungen und Begriffe aus verschiedenen Religionen werden miteinander verglichen, wobei immer auch die Frage der Korrelation gestellt ist. Läßt sich das eine aus dem anderen ableiten oder besteht eine wechselseitige Beeinflussung?

Für Johannes 3,16 kann das – grobschlächtig dargestellt – etwa folgendermaßen aussehen:
Da das Judentum keinen Sohn Gottes von Herkunft kennt, sondern nur von Adoption und die heidnischen Göttersöhne keine Offenbarergestalten sind, kommen als Vergleichsmaterial nur gnostische, speziell mandäische Schriften in Frage. Dafür scheint zu sprechen, dass mandäische Offenbarergestalten darin in Begriffen reden, die im Johannesevangelium Jesus gebraucht (Licht/Finsternis; Leben/Tod; u.a.m.). Ansonsten kann von Parallelität kaum die Rede sein. Der »Logos« des Johannesevangeliums ist Weltschöpfer, die mandäischen Offenbarergestalten sind es nicht. Von einer Erlösung am Kreuz ist bei ihnen schon gar keine Rede. Die zeitliche Bezugslinie stimmt ebenfalls nicht: Die mandäischen Schriften sind Jahrhunderte jünger und man sieht sich deshalb genötigt, ein Urmandäertum zu konstruieren. Diese Probleme werden zwar gesehen, aber man betrachtet sie nicht als Infragestellung des religionsgeschichtlichen Vergleichs. Man zieht sie lediglich als ausgedehntes Arbeitsfeld für Hypothesenbildung in Betracht, d.h. für Kartenhäuser von Unterstellungen, bei denen die eine die andere stützen muss.

Wird der religionsgeschichtliche Bezugspunkt nicht im Mandäertum, sondern statt dessen in den Schriften von Qumran gesehen, ergeben sich gradweise Unterschiede und gewisse Verschiebungen. Es liegt aber genauso die Anschauung zugrunde, dass das Bibelwort seine Entstehung mehr oder weniger solcher Beziehung zu außerchristlichen antiken Religionen verdankt, sei es in Aufnahme ihrer These, sei es in völliger oder teilweiser Antithese. Das original Christliche wird lediglich als Abweichung vom vorgegebenen Muster konstatiert.
Welcher Art auch die religionsgeschichtlichen Beziehungen sind, die man unterstellt, immer ist man auf dieser Basis genötigt, ein Kartenhaus von Hypothesen aufzubauen. Im Ergebnis bleiben dann Vermutungen übrig, die mehr oder weniger durch Argumente plausibel gemacht werden.
Das Nebenprodukt ist natürlich eine erhebliche seelische Befriedigung im Selbstbeweis des Intellekts. Es hat Mühe gekostet, einander widersprechende Vermutungen und Lösungsversuche aufzuarbeiten und miteinander auszugleichen. Man hat den Eindruck der Überlegenheit, da es einem gelungen ist, vorliegende Erklärungen, die vom eigenen Blickwinkel aus offensichtlich Mängel zeigten, in einer neuen, umfassenderen Erklärung aufzuheben. Man ist zutiefst überzeugt, damit der Wahrheit einen Dienst erwiesen und einen Beitrag zur Verkündigung des Evangeliums geleistet zu haben.

Solche Überzeugung ist unbestreitbar ehrlich, aber mit der Wahrheit, dem Weg und dem Leben hat solches Unterfangen nichts zu tun. Durch derartige intellektuelle Anstrengungen wird ein Bibelwort wie Johannes 3,16 zu einem Bündel religiöser Vorstellungen und theologischer Begriffe erklärt und hört auf, Gottes Wort zu sein, das Menschen zur Rettung führt. Die Voraussetzung, unter der man angetreten ist – zu forschen, als ob es Gott nicht gäbe –, legt die Ergebnisse im vorhinein fest.

3. Es ist Vorurteil, dass nur geschehen sein kann, was jedermann zu jeder Zeit in ähnlicher Weise widerfährt. Auf dieser Basis wird – um ein Beispiel zu nennen – Markus 13,2 für ein »vaticinium ex eventu« erklärt: Weil genau das geschehen ist, was das Wort sagt, kann es nach Ermessen der Forschung keine echte Weissagung sein. Denn die historischkritische Theologie erkennt wohl menschliche Vorahnung und Vorausschau an, so dass man z.B. Jesus zubilligt, er habe seine Tötung vorausgesehen. Eine von Gott gegebene Erkenntnis zukünftiger Dinge läßt sie jedoch nicht gelten.

Welche Kartenhäuser die Forschung baut, mag man auch daran sehen, dass jene Stelle, Markus 13,2, nachdem sie zuvor willkürlich zum vaticinium ex eventu erklärt wurde, die Beweislast dafür tragen muss, dass das Markusevangelium »nach 70« entstanden sei. Diese Unterstellung wird dann als Eckdatum der Datierung der übrigen Evangelien und der Apostelgeschichte zugrundegelegt.
Wahrlich, die historisch-kritische Methode ist ein Koloss, der auf sehr gebrechlichen tönernen Füßen steht!

4. Es ist Vorurteil – nicht Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchung –, dass man nach der historisch-kritischen Methode die Wundergeschichten im Neuen Testament nicht als Berichte von geschehenen Wundern lesen darf. Ich selber habe oft genug gelehrt – wie ich es Jahrzehnte vorher gelernt hatte – dass man, selbstverständlich, nicht annehmen dürfe, diese Wunder seien so passiert. Nachdem ich durch die Gnade Gottes überführt worden war, dass Gott heute noch dieselben Wunder tut, fing ich an nachzudenken, welche Argumente für diese Behauptung zur Verfügung stehen und mußte beschämt feststellen: keine. Denn das Vorhandensein religionsgeschichtlicher Parallelen ist wirklich kein Beweis. Dass im Alten Testament Speisungswunder, Totenauferweckungen u.a. berichtet werden, ist doch kein Argument, es sei denn, man setzt voraus, was zu beweisen wäre, dass die neutestamentlichen Berichte von den alttestamentlichen literarisch abzuleiten seien. Von den bei Weinreich gesammelten antiken Heilungswundern wird der größte Teil von Personen erzählt, die weit später gelebt haben, als die Evangelien nach der Ansetzung der historisch-kritischen Methode geschrieben worden sind. Ohne Vorurteil würde man sie eher als Beweis dafür nehmen, dass hier das Neue Testament eingewirkt hat, anstatt der umgekehrten Annahme Raum zu geben. Dass für antike Heilorte wie Epidaurus Wunder berichtet werden, trifft zu. Auch das ist aber kein Beweis dafür, dass die neutestamentlichen Wundergeschichten sekundäre literarische Gebilde sind. Eine literarische Abteilung ist schon vom Befund her nicht möglich. Und im Übrigen gibt es den negativen Teil der unsichtbaren Welt, mit dessen Wirken an derartigen Plätzen zu rechnen ist.

5. Dies sind nur einige Andeutungen. Eine genauere Untersuchung würde zeigen, dass der Arbeitsweise der historischkritischen Methode eine Reihe von Vor-Urteilen zugrunde liegen, die selber nicht Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchung sind, sondern dogmata, Glaubenssätze, deren Grundlage die Absolutsetzung der menschlichen Vernunft als Kontrollorgan ist.
Soweit auf dieser Grundlage von Gott und von Jesus Christus die Rede ist, haben wir es demnach offensichtlich mit einem Synkretismus zu tun – eine These, für die der Beweis im Einzelnen noch angetreten werden muss.

III. Die Theologie des Glaubens

Die Verneinung einer Theologie, deren Grundlage der Vernunftglaube ist, bedeutet keineswegs die Verneinung von Theologie überhaupt noch eine Verneinung des Verstandes im Bereich der Theologie.

1. Der Heilige Geist weht, wo er will und ist nicht auf die Voraussetzung eines akademisch disziplinierten Verstandes angewiesen. Er kann Köche, Bäcker, Schuster und Fabrikarbeiter zu vollmächtigen Predigern des Evangeliums machen. Die akademische Ausbildung ist kein Anrechtschein für Bevollmächtigung durch den Heiligen Geist. Aber der disziplinierte Verstand kann durch den Heiligen Geist benutzt und in seiner Hand ein Präzisionswerkzeug werden, wann und wo Gott es will.

2. Die notwendige Reglementierung des Denkens muss in der Theologie des Glaubens geschehen durch die Heilige Schrift. Sie kontrolliert das Denken. Es hat sich dem Wort Gottes unterzuordnen. Wenn Schwierigkeiten auftauchen, zweifelt es nicht an Gottes Wort, sondern an der eigenen Weisheit. Es bittet Gott um Weisheit in der Erwartung, zu empfangen, worum es gebeten hat und in demütigem Warten auf Gottes Stunde. Es setzt die Wahrheit und Einheit des Wortes Gottes voraus und ist darum auch in der Lage, sie ganz real zu erkennen und zu erfahren. Es glaubt der Schrift, die von sich selber sagt, dass sie von Gott eingegeben ist. Es ist dessen eingedenk, dass Jesus Christus uns zur Weisheit gemacht ist und weiß darum, dass göttliche Weisheit und »irdische, sinnliche, teuflische« (Jak 3,15) unterschieden werden müssen.

Ein Denken, das sich durch die Heilige Schrift reglementieren läßt, enthält sich der müßigen Streitfragen und der intellektuellen Neugier. Es gibt seine Gedanken gefangen unter Gottes Wort und spielt nicht herum: Was wäre aber, wenn? Kann man aber nicht auch …? usw. usw. Die Heilige Schrift ist ja Vaters Wort an uns. Wie wir mit ihr umgehen, so begegnen wir unserem Vater im Himmel.

Fragen werden auf den Knien gelöst, nicht durch das Wälzen von Kommentaren. Gott kann das Werk der Brüder, die Kommentare geschrieben haben, benutzen zu unserer Belehrung und wir dürfen dankbar dafür sein. In Gottes Regie ist es Hilfe; in unserer Hand bedeutet es, dass wir uns auf Fleisch verlassen.

3. Die Frucht eines Studiums der Theologie des Glaubens sollte sein:

a) Grammatischer und lexikalischer Durchblick; die Fähigkeit, mit Gewinn Gottes Wort in den Ursprachen zu lesen und Übersetzungen prüfen zu können.

b) Der Erwerb von Hintergrundinformationen und die Fähigkeit, solche Informationen zu prüfen und einzuordnen, z.B. über Völker und Könige, die im Alten und Neuen Testament erwähnt werden, über kulturgeschichtliche Besonderheiten, über Geographie und Klima, Rechtsverhältnisse u.a.m.

c) Einen breiten Überblick über Gottes Heilsplan zu haben und in der Lage zu sein, den ganzen Ratschluß Gottes mitzuteilen. Fähig zu sein, Gottes Wort in gerader Richtung zu schneiden (1Tim 1,15), an dem der Lehre gemäßen, zuverlässigen Wort festzuhalten und dadurch imstande zu sein, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen, als auch die Widersprechenden zu überführen (Tit 1,9) und für den ein für allemal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen (Jud 3).

d) Es sollte Erkenntnis von Beziehungen und Zusammenhängen in Gottes Wort gewonnen worden sein; z.B. wie die Opfergesetze das Heilswerk Jesu vorschatten oder wie das, was in der Offenbarung mitgeteilt wird, stückweise bereits von den Propheten vorhergesagt worden ist.

e) Es sollte die Erfahrung gemacht worden sein, dass es in Gottes Wort durch demütiges Bitten verborgene Schätze zu heben gibt, z.B. Jesus in der Stiftshütte, der Lobpreis Gottes in den Geschlechtsregistern.

f) Es sollte aber auch die Fähigkeit gewonnen sein, solche Schätze von eigenen Fündlein bei sich und anderen zu unterscheiden. Das intellektuelle Vergnügen ist nun einmal da. Gott kann es gebrauchen, aber wenn das Fleisch es in die Finger bekommt – und das Biest kann wirklich schwimmen! –, dann werden keine verborgenen Schätze aus Gottes Wort gehoben, vom Urheber des Wortes aufgezeigt, sondern es werden intellektuelle Fündlein gemacht und auf Nebensätzen in der Bibel ganze Theologien aufgebaut. Das Schlimme ist, dass der Autor ehrlicherweise meinen kann, das, was er von sich gibt, durch den Heiligen Geist empfangen zu haben. So sind wir, deshalb brauchen wir brüderliche Korrektur. Wer etwa meint, er wolle sich lieber gleich auf seinen Intellekt verlassen, ist deswegen auch nicht besser dran. »Wir irren alle mannigfaltig« (Jak 3,2).

Solide Kenntnis des gesamten Wortes Gottes, wie sie oben beschrieben wurde, kann von Gott gebraucht werden, solche Fündlein und Nebensatz-Theologien zu entlarven. Aber, wohlgemerkt, von Gott. Der Theologe sitzt nicht kraft seines akademischen Studiums auf einem Richterstuhl. Gott allein hat recht.
Wenn wir meinen, recht zu haben, kann es uns ergehen, wie es in Richter 20,12-28 beschrieben wird: Wegen einer scheußlichen Greueltat, die in Gibea verübt worden war, zogen elf Stämme Israels gegen den zwölften, den Stamm Benjamin, aus, weil dieser nicht bereit gewesen war, die Urheber des Verbrechens auszuliefern. Die Sache, für die sie zu Felde zogen, war wirklich gerecht und sie hatten auch den Herrn gefragt, ob sie ausziehen sollten. Dennoch ließ der Herr es zweimal zu, dass die elf Stämme von dem einen geschlagen wurden – vermutlich, weil es nicht nur die Sache des Herrn, sondern in ihrem Herzen auch ihre eigene Sache war, ihre eigene »gerechte Empörung«. Als dann der Herr beim dritten Anlauf die Benjaminiten in ihre Hand gab, machten sie ihre Arbeit so gründlich, dass sie darüber vergaßen, dass es ja ein Teil des Volkes Gottes war, gegen den sie zu Felde zogen. Der Stamm Benjamin wurde beinahe ausgerottet und da Israel nur vollzählig vor dem Herrn erscheinen durfte, mußte das Problem gelöst werden, wie dieser Stamm, von dem es nur noch sechshundert junge Männer, aber keine Frauen gab, vor dem Aussterben bewahrt werden konnte.

Nicht wir sind es, die nach unserem Gutdünken in Aktion zu treten haben; Gott kann uns als Instrument gebrauchen, wenn es ihm gefällt und dann haben wir zu gehorchen. Die Denkweise der historisch-kritischen Theologie 

Das Charakteristische der Denk- und Arbeitsweise der historisch-kritischen Theologie soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Wir wollen daran das allgemein Übliche zeigen. Deshalb wählen wir einen Abschnitt aus einem Buch, das für einen breiteren Leserkreis geschrieben ist, der Nichttheologen einschließt. Der Verfasser dieses Buches ist ein namhafter Theologe und fleißiger Gelehrter, der eher konservativ als kritisch ist. Diese behutsame Wahl der Vorlage gibt uns umso eher das Recht, unsere Beobachtungen zu verallgemeinern.

In seiner Theologie des Neuen Testaments stellt Werner Georg Kümmel fest, dass sich »in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der geistigen Bewegung der Aufklärung innerhalb der protestantischen Theologie die Erkenntnis durchzusetzen begann, dass die Bibel ein von Menschen geschriebenes Buch sei, das wie jedes Werk menschlichen Geistes nur aus der Zeit seiner Entstehung und darum nur mit den Methoden der Geschichtswissenschaft sachgemäß verständlich gemacht werden könne«.

Der unbefangene Leser wird durch die Formulierung zu der Annahme verführt, er habe als Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass die Bibel nur ein Werk menschlichen Geistes sei. Denn der Grundsatz der historisch-kritischen Theologie, die Bibel als ein Werk menschlichen Geistes anzusehen, mit dem nicht anders umgegangen werden darf, als mit anderen menschlichen Geisteswerken, wird ihm als Erkenntnis präsentiert, d.h. als Einsicht aufgrund der Kenntnis gegebener Tatsachen. Zwangsläufig wird der Leser diese sogenannte »Erkenntnis« als ein Forschungsergebnis ansehen, das sich durchgesetzt und allgemeine Anerkennung gefunden hat. Als Laie, der die Zusammenhänge nicht kennt, wird er das Gelesene akzeptieren, weil dahinter ja die ganze Autorität der Wissenschaft steht, in der sich die »Erkenntnis« bereits vor Jahrhunderten durchgesetzt hat.

Auf diese Weise wird ein Mensch im Netz der Lüge gefangen. Die sogenannte Erkenntnis war in Wahrheit nur eine Entscheidung. Eine Minderheit, klein an Zahl, wenngleich zur Elite des abendländischen Geistes gehörig, hat sich dafür entschieden, den Menschen als Maß aller Dinge anzusehen (Humanismus) und folgerichtig erkannte man nur noch das als Wahrheit an, was induktiv gewonnen wurde (Aufklärung, Francis Bacon).

Das war die Entscheidung, die Wahrheit in Ungerechtigkeit darniederzuhalten. Damit entschied man sich gegen Gottes Wort als geoffenbarte Wahrheit, für die Weisheit dieser Welt, die in ihrem Wesen atheistisch ist, auch wenn sie sich fromm gebärdet und den Namen Gottes im Munde führt. Diese Entscheidung, die Wahrheit in Ungerechtigkeit darniederzuhalten, die zunächst nur von einigen wenigen getroffen wurde, die sich selbst für weise hielten, hat sich inzwischen so weit durchgesetzt, dass heute in Deutschland selbst der letzte Grundschüler von ihr erreicht wird.

Wie diese Verbreitung geschieht, können wir an unserer Vorlage studieren:
Man gibt vor – wie gesagt –, ein Fundament klarer Erkenntnis zu haben, auf dem Boden der Tatsachen und der Wahrheit zu stehen; davon ausgehend wird dann die Unausweichlichkeit der Folgerungen behauptet: Weil die Bibel »ein Werk menschlichen Geistes« sei, könne sie »nur mit den Methoden der Geschichtswissenschaft sachgemäß verständlich gemacht werden«.
Derartige demagogische Vereinnahmung ist nicht allein die Grundstruktur der historisch-kritischen Theologie, sondern wahrscheinlich darüber hinaus auch der gesamten Geisteswissenschaften. »Wie jeder sehen kann …«; »… muss jeder erkennen …«; »die Folgerung ist unausweichlich …«; »die Annahme ist zwingend …«; »es ist nicht zu übersehen, dass …«; »man muss …«; »man darf nicht …«; »man konnte

nicht auf halbem Weg stehenbleiben …« – wann immer Ihnen derartige Formulierungen begegnen, sehen Sie in der Regel die tönernen Füße des Kolosses Wissenschaft bloß vor Ihren Augen.

Wer behauptet, die Bibel könne nur mit Methoden der Geschichtswissenschaft verständlich gemacht werden, der ernennt eine von Grund auf antichristlich konzipierte Wissenschaft zum »Haushalter der Geheimnisse Gottes«! Gottes Wort sagt uns, dass Gott die Geschicke der Völker lenkt; die Geschichtswissenschaft weigert sich von vornherein, Gottes Handeln in der Geschichte auch nur als Möglichkeit in Betracht zu ziehen – und diese atheistische, antichristliche Wissenschaft wird von der historisch-kritischen Theologie als der einzig sachgemäße Zugang zu Gottes Wort anerkannt. Jeder, der als theologisch gebildet gelten will, soll das akzeptieren.

Um einen akademischen Grad in der Gottesgelehrsamkeit zu erhalten, muss ich mich entscheiden, in meinem Denken dem Atheismus Raum zu geben. Fromme Gefühle wird man mir freundlicherweise erlauben, aber mein Denken hat die atheistische Grundsatzentscheidung nachzuvollziehen und »methodisch« vorzugehen – ut si Deus non daretur. Das ist Perversion!

Sowohl die historisch-kritische Theologie als auch die Geschichtswissenschaft ist auf das Fundament der Lüge gegründet. Wissenschaft ist demnach nicht das Synonym für Wahrheit, sondern für Rebellion gegen Gott, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit darniederhält. Was sie an richtigen Einzelerkenntnissen zutage fördert, ist durch das Element der Lüge gebrochen und verzerrt, so wie man einen Löffel durch ein Glas Wasser nur optisch verzerrt erkennen kann.
Kümmel fährt fort: »Aus dieser Erkenntnis ergab sich nämlich die unausweichliche Folgerung, dass auch die Darstellung des Gedankengehalts der Bibel, die ›Biblische Theologie‹, nur mit Hilfe geschichtlicher Fragestellung sachgemäß geschehen könne, wenn der Gedankengehalt der Bibel unbeeinflußt von der Dogmatik und wirklich selbständig erkannt werden sollte.«

Damit unterstellt Kümmel, dass ich nur mit Hilfe der Geschichtswissenschaft den Gedankengehalt der Bibel »unbeeinflußt von der Dogmatik« lesen kann. Anders gesagt, dass ich in dem Fall, dass ich es ablehne, mein Denken durch das Nadelöhr der Geschichtswissenschaft hindurchzuschicken und die Bibel schlicht so lese, wie sie dasteht, von der Dogmatik beeinflußt sei. Er stellt also zur Alternative:
Entweder lese ich die Bibel beeinflußt von der Dogmatik; das ist dann unsachgemäß und die Bibel wird nicht »wirklich selbständig erkannt«. Oder ich lese die Bibel mit Hilfe geschichtlicher Fragestellung; das ist sachgemäß und führt dazu, dass der Gedankengehalt der Bibel »wirklich selbständig erkannt« wird.

Ziel ist das »wirklich selbständige Erkennen«, bei dem der Mensch das Maß aller Dinge ist. Die atheistische Geschichtswissenschaft liefert dafür das »pou stoo«, um mit Gottes Wort umzugehen, ohne sich auf Gottes Wort einzulassen. Bei diesem Zugriff von außen wird die Bibel auf einen »Gedankengehalt« reduziert und das nennt man dann noch Theologie – Reden von Gott! Die Perversion ist ungeheuerlich. Gottes Offenbarung soll »sachgemäß« und »wirklich selbständig« so erkannt werden, dass von Gott keine Rede mehr ist, dass Gott nicht mehr als Gott geehrt wird, noch Ihm gedankt. Generation um Generation von Gotteskindern, die bereit und eifrig waren, Gott zu dienen, haben wir »durchs Feuer gehen« lassen und diesem Moloch einer atheistischen Theologie geopfert. Das Ergebnis ist Generation um Generation von verführten Verführern. Wann werden wir endlich umkehren und uns lossagen von diesem Götzendienst?
Kümmel setzt seinen Gedankengang fort, indem er aufzeigt, zu welchen Konsequenzen sich die historisch-kritische Theologie genötigt sieht, nachdem sie es unternommen hat, »die Bibel als Werk menschlicher Verfasser geschichtlich zu erforschen«: »Sobald man aber mit einer solchen geschichtlichen Fragestellung gegenüber den Gedanken der Bibel wirklich ernst machte, wie es um 1800 zuerst geschah, sah man sich nicht nur gezwungen, die Darstellung des Alten und des Neuen Testamentes völlig voneinander zu trennen, sondern auch bei der Schilderung der Gedanken des Neuen Testamentes Jesus und die verschiedenen apostolischen Schriftsteller je für sich zu Wort kommen zu lassen.«

Die Sprache verrät ihn bzw. die historisch-kritische Theologie, als deren Repräsentant Kümmel hier spricht: »sah man sich gezwungen, nicht nur … sondern auch«. Wer sich auf diesen Weg der Gottlosigkeit einläßt, ist also fortan nicht mehr frei in seiner Entscheidung; ein Es oder ein Er ist da, der zwingt. Das ist wahr gesprochen. Dieser Zwang wird nicht ausgeübt durch Regeln der Logik noch durch eingeübte Methoden; das vermag nicht zu zwingen. Es sind dämonische Mächte, unter deren Zwang jeder gerät, der sich auf diesen Weg begibt. Er ist fortan nicht mehr frei, sondern unterliegt einem Bann.

Kümmel zieht aus dem vorher Gesagten den Schluß: »Man konnte eben nicht auf halbem Wege stehen bleiben: Muss die Bibel als Werk menschlicher Verfasser geschichtlich erforscht werden, um ihren wirklichen Sinn zu verstehen, so darf und kann man nicht an der Voraussetzung festhalten, dass das Alte Testament und das Neue Testament in sich je eine gedankliche Einheit bilden; dann muss man auch auf die Unterschiede innerhalb der beiden Testamente achten und auch eine etwaige Entwicklung und Verfälschung der Gedanken in Betracht ziehen. Infolgedessen sah sich die Bemühung um eine Theologie des Neuen Testamentes von Anfang an vor das Problem der Verschiedenheit und Einheitlichkeit im Neuen Testament gestellt.«

Es ist ungeheuerlich, aber es steht wirklich da: »Die Bibel muss als Werk menschlicher Verfasser … erforscht werden, um ihren … Sinn zu verstehen.« Das wird nicht erst nachgewiesen, sondern von vornherein vorausgesetzt. Das ist nicht die Privatmeinung von Herrn Kümmel, sondern Allgemeingut der historisch-kritischen Theologie, hier nur noch einmal genannt, um die Konsequenzen aufzuzeigen. Konsequenz ist die Atomisierung der Bibel, bei der man Teile in der Hand hat, ohne noch den lebendigen Zusammenhang zu erkennen und sich schließlich in seiner selbstverschuldeten Hilflosigkeit sogar dazu versteigt, Verfälschung der Gedanken in Betracht zu ziehen.

So geht man mit der Heiligen Schrift des Heiligen Gottes um! So tritt man das Wort unseres Erlösers mit Füßen. Auf dem Missionsfeld treten dann Moslems den Missionaren mit einer Blütenlese aus den Werken historisch-kritischer Theologen entgegen und stellen sarkastisch fest: Eure Leute sagen ja selber, dass die Bibel nicht stimmt! Wahrlich, Gott ist langmütig und geduldig. Aber irret euch nicht, Er läßt sich nicht spotten.

Das Gericht kommt. Wohl dem, der seine Zuflucht zum Blute Jesu genommen hat!
Kümmel fährt fort: »Die Bemühungen um den theologischen Gehalt des Neuen Testaments als einer selbständigen geschichtlichen Größe stand darum von Anfang an in einer Spannung zu jeder Form von dogmatischer Theologie. Denn die Darstellung der christlichen Lehre als Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Offenbarung Gottes in Jesus Christus wird selbstverständlich, von welchen Voraussetzungen sie auch ausgeht und welche Bindungen sie sich auch auferlegt, das Ziel haben müssen, eine einheitliche Lehre vorzutragen und die Dogmatik muss darum in Schwierigkeiten geraten, wenn sie sich auf das Neue Testament als Grundlage ihrer Aussagen stützen will und die biblische Theologie ihr dazu keine einheitliche Lehre im Neuen Testament aufzuzeigen vermag. Damit stehen wir aber vor dem eigentlichen Problem einer ›Theologie des Neuen Testaments‹.«
An dieser Stelle läßt sich besonders deutlich erkennen, wie gearbeitet wird:

1. Durch die Einführung des Begriffs Spannung (steht in Spannung) wird die Fragestellung von vornherein aus dem Bereich der Koordinaten Wahrheit – Lüge herauskatapultiert.

2. Als Bezugsgröße wird die dogmatische Theologie eingeführt. D.h., Einwände, welche sich gegen eine derartige Theologie des Neuen Testaments vom Glauben her erheben, werden von vornherein diskriminiert, indem man sie nicht als grundsätzliche In-Frage-Stellung gelten läßt, sondern abschiebt als etwas, das sich aus der Sichtweise einer anderen Fachdisziplin ergibt, die – nicht anders als die eigene – bloß eine menschliche Konzeption darstellt. Diese Art zu argumentieren ist zwar nicht neu, wird aber dadurch keineswegs besser.

3. Die Dogmatik, als Widerpart genommen, wird für den Blickwinkel der Wissenschaft von vornherein disqualifiziert:
Sie geht von Voraussetzungen aus, hat sich Bindungen auferlegt und ist – bei allen zugegebenen möglichen Unterschieden – in solchen Voraussetzungen und Bindungen einheitlich tendenziös. Soweit sie der Theologie des Neuen Testaments entgegensteht, wird das als ihre – begreifliche – Tendenz gewertet. Auf diese Weise schottet man sich in der historisch-kritischen Theologie von vornherein gegen unbequeme Fragen ab.

Das oben genannte Problem ist für Kümmel nur eines unter vielen. Er scheut nicht vor der Behauptung zurück: »Denn schon dann, wenn sich der Ausleger zunächst einmal um den Sinn der einzelnen Schriften des Neuen Testaments bemüht …, steht er im Grunde vor einer unlösbaren Aufgabe« (S. 13).
Damit behauptet der Theologe Kümmel klar und eindeutig, dass Gottes Wort, uns zum Heil gegeben, in seinem Sinn im Grunde nicht zu erkennen sei.

Eigentlich sollte ein derartiger Bankrott der Auslegung ja wohl dazu führen, dass man das Gesetz, nach dem man angetreten ist, in Frage stellt. Aber Kümmel fährt stattdessen fort: »Die im Neuen Testament gesammelten Schriften sind ihrer geschichtlichen Art nach ja Urkunden antiker Religionsgeschichte, in einer toten Sprache und einer uns nicht mehr ohne weiteres verständlichen Begrifflichkeit und Vorstellungswelt geschrieben; sie können darum nur auf dem Weg geschichtlicher Forschung zum Reden gebracht und es kann nur auf diesem Weg ein Verstehen des von den Verfassern Gemeinten annähernd erreicht werden.«
Es ist ungeheuerlich! Das Buch des Neuen Bundes, das von unserer Erlösung handelt – eine Sammlung von Urkunden antiker Religionsgeschichte! »Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen« – ein Satz aus einer Urkunde antiker Religionsgeschichte! »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« – das Wort unseres Herrn und Heilandes – ein Gedankensplitter antiker Religionsgeschichte! »Es ist in keinem anderen Heil und ist auch kein anderer Name unser den Menschen genannt, darin sie sollen selig werden« – desgleichen Bruchteil einer Urkunde antiker Religionsgeschichte!

»… in einer toten Sprache und einer uns nicht mehr ohne weiteres verständlichen Begrifflichkeit und Vorstellungswelt geschrieben.« – Hier wird mit aller Gewalt versucht, Gottes Wort in ein historisches »Damals« abzuschieben, es dem Gebrauch zu entziehen und zu einem Museum zu machen, für das gelegentlich Führungen angeboten werden.

Millionen von Gotteskindern erfahren heute täglich das Neue Testament und darüber hinaus die ganze Bibel als Gottes lebendiges Wort, durch das Gott zu ihnen redet. Ungeachtet solcher weltweiten Erfahrungen wird behauptet: »Die im Neuen Testament gesammelten Schriften … können … nur auf dem Weg geschichtlicher Forschung zum Reden gebracht werden.«

Damit wird der Heilige Geist verleugnet und Jesus widersprochen, der gesagt hat: »Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, der Du dieses vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn so war es wohlgefällig vor Dir« (Mt 11,25 f.). Gilt der Weheruf Jesu: »Wehe aber euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verschließt das Reich der Himmel vor den Menschen; denn ihr geht nicht hinein, noch laßt ihr die, welche hineingehen wollen, hineingehen« (Mt 23,13) nicht auch für eine solche Theologie?

Halten wir uns dabei immer vor Augen: Wir haben es nicht mit einem »Fall Kümmel« zu tun. Werner Georg Kümmel gilt mit seinen Äußerungen lediglich als ein Exempel und er ist, was wir nicht vergessen dürfen –, noch ein gemäßigter Vertreter dieser weltweit verbreiteten Theologie.

Kümmel läßt uns keineswegs im Zweifel, wie fragwürdig die Ergebnisse der Bemühungen sind, »die Schriften des Neuen Testaments« »auf dem Weg geschichtlicher Forschung zum Reden« zu bringen:
»Solche Bemühung um wissenschaftliches Verständlichmachen kann ihrem Wesen nach nur zu wahrscheinlichen und oftmals nur zu hypothetischen Resultaten führen und es bedarf des abwägenden Urteils, ob man sich einem erzielten Resultat anschließen oder es durch einen anderen Erklärungsversuch ersetzen will.«

Weil man sich entschieden hatte, dass der »Gedankengehalt der Bibel« »wirklich selbständig erkannt werden sollte«, löste man die Einheit der Bibel auf und machte keinen Gebrauch mehr davon, dass Gottes Wort sich selber interpretiert. Folgerichtig ist man nunmehr genötigt, anstatt Tatsachen zu erkennen, sich in Unterstellungen zu ergehen, Hypothese an Hypothese anzuschließen, bis ganze Kartenhäuser von Hypothesen aufgerichtet werden.

Den Ausschlag in der Beurteilung und Einstufung der Hypothesen gibt jeweils ein selbstmächtiges Ich, das nach seinem Gutdünken über Gottes Wort entscheidet. Man erhielt, was man erwählte, das Ich sitzt auf dem Thron. Wie König Midas nur noch Gold zu fassen bekam und verhungern mußte, weil alles, was er berührte, nach seinem eigenen habsüchtigen Verlangen zu Gold wurde, so ist der Mensch, der sich Gottes Wort gegenüber für seine Selbstmächtigkeit entschieden hat, seinem Selbst ausgeliefert und bekommt wirklich nur noch die Gebilde seines Selbst zu fassen. Für ihn wird Gottes Wort wirklich zu einem toten Buchstaben. Das ist Gottes Gericht!

»Dieselben Schriften des Neuen Testaments sind nun aber von der alten Kirche in einen Kanon heiliger Schriften zusammengeordnet worden, dessen Umfang seit dem Ende des 4. Jahrhunderts nicht mehr ernstlich umstritten war und haben dadurch den Charakter normativer, für den Glauben des Christen grundlegender Schriften erhalten, denen der Christ glaubenden Gehorsam entgegenbringen müßte. Es ist aber leicht zu sehen, dass es im Grunde unmöglich ist, den Schriften des Neuen Testaments zu gleicher Zeit als urteilend forschender und als gläubig hörender Mensch gegenüberzutreten.«

Das ist wahr! Mir ist nicht bekannt, dass noch ein anderer historisch-kritischer Theologe diesen Sachverhalt mit gleicher Klarheit gesehen hätte. Spätestens an dieser Stelle müßte die eigene, historisch-kritische Position in Frage gestellt werden. Wenn sie zu solchen Konsequenzen führt, dann muss sie verkehrt sein. Aber das geschieht nicht. Stattdessen wird zu einem Salto mortale angetreten: »Wenn man daher begreiflicherweise immer wieder auf verschiedene Weise versucht hat, diesem Dilemma zu entgehen, so waren und sind doch alle solche Versuche zum Scheitern verurteilt, weil sie dem Sachverhalt nicht entsprechen. Das wissenschaftliche Bemühen um das Verstehen des Neuen Testaments muss, gerade wenn es im Raum der Kirche und von der Voraussetzung des Glaubens aus betrieben wird, der Tatsache Rechnung tragen, dass wir auch zum gläubigen Hören auf die Botschaft des Neuen Testaments nur auf einem Weg gelangen können: nämlich dadurch, dass wir uns die Aussagen der antiken Verfasser der neutestamentlichen Schriften verständlich zu machen suchen, so wie sie ihre zeitgenössischen Hörer oder Leser verstehen konnten und mußten.«

Es sei Kümmel zugegeben, dass Kompromisse keine tragfähige Basis sind. Das gibt ihm aber keineswegs das Recht zu der bodenlos unbegründeten Behauptung, dass es Tatsache sei, dass gläubiges Hören auf die Botschaft des Neuen Testaments nur durch das Hörgerät der historisch-kritischen Theologie geschehen könnte. Das kleinste und jüngste Gotteskind kann ihn bei dieser unverschämten Behauptung der Lüge überführen.

Kümmel jedoch stellt anschließend noch einmal die These hin: »Es gibt darum keinen andern Zugang zum Verstehen der neutestamentlichen Schriften, als die für alle Schriften des Altertums gültige Methode historischer Forschung.«
Die selbstmächtigen Ich-Entscheidungen darüber, welches hypothetische Resultat ich als gelungenen Erklärungsversuch gelten lasse, sollen also der einzige Zugang sein »zum gläubigen Hören auf die Botschaft des Neuen Testaments«.

Wohlgemerkt ist nicht vom glaubenden, sondern vom gläubigen Hören die Rede. Gläubig sein ist eine subjektive Eigenschaft; Glaube dagegen hält sich an die objektiv gegebene Zusage.

Kümmel versucht zwar, obwohl man ihm das nach den vorangegangenen Aussagen schwer abnehmen kann, die Wichtigkeit des Glaubens für den Umgang mit der Bibel festzuhalten: »Es kommt freilich sehr viel darauf an, ob man solche Forschung als Unbeteiligter und in bewußter Distanz oder als innerlich Beteiligter und darum als mit letzter Aufgeschlossenheit Hörender betreibt.«
Aber dennoch bleibt Kümmel dabei, dass es »keinen anderen Zugang gibt zum Verstehen der neutestamentlichen Schriften«. Er fährt fort: »Sieht sich so derjenige, der nach dem Gedankengehalt und der Anrede einer neutestamentlichen Schrift fragt, vor die Notwendigkeit gestellt, auf dem umständlichen Weg der wissenschaftlichen Erhellung des antiken Textes zu einem persönlichen Hören zu gelangen, so zeigt sich diese Schwierigkeit bei der Bemühung um die Theologie des Neuen Testaments in verstärktem Maße.«
Keinen anderen Zugang – wehe dem, der mit solcher Behauptung vor Gottes Richterstuhl erscheinen muss! Ich bin so dankbar, dass das Blut Jesu meine Verfehlungen abgewaschen hat! Ich war ja nicht besser, eher schlimmer und habe ebenfalls solche unverantwortlichen Aussagen gemacht. Und wer auch immer sich auf die historisch-kritische Theologie einläßt, wird ebenfalls dahin kommen. Ebensowenig wie ein bißchen schwanger kann man ein bißchen historisch-kritisch sein.

Exkurs: Verführungen

1. Gotteskindern, die davor zurückschrecken, an einer theologischen Fakultät zu studieren, weil sie in ihrem Herzen wissen, dass in der historisch-kritischen Theologie nicht die Stimme des guten Hirten zu hören ist, wird von solchen, die es besser wissen müßten, entgegengehalten: »Ist denn dein Glaube so klein, dass du dich nicht auf die historisch-kritische Theologie einlassen willst?« Das ist Verführung!

Gott fordert uns nicht auf, unseren Glauben zu testen. Schon die Vorstellung, dass wir in solcher Weise über unseren Glauben verfügen könnten, ist irrig. Jesus ist der Anfänger und der Vollender des Glaubens (Hebr 12,2) und das Maß unseres Glaubens ist von Gott gegeben (Röm 12,3).

Keiner der Verführer, welche Gotteskinder dazu ermuntern, sich dorthin zu begeben, wo ihre Seelen verdorben werden durch eine auf Langzeit dosierte geistliche Vergiftung, wäre bereit, in gleicher Weise seinen eigenen Leib mit kleinen, aber auf Dauer tödlichen Dosen von Arsen vergiften zu lassen. Er würde sich mitnichten darauf einlassen, unter Berufung auf Markus 16,18 seinen eigenen Glauben und Gottes Bewahrung solchermaßen zu testen!
Möge Gott ihnen Gnade zur Buße schenken, damit sie aufhören, die ihnen anvertrauten Seelen verführerisch zu nötigen, sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu begeben in einem Lehrsystem, das methodisch von der Voraussetzung ausgeht, als gäbe es Gott nicht und somit atheistisch und antichristlich ist.

Die historisch-kritische Theologie ist Irrlehre. Darüber ist man sich mindestens im Fall Rudolf Bultmann in evangelikalen Kreisen einig. Es gibt aber keine grundsätzlichen, sondern selbst im günstigsten Fall höchstens gradweise Unterschiede zwischen Rudolf Bultmann und den übrigen Vertretern dieser Richtung.

1. Gottes Wort hat uns klare Anweisungen gegeben, wie wir uns Irrlehrern gegenüber zu verhalten haben (2 Jo 10 f.; Röm 16,17; Jud 23; Kol 2,8; 2Petr 3,17; u.a.m.). Die Befolgung dieser Anweisungen dürfte mit einem Studium der historisch-kritischen Theologie nicht vereinbar sein. Wenn ich mich ohne Gottes Führung und ohne dazu gezwungen zu sein, in eine Situation begebe, in der ich gegenüber klaren Anweisungen aus Gottes Wort ungehorsam sein muß, kann ich in dieser Situation nicht mit dem sonst verheißenen Schutz Gottes rechnen, sondern ich muß darauf gefaßt sein, dass Er diesen Schutz zum mindesten teilweise zurückzieht. Deshalb ist der Verführung zu widerstehen.

2. Die erste Verführung wird gelegentlich durch eine weitere ergänzt. Es wird auf Beispiele verwiesen, welche zeigen, dass Gott Menschen aus der historisch-kritischen Theologie herausgerettet hat, um dadurch zu beweisen, dass die Gefahr ja so groß nicht sei, wenn jemand diese Theologie studiert.

Es ist wahr: Gott rettet Menschen aus der historisch-kritischen Theologie heraus, Ihm sei Dank dafür. Gott kann das! Aber sollen wir uns deshalb in Gefahr begeben? Der Teufel sprach zu Jesus, nachdem er Ihn auf die Zinne des Tempels gestellt hatte: »Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich hinab, denn es steht geschrieben: ›Er wird seinen Engeln über dir befehlen und sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein stoßest.‹ Jesus aber, der gewiß gewußt hat, dass Gott ihn ohne Zweifel bewahren konnte, begab sich nicht in die Gefahr, sondern antwortete dem Versucher: »Wiederum steht geschrieben: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen‹« (Mt 4,6f.).
Ohne klare Führung von Gott sich in das Studium der historisch-kritischen Theologie hineinzubegeben, weil Gott ja bewahren kann, heißt Gott versuchen.

3. Es wird damit argumentiert, dass ein junger Mensch, der Theologie studieren wolle, um Gott zu dienen, ja gezwungen sei, an die Universität zu gehen, zum mindesten dann, wenn er in der Volkskirche dienen wolle.

Hier wird den Fakten mehr vertraut als Gott, der doch die Fakten in der Hand hat und die Umstände verändern kann. Solange die Mehrzahl der Studenten an die Uni geht und das Risiko nicht auf sich nimmt, in der Institution Volkskirche keinen Dienstplatz zu bekommen, läßt Er diese Umstände vielleicht noch länger zu. Wenn Seine Kinder jedoch einsehen würden, dass sie durch das Studium zwar den Dienstplatz bekommen, aber untauglich werden für den Dienst des Herrn und deshalb einmütig zu Gott schreien würden, dass Er das Ausbildungsmonopol der historisch-kritischen Theologie aufheben möge –, dann wird unser Vater im Himmel gewiß das Schreien Seiner Kinder erhören. Er hat uns ja schon jetzt in Seiner Gnade einige bibeltreue Ausbildungsstätten (z.B. FTA Gießen und STH Basel) geschenkt und die Abgänger dieser Institute sind in Seinem Reich nicht arbeitslos geblieben.

4. Eine weitere Verführung – unter Mißbrauch des Wortes Gottes! – lautet folgendermaßen: »Paulus wurde den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche; also laßt uns den Historisch-Kritischen ein Historisch-Kritischer werden!«
Gottes Wort wird dabei nur zur Hälfte zitiert, weil es sich nur so für diese Verführung gebrauchen läßt. Man möge jeweils den ganzen Bibelvers beachten: »Und ich bin den Juden wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne; denen, die unter Gesetz sind, wie einer unter Gesetz – obwohl ich selbst nicht unter Gesetz bin –, damit ich die, welche unter Gesetz sind, gewinne; denen, die ohne Gesetz sind, wie einer ohne Gesetz – obwohl ich nicht ohne Gesetz vor Gott bin, sondern unter dem Gesetz Christi –, damit ich die, welche ohne Gesetz sind, gewinne« (1Kor 9,20f.).

Paulus wurde wie einer unter dem Gesetz, obwohl er selbst nicht unter dem Gesetz war. Galater 2,1ff. und Philipper 3,2 sowie Römer Kap. 1-4 zeigen u.a., wie solches Den-Juden-ein-Jude-Werden praktisch aussieht.

Zu einem derartigen Verhalten ist aber der Student in seiner inneren und äußeren Abhängigkeit als Lernender im Regelfall gar nicht in der Lage. Selbst Paulus hat dafür eine lange Zeit der Zubereitung gebraucht. Außerdem ist es gar nicht die Aufgabe eines jeden, der sich auf seinen zukünftigen Dienst als Hirte, Evangelist und Lehrer vorzubereiten hat.

Ohne eine spezielle Gnade Gottes, die ihm durch ein besonderes Reden Gottes zugesagt ist, wird der Student den Historisch-kritischen nicht wie ein Historisch-Kritischer; er wird ein Historisch-Kritischer – möglicherweise mit einigen Abstrichen. Aber diese Abstriche wirken sich nicht aus als missionarische Kraft; sie wirken auf die Historisch-Kritischen lediglich als Inkonsequenz, werden belächelt und gegebenenfalls geduldet, wenn nur im Übrigen die historisch-kritische Arbeitsweise stimmt.

Paulus wurde »den Juden ein Jude« – nicht im Rabbinat, nicht als Angehöriger des Synhedriums, nicht als ordinierter Rabbi und Mitarbeiter an einer Synagoge –, nicht während seiner Ausbildung, sondern als ein gestandener Christ in Unabhängigkeit, der zwar an jedem Ort seinen Dienst in der Synagoge beginnen, aber jederzeit auch aus ihr herausgehen konnte. Unter dieser Bedingung konnte er den Juden so ein Jude werden, dass er ihnen aufgrund ihrer eigenen Voraussetzungen die Notwendigkeit der Umkehr aufzeigen konnte, die darin besteht, die von Jesus auf Golgatha vollbrachte Erlösung anzunehmen.

5. Auch das Schriftwort »Alles ist euer« (1Kor 3,21) wird aus dem Zusammenhang gerissen, um zu belegen: »In der Freiheit des Glaubens an Christus ist die Auseinandersetzung mit jeglichen, auch mit historisch-kritischen Hypothesen möglich. Angsthaltungen sollten überwunden werden.«

2
Formal lassen sich zwar unter »Welt oder Leben« und unter »Gegenwärtiges« auch historisch-kritische Hypothesen subsumieren. Man darf jedoch den Zusammenhang des Verses nicht außer Acht lassen:
»Niemand betrüge sich selbst! Wenn jemand unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, so werde er töricht, damit er weise werde. Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott; denn es steht geschrieben: ›Der die Weisen fängt in ihrer List‹. Und wieder: ›Der Herr kennt die Überlegungen der Weisen, dass sie nichtig sind‹. So rühme sich denn niemand (im Blick auf) Menschen, denn alles ist euer« (1Kor 3,18-21).

Historisch-kritische Theologie ist »Weisheit dieser Welt«, und durch Hypothesen wird der Ruf von Wissenschaftlern begründet, so dass man sich ihrer rühmt und sich zu ihrer »Schule« zählt. Wir aber werden ermahnt, »töricht zu werden, damit wir weise werden«, anstatt von der Weisheit dieser Welt in der Freiheit Christi Gebrauch zu machen.

Nebenbei bemerkt: Auseinandersetzung mit Hypothesen – sofern sie nicht als ihre Zurückweisung durch Gottes Wort geschieht – ist nichts anderes, als sich einzulassen auf das Hypothesenspiel. Solche »Auseinandersetzung« stellt sich von vornherein auf den Boden, auf dem derartige Hypothesen gebildet werden und hat den festen Grund des Wortes Gottes bereits verlassen. Überdies setzt sie solche Hypothesen keineswegs außer Kurs, sondern trägt letztendlich nur zu ihrer Stabilisierung bei.

6. Deshalb ist auch die Fragestellung verderblich: »Da wollen wir erst einmal sehen: Wie ist es denn nun wirklich?«

Wenn ich mit dieser Haltung an Gottes Wort herangehe, bin ich schon abgewichen, auch wenn das Ergebnis »positiv« ist. Ich habe mich auf meinen Verstand verlassen und traue mir zu, das Richtige herauszubekommen.
Die angemessene Haltung wäre dagegen: »Mein Vater, ich danke Dir für Dein Wort. Es ist durch und durch wahr. Aber ich habe Probleme. Ich habe mich verunsichern lassen. Als ich in die Enge getrieben wurde, habe ich Deinem Wort mißtraut. Bitte, bring mich zurecht und zeige Du mir durch den Heiligen Geist aus Deinem Wort, wie es sich verhält.«

Die Versuchung besteht darin, als Sieger dastehen zu wollen durch die Kraft meines Intellekts und die Stärke meiner Argumente. Gott hat aber gesagt. »Nicht durch Heer und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist« (Sach 4,6).

7. Der Tiefschlag unter den Verführungen ist die Frage: »Willst du denn besser sein … ?«
Gottes Wort sagt uns (Röm 6,11): »Achtet euch als tot für die Sünde.« Es wird nicht von uns verlangt, uns mit anderen so zu identifizieren, dass wir uns mit ihrer Sünde identifizieren. Ich bin nicht besser als Diebe, Hurer, Ehebrecher und historischkritische Theologen. Aber genauso, wie ich dem Ehebruch im Namen Jesu widerstehe, darf ich auch der historisch-kritischen Theologie widerstehen und meinen Heiland anrufen in der Not.

Kleine Handreichung aus dem Worte Gottes

»Alle Worte meines Mundes sind in Gerechtigkeit; es ist nichts Verdrehtes und Verkehrtes in ihnen. Sie alle sind richtig dem Verständigen und gerade denen, die Erkenntnis erlangt haben« (Spr 8,8 f.).
»Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang; und die Erkenntnis des Heiligen ist Verstand« (Spr 9,10).
»Der Mund des Gerechten sproßt Weisheit, aber die Zunge der Verkehrtheit wird ausgerottet werden« (Spr 10,31).
»Laß ab, mein Sohn, auf Unterweisung zu hören, die abirren macht von den Worten der Erkenntnis« (Spr 19,27).
»Wer Aufrichtige irreführt auf bösen Weg, wird selbst in seine Grube fallen; aber die Vollkommenen werden Gutes erben« (Spr 28,10).
»Wehe denen, die in ihren Augen weise und bei sich selbst verständig sind!« (Jes 5,21).
»So spricht der Herr: Verflucht ist der Mann, der auf den Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arm macht und dessen Herz von dem Herrn weicht« (Jer 17,5).
»Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, nicht sucht?« (Joh 5,44).

»Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer, was euer vernünftiger Gottesdienst ist. Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung des Sinnes, dass ihr prüfen mögt, was der Wille Gottes ist: das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene« (Röm 12,1 f.).

Die Bibel und der moderne Mensch

Die Bibel ist ein sehr altes Buch, und was alt ist, wird heutzutage nicht mehr als ehrwürdig angesehen. Man redet zwar von Altertumswert, schwelgt in Nostalgie und kauft sich Antiquitäten, aber solche alten Dinge stehen nur zum Bestaunen in den Vitrinen, heben den Besitzerstolz und bedeuten Prestigegewinn, sind jedoch überwiegend nicht zum Gebrauch bestimmt. Was alt ist, gilt heute im Allgemeinen als antiquiert.

Was zählt, ist modern: die jüngsten technischen Errungenschaften, die neueste wissenschaftliche Erkenntnis, die neuesten Nachrichten, die neue Mode, modernes Wohnen, usw., usw.
Unmodern zu sein, ist zu einem schwerwiegenden Vorwurf geworden. Man versteht sich als »moderner Mensch«.

1. Aber wie modern ist der moderne Mensch?

Beim Einräumen meiner Bücher nach dem Umzug hielt ich ein Buch in der Hand mit dem Titel: »Moderne Predigtlehre«. Dieses Buch ist Anfang der zwanziger Jahre erschienen. Heutzutage würde niemand ein Produkt aus den zwanziger Jahren als modern ansehen. Das sind inzwischen alles »Oldtimer« geworden. Der moderne Mensch von 1920 ist inzwischen gestrig und der moderne Mensch nach der Französischen Revolution, der die Göttin Vernunft auf den Thron gesetzt und in den Kathedralen angebetet hat, ist inzwischen längst vorgestrig geworden.
Demnach scheint der moderne Mensch eine sehr relative Größe zu sein. Wir wollen aber nicht versäumen zu fragen, ob es nicht dennoch Merkmale gibt, die den Menschen früherer Zeitalter von dem jetzigen unterscheiden.

Meine theologischen Lehrer pflegten den Menschen des Neuen Testaments (und natürlich erst recht den des Alten) als den mythischen Menschen anzusehen und ihn damit vom Menschen der Moderne, dem Menschen des Logos, zu unterscheiden. Aber bei näherem Hinsehen ist dieser sogenannte mythische Mensch von den heutigen Menschen gar nicht wesentlich verschieden. Gewiß zog er Wunder in Betracht; aber dennoch waren Wunder für ihn keineswegs das Normale, sondern versetzten ihn in Erstaunen und Erschrecken.
Normalerweise rechnete er mit den Naturgesetzen:

Die Angestellten des Jairus sagen ihrem Arbeitgeber: »Deine Tochter ist gestorben, was bemühst du weiter den Meister« (Mk 5,35).

Jesus wird von den Klageweibern ausgelacht, als er am Totenbett des Mädchens zu ihnen sagt: »Was lärmt und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft« (Mk 5,39). Denn sie waren von Berufs wegen sehr wohl in der Lage, die Merkmale des Todes zu erkennen.

Als Jesus den Befehl gibt, den Stein von der Grabhöhle des Lazarus zu entfernen, »spricht zu ihm Martha, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon, denn er hat vier Tage gelegen« (Joh 11,39).

Die Wunder der Totenauferweckungen, die Jesus wirkte, geschahen vor Menschen, die mit den Gesetzmäßigkeiten des Sterbens durchaus vertraut waren. Natürlich konnten sie den eingetretenen Tod noch nicht an Instrumenten ablesen, welche die wesentlichen Körperfunktionen darstellen. Aber wenn das die Voraussetzung dafür wäre, ein moderner Mensch zu sein, dann wären nur die Techniker moderne Menschen, die solche Geräte herstellen und die Ärzte und Krankenschwestern, die mit ihnen umgehen; Sie und ich wären es nicht.
Die Menschen zur Zeit Jesu waren auch in der Lage, aufgrund von Beobachtungen Wettervorhersagen zu machen. Jesus setzte das voraus, als er zum Volk sprach: »Wenn ihr eine Wolke von Westen aufgehen seht, so sprecht ihr alsbald, ›es kommt Regen‹. Und es geschieht also. Und wenn ihr den Südwind wehen seht, so sprecht ihr: ›es wird heiß werden‹. Und es geschieht also« (Lk 12,54f.).

Gewiß hatten die Menschen damals keine Wettersatelliten und sonstige Meßgeräte für die Wettervorhersage. Aber wenn ein solches Instrumentarium die Voraussetzung dafür wäre, ein moderner Mensch zu sein, dann wären zwar die Meteorologen moderne Menschen, aber Sie und ich wären es nicht, denn mit unserem Barometer können wir da wohl nicht mitreden.

Der Mensch der Bibel ist auch durchaus in der Lage, wirtschaftlich zu denken: Im Blick auf die bevorstehenden sieben Hungerjahre nach den vorher zu erwartenden sieben reichen Erntejahren gibt Josef den Rat: »Nun sehe der Pharao nach einem verständigen und weisen Mann, den er über Ägyptenland setze, und sorge dafür, daß er Amtsleute verordne im Lande und nehme den Fünften in Ägyptenland in den sieben reichen Jahren und lasse sie sammeln den ganzen Ertrag in den guten Jahren, die kommen werden, dass sie Getreide aufschütten in des Pharao Kornhäuser zum Vorrat in den Städten und es verwahren, damit für Nahrung gesorgt sei für das Land in den sieben Jahren des Hungers, die über Ägyptenland kommen werden, und das Land nicht vor Hunger verderbe« (1Mo 41,33-36).

Traktoren und Mähdrescher kannte man damals nicht; das ist wahr. Aber ich frage mich, wie viele von Ihnen so etwas konstruieren oder damit umzugehen vermögen. Sollte die Technik wirklich für die Modernität entscheidend sein?
Auch ein Papua in Neuguinea, der heute noch so lebt, wie wir uns das Leben der Steinzeitmenschen vorstellen, wird in der Regel ziemlich bald den Zusammenhang zwischen dem Lichtschalter und dem Licht in der elektrischen Glühbirne erfassen. Unzählige, nach allgemeinem Urteil zweifellos »moderne« Menschen in unseren Breiten haben von der Technik auch nicht viel mehr als ein solches Schalterverständnis.

Der Landsmann des genannten Papuas in Djakarta entwirft vielleicht in seinem Konstruktionsbüro die modernste Reispflanzmaschine. Aber in seinem Neubauhaus in einem modernen Viertel der Stadt hat er seine Djimats in Gebrauch, mit denen er an Dämonen gebunden ist. Ist das ein »moderner Mensch«?

Das ist Indonesien. Aber wie steht es in Europa und Nordamerika? Jede Wohnung ist ausgestattet mit den modernsten elektrischen und elektronischen Geräten. In Büros und Fabriken wird mit den modernsten Maschinen gearbeitet. Was einige Jahre alt ist, wird im buchstäblichen Sinne zum »alten Eisen« geworfen.

Als Auto fährt man, wenn man es erschwingen kann, das neueste Modell. Sofern man sich bewußt einen »Oldtimer« zulegt, ist man dabei auch nur einer neueren Mode gefolgt.

Wenn es danach geht, sind wir wirklich modern. Moderne Literatur und moderne Kunst werden bis in die Grundschule hinein verbreitet. Man führt eine moderne Ehe und denkt modern in allen Lebensbereichen.

Zur gleichen Zeit aber ist der älteste Aberglaube noch lebendig: Man »klopft an Holz« und sagt »toi, toi, toi«, was nichts anderes als »Teufel, Teufel, Teufel« bedeutet. Man wünscht sich »Hals- und Beinbruch«, hält sich den Daumen und beachtet den »Montag, der nicht wochenalt« wird. Bei Jahresbeginn werden wie im alten China die bösen Geister durch ein gewaltiges Feuerwerk vertrieben und die Katze, die ihm in verkehrter Richtung über den Weg gelaufen ist, hat schon manchem Menschen den ganzen Tag verdorben.

Aber nicht nur alter Aberglaube ist weiter im Schwange, der neue Aberglaube hat überhand genommen und ist vorherrschend geworden in eben dem Maße, wie man den Glauben an unseren Herrn und Heiland Jesus Christus verleugnet hat.

– Der sogenannte »moderne Mensch« beschäftigt sich mit Horoskopen und geht zur Wahrsagerin. Selbst das bescheidenste Anzeigenblättchen auf dem Lande, das jedermann frei Haus geliefert wird, bietet per Inserat Dienste von Astrologen und Wahrsagern an.

– Große Illustrierte boten schon vor Jahren per Inserat Glück und Gesundheit versprechende Amulette zum Verkauf an.

– Okkulte Praktiken, Tischrücken u.ä. sind zu Gesellschaftsspielen geworden.

– Das okkulte Nerokreuz, das satanische Gegenbild des Kreuzes, an dem unser Herr Jesus Christus die Sünde der ganzen Welt getragen hat, wird als Zeichen des Kampfes gegen atomare Aufrüstung und als Friedenssymbol an die Wände gepinselt.

– In der transzendentalen Meditation meditieren diejenigen, welche das Mantra empfangen haben, wissentlich oder unwissentlich, über Verse, die zu Ehren hinduistischer Gottheiten geschrieben wurden.

– Magische Praktiken werden in unserem Kulturkreis heutzutage sogar planmäßig verbreitet.

– Mehr und mehr ergreift selbst der unverhüllte Satanskult Raum.
Ist ein Unternehmer, der eine vollelektronische Fabrikanlage besitzt und sich in transzendentaler Meditation »entspannt«, ein »moderner Mensch«?
Ist der rasante junge Sportwagenfahrer mit dem Amulett um den Hals und/oder der Christophorusplakette am Handgelenk ein »moderner Mensch«?
Ist der Politiker, der sich vor schwerwiegenden Entscheidungen von einer renommierten Wahrsagerin beraten läßt, ein »moderner Mensch«?
Ist der Revoluzzertyp, der mit Farbtopf und Sprühpistole okkulte Zeichen an die Wände schmiert, ein »moderner Mensch«?

Wie steht es dann aber mit den durch die theologische Aufklärung inzwischen eingebürgerten Redensarten:

– »Ein moderner Mensch kann die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod Jesu Christi nicht verstehen.«

– »Man kann dem modernen Menschen, der den elektrischen Lichtschalter bedient, unmöglich zumuten, an Engel oder an Dämonen zu glauben.« (Um Mißverständnissen vorzubeugen: Christen glauben nicht an Engel oder Dämonen, sondern an Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Aber sie wissen aus Gottes Wort, dass es Engel und Dämonen gibt.)

Wie steht es mit der Behauptung: »Die Normen der Bibel gelten nicht mehr für den modernen Menschen«?
Was haben wir von dem vielfältigen Gerede zu halten in der Art: »Ein moderner Mensch kann unmöglich …« wobei unterstellt wird, dass einer, der heute lebt und es trotzdem tut, kein »moderner Mensch« ist, sondern ein »ewig gestriger«, der es ja, bei genügender Aufklärung und dem nötigen Gruppendruck vielleicht doch noch lernen wird?
Angesichts der Relativität des Begriffes »modern« bzw. »moderner Mensch« erweisen sich die oben zitierten theologischen Redensarten mit ihrer Vermischung von Relativen und Absoluten als ungegründete Schlagworte mit demagogischem Charakter.

2. Der moderne Mensch will von der Bibel angeblich nichts wissen. Weiß denn die Bibel etwas von dem modernen Menschen?

Die relative Modernität, in der das, was heute modern ist, morgen schon als gestrig und übermorgen als vorgestrig gilt, wird in der Bibel als das genommen, was es ist, als »Haschen nach Wind« (Pred 1,14) und das Urteil darüber steht im Prediger Salomons: »Es gibt nichts Neues unter der Sonne« (Pred 1,9).
Gottes Wort redet aber auch über den modernen Menschen, der den »modernen Menschen« von 1525, 1789, 1848, 1918, 1945, 1984 usw. überholt. Es redet nämlich über den Menschen in den letzten Tagen, bevor Gottes gewaltige Endgerichte über diese Erde gehen werden und danach unser Herr Jesus, der Menschensohn, als Richter auf ihr erscheint. Über diesen Menschen der letzten Tage sagt Gottes Wort zweierlei:

Zum Ersten: Dieser Mensch lebt grundsätzlich nicht anders, als die Menschen vor ihm gelebt haben. Was für ihn das Leben ausmacht, ist das Gleiche geblieben:
– »Denn wie sie waren in den Tagen vor der Sintflut – sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien bis an den Tag, da Noah in die Arche hineinging und sie achteten es nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin –, so wird auch das Kommen des Menschensohnes sein« (Mt 24, 37-39).
– »Desgleichen, wie es geschah zu den Zeiten Lots: sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tag aber, als Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um. Auf diese Weise wird’s auch gehen an dem Tage, an dem des Menschen Sohn wird offenbar werden« (Lk 17,28-30).

Der unüberholbar moderne Mensch, der Mensch der letzten Tage, lebt wie die vielen Generationen vor ihm gelebt haben:
Er ißt, trinkt, heiratet, kauft, verkauft, pflanzt und baut. Dieses »normale« menschliche Leben, das an sich nicht verkehrt ist, erweist sich in seiner Blindheit gegenüber den Zeichen der Zeit als verhängnisvoll. Es ist das Leben, das sich mit dem Natürlichen begnügt und nicht nach Gott fragt. Dieses Leben steht unter Gottes Gericht:
»Denn Gottes Zorn vom Himmel her ist offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit gefangen halten. Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen seit der Schöpfung der Welt und wahrgenommen in seinen Werken, so dass sie keine Entschuldigung haben. Sie wußten, dass ein Gott ist und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott noch ihm gedankt, sondern haben ihre Gedanken dem Nichtigen zugewandt und ihr unverständiges Herz ist verfinstert … Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst, sie, die Gottes Wahrheit verwandelt haben in Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpf statt dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit. Amen … Und gleichwie sie es für nichts geachtet haben, dass sie Gott erkannten, hat sie auch Gott dahingegeben in verworfenem Sinn, zu tun, was nicht taugt« (Röm 1,18-21.24f.28).

Zum Zweiten zeichnet Gottes Wort von dem Menschen der letzten Tage, dem unüberholbar modernen Menschen, ein deutliches Porträt, in dem jene besonderen Züge hervorgehoben sind, die ihn von den früheren Geschlechtern unterscheiden:
»Das sollst du aber wissen, dass in den letzten Tagen gräuliche Zeiten kommen werden. Denn es werden die Menschen viel von sich halten, geldgierig sein, ruhmredig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, gottlos, lieblos, unversöhnlich, Verleumder, zuchtlos, wild, ungütig, Verräter, Frevler, aufgeblasen, die die Lüste mehr lieben als Gott, die da haben den Schein eines gottesfürchtigen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie; solche meide. Zu diesen gehören, die hin und her in die Häuser schleichen und umgarnen die losen Weiber, die mit Sünden beladen sind und von mancherlei Lüsten umgetrieben, immerdar lernen und nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Gleicherweise wie Jannes und Jambres dem Mose widerstanden, so widerstehen auch diese der Wahrheit: Menschen mit zerrütteten Sinnen, untüchtig zum Glauben« (2Tim 3,1-8).

Ist Ihnen auch die Porträtähnlichkeit mit dem heutigen Menschen aufgefallen? Es lohnt sich, diese Bibelstelle aufgeschlagen neben die Tageszeitung zu legen und zu vergleichen!

Bei diesem Menschen der Endzeit hat der Geist des Widerchrists Raum gewonnen, der in Gottes Wort klar gekennzeichnet wird:
»Wer ist ein Lügner, wenn nicht, der da leugnet, dass Jesus der Christus sei? Das ist der Widerchrist, der den Vater und den Sohn leugnet« (1Joh 2,22).
»Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt. Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: ein jeglicher Geist, der da bekennt, dass Jesus Christus ist im Fleisch gekommen, der ist von Gott und ein jeglicher Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists, von welchem ihr habt gehört, dass er kommen werde und ist jetzt schon in der Weit« (1Joh 4,1-3).

»Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt« (1Joh 4,14). Das ist das Bekenntnis des Glaubens. Aber dieses Bekenntnis ist rar geworden in Kirche und Theologie und wo es noch sonntäglich gesprochen wird, ist es weithin zu einem Lippenbekenntnis geworden, bei dem jeder das, was er meint, von dem, was er sagt, unterscheidet.

Gottes Wort hat vorhergesagt, wie die Theologie des modernen Menschen, des Menschen der letzten Tage, aussehen wird:
– »Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch falsche Lehrer sein werden, die verderbliche Lehrmeinungen heimlich einführen werden, indem sie den Gebieter, der sie erkauft hat, verleugnen und sich selbst schnelles Verderben zuziehen. Und viele werden ihren Ausschweifungen nachfolgen, um derentwillen der Weg der Wahrheit verlästert wird. Und aus Habsucht werden sie euch mit betrügerischen Worten kaufen, denen das Gericht von Alters her nicht zögert und ihr Verderben schlummert nicht« (2Petr 2,1-3).

– »Denn gewisse Menschen haben sich heimlich eingeschlichen, die längst zu diesem Gericht vorher aufgezeichnet sind, Gottlose, welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und den alleinigen Gebieter und unseren Herrn Jesus Christus verleugnen … Diese sind Murrende, die mit dem Schicksal hadern und nach ihren Begierden wandeln und ihr Mund redet stolze Worte, obwohl sie des Vorteils halber Personen bewundern. Ihr aber, Geliebte, gedenkt der von den Aposteln unseres Herrn Jesus Christus vorausgesagten Worte. Denn sie sagten euch, dass am Ende der Zeit Spötter sein werden, die nach ihren Begierden der Gottlosigkeit wandeln. Diese sind es, die Trennungen verursachen, irdisch Gesinnte, die den Geist nicht haben« (Jud 4,16-19).

– »… dies wißt, dass in den letzten Tagen Spötter mit Spötterei kommen werden, die nach ihren eigenen Begierden wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung seiner (d.h. des Herrn) Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an« (2Petr 3,3f.).

Gott kennt den »modernen Menschen«. Er hat ihn längst durchschaut. Das nach dem Gerede vieler antiquierte Bibelbuch hat als Gottes Wort längst offenbar gemacht, wie es um den modernsten aller modernen Menschen steht, um den Menschen der Endzeit. Er ist vor Gott offenbar und kann in der Bibel nachlesen, wie Gott über ihn denkt!

Kommt uns in dieser Situation ein Schrecken an? Müssen wir mit Psalm 139 bekennen: Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht schon wüßtest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und hoch, ich kann sie nicht begreifen. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?

Psalm 139,1-7
Es gibt einen Zufluchtsort, an dem wir uns bergen können vor Gottes Zorn, der zu Recht über unsere Sünde ergeht: Das ist unser Heiland Jesus Christus und Sein Werk von Golgatha.

Laßt uns heute zu Ihm gehen. »Heute, so ihr seine Stimme hört, so verstocket euer Herz nicht!« (Ps 95,7f.) Für die Sünde unserer Gottlosigkeit und für die zahlreichen Sünden, die daraus gekommen sind, ist Jesus Christus ans Kreuz gegangen. An unserer Stelle hat Er dort gehangen. An unserer Stelle hat Ihn der Zorn unseres Schöpfers dort getroffen. »Die Strafe lag auf Ihm, auf dass wir Frieden haben« (Jes 53,5). Gott selber hat Seinen geliebten Sohn als Opferlamm für uns gegeben: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben« (Joh 3,16).

Ewiges Leben, das ist nicht nur »Leben nach dem Tode«. Es ist das kostbare, wunderbare, sinnvolle und erfüllte Leben, das Gott denen gibt, die den Weg der Nachfolge Jesu gehen. Es ist Leben in Ewigkeit, das einmündet in die ewige Herrlichkeit und Freude vor Gottes Angesicht.

Wer Jesus in sein Leben aufnimmt, dem gibt Gott der Vater Vollmacht, sein Kind zu sein (Joh 1,12). Können wir überhaupt erfassen, was es heißt, Kinder dessen zu sein, der Himmel und Erde geschaffen hat? Noch ist die Herrlichkeit verborgen, die das bedeutet. Aber eines Tages wird sie offenbar werden.
Laß dich versöhnen mit Gott, der das alles für dich bereit hält. Nimm Seine größte Gabe heute an: Seinen lieben Sohn, dahingegeben um unserer Sünde willen und auferweckt um unserer Gerechtigkeit willen (Röm 4,2). Mit ihm will Gott uns alles schenken (Röm 8,32).

Eines sollst du aber wissen: Wenn Jesus dein Heiland wird, dann will Er auch dein Herr sein. Er will dein Leben regieren. Nur so kann Er aus deinem Leben etwas Gutes machen – zum Lobe Seiner Herrlichkeit. Du sollst nicht länger beherrscht werden durch Süchte, Sünden und Begierden und durch Todesfurcht ein Leben lang versklavt sein. Du sollst geführt und geleitet werden von dem Guten Hirten, der dich liebt.

Gottes Wort

1. Das Wort Gottes ist inspiriert.

a) Wir haben darüber zwei direkte Zeugnisse in der Heiligen Schrift.
Das erste finden wir in 2. Timotheus 3,16f.: »Die gesamte Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig zugerüstet.«

Das zweite Zeugnis steht in 2. Petrus 1,19-21: »Und so besitzen wir das prophetische Wort um so fester und ihr tut gut, darauf zu achten als auf eine Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet, bis der Tag anbricht und der Morgenstern in euren Herzen aufgeht, indem ihr dies zuerst wißt, dass keine Weissagung der Schrift aus eigener Deutung geschieht. Denn niemals wurde eine Weissagung durch den Willen eines Menschen hervorgebracht, sondern von Gott her redeten Menschen, getrieben vom Heiligen Geist.«

Diese beiden Zeugnisse drücken nicht bloß aus, »dass Gottes Geist, Gottes Weisheit in diese Schriften eingegangen sind«.1 Sie beschränken sich auch nicht auf die Feststellung, dass die Verfasser der Schrift die Erfahrung von Römer 8,14 gemacht haben und deshalb der Geist Gottes ihnen wie im Allgemeinen, so »auch beim Abfassen der neutestamentlichen Schriften […] beigestanden und geholfen hat«.

Theopneustos, 2. Timotheus 3,16, heißt nicht: »den Geist Gottes atmend«, sondern »von Gott eingehaucht«. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Es besagt, dass Gott der Urheber der Schrift ist.
Die biblischen Verfasser wurden nicht »zu fehl- und irrtumslosen Menschen«, auch nicht »für die Zeit der Abfassung ihrer Schriften«, sondern »sie redeten von Gott her, getrieben durch den Heiligen Geist«.

Gottes Wort selbst bezeugt klar Gottes Heiligen Geist als Urheber der Schrift. Die Inspiration der Schrift ist durch die Schrift selbst bezeugt. Die Inspirationslehre ist deshalb keine »unnötige Schutzmauer um die Bibel«,5 sondern die lehrmäßige Zusammenfassung dessen, was Gottes Wort von sich selber sagt. Das ist nicht »Römer 8,14 und verwandten Stellen« zu entnehmen, 6 sondern in erster Linie 2. Timotheus 3,16f. und 2. Petrus 1,19-21. Dort wird »eine besondere Geistesleitung für die Niederschrift der biblischen Bücher« ausdrücklich bezeugt. Deshalb setzt man sich in Widerspruch zur Heiligen Schrift, wenn man diese Annahme für »unnötig und biblischtheologisch bedenklich« erklärt.

b) Das Selbstzeugnis der Heiligen Schrift bezeugt die Inspiration gleicherweise als Verbalinspiration und als Personalinspiration.
Das Zeugnis für die Verbalinspiration ist 2. Timotheus 3,16f. Diese Stelle sieht auf das Ergebnis der Inspiration: »Die gesamte Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit….« D.h.: Es ist nichts ausgenommen, es gibt keine Worte in der Schrift, für welche die Inspiration nicht gilt.
Das Zeugnis für die Personalinspiration finden wir in 2. Petrus 1,19-21. Es hat die Weise der Inspiration im Blick: »Von Gott her redeten Menschen, getrieben vom Heiligen Geist.« D.h.: Es geschah durch die Leitung des Heiligen Geistes von innen, nicht nach mechanischem Diktat.

Die Verbalinspiration ist also keine Idee, welche im 16. Jahrhundert aufkam. Sie wird von der Heiligen Schrift bezeugt und dementsprechend auch von den Kirchenvätern vertreten. Personalinspiration und Verbalinspiration sind keine konkurrierenden Lehrmeinungen, zwischen denen wir die Wahl treffen können, sondern sind lediglich zwei Sichtweisen ein und desselben Sachverhaltes, die Gottes Wort uns vermittelt.

Von der Verbalinspiration ist die im 16. Jahrhundert aufgekommene Diktattheorie zu unterscheiden. Sie ist ein mißglückter menschlicher Versuch, die Verbalinspiration zu erklären.

Rechte Lehre von der Personalinspiration steht zwar im Gegensatz zur Diktattheorie, aber nicht im Gegensatz zur Verbalinspiration. Wenn sie sich zur Verbalinspiration in Gegensatz stellt, dann hat sie aufgehört, Inspirationslehre zu sein und ist nicht mehr schriftgemäß.

c) Treue gegenüber Gottes Wort verbietet auch die Behauptung: »Die Schrift ›ist‹ also nicht Gottes Wort, denn Gottes Wort ist ewig, die Schrift ist zeitlich.«9 Durch seine Inspiration hat Gott das von Menschen geredete und geschriebene Wort der Zeitlichkeit entnommen.

Über die beiden Hauptzeugnisse hinaus finden wir nahezu auf jeder Seite der Bibel das Selbstzeugnis, Gottes Wort bzw. Heilige Schrift zu sein. Wenn wir diesem Selbstzeugnis der Bibel keinen Glauben schenken, setzen wir uns nicht nur in Widerspruch zu Gottes Wort, sondern erklären damit zugleich Gott selber, den Urheber der Schrift, zum Lügner. Wir widerstehen damit auch dem, der das Wort selber ist (Joh 1,1ff.) und »treu und wahrhaftig« heißt (Offb 19,11). Er ist »der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6). An Ihm entscheidet sich darum auch, was Wahrheit ist: »Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme« (Joh 18,37).

Sollte ich ein Professor, ein Pastor, ein Superintendent oder ein Bischof sein und Gott keinen Glauben schenken? Kann ich Ihm denn dienen, wenn ich Ihm nicht glaube, was Er sagt? Ich behandle Ihn dann wie einen Vater, dem ich auf Schritt und Tritt zeige: Du bist alt, ich habe keinen Respekt mehr vor dir, dein Wort gilt mir nichts.
Gott ist unser Schöpfer und wir leben von Seiner Gnade, dass Er Jesus für uns dahingegeben hat. Wer da meint, er könne sich solche Respektlosigkeit gegenüber Seinem Wort herausnehmen, der sei gewarnt: »Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten« (Gal 6,7).

Vielleicht sind hier Menschen, denen jetzt die Augen aufgegangen sind. Sie haben nicht gewußt, was sie taten. Sie sind mit Gottes Wort umgegangen, wie sie es gelernt haben. Für sie ist heute ein guter Tag. Sie können umkehren von ihren verkehrten Wegen. Gott ist barmherzig und gnädig und wartet darauf, jeden, der umkehrt, in Seine Vaterarme zu schließen. Er vergibt ihm gern um Jesu willen.
d) Die historisch-kritische Theologie sagt: Wir können die Bibel nicht als Heilige Schrift betrachten, sondern höchstens als ein Buch, das den Anspruch erhebt, Heilige Schrift zu sein. Es gibt andere Bücher, welche den gleichen Anspruch erheben: den Koran, die Veden und andere mehr. Laßt uns deshalb von diesem Anspruch absehen und an die Bibel herangehen wie an jedes andere Buch.
Es stimmt, dass es auch andere Bücher gibt, die den Anspruch erheben, Heilige Schrift zu sein. Sollen wir deshalb die Bibel als eine Schrift unter vielen ansehen? Sollen wir sie vergleichen mit den Veden oder dem Koran, um zu sehen, ob sie nicht vielleicht hier und da noch ein wenig besser ist?

Das tut die historisch-kritische Theologie. Aber sie ist damit auf einem verkehrten Weg. So, wie die Götter aller Völker »Nichtse« sind (1Chr 16,26; Ps 96,5; Ps 97,7; Jer 2,11; Jer 5,7), so sind auch die heiligen Bücher anderer Religionen, welche den Anspruch auf Offenbarung erheben, nichts. Ich weiß, unsere gute Erziehung zur Toleranz lehnt sich gegen diesen Gedanken auf. Wir möchten das für ehrwürdig halten, was anderen Menschen, die wir achten, lieben und schätzen, heilig ist. Aber der Satz ist dennoch wahr. Wenn nach Gottes Wort die Götter aller Völker »Nichtse« sind, dann sind zwangsläufig auch ihre heiligen Bücher, welche den Anspruch auf Offenbarung erheben, nichts, denn sie offenbaren nicht den einen wahren Gott, der nicht nur Schöpfer Himmels und der Erden, sondern auch der Vater unseres Herrn Jesus Christus ist und mit Ihm und dem Heiligen Geist ein Gott und sie können nicht den Weg zur Rettung weisen.

Wenn wir uns auf die Ebene herunterziehen lassen, auf der man solche »Heiligen Schriften« miteinander vergleicht, um dann vielleicht der Bibel einen relativen Vorrang zuzubilligen, dann machen wir uns des Götzendienstes schuldig. Laßt uns aus Gottes Wort lernen, wie gewaltig unser Gott ist und wie erbärmlich und töricht solch ein Götzendienst.

Gottes Wort beschreibt uns in Jesaja 40,12-17 unseren Gott: »Wer hat die Wasser gemessen mit seiner hohlen Hand und die Himmel abgegrenzt mit der Spanne und hat den Staub der Erde in ein Maß gefaßt und die Berge mit der Waage gewogen und die Hügel mit Waagschalen? Wer hat den Geist des Herrn gelenkt und wer, als sein Ratgeber, ihn unterwiesen? Mit wem beriet er sich, dass er ihm Verstand gegeben und ihn belehrt hätte über den Pfad des Rechts und ihn Erkenntnis gelehrt und ihm den Weg der Einsicht kundgemacht hätte? Siehe, Nationen sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waagschale. Siehe, Inseln sind wie ein Stäubchen, das emporschwebt. Und der Libanon reicht nicht hin zum Brennholz und sein Wild reicht nicht hin zum Brandopfer. Alle Nationen sind wie nichts vor ihm und werden von ihm geachtet wie Nichtigkeit und Leere.«

An der gleichen Stelle führt uns Gottes Wort die Torheit des Götzendienstes vor Augen: Da werden »Götter« angebetet, die sich der Mensch selber gemacht hat: »Und wem wollt ihr Gott vergleichen und was für ein Gleichnis wollt ihr ihm an die Seite stellen? Hat der Künstler das Bild gegossen, so überzieht es der Schmelzer mit Gold und schweißt silberne Ketten daran. Wer arm ist, so dass er nicht viel opfern kann, der wählt ein Holz, das nicht fault; er sucht sich einen geschickten Künstler, um ein Bild herzustellen, das nicht wanke« (Jes 40,18-20) .
Wie kann man nur den lebendigen Gott mit den Machwerken von Menschen vergleichen! Er ist nicht nur der Schöpfer, er ist auch der Herr, unser Gott, der Allmächtige, der regiert. Er ist es, der die ganze Schöpfung in jedem Augenblick erhält und alles Geschehen darin lenkt:

»Wißt ihr es nicht? Hört ihr es nicht? Ist es euch nicht von Anbeginn verkündet worden? Habt ihr nicht Einsicht erlangt in die Grundlage der Erde? Er ist es, der da thront über dem Kreise der Erde und ihre Bewohner sind wie Heuschrecken; der die Himmel ausgespannt hat wie einen Flor und sie ausgebreitet wie ein Zelt zum Wohnen; der die Fürsten zu nichts macht und die Richter der Erde in Nichtigkeit verwandelt. Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum hat ihr Stock Wurzeln in die Erde getrieben: da bläst er sie schon an und sie verdorren und ein Sturmwind rafft sie wie Stoppeln hinweg. Wem denn wollt ihr mich vergleichen, dem ich gleich wäre? spricht der Heilige. Hebet zur Höhe eure Augen empor und sehet: Wer hat diese da geschaffen? Er, der ihr Heer herausführt nach der Zahl, ruft sie alle mit Namen; wegen der Größe seiner Macht und der Stärke seiner Kraft bleibt keines aus« (Jes 40,21-26).

Unser Gott allein ist es, der die Zukunft heraufführt und deshalb ist Er auch allein in der Lage, das Zukünftige zu verkünden. Auch daran gemessen erweisen sich die Götter der Völker als Nichtse. »Bringet eure Rechtssache vor, spricht der König Jakobs. Sie mögen herbeibringen und verkünden, was sich ereignen wird: das Zunächstkommende, was es sein wird, verkündet, damit wir es zu Herzen nehmen und dessen Ausgang wissen; oder laßt uns das Künftige hören, verkündet das späterhin Kommende, damit wir uns gegenseitig anblicken und miteinander es sehen. Siehe, ihr seid nichts und euer Tun ist Nichtigkeit; ein Greuel ist, wer euch erwählt« (Jes 41,21-24).

Wer Gottes Wort, das Wort des Schöpfers des Himmels und der Erde, des Herrn, unseres Gottes, des Allmächtigen, der regiert, des Vaters unseres Herrn Jesus Christus« für grundsätzlich vergleichbar hält mit anderen »heiligen Schriften«, der macht sich des Götzendienstes schuldig. Er zieht Gott auf die Ebene der Götzen herab.

Somit erwies sich der religionsgeschichtliche Vergleich, der grundlegend ist für die historisch-kritische Theologie, als Greuel von Götzendienst. Er duldet andere Götter neben Gott und erweist ihnen die gleiche Ehre.

e) Als inspiriertes Gotteswort ist die Heilige Schrift von Irrtümern frei, nicht nur im Bereich von Glauben und Leben, sondern in allen übrigen Bereichen auch. Im Zweifelsfall gilt Gottes Wort und nicht unsere vermeintliche Einsicht.

Gott sagt von sich selber: »Ich wache über meinem Worte, es auszuführen« (Jer 1,12). Sollte Er nicht über Seinem Wort gewacht haben, als es niedergeschrieben und gesammelt wurde?
Gott sagt von sich selbst in Seinem Wort: »Gleich Wasserbächen ist eines Königs Herz in der Hand des Herrn, wohin immer er will, neigt er es« (Spr 21,1). Sollte Er die Herzen derer, denen Er Sein Wort eingehaucht hat, nicht davor bewahrt haben, aus begrenzter menschlicher Kenntnis und Einsicht der Heiligen Schrift Irriges oder Unzutreffendes beizumischen? Wer wagt es, Ihm darin Ohnmacht oder Versäumnis zu unterstellen?

2. Timotheus 3,16f. besagt klar und deutlich, dass die Heilige Schrift nichts Irriges oder Unzutreffendes enthält. Denn andernfalls wäre nicht »die gesamte Schrift« »nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit«. Irriges oder Unzutreffendes kann solchen Dienst nicht tun.
Wie können wir es wagen, im Bereich der Naturwissenschaften oder Geschichte oder auf anderen Fachgebieten Gottes Wort Irrtümer nachzurechnen; wir, deren wissenschaftliche Erkenntnisse von gestern und vorgestern heute schon Makulatur geworden sind? Wehe uns, wenn wir solche Vermessenheit besitzen! Müssen wir uns nicht in Grund und Boden schämen, wenn wir zu sagen wagen: »Hier irrt Gottes Wort«? Wie wollen wir damit dereinst vor den Flammenaugen Jesu bestehen, wenn unsere gelehrten Bücher, die solches verbreitet haben, wie Spreu verbrennen? Laßt uns umkehren und Zuflucht nehmen bei unserem Heiland Jesus Christus!

Gottes Wort hat die heutige Theologie längst durchschaut:
Der Gemeine, wörtlich: der Tor (dessen Torheit aber nicht Mangel an Intelligenz ist, sondern Gottlosigkeit) wird edel genannt und der Arglistige, der Betrüger wird vornehm geheißen (vgl. Jes 32,5). Sind wir nicht gottlose Toren, wenn wir mit Gottes Wort so umgehen, als ob es Gott nicht gäbe? Und genau das tut die historisch-kritische Theologie! Sind wir nicht arglistige Betrüger, wenn wir durch einen solchen Umgang mit der Heiligen Schrift Gottes Wort verfälschen, so dass es der Gemeinde nicht mehr rein und lauter dargereicht wird? Aber jene, die solches tun, werden edel genannt, gelten als ehrbare Wissenschaftler, finden Anerkennung in der Kirche und in der Welt. Sie werden vornehm geheißen – sie erwerben Titel, werden Doktor und Professor und werden oft sogar zu Bischöfen ernannt.

Gottes Wort aber sagt von solchen: »Denn ein gemeiner Mensch redet Gemeinheit; und sein Herz geht mit Frevel um, um Ruchlosigkeit zu verüben und Irrtum zu reden wider den Herrn, um leer zu lassen die Seele des Hungrigen und dem Durstigen den Trank zu entziehen. Und der Arglistige, seine Werkzeuge sind böse: er entwirft böse Anschläge, um die Sanftmütigen durch Lügenreden zugrunde zu richten, selbst wenn der Arme sein Recht dartut« (Jes 32,6-8).

Genauso geschieht es heute: Gottes Wort, verfälscht durch historische Kritik, läßt die Seele des Hungrigen leer. Der Trank des lebenspendenden Wassers, des lebendigen Gotteswortes, wird dem Durstigen dadurch entzogen. Wenn aber einer der Sanftmütigen, der durch Gottes Wort belehrt ist, aus Gottes Wort sein Recht dartut, dann wird er – im Namen der Wissenschaft – in Grund und Boden debattiert. Denn er steht als Armer da: er hat nicht studiert, er besitzt keinen Titel und kann kein Examen vor einer menschlichen Instanz nachweisen.

Aber so muß es nicht bleiben, denn unser Heiland Jesus ist erschienen: »Siehe, ein König wird regieren in Gerechtigkeit und die Fürsten, sie werden nach Recht herrschen. Und ein Mann wird sein wie ein Bergungsort vor dem Winde und ein Schutz vor dem Regensturm, wie Wasserbäche in dürrer Gegend, wie der Schatten eines gewaltigen Felsens in lechzendem Lande. Und die Augen der Sehenden werden nicht mehr verklebt sein und die Ohren der Hörenden werden aufmerken und das Herz der Unbesonnenen wird Erkenntnis erlangen und die Zunge der Stammelnden wird fertig und deutlich reden. Der gemeine Mensch wird nicht mehr edel genannt und der Arglistige nicht mehr vornehm geheißen werden« (Jes 32,1-5).

Laßt uns durch Gottes Gnade Erkenntnis erlangen und Edle werden, die Edles entwerfen und auf Edlem bestehen (Jes 32,8), damit die Seelen der Hungrigen nicht leer bleiben und den Durstigen nicht der Trank entzogen wird und die Sanftmütigen nicht länger durch Lügenreden zugrunde gerichtet werden. 2. Das Wort Gottes ist ungeteilt

a) Es ist ganz und gar Gottes Wort. Es nach unserer Wertschätzung einzustufen, ist Anmaßung. In der historisch-kritischen Theologie ist es jedoch üblich,
den einzelnen Teilen des Wortes Gottes nicht die gleiche Wertschätzung zuzuerkennen, sondern stattdessen einige Bestandteile der Heiligen Schrift zum Maßstab zu machen, um das Übrige daran zu messen und abzuwerten. Man sucht solchermaßen nach dem »Kanon im Kanon« und betreibt, wie man sagt, Sachkritik.

Zwei Beispiele sollen hier genannt werden:
– Die sogenannte »präsentische Eschatologie« im Johannesevangelium wird ausgespielt gegen die futurische Eschatologie in den drei übrigen, sogenannten synoptischen Evangelien. Dabei sieht man sich allerdings genötigt, diejenigen Aussagen im Johannesevangelium, welche sich der unterstellten präsentischen Eschatologie nicht einfügen, einer »kirchlichen Redaktion« zuzuschreiben.

– Die christologischen Aussagen im Römerbrief werden ausgespielt gegen die sogenannte »kosmische Christologie« des Epheser- und Kolosserbriefes. Das dient u.a. dazu, jene Briefe als unpaulinisch hinzustellen und damit faktisch als geringerwertig einzuschätzen. Paulus rangiert vor den »Deuteropaulinen«.
Wo der Feind uns nicht vom ganzen Wort abbringen kann, versucht er, uns zur Anmaßung eigener Wertung zu verführen. Das ist ihm selbst bei Martin Luther gelungen, der nun mit seiner Abwertung des Jakobusbriefes als »stroherner Epistel« zum Kronzeugen für die historisch-kritische Theologie gemacht worden ist. Lasst uns wachsam sein, denn unser »Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könne« (1Petr 5,8).
Wer in Form von Sachkritik aus Gottes Wort auswählt, was er für maßgeblich hält, ist einem Götzenbildner zu vergleichen, der sich selbst den Gott schafft, den er anbetet. Welche Torheit: Ein vergänglicher Mensch, der Speise und Trank benötigt für seine Erhaltung, wagt es, einen Gott zu schaffen. Er schafft ihn nach seinem eigenen Bild, entsprechend seiner Begrenztheit. Er ist genötigt, das Material dazu aus der Schöpfung des Gottes zu nehmen, der Himmel und Erde und auch ihn selber geschaffen hat. Das gleiche Material, das zur Befriedigung seiner übrigen Bedürfnisse gebraucht wird, dient ihm zur Erschaffung des Gottes, den er anbetet:

»Die Bildner geschnitzter Bilder sind allesamt nichtig und ihre Lieblinge nützen nichts; und die für sie zeugen, sehen nicht und haben keine Erkenntnis, damit sie beschämt werden. Wer hat einen Gott gebildet und ein Bild gegossen, dass es nichts nütze? Siehe, alle seine Genossen werden beschämt werden; und die Künstler sind ja nur Menschen. Mögen sie sich alle versammeln, hintreten: erschrecken sollen sie, beschämt werden allzumal! Der Eisenschmied hat ein Werkzeug und er arbeitet bei Kohlenglut und er gestaltet es mit Hämmern und verarbeitet es mit seinem kräftigen Arm. Er wird auch hungrig und kraftlos; er hat kein Wasser getrunken und ermattet. Der Holzschnitzer spannt die Schnur, zeichnet es ab mit dem Stift, führt es aus mit den Hobeln und zeichnet es ab mit dem Zirkel; und er macht es wie das Bildnis eines Mannes, wie die Schönheit eines Menschen, damit es in einem Haus wohne. Man haut sich Zedern ab oder nimmt eine Steineiche oder eine Eiche und wählt sich aus unter den Bäumen des Waldes; man pflanzt eine Fichte und der Regen macht sie wachsen. Und es dient dem Menschen zur Feuerung und er nimmt davon und wärmt sich; auch heizt er und bäckt Brot; auch verarbeitet er es zu einem Gott und wirft sich davor nieder, macht ein Götzenbild daraus und betet es an. Die Hälfte davon hat er im Feuer verbrannt; bei der Hälfte davon ißt er Fleisch, brät seinen Braten und sättigt sich; auch wärmt er sich und spricht: Ha! mir wird’s warm, ich spüre Feuer. Und das Übrige davon macht er zu einem Gott, zu seinem Götzenbild –, er betet es an und wirft sich nieder und er betet zu ihm und spricht: errette mich, denn du bist mein Gott« (Jes 44,9-17).

Bin ich nur ein Götzendiener, wenn ich meinen Gott aus Erz oder Stein oder Holz mir bilde? Bin ich nicht genauso ein Götzendiener, wenn ich Gottes Wort benutze wie eine Erzgrube wie einen Steinbruch oder einen Wald zum Holzfällen? Wenn ich daraus entnehme, was mir gut scheint und mir daraus mit Hilfe meines Verstandes einen Gott zusammensetze nach dem Bild meiner begrenzten Einsicht?

Der gleiche Verstand, mit dem ein solcher Mensch sein Auto kauft und sein Häuschen finanziert, sich für Öl- oder Kohleheizung entscheidet und sein Geld verdient, muß dafür herhalten, einen Gott herzustellen. Aber Gott sagt: »Ich bin der Herr, das ist mein Name; und meine Ehre gebe ich keinem anderen, noch meinen Ruhm den geschnitzten Bildern« (Jes 42,8). »Die auf das geschnitzte Bild vertrauen, die zu dem gegossenen Bild sagen: Du bist unser Gott! werden zurückweichen, werden gänzlich beschämt werden« (Jes 42,17).

Kann man wohl im Ernstfall solch einem selbstgemachten Gott vertrauen? Wahrlich nicht! Möge deshalb ein jeder, der so mit Gottes Wort umgeht, sich ernsthaft prüfen, ob er sich wirklich auf Gott verläßt oder ob er nicht vielmehr in den Dingen dieser Welt seine Sicherheit sucht.

Mögen wir doch darüber erschrecken, dass ein solcher Götzendienst unter Gottes Volk heute so weit verbreitet ist. Lasst uns Gottes Klage hören: »… mein Volk hat seine Herrlichkeit vertauscht gegen das, was nicht nützt. Entsetzt euch darüber, ihr Himmel und schaudert, starret sehr! spricht der Herr. Denn zwiefach Böses hat mein Volk begangen: Mich, den Born lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen auszuhauen, geborstene Zisternen, die kein Wasser halten« (Jer 2,11-13).

Lasst uns umkehren, wo wir auf verkehrtem Wege sind. Lasst uns Gott bitten, es uns zu zeigen. Oft sind es kleine Anfänge, durch die eine Weiche in die verkehrte Richtung gestellt wird. Die Abweichung kann zuerst ganz gering sein, aber allmählich kommt es heraus, dass wir auf falschem Geleise sind: Hier ein paar Abstriche an Gottes Wort, da ein Achselzucken, dort ein Vorbehalt; die Annahme von ein paar kritischen Gedanken, die sich als Lösung anbieten, wo wir Probleme haben oder man sie uns eingeredet hat, – und schon ist die Bibel für uns nicht mehr ganz das Heilige Wort des lebendigen Gottes.

Lasst uns zum Kreuz gehen, wenn wir gefehlt haben. Auch dafür hat unser Herr Jesus Sein Blut vergossen.

b) Als inspiriertes Wort Gottes, das zwar viele menschliche Verfasser, aber nur einen göttlichen Urheber hat, ist Gottes Wort eine wunderbare Einheit. Sobald ich das Selbstzeugnis des Wortes Gottes von der Inspiration der Schrift im Glauben angenommen habe, fange ich an, die wunderbare Einheit des Wortes Gottes zu erfahren: Wie herrlich ist das Gefüge der Verheißungen auf unseren Herrn und Heiland Jesus Christus und ihrer Erfüllung. Wie kostbar ist die Übereinstimmung zwischen Ezechiel 16 und Lukas 15, zwischen Johannes 10 und Ezechiel 34,11ff. Wie wunderbar ist alles, was in der Offenbarung gesammelt steht, im Einzelnen schon von den Propheten vorhergesagt. Wem noch die Decke vor den Augen hängt, vermag es zwar nicht zu sehen, wer aber Gottes Wort nicht länger ungehorsam ist, dem öffnet es der Heilige Geist.

Wo man Gottes Wort nicht als Einheit sehen will, die einen Urheber hat und in der eines das andere ergänzt, sondern als ein Sammelwerk verschiedener Autoren, deren Profile man herauszuarbeiten sucht, da nimmt man die Einheit des Wortes Gottes auch nicht wahr. Da wird versucht, das Neue Testament gegen das Alte auszuspielen, Paulus gegen Jakobus, 1. Mose 1 gegen 1. Mose 2, 1. Korinther 15 gegen Johannes 5. Da soll denn gar in 1. Mose 2 ein anderer Gottesbegriff vorliegen als in 1. Könige 18 und Jesus einen anderen Gott gebracht haben, als es der Gott des Alten Testamentes war.

Der Grund für solche Fehlurteile ist, wie gesagt, dass man sich zuvor ein Bild von Gott gemacht hat, das als Menschenwerk viel zu klein ist, um die ganze Fülle der Selbstoffenbarung Gottes in Seinem Wort in sich aufzunehmen. Außerdem fehlt es aufgrund der in der theologischen Wissenschaft eingebürgerten Spezialisierung sehr oft an gründlicher Kenntnis des gesamten Wortes Gottes. Wer das Alte Testament wirklich kennt und nicht nur einen zurechtgemachten Begriff davon hat, kann es doch unmöglich gegen das Neue ausspielen und umgekehrt.

3. Das Wort ist identisch

Eine der großen Lügen des Feindes, mit denen er die Menschen von Gottes Wort wegtreibt, ist die Behauptung der »epochalen Bedingtheit« des Menschen. Es wird gesagt, der Mensch habe ein »Zeitgeschick«. Jede Generation sei im Glauben anders dran als die ihrer Väter und Vorväter, da sich ja die äußeren Verhältnisse verändert haben und man in der Technik Fortschritte gemacht hat. Dabei gilt es als unwesentlich, ob es der Fortschritt vom Reismesser zur Sichel oder von der Mähmaschine zum Mähdrescher ist. Es wird behauptet, jede Generation brauche ihren eigenen Zugang zum Wort Gottes, ihre eigene Auslegung und ihre eigene Christologie. Es wird behauptet, dass das Wort Gottes auslegungsbedürftig, auf Auslegung angewiesen sei. Das Frühere gilt als veraltet, wobei auch das Wort Gottes nicht ausgenommen wird. Man sagt, damals habe es andere Produktionsmittel und andere gesellschaftliche Verhältnisse gegeben. Deshalb könnten wir es nicht so wörtlich nehmen, wie es dasteht, sondern nur noch in einer Auslegung, die herausstreicht, was daran für uns heute (noch) gilt.
Aber Gottes Wort sagt dem Menschen im 20. Jahrhundert das Gleiche wie dem im ersten. Der Mensch steht heute vor Gott nicht anders da wie vor ein paar tausend Jahren. Die Produktionsmittel des technischen Zeitalters haben den Menschen nicht wesentlich verändert. Wie in den Tagen Lots und Noahs ist es auch heute noch: Sie essen, sie trinken, sie kaufen, sie pflanzen, sie bauen, sie heiraten und werden geheiratet (vgl. Lk 17,27 und 28). Es wird gesagt, man könne dem modernen Menschen, der den Umgang mit der Technik gewohnt ist, der Radio und Kühlschrank, elektrisches Licht und Auto hat, nicht mehr zumuten, an Totenauferweckung und Wunder, Engel und Dämonen zu glauben. Aber eben dieser moderne Mensch ist einem Aberglauben verfallen, wie man ihn seit Jahrhunderten bei uns nicht mehr gekannt hat: Er verläßt sich auf Amulette und Horoskope, sucht Weisung bei Wahrsagern und befaßt sich sogar mit Satanskult!

Gottes Wort kennt den Menschen, auch den Menschen von heute. Worin er sich wirklich vom Menschen früherer Zeitalter unterscheidet, hat Gott in Seinem Wort bereits vorausgesagt: »Dies aber wisse, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten eintreten werden: denn die Menschen werden selbstsüchtig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig, lieblos, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, unbesonnen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott, die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen; und von diesen wende dich weg. Denn aus diesen sind, die sich in die Häuser schleichen und lose Frauen verführen, die mit Sünden beladen sind, von mancherlei Begierden getrieben werden, immer lernen und niemals zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können. Auf diese Weise aber, wie Jannes und Jambres Mose widerstanden, so widerstehen auch sie der Wahrheit, Menschen, verdorben in der Gesinnung, im Glauben unbewährt« (2Tim 3,1-8).

Die These, dass Gottes Wort auf Auslegung angewiesen sei und jede Generation ihrer eigenen Auslegung bedürfe, steht der Wahrheit entgegen. Die Auslegungsbedürftigkeit des Wortes Gottes ist ein Kunstprodukt historisch-kritischer Theologie, die das Wort nicht nehmen will, wie es dasteht und deshalb viel Mühe aufwenden muß. Da sie das Wort Gottes auch nicht als Einheit gelten lassen will, kann sie wenig Gebrauch davon machen, dass die Heilige Schrift ihr eigener Ausleger ist. Und da sie den Heiligen Geist nicht als Urheber der Schrift gelten läßt, kann sie ihn auch nicht als Ausleger erfahren. Überdies ist sie durch Unkenntnis behindert, da dem Theologen aufgrund der weitgehenden Spezialisierung zumeist nur Bruchteile der Bibel regelmäßig unter die Augen kommen. Er kennt in der Regel unzählige Bücher über sein Spezialgebiet, aber er kennt seine Bibel nicht.

Es soll aber nicht vergessen werden zu erwähnen, dass bibeltreue Lehrer, die uns im Wort Gottes unterweisen, eine Gnadengabe sind (Eph 4,11). Wir wollen ihren Dienst und die Hilfe ihrer Bücher nicht verachten.

4. Das Wort Gottes ist gewachsen

Abraham und Noah hatten noch nicht das Gesetz und unser Herr Jesus sagt von den Propheten und Gerechten des Alten Bundes: »Wahrlich, ich sage euch, viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr anschaut und haben es nicht gesehen und zu hören, was ihr hört und haben es nicht gehört« (Mt 13,17). Das Gesetz hat »einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst« (Hebr 10,1). Irdisches und himmlisches Jerusalem müssen unterschieden werden (Gal 4,25f.) und es ist zu beachten, was für die Nachkommenschaft Abrahams nach dem Fleisch und was für die Kinder der Verheißung geschrieben steht (Röm 4,16; Gal 4,28). Gottes Wort muß in gerader Richtung geschnitten werden (2.Tim 2,15). Wir müssen den Heilsplan Gottes im Blick behalten.
Gottes Wort gibt uns selber Anleitung dafür, es recht zu lesen: »Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit« (2Tim 3,16).

Gottes Wort belehrt uns, wie wir die Geschichten im Alten Testament zu verstehen haben: »Denn ich will nicht, dass ihr in Unkenntnis darüber seid, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer hindurchgegangen sind und alle in der Wolke und im Meer auf Mose getauft wurden und alle dieselbe geistliche Speise aßen und alle denselben geistlichen Trank tranken; denn sie tranken aus einem geistlichen Felsen, der sie begleitete. Der Fels aber war der Christus. An den meisten von ihnen aber hatte Gott kein Wohlgefallen, denn sie sind in der Wüste hingestreckt worden. Diese Dinge aber sind als Vorbilder für uns geschehen, damit uns nicht nach bösen Dingen gelüstet, wie es jene gelüstete. Werdet auch nicht Götzendiener wie einige von ihnen, wie geschrieben steht: ›Das Volk setzte sich nieder, zu essen und zu trinken und sie standen auf, zu spielen‹. Auch laßt uns nicht Unzucht treiben, wie einige von ihnen Unzucht trieben und es fielen an einem Tag dreiundzwanzigtausend. Lasst uns auch den Herrn nicht versuchen, wie einige von ihnen ihn versuchten und von den Schlangen umgebracht wurden. Murret auch nicht, wie einige von ihnen murrten und von dem Verderber umgebracht wurden. Alles dieses aber widerfuhr jenen als Vorbild und ist geschrieben worden zur Ermahnung für uns, über die das Ende der Zeitalter gekommen ist« (1Kor 10,1-11).

Wir werden auch angewiesen, Christus in der Schrift zu suchen: »Der Fels aber war Christus«, heißt es in 1. Korinther 10,4. »Ihr erforscht die Schriften«, sagt unser Herr Jesus in Johannes 5,39, »denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben und sie sind es, die von mir zeugen.«
Gottes Wort sagt deutlich genug, wozu es da ist und wie wir es recht gebrauchen: »Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben« (Röm 15,4). Wenn wir diesen Anweisungen folgen, werden wir mit Gottes Wort recht umgehen und das Erforschen der Schrift wird fruchtbar sein.

5. Das Wort Gottes ist genug
Es ist voll und ganz ausreichend: für jeden Menschen, für jede Epoche, für jede Situation. »Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle« (Ps 65,10). Wir können Gottes Wort nie ausschöpfen. Situationen, von denen die Schreiber des Wortes Gottes nichts wissen konnten, hat Gottes Geist sehr wohl bedacht. Dinge, von denen wir vor wenigen Jahren noch nichts gewußt haben, sind vor zwei- oder dreitausend Jahren bereits aufgeschrieben worden. Als Beispiel dafür sei Daniel 12,8f. genannt: »Und ich hörte es, aber ich verstand es nicht; und ich sprach: Mein Herr, was wird der Ausgang von diesem sein? Und er sprach: Gehe hin, Daniel; denn die Worte sollen verschlossen und versiegelt sein bis zur Zeit des Endes.«
Das Wort Gottes bedarf keiner Ergänzung, weder durch Psychologie oder Tiefenpsychologie noch durch moderne Pädagogik.

Es kennt den Menschen besser, als Psychologie und Tiefenpsychologie ihn zu erkennen vermögen. Soweit beide Elemente von Wahrheit enthalten, sind diese längst zuvor in Gottes Wort zu finden. Überwiegend haben jedoch Psychologie und Tiefenpsychologie antichristlichen Charakter und stehen im Gegensatz zu Gottes Wort.
Wo man gemeint hat, dem Wort Gottes aufgrund von besserer Einsicht und größerer Barmherzigkeit widersprechen zu müssen – zum Beispiel in der Frage des vorehelichen Geschlechtsverkehrs, von Ehe und Ehescheidung – ist am Ende nichts als Elend herausgekommen.

Das gleiche gilt für die moderne Pädagogik. Man hat gemeint, den Kindern wohl zu tun, indem man sich von den Prinzipien der Kindererziehung abwandte, die Gottes Wort uns lehrt. An den Produkten solcher Erziehung läßt sich mittlerweile bereits ablesen, dass Gott es besser weiß, was dem Menschen frommt.
Gottes Wort sagt z.B.: »Narrheit ist gekettet an das Herz des Knaben; die Rute der Zucht wird sie davon entfernen« (Spr 22,15).

»Entziehe dem Knaben nicht die Züchtigung. Wenn du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben. Du schlägst ihn mit der Rute und du errettest seine Seele von dem Scheol« (Spr 23,13f.).
»Wer seine Rute spart, haßt seinen Sohn, aber wer ihn liebhat, sucht ihn früh heim mit Züchtigung« (Spr 13,24).

Die moderne Pädagogik wollte es besser wissen. Sie sagt: Kinder dürfen nicht geschlagen werden, schon gar nicht mit der Rute. Man geht jetzt sogar so weit, dass man behauptet, es sei besser, Kinder überhaupt nicht zu erziehen, sondern sich selbst entfalten zu lassen. Aber wie viele junge Narren laufen bereits heute bei uns herum: unfähig, Verantwortung zu übernehmen und ein normales menschliches Leben zu führen. Sie sind im Herzen daran gebunden, jeder Empfindung von Lust oder Unlust Raum zu geben. Viele verfallen den Drogen und dem Alkohol, sterben an einer Überdosis oder landen schließlich in der Heilanstalt.

Gottes Wort bedarf auch nicht der Ergänzung durch Soziologie. Gott weiß mehr vom Menschen und seinen Beziehungen untereinander, als unsere Vernunftschlüsse ergründen können.
Gottes Wort bedarf ebensowenig der Korrektur durch die Naturwissenschaften. Es hat sich herausgestellt, dass inzwischen naturwissenschaftliche Bibelkritik von den Naturwissenschaften selber überholt worden ist.

Lasst uns doch endlich wie der junge Daniel auf die Tafelkost dieser Welt als Zubrot zu Gottes Wort verzichten. Es wird sich dann schon herausstellen, dass »unsere Angesichter keineswegs verfallener sein werden« (Dan 1,10) als die Angesichter derjenigen, die sich von der königlichen Weisheitskost der Welt ernähren. Wir werden vielmehr in Sachen einsichtsvoller Weisheit solchen Schriftgelehrten überlegen sein (vgl. Dan 1,20).
»Alle Rede Gottes ist geläutert. Ein Schild ist er denen, die auf ihn trauen. Tue nichts zu seinem Wort hinzu, damit er dich nicht überführe und du als Lügner erfunden werdest« (Spr 30,5).

Gottes Wort bedarf auch nicht der Hinzufügung unserer Erfahrungen. Wenn sie nicht im Wort Gottes erfunden werden, dann haben sie beim Wort Gottes nichts zu suchen. Selbst ein Gebrauch der Gaben des Heiligen Geistes, der dem Wort Gottes etwas hinzufügt, indem er Weissagungen neben dem Wort als Offenbarung tradiert, ist verwerflich.

6. Das Wort Gottes ist wirksam
»Denn er spricht und es geschieht, er gebietet und es steht da« (Ps 33,9).
Diese Wirksamkeit erweist sich aber nur dort, wo es im Glauben einfältig genommen wird, wie es dasteht. Deshalb geschehen so viele Wunder Gottes in Gegenden, zu denen das theologische, psychologische, soziologische und historisch-kritische »Sollte Gott gesagt haben?« noch nicht durchgedrungen ist. Deshalb erfahren auch hier die Menschen Gottes Wunder, die Seinem Wort einfältig Glauben schenken.
Zwei Fehlwege sind zu vermeiden. Beide werden in Jakobus 4,2f. genannt: »Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet; ihr bittet und empfangt nichts, weil ihr übel bittet, um es in euren Lüsten zu verzehren.«

Voraussetzung für das Bitten ist das Belehrt- und Vertrautsein mit Gottes Wort. Ich muß wissen, was Gott geben will, damit ich bitten kann. Jede Schmälerung des Wortes Gottes durch theologische Theorien (Gott will heute solches nicht mehr tun, das galt nur für die Zeit der Apostel) oder durch kritisches Messen an der alltäglichen Erfahrung hat weitreichende praktische Folgen: »Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet.« Selbst ein Raumgeben dem Zweifel, ob denn Gott wirklich solches geben wolle, ist verhängnisvoll. Gottes Wort sagt: »Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht, denn der Zweifler gleicht einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde, ist er doch ein wankelmütiger Mann, unbeständig in allen seinen Wegen« (Jak 1,68). Durch Erwartungslosigkeit hindern wir Gott daran, uns zu geben, was Er uns schenken möchte und was er uns deshalb schon in Seinem Wort verheißen hat. Wir hindern Sein Wort daran, dass es geschieht!

Der andere Fehlweg besteht im »übel bitten« – einer Anspruchshaltung, die Gottes Verheißungen wie einklagbare Schuldforderungen nimmt. Wenn wir wie trotzige, verzogene Kinder vor Gott stehen, die alles gleich haben wollen, wonach es ihnen gelüstet und nicht zuerst nach Seinem Reich trachten, sondern nach der Erfüllung selbstsüchtiger Wünsche dann nötigen wir Gott, uns zu verweigern, was Er uns doch in Seinem Wort verheißen hat. Wir hindern Sein Wort daran, dass es geschieht!

7. Gottes Wort ist der Spiegel Gottes

Wir können in ihm Gottes Herz und die Prinzipien Seines Handelns erkennen. Zwei Beispiele dafür:

Wie groß Gottes Erbarmen und Seine Retterliebe ist, können wir zum Beispiel erkennen an Gottes Handeln gegenüber Ahab, 1. Könige 21,27-29. Von Ahab wurde zuvor gesagt: »Es ist gar keiner gewesen wie Ahab, der sich verkauft hätte, um zu tun, was böse ist in den Augen des Herrn, welchen Isebel, sein Weib, anreizte« (1Kö 21,25). Als Ahab den durch Mord erworbenen Weinberg Naboths besichtigt, geht der Prophet Elia zu ihm, um ihm Gottes Strafgericht an seiner Person und an seinem Hause anzusagen. »Und es geschah, als Ahab diese Worte hörte, da zerriß er seine Kleider und legte Sacktuch um seinen Leib und fastete; und er lag im Sacktuch und ging still einher. Da geschah das Wort des Herrn zu Elia, dem Tisbiter, also: Hast du gesehen, dass Ahab sich vor mir gedemütigt hat? Weil er sich vor mir gedemütigt hat, will ich das Unglück in seinen Tagen nicht bringen; in den Tagen seines Sohnes will ich das Unglück über sein Haus bringen« (1Kö 21,27-29).

Wahrlich, wenn Gott uns auffordert, »langsam zum Zorn« zu sein (Jak 1,19), dann ist Er es zuerst allemal selber. Das überwältigendste Bild des Charakters Gottes sehen wir im Spiegel von 1. Korinther 13,4-7:

»Die Liebe ist langmütig; die Liebe ist gütig; sie neidet nicht; die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf, sie benimmt sich nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihrige, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet Böses nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.«

Lasst uns forschen in der Schrift und laßt es uns so tun, dass wir darin den Weg zum Herzen Gottes finden. Wahre Schrifterkenntnis führt zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit.

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Inspiration der Bibel (R.Pache)

 Dr. René Pache

INSPIRATION UND AUTORITÄT DER BIBEL

Erster Teil:  Die Offenbarung
Zweiter Teil: Das Wort

1. Kapitel: Das göttliche Wort
2. Kapitel: Das geschriebene Wort
3. Kapitel: Das fleischgewordene Wort und das eingegebene Wort

Dritter Teil: Die Inspiration
1. Kapitel: Verschiedene Auffassungen der Inspiration
2. Kapitel: Die volle und wortgemäße Inspiration der Schrift
3. Kapitel: Die Einheit der Bibel

Vierter Teil: Zeugnisse über die Inspiration der Heiligen Schrift

Fünfter Teil: Die Autorität der Schrift
1. Kapitel: Die übernatürlichen Wesenszüge der Schrift
2. Kapitel: Die Autorität der Schrift

– Der hier vorliegende Text wurde von mir gekürzt. Er ist dennoch recht ausführlich geblieben. Auch wegen der gründlichen Arbeit des Autors unter Anführung zahlreicher Bibelstellen, und wegen der grossen Bedeutung dieser Fragen in unserer heutigen Auseinandersetzung. Am Respekt vor der Autorität der Heiligen Schrift entscheidet sich auch heute noch Wohl und Wehe des Christentums. Das komplette Buch ist erhältlich zB bei amazon.de.
Die Hervorhebungen im Text sind von mir. Horst Koch, Herborn, im November 2012 –

 

Vorwort

Meine Lippen sollen dich loben, denn du lehrst mich deine Gebote. Meine Zunge soll singen von deinem Wort! (Ps. 119, 171)

Eine der wichtigsten Fragen, vor die sich der Christ gestellt sieht, ist die nach der Inspiration und nach der vollen Gültigkeit der Bibel. Es ist klar, daß die Wahrheiten, die Gott, Christus und das Heil betreffen, für ihn die größte Bedeutung haben. Aber wie können wir diese Wahrheiten kennenlernen, wenn nicht allein durch die Schrift? Deshalb hat man die Inspiration der Bibel den Ersten der Lehrsätze genannt: Wenn sie wirklich von Gott ist, mit seiner Vollmacht ausgestattet und dem Menschen voll zugänglich gemacht, beruht die ganze offenbarte Religion auf fester Grundlage. Wenn an der Inspiration gezweifelt oder wenn sie nur teilweise anerkannt wird, je nach der Erfahrung oder Meinung des Lesers oder des Predigers, dann wankt alles. Wenn man einem großen Teil des Textes gegenüber Mißtrauen hegt, verwirft man nicht nur das Zeugnis der biblischen Verfasser und das von Christus selber, man bezweifelt auch ihre Wahrhaftigkeit und sittliche Zuverlässigkeit.

Mehr als je wird in der Theologie heute um diese Frage gekämpft. Schon der erste Angriff des Versuchers untergrub Gottes Wort: “Sollte Gott wirklich gesagt haben … ?” (l. Mose 3,1). Dennoch haben während langer Zeit die Kirchen und die Synagoge die Bibel für das gehalten, was sie selber zu sein beansprucht: das Wort Gottes. Seit zwei Jahrhunderten werden die Angriffe gegen die Schrift immer heftiger. Wir nähern uns sichtlich dem Zeitalter, von dem Paulus spricht: “Jede (heilige) Schrift ist von Gott eingegeben … Verkündige das Wort … Denn es wird eine Zeit kommen, wo sie die gesunde Lehre nicht ertragen werden, sondern sich nach ihren eignen Begierden Lehrer in Menge verschaffen werden, um sich die Ohren kitzeln zu lassen, und von der Wahrheit werden sie die Ohren abwenden, dagegen frei sich zu den Fabeln hinwenden” (2. Tim 3,16; 4,2‑4).

Alles läuft auf die Frage nach der Wahrheit hinaus. Sagen wir mit Christus: “Dein Wort ist die Wahrheit” (Joh 17,17) oder sprechen wir mit Pilatus: “Was ist die Wahrheit?” (18,38) ?

Das Ziel dieses Buches besteht darin, zuerst zu prüfen, was die Bibel selber über die Offenbarung und ihre Eingebung aussagt; dann untersuchen wir genau, was Christus und die Kirche im Lauf der Jahrhunderte von ihr bezeugten, und schließlich geben wir einen Uberblick über einige sie betreffende Auffassungen. Möchte die wunderbare Wahrheit der Schrift den Lesern dieses Buches so klar erscheinen, daß für sie gelten mag, was Paulus einst den Thessalonichern schrieb:

“Wir danken Gott unablässig, daß ihr das von uns gepredigte Wort Gottes, als ihr es empfingt, aufgenommen habt nicht als von Menschen, sondern wie es in Wahrheit ist, als Wort Gottes, das in euch, den Gläubigen, auch wirksam ist” (l. Thess 2,13).

 

Erster Teil:  DIE OFFENBARUNG

 

I. Warum ist eine Offenbarung notwendig?

Der Mensch ist auf Erden in einer höchst merkwürdigen Lage. Mit logischem Verstand begabt, scheint er dafür bestimmt zu sein, den eigentlichen Sinn seines Daseins, den Ursprung des Weltalls und die Person seines Schöpfers zu erfassen.

Aber in Wirklichkeit ist er von undurchdringlichen Geheimnissen umgeben. Sich selber überlassen, ist er unfähig, auf jene Fragen zu antworten, die ihn am meisten angehen: Woher stammt er? Warum ist er dem Leiden und dem Tode ausgeliefert? Was wird nach dem Tode kommen: Vernichtung, Gericht oder ewiges Leben? Wird er je das Glück und den Frieden finden? Vor allem, gibt es einen Gott? Wenn ja, warum ist er so ferne von uns, und wie können wir ihm begegnen?

Alle Religionen und alle Philosophien bezeugen das leidenschaftliche Verlangen des Menschen, die Wahrheit zu erforschen und Gott zu erkennen. Aber man muß eingestehen, daß die Ergebnisse dieses Suchens enttäuschend, ja erschütternd sind: Wie viele unvollkommene, nach dem Menschenbild gestaltete Götter und wie viele verwickelte, oft widersinnige Systeme sind aufgestellt worden, die sich gegenseitig bekämpfen! Selbst die moderne Wissenschaft, auf die wir so stolz sind, erschließt uns nicht die letzten Rätsel des Weltalls. So haben gewisse Weltraumflieger, die durch den materiellen Raum flogen, naiv festgestellt, sie hätten niemand darin angetroffen.

Nur durch eine Offenbarung von oben gelangt der Mensch zur wahren Erkenntnis, und dies vor allem aus folgenden beiden Gründen!

a) Gott ist seinem Wesen nach dem Geschöpf unzugänglich. Seine Allmacht, seine Zeitlosigkeit, seine unbedingte Vollkommenheit sind ihrer Beschaffenheit nach für unsern beschränkten Geist nicht zu fassen. Sagt er nicht selber: “So hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege und meine Gedanken höher als eure Gedanken” (Jes 55,9) ? So ruft der Prophet aus. “Du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, und Erretter.” (Jes 45,15). Es ist klar, daß, wenn der Mensch das höchste Wesen in seiner Ganzheit erfassen könnte, er selber Gott wäre.

Aber der Herr ist geneigt, sich zu offenbaren. Er schuf den Menschen nach seinem Bilde, um ein Gegenüber zu haben, das ihm antworte, das ihn kenne, ihn liebe und verherrliche. Im Garten Eden genoß Adam die unmittelbare Gegenwart Gottes und lebte glücklich in seiner Gemeinschaft. Gott fand Gefallen daran, unter den Menschenkindern zu sein (Spr 8,31), und dieser Zustand hätte, ohne Unterbrechung, zur ewigen Vollendung führen können.

b) Durch seinen Sündenfall hat der Mensch die Fühlung mit Gott unterbrochen. Aus dem Paradies vertrieben, bleibt er künftig in einem Zustand des geistigen Todes (l. Mose 2,17; 3,24; Eph 2,1.5) und der Verblendung. Er erkennt nicht “die Dinge des Geistes, denn sie sind Torheit für ihn; er kann sie nicht erkennen, weil sie geistlich beurteilt werden müssen” (l. Kor 2,14). Diejenigen, die verloren gehen, “sind in ihrem Verstand durch den Herrn der Welt geblendet, damit sie nicht schauen können die Erleuchtung durch das Evangelium von der Herrlichkeit Christi” (2. Kor 4,4). Der sündige, nicht wiedergeborene Mensch kann das Reich Gottes weder schauen, noch in dasselbe hineinkommen. Dazu muß er wiedergeboren werden durch die Offenbarung von oben. Denn “was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und keinem Menschen ins Herz emporgestiegen ist, das alles hat Gott denen bereitet, die ihn lieben” (1. Kor 2,9‑10).

 

II. Kann oder will Gott sich dem Menschen offenbaren?

Oder anders gefragt: Besteht überhaupt eine Möglichkeit der Offenbarung? Gewisse Philosophen haben sie verneint, indem sie sagten: Wie sollte das Unendliche sich dem Endlichen, der Schöpfer sich dem Geschöpf mitteilen können? Konnte die unbedingte Wahrheit in den relativen Begriffen der menschlichen Sprache ausgedrückt werden?

Sehen wir nicht Tag für Tag, wie ein Vater seinen Knaben belehrt, Wort um Wort, indem er seine Ausdrucksweise dem Fassungsvermögen des Kindes anpaßt? So berichtet auch ein Reisender über das Unbekannte, indem er vom Bekannten ausgeht. Gott handelt auf gleiche Weise, wenn er sich zu uns herabläßt, um uns seine Wahrheit in verständlicher Weise mitzuteilen. “Ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht tut es der andern kund. Diese Sprache und Rede ist allen verständlich; es gibt niemand, der diese Stimme überhören kann. Ihr Klingen geht aus durch alle Lande.” (Ps. 19,3).

Unterstreichen wir noch einen andern wichtigen Umstand: Offenbarung kann nur ein Handeln Gottes sein. Die innersten Gedanken eines Menschen können nur von ihm selber aufgedeckt werden (l. Kor 2,11). So kann auch erst recht nur der Geist Gottes uns die Geheimnisse der Gottheit erschließen. Könnte der Mensch selber sie erforschen und erklären, so wäre er Gott gleich. Denn ihrer Natur nach sind die Gedanken Gottes unendlich höher als die unsern. Mit Recht hat Irenäus gesagt: “Der Herr lehrt uns, daß niemand Gott kennt, wenn er nicht von ihm selber gelehrt wird: also bleibt Gott ohne Gott unbekannt.”

Indem der Agnostiker an der Möglichkeit einer Offenbarung zweifelt, stellt er damit beides in Frage: die Fähigkeit des Menschen, Gott zu erkennen, und die Fähigkeit Gottes, sich zu offenbaren.

Diese letzte Feststellung würde gleich viel bedeuten wie Gott zu leugnen. Denn der Gedanke der göttlichen Offenbarung ist mit Gottes Dasein aufs engste verbunden. Wenn Gott nämlich da ist, kann erwartet werden, daß er sich offenbart, und zwar in übernatürlicher, unfehlbarer Weise. Jeder Mann wünscht mit seinem Kinde zu sprechen. Warum sollte Gott nicht wünschen, mit den nach seinem Bilde geschaffenen Wesen zu verkehren, die fähig sind, auf sittlicher, geistiger und geistlicher Ebene mit ihm in Beziehung zu treten? Und wenn er schon spricht, was anderes sollte er übermitteln als die Botschaft der Wahrheit und der Liebe, die sein Wesen ausmachen? Der ferne Gott der Deisten, welcher schweigsam und seinen Geschöpfen gegenüber gleichgültig irgendwo thront, ist ein unvollkommener Gott. Er verdient nicht, Gott genannt zu werden, denn die größte Vollkommenheit fehlt ihm: die Liebe.

Was soll man sagen zur Behauptung, der Mensch sei unfähig, Gottes Stimme zu vernehmen? Auch dies würde heißen, Gott zu leugnen. Wie ‑, der dem Menschen das Ohr geschenkt hat, um die zarten oder mißklingenden Geräusche der Erde zu vernehmen, der in unserm Herzen den Gedanken und die Sehnsucht der Ewigkeit verwurzelt hat, (Pred 3,11), der vermöchte nicht, den Menschen auch die Stimme des Himmels vernehmen zu lassen?

Das Geschöpf kann nur leben, soweit es in Beziehung zum Schöpfer da ist, und der gefallene Mensch ist nur durch die Offenbarung des Allmächtigen gerettet: “Das ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen” (Joh 17,3).


III. Die beiden ersten umfassenden Offenbarungen

Der Gott der Macht und der Liebe will seinen Geschöpfen bekannt und von ihnen geliebt werden. Er neigt sich zu ihnen herab und bezeugt sich so, daß sie es verstehen können. Schon vor dem Sündenfall hatte er zwei besonders eindrückliche Offenbarungen von seiner Person und seinen Eigenschaften gegeben.

1. Gottes Offenbarung in der Natur

Paulus sagt: “Was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar, (den Menschen ‑ die Götzen anbetenden Heiden eingeschlossen); denn Gott hat es ihnen geoffenbart. Sein unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, ist seit Erschaffung der Welt, wenn man es in den Werken betrachtet, deutlich zu sehen, damit sie keine Entschuldigung haben, deshalb, weil sie Gott zwar kannten, ihm aber doch nicht als Gott Ehre und Dank erwiesen” (Röm 1, 19‑21).

Diese Offenbarung in der Natur ist so überwältigend, daß sie jeden aufrichtigen Menschen dazu führt, seine Nichtigkeit gegenüber der Schöpfung und dem Schöpfer zu spüren. “Wenn ich schaue deine Himmel und das Werk deiner Finger…, was ist doch der Mensch, daß du seiner gedenkst?” (Ps. 8,4.5).

Wir erkennen gleichzeitig die Allmacht, die Weisheit, die vor­sehende Liebe und die Zeitlosigkeit des Schöpfers aller Dinge. “Gott, der den Himmel gemacht hat und die Erde und das Meer und alles, was darin ist, hat in den vergangenen Zeiten alle Heiden ihres Weges gehen lassen; und doch hat er sich nicht unbezeugt gelassen als Wohltäter, indem er euch vom Himmel herab Regen und fruchtbare Zeiten gab, wodurch er eure Herzen mit Speise und Freude erfüllte” (Apg 14,15‑17). Dieser Gott wollte, daß alle Menschen suchten, ob sie ihn wohl spüren und finden möchten, da er doch nicht fern ist von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir” (Apg 17,27). Nur der Unverständige behauptet, die Welt habe sich allein selbst gemacht.

Sogar Voltaire sagte: “Die Welt bringt mich in Verlegenheit; ich mag nicht daran denken, daß diese Uhr besteht und daß es keinen Uhrmacher gäbe.”

Dazu äußert sich P. E. Hughes im wesentlichen folgendermaßen:

“Der Wissenschaftler geht von der Annahme aus, daß das Weltall und die Natur zusammenhängen und daß die Entdeckung des einen ‘Gesetzes’ logischerweise zu einem anderen führt. Die Wissenschaft kann als solche nur bestehen, wenn die Natur ein geordnetes Ganzes, ein All darstellt, und nicht ein Durcheinander von vereinzelten Tatsachen, die unabhängig voneinander und sinnlos sind. Der Gelehrte weiß, daß die wahrgenommenen Tatsachen ihn zu irgendeinem Schluß führen. Er weiß, daß er selber geschaffen wurde, daß die Welt einem göttlichen Plan und Ziel entspricht. Wer diese innere, angeborene Überzeugung ablehnt, verzichtet darauf, sich selber zu erkennen. Die Auffassung, die Welt sei Gottes Werk, ist dem, der nach seinem Bild geschaffen ist, zutiefst eigen.

Wir haben eben festgestellt, daß die Offenbarung dieser großen Wahrheiten vor eines jeden Auge in der Schöpfung sichtbar ist, und daß alles um uns herum davon zeugt. Aber die gefallenen Menschen weigern sich, gerade diese Offenbarung anzuerkennen. Durch die Sünde verblendet, ‘halten sie die Wahrheit gefangen … Obwohl sie Gott erkannten, haben sie seine Herrlichkeit nicht als göttlich anerkannt … Sie haben sich in ihren Gedanken verirrt … Da sie wähnten, weise zu sein, sind sie Toren geworden’ (Röm 1,18‑22). Um menschliche Weisheit und Philosophie bemüht, widmen die Menschen ihre Verstandes‑ und Geisteskräfte der unabsehbaren Suche nach der Wahrheit, während von jeher die Wahrheit ihnen vor Augen lag, so klar wie es um Mittag die Sonne ist. Der Mensch hat buchstäblich die Wahrheit Gottes in Lüge verkehrt, indem er das Geschöpf verehrt und ihm dient, statt dem Schöpfer (V. 25). Das gilt nicht nur in bezug auf den Götzendienst der primitiven Heiden, sondern auch auf unsere Kultur, die den Menschen zu ihrem Mittelpunkt erhebt.

In der Hauptsache krankt jedes Denken des nicht wiedergeborenen Menschen an folgendem grundlegenden Widerspruch: Neben dem Grundprinzip des Verstandes, das die Voraussetzung für jegliches logische Denken ist, führt es ein nicht verstandesgemäßes Prinzip ein. Der Mensch kennt die Wahrheit über die Allmacht des göttlichen Schöpfers und über die in seinem Wollen begründete Schöpfungsordnung. Diese Wahrheit allein ermöglicht ein verstandesmäßiges und wissenschaftliches Verstehen der Welt. Gleichzeitig verwirft der Mensch diese Wahrheit aus einer irrationalen Ursache. Da er keinen Gott über sich haben will, der über ihn herrscht, zieht er es vor, die Tatsachen der Welt lieber in einer menschbezogenen als auf Gott ausgerichteten Philosophie auszulegen. Er gibt lieber Menschen die Ehre als Gott. Durch diesen heillosen Zwiespalt in seinem innersten Wesen sind die höchsten menschlichen Fähigkeiten wie gelähmt worden. Daher rührt der Mißerfolg aller menschlichen philosophischen Systeme, wie großartig sie auch scheinen mögen. Weil sie auf einem Widerspruch aufgebaut sind, müssen sie fragwürdig bleiben und sich gegenseitig bekämpfen” (P. E. Hughes, Scripture and Myth, Tyndale Press, London 1956, S. 21‑24).

Immerhin muß gesagt werden, daß seit dem Sündenfall die Offenbarung durch die Natur unvollständig ist. Sie bezeugt die Macht, die Voraussicht und Zeitlosigkeit Gottes; aber sie sagt nicht klar genug, wie seine Person beschaffen ist, welches seine Heiligkeit, seine Gerechtigkeit, seine Retterliebe und sein ewiger Heilsplan uns gegenüber sind. Darüber wird man belehrt, wenn man die verworrenen, widerspruchsvollen Folgerungen betrachtet, zu denen auf dieser Grundlage die alten Babylonier, die Ägypter, die Römer, aber auch die Muslime, die Hindu, die Buddhisten, wie die wesentlichen Humanisten und Rationalisten gelangt sind. Die Menschheit bedurfte also unausweichlich noch anderer Quellen der Erleuchtung.

2. Gottes Stimme im Gewissen

Zu dem Zeugnis der Natur, von außen, kommt für den Menschen noch dasjenige von innen, in seinem Gewissen, hinzu. Paulus sagt darum: “Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur tun, was das Gesetz enthält, so sind diese, die das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz; sie geben zu erkennen, daß das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist, indem auch ihr Gewissen dies bezeugt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch verteidigen. Das wird offenbar werden an dem Tage, da Gott das Verborgene des Menschen richten wird, nach meinem Evangelium, durch Jesus Christus” (Röm 2,14‑16).

Gott hat dem Menschen einen sittlichen und geistlichen Sinn mitgegeben. Die großen Richtlinien des göttlichen Gesetzes sind seinem Herzen eingeprägt: er ermißt den Vorrang des Guten und freut sich, ihm zu dienen; er erkennt das Böse, das wider den göttlichen Willen streitet, fühlt sich schuldig, sucht wiedergutzumachen, im Bewußtsein seiner Verantwortung gegenüber Gott. Bekanntlich kann man sein Gewissen vergewaltigen und zum Schweigen bringen. Ein einzelner oder ein Volk kann sich von diesen Ur‑Gesetzen entfernen. Ein Rest bleibt immer übrig. Das Gewissen eines vom Leben noch nicht verhärteten Kindes empfindet am lebhaftesten. Es wird sofort ein Gefühl der Sünde haben, auch wenn es sich um verhältnismäßig geringen Ungehorsam, Diebstahl oder um eine Lüge handelt. Aus diesem Grunde haben alle Völker der Erde ein Verlangen nach Sühne. Auf verschiedene Arten geben die menschlichen Religionen der Schuld des Menschen, der die Gottheit verletzt hat, Ausdruck. Es gibt ihrer ganz wenige, die nicht das blutige Opfer eines geschlachteten “Sündenbockes” anstelle des Schuldigen verlangen. Wir glauben, daß der allgemein bekannte Gedanke “ohne Blutvergießen keine Vergebung” nicht so von ungefähr ins Gewissen der Menschen trat. Das war die Folge einer ursprünglichen Offenbarung an die ersten Menschen nach dem Sündenfall. Adam und Eva bedeckten ihre Blöße mit den Fellen von Tieren, die sie ohne Zweifel getötet hatten (vgl. 1. Mose 3,21 und 1,29). Abel wurde gerecht gesprochen durch das Opfer der Erstgeburten seiner Herden und durch ihr Fett (l. Mose 4,4; Hebr 11,4); Noah brachte Gott Brandopfer dar, sobald er die Arche verließ, usw.

Dem Sinne nach sollte jeder Mensch, durch die Offenbarung der Natur und diejenige des Gewissens belehrt, bereit sein, das Heil zu empfangen: seine eigne Nichtigkeit und die Größe des wunderbaren Weltalls erkennend, sollte er den unsichtbaren Schöpfer anbeten. Er zittert gleichzeitig vor ihm, denn sein Gewissen klagt ihn an, da ja kein Irdischer alle seine Verpflichtungen erfüllte. Mehr oder weniger direkt sucht er eine Errettung. Wenn er diese selber vollbringen will, wird er sich einer der unzählbaren menschlichen Religionen anschlie­ßen, die dem Menschen das Heil durch den Menschen versprechen. Ist er aber vom Geist Gottes erfüllt und von seiner Unfähigkeit, das Böse zu meiden und das aufgetragene Gute durchzuführen, überzeugt, so wird er dankbar und erleichtert die Botschaft des Retters, welche die ganze Bibel erfüllt, die geschriebene Offenbarung, annehmen. Wir kennen Beispiele solcher Haltung beim Kämmerer aus Äthiopien und beim Hauptmann Cornelius (Apg 8,27‑38; 10,1-48). Auf allen Missionsfeldern hat man Persönlichkeiten begegnen dürfen, die beim ersten Anhören des Evangeliums dieselbe Bereitschaft bewiesen. Leider sind dies seltene Ausnahmen. Weitaus die meisten Menschen achten nicht auf diese beiden mächtigen Stimmen der Natur und des Gewissens. Die sogenannten primitiven Heiden vertauschen den Schöpfer mit falschen Göttern, Götzen, Götzenbildern oder Tieren. Die aufgeklärten modernen Heiden verehren auf alle Arten und vergöttern stolz den Menschen und werden eines Tages dem Übermenschen, dem Antichrist zujubeln (Röm 1,21‑25; 2. Thess 2,3). Da sie ihr gutes Gewissen einbüßten, weichen sie dem wahren Gott aus (l. Tim 1,19). Darum nennt Paulus sie unentschuldbar (Röm 1,20); sie sind verloren und verdienen Gericht. Aber Gott liebt sie dennoch und hat ihnen seinen Sohn gesandt, gerade um sie von diesem Untergang zu retten. Um uns seine Retterliebe zu beweisen, gab uns Gott eine dritte Offenbarung, diejenige der Bibel, welcher diese Seiten gewidmet sind.

Kann ein Heide, der nur die Offenbarung der Natur und des Gewissens erhielt, das Heil erlangen?

Paulus erklärt ausdrücklich, daß jeder nach der empfangenen Erkenntnis beurteilt wird. “Alle diejenigen, die ohne das (geschriebene) Gesetz sündigten, werden ohne Gesetz verlorengehen, und alle, die unter dem Gesetz sündigten, werden nach diesem gerichtet werden” (Röm 2,12). Wir haben gesehen, daß die Offenbarung der Natur und des Gewissens genügt, um zur Anbetung und zur Buße zu leiten, aber auch zur vollen Verantwortung der Heiden zu führen. Der gerechte und allwissende Gott weiß genau, ob ein aufrichtiger, aber unbelehrter Mensch das Angebot des Heils angenommen oder abgelehnt hätte, wäre es ihm gezeigt worden. Christus ist für die Sünden der ganzen Welt gestorben, für diejenigen, die vor seinem Kommen begangen wurden, wie für die, welche nachher und an Orten getan wurden, wo das Evangelium noch nicht verkündigt wurde (Röm 3,25). Der Herr wird wissen, wie er in seiner Liebe und Gerechtigkeit jeden Sünder richten will.

Das entbindet uns, die wir das Vorrecht der göttlichen Erleuchtung haben, nicht von der Pflicht, das Evangelium aller Kreatur zu bringen. Wie viele “aufrichtige Heiden” werden unter denen sein, die in furchtbarer Finsternis leben? Ihre Körper sind befleckt, ihre Gewissen mißleitet, ihre Herzen den bösen Geistern ausgeliefert. Beeilen wir uns, ergriffen von Mitleid wegen ihrer Leiden und ihres geistlichen Elends, ihnen die Bibel, die wunderbare Botschaft des Retters zu bringen. Wie könnten wir dem Urteil entrinnen, vernachlässigten wir es, ihnen ein so herrliches Heil zu vermitteln?

 

IV. Könnte der Verstand wohl ein selbständiges Mittel sein, um zur Erkenntnis Gottes zu gelangen?

Ist die Vernunft nicht eine herrliche Gabe für den Menschen, die ihm erlaubt, alle Dinge zu erwägen und zu ermessen? Wenn er die Natur um sich herum, das Gewissen in sich selbst hat, kann er nicht, ohne weitere Offenbarung, allein durch sein Denken zur vollen Erkenntnis gelangen? Viele meinen tatsächlich, der Mensch könne die wesentlichen Wahrheiten seines irdischen Daseins und seiner ewigen Bestimmung erkennen, ohne dazu übernatürliche Hilfe nötig zu haben. Es dürfte übrigens recht schwierig sein, in unsern Ländern den Verstand ganz von der Offenbarung zu trennen, denn letztere hat bis ins Innerste unsre sogenannte christliche Kultur durchtränkt. Wenn man von den beiden erwähnten Offenbarungen absieht (Natur und Gewissen), genügt es wirklich, einen Blick auf ganze Völker oder auf einzelne zu werfen, die ihrer eigenen Vernunft überlassen sind, um zu erkennen, wie armselig die Natur und das Denken des Menschen sind.

Wie wir gesagt haben, ist der Mensch nach dem Sündenfall, von Gott getrennt, durchseucht vom Bösen. Er ist nicht mehr das vollkommene Wesen nach dem Bilde Gottes. Sein Herz kann abscheuliche Gefühle nähren, sein Wille ist schwach und widerspenstig, sein Leib geht unfehlbar mit jedem Tag dem Grab entgegen. Auch sein Verstand, der so viel Feines leisten kann, fehlt und irrt doch oft.

Paulus sagt von den überfeinerten Menschen seiner Zeit (die es auch heute gibt): “Sie verfielen eitlem Wahn, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. Während sie vorgaben, weise zu sein, wurden sie zu Toren” (Röm 1,21‑2). “Der natürliche Mensch Gottes (nicht wiedergeboren) nimmt die Dinge, die des Geistes sind, nicht an; denn Torheit sind sie ihm, und er kann sie nicht erkennen, weil sie geistlich beurteilt werden müssen.” Der geistliche Mensch hingegen empfängt durch Offenbarung die Gedanken von Jesus selber (l. Kor 2,14‑16). Der Apostel ist nicht nachsichtig gegenüber der menschlichen Weisheit, die er als Torheit betrachtet (l. Kor 1,19). “Sehet zu, ob euch jemand (des Glaubens) berauben will durch die Weltweisheit, gestützt auf die Überlieferung der Menschen, nämlich auf die Naturmächte der Welt und nicht auf Christus” (Kol 2,8). Veranlaßt uns eine solche Erklärung nicht, die ganze sogenannte christliche Theologie, in die so viele philosophische und verstandesmäßige Elemente eingedrungen sind, neu nach der Bibel durchzudenken?

Es tritt jedenfalls deutlich zu Tage, daß weder die Natur noch das Gewissen und ebensowenig der Verstand Gott klar genug offenbaren; der einzige Weg zur persönlichen, wahrhaftigen Erkenntnis Gottes ist die Offenbarung, die er uns durch seinen Geist gewährt.

 

V. Wie seit dem Sündenfall die Offenbarung stufenweise erfolgte

Sofort nach dem Ungehorsam unsrer Ahnen unternimmt der Herr die Verwirklichung seines Heilsplanes. Nach der Bibel ist es nicht der Mensch, der nach dem wahren Gott fragt (Röm 3,11). Der Anstoß geht immer vom Herrn aus, der unermüdlich die verirrten Schafe sucht. Da das ewige Leben darin besteht, den wahren Gott und den, welchen er gesandt hat, Jesus Christus, zu erkennen, setzt er alles daran, dem Menschen nicht nur seine Wohltaten, sondern seine Person selber zu schenken. “Seine göttliche Macht hat uns alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns vermöge seiner Herrlichkeit und Vollkommenheit berufen hat” (2. Petr 1,3). Ein Unternehmen solchen Umfanges wird in mannigfach fortschreitender Weise erfolgen. Die wichtigsten Stufcn sind folgende:

1. Die Gotteserscheinungen sind häufig in den ersten Büchern der Bibel. Gott erscheint direkt oder in der Gestalt des Engels des Herrn, zum Beispiel:

Abraham (l. Mose 17,1.22; 18,1 usw.)
Isaak (l. Mose 26,2)
Jakob (l. Mose 32,30)
Mose (2. Mose 3,2‑6; 33,11)
Gideon (Ri 6,12.14‑18 usw.)

Man hat sich gefragt, ob dieser Engel des Herrn, der Gott vertritt, nicht eine vorübergehende Vorausnahme von Jesus Christus selber sei. Der eine Sohn kann ja allein Gott zeigen (Joh 1.18). In 2. Mose 23,20‑21 sagt der Herr von diesem Engel, der von allen andern verschieden ist: “Mein Name ist in ihm.” Dieser sprach mit Mose auf dem Sinai (Apg 7,38) und rettete Israel aus allen seinen Nöten (Jes 63,9).

2. Gott sandte Träume und Gesichte (4. Mose 12,6), zum Beispiel:

Jakob (l. Mose 28,12‑16)
Salomo (l. Kön 3,5‑15)
Daniel (Dan 2,19.28; 7,1; 10,7‑8)
Joseph, Gatte der Maria (Mt 1,20; 2,13) usw.

3. Unmittelbare Begegnungen, ohne daß eine besondere Erscheinung genannt wäre. Gott kam zu Bileam (oder: Gott kam Bileam entgegen, 4. Mose 22,9; 23,4).

4. Die Wunder und Zeichen lassen den Menschen aufmerken und zeigen ihm Gottes erhabene Größe, Heiligkeit, Gegenwart und Wirksamkeit:

Das Gericht der Sintflut und die Rettung von Noah (l. Mose 6‑9)
Die Zerstörung Sodoms und die Beschützung von Lot (l. Mose 19)
Der brennende Dornbusch, die Plagen Ägyptens
Die Wolkensäule, die Befreiung Israels (2. Mose 3‑15)
Die Wunder in der Wüste (4. Mose) und der Einzug in Palästina (Josua) usw.

Je weiter wir lesen im Alten Testament, desto geistiger werden die Offenbarungen, desto mehr nach innen verlagert. (Die gleiche Entwicklung erfolgt auch von den Evangelien und dem Anfang der Apostelgeschichte zu den Briefen.)

5. Die Propheten. Gott hat sich den für seinen Dienst auserwählten Werkzeugen offenbart und schickt sie zum Volk, daß sie ihm sagen, was sie vernommen haben. Weniger wichtig ist es, daß er zu dem Propheten, als daß er durch ihn spricht. Übrigens heißt das hebräische Wort nabbi (Prophet), der Herold, Verkünder.

Der erste dieser großen Boten ist Mose, der das Gesetz offenbart. Er erklärt zuerst, er sei für einen solchen Auftrag unwürdig und unfähig: aber Gott antwortet ihm: “Wer hat den Mund des Menschen geschaffen? … Bin nicht ich es, der Herr? So gehe nun hin, ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst” (2. Mose 4,10‑12). Dann kündigt er deutlich die ganze Reihe der Propheten an, die von Mose bis zu Jesus Christus gehen wird: “Einen Propheten wie dich will ich ihnen aus der Mitte ihrer Brüder erstehen lassen und ihm meine Worte in den Mund legen, und er soll ihnen alles kundtun, was ich ihm gebieten werde” (5. Mose 18,18).

Gesichte und Worte gehen oft ineinander über. Das Buch des Amos beginnt folgendermaßen. “Worte, Gesichte, die er über Israel erhielt” (1,1). Einst nannte man den Propheten Seher (l. Sam 9,9) und das Merkmal der falschen Propheten bestand gerade darin, daß sie nichts sahen (Hes 13,3).

Die Propheten waren unter der Wirkung des Geistes Gottes. Nur er gibt dem Menschen die Vollmacht zu prophezeien (4. Mose 11,25.29; 1. Sam 10,6.10). Indem er davon spricht, wie Gott Israel gerufen hat, sagt Nehemia: “Du unterweisest sie durch deinen Geist, durch seine Propheten, und doch hören sie nicht darauf ” (Neh 9,30; Sach 7,12). Hesekiel erklärt, daß Gottes Hand auf ihm lag, daß sie kräftig auf ihn einwirkte, daß der Geist ihn aufhob, daß er in ihn eintrat und ihn auf die Füße stellte (Hes 1,3; 3,14; 22,24). Micha sagt, er sei mit Kraft und mit dem Geist des Herrn erfüllt worden, um seine furchterregende Botschaft auszurichten (3,8). Und Petrus bestätigt, daß die Propheten, vom Heiligen Geist erfüllt, an Gottes Statt gesprochen haben (2. Petr 1,21).

Das Amt dieser Männer erhielt noch größere Bedeutung in Israel, nachdem die direkte Gottesherrschaft verworfen und das Königtum eingeführt wurde (l. Sam 9,7). Gott bleibt niemals ohne Zeugen; er fuhr fort, durch solchen Auftrag ständig zu seinem Volk zu sprechen, wie Amos es ausspricht: “Der Herr tut nichts, er offenbare denn seinen Ratschluß den Propheten, seinen Knechten” (Amos 3,7). Die Aufgabe der Letzteren war es auch, die nächste Stufe der Offenbarung vorzubereiten: die Erscheinung und das Erlösungswerk des Messias.

6. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus

Alle früheren Kundgebungen waren nur mittelbar und unvollständig. Wohl sprachen sie vom wahren Gott, gewiß; aber er war noch weit entfernt und unsichtbar; oder aber sie gewährten nur einen kurzen Kontakt, eine zwar nützliche, aber bestürzende Erscheinung oder Botschaft, die notgedrungen ein Bruchstück blieb. Der geistvollste der Propheten, Jesaja, fühlt dieses Ungenügen so stark, daß er ausruft. “Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, der Gott Israels, ein Erretter! … Warum lässest du uns abirren, o Herr, von deinen Wegen? … Oh, daß du den Himmel zerrissest und führest herab!” (Jes 45,15; 63,17; 64,1). Und derselbe Prophet gibt auch die Antwort auf den Notschrei der verlorenen Menschheit. “Seid getrost! Fürchtet euch nicht! Siehe da, euer Gott… er selbst kommt und hilft euch” (Jes 35,4).

Jesus Christus verkörpert Gott, er ist das Fleisch gewordene ewige Wort. Nicht nur bringt er eine neue Offenbarung, er ist sie selber. “Niemand kennt den Vater denn der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will” (Mt 11,27). Und Christus fügt hinzu: “Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen (Joh 14,9). Er besitzt die Fülle aller göttlichen Eigenschaften: Allmacht, unbedingte Heiligkeit, vollkommene Liebe, Allgegenwart, Allwissenheit (ausgenommen Mt 24,36, was seiner freiwilligen Niedrigkeit entspricht). Er ist uns gemacht zur “Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung” (l. Kor 1,30). “In ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig” (Kol 2,9).

Die Gotteserscheinungen sind nur wie ein Blitz in der Nacht gegenüber der Verkörperung dessen, der das Licht der Welt ist. Die Propheten haben der Reihe nach die Bruchstücke von Geheimnissen, die sie erfuhren, aufgeschrieben, wie der Herr sie ihnen freundlicherweise zuteilte. Aber zwischen Vater und Sohn sind keine Geheimnisse. Der Sohn ist selbst “das Geheimnis Gottes, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis” (Kol 2,3). Der Hebräerbrief faßt die Geschichte der Offenbarung folgendermaßen zusammen: “Nachdem Gott vorzeiten manchmal und auf mancherlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn” (Hebr 1,1‑2). Und mehr als je sind seine Worte Taten geworden in Jesus Christus: Durch das Opfer am Kreuz hat er in überwältigender Weise seine Liebe und seine Gerechtigkeit erwiesen, indem er unsre Sünden ganz sühnte. Dann hat er sein Versprechen des ewigen Lebens erfüllt, indem er den Sohn von den Toten auferweckte. Christus, die volle Kundgebung Gottes, ist somit nicht nur das Ende des Gesetzes (Röm 10,4), sondern auch dasjenige der Offenbarung. Er ist auch ihr Mittelpunkt, da sein Geist alle Prophezeiung eingibt (l. Petr 1,11; Offb 19,10) und da wir bis in alle Ewigkeit der Offenbarung Jesu Christi beiwohnen werden (Offb 1,1).

7. Die Schrift

Alle die aufgezählten Offenbarungen sind Personen oder Geschlechtern zuteil geworden, die heute verschwunden sind. Was wüßten wir von den empfangenen Erleuchtungen, den gemachten Erfahrungen, den vollbrachten Befreiungstaten, wenn sie nicht in einem von Gott eingegebenen Buch ihren endgültigen Niederschlag gefunden hätten? Zuerst wurde das Gesetz mitgeteilt für das Volk, das berufen war, Gottes Aussprüche zu empfangen. Dann schrieben die Propheten ihre glühenden Botschaften nieder. Darauf folgte die Lehre Christi und der Apostel. Wir wollen nun untersuchen, wie die göttliche Sendung aufgenommen, festgelegt und übermittelt wurde.

 

Zweiter Teil:  DAS WORT

Erstes Kapitel
Das göttliche Wort

Bevor wir auf die Inspiration des geschriebenen Wortes eingehen, betrachten wir die Rolle, die das Wort an sich spielt.

I. Der Gott der Bibel ist ein sprechender Gott

Von der Schöpfung an, durch die ganze Geschichte seines Volkes, teilt er sich sprechend mit. Er spricht … und aus dem Nichts taucht das Weltall auf (l. Mose 1,3.6.9 usw.).

Johannes sagt in bezug auf Christus, der Menschengestalt annimmt, um uns zu retten, indem er uns Gott offenbart: “Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort … Und das Wort ward Fleisch” (Joh 1,1.14).

Der Herr, der Licht und Liebe ist, findet Wohlgefallen daran, sich seinen Geschöpfen mitzuteilen. Er gibt seinem Wesen, seinen Gedanken, seinem Willen, seinen Plänen Ausdruck. Er erklärt sein vergangenes und sein gegenwärtiges Werk; er kündet sein künftiges Wirken und den Endsieg an.

Unser Gott bleibt nicht stumm, wie die Götzen alter und neuer Zeit (l. Kor 12,2). Die Bibel ist voll beißenden Spottes in diesem Punkt: “Die da Gold aus dem Beutel schütten, sie bestellen einen Goldschmied, daß er daraus einen Gott mache, fallen nieder und beten an. Sie heben ihn auf die Schul­ter, tragen ihn hin und her und setzen ihn nieder an seinen Ort; da steht er nun und rührt sich nicht von der Stelle. Man schreit auch zu ihm, doch er antwortet nicht, hilft einem nicht aus der Not” (Jes 46,6.7).

Daß der Götze weder antwortet noch rettet, ist sein Kennzeichen. Auf dem Karmel hat Elia die Baalspriester herausgefordert, von ihrer Gottheit eine Antwort zu erhalten. “Sie riefen den Namen Baals an, vom Morgen bis zum Mittag, indem sie flehten: Baal, erhöre uns! Aber kein Laut, keine Antwort … Als es Mittag war, spottete Elia ihrer und sprach: Ruft doch lauter! Er ist ja ein Gott; vielleicht schläft er und wird dann aufwachen … Aber kein Laut, keine Antwort, keine Erhörung” (l. Kön 18,26‑29).

Der Herr hat nichts gemein mit dem kalten und abwesenden Gott der Philosophen. Er schweigt nicht aus Gleichgültigkeit oder Unfähigkeit. Wenn er aber schweigt, dann tut er es, weil gewichtige Gründe ihn dazu zwingen. In diesem Fall kommt sein Schweigen einem schrecklichen Gericht gleich:

Saul, der wegen wiederholten Ungehorsams verworfen war, “befragte den Herrn, aber der Herr gab ihm keine Antwort, weder durch Träume, noch durch das heilige Los, noch durch die Propheten” (l. Sam 28,6).

Gott sagt zu Jeremia, in bezug auf Israel: “Bete nicht für dieses Volk um Wohlergehen. Wenn sie fasten, höre ich nicht auf ihr Flehen” (Jer 14,11). Anderswo fügt er hinzu: “Auch wenn ihr noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voll Blut” (Jes 1,15).

Die Ungläubigen, die seiner spotten, ermahnt Gott: “Kehret euch zu meiner Rüge … Ich will euch meine Worte kundtun. Weil ich rufe, und ihr nicht wollt, . . so will nun auch ich bei eurem Verderben lachen … Als dann werden sie mich rufen, aber ich werde nicht hören; sie werden mich suchen, mich aber nicht finden” (Spr 1,23‑28).


II. Der Mensch, dem die Sprache gegeben ist, kann mit Gott sprechen

Da der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist, hat auch er die Möglichkeit, sich zu äußern. Sein Wort ist Antwort und Echo auf das göttliche Wort. Nur schon durch die Sprache ist der grundsätzliche, tiefe Unterschied zwischen Mensch und Tier dargetan. Sagen wir nicht von einem klugen Hund: “Es fehlt ihm nichts als die Sprache”? Sie ist das weitaus kostbarste Mittel der Mitteilung zwischen zwei Wesen. Wohl kann ich seine Person liebkosen oder schlagen, aber was bedeutet dies gegenüber dem Wort? Und was entbehren diejenigen, die nicht sprechen können!

Die Sprache kann die feinsten Regungen der Gedanken und Gefühle wiedergeben. Ihr ist eine Mannigfaltigkeit der Äußerungen eigen, der gegenüber die körperlichen Empfindungen grob und eintönig erscheinen. Sie ist der vollendetste Ausdruck der Persönlichkeit. Daher nimmt sie einen unvergleichlichen Platz ein in der Welt. Die Völker werden von Männern geführt, die willensstark und sprachgewaltig sind.

In gewissem Sinn wirkt das Wort mehr als die Tat, oder besser: es ist die eigentliche Quelle des Handelns. Unseren Gedanken, sprachlich gefaßt und mitgeteilt, entspringt unser Verhalten. Denn aus dem Innern, aus den Herzen der Menschen, folgen ihre guten und ihre schlechten Werke (Mk 7,21). Es ist also angezeigt von der schöpferischen Macht des Wortes zu sprechen. “Am Anfang war das Wort. .., alle Dinge sind durch dasselbe geworden” (Joh. 1,1.3). Das bedeutet, daß Gott, bevor irgend etwas bestand, seinen Gedanken und seinen Willen ausgedrückt hat. Durch sein Sprechen hat er gehandelt und sich kundgetan. Was den Menschen betrifft, so gibt er sich auch preis, indem er den Mund öffnet. Darum werden die “Menschen von jedem unrechten Wort, das sie gesprochen haben werden, am Tage des Gerichtes Rechenschaft ablegen müssen. Denn nach deinen Worten wirst du gerecht gesprochen werden und nach deinen Worten wirst du verurteilt werden” (Mt 12,36‑37).

Gott konnte kein besseres Mittel wählen, um mit uns zu verkehren.


III. Der göttliche Gebrauch des Wortes

1. Das ewige Wort. Da das Wort eine Äußerung des sich offenbarenden Gottes darstellt, ist es ewig im Himmel. Es war von Anfang an dabei (Joh 1,1). So hat Jesus auch im Blick auf die Zukunft sagen können: “Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen” (Mt 24,35). “Des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit” (l. Petr 1,25).

2. Das schöpferische Wort. “Gott sprach: Es werde Licht. Und das Licht war da” (l. Mose 1,3; das Wort “sagen” kehrt elfmal wieder in diesem Kapitel). “Im Glauben erfassen wir, daß die Welt durch das Wort Gottes gebildet wurde, so daß das, was man sieht, nicht aus sichtbaren Dingen entstand” (Hebr 11,3).

3. Gottes Wort im Alten Testament. Gott sprach ständig zu den Erzvätern (l. Mose 12,1 usw). Am Sinai läßt er den Klang seiner Worte, nur eine Stimme, ertönen, damit seine Offenbarung rein geistiger Natur bleibe (5. Mose 4,12). Der Hebräerbrief faßt folgendermaßen die ganze Wort‑Austeilung zusammen: “Gott hat zu vielen Malen und auf mancherlei Weise zu den Vätern durch die Propheten gesprochen” (Hebr 1,1). Unter allen Wundertaten ist sein Reden die wesentlichste.

4. Das Fleisch gewordene Wort. Andererseits ist das ganze Neue Testament im Kern enthalten in dem Satz: “Gott hat in diesen letzten Tagen zu uns gesprochen durch den Sohn” (Hebr 1,2). “Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns” (Joh 1,14). Jesus unterstreicht selber diese Tatsache beim Abschluß seines Wirkens unter den Jüngern. Ich habe ihnen die Worte gegeben, die du mir gegeben hast, und sie haben sie empfangen” (Joh 17,8).

5. Das Wort des Heiligen Geistes. Durch dasselbe sind die Jünger nach Pfingsten unterrichtet worden. “Der Geist der Wahrheit wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen” (Joh 16,13).

Tatsächlich sehen wir im Lauf der Apostelgeschichte, wie der Geist zu den Kirchen spricht: “Der Geist sagte zu Philippus: Geh…” (Apg 8,29). Der Heilige Geist ordnet an: Sondert mir Barnabas und Saulus aus zu dem Werk, zu dem ich sie berufen habe” (Apg 13,2).

Das Wort der Apostel wird dem Heiligen Geist zugeschrieben, wie seinerzeit dasjenige der Propheten (l. Petr 1,12; 2. Petr 1,21).


IV. Die Religion des Wortes

Die biblische Offenbarung, das Evangelium, ist eine frohe Kunde, die Verkündigung einer Botschaft. Das Christentum erweist sich als eine wesentlich auf das Wort gegründete Religion, in deren Mitte die göttliche Person ist und die sie betreffende Wahrheit. Es befindet sich damit auf rein geistiger Ebene. Im Gegensatz dazu sind die menschlichen Religionen alle auf zu vollbringende Leistungen abgestimmt, auf die auszuführenden Riten, auf die Anbetung und Vorführung von Statuen, auf kirchliche Organisation. Jesus erklärt uns mit wunderbarer Schlichtheit: “Wahrlich, ich sage euch, wer mein Wort hört und an den glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und er kommt nicht ins Gericht, denn er ist vom Tode zum Leben durchgedrungen” (Joh 5,24). “Die Worte, die ich euch gesagt habe, sind Geist und Leben” (Joh 6,63).

“Herr, wohin sollten wir gehen? Du hast die Worte des ewigen Lebens” (Joh 6,68).

 

Zweites Kapitel: Das geschriebene Wort

Wenn das Evangelium eine Religion des Wortes ist, so ist es auch diejenige eines Buches.

I. Notwendigkeit einer geschriebenen Offenbarung

Eine mündliche Mitteilung an einen Gottesmann, an ein Geschlecht, an ein auserwähltes Volk genügt noch nicht. Die Botschaft muß unbedingt schriftlich festgehalten sein.

Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, daß die Erfindung der Schrift zum größten Fortschritt in der Entwicklung der Kultur Anlaß gab. In der ganzen Menschheitsgeschichte gibt es kein Beispiel von einem Volk, das zu wirklicher Kultur und folgerichtigem Denken gelangt wäre ohne die Schrift. Der erste Schritt, den ein wilder Stamm tun muß, um vorwärts zu kommen, ist das schriftliche Niederlegen seiner Sprache auf dem Papier. Auch eine göttliche Offenbarung, die dauern soll, beruht auf schriftlicher Grundlage.

II. Die Schrift ist unentbehrlich, um die Botschaft festzuhalten

Dadurch erhält sie eine endgültige Gestalt und bleibt vor Veränderungen, Zugaben oder Irrtümern der mündlichen Übermittlung verschont. Der Inhalt wird nicht verdorben, sondern er bleibt getreu derselbe. Das Gesetzbuch befand sich als Zeuge gegen Israel neben der Bundeslade (5. Mose 31,26). Als unveränderliche Richtlinie des göttlichen Willens sollte daran im Lauf der Jahrhunderte der Ungehorsam des Volkes gemessen werden.

Mit dieser endgültigen Gestalt besitzt die Offenbarung ihren unveräußerlichen Wert. “Denn wahrlich, ich sage euch: Bis daß Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüpfelchen vom Gesetz” (Mt 5,18).

III. Der geschriebene Text erinnert jederzeit an die ursprüngliche Verkündigung

Man neigt so rasch dazu, sie zu vergessen. Nach den großen Ereignissen von Rephidim gebietet Gott dem Mose: “Schreibe dies zum Gedächtnis in ein Buch” (2. Mose 17,14). Das erinnert uns an denselben Ausdruck bei Maleachi: “Da redeten miteinander, die den Herrn fürchten; und der Herr merkte darauf und hörte es. Und es wurde vor ihm ein Gedenkbuch geschrieben” (Mal 3,16).

IV. Ein Buch bringt alle empfangenen Worte in eine bestimmte Ordnung

Alle Botschaften zusammen kommen auf diese Weise in eine Reihenfolge und werden so den künftigen Geschlechtern übermittelt. “Dies widerfuhr ihnen (den Israeliten) als Vorbild: geschrieben aber wurde es zur Warnung für uns, denen das Ende der Welt nahe bevorsteht” (l. Kor 10,11).

V. Die geschriebene Botschaft hängt nicht vom Redner oder Verfasser ab

Jeremia bietet uns hierin ein packendes Beispiel. Nach langen Jahren des Predigtamtes gibt Gott ihm den Befehl, alle von ihm erhaltenen Worte in ein Buch zu schreiben (Jer 36,2). Der Prophet diktiert seinem Diener Baruch die Reihenfolge der Botschaften (V. 4). Da er selber im Gefängnis ist, schickt er Baruch, damit dieser den Text dem Volke und seinen Führern vorlese (V. 5‑13). Diese regen sich darüber auf und bringen es zustande, daß der König das Buch auch vorgelesen bekommt (V. 14‑21). Der König, wütend über solche Worte, zerschneidet und verbrennt das Buch. Der Prophet erhält den Befehl, ruhig ein neues, noch vollständigeres Buch zu schreiben (V. 28‑32).

So ist die Botschaft frei und beweglich; während der Verfasser im Gefängnis sitzt, dringt das Buch durch alle eisernen Gitter hindurch und erreicht die verschiedensten Kreise; es kann auch leicht ein zweites Mal geschrieben werden. Der Prophet kann verschwinden; Gott spricht weiter durch den von ihm eingegebenen Text.

 Vl. Die schriftliche Botschaft ist unzerstörbar und erreicht fast alle Enden der Welt

Die erste Offenbarung ist dem Propheten selber beschert. Mündlich kann sie nur wenigen Hörern weitergegeben werden. Aber sobald der Text schriftlich vorliegt, kann er unendlich oft vervielfacht werden. Er kann leicht abgeschrieben und übersetzt werden. Jeder kann ein Exemplar des Wortes Gottes besitzen. Selbst wenn die Missionare der Verfolgung weichen müssen, so ist die Schrift noch vorhanden. Vielleicht bleibt eine geschriebene Seite lange Zeit verborgen, wie ein Samenkorn. Aber wenn es zu keimen beginnt, hat es an Leben und Kraft nichts eingebüßt. Um die heutigen Milliarden von Menschen zu erreichen, braucht es eine solche Strahlungskraft.

VII. Wer die schriftliche Botschaft besitzt, wird ihr gegenüber dadurch verantwortlich

“Sie haben Mose und die Propheten” (Luk 16,29). Die Brüder des unbarmherzigen reichen Mannes haben alles, wessen sie bedürfen: Gott wird für sie weder besonders einschreiten noch ihnen ein zusätzliches Wunder schenken. Erst recht verhält es sich so mit unserm Geschlecht, dem die ganze Schrift so leicht zugänglich ist.

 

Drittes Kapitel: Das fleischgewordene und das eingegebene Wort

 I. Christus und die Schrift

Es gehört heute zum guten Ton zu unterstreichen, daß Christus allein das Wort Gottes ist, während die Bibel das nicht sei, sondern dasselbe nur “enthält”. Ein Blick in die Bibel genügt, um diese Erklärung zu entkräften:

Christus selber verkündigt das Wort Gottes in seiner Predigt (Luk 5,1).

Philippus predigt Christus in Samarien, und die Apostel vernehmen, daß das Wort Gottes dort aufgenommen worden sei (Apg 8,5.14).

Paulus betont, daß er nicht Menschenworte lehre, sondern das Wort des Herrn (l. Thess 2,13).

Was Christus und die Apostel lehrten (wie auch die Propheten im Alten Bund), so wie es in der Schrift niedergelegt ist, dies ist für uns wirklich Gottes Wort.

Ein Vergleich zwischen Christus als fleischgewordenem Gotteswort und der Bibel als in Buchform gegebenem Gotteswort ist recht lehrreich, sowohl durch die dadurch sichtbar werdenden Unterschiede, wie durch die Ähnlichkeiten.

Bei seinem Eintritt in die Welt sagt Christus: “Einen Leib hast du mir bereitet … Siehe ich komme ‑ In der Buchrolle ist von mir geschrieben … ” (Hebr 10,5‑7). Welches Buch? Welche Person? fragt Luther bei dieser Stelle.

Ein Buch: die Bibel;
eine Person: Jesus Christus. 
–  Wir werden sehen, in welchem Maß die beiden untrennbar sind.

CHRISTUS      –      DIE SCHRIFT

1. Christus, das göttliche, ewige Wort (Joh 1,1), die zweite Person der Dreieinigkeit, ist mit dem Vater und dem Geist der wahre Urheber der Heiligen Schrift (l. Petr 1,11; Offb 19,10). Sein Name ist Wort Gottes (Offb 19,13b).

DIE SCHRIFT  –  Die Gedanken Gottes, die der Schrift anvertraut sind, haben selber Ewigkeitscharakter: “Herr, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht” (Ps 119,89). – Paulus beleuchtet das Geheimnis Christi und der Gemeinde, das “vor aller Zeit in Gott verborgen war” (Eph 3,9; Kol 1,26.27).

2. Christus ist vom Heiligen Geist gezeugt (Luk 1,35).

DIE SCHRIFT  –  “Alle Schrift ist von Gott eingegeben” (2. Tim 3,16). “Durch den Heiligen Geist getrieben, haben Menschen im Namen Gottes geredet” (2. Petr 1,21).

3. “Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns” (Joh 1,14). Der göttliche, ewige Christus ist Mensch geworden, sichtbar, zugänglich. Man konnte ihn kennenlernen, ihn hören und ihn lieben. Er hat sich zu den einfachsten Menschen gesellt, erschien unter ihnen als schlichter Mann, als Diener, als Arbeiter (Phil 2,7). Er hatte “keine Studien gemacht”, sondern sprach mit Absicht die Sprache der einfachen Leute (Luk 10, 21).

DIE SCHRIFT  –  Die unerforschlichen Gedanken des Herrn der Heerscharen (Jes 55,8‑9) wurden in unsrer irdischen Sprache ausgedrückt: Das göttliche wurde zum menschlichen Wort. In diesem Sinne ist es für Menschen geschrieben worden, von Menschen wie wir, von Fleisch und Blut, die ihrer Zeit, ihrem Volke angehörten. Dieses leibhaftige Wort führt uns mitten unter die Sünder, nicht etwa in eine unwirkliche Welt. So wird Gottes Botschaft sichtbar, verständlich und kann in die Sprache eines jeden übertragen werden. Bar aller menschlichen Spekulation und Philosophie, richtet sich die Schrift absichtlich an die allerniedrigsten Menschen, um ihnen Gottes Herrlichkeit zu offenbaren (l. Kor 2,4‑10).

4. Christus hat freiwillig die Niedrigkeit der Menschengestalt angenommen (Phil 2,5‑8). Er nahm bei der Geburt einen Leib an, der langsam heranwuchs. Seine Gegenwart war auf eine Gruppe von Menschen in einem kleinen Land beschränkt. Dennoch ist dieser “Sohn Josephs” zugleich der göttliche Retter der Welt.

DIE SCHRIFT  –  Das geschriebene Wort Gottes ist auch begrenzt, um dem menschlichen Verständnis zugänglich zu sein. Es enthüllt nur teilweise die göttlichen Geheimnisse (l. Kor 13,12). Eine lange Entwicklung kennzeichnet die Of­fenbarung vom ersten bis zum letzten Buch der Schrift, mit Seiten darin, die noch schwer zu verstehen sind. Die Bibel ist in erster Linie ein jüdisches Buch, aus einem kleinen Volk hervorgegangen. Dennoch ist sie das umfassendste Buch ‑ Gottes Wort ‑ für die ganze Menschheit.

5. Der fleischgewordene Christus ist in allen Stücken uns gleich geworden, blieb aber vollkommen und ohne Sünde (Joh 8, 46; Hebr 2,17; 4,15), die Wahrheit in Person (Joh 14,6) und allmächtig (11,14).

DIE SCHRIFT  –  Jesus erklärt: “Dein Wort ist die Wahrheit” (Joh 17,17). Beim Psalmisten heißt es: “Das Gesetz des Herrn ist vollkommen … Dein Gesetz ist die Wahrheit … Die Summe deines Wortes ist Wahrheit” (Ps 19,8). Der Verfasser des Hebräerbriefes schließt mehrere aus dem Alten Testament übernommene Stellen ab mit den Worten: “Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert … und ist ein Richter der Gedanken und der Gesinnung des Herzens” (Hebr 4,12). Der ursprüngliche Text der Schrift, der gleichzeitig von Gott eingegeben, aber auch menschlich ist, wurde vor Irrtum bewahrt.

6. Jesus Christus hatte eine einzigartige Vollmacht. “Er lehrte wie einer, der Gewalt hat, nicht wie die Schriftgelehrten” (Mk 1,22). “Nie hat ein Mensch gesprochen wie dieser” (Joh 7, 46).

DIE SCHRIFT  – Nie hat ein Buch eine solche Wirkung ausgeübt wie die Schrift. Sie kann kühn ausrufen: “Höret, ihr Himmel, horche auf, o Erde! denn der Herr redet” (Jes 1,2). Im Alten Testament wird 3808-mal bezeugt, daß es Gottes Worte selbst enthalte.

7. Christus wurde verraten und verworfen. Die Seinen nahmen ihn nicht auf (Joh 1,11‑12; 7,5). Die religiösen Führer glaubten nicht an ihn (Joh 7,48). Die Menschen zogen die Finsternis dem göttlichen Licht vor, denn ihre Werke waren böse (Joh 3,19; 7,7). Er wurde gekreuzigt, weil er sich als Sohn Gottes bezeichnet hatte (Joh 19,7).

Das Zeugnis, das Jesus von sich selber abgelegt hatte, war klar und wahr, aber man hat ihn bis zuletzt der Vieldeutigkeit und der Lüge bezichtigt. “Wenn du der Messias bist, sag es uns frei” (Joh 10,24). “Dein Zeugnis ist nicht wahr” (Joh 8,13).

DIE SCHRIFT  –  Mehr als irgendein andres Buch wurde das Buch der Bücher verabscheut und bekämpft. Es hat die furchtbare Feindschaft der Sünder erfahren, die sich in diesen Seiten verurteilt sahen. Man hat es zerrissen, verbrannt und verboten. Es wurde lächerlich gemacht und angegriffen von denen, die es hätten schätzen und verbreiten sollen. Die Menschen ertragen es nicht, daß es sich als Gottes Wort ausgibt und ihr Leben bestimmen will.

Trotz der zahllosen Erklärungen der Schrift behauptet man heute noch, nicht sicher zu wissen, ob sie Gottes Wort ist oder nicht. Und man erklärt das eigne Zeugnis, das sie sich gibt, unannehmbar.

8. Christus tritt als der siegreiche Retter voller Herrlichkeit in Erscheinung. Er ist das Licht der Welt, das vom Himmel gekommene Brot des Lebens (loh 8,12; 6,51). In ihm wird uns die Wiedergeburt und ewiges Leben geschenkt (Joh 5,24; 10,28). In seinem Munde steckt das zweischneidige Schwert seines machtvollen Wortes (Offb 1,16; 19, 15). Er wird die Welt richten und die Glaubenden retten (Apg 10,42; 1. Tim 4,10).

DIE SCHRIFT  –   Die Bibel besiegt zu allen Zeiten ihre Feinde. Sie ist stets lebendig und von Bedeutung für die Gegenwart. Sie ist ein Licht auf unserm Weg (Ps 119,105). Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes geht (Mt 4,4). Das lebendige und gegenwärtige Wort bringt dem Sünder Wiedergeburt und Rettung (l. Petr 1,23; Jak 1,21). Es ist das zweischneidige Schwert, das uns richtet (Hebr 4,12). Das Wort Gottes wird den Ungläubigen am Jüngsten Tag richten (Joh 12,48).

9. Christus offenbart sich dem Glauben: “Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen” Joh 11,40). “Sei nicht ungläubig, sondern glaube! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott” (20,27‑28).

DIE SCHRIFT  –   Nur die Glaubenden finden mit Gewinn den Zugang zur Schrift (l. Thess 2,13; Hebr 4,2). Sie erschließt sich nur denen, die an Jesus glauben (2. Kor 3,14-16).

10. Christus bekennt sich ohne Einschränkung zur Schrift, zu ihrer Inspiration, ihrer Vollmacht und zu ihrem endgültigen Charakter (Mt 4,4; 5,17‑18; Joh 10,35; usw).

DIE SCHRIFT  –   Die Schrift ebenfalls gibt ständig Zeugnis von Christus, welcher der Hauptinhalt ihrer Offenbarung ist (l. Petr 1,10‑12; Luk 24,27.44). Die zwei Erscheinungen des Wortes sind also unlöslich miteinander verbunden. Wie sollte der, welcher nicht an die Bibel glaubt, an den glauben, von dem sie zeugt? Und wer Jesus, das lebendige Wort, nicht aufnimmt, wie sollte er dem geschriebenen Wort vertrauen, welches die Grundlage seiner Lehre ist?

11. Nur durch Christus kennen wir den Vater (Joh 1,18). Wer Jesus gesehen hat, der hat den Vater gesehen und kommt zum Vater durch ihn (Joh 14,9.6). Wenn Christus spricht, dann spricht Gott und verlangt unbedingtes Vertrauen und restlosen Gehorsam (8,28.24).

DIE SCHRIFT  –   Allein die Bibel bringt die volle Offenbarung des Vaters und des Sohnes. Was wüßten wir außer durch sie über den wahren Gott und über unsern Erlöser Jesus Christus? (Joh 5,39). Daher schulden wir der geschriebenen Offenbarung unsern Glauben und unsre rückhaltlose Zustimmung (Offb 1,3; 22,18‑19).


II. Unser Verhältnis zum lebendigen Wort bestimmt auch unsere Haltung gegenüber dem geschriebenen Wort

Am Schluß dieser Gegenüberstellung betonen wir mit Nachdruck, daß wir keineswegs die Schrift anbeten. Der entscheidende Unterschied zwischen Christus und der Bibel bleibt: Der Herr ist einzig der göttliche Erlöser. Die Schrift ist nur das Mittel, von Gott eingegeben, das ihn offenbart und das zu ihm führt. Wir achten das heilige Buch und nehmen es in seiner Ganzheit an, aber Anbetung bringen wir nur dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist dar.


III. Das Geheimnis von den beiden verschiedenen Daseinsformen Christi und der Schrift

Wir haben gesehen, daß der fleischgewordene Christus zugleich ganz Gott ist (Joh 1,1.14; 20,28; Röm 9,5) und ganz Mensch (Hebr 2,14.17). Auch die Schrift ist durch das Wunder der Eingebung gleichzeitig ein göttliches und ein menschliches Wort. Wir maßen uns nicht an, eines dieser Wunder eher als das andere zu erklären, da wir außerstande sind, die Geburt des Menschen und die Wiedergeburt des Glaubenden restlos zu erhellen. Wir kommen mit einem Leib und mit einem Geist auf die Welt, und kein Gelehrter kann uns sagen, wo der eine beginnt und der andre aufhört, wo und wie beide zusammenhängen. Daß der Glaubende durch den Heiligen Geist eine göttliche Natur bekommt (Tit 3,5; 2. Petr 1,4), das ist für uns eine herrliche Gewißheit, die wir aber nicht begreifen können.

Geben wir hierzu Adolphe Monod das Wort:

“Wenn die Bibel spricht, redet Gott. Unser Vertrauen und unsre Unterwerfung der Schrift gegenüber hat so unbegrenzt zu sein, wie es die Wahrheit und die Treue Gottes sind … Bei genauem Zusehen lehrt dieses Buch unendlich viel über den Menschen … Ich kann bei den verschiedenen Verfassern ihre Persönlichkeit und ihren Charakter in ihrem Stil erkennen. Wir sehen, daß auch der menschliche Geist Anteil hat im Ausdruck des Wortes Gottes. Er war so durchdrungen von Gottes Gedanken, daß auf jeder Seite dieses Buches, das wir Wort Gottes nennen, man zugleich auch ein menschliches Wort vernimmt … Aber je göttlicher es ist, desto menschlicher ist es auch, man spürt die Macht und die Gegenwart des Heiligen Geistes und seinen Einfluß auf unsre Seelen um so mehr, als Gott, um es zu schreiben, sich solcher Werkzeuge bediente, in denen der Geist diese Macht und übernatürliche Erleuchtung wirken konnte. Daraus wurden dann die Gefäße, die bestimmt waren, die Wahrheit bis ans Ende der Welt zu tragen.

Die Schrift gibt manchmal der Person Jesu Christi und der Heiligen Schrift den gleichen Namen; sie nennt beide ‘Wort Gottes’. Das eine Wort, Jesus Christus, ist das lebendige Gotteswort, die persönliche Erscheinung seiner Vollkommenheit unter den Menschen; das andre Wort, die Schrift, ist das geschriebene Gotteswort, eine Kundgebung der gleichen Vollkommenheit durch die Worte der Sprache. Für uns sind sie untrennbar: denn Jesus ist nur in der Schrift offenbart, und die Schrift ist uns nur gegeben, um uns Jesus Christus zu zeigen. So ist die Schrift das geschriebene Wort Gottes, wie Jesus Christus das lebendige Wort Gottes ist. Wer den menschlichen Charakter der Schrift unterstreicht, um ihre Göttlichkeit zu verkennen, denkt gleich wie derjenige, der die menschliche Gestalt Jesu Christi hervorhebt, um ihn der Gottgleichheit zu entkleiden. Es ist nicht erstaunlicher, daß die Schrift, obwohl Wort Gottes, zugleich menschliche Züge trägt, als es der Umstand ist, daß Jesus Christus, obwohl Gott, auch Mensch war. Wie sich die zwei Naturen (im einen Fall) und die zwei Stimmen (im andern) einigen, das macht den Kern unsres Glaubens aus in dieser Hinsicht. Es ist ein tiefes Geheimnis, wie Paulus sagt ein ‘Geheimnis der Ehrfurcht’, das unsere Seelen mit Freude und Hoffnung erfüllt” (Ad. Monod, Les Adieux, 1957, Groupes Missionaires, S. 169).

L. Gaussen kommt zu folgendem Schluß:

“Es verhält sich mit dem Glaubenssatz von der Inspiration wie mit der Fleischwerdung. Im einen wie im andern Lehrsatz steckt eine Tatsache, die in reichem Maß offenbart ist. Und mein Glaube nimmt sie in demselben Maße ernst. Aber ich versuche nicht, irgend etwas zu erklären; ich bin aufmerksam und gehorsam beiden Glaubenssätzen gegenüber und erkläre nichts … Nach dem einen spricht Gott selber in der Schrift; es ist das wunderbare Werk des Heiligen Geistes, der durch den Menschen und für den Menschen die göttlichen Geheimnisse aufschreibt … Und ‘diese ganze Schrift ist von Gott eingegeben’, sagt Paulus. Welch hohes Geheimnis! Im andern Lehrsatz ist ‘das Wort, das am Anfang bei Gott war, das Gott war, Fleisch geworden’… Und derselbe Apostel sagt: ‘Unstreitig ist dieses Geheimnis groß, das Geheimnis der Ehrfurcht, Gott offenbart im Fleisch …’ Fragt daher nicht: Wie kann Jesus Christus Mensch sein, da er Gott ist? Oder, wenn er Mensch ist, wie kann er Gott sein? Sagt noch weniger: Wenn die Schrift Gottes Wort ist, wie kann sie des Menschen Wort sein? Oder, wenn die Schrift Worte des Menschen sind, wie kann sie Gottes Wort sein? Nein, lesen wir es, erforschen wir es, glauben wir und beten wir an!” (La véritable doctrine de L. Gaussen sur l’inspiration des Ecritures, Trois lettres, S. 13).

 

Dritter Teil: ‘DIE INSPIRATION’

Erstes Kapitel
Definition der Inspiration (Allgemeines)

I. Definition

Die Offenbarung ist die Tat Gottes, durch die er sich seinem Geschöpf kundtut.

Die Inspiration (im engern Sinn des Wortes, wie wir es in diesem Werk auffassen), ist der entscheidende Einfluß des Heiligen Geistes auf die Verfasser des Alten und Neuen Testamentes, dank dessen sie die von Gott erhaltene Botschaft in genauer und beglaubigter Form verkündigen und niederschreiben. Diese Einwirkung leitete sie selbst bis in die Wahl der Worte hinein, um sie vor jedem Irrtum oder jeder Auslassung zu bewahren. (Wir werden später von den Ungenauigkeiten sprechen, die durch Abschreiber in den Text hineinkamen.) Eine gleiche Inspiration wurde den biblischen Verfassern gegeben auch in bezug auf Ereignisse oder Tatsachen, die ihnen ohne besondere Offenbarung schon bekannt waren, damit ihr Bericht dem Willen Gottes entspreche.

“Biblische Inspiration ist die Tätigkeit des Heiligen Geistes, durch die er den aktiven menschlichen Geist des biblischen Schreibers geheimnisvoll erfüllt, lenkt und überwaltet, so daß eine untrügliche, geistdurchwirkte Niederschrift entsteht, eine heilige Urkunde, ein Buch Gottes, mit dem sich der Geist Gottes auch weiterhin organisch verbindet” (E. Sauer, Gott, Menschheit und Ewigkeit, S. 109).

 

II. Die klassische Stelle im 2. Brief an Timotheus 3,16‑17

1. Jede Schrift ist von Gott inspiriert (griechisch theopneustos, von Gott ausgeblasen und nicht “hineingeblasen”, eingegeben), hervorgegangen durch den schöpferischen Hauch Gottes, von ihm gegeben, von ihm gesprochen. Die berufenen Verfasser wurden von Gottes Willen ergriffen und von seiner Kraft getragen, die nicht die Schrift in irgend etwas oder irgend jemanden einhauchte, sondern sie direkt von Gottes Mund ausgehen ließ.

Die Schöpfung, die das andre große Buch Gottes darstellt, ist auf gleiche Weise entstanden. “Durch des Herrn Wort sind die Himmel gemacht: durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer” (Ps 33,6).

Der Schriftsteller Josephus, Zeitgenosse von Paulus, sagt in seinem Buch Gegen Apion: “Die Propheten, welche die 22 heiligen Schriften (des Alten Testamentes) verfaßten, schrieben sie nach der Eingebung (pneustie), die von Gott kommt” (1,7).

Folglich rührt die ganze Schrift, überall und völlig, von Gott her, obwohl sie von Menschen geschrieben und für den Menschen bestimmt ist.

2. Wie muß man 2. Tim 3,16 übersetzen? (siehe Albert Lüscher, Die letzten Zeiten und das inspirierte Wort, S. 90): Entweder: “Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich”, oder: “Alle von Gott eingegebene Schrift ist nützlich . . .”?

Es ist zu bedenken, daß im Griechischen das Wort ist nur inbegriffen ist und für uns irgendwo eingeschoben werden muß. Nach dem Geist der griechischen Sprache wird das Verb so eingesetzt wie in den nachstehenden Beispielen aus dem Neuen Testament, die alle in der gleichen Weise aufgebaut sind:

Röm 7,12: Das Gebot ist heilig, gerecht und gut (und nicht: das heilige Gebot ist auch gerecht und gut).

2. Kor 10,10: Seine Briefe sind stark und schwer (und nicht: seine starken Briefe sind auch schwer).

1. Tim 1,15: Das ist ein gewisses und teuer wertes Wort (und nicht: das gewisse Wort ist auch teuer wert).

Hebr 4,13: Alles ist bloß und aufgedeckt (und nicht: das Bloße ist auch aufgedeckt).

(Vergleiche dazu im Griechischen: 1. Kor 11,30; 1. Tim 4,4.9)

Also ist die folgende Übersetzung richtig: 2. Tim 3,16: “Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich.”

Nachdem dies gesagt ist, stellen wir fest, daß die andre Übersetzung “Alle von Gott eingegebene Schrift ist nützlich”, nichts andres bedeutet.

Es ergibt sich klar:

3. Jede Schrift (oder die ganze Schrift) ist eingegeben: nach dem Zusammenhang bezieht sich dies auf das Alte Testament, “die heilige Schrift”, wie Paulus sagt im Vers 15. Was hier ohne irgendeinen Vorbehalt vom Alten Testament ausgesagt ist, gilt offenbar auch für das ganze Neue Testament.

4. Es ist die Schrift, der Text selber, der in den Augen von Paulus eingegeben ist. Darauf kommt es uns an. Denn was würden uns die göttlichen Offenbarungen, welche die Verfasser empfingen, nützen, wenn diese nicht fähig gewesen wären, sie in ungefälschter Weise niederzuschreiben? Wir wissen, daß Bileam, David und Petrus zum Beispiel nicht unfehlbar waren in Worten und Handlungen, wenn sie nicht vom Geist Gottes erleuchtet waren (4. Mose 22‑24; 2. Sam 11; 24,1‑11; Gal 2,11‑14). Wenn Gott nur die Gedanken im Geist dieser Männer erleuchtet hätte, wüßten wir heute nichts mehr davon, da sie schon lange tot sind.

5. Jede Schrift ist nützlich. Das Wort ist nützlich, weil eingegeben und zum Nutzen eingegeben. Auch die Seiten und Bücher der Bibel, die am wenigsten gelesen werden, haben ihren Platz darin; wir schneiden nichts von ihr ab und fügen nichts hinzu (5. Mose 4,2; Offb 22,18‑19). Wir sind immer wieder versucht, uns mit ein paar bevorzugten Seiten oder einzelnen Versen, da und dort, zu begnügen. Aber alles bekommt seinen Wert durch den Zusammenhang: Die Stammbäume und Namenlisten sind für die Geschichte wertvoll! Die rituellen Gesetze im 2. und 3. Buch Mose zeigen dem Sünder in Bildform, wie er in Verbindung mit Gott kommen kann (was der Hebräerbrief ausführt); das Buch “Prediger” weist auf die große Unvollkommenheit der irdischen Weisheit und der irdischen Güter hin; die Propheten decken den Ablauf des göttlichen Planes auf; die düsteren Seiten der historischen Bücher enthüllen den Ernst der Sünde, das Gericht Gottes und die unausweichliche Heilsnotwendigkeit; die Briefe geben unentbehrlichen Aufschluß über das Verhältnis zwischen der christlichen Lehre und dem Leben der Gemeinde, wie des einzelnen Glaubenden; usw.

Nach 2. Tim 3,16‑17 ist die ganze Schrift nützlich:

– um zu belehren, d. h. die Grundlage zu geben für die göttliche Wahrheit. “Über diese Seiten forschend nachzudenken ist die beste Vorlesung der Theologie und Religion” (Ad. Monod). “Vom Himmel herab ließ er seine Stimme vernehmen, um dich zu belehren” (5. Mose 4,36). “Alles, was zum voraus geschrieben wurde, ist für unsre Unterweisung geschrieben” (Röm 15,4);

– um zu überzeugen: eine Überzeugung zu schaffen, den Irrtum zu widerlegen, der schädlicher ist als Unwissenheit. Des Menschen Verstand ist verdunkelt und sein Herz verhärtet (Eph 4,18); das göttliche Wort vermag ihm die Augen zu öffnen und ihn von der Wahrheit zu überzeugen (Jer 23,29; Hebr 4,12);

– um ihn zu bessern: ein verirrtes Gotteskind auf den geraden Weg zurückzuführen und ihm in der Liebe und mit der Vollmacht des Herrn Mahnung und Zurechtweisung zu erteilen. Der Mensch irrt so leicht ab, auf dem Gebiet der Sittlichkeit wie auf demjenigen der Lehre; darum bedarf er wie ein junger Baum des Stabes, der ihn fest aufrecht hält. “Wie wird ein junger Mann seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält an dein Wort … Ich berge dein Wort in meinem Herzen, damit ich nicht wider dich sündige” (Ps 119, 9.11);

– um die Gerechtigkeit zu lehren: es geht darum, den Glaubenden zu erziehen, zu bilden durch die geistige Zucht, die ihn zur vollen Mannesreife in Christus führt. Die Schrift wird nicht nur sein Denken, sondern auch sein Wesen prägen; sie wird ihm eine echte Daseinsberechtigung und eine umfassende Weltanschauung vermitteln. “Du machst mich mit deinem Gebot weiser als meine Feinde sind … Ich habe mehr Einsicht als alle meine Lehrer; denn über deine Mahnungen sinne ich nach.. . (Ps 119,98). “Die Schrift kann dich unterweisen zur Seligkeit” (2. Tim 3,15);

– auf daß der Mensch Gottes vollkommen sei und geschickt zu jedem guten Werk. Dies ist das Ziel der Schrift: uns zum Heil zu führen durch die Begegnung mit dem Herrn, aus jedem von uns ein Eigen­tum Gottes zu machen, eine verantwortliche Persönlichkeit, die in ihrem Leben und Wirken den göttlichen Ursprung der ihr zuteilgewordenen Offenbarung bezeugt.

 

III. Das unerklärte und unerklärliche Wunder der Inspiration

Was können wir zum mindesten über den Vorgang der Inspiration wissen?

1. Der Ursprung der Inspiration nach Paulus (1. Kor 1 und 2).

a) Es gibt ein Denken, eine geheimnisvolle Weisheit Gottes, die verborgen und ewig ist (2,7.16).

b) Der von der Sünde verblendete Mensch kann natürlicherweise sie weder erkennen noch aufnehmen. Das Evangelium ist für ihn Torheit und Stein des Anstoßes (2,14.; 1,18).

c) Gott offenbart uns durch den Geist sein Wesen und sein Heil. Er hat diese Offenbarung denen zugedacht, die ihn lieben (2,9‑12).

d) Wenn wir diese wunderbare Gnade bekommen haben, können wir davon sprechen und sie verkünden (V 13). Paulus hat es mündlich getan, indem er Gottes Worte predigte (l. Thess 2,13), aber auch durch seine Briefe (l. Thess 4,8.15). Bei der Ausübung eines solchen Amtes waren die Apostel sichtlich geführt (beim Schreiben wohl noch mehr als beim Reden); ihre Reden (logoi griech. wörtlich: ihre Wörter, Ausdrücke) wurden ihnen vom Geist Gottes beigebracht (l. Kor 2,13).

e) Der geistliche Mensch, der wiedergeboren und dem Geist gehorsam ist, empfängt diese eingegebene Sprache. Er kennt sie und weiß sie zu beurteilen; er denkt die Gedanken Christi (2,14‑16).

2. Die Erklärungen des Apostels Paulus

In gleicher Weise spricht Petrus von der Art, in welcher das Alte Testament seinen Verfassern eingegeben wurde (l. Petr 1,10‑12; 2. Petr 1,19‑21; das Wort Prophet wird dabei im weitern Sinne von Dolmetscher oder Botschafter aufgefaßt).

a) Christus, Gottes Lamm, war vorherbestimmt vor Grundlegung der Welt, Urheber des Heils zu werden (l. Petr 1,19‑20).

b) Sein Geist zeigte ihnen die Zeit und die Umstände der Ankunft des Messias, seine Leiden und seine künftige Herrlichkeit (V. 11) . Denn dies ist der Kern der Schrift.

c) Diese Offenbarung ging über die Propheten hinaus; obwohl es ihnen klar war, daß andre die Erfüllung des Heils erleben würden, richteten sie doch ihre Nachforschungen darauf hin (V. 10).

d) Die Ankündigung des Werkes Christi ist Anlaß zu Staunen und Bewunderung für die Engel und Himmelsbewohner (V. 12; Eph 3,10).

e) Die Botschaft der alten Propheten lautet im wesentlichen gleich wie das Evangelium, das heute verkündigt wird in der Kraft des selben Heiligen Geistes (V. 12; 1. Thess 1,5).

Bewundern wir die Vorsicht und die Nüchternheit der Schrift. Sie bestätigt stets das Wunder der Inspiration, aber weder Paulus noch Petrus noch sonst ein anderer enthüllen uns, wie sie vor sich ging. Auch über den genauen Vorgang, wie der göttliche Einfluß sich bei den Verfassern auswirkte, sagen sie nichts aus. Es ziemt uns so wenig, dieses Geheimnis zu erklären, wie dasjenige der Fleischwerdung Jesu Christi, der Wiedergeburt des Glaubenden oder das der Weltschöpfung. Aber die Betrachtung einiger bestimmter Fälle in der Bibel wird uns erleichtern, gewisse Seiten der göttlichen Einwirkung zu verstehen.

 

IV. Wie hat Gott zu seinen Propheten gesprochen?

“Nachdem vorzeiten Gott manchmal und auf verschiedene Weise zu den Vätern gesprochen hat durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn” (Hebr 1,1‑2). Es ist immer der gleiche Gott, der im Alten Testament wie im Evangelium spricht.

Sehen wir zu, auf welche verschiedene Arten er es getan hat.

1. Eine entscheidende Begegnung mit Gott bedeutet in der Regel den Anfang in der Laufbahn eines Propheten. Das beweist, daß Gott den ersten Schritt tat, indem er sein Werkzeug auswählte und zurüstete, bevor er ihm die Botschaft mitteilte.

Mose, beim brennenden Busch, beteuert Gott gegenüber, daß er nicht reden kann. Gott antwortet ihm: “Wer hat dem Menschen den Mund geschaffen? … So geh nun hin; ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst … (Aaron) wird für dich zum Volk sprechen; er wird dein Mund sein, und du sollst für ihn Gott sein” (2. Mose 4,11‑12.16).

Samuel. “Zu jener Zeit war das Wort des Herrn selten, und es gab kaum noch Offenbarungen.. . Samuel hatte den Herrn noch nicht erkannt und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart.” Der Herr ruft Samuel dreimal, der ihm antwortete: “Rede, Herr, denn dein Knecht hört … Samuel ließ keines von des Herrn Worten zur Erde fallen . . . Der Herr offenbarte sich Samuel zu Silo durch sein Wort” (l. Sam 3).

Jesaja erblickte den Herrn in seiner Heiligkeit. Ein Seraphim reinigt seine Lippen mit einer glühenden Kohle vom Altar. Der Prophet fügt hinzu: “Ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden und wer wird mein Bote sein?” Ich aber antwortete: “Hier bin ich, sende mich!” Und er sprach: “Geh hin und sprich zu diesem Volk!” (Jes 6,1‑9).

Jeremia. “Es erging an mich das Wort des Herrn: noch ehe ich dich bildete im Mutterleibe, habe ich dich erwählt … habe ich dich geweiht zum Propheten, für die Völker habe ich dich bestimmt … Alles, was ich dir gebiete, wirst du reden … Ich lege meine Worte in deinen Mund” (Jer 1,4‑9). “Siehe, ich mache meine Worte in deinem Munde zu Feuer und dieses Volk zu Brennholz, und es wird sie verzehren” (5,14).  . . .

Hesekiel. Er sagte zu mir: Du Menschenkind, ich sende dich zu den Kindern Israel … Alle meine Worte, die ich dir sage, die fasse mit dem Herzen und nimm sie zu Ohren … Rede zu ihnen und sage ihnen, mögen sie es nun hören oder mögen sie es lassen: So spricht Gott der Herr!” Der Herr gibt ihm als Sinnbild eine Rolle zu essen, auf welcher die Botschaft geschrieben steht, die zugleich süß und bitter ist und die er ausrichten sollte (Hes 2,1‑3.11).

Amos erklärt: “Ich bin kein Prophet und kein Prophetenjünger, sondern ein Viehhirt bin ich und ziehe Maulbeerfeigen. Aber der Herr hat mich hinter der Herde weggenommen und hat zu mir gesprochen: Gehe hin und weissage meinem Volk Israel” (Amos 7,14).

Paulus. Ananias sagt zu ihm: “Der Gott unsrer Väter hat dich verordnet, daß du seinen Willen erkennen sollst und sehen den Gerechten und hören die Stimme aus seinem Munde; denn du wirst für ihn vor allen Menschen Zeuge sein von dem, was du gesehen und gehört hast” (Apg 22,14). Der Apostel fügt selber dazu: “Als es aber dem, der mich von meiner Mutter Leibe an ausgesondert und durch seine Gnade berufen hat, gefiel, seinen Sohn an mir zu offenbaren, damit ich ihn unter den Heiden verkündigen sollte, fuhr ich zu und besprach mich nicht mit Fleisch und Blut” (Gal 1,15).

Johannes. Der Geist kam über mich am Tag des Herrn, und ich hörte hinter mir eine große Stimme, wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es zu den sieben Gemeinden. Schreibe, was Du gesehen hast, und was ist, und was geschehen soll danach” (Offb 1,10). Auch Johannes soll “ein Buch essen”, dann sagt man ihm: “Du mußt abermals weissagen von Völkern und Nationen und Sprachen und vielen Königen” (Offb 10,8‑11).

Christus selber, das fleischgewordene Wort, empfängt seine Botschaft vom Vater. Jesaja sagt von ihm: “Der Herr hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht” (Jes 49,2). “Gott, der Herr, hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, daß ich wisse, mit dem Müden zur rechten Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören (Jes 50,4). . . .

Jesus seinerseits erklärt nachdrücklich: “Ich tue nichts von mir selber, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich” (Joh 8,28). Zu seinem Vater sagt er: “Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen . . ., und sie haben dein Wort behalten” (Joh 17,8).

2. Gott gewährt die Inspiration nach seinem freien Ermessen, jedenfalls ist sie nicht von unbeschränkter Dauer, denn der Geist spricht, läßt schreiben, wann und wie er will. Häufig lesen wir beispielsweise:

“Das Wort des Herrn erging an Jeremia zur Zeit Josias, im drei­zehnten Jahr seiner Herrschaft (Jer 1,2)
bei Anlaß der Dürre (14,1)
im vierten Jahr Jojakims (25,1)
im Anfang der Herrschaft Jojakims (26,1);
im gleichen Jahr im Anfang der Herrschaft Zedekias (28,1)
beim Angriff von Nebukadnezar (34,1)
im Gefängnishof (39,15) usw.

Habakuk schreibt: “Hier stehe ich auf meiner Warte und stelle mich auf meinen Turm und schaue und sehe zu, was er mir sagen und antworten werde auf das, was ich ihm vorgehalten habe. Der Herr antwortete mir und sprach: Schreib auf, was du geschaut hast” (Hab 2,1).

Die Propheten sprachen nicht, wie sie wollten, irgendwann oder zu bestimmten Tagen. Sie warteten auf eine Botschaft von oben. Zu Mose sprach Gott “von Mund zu Mund” (4. Mose 12,6‑8). Aber er konnte sich auch in einem Traum kundtun, wie er sich Daniel kundtat (Dan 7,1), oder in einem Gesicht (Dan 8,1), oder indem er einen Engel sandte (Dan 9,21; 10,5‑11), ausnahmsweise auch in einer Verzückung (2. Kor 12,2; Offb 1,10).

3. Im allgemeinen behielt der biblische Verfasser sein klares Be­wußtsein; er sprach mit Gott, stellte ihm Fragen und teilt uns seine Empfindungen mit (Jes 6,11; Jer 14,13; Hes 9,8 usw.).

Daniel erschrickt über die Gesichte, aber es wird ihm sofort eine Erklärung zuteil (Dan 7,15; 19,28;), es sei denn, er erhalte den Befehl, die Botschaft vorläufig zu versiegeln (8,26; 12,4; Offb 10,4).

4. Oft übersteigt die Botschaft das Verständnis des Verfassers, ihm bewußt oder unbewußt. Wir haben dies eben in bezug auf Daniel festgestellt. Jedenfalls sind die göttlichen Dinge “in keines Menschen Herz gekommen” (l. Kor 2,9); die Eröffnung über Gottes Pläne für die Gegenwart und besonders für die Zukunft kann den geistvollsten Menschen verblüffen. Die Propheten begriffen, daß andre die Erfüllung ihrer eigenen Botschaft sehen würden, und verständlicherweise hätten sie gern mehr erfahren (l. Petr 1,10). Deshalb sagt Jesus zu seinen Jüngern: “Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht! Denn ich sage euch, viele Propheten und Könige hätten das zu sehen gewünscht, was ihr seht, und sie haben es nicht gesehen” (Luk 10,23). Im 22. Psalm beschreibt David genau, was er nicht erlebte: die Qual der Kreuzigung (Ps 22,1; 7‑9; 15‑19), die den Juden unbekannt war und von den Römern kurz vor unsrer Zeitrechnung in Palästina eingeführt wurde. Konnte er die messianische Anspielung seiner Worte im Ps 16,8‑10 ahnen? Jedenfalls war es für Petrus und Paulus leichter, in dieser Stelle eine Vor­aussage der Auferstehung Christi zu erkennen (Apg 2,24; 13,35).

Daniel empfängt und schreibt Worte nieder, die offensichtlich weder für ihn noch für seine Zeit gedacht sind. Darum sagt er. “Ich hörte, aber ich verstand nicht.” Es wurde ihm geantwortet: “Geh hin, Daniel, denn diese Worte sind verborgen und versiegelt bis auf die letzte Zeit” (Dan 12,4.8).

Es verhält sich erst recht so mit denjenigen, die, ohne es zu ahnen, als Vorbilder der Person Christi und seines Werkes aufgefaßt wurden:

Adam, ein Bild dessen, der kommen sollte (Röm 5,14),

Hagar und Sara, welche die beiden Bündnisse darstellen (Gal 4, 22‑26);

Aaron, das Vorbild Jesu als Hoherpriester (Hebr Kap, 7‑10) usw.

Diese Personen waren gewissermaßen Träger einer Offenbarung, deren Tragweite sie nicht erfassen konnten. Dies alles zeigt uns, daß, wenn auch das menschliche Instrument für die Übertragung der Botschaft eine gewisse Bedeutung hat, doch der Urheber der Offenbarung eine ungleich entscheidendere Rolle spielt.

5. Die Inspiration konnte als unbedingter Zwang vermittelt werden

Der Herr legt Jeremia einen schrecklichen Auftrag auf, dem dieser vergeblich zu widerstehen sucht: “Du hast mich überredet, Herr, und ich habe mich überreden lassen; du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen, ‑ aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich. … Denn so oft ich rede, muß ich schreien; ‘Frevel und Gewalt’ muß ich rufen. Denn des Herrn Wort ist mir zu Spott und Hohn geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, daß ich’s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen” (Jer 20,7‑9). Gleich bei seiner Berufung hatte Gott den Propheten gemahnt: “Du wirst alles sagen, was ich dir gebiete … Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund” (1,7).

Bileam, der gekommen war, dem Volk zu fluchen, wurde förmlich gezwungen, es zu segnen. Der Engel sagte zu ihm: “Geh … aber du wirst nur die Worte wiederholen, die ich dir sage.” Und wie Balak sich empört, antwortet ihm Bileam: “Ich vermochte nichts zu tun von mir aus … Ich werde wiederholen, was der Herr sagt” (4. Mose 22,35; 24,13).

Kaiphas sprach auch nicht von sich aus, als er weissagte, es wäre besser, Jesus würde für das Volk sterben. In diesen Umständen mußte nach Gottes Willen die Erklärung gerade durch den Hohen Priester erfolgen, auch wenn er ungläubig war (Joh 11,51).

Tatsächlich ist nie eine Weissagung aus menschlichem Willen heraus ausgesprochen worden (2. Petr 1,21).

6. Es kam auch vor, daß der Verfasser sich nicht Rechenschaft gab über die auf ihn ausgeübte göttliche Einwirkung

Dachte Lukas daran, daß sein Bericht zu den Heiligen Schriften gezählt würde, da er als treuer Berichterstatter die Zeugnisse sammelte und die Augenzeugen befragte? Er schrieb Tatsachen auf, die ihm meistens ohne übernatürliche Offenbarung bekannt geworden waren. Aber die Inspiration leitete ihn in der Auswahl der Tatbestände und in der Auslassung dessen, was der Heilige Geist entbehrlich fand. Das gleiche würde auch von den Verfassern der andern geschichtlichen Bücher der Bibel gelten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Inspiration einen Menschen ergreifen konnte,
ohne daß er es voraussieht, wie der alte Prophet im 1. Buch der Könige, Kap. 13,20
ohne daß er es weiß, wie Kaiphas Joh 11,51
ohne daß er es will, wie Bileam 4. Mose 23‑24
ohne daß er es versteht, wie Daniel Dan 12,8‑9

7. Ihrem Wesen nach kennt die göttliche Inspiration keine Abstufungen

Sie ist immer vollkommen und umfassend. Wie wir eben sahen, war Bileam, da er die Weissagung aussprach, unter der Leitung des Heiligen Geistes, genau wie David, als er ausrief: “Der Geist des Herrn spricht durch mich, und sein Wort ist auf meiner Zunge” (2. Sam 23,2). Die Weissagung des Kaiphas ist gerade so genau und übernatürlich wie die Offenbarungen an den Apostel Paulus (Joh 11,51; Eph 3,3.5).

“Die Erleuchtung hat Abstufungen, nicht aber die Theopneustie. Der Prophet ist mehr oder weniger von Gott erleuchtet; aber sein Wort ist nicht mehr oder weniger eingegeben. Entweder es ist gegeben, oder es fehlt; es kommt von Gott oder nicht von ihm. Es gibt da weder Maß noch Grad, weder Vermehrung noch Verminderung. David war von Gott erleuchtet; Johannes der Täufer war es noch mehr als David; ein einfacher Christ kann es noch mehr sein als Johannes der Täufer; ein Apostel war es noch mehr als solch ein Christ und Jesus Christus mehr als dieser Apostel. Aber das Wort Davids, ja sogar das von Bileam, das von Johannes dem Täufer und von Paulus ist von Gott, wie das Jesu Christi! Es ist Gottes Wort(L. Gaussen, Théopneustic, S. 320).

8. Die Propheten haben die unbedingte Gewißheit, Gottes eigne Worte zu übermitteln.

Mose wiederholt allein im 3. Buch Mose mehr als fünfzigmal Sätze wie diesen: “Der Herr redete mit Mose und sprach: Sprich zu den Kindern Israel und sage ihnen…” Abgesehen von einigen Versen in den Kapiteln 10 und 24 enthält das 3. Buch Mose nur Worte Gottes, von Mose für das Volk Israel aufgeschrieben.

Von David lasen wir eben seinen Ausruf: “Der Geist des Herrn spricht durch mich, und sein Wort ist auf meiner Zunge” (2. Sam 23,2).

Jeremia gebraucht regelmäßig die Formeln: “Dies ist das Wort des Herrn, das geschah zu Jeremia” ‑ “Der Herr sprach …

“Also spricht der Herr …”

Paulus zögert nicht, zu sagen: “Ihr habt das Wort, das wir euch brachten, aufgenommen, nicht als Menschenwort, sondern als das, was es wirklich ist, als das Wort des Herrn” (l. Thess 2,13).

Johannes erklärt feierlich: “Offenbarung Jesu Christi an seinen Knecht Johannes, der das Wort Gottes bezeugt … So spricht der Sohn Gottes … Wer Ohren hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt … Dies sind die wahrhaftigen Worte Gottes” (Offb 1,1; 2,18; 19,9).

Wir werden später genauer auf die wichtige Frage eingehen: Ist die Bibel Gottes Wort?

 

Zweites Kapitel

Verschiedene Auffassungen der Inspiration

Es gibt hauptsächlich vier Arten, die Heilige Schrift zu betrachten:

‑ Sie ist ein hervorragendes, menschliches Buch ohne göttliche Eingebung.
‑ Sie ist teilweise von Gott eingegeben.
‑ Sie ist rein göttlicher Natur, ohne menschlichen Beitrag.
‑ Sie ist zugleich göttlich und menschlich, indem Gott den biblischen Verfassern, die in seinem Namen sprechen, die volle
   Eingebung schenkte.

Betrachten wir hier die ersten drei Auffassungen.

I. Die Bibel als hervorragendes menschliches Buch ohne göttliche Eingebung

Wie es genialen Künstlern, Schriftstellern, Dichtern, Musikern gelang, unvergleichliche Meisterwerke zu schaffen, so konnten auf religiösem Gebiet auch außerordentlich begabte Geister die Schrift verfassen. Sie hätten ungewöhnliche Intuitionen gehabt als seherisch Begabte; ihre Werke nähmen den Platz ein neben Homers Odyssee, Mohammeds Koran, Dantes Göttlicher Komödie, Shakespeares Tragödien und den heiligen Hindu‑Büchern.

Es mag sein, daß die Bibel von allen diesen Werken das Größte ist, ein einzigartiges Denkmal der Antike, das umfassendste Buch der Menschheit. Aber sie ist wie jedes andre menschliche Werk Fehlern unterworfen und nicht direkter göttlicher Einwirkung zuzuschreiben.

Diese Ansicht von der “natürlichen Eingebung” verleugnet in Wirklichkeit die wahrhaftige Inspiration. Indem sie den menschlichen Verfasser emporhebt und den göttlichen ausschließt, ist sie der Ausdruck des Unglaubens. Es scheint klar zu sein, daß ihre Beweisführung nicht aufrecht zu halten ist angesichts der folgenden Tatsachen:

Die strahlende Gestalt Christi überragt an Reinheit, Liebe, Gerechtigkeit, Vollkommenheit alles, was in der Weltliteratur vorkommen kann. Woher hätten die Verfasser der Evangelien ein solches Vorbild gehabt, das hienieden nirgends sonst vorhanden ist? Selbst J. I. Rousseau erklärt dazu: “Solches kann nicht erfunden werden.” Um eine solche Persönlichkeit zu “schaffen”, hätten die Verfasser ihm überlegen sein müssen, denn der Künstler ist stets größer als sein Werk. Die Jünger hingegen wissen und bekennen, daß sie von solcher Vollkommenheit weit entfernt sind. Andrerseits hätten die biblischen Schriftsteller auch noch andre Werke schreiben können, wenn sie schon fähig waren, die erhabenen Seiten der Schrift aufzusetzen. Wie wäre es dann zu erklären, daß sie, sich selber überlassen, außer den kanonischen Schriften nichts andres, Ähnliches zustande brachten?

Es gibt noch manche andere Feststellungen über den göttlichen Charakter der Schrift, auf die wir weiter unten eingehen und die alle ohne übernatürliche Einwirkung unverständlich wären. Wir wollen an dieser Stelle nur noch eines erwähnen: Wie wäre es möglich, daß die biblischen Verfasser so viele genaue Weissagungen geben konnten, welche die Geschichte bestätigte, wenn es ihnen nicht von oben gezeigt worden wäre?

Wenn die Schrift nur ein Erzeugnis des menschlichen Gehirnes wäre, das so unzuverlässig ist, würde sie das Ziel ganz verfehlen, das darin besteht, uns die gewisse Kenntnis der Wahrheit zu übermitteln.

Il. Die Bibel ist nur teilweise eingegeben

Die recht zahlreichen Vertreter dieser Ansicht stellen sie auf ganz verschiedene Weise dar:

1. Die Inspiration bezog sich nur auf die Gedanken des biblischen Verfassers, nicht auf die Worte seiner Schriften

Nach dieser Auffassung hätte ihm Gott wohl die Gedanken seiner Offenbarung in den großen Linien mitgeteilt, ihm aber überlassen, sie nach seinem Belieben, in seiner Sprache weiterzugeben.

In Wirklichkeit können Gedanken nicht anders erfaßt und wiedergegeben werden als durch Worte. Wenn der Gedanke, der dem Menschen mitgeteilt wird, eine göttliche Offenbarung ist, so hat der Ausdruck, den man ihr gibt, größte Wichtigkeit. Das eine kann nicht vom andern getrennt werden. In jedem juristischen Dokument kann alles von einem einzigen Ausdruck abhängen. Die Kraft und die Tragweite der biblischen Verheißungen beruhen oft auf einem besondern Wort. Das Studium der Auslegung der Heiligen Schrift in den Grundsprachen besteht in einem peinlich genauen Untersuchen der Wörter. Wenn diese sprachliche Einkleidung nicht eingegeben ist, verliert dieses Studium seinen Gegenstand. Die Bibel selbst betont dieses Gewicht der Wörter. Was Paulus betrifft, so sagt er über die von Gottes Geist offenbarten Dinge folgendes:

“. . . Wir sprechen davon, nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt” (l. Kor 2,13). Hinter dieser Unterscheidung zwischen eingegebenen Gedanken und den dem Belieben des Verfassers überlassenen Wörtern versteckt sich im Grund der, welcher nicht an die Verbindlichkeit des biblischen Textes glaubt. Man scheint zuzugeben, daß Gott zu den Propheten sprach, aber man behält sich vor, ihre geschriebene Botschaft in aller Freiheit zurückzuweisen oder sie zu verbessern. So hofft man, gewisse schwierige Stellen des Textes umgehen zu können. Aber wenn die Ausdrücke ungenau sind, geht auch die Sicherheit, Gottes Gedanken zu erkennen, verloren. Übrigens bringt diese irrationale Annahme keine Lösung. Wenn einige Leser es sich schwer vorstellen können, daß Gott die Verfasser in der Wahl der Wörter leitete, ist es für sie dann leichter, zu erklären, wie er ihnen die Gedanken eingab? Wenn Mose von der Schöpfung der Welt spricht, wenn David, tausend Jahre zum voraus, die Gebete des Gottessohnes am Kreuz betet, wenn Salomo die göttliche Weisheit sprechen läßt, wenn Daniel, ohne ganz zu verstehen, in Einzelheiten die entfernten Geschicke der Welt und des Gottesvolkes wiedergibt, wenn die ungeschulten Fischer aus Galiläa die erhabenen Seiten des Evangeliums niederschreiben, wenn Paulus die tiefsten Wahrheiten des Heils darlegt, wenn schließlich Johannes in einem Fresco‑Gemälde in großen Strichen die Ewigkeit schildert, war es da nicht unumgänglich nötig, daß ihnen auch die geringsten Wörter von Gott eingegeben wurden? An Pfingsten begannen wohl die Gläubigen in fünfzehn verschie­denen Sprachen die Wundertaten des Herrn zu loben, “wie es ihnen sich auszudrücken der Geist eingab” (Apg 2,4‑11) !

Wir fassen noch einige Äußerungen von L. Gaussen zusammen:

Wenn man sagt, die Gedanken seien von Gott, die Worte aber von Menschen, heftet man diesen sogleich Widersprüche, Versehen und Unkenntnis an. Diese angeblichen Irrtümer sind also vielmehr in den Gedanken als in den Wörtern begründet. Wir können sie nicht voneinander trennen, denn eine Offenbarung der Gedanken Gottes bedingt auch diejenige der sprachlichen Mitteilung.

Wenn Gott die Schrift eingab, so hat er ständig über der Gestaltung des Textes gewacht, aber er hat nicht immer die übrigen Gedanken des Verfassers eingegeben. Paulus war im Irrtum dem Hohenpriester gegenüber, irrte aber nicht, wenn er Gottes Wort schrieb und wenn Christus aus ihm sprach (Apg 23,5; 1. Thess 4,15; 2. Kor 13,3). Petrus täuschte sich Christus gegenüber und in Antiochia (Mt 16,22‑23; Gal 2,11‑14), nicht aber, wenn er Gottes Weisungen niederschrieb. Ebenso Bileam, als seine schlechten Gedanken in Segensworte verwandelt wurden (4. Mose 22,6.38; 23,5). Wir stellen zusammen:

Die Inspiration der Gedanken kann dem Glaubenden gewährt werden;
die Inspiration der Worte macht den Propheten aus;
die Inspiration der Schriften macht den biblischen Verfasser.

2. Die Auffassung, daß nur die sittliche und geistliche Belehrung der Bibel eingegeben sei

Man sagt, Gott habe nur die übernatürlichen, dem Menschengeist verschlossenen Dinge mitgeteilt. Da er nicht unnötige Wunder wirke, habe er es den Verfassern überlassen, was sie sonst in bezug auf Geschichte und zeitgenössisches Denken wußten, auf ihre Art darzustellen. So hätten sich viele Ungenauigkeiten, Legenden in die Bibel eingeschlichen und Begriffe, die wir vom modernen Denken aus als falsch beurteilen.

Darauf antworten wir, daß ein Zeuge, der in einem Punkt Falsches und Irriges aussagt, kaum in andern Punkten als wahr angenommen wird.

War es nötig, daß die geschichtlichen Berichte eingegeben waren?

Es ist wichtig zu beachten, daß die jüdisch‑christliche Religion sich in der Geschichte verwirklicht hat. Die großen Tatsachen der Offenbarung und der Erlösung haben sich an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich zugetragen. Wenn diese Tatbestände uns nur durch ungenaue, sagenhafte (oder wie man heute sagt mythische) Erzählungen bekanntwerden, welche geistliche Sicherheit können wir darauf gründen?

Die Bibel selber betont die Wahrhaftigkeit und den geistlichen Gehalt der geschichtlichen Berichte. Jesus Christus nimmt ohne Vorbehalt die Darstellung der großen Ereignisse des Alten Testamentes an. Paulus erklärt, sie seien zu unsrer Belehrung als Vorbild für die geistlichen Wahrheiten des Evangeliums geschrieben (l. Kor 10,4). Die Verfasser der geschichtlichen Bücher hatten die Inspiration um so nötiger, als sie an die Ereignisse, so wie Gott sie sah, die Offenbarungen, die Ermahnungen und Weissagungen, die unfehlbar göttlichen Ursprungs waren, untrennbar anknüpften.

So enthielt die schlichte Berichterstattung der Vergangenheit ohne Wissen der Schreibenden nach Gottes Willen oft eine genaue Vorausnahme vom Bild des Messias, von seinem Wesen, seinem Leiden, seinem Tod und seiner Herrlichkeit. Adam war “ein Bild dessen, der kommen sollte” (Röm 5,14); das Wasser der Sintflut war “ein Bild der Taufe” (l. Petr 3,21); Hagar und Sara versinnbildlichten die beiden Bündnisse des Gesetzes und der Gnade (Gal 4,24); das israelitische Passah‑Fest und das geopferte Lamm stellten “Christus, unser Osterlamm” dar (l. Kor 5,7); der geistliche Fels am Horeb “war Christus” (l. Kor 10,4) usw.

Schließlich waren die biblischen Geschichtsschreiber darauf angewiesen, in der Wahl der vorhandenen Stoffe geleitet zu werden, Schritt um Schritt. Johannes sagt (Joh 21,25), daß die Welt die Bücher nicht fassen würde, die über alle Taten Jesu zu schreiben wären. Welche göttliche Eingebung war nötig, um den Evangelien diese Nüchternheit, Kürze und unvergleichliche Vielfalt zu verleihen (ganz zu schweigen von den andern geschichtlichen Büchern)!

Das gilt so sehr, daß, je mehr man sich in die Kenntnis der Schrift vertieft, man darin um so mehr geistliche Nahrung findet. Das entspricht ganz dem Wort: “Alles ist zum voraus für unsre Unterweisung geschrieben worden” (Röm 15,4). Es wird einen Tag geben, wo wir ohne Zweifel in aller Klarheit erkennen werden, daß in der Bibel Geschichte, Offenbarung und Inspiration sich völlig decken.

3. Die Ansicht, die Bibel “enthalte”, aber “sei nicht” das Wort Gottes

So heißt das modische Schlagwort. Für viele Theologen schließt die Schrift viele Mythen, Legenden und Irrtümer ein, was sie, wie sie sagen, nicht daran hindert, auf ihre Weise Gottes Wort darin zu sehen. Nach ihrer Meinung kann keine geschulte und ehrliche Person an einer völligen Inspiration festhalten. Für die moderne Wissenschaft sei eine solche naive Auffassung eindeutig unhaltbar.  . . .

Einer der einflußreichsten Theologen der Gegenwart, Rudolf Bultmann, ist bestrebt, den Bibeltext von allen Mythen zu befreien, um das Wesentliche des Evangeliums, das kerygma (griech.: Verkündigung) daraus zu behalten: die zu predigende Wahrheit.

Nach ihm sollten folgende Elemente beseitigt werden, die, weil zu mythisch, dem modernen Geist unannehmbar sind. Es handelt sich in Wirklichkeit um alles, was übernatürlich oder ein Wunder ist:

Christi Dasein vor seinem irdischen Leben
Die Jungfrauengeburt
Seine Gottheit und Seine Wunder
Sein stellvertretender Tod am Kreuz
Seine Auferstehung, und diejenige der Glaubenden
Seine Himmelfahrt
Seine Wiederkunft in Herrlichkeit
Das Endgericht
Das Vorhandensein guter oder böser Geister
Die Persönlichkeit und die Kraft des Heiligen Geistes
Die Lehre von der Dreieinigkeit
Der Tod als Folge der Sünde und Die Lehre von der Erbsünde, usw.

(Vgl. Kerygma und Mythos und Theologie des Neuen Testamentes von Rudolf Bultmann).

Nachdem man in dieser Weise den biblischen Text entmythologisiert hat, braucht man sich kaum zu fragen, was vom Wesentlichen des Evangeliums übrig bleibt, aus dem das kerygma herausgeschält werden sollte. Das gleiche Sezieren wird noch radikaler dem Alten Testament gegenüber angewendet, in welchem die Mythen und Legenden die Elemente göttlichen Wortes fast ganz überwuchern. Wäre es nicht letzte Konsequenz der Bultmannschen Logik, daß Gott selber als Mythus erklärt und abgelehnt würde? Wenn die Schrift dermaßen von zweifelhaften, ungenauen Angaben erfüllt ist, kann sie nicht an sich als Offenbarung Gottes gelten. Deshalb erklären jene Gelehrten, daß sie nur ein menschliches Echo, ein dem Irrtum unterworfenes Zeugnis von der Offenbarung sei. Wir begegnen hier wiederum der Auffassung, daß Gott zu den biblischen Verfassern gesprochen habe, daß diese aber, nachher sich selber überlassen, Ungenauigkeiten, Beschönigungen und Legenden in ihre Erinnerungen einflochten. Es ist sonnenklar, daß es in diesem Fall niemandem möglich wäre, in diesem Gemisch die Wahrheit vom Irrtum zu unterscheiden.

Um diese Schwierigkeit zu vermeiden, haben große Theologen erklärt: die Bibel ist ein menschliches Buch. Aber Gott kann bewirken, daß es zu seinem Wort “werde”, wenn er uns dadurch eine Botschaft zuteil werden läßt. In diesem Augenblick der “persönlichen Begegnung” teilt Gott etwas von seiner Wahrheit mit; das ändert nichts an der Tatsache, daß der in Frage kommende biblische Bericht legendär, ungenau oder tendenziös bleibt.  . . .

Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, daß Gott sich fehlerhafter Dinge bedienen könnte, um uns die Wahrheit zu lehren. Wenn schon der Text Irrtümer enthält, durch welchen Prüfstein können wir dann die Erfahrung des Glaubenden nachprüfen, für den die Bibelstelle mit einem Schlag Wort Gottes “geworden” ist? Eine solche Theologie müßte zu einer recht subjektiven Mystik führen.

Halten wir hier einmal inne, um uns in die Lage des betroffenen einfachen Gläubigen zu versetzen, der in seinem Glauben an die Schrift erschüttert wird. Man empfiehlt ihm, nur das Gute herauszulesen. Aber wir fragen nochmals, wie soll er das Richtige vom Falschen, das Menschliche vom Göttlichen zu unterscheiden vermögen?

Wer entscheiden will, was in der Bibel eingegeben ist und was nicht, stellt sich über die Schrift und verliert den göttlichen Zuspruch.

In der Praxis ergibt sich aus dieser Unmöglichkeit, eine Sichtung durchzuführen, eine Art Zwielicht. Man überläßt es einem zu entscheiden, ob jenes Gebot ernst zu nehmen ist oder nicht, ob diese Verheißung gewiß oder trügerisch ist, ob jener Verfasser lügt oder die Wahrheit sagt. Überall tauchen Fragezeichen auf. Die Predigt ist dadurch gelähmt, denn der Prediger muß über Glaubenssätze reden, an denen er zweifelt, oder über Berichte, die er für Legenden hält. Meistens wird er kaum wagen, von der Kanzel herab zu sagen, daß die Berichte von der Schöpfung und der Sintflut nur Mythen sind und die fünf Bücher Mose nicht verbürgte Urkunden darstellen. Und was sollen diejenigen predigen, welche die Berichte von der Jungfrauengeburt, vom Kreuz, von der Auferstehung und der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit als Mythen betrachten? Einer von ihnen erklärte jüngst in großer Öffentlichkeit: Als ich Student war, ereiferten wir uns, meine Kameraden und ich, darüber, zu wissen, ob das Grab Christi am Ostermorgen wirklich leer war oder nicht. Heute habe ich begriffen, daß dies gar keine Bedeutung hat.” Vor kurzem las ein andrer Prediger in einer Weihnachtsfeier den Evangelienbericht und fügte hinzu: “So erzählen es Matthäus und Lukas, aber wir wissen, daß dies eine Legende ist.”

Wenn ein großer Teil des biblischen Textes unecht und mythisch ist, was bleibt dann noch verbürgt? Dann hätten Jesus selbst und die Propheten wie die Apostel sich getäuscht, denn sie glaubten ohne Vorbehalt an die Heilige Schrift. Wem soll man sich dann anvertrauen? Denn man kann unmöglich sein diesseitiges und sein jenseitiges Leben abhängen lassen von einem so unzuverlässigen Buch. Soll man sich einem der großen Theologen verschreiben, obwohl man voraussieht, daß seine Gedanken gar bald überholt sein werden? Oder suchen wir Rettung in der Kirche, wie wandelbar und fehlbar sie sich auch im Lauf der Geschichte erwiesen habe, oder in unserm “religiösen Gewissen”, das uns immer wieder straucheln läßt?

4. Christus allein ist “das Wort Gottes”

Viele sagen uns, um uns zu beruhigen: “Wir glauben restlos an Gottes Wort, aber dieses ist Christus allein, von dem die Bibel nur ein Echo ist. Man darf ihn nicht mit der Bibel gleichsetzen. Eine solche Erklärung scheint zunächst recht fromm zu sein ‑ aber sie ist trotzdem unvollständig. Gewiß ist Christus das eine Wort des Herrn, ewig, schöpferisch, fleischgeworden, um uns zu erlösen (l. Joh 1,1‑3.14). Aber eben gerade von ihm, von seiner Person, seinem Heilswerk wissen wir nichts außer durch das geschriebene Wort.

Wenn Jesus allein Gottes Wort ist, unabhängig von der Heiligen Schrift, um welchen Christus handelt es sich dann in Wirklichkeit? Wenn das Bild von Matthäus, Johannes oder Paulus so verdächtig ist, gilt dann eher dasjenige von Bultmann oder Robinson oder einem andern berühmten Theologen, der den biblischen Text immer von neuem verbessert?

Was die Bibel selbst betrifft, so bestätigt sie ununterbrochen, daß sie das Wort Gottes ist. Das Alte Testament enthält 3808 Mal die gleichbedeutenden Ausdrücke: “Der Herr sprach”, “So spricht der Herr”, “Das Wort des Herrn geschah zu mir” usw. Der Psalmist nennt, wie Jesus es selber tut, das Gesetz (die Heilige Schrift des Alten Bundes) Gottes Wort (Ps 119,9; Mt 15,6). Dieser Name ist im Neuen Testament sogar dem Wort gegeben, das Christus und seine Apostel predigten (Luk 5,1; Apg 13,44; und besonders 1. Thess 2,13).

 

III. Auffassung von der Bibel als einem rein göttlichen Buch, das den Menschen ohne ihr Dazutun diktiert wurde

Danach wäre der Verfasser des Textes ganz passiv gewesen, die Offenbarung aufnehmend und wiedergebend, wie es heute das Tonband tut. Seine Persönlichkeit wäre vollkommen aus dem Spiel gewesen, so daß der Text von jedem menschlichen fehlbaren Element frei blieb. So ist für die Muslime der Koran, der schon im Himmel auf Arabisch vollständig verfaßt war, auf die Erde herabgekommen ohne jede Veränderung. Aus diesem Grunde hat man sich lange gesträubt, irgendeine Übersetzung zuzulassen, denn der Koran sollte nur in der vollkommenen Gestalt, die Mohammed gegeben wurde, vorhanden sein. Die, welche die volle Inspiration der Bibel leugnen, meinen, wir müßten in unsrer Überzeugung von der vom Geist eingegebenen Schrift zwangsweise zu einer solchen Haltung gelangen.

Wir beeilen uns zu sagen, daß wir eine solche Auffassung ganz und gar nicht teilen, wiewohl sie uns stets angedichtet wird. Wir betonen ja im Gegenteil, daß Gott keineswegs die Persönlichkeit von Mose, David, Johannes oder Paulus ausgeschaltet hat. Man erkennt deutlich ihren ihnen eignen Stil, ihr persönliches Temperament und Gemüt. Ihre Schriften tragen das Gepräge ihrer Zeit und die Spuren der örtlichen Umgebung, in der sie geschrieben wurden. Darum trägt das genaue Erforschen des geschichtlichen, kulturellen und sprachlichen Rahmens viel zum Verständnis ihrer geistlichen Bedeutung bei. Ein Diktat hätte eine völlige Gleichförmigkeit aller biblischen Schriften zur Folge gehabt, was der Wirklichkeit bei weitem nicht entspricht.  . . .

Warum versteift man sich darauf, den evangelischen Glaubenden eine derartig falsche Theorie zuzuschreiben, die unsres Wissens heute niemand verficht? Weil wir an die doppelte Natur der Schrift glauben; an die göttliche Inspiration ihres Gesamtinhaltes wie auch an ihr echt menschliches Gepräge. Eine solch übernatürliche Annahme scheint den modernen Ungläubigen, auch wenn sie religiös sind, unannehmbar. In ihren Augen bedingt die göttliche Inspiration der ganzen Bibel den Ausschluß jeder persönlichen Beteiligung von seiten der Verfasser. In Wirklichkeit lehnen es diese Kritiker einfach ab, an Wunder zu glauben. Für sie gibt es nur zwei Möglichkeiten:

– entweder ist der Text ganz von Gott, dann wäre er mechanisch diktiert worden (was Unsinn ist),
– oder dann, wenn der Mensch Anteil daran hat, ist die Schrift zwangsweise fehlbar, voller Legenden, Übertreibungen und
  frommer Schwindeleien (was ihr Zeugnis unannehmbar macht).

Hatten nicht die Juden und die Doketen (Sekte der Früh‑Christenheit) der ersten Jahrhunderte die gleiche Einstellung gegenüber Christus? Für sie hätte der Mes­sias, dessen Menschlichkeit nur äußerer Schein war, entweder ganz Gott oder ganz Mensch sein sollen, und damit auch fehlbar, fähig zu lügen und zu betrügen.

Nun ist das gerade das Besondere am Evangelium, daß Christus in seiner Vollkommenheit gleichzeitig Gott und Mensch ist, wie die von Gott eingegebene Bibel zugleich zu Gott und zum Menschen gehört.

Man hat oft behauptet, daß “das mechanische Diktat” von den Reformatoren und besonders den lutherischen Theologen des 17. Jahrhunderts gelehrt worden sei. Immerhin bestätigen ernst zu nehmende Gelehrte wie Robert Preus und James I. Packer, daß jene Männer das Wort “diktiert” nie so anwandten, wie es ihnen zugeschoben wird.

Weil die Evangelikalen glauben, daß die biblischen Verfasser völlig unter der Leitung des Heiligen Geistes standen, hat man vermutet, sie unterstützten die Ansicht von der mechanischen Inspiration … Das trifft nicht zu. Diese Meinung ist ein Hirngespinst. Man kann mit Sicherheit feststellen, daß jene Lehre nie von einem protestantischen Theologen von der Reformation bis zur Gegenwart vertreten wurde, erst recht nicht von heutigen Evangelikalen  . . .

Erich Sauer schrieb vor wenigen Jahren:

“Wir reden nicht einer starr mechanischen Diktatinspiration das Wort! Eine solche wäre der göttlichen Offenbarung durchaus unwürdig. Eine mechanische Inspiration (“automatisches Diktat”) gibt es auf dem Boden des Okkulten, Spiritistischen, also Dämonischen. Dort wirkt der böse, inspirierende Geist unter Beiseitesetzung (“Substitution”) und Ausschaltung der menschlichen Individualität. Die göttliche Offenbarung aber hat mit solcher Herabsetzung des menschlichen Eigen-Ichs nichts zu tun. Sie will nicht Aufhebung der sonstigen Gesetze des menschlichen Bewußtseins, nicht Verwandlung von Menschen in Automaten, nicht Ausschaltung, sondern eher Steigerung der menschlichen Vorstellungswelt. “Das Licht kann nicht Finsternis hervorbringen, sondern wirkt im Gegenteil Sehkraft.” Gottes Offenbarung will Gemeinschaft des menschlichen Geistes mit dem göttlichen Geist. Sie will Heiligung, Verklärung und In‑Dienst‑Stellung der Persönlichkeit. Sie will nicht passive “Medien”, sondern aktive “Menschen” Gottes (2. Petr 1,21), nicht tote Werkzeuge, sondern lebendig geheiligte Mitarbeiter Gottes, nicht “Sklaven”, sondern “Freunde” (Joh 15,15).

Darum ist ihre Inspiration nicht mechanisch, sondern organisch, nicht magisch, sondern göttlich‑natürlich, nicht totes Diktat, sondern lebendiges Geisteswort. Nur so kann Gotteswort Menschenwort und Menschenwort Gotteswort sein” (E. Sauer, S. 106‑107).

 

Drittes Kapitel
Die volle und wortgemäße Inspiration der Schrift

Nachdem wir verschiedene Theorien über die Inspiration angeschaut haben, die alle ungenügend waren, betrachten wir das, was die Bibel selbst uns darüber zu lehren scheint:

 

I. Definition

Was verstehen wir unter voller und wortgemäßer Inspiration? Wir glauben, daß beim Niederschreiben der Urtexte der Heilige Geist die Verfasser bis in die Wahl der Ausdrucksweisen geführt habe, und zwar in der ganzen Schrift, ohne die Persönlichkeit auszuschalten.

Mehrere bedeutende Gelehrte äußern sich darüber wie folgt:

“Die Kirche hat von Anfang an die Bibel als Gottes Wort aufgefaßt, in dem Sinne, daß ihre Worte, von Menschen geschrieben und ihr unauslöschbares menschliches Gepräge verratend, unter dem Einfluß des Heiligen Geistes aufgesetzt wurden, so daß sie auch Gottes Worte, die sinngemäße Äußerung für sein Denken und sein Wollen darstellen. In bezug auf diesen doppelten Ursprung der Bibel hat die Kirche stets angenommen, daß die Einwirkung des Heiligen Geistes sich auch auf die Wahl der Ausdrücke seitens der menschlichen Verfasser ausdehnte (wortgemäße, aber nicht mechanisch diktierte Inspiration), wodurch dem Text alles erspart bleibt, was des göttlichen Verfassers unwürdig wäre. Es folgt daraus vor allem dieser Charakter der vollen Wahrheit, welche die biblischen Verfasser überall der Schrift zuschreiben” (B. Warfield, S. 173).

“Die Lehre von der vollen Inspiration hält daran fest, daß der biblische Urtext durch Menschen verfaßt wurde, die bei voller Beibehaltung ihrer Persönlichkeit und in Ausübung ihrer literarischen Begabung geschrieben haben unter der nachprüfenden Leitung des Geistes Gottes. Es folgt daraus, daß jedes Wort des Urtextes uns in vollkommener Form ohne Irrtum die Botschaft übermittelt, die Gott dem Menschen mitteilen wollte” (F. E. Gaebelein, S. 9).

In gleichem Sinn äußert sich Gaussen:

“Die Theopneustie (2. Tim 3,16, theopneustos: gehaucht, eingeblasen von Gott) ist die geheimnisvolle Kraft, die in den Verfassern der Heiligen Schrift gewirkt hat, wenn sie dieselbe schrieben, um sie im Ausdruck zu leiten und sie vor jedem Irrtum zu bewahren” (L. Gaussen, S. 305).

Untersuchen wir nun das, was die obigen Definitionen an Positivem in sich schließen, indem wir in späteren Kapiteln auf gewisse Entgegnungen eingehen.

 

II. Was bedeutet nach der Bibel der Ausdruck “volle Inspiration”?

Sie bedeutet, daß die Inspiration völlig und ohne Einschränkung ist. Das bestätigen die biblischen Verfasser überall. “Alle Schrift ist von Gott eingegeben” (2. Tim 3,16); die Propheten und die Apostel übermitteln uns nicht Menschenwort, sondern wirklich Gottes Wort (l. Thess 2,13). Die schriftliche Offenbarung ist so abgeschlossen, daß wir weder ihr etwas hinzufügen, noch etwas davon nehmen sollen (Offb 22,18‑19); es wird vom Gesetz (der Heiligen Schrift des Alten Bundes) nicht ein Tüpfelchen noch der kleinste Buchstabe vergehen, bis daß alles geschehe (Mt 5,18).

Man kann den Nachdruck nicht ernst genug nehmen, den die Schrift auf den Empfang und die genaue Wiedergabe der göttlichen Ausdrucksweise legt.

Mose war sich darüber ganz im klaren, daß er Gottes eigne Worte überlieferte, im Gesetzbuch wie auf den Tafeln der zehn Gebote (2. Mose 24,4.7.12). Abschließend heißt es: “Und der Herr sprach zu Mose: Schreib dir diese Worte auf; denn auf Grund dieser Worte habe ich mit dir und mit Israel einen Bund geschlossen” (34,27).

Bileam weiß, daß ihm zwangsweise die Worte eingegeben werden: “Wie kann ich etwas anderes reden, als was mir Gott in den Mund gibt? … Ich könnte nicht an des Herrn Wort vorüber und Böses oder Gutes tun nach meinem Herzen, sondern was der Herr redet, würde ich reden (4. Mose 22,38; 24,13). Was aber Gott einem feindseligen Menschen, einem falschen Propheten getan hat, wie sollte er es nicht den wahren Propheten gegenüber tun, die sich freudig seinem Willen unterwerfen?

David sagt zu Salomo beim Tempelbau: “Das alles steht in einer Schrift, gegeben von der Hand des Herrn, der mich unterwies über alle Werke des Entwurfes” (l. Chr 28,19). Ohne Zweifel handelte es sich um die treue Niederschrift einer Offenbarung durch einen Propheten. David betrachtete es als von der Hand des Herrn geschrieben. Er ruft aus: “Der Geist des Herrn spricht aus mir, und sein Wort ist auf meiner Zunge” (also nicht nur als göttlicher Gedanke in seinem Geist; 2. Sam 23,2).

Der Psalmist erblickt in der Heiligen Schrift der Juden die echte Wahrheit Gottes. “Ich verlasse mich auf dein Wort … das Wort der Wahrheit … Alle deine Gebote sind Wahrheit … Herr, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht … Dein Gebot bleibt bestehen. Wie habe ich dein Gesetz so lieb … Dein Gesetz ist Wahrheit. Alle Ordnungen deiner Gerechtigkeit währen ewig” (Ps 119, 42.86.89.142).

Jeremia erhält von Gott diesen Befehl: “Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund … Predige ihnen alles, was ich dir gebiete . . Wer mein Wort hat, predige mein Wort recht … Predige alle Worte, die ich dir befohlen habe, ihnen zu sagen und tu nichts davon weg . . Nimm eine Schriftrolle und schreibe darauf alle Worte, die ich zu dir geredet habe (Jer 1,9.17; 23,28; 26,2; 36,2; Hes 2,7‑8; 3,10‑11.17; 5. Mose 18,18).

Jesus Christus erklärt in bezug auf seine im Neuen Testament enthaltenen Worte: “Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen” (Mt 24,35).

Paulus umschreibt folgendermaßen seine eigene Einstellung gegenüber der ganzen Schrift: “Ich diene dem Gott meiner Väter und glaube alles, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht. … Ich sage nichts, als was die Propheten und Mose gesagt haben, daß es geschehen sollte” (Apg 24,14; 26,22).

Und Johannes wiederholt mit Bestimmtheit im letzten Buch der Bibel: “Diese sind wahrhaftige Worte Gottes … Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß, und der Herr, der Gott der Geister der Propheten, hat seinen Engel gesandt, seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muß” (Offb 19,9; 21,5; 22,6).

 

III. Warum spricht man von “wortgemäßer” Inspiration?

Eine volle Inspiration erstreckt sich notgedrungen auch auf die einzelnen Wörter. Der Sinn der göttlichen Offenbarung ist unlösbar verbunden mit der Ausdrucksweise der Schrift, denn der Inhalt bedarf der sprachlichen Hülle. Wenn wir nicht aussagen können, daß die sprachliche Gestalt von Gott gegeben ist, so ist es nicht möglich, die Schrift als eingegeben zu erklären, da sie aus Wörtern besteht. Wir sind nie sicher über das, was Gott in der Schrift sagen will, sofern wir nicht gewiß sind, daß die Wörter des Textes ausdrücklich von ihm eingeflößt sind.

Die einzige Möglichkeit der Mitteilung von Gedanken, die wir als Vernunftwesen begreifen können, ist diejenige, welche gleiche Gedanken weckt in der angesprochenen Person. Die allgemeinste Form solcher Mitteilung ist die Sprache, welche ihrem Wesen nach sich in Lauten und ihrer sichtbaren und sinnbildlichen Darstellung der geschriebenen Buchstaben ausdrückt. Wenn der Bericht von Jesu Fleischwerdung und die Stimme des Propheten wirklich eine göttliche Botschaft übermitteln, dann hat also Gott sich des Fahrzeuges der gesprochenen und geschriebenen Wörter bedient, welche das allgemeine Kennzeichen der Sprache ausmachen, um seinen Willen den Menschen kundzutun.

Was die Formulierung “wortgemäße” Inspiration betrifft, erweckt sie bei vielen Theologen den Gedanken an ein mechanisches Diktat. Wir verwerfen diesen Gedanken. Die eifrigsten Anhänger der Lehre von der Verbalinspiration wollen damit gar nicht sagen, daß die Gedanken durch die Wörter eingeflößt wurden, sondern nur, daß die als Inspiration bezeichnete göttliche Einwirkung sich auf die Ausdrucksweise der Gedanken der biblischen Verfasser wie auf diese Gedanken selbst bezieht. Folglich ist für uns die Bibel, als schriftlicher Niederschlag betrachtet, göttliche Offenbarung, in Wörtern ausgedrückt. Sie ist für uns Gottes Wort.

Hören wir noch, zusammengefaßt, die Meinung von E. Sauer:

“Wir glauben an eine folgerichtige, volle Inspiration um der inneren Be­ziehung zwischen Wort und Gedanke willen. In jeder klaren Aussage gehört zum unmißverständlichen Ausdruck des Gedankens eine sorgfältige Wahl der entsprechenden Worte. Wohl sind die Worte der menschlichen Sprache zunächst nur lautliche Symbole und Zeichen für gemeinte Gedanken; denn der Mensch denkt nicht in Worten, sondern in Vorstellungen. Dies widerlegt aber nicht die Tatsache, daß alles Geistige, wenn es zu klarer Entfaltung gelangen soll, sich im Wort offenbart. Ein Gedanke wird erst dann recht eigentlich zum oberbewußten Gedanken, wenn aus dem Unterbewußtsein des Empfindens und dem unbestimmten Eindruck des Wollens und Fühlens das Wort herausgeboren wird. Wie eben erst durch die Geburt das keimende Leben zum Menschen oder Tier wird, so wird auch erst durch das Wort die geistige Möglichkeit und die geistige Urempfindung zur klar geistigen Voll‑Wirklichkeit. Das Wort ist gleichsam der ‘Leib’ des Gedankens, die Sichtbarkeit und Form des Geistes. Wankt darum das Wort, so wankt auch der Sinn, und alles wird in Nebel verflüchtigt.” (Gott, Menschheit und Ewigkeit. R. Brockhaus Verlag Wuppertal 1955, S.105.)

Wenn also die Gedanken eingegeben sind, müssen es auch die Wörter sein. Jede Veränderung der Wörter bringt auch eine mehr oder minder große Abweichung des Gedankens mit sich. Luther stellt mit Recht fest: Christus hat nicht von seinen Gedanken, sondern von seinen Worten gesagt, daß sie Geist und Leben sind (Joh 6,63). J. A. Bengel sagt von den Propheten: “Mit den Gedanken gab ihnen Gott auch die Wörter.” Und Spurgeon, der König der Prediger, ruft aus: “Wir kämpfen um jedes Wort der Bibel. Wenn uns die Worte genommen werden, so geht uns der klare Sinn ganz von selbst verloren”.

Für die Männer der Bibel bestand gar kein Zweifel darüber; wir sahen dies am Beispiel von Jeremia. Hatte Gott ihm nicht erklärt: “Du wirst alles sagen, was ich dir gebieten werde … Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Du wirst mein Mund sein … Sag alles, was ich dir auftragen werde, ohne ein einziges Wort davon zu nehmen … Nimm eine Schriftrolle und schreibe alle Worte hinein, die ich dir gesagt habe” (Jer 1,7; 15,19).

Für Paulus lehrt der Heilige Geist die Boten Gottes eine geistliche Sprache, deren Wörter der übernatürlich zu vermittelnden Botschaft angemessen sind. Daher erleben wir beständig, daß eine besondere Offenbarung aus einem besondern Ausdruck hervorspringt, oder daß ein Verfasser eine ganze Folgerung aus einem bestimmten Wort zieht.

Mt 22,32 ‑ 2. Mose 3,6: Indem der Herr sagt: Ich bin der Gott Abrahams … bezeugt er, daß die Erzväter noch leben, wodurch ihr Weiterleben, ihre Auferstehung dargetan ist (Vgl. Luk 20,37‑38).

Mt 22,45 ‑ Ps 110,1: Wenn David, vom Geist Gottes durchdrungen, den Messias seinen Herrn nennt, wie auch Gott, so sieht er in ihm nicht nur den Nachkommen nach dem Fleisch. Jesus zieht daraus einen Beweis für seine Gottheit und bringt die Gegner zum Schweigen.

Joh 8,58 ‑ 2. Mose 3,14: Wenn Jesus ausruft: “Ich bin, bevor Abraham war”, so betont er sein vorheriges Dasein in der Gottheit, indem er seinerseits den unaussprechlichen Namen Gottes annimmt, der Mose geoffenbart wurde. Entgegen den Regeln der Syntax sagt er “Ich bin”, (nicht: ich war). Damit unterstreicht er seine ewige Gegenwart, außerhalb der Zeit. Die Juden verstehen dies recht wohl, und wollen ihn einzig dieses Wortes wegen steinigen.

Gal 3,16 ‑ 1. Mose 12,7: Gott sagt zu Abraham: Ich werde dieses Land deinem Samen (deiner Nachkommenschaft) geben und nicht: deinen Nachfahren. Paulus sieht darin, in der Einzahl, eine genaue Prophezeiung in bezug auf die einzige Person Christi, dem Samen (Nachkommen) Abrahams.

Man könnte diese Beispiel‑Reihe noch lange fortsetzen. Betrachten wir noch, wie der Verfasser des Hebräerbriefes seine Beweisführung ständig auf ein Wort der Schrift bezieht:

Hebräer 1,5‑6 ‑ Ps 2,7; 2. Sam 7,14: Gott nennt den Messias seinen Sohn.

Hebräer 1,9 ‑ Ps 45,8: die Wiederholung des Wortes Gott, auf den Sohn und auf den Vater angewandt.

Hebräer 2,6‑8 ‑ Ps 8,5‑7: Alle Dinge dem Menschen‑Sohn untertan..” Der Verfasser braucht den Ausdruck dreimal, um seine Tragweite und seine Anwendung in der Zeit zu betonen.

Hebräer 7,3 ‑ 1. Mose 14,18‑20: Auch das Verschweigen ist, in der Schrift, eingegeben. Daß Melchisedeks Herkunft und sein Stammbaum nicht genannt werden, wird mit dem Ewigkeitsdasein des Gottes‑Sohnes in Zusammenhang gebracht.

Zusammenfassend können wir feststellen, daß recht oft der Sinn einer Stelle abhängt

– von einem Wort
– der Einzahl oder Mehrzahl
– der grammatikalischen Zeit des Verbs
– den Einzelheiten einer Verheißung
– dem Übergehen andrer Punkte im Text.

Die Botschaft überstieg oft das Fassungsvermögen der alten Propheten, aber der Geist Christi, der in ihnen wirkte, half ihnen, in erstaunlicher Weise anzukündigen
– die Zeit des Kommens Christi (Dan 9,22‑27)
– die näheren Umstände (Zitate bei Mt 1 und 2)
– die Leiden (Ps 22; Jes 53)
– die Herrlichkeit des auferstandenen Herrn (Ps 2; 110).

Sie hätten sich wohl in so genauer Beschreibung getäuscht, wären sie nicht von Gott in der Wahl der Ausdrücke geleitet worden. Mußten sie nicht von Dingen sprechen, die ihnen wie den Engeln unbekannt waren, und die für die kommenden Geschlechter aufgespart wurden? Wie hätte Daniel allein Botschaften aufsetzen können, die er nicht begriff, die dazu bestimmt waren, verborgen und versiegelt zu bleiben bis an das Ende der Tage (Dan 12,8‑9) ?  . . .

Welche Gewißheit hätten wir, wenn wir angesichts solch wunderbarer Texte uns fragen müßten: Hat wohl der Verfasser nicht übertrieben, den göttlichen Gedanken überboten? Wäre es wohl nicht besser, diesen oder jenen Ausdruck durch einen andern zu ersetzen?

Welcher Verzweiflung wären wir preisgegeben angesichts der nur angeblich göttlichen Offenbarung, ohne weitere Erleuchtung, um uns auf den Weg zur Ewigkeit zu führen. An Gottes Wort zweifeln – welche Qual!

Wie Erich Sauer sagt, ist die volle Inspiration der Bibel nötig geworden durch den Sündenfall. Wäre die Bibel ein Gemisch von Wahrheit und Irrtum, müßten wir immer selber zu entscheiden suchen, was göttlichen Ursprungs sein könnte und was als menschlich fehlbare Zutat verworfen werden müßte. Wenn der Mensch nicht von oben einen klaren Prüfstein erhält, wie sollte sein Geist das Göttliche vom Menschlichen unterscheiden? Wie sollten wir die Kühnheit haben, Gottes Buch zu zerlegen, zu sezieren, zumeist auf Grund von subjektiven Eindrücken und Gefühlen, oder von ungenügenden geschichtlichen Kenntnissen?

Was der gefallene Mensch über Gott denkt, ist zum größten Teil irrig und wenig vertrauenswürdig; es ist nur “Religion”. Es geht umgekehrt darum, zu erfahren, was der Höchste von ihm denkt und über seine Person und sein Heil bezeugt. Die objektive, wesentliche Wahrheit ist nicht ein Buch, sondern eine Person. Jesus Christus, der Fleischgewordene, Gekreuzigte und Auferstandene ist die Wahrheit, das Licht, die Quelle der Erkenntnis. Um ihn Menschen mit verdunkeltem Verstand (Eph 4,18) zu offenbaren, war eine übernatürliche Inspiration notwendig, die in vollem Maß zutreffend und vertrauenswürdig ist. Genau wie wir der Gnade bedürfen wegen unseres sittlichen Ungenügens, so brauchen wir die Inspiration wegen unserer geistigen und geistlichen Unzulänglichkeit (Vgl. E. Sauer, S. 101 ff).

 

Viertes Kapitel

Ist die Bibel Gottes Wort?

Während die evangelischen Christen von jeher die beiden Ausdrücke “Bibel” und “Gottes Wort” gleicherweise benutzten, finden gewisse Theologen Anlaß, in der Schrift nur die Erfahrungen von Menschen auf der Suche nach Gott zu sehen. Die Forschungen dieser Frommen hätten mehr oder weniger das Ziel erreicht, was ihnen gegenüber andern religiösen Geistern eine gewisse Überlegenheit verleihe. Aber sie seien bei weitem nicht erhaben über Irrtümer und man könnte höchstens sagen, die Bibel enthalte, aber nicht sie sei Gottes Wort. Oder mit einem andern modischen Schlagwort ausgedrückt: “Es gibt nur ein Wort Gottes, Jesus Christus.”

Was sagt die Bibel darüber? Da wir grundsätzlich auf dem Boden der Offenbarung stehen, fragen wir: Gibt es schriftgemäße und geistliche Gründe, zu glauben, die Bibel sei Gottes Wort?

 

I. Die Bibel bestätigt ununterbrochen, daß sie das Wort Gottes ist

Wir erwähnten schon, daß das Alte Testament in verschiedenen Ausdrücken 3808mal erklärt, daß es die ausdrücklichen Worte Gottes wiedergibt. Folgende Beispiele sind besonders deutlich:

In den fünf Büchern Mose wird dies 420mal in folgenden Worten umschrieben: “Der Herr sagte zu Mose. Schreibe dies zum Gedächtnis in ein Buch … Das sind die Worte, die du den Kindern Israel sagen sollst … Mose … legte ihnen alle diese Worte vor, die ihm der Herr geboten hatte … Und Gott redete alle diese Worte … Mose schrieb alle Worte des Herrn nieder … Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes. Und sie sprachen: Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun … Der Herr sprach zu Mose: Schreib dir diese Worte auf, denn auf Grund dieser Worte habe ich mit dir und mit Israel einen Bund geschlossen (2. Mose 17,14; 19,6‑7; 20,1; 24,7; 34,27).

Esra bewirkt eine Erweckung dadurch, daß er das aus Babylon zurückgekehrte Volk dazu bringt, das Gesetz ernst zu nehmen. “Und es versammelten sich bei mir alle, die über die Worte des Gottes Israels erschrocken waren … So laßt uns nun mit unserm Gott einen Bund schließen … nach dem Rat des Herrn und derer, welche die Gebote unsres Gottes fürchten, daß man tue nach dem Gesetz” (Esra 9,4, 10,3).

Nehemia bestätigt, daß diese Erweckung gekennzeichnet ist durch die öffentliche Vorlesung und die praktische Anwendung “des Buches des Gesetzes des Herrn”. Die Schrift übte eine solche Wirkung aus, weil man darin das Wort des dreimal heiligen Gottes selbst erblickte. “Du bist herabgestiegen auf den Berg Sinai und hast mit ihnen vom Himmel her geredet und ihnen ein wahrhaftiges Recht und rechte Gesetze und gute Satzungen und Gebote gegeben (Neh. 8,1‑8; 9,13‑14).

Der Psalmist. Der Verfasser des 119. Psalmes nennt die Schrift 24mal “Das Wort (oder die Worte) des Herrn”. Im Gewand von zehn verschiedenen Ausdrücken nennt er es 175mal und hört nicht auf, es mit folgenden Worten zu lobpreisen: “Dein Wort ist ganz durchläutert … dein Gesetz ist die Wahrheit … du lehrst mich deine Gebote. Meine Zunge soll singen von deinem Wort” (Ps 119,140. 142.171.172).

Die Propheten stellen in besonders nachdrücklicher Weise ihre Bot­schaft dem Worte Gottes gleich. Sie werden nicht müde zu sagen: “So spricht der Herr … Vernehmet die Worte des Herrn … Das Wort geschah zu mir in folgenden Worten … Der Mund des Herrn hat geredet … Der Herr sagte mir . . .” usw. Solche Ausdrücke kommen vor bei Jesaia 120mal – Jeremia 430mal – Hesekiel 329mal – Amos 53mal – Haggai 27mal (in 38 Versen) – Sacharia 53mal usw.

Es würde ein schwerwiegendes sittliches Problem aufwerfen, wollte man so außerordentlich zahlreiche wiederholte Aussagen bezweifeln. Die Bibel bietet uns unbestreitbar höchste und reinste Sittlichkeit. Ihre wiederholte Bestätigung, daß sie das Wort Gottes sei, ist entweder wahr oder falsch. Wenn sie falsch wäre, wieso wäre dann aus einem Gewebe von Lügen die höchste Sittenordnung entstanden? Das Wasser steigt nie höher, als seine Quelle ist, und die Lüge bringt nicht die Wahrheit hervor. Was uns betrifft, sind wir ganz überzeugt, daß die Bibel genau das ist, was sie zu sein behauptet.

 

II. Christus und die Apostel bestätigen das Zeugnis des Alten Testamentes

Wir begnügen uns hier mit folgenden Bemerkungen:

1. Auf der einen Seite erklären die Verfasser des Neuen Testaments  “Gott sagt”, wenn tatsächlich die Schrift spricht. Umgekehrt bedeutet der Ausdruck “die Schrift sagt” für sie in Wirklichkeit: Gott spricht. In beiden Fällen ist das Verhältnis zwischen Gott und der Schrift so, daß die gleiche unmittelbare Autorität beiden zuerkannt wird. Die Ausdrücke haben also den gleichen Sinn, ob es heißt “Es steht geschrieben”, “die Schrift sagt” oder “Gott sagt”.

2. “Die Schrift hat es vorausgesehen, daß Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht. Darum verkündigte sie dem Abraham: In dir sollen alle Heiden gesegnet werden”  (Gal 3,8; 1. Mose 12, 1‑3). “Die Schrift sagt zu Pharao: Eben darum habe ich dich erweckt…” (Röm 9,17; 2. Mose 9,16). In Wirklichkeit bestand die Schrift noch gar nicht, als diese Worte von Gott selber an Abraham oder Pharao gerichtet wurden. Eine solche Ausdrucksweise ist nur möglich, wenn das eingegebene Wort und Gott, der es ausspricht, sich völlig decken. So kann dann ganz natürlicherweise gesagt werden: “Die Schrift sagt” im Sinne von: “Gott sagt in der Schrift . . .”.

3. Jesus erklärt den Pharisäern: “Gott hat geboten: Du sollst Vater und Mutter ehren; und: Wer aber Vater und Mutter flucht, der soll des Todes sterben. Aber ihr habt Gottes Wort aufgehoben um eurer Satzungen willen” (Mt 15,4‑6). Christus legt die beiden Texte aus 2. Mose 20,12 und 21,17 Gott in den Mund. Anderswo erklärt er: Habt ihr nicht gelesen, daß der Schöpfer am Anfang den Mann und die Frau schuf, und daß er sagte: Der Mann wird Vater und Mutter verlassen . . .” (Mt 19,4‑5). Das ist einfach der Text von 1. Mose 2,24.

4. Die ersten Jünger drückten sich ebenso aus: “Herr, der du durch den Heiligen Geist, durch den Mund unsres Vaters David, deines Knechtes gesagt hast: Warum toben die Heiden … ” (Apg 4,24‑25). Auch hier ist der 1. Vers aus Psalm 2 Gott selbst zugeschrieben. Auch in Apg 13,34‑35 wird die Jesaia‑Stelle (55,3) wie das Wort aus Psalm 16 (V. 10) Gott in den Mund gelegt. (Man vergleiche: Hebr 1,5 ‑ Ps 2,7; Hebr 1,6 ‑ Ps 97,7; Hebr 1,7 ‑ Ps 104,4; Hebr 1,8 ‑ Ps 45,7‑8; Hebr 1,10 ‑ Ps 102, 26‑28; usw.).

Die beiden obigen Reihen beweisen, daß für den Gesichtspunkt, der uns hier beschäftigt, Christus und die Apostel die Schrift dem Wort Gottes, der zu uns spricht, ganz gleich setzen. 

III. Die Predigt Christi und der Apostel wurde selber “Wort Gottes” genannt

Lukas sagt von Jesus (5,1): “Die Menge drängte sich herzu, um das Wort Gottes zu hören.” Paulus schreibt den Thessalonichern: ,Als ihr das Wort göttlicher Predigt von uns empfinget, nahmet ihr es auf nicht als Menschenwort, sondern, wie es das in Wahrheit ist, als Gottes Wort, welches auch wirkt in euch, die ihr glaubet (l. Thess 2,13).

Folgende Stellen aus der Apostelgeschichte bestätigen dies:

“Samarien hatte das Wort Gottes erhalten” (8,14)

“Die Heiden hatten auch das Wort Gottes angenommen” (11,1)

“Das Wort Gottes breitete sich indessen immer mehr aus, und die Zahl der Jünger nahm zu” (12,24)

Paulus drückt denselben Gedanken in folgenden Worten aus: “Wir danken Gott … um der Hoffnung willen . . ., von der ihr schon gehört habt durch das Wort der Wahrheit im Evangelium, das zu euch gekommen ist, wie es auch in aller Welt da ist und Frucht bringt und so wächst wie bei euch von dem Tage an, da ihr’s gehört habt und erkannt die Gnade Gottes in der Wahrheit” (Kol 1,3‑6). “So kommt der Glaube aus dem Hören, das Hören durch das Wort Christi” (Röm. 10,17).

Wenn also die Predigt der Apostel “Wort Gottes” genannt wurde, trotz allem, was ihr an zufälligen und flüchtigen Zügen anhaften konnte, wie viel mehr verdienen ihre Schriften eine solche Benennung. Diese Texte, mit größter Sorgfalt abgefaßt, (l. Kor 2,13), sind die endgültige Gestalt der höchsten Offenbarungen des Neuen Bundes, die Grundlage für den Glauben und die Botschaft der Kirche zu allen Zeiten.

Von da aus gesehen, macht jede treue Verkündigung des Evangeliums das Wort Gottes bekannt. Will Petrus nicht dies sagen, wenn er schreibt: “Wenn jemand redet, so rede er’s als Gottes Wort” (l. Petr 4,1l)? Paulus erklärt seinerseits: “Wir fälschen Gottes Wort nicht; vielmehr weisen wir durch Offenbarung der Wahrheit uns aus vor aller Menschen Gewissen im Angesicht Gottes” (2. Kor 4,2).

IV. Die Bibel hört nicht auf, das heute noch gültige Wort Gottes zu sein

Nach der Auffassung Jesu Christi und der Apostel ist sie uns nicht nur für die Vergangenheit eingegeben worden; durch sie spricht Gott uns gegenwärtig an. Die Belegstellen aus dem Alten Testament werden recht häufig mit einem Tätigkeitswort in der Gegenwart statt in der Vergangenheit eingeführt, durch “Er sagt”, an Stelle von “Er hat gesagt”:

“David, vom Geist ergriffen, sagt …” (Mt 22,43)
“Die Schrift zeugt von mir” (Joh 5,39)
“… wie der Prophet sagt: Der Himmel ist mein Thron …” (Apg 7,48)
“Denn was sagt die Schrift?” (Röm 4,3)
“nach dem, was der Heilige Geist sagt: Heute. . . “
“Gott setzt abermals einen Tag fest, durch David . . .” (Hebr 3,7.15; 4,7).

Man begreift wohl den Verfasser des Hebräerbriefes, daß er nach der Erklärung vieler Schrift‑Stellen mahnend ausruft: “Sehet zu, daß ihr den nicht abweist, der da redet . . .” (12,25). Die Worte des Lebens, die Mose empfing, um sie euch zu geben, sind von unveränderter Bedeutung auch in der Gegenwart (Apg 7,38). Die Offenbarungen, die einst geschenkt wurden, haben nichts von ihrer Wirksamkeit eingebüßt, da sie immer belebt sind von der Stimme Gottes, die sich hier und heute an uns richtet.

In bestimmten Fällen zeigt das Fürwort (wir, ihr) an, wen der Text im besonderen angeht:

“Habt ihr nicht gelesen, was Gott euch gesagt hat: Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs” (Mt 22,31‑32). Was aber Gott damals zu Mose sagte, richtet sich auch an uns heute.

“Ihr Heuchler, mit Recht hat Jesaia über euch geweissagt, als er sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen” (Mt 15,7).

“Im Gesetz des Mose steht geschrieben: Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden  Es ist um unsertwillen geschrieben” (l. Kor 9,9‑10).

“Denn der Heilige Geist bezeugt uns auch; denn nachdem der Herr gesagt hat, . . . spricht er” (Hebr 10,15‑16).

In Apg 4,11 heißt es: “Jesus ist von euch Bauleuten verworfen worden”, während es im Ps 118,22 lautet: durch die Bauleute.

Diese unveränderte Gültigkeit der geschriebenen Offenbarung wird durch die Erklärungen des Apostels Paulus unterstrichen: “Alles, was zum voraus geschrieben wurde, ist zu unserer Unterweisung gegeben worden” (Röm 15,4). “Das ist aber geschrieben nicht allein um seinetwillen (Abraham), daß es ihm zugerechnet ist, sondern auch um unsertwillen” (Röm 4,23‑24).

 

VIII. Folgerungen

Es geht aus dem oben Gesagten hervor, daß die Bibel auch jetzt Gottes Wort ist. Dadurch, daß ihre Verfasser uns eine ewig lebendige Botschaft ausrichten, sind sie gleichsam unsre Zeitgenossen. Täglich wenden sie sich an uns, und wir wollen tatsächlich mit ihnen den Weg Gottes gehen.

Würden wir unsern Glauben nur auf ein lebloses Buch stützen, das Zeuge einer großartigen Vergangenheit ist, wären wir recht gesetzlich, die Sklaven des toten Buchstabens. Statt dessen strömt aus dem geistgewirkten Buch eine umgestaltende Kraft des Urteils, des Lebens und der Auferstehung.

Der Hebräerbrief mahnt uns mit großem Ernst: “Sehet zu, daß ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die Gott abwiesen, als er auf Erden redete, wieviel weniger wir, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet” (12,25).

 

Fünftes Kapitel

Die Inspiration des Neuen Testamentes

Christus und die Apostel hören nicht auf, die volle Inspiration dessen, was für sie die Schrift war, nämlich das Alte Testament, zu bezeugen. Wie verhält es sich in dieser Beziehung mit dem Neuen Testament?

I. Der göttliche Ursprung der Worte Jesu Christi

Jesus ist das Wort, Fleisch geworden, um uns aus der Ewigkeit die ganze Botschaft Gottes in menschlicher Sprache zu bringen.

Er ist der versprochene Messias, in dessen Mund der Herr seine eignen Worte legt (5. Mose 18,18). Sein Mund (d.h. seine Botschaft) gleicht einem scharfen Schwert (Jes 49,2). Aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert (Offb 1,16; 19,15.21).

Er ist selbst die Wahrheit und das ewige Leben (Joh 14,6). Er kann außerdem sagen: “Ich sage das, was mich der Vater gelehrt hat” (Joh 8,28)

“Was ich vom Vater vernommen habe, sage ich der Welt” (8,26) “Der Vater hat mir ein Gebot gegeben, was ich sagen und reden soll. (12,49).

Und nach vollbrachtem Wirken sagt Jesus zum Vater:

“Ich habe ihnen die Worte gegeben, die du mir gegeben hast” – “Ich habe ihnen dein Wort gebracht . . .” – “Dein Wort ist die Wahrheit…” (17,8.14.17).

Darum kann er feierlich bestätigen:

“Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen” (Mt 24,35). – “Wer mich ablehnt und meine Worte verwirft, ist schon gerichtet; das Wort, das ich verkündigt habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tag” (Joh 12,48). – Was uns betrifft, sagen wir mit den Jüngern: “Herr, wohin sollten wir gehen? Du hast die Worte des ewigen Lebens” (Joh. 6,68).

 

II. Jesus verspricht den Verfassern des Neuen Testamentes die göttliche Inspiration

Wir haben schon gesehen, daß die Offenbarungen Gottes an die Propheten verlorengegangen wären ohne ihre Niederlegung in einem inspirierten Buch. Dasselbe kann von Jesu Lehre gesagt werden, um so mehr, als er uns kein schriftliches Zeugnis aus seiner Hand zurückgelassen hat. Aber er unterließ es nicht, beim Abschied seinen Aposteln alle göttliche Hilfe zu versprechen, deren sie bedurften, um das Neue Testament zu schreiben. In den bekannten Stellen, Joh 14,26; 15,26‑27 und 16,12‑15, bestimmt er genau die verschiedenen Teile:

Die Evangelien: “Der Heilige Geist wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe”.

die Apostelgeschichte: “Er wird von mir zeugen; und auch ihr werdet von mir Zeugnis ablegen” (vgl. Apg 1,8);

die Briefe: “Der Geist der Wahrheit wird euch in alle Wahrheit leiten; er wird nicht aus sich selber sprechen … Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er es nehmen und euch verkündigen … Er wird euch alles lehren”!

die Offenbarung: “Was zukünftig ist, wird er euch verkündigen . . .”

Es ist klar, daß nur der Heilige Geist den vier Evangelisten in ihrer erdrückenden Aufgabe beistehen konnte, das Wesentliche aus dem Leben Christi zu berichten, seine Worte wiederzugeben, die Ereignisse, welche für das Verständnis der künftigen Jahrhunderte die wichtigsten waren, auszuwählen und viele Einzelheiten wegzulassen (Joh 20,30; 21,25) oder die Begebenheiten zu erzählen, bei denen keine Zeugen zugegen waren (Versuchungsgeschichte). Andrerseits mußten die vier Berichte übereinstimmen und zugleich sich ergänzen, indem Matthäus den Messias‑König, Markus den Knecht des Herrn, Lukas den Menschensohn und Johannes das Wort und den Sohn Gottes darstellen.

Im Blick auf den Rest des Neuen Testamentes ist offensichtlich, daß die Apostel nie imstande gewesen wären, von sich aus die ver­borgene Weisheit Gottes zu verkündigen (l. Kor 2,7), das Geheimnis Christi, das sogar den Engeln verborgen ist, zu enthüllen (Eph 3,3‑11), die Herrlichkeit des Neuen Bundes lobpreisend zu entfalten (Hebr 5,11; 8,6), noch die künftigen und ewigen Dinge zu offenbaren (Offenbarung des Johannes).

Auch folgende Stellen, welche nicht eigentlich die Niederschrift des Neuen Testamentes betreffen, können darauf angewendet werden: “Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch. Empfangt den Heiligen Geist” (Joh 20,21).

“Ihr werdet eine Kraft bekommen, den Heiligen Geist, … und ihr werdet meine Zeugen sein” (Apg 1,8). Dieses Zeugnis wurde offenbar nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich abgelegt.

“Was ihr zu sagen habt, wird euch zur Stunde gegeben werden; denn nicht ihr sprecht, sondern der Geist eures Vaters wird aus euch sprechen” (Mt 10,19‑20).

 

III. Die Inspiration beim Apostel Paulus

1. Paulus ist ein wirklicher Apostel, Zeuge des auferstandenen Christus

Obwohl er nicht dem Kreis der Zwölf angehörte, von sich als einer Fehlgeburt spricht, als einem ehemaligen Verfolger, als geringstem unter allen Aposteln, kann er ausrufen:

“Bin ich nicht Apostel? Habe ich nicht den Herrn, Jesus, gesehen?” (l. Kor 9,1).

“Ich bin nicht weniger als die hohen Apostel … Denn es sind ja eines Apostels Zeichen unter euch geschehen” (2. Kor 12,11).

Tatsächlich ist er “Apostel, nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater” (Gal 1,1).

2. Paulus erhält unmittelbare und einzigartige Offenbarungen

Der Herr hatte es ihm durch Ananias bei seiner Bekehrung angekündigt: “Der Gott unsrer Väter hat dich verordnet, daß du seinen Willen erkennen sollst und sehen den Gerechten und hören die Stimme aus seinem Munde, denn du wirst für ihn Zeuge sein” (Apg 22,14). Daher kann der Apostel auch schreiben: “Das Evangelium, das von mir gepredigt wird, ist nicht menschlicher Art. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi … Es hat Gott wohlgefallen, der mich von meiner Mutter Leibe an ausgesondert und berufen hat durch seine Gnade, daß er seinen Sohn offenbarte in mir” (Gal 1,11).

“Mir ist dieses Geheimnis Christi durch Offenbarung kundgeworden … Mir, dem Allergeringsten unter allen Heiligen, ist diese Gnade gegeben worden, den Heiden den unausforschlichen Reichtum Christi zu verkündigen” (Eph 3,3 ‑ 4,8).

Dieses Geheimnis “wurde jetzt den heiligen Aposteln und Propheten Christi offenbart” (V. 5; man beachte, daß Paulus hier die Inspiration auch der andern neutestamentlichen Verfasser betont).

Er zögert nicht, anderswo zu sagen: “Ich habe vom Herrn erhalten, was ich euch lehrte … Ich habe vor allem euch gelehrt, wie ich es empfangen habe … Das sagen wir euch als ein Wort des Herrn” (l. Kor 11,23; 15,3; 1. Thess 4,15). “Der Geist sagt deutlich, daß in den letzten Zeiten etliche vom Glauben abfallen werden” (l. Tim 4,1).

3. Gott gewährt dem Apostel die Fähigkeit, getreu die empfangenen Offenbarungen der Gemeinde weiterzugeben

In bezug auf die göttlichen, von oben erhaltenen Wahrheiten schreibt Paulus: “Wir sprechen davon nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Sachen für geistliche Menschen … wir haben Christi Sinn” (l. Kor 2,13.16).

Darum kann er mit voller Gewißheit sagen: “Wir fälschen nicht Gottes Wort, wie es etliche tun, sondern wie man aus Lauterkeit und aus Gott reden muß, so reden wir vor Gott in Christus” (2. Kor 2,17; 4,2). “Nach dem Ratschluß Gottes ist mir anvertraut, euch Gottes Wort in seiner Fülle kundzumachen, nämlich das Geheimnis, das verborgen gewesen ist von allen Zeiten her; nun aber ist es offenbart” (Kol 1,25).

“Gott, der nicht lügt, hat zu seiner Zeit sein Wort offenbart durch die Predigt, die mir anvertraut ist nach dem Befehl Gottes, unsres Heilandes” (Titus 1,2).

So ist also Übereinstimmung zwischen der göttlichen Offenbarung und der Botschaft des Apostels, der mit Recht von seinem Evangelium sprechen kann. Denn dieses Evangelium ist das einzige allein wahre. Wenn ein Engel des Himmels etwas andres verkündigen würde, wäre er verflucht (Gal 1,8).

4. Zu Lebzeiten des Paulus werden seine Briefe den Heiligen Schriften gleichgestellt

Petrus spricht im Namen der Urgemeinde, wenn er sagt: “Unser geliebter Bruder Paulus hat es euch auch geschrieben nach der ihm verliehenen Weisheit. Das tut er ja in allen seinen Briefen, in welchen etliche Dinge schwer zu verstehen sind, welche die Ungelehrigen und Unbefestigten verdrehen, wie sie es auch bei den andern Schriften tun zur eigenen Verdammnis (2. Petr 3,15‑16).

Es ist beachtenswert, daß das, was vom Neuen Testament schon geschrieben war, für Paulus die maßgebende Richtlinie bedeutete. Im 1. Timotheusbrief (5,18) führt er mit dem Ausdruck “die Schrift sagt” ebenso eine Stelle aus dem 5. Buch Mose (25,4: Du sollst deinem Ochsen keinen Maulkorb anlegen) ein, als auch eine Stelle von Lukas (10,7: Der Arbeiter ist seines Lohnes wert).

Während Paulus mit Fug und Recht zu den biblischen Schriftstellern gehört, haben seine Offenbarungen über den Neuen Bund den Vorrang gegenüber den alttestamentlichen, die nun erfüllt und ergänzt sind. Im Galaterbrief macht sich Paulus zum Verfechter der wortgemäßen Inspiration. Er erwähnt die Schrift (3,11), unterstreicht die Tragweite eines einzigen Wortes (seine Nachkommenschaft, diejenige von Abraham, in der Einzahl, V. 16) und rechtfertigt die entscheidende Rolle des Gesetzes (V. 21‑24). Aber, nachdem er Christus als Befreier dargestellt hat, ruft er aus: “Wie wendet ihr euch wiederum zu den schwachen Elementen, welchen ihr von neuem dienen wollt? Ihr haltet Tage und Monate und Feste und Jahre (nach Mose)! Ich fürchte für euch daß ich vielleicht umsonst an euch gearbeitet habe” (4,9‑11).

Das Neue Testament ist also ebenso von Gott eingegeben wie das Alte. Beschließen wir unsere Darlegung durch zwei letzte Beispiele.

IV. Die Inspiration des Neuen Testamentes nach dem Hebräerbrief

Der Verfasser schreibt dem gleichen Herrn die Offenbarung beider Testamente der Bibel zu: “Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und auf mancherlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten (dies betrifft das Alte Testament), hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn (womit das Neue Testament zusammengefaßt ist) ” (1,1).

Der Inhalt des ganzen Briefes geht darauf hinaus, darzulegen, daß der Neue Bund dem Alten Bund überlegen ist, daß daher das Neue Testament, vom gleichen Gott mit der selben Vollmacht ausgestattet, das Alte Testament erfüllt und vollendet.

“Wenn das Wort fest geworden ist, das durch die Engel geredet ist (auf dem Sinai, Apg 7,38.53), und jegliche Übertretung und jeder Ungehorsam rechten Lohn empfangen hat, wie sollen wir entrinnen, wenn wir ein solches Heil nicht achten, welches zuerst gepredigt ist durch den Herrn und bei uns bekräftigt durch die, die es gehört haben?” (die Apostel, Hebr 2,2).

“Seht zu, daß ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die Gott abweisen, als er auf Erden redete, wieviel weniger wir, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet” (12,25). Die Botschaft, die auf Erden gegeben wurde, war das Gesetz, während das Evangelium uns unmittelbar vom Himmel gebracht wird, weil Gott in der Gestalt Jesu Christi Fleisch wird. Die frohe Kunde des Neuen Testamentes ist deshalb um so wunderbarer und um so mehr ernst zu nehmen; ihre Inspiration ist noch gewisser.

Aus dieser Sicht heraus wurde das Gesetz abgetan, weil es zu “schwach und nicht nütze war”, und eine “bessere Hoffnung” eingeführt, ein “Neuer Bund”. Nun hat er, der Mittler eines “besseren Bundes”, der auf “besserer Verheißung steht”, ein “besseres Amt” erlangt. Der levitische Gottesdienst war “Abbild und Schatten des Himmlischen”, dessen Wirklichkeit uns das Neue Testament bringt.

V. Die Inspiration der Offenbarung des Johannes

Auch das letzte Buch der Bibel beruht gleicherweise auf der göttlichen Botschaft an den Apostel Johannes.

Nach Offb 1,1 hat Gott selbst
Jesus Christus die Offenbarung gegeben,
die ein Engel
dem Johannes
für die ganze Gemeinde übermittelt hat.

Die Rolle des Apostels besteht darin, das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi zu bezeugen (V. 2). Er erhält deswegen den Auftrag, ein für alle zugängliches Buch zu schreiben (V. 11).

Jedes Sendschreiben an die sieben Gemeinden hat zwei Verfasser (Kap 2 und 3); am Anfang steht: “Das sagt … Jesus Christus.” Am Schluß heißt es mahnend: “Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.”

Im 10. Kapitel wird Johannes, nachdem er sinnbildlich ein zugleich süßes und bitteres Buch verschlungen hat, berufen, aufs neue über viele Völker und Könige zu weissagen. Das bedeutet, daß er eine Botschaft der Gnade und des Gerichtes bekommt, die er sich aneignen und dann in seiner Umwelt verkünden muß (V. 8‑11; vgl. Jer 15,16).

Der Befehl zum Schreiben wird ihm im Kap. 14, V. 13 erneuert. Dreimal wird feierlich erklärt:

“Diese Worte sind die wahrhaftigen Worte Gottes” (19,9).

“Schreibe, denn diese Worte sind gewiß und wahrhaftig” (21,5). “Und er sagte: Diese Worte sind gewiß und wahrhaftig” (22,6). Deshalb ist dem, der die Botschaft der Offenbarung annimmt oder sie verwirft, besonderer Segen oder Fluch verheißen.

“Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist” (1,3).

“Wenn jemand etwas dazusetzt … und wenn jemand etwas davon tut . . ., so wird Gott abtun seinen Anteil vom Baum des Lebens” (V. 18‑19).

 

Neuntes Kapitel

UNFEHLBARKEIT UND INSPIRATION 

I. Definition ‑ Allgemeines

Unsre Definition der wortgemäßen und vollen Inspiration schließt in sich, daß die biblischen Verfasser bei der Niederschrift ihrer Urtexte in einer Weise geführt wurden, daß sie die genaue Mitteilung, die Gott dem Menschen machen wollte, vollkommen richtig und ohne Irrtum übermittelt haben.

In diesem Gedanken gipfelt die Auffassung von der vom Geist eingegebenen Schrift. An ihm scheiden sich eindeutig die evangelischen Biblizisten einerseits, die freisinnigen und dialektischen Theologen andrerseits. Während der Glaube sich auf einer unaussprechlichen geistlichen Höhe bewegt, ist die Lehre von der Unfehlbarkeit auf einer Ebene von feststellbaren Tatsachen den Angriffen des Unglaubens leichter zugänglich.

Wir erfinden eine solche Lehre nicht: sie ist in allen größeren Glaubensbekenntnissen enthalten, auf die wir später eingehen werden.

Unsre Väter im Glauben sahen in der Schrift tatsächlich “die Richtschnur aller Wahrheit” (la Rochelle), “das wahre Gottes‑Wort” (2. Helvetisches Bekenntnis), den “göttlichen Kanon” (Waldenser Kirchen Piemonts). Das Westminster Bekenntnis fügt hinzu: “Unsre volle Überzeugung und Gewißheit über ihre unfehlbare Wahrheit gründen sich auf das innere Wirken des Heiligen Geistes … Das hebräische Alte Testament und das griechische Neue Testament, die von Gott eingegeben sind und durch seine besondre Fürsorge und Vorsehung rein erhalten geblieben sind durch die Jahrhunderte hindurch, sind darum echt . . .”

Calvin sagt sogar: “Wir schulden der Schrift die selbe Achtung, wie wir sie Gott schulden, denn sie kommt allein von ihm.”

Worin hat diese Lehre von der Unfehlbarkeit ihren Ursprung? Sie ergibt sich aus dem Wesen und den Erklärungen der Bibel selber. Sie gibt sich ständig als Wort Gottes aus. Wenn der Herr spricht, kann er nicht lügen, noch die Wahrheit durch Irrtümer lehren. Es geht dabei ebenso um seine Wahrhaftigkeit wie um seine Macht. Wenn er gleich von Anfang an fehlerhaft gesprochen, das Wahre mit dem Falschen gemischt hätte, was müßte man von ihm denken? Welche Gewißheit könnte uns eine solche Offenbarung bringen, von der doch unser ewiges Heil abhängt? Oder wenn er den biblischen Verfassern eine in allen Teilen genaue Botschaft anvertraute, wäre er dann unfähig gewesen, eine vertrauenswürdige Wiedergabe zu sichern? Würde er uns dann nicht enttäuschen? Was hätte dann die erste Offenbarung genützt?

II. Was sagt die Bibel über ihre eigene Unfehlbarkeit?

Erstens: Dürfen wir überhaupt unsern Glauben an die Unfehlbarkeit auf das biblische Zeugnis stützen? Ist das nicht ein Zirkelschluß: eine Frage abklären wollen, indem man sich vor allem auf die Äußerungen des Angeklagten oder des befragten Zeugen stützt? Nein, weil es ja um den Herrn selber geht, die alleinige Quelle aller wahren Kenntnis. Wie wir uns allein auf die Unterweisung aus der Schrift verlassen, in bezug auf die Lehren über Gott, Jesus Christus, den Heiligen Geist, das Gericht, das Heil, die Zukunft usw., so können wir auch nur durch die Offenbarung eine sichere Aufklärung über das geschriebene Wort Gottes erhalten. In allem ist uns am wichtigsten zu fragen: “Was sagt dazu die Heilige Schrift?” (Röm 4,3; Gal 4,30).

Die Verfasser des Alten Testamentes geben darüber ein eindeutiges Zeugnis: 3808mal bezeugen sie, daß sie die wirklichen Worte Gottes übermitteln.

Nachdem Mose das Gesetz gegeben hat, erklärt er: “Ihr werdet zu meinen Vorschriften nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen” (5. Mose 4,2; vgl. 6,1‑2.6‑9, 12,32).

Der Psalmist kann sich nicht genug tun in Ausrufen wie: “Das Gesetz des Herrn ist vollkommen … Das Zeugnis des Herrn ist gewiß .. . Ich verlasse mich auf dein Wort … Dein Gesetz ist die Wahrheit … Deine Mahnungen sind gerecht … Alle deine Gebote sind Wahrheit … Meine Zunge soll singen von deinem Wort, denn alle deine Gebote sind gerecht!” (Ps 19,8; 119,42.96.140.142.151.160.172).

Christus hat sich in aller Form zum ganzen Alten Testament bekannt. Er hat keinen einzigen Irrtum darin hervorgehoben, noch den leisesten Verdacht ihm gegenüber ausgesprochen; im Gegenteil, er gründete seine Unterweisung stets auf die Schrift. So erklärte er­ “Bis daß Himmel und Erde vergehen, wird nicht der kleinste Buchstabe vergehen noch ein Tüpfelchen vom Gesetz” (Mt 5 18). Im Streit mit den Juden wegen eines einzigen Wortes sagt er: “Die Schrift kann nicht gebrochen werden” (Joh 10,35). Und bei seinem Abschied betet er: “Heilige sie in deiner Wahrheit, denn dein Wort ist die Wahrheit” (Joh 17,17).

Die Apostel bezeugen ebenfalls die Vollkommenheit der Schrift. Paulus nennt das Gesetz heilig, gerecht und gut (Röm 7,12). Die Auslegung des Apostels folgt dem Text so genau, daß (vgl. z. B. Gal 3,16) ein Irrtum in diesem ihn zu einer falschen Darstellung verführen würde.

Für den Verfasser des Hebräerbriefes ist das Wort Gottes lebendig, wirksam, durchdringend; es ist der Richter der Gefühle und Gedanken (Hebr 4,12). Folglich ist es nicht an uns, über dasselbe uns als Richter einzusetzen.

Jakobus sagt: “Er hat uns geschaffen nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit” (1,18); nachher spricht er vom vollkommenen Gesetz (V. 25). Von dessen voller Gültigkeit überzeugt, fragt er mahnend: “Meint ihr, die Schrift rede umsonst?” (4,5).

Johannes beendet die Bibel mit den Worten: “Wenn jemand etwas dazu‑ oder davontut vom Buch dieser Weissagung”, so wird Gott seinen Anteil am ewigen Heil abtun (Offb 22,18). Wenn Gott uns seine Botschaft gegeben hat, wer würde es wagen, sie zu ergänzen oder in dem, was ihm weniger wichtig erscheint, zu verachten?

Ein solches klares und einhelliges Zeugnis ist von großer Bedeutung. Nirgends erklärt die Schrift irgendeinen Teil oder eine Einzelheit für irrig. Während sie schonungslos die Fehler und das Versagen der Menschen und des Gottesvolkes berichtet, hat der Umstand, daß sie gar nichts von etwaigen Unrichtigkeiten der biblischen Verfasser sagt, um so mehr Gewicht.

III. Worauf bezieht sich die Unfehlbarkeit der Schrift?

Es ist offensichtlich für jeden Sachkundigen, daß der biblische Text, wie er heute in unsern Händen ist, etliche Schwierigkeiten bietet. Darum dürfte es angebracht sein, genauer festzulegen, worauf sich die Lehre von der Unfehlbarkeit bezieht, bevor wir auf die Einwände gegen sie eingehen.

1. Die Unfehlbarkeit heißt nicht Gleichförmigkeit in den Einzelheiten jener Berichte, die von verschiedenen Verfassern über das Gleiche geschrieben wurden. In den Büchern Samuels, der Könige und der Chroniken ist zu einem guten Teil von dem gleichen geschichtlichen Zeitabschnitt die Rede, aber ihre Gesichtspunkte wie ihre Ausdrucksweise können voneinander verschieden sein. Jedes der vier Evangelien erzählt das Leben Jesu Christi, aber mit verschiedenen Einzelheiten. In der Apostelgeschichte weisen jede der drei Darstellungen von der Bekehrung des Saulus von Tarsus bestimmte, besondere Züge auf (Kap. 9; 22; 26).

Man hat diese Unterschiede oft stark übertrieben und sie als Widersprüche und Irrtümer hingestellt. In Tat und Wahrheit muß der Verfasser nach der Lehre von der unfehlbaren Inspiration der Schrift wahrheitsgemäß schreiben, aber er ist frei in der Wahl der Besonderheiten, die ihm zur Beleuchtung seiner Botschaft geeignet scheinen.

Wenn vor einem Gericht vier voneinander unabhängige Zeugen Silbe um Silbe dasselbe aussagen würden über eine Reihe von vielschichtigen Tatsachen, würde man sie anklagen, sie hätten ihre Berichte abgekartet. Gerade ihre Übereinstimmung würde sie verdächtig machen. Denn es ist eine bekannte psychologische Erscheinung, daß auch bei unbedingter Redlichkeit verschiedene Personen verschieden von den gleichen Ereignissen Rechenschaft ablegen, infolge der unausweichlichen Unterschiede in den Blickpunkten und Beobachtungen. Dasselbe kann von den biblischen Verfassern gesagt werden. Ihnen wurde das Richtige eingegeben, und sie schrieben nichts Falsches. Aber jeder war eine Persönlichkeit für sich und kein Automat. Alles, was sie sahen und erzählten, war Wahrheit, auch wenn sie nicht dieselben Einzelheiten gesehen und weitergegeben hatten.

Betrachten wir beispielsweise in den Evangelien die Berichte über die Auferstehung: Alles Entscheidende stimmt miteinander überein:

Christus ist auferstanden, das Grab war leer. Der Herr ist an verschiedenen Orten von verschiedenen Gruppen von Jüngern gesehen worden; sein neuer Leib war den Begrenzungen des gewöhnlichen menschlichen Körpers nicht unterworfen. Nach einer bestimmten Zahl von Tagen verließ er die Erde. Dieser allgemeine Rahmen ist bei allen Evangelien derselbe. Aber sie weichen voneinander ab in gewissen Einzelheiten und in der Darstellung einiger Nebensachen. Ihre Berichte sind deswegen nicht weniger wahrhaft, und die Wahrheit, die gelehrt wird, ist eindeutig.

2. Die biblische Unfehlbarkeit schließt nicht aus, daß Bilder und Sinn‑Bilder verwendet werden. Obwohl die Schrift als Ganzes eingegeben wurde, folgt nicht daraus, daß alles in buchstäblichem Sinn aufgefaßt werden soll. Der unmittelbare Sinn vieler Stellen ist klar vom geschichtlichen, praktischen, gesetzlichen und sittlichen Gesichtspunkt aus. Aber an vielen Stellen handelt es sich offensichtlich um Sinnbilder, zum Beispiel in den Psalmen, im Hohenlied, in den Propheten wie in den Gleichnissen der Evangelien und in der Offenbarung des Johannes. Außerdem gehören Tausende von Ausdrücken in beiden Testamenten eher der dichterischen als der prosaischen Sprache an. Darin liegt gerade der lebendige Reiz des biblischen Stiles. Der Glaube an die Unfehlbarkeit der Schrift heißt ganz und gar nicht, sie unbedingt in einem buchstäblichen Sinne auszulegen. Warum denn sollte die unfehlbare Inspiration nur den prosaischen Erklärungen vorbehalten sein und könnte sich nicht ebensogut auf eine bilderreiche Sprache und auf Sinnbilder beziehen, welche noch stärker die Vorstellungen und das Empfinden der Menschen aller Zeiten beeindrucken?

Der wiederholte Vorwurf, diese Auffassung führe zu einem obligatorischen Buchstabenglauben, rührt zum Teil davon her, daß sich die Kritiker von unsrer Stellungnahme eine falsche Vorstellung machen. Sie denken, daß wortgemäße Inspiration bedeute, man mache jedes einzelne Wort, aus dem Zusammenhang herausgenommen, zum Gegenstand der Eingebung. Das trifft gar nicht zu. Keine Sprache und keine Literatur dürfte einer solchen Behandlung unterworfen sein. Die Fahrzeuge der Gedanken, die Wörter, sind so miteinander verknüpft und angeordnet, daß sie einen allgemein verständlichen Sinn ergeben. Der Zusammenhang wird es sein, der bestimmt, ob die Auslegung wörtlich, geistlich oder sinnbildlich aufgefaßt werden muß.

3. Biblische Unfehlbarkeit setzt nicht voraus, daß eine genaue, technische Sprache und ein der modernen Wissenschaft entsprechen­der Wortschatz gebraucht werden. Die biblischen Verfasser waren alle Vertreter des Altertums. Sie drückten sich in der Sprache ihrer Zeit aus und beanspruchten nicht, die heutige Wissenschaft vorauszusehen. Aber sie drückten sich in bezug auf die Grundlinien ohne Irrtümer aus gegenüber den mit der Wissenschaft in Beziehung stehenden Tatsachen. So berührt zum Beispiel der biblische Bericht von der Schöpfung die folgenden Gebiete: Steinkunde, Sternkunde, Biologie, Wetterkunde, Tierkunde und Physiologie. Die Beziehungen sind nirgends technischer Art. Dennoch bleibt diese Seite der Bibel nicht nur viel erhabener, sondern auch viel vernünftiger als alle Versuche, den Ursprung des Weltalls zu erklären.

Der berühmte Geologe Dana erklärt: “Ich glaube, daß das erste Kapitel der Bibel mit der Wissenschaft übereinstimmt.” Sir W. Dawson, ebenfalls Geologe, fügt hinzu: “Die Reihenfolge der Schöpfertaten, wie sie im 1. Buch Mose steht, ist im Licht der modernen Wissenschaft einwandfrei. Zahlreiche Einzelheiten beweisen die hervorragendste Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Wissenschaft”.

Es ist ganz klar, daß die Schrift in bezug auf Sternkunde oder Steinkunde und andre wissenschaftliche Gebiete volkstümliche Ausdrücke gebraucht, wie die meisten modernen Gelehrten es etwa im Alltagsgespräch tun. Wenn es im Prediger etwa heißt: “Die Sonne steht auf und geht unter”, so machen wir es ja nicht anders, trotz der Entdeckung der Erdbewegung.

4. Im Zusammenhang mit der Unfehlbarkeit muß die biblische Botschaft in den ihr eigenen geschichtlichen Rahmen gestellt werden. Gewisse Erklärungen der Schrift waren wahr zur Zeit der Niederschreibung, auch wenn sich heute die Verhältnisse geändert haben. Wenn im Buche Josua gesagt wird, daß die zwölf Steine, die mitten im Jordan aufgerichtet wurden, “noch dort sind bis zu diesem Tag” (4,9), so bedeutet dies offensichtlich: bis zum Augenblick, wo diese Dinge aufgeschrieben wurden. Ein besonders heikler Punkt ist die Zeitfolge im Alten Testament, der man Fehler vorwarf. Was gewiß ist, das ist der Umstand, daß man im Altertum anders zählte, als wir es tun, und daß es keinen bestimmten und allgemeinen Kalender gab. Die Dauer der Regierungszeiten der Könige ist schwierig zu bestimmen, da das letzte Jahr der einen Königsherrschaft oft als erstes der neuen ein zweites Mal gezählt wurde.

Auch die Fragen des Stiles und der Grammatik berühren sich mit dem geschichtlichen Rahmen. Wir denken in dieser Hinsicht nicht wie die Muslime über den Koran. Für sie ist dieses Buch im Himmel aufgesetzt und auf die Erde gesandt worden, weshalb sie sich lange gegen jede Übersetzung sträubten. Wir halten dafür, daß je nach der Zeit oder dem Verfasser das Hebräische in reinerer Gestalt auftritt, das Griechische mehr oder weniger korrekt ist (wie in gewissen Propheten‑Schriften und in der Offenbarung des Johannes), ohne daß dadurch die Gültigkeit des Textes beeinflußt wäre. Der Stil ist nicht formelhaft oder geziert, wie wenn er diktiert worden wäre. Manchmal ist er hoheitsvoll oder voller Spannung, sehr häufig aber schlicht, abwechslungsreich oder recht volkstümlich.

Man behauptet, daß gewisse Gelehrte nach der Reformation die Unfehlbarkeit der Inspiration auch auf die Punkte anwendeten, welche den Konsonanten des hebräischen Textes zugefügt wurden, um die Vokale anzudeuten. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß die Vokal‑Punkte vom 5. Jahrhundert nach Christus an durch die Masoreten erfunden wurden.

5. Die Auffassung von der Unfehlbarkeit richtet sich auf die Ge­samtheit der biblischen Botschaft. Das gilt innerhalb der oben angeführten Grenzen, aber nicht nur für das, was “Glaube und Sittlichkeit” betreffen. Sonst müßte man annehmen, in andern Gebieten sei die Schrift fehlerhaft. Zeigen wir dies am Beispiel der Geschichte. Gott hat auf Erden eingegriffen. Sein Erlösungsplan bewirkt die Fleischwerdung und vollzieht sich in ganz bestimmten geschichtlichen Tatsachen. Wenn die Bibel sich hierin täuscht, worauf würde dann unser Glaube beruhen?

Vergleichen wir was Paulus von der Auferstehung Christi und von den Er­eignissen der Geschichte Israels sagt: 1. Kor 15,14‑19, 10,11; Röm 15,4. Andererseits sind die geschichtlichen Begebenheiten so eng mit den geistlichen Wirklichkeiten verbunden, daß es schwer halten würde, die einen von den andern zu trennen. Wir haben gesehen, daß es sich gleich verhält mit dem Bericht von der Schöpfung, in bezug auf das Gebiet der Naturwissenschaften (Steinkunde, Sternkunde, Biologie usw.). Diese Erzählungen wie diejenigen vom Paradies, vom Sündenfall, von der Sintflut usw. sind von Christus und den Aposteln voll und ganz bestätigt worden. Sofern wir sie nicht als Mythen erklären wollen, wie könnten wir sie von den geistlichen Unterweisungen trennen, die daraus abgeleitet wurden? Immerhin halten wir daran fest, daß unsre Auffassung der Unfehlbarkeit sich auf den Text allein bezieht, nicht etwa auf die manchmal unmöglichen Auslegungen, die man darüber anstellte.

Auch in bezug auf die Geographie ist durch die Archäologie und eine genauere Kenntnis des Altertums die Genauigkeit der Schrift bestätigt worden.

Wir fügen noch ein Wort hinzu über den in etlichen Glaubensbekenntnissen vorkommenden Ausdruck: Die Schrift ist das Wort Gottes, “unfehlbare Richtschnur in bezug auf den Glauben und die Sittlichkeit”. Man will damit ebenfalls aussagen, daß die Bibel nicht beansprucht, ein wissenschaftliches Handbuch zu sein: Ihr Bereich ist in erster Linie der Glaube und das Leben. Sie ist das Buch des Heils; ihr Ziel liegt darin, uns zu Gott zu führen, uns darin zu helfen, hier schon in seiner Gegenwart zu leben und erst recht für immer im Himmel. Darum sind die sogenannten wissenschaftlichen Fragen schließlich zweitrangig. Das entspricht ganz unserer Meinung.

6. Die Unfehlbarkeit bedeutet nicht Allwissenheit der biblischen Verfasser. Sie kennen nicht alle Wahrheiten in bezug auf die von ihnen behandelten Stoffe. Ihre Erläuterungen können wahr sein, ohne daß sie stets vollständig sind. Die Tatsache, daß es vier Evangelien gibt, ist dafür der anschaulichste Beweis. Jedes ergänzt, erweitert das Bild und baut es aus. Dieser Grundzug der Bibel erklärt es, daß sie von einem Ereignis oder von der Aussage einer Wahrheit nicht den umfassenden und unbedingt vollständigen Bericht gibt, den man von Seiten der Allwissenheit erwarten könnte. Die Schrift ist von Menschen geschrieben worden, die in dieser Aufgabe von Irrtümern verschont blieben, aber die nicht mit den Fähigkeiten des Verständnisses begabt waren, die Gott eigenen.

Übrigens gehört es gar nicht zum Ziel der biblischen Erzählungen, vollständig zu sein. So berichten die Evangelien gar nichts über das Leben Jesu zwischen seinem zwölften Altersjahr und seiner Taufe durch Johannes den Täufer. Dieser Bericht wäre wohl ansprechend ausgefallen, nach den apokryphen Evangelien zu urteilen, aber er war nicht notwendig vom Heiligen Geist und von den Verfassern selber aus gesehen.

IV. Einwände gegen die Lehre der Unfehlbarkeit

Diese Auffassung ist von der ganzen Inspirationslehre am meisten angegriffen worden. Wir gehen auf die wichtigsten Einwände ein.

1. Die Unfehlbarkeit soll unvereinbar sein mit der menschlichen Natur der biblischen Verfasser. Man sagt: “Irren ist menschlich”, und alles Menschliche ist unvollkommen. Da die Bibel nicht vom Himmel herabfiel, hat Gott die Menschen gebraucht, die er zur Verfügung hatte, um dieses Buch zu schreiben, gerade wie ein Künstler in seinem Ausdruck durch sein Material begrenzt ist.

Diese Überlegung ist richtig auf der Ebene des Sündenfalles. Aber sie rechnet weder mit der Allmacht Gottes noch mit dem Eingriff seines Erlösungswerkes. Genau wie die Offenbarung an sich eines seiner Wunder ist, so bildet auch die Tatsache, daß der Verfasser durch die Inspiration vor Irrtümern bewahrt bleibt, ein anderes Wunder. Wenn menschliche Natur notwendigerweise auch Sünde in sich schließen würde, so wäre ja Jesus Christus nicht der sündlose Erlöser, was die Ungläubigen auch behaupten.

Wir haben gesehen, daß, wenn die biblischen Verfasser ihrer natürlichen Unzulänglichkeit überlassen worden wären, sich dieses gewiß auf alle Gebiete ausgedehnt hätte, auf das geistliche sowohl wie auf das geschichtliche oder naturwissenschaftliche. Umgekehrt, wenn sie in geistlichen Dingen fehlerfrei sind, warum könnten sie es nicht auch in anderen Sachen sein? Wenn nur die menschliche Unvollkommenheit bei der Niederschrift des biblischen Textes in Frage kommt, wie könnten wir dann, die wir ebenso unzulänglich sind, das Wahre vom Falschen unterscheiden? Wir hätten keine andre Wahl, als uns der Skepsis zu überlassen.

2. Es heißt, die moderne Wissenschaft hätte die alte Meinung von der vollkommenen Bibel zerstört. Keine gebildete Person könne heutzutage an der Unfehlbarkeit der Schrift festhalten.

Das müßte zuerst ernstlich bewiesen werden. Wohl hat das 19. Jahrhundert geglaubt, dem Glauben die Wissenschaft entgegensetzen zu müssen, währenddem sie gar nicht gegensätzlich sind; nur liegen sie auf verschiedenen Ebenen. Man könnte mühelos eine große Zahl von bedeutenden Gelehrten anführen, die nicht nur an Gott glauben, sondern die auch ihren Glauben an die Heilige Schrift bekunden.

In dem Kapitel “Die Schwierigkeiten der Bibel” werden wir sehen, wie manchmal das, was als “Irrtum” der Bibel vorgeworfen wurde, von einer besser unterrichteten Wissenschaft beurteilt wird. Erwähnen wir hier nur die Äußerung von Professor Robert Dick Wilson, Princeton, Träger verschiedener Doktortitel, welcher 45 Sprachen und Dialekte des Vordern Orients, darunter alle semitischen Sprachen, kannte: “Ich bin zur Überzeugung gekommen, daß kein Mensch genug wissen kann, um die Wahrhaftigkeit des Alten Testamentes anzugreifen. Jedesmal, wenn man über genug urkundliche Beweise verfügte, um eine kritische Prüfung zu unternehmen, haben die biblischen Tatsachen, die der Urtext herbeibringt, bei weitem den Sieg davongetragen.” (A. Lüscher, S. 64.)

Vergessen wir andererseits nicht, in welchem Grade die Ergebnisse der “Wissenschaft” relativ und veränderlich sind. Sie ist ein ununterbrochener, fortschreitender Versuch, die vielen Geheimnisse der Natur zu erklären. Es wäre sinnlos und unwissenschaftlich, das zu verwerfen, was wir neueste Erkenntnisse nennen, weil es noch vieles abzuklären gibt.

Aber jede wissenschaftliche Erklärung ist auch wieder der Korrektur und der Vervollkommnung unterworfen. Was heute die Gelehrten sagen, kann morgen verneint oder ergänzt werden. Selbstverständlich ist die “theologische Wissenschaft” weniger überprüfbar, als es die sogenannten Naturwissenschaften sind. Sie hat es mit der geistigen Welt zu tun, und, was die Bibel betrifft, geht sie oft von äußerst subjektiven philosophischen oder psychologischen Annahmen aus. Nach A. Lüscher hat die Bibelkritik seit 1850 mehr als 700 Theorien aufgestellt, die das Neueste an Wissenschaft darstellen sollten. Davon sind heute mehr als 600 überholt und fallengelassen, infolge gründlicherer oder ausgedehnterer Erkenntnisse. Wir nehmen gerne die Belehrung der menschlichen Wissenschaft an, aber nicht mit geschlossenen Augen. Wir prüfen alles und behalten das Gute (l. Thess 5,21). Wir behaupten nicht, alles darlegen zu können, wollen aber auch unsern Glauben nicht auf rein verstandesmäßigen Boden gründen. Der Glaube, der von wahren Tatsachen ausgeht, wird immer durch eine Erweisung des Geistes und der Kraft geweckt und genährt werden.

3. Fehler von seiten der Abschreiber lassen sich aus dem Vergleich der Varianten der verschiedenen Handschriften ersehen. Das stimmt, und wir gehen in einem nächsten Kapitel darauf ein. Da diese Fehler ungefähr ein Tausendstel des biblischen Textes ausmachen, vermögen sie nicht, unsern Glauben an die Unfehlbarkeit des Urtextes zu erschüttern.

4. Daß die Belegstellen des Alten Testamentes im Neuen mit einiger Freiheit benützt werden, scheint zu beweisen, daß sie nicht als unantastbar betrachtet wurden. Wir erinnern hier nur nochmals daran, daß Christus und die Apostel, welche dafür verantwortlich sind, ständig ihr restloses Vertrauen und ihre Unterordnung der Schrift gegenüber beweisen.

5. Es wird gesagt, daß man durch den Glauben an die Unfehlbar­keit den biblischen Text “versteinere”. I.K.S. Reid drückt sich so aus: “Das Wort Gottes wird zu einer Versteinerung, zu einer toten Urkunde” (The Authority of Scripture, S. 279).

S. Van Mierlo faßt die Frage folgendermaßen zusammen: “Die Theologen, welche die Auffassung von der vollen Inspiration bekämpfen, sagen, es sei ein großer Irrtum, eine Sache nur deshalb zu glauben, weil sie in der Bibel stehe, und zwar aus zwei Gründen: 1) Es hat ohne Zweifel geschichtliche und wissenschaftliche Irrtümer in der Bibel gegeben, und so hat man ständige Auseinandersetzungen mit der Wissenschaft. 2) Eine Bibel ohne Irrtümer wäre gleich einem Götzen und würde eine unzulässige Herrschaft über unsern Geist ausüben. Wir würden dann diese Dinge in mechanischer Weise als wahr annehmen, ohne persönlichen Glauben an den Herrn Jesus Christus, welcher die wahre göttliche Offenbarung darstellt. Die Bibel wäre dann eine Sammlung von Lehrsätzen, also toter Buchstabe. Wir hätten dann eine autoritäre Religion, die vorschreibt, was man glauben muß, und deren Gebot man annimmt, ohne eine persönliche Erfahrung zu machen.”

Ein solcher Gedankengang scheint uns unhaltbar zu sein. Wieso sollte der biblische Text versteinert werden, wenn er mehr göttliche Wahrheit und weniger menschlichen Irrtum enthält? Gott hat den Propheten für uns “Worte des Lebens” gegeben (Apg 7,38). Das geschriebene Wort stammt vom Heiligen Geist (Hebr 3,7); es ist stets lebendig und wirksam (4,12). Ihm entströmt eine Lebenskraft, gerade weil es zugleich göttlich und menschlich ist.

6. Sollte die Lehre von der Unfehlbarkeit den Menschen hindern, sich im Glauben zu üben? – “Die alte protestantische Lehre von der wortgemäßen Inspiration verwandelt das lebendige Wort Gottes in einen heiligen Text; damit wird der menschliche Charakter der Schrift verneint, nicht nur die Möglichkeit des Irrtums, sondern auch die Wirklichkeit des Glaubens mißachtet und verkannt” (H. Vogel, God in Christ, S. 139).

In den obigen Einwürfen tritt uns eine völlige Unkenntnis darüber entgegen, was der Heilige Geist an Erleuchtung und Erneuerung im Leser bewirken kann. Der eingegebene Text wird uns nur dann verständlich, wenn wir im Glauben den Herrn aufnehmen, den er offenbart, und wenn wir uns durch den Heiligen Geist erneuern lassen. Denn für die Leser der Bibel “hängt eine Decke vor ihren Herzen; aber wenn sich die Herzen zum Herrn bekehren, wird die Decke abgetan … Wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit” (2. Kor 3,15‑17).

Mit Warfield möchten wir nochmals das Folgende unterstreichen: So gut wie für alle andern Lehren ist unsre Auffassung von der vollen Inspiration auf die Aussagen der Schrift selbst aufgebaut. Wir fragen nicht: Was lehren die Glaubensbekenntnisse? Was sagen die Theologen? Was die Kirchenbehörde? Sondern: Was lehrt uns die Bibel selber? Wir stützen uns also auf eine exegetische Wirklichkeit, nämlich auf die peinlich genaue und ehrfurchtsvolle Erforschung des Textes. Wenn die Kritik die Lehre von der vollen Inspiration unhaltbar gemacht hätte, müßten wir nicht nur eine besondere “Lehre über die Inspiration” aufgeben; wir würden damit den Herrn selbst und die Apostel aufgeben (denn sie lehren dies klar) als unsere Meister der Lehre und der Wortauslegung (S.179‑182). Das hieße für uns, auf die Glaubenshaltung verzichten, in der wir mit Gottes Hilfe beharren wollen.

7. Diese Unfehlbarkeitslehre hat vor allein den großen Nachteil, daß sie die Freiheit der Kritiker einengt. Das geht aus dem Obigen deutlich hervor. Man will nicht gebunden sein an einen heiligen Text, an eine Sammlung von Lehren, an eine väterlich herablassende Religion, die einem vorschreibt, was geglaubt werden muß. Man findet, eine Bibel ohne Irrtum würde eine unerträgliche Herrschaft über den Geist ausüben. E. Brunner sagt: “Der Fundamentalismus ist der Sklave des biblischen Textes … So wird aus der Bibel ein Götze und aus mir ein Sklave” (Revelation and the Bible, S. 232).

Gewiß, wenn jeder sich das Recht herausnimmt, irgendwelche Stellen des Textes als Irrtum, als Widerspruch, als Legende oder Mythos zu erklären, wird er eine schrankenlose Freiheit genießen. Wenn keiner zu behaupten berechtigt ist, eine gegebene Stelle drücke die Wahrheit aus, wird der Wertmaßstab um so persönlicher, um so subjektiver. Zuletzt haben das religiöse Gewissen und der Verstand des einzelnen die Autorität der göttlichen Offenbarung ersetzt. Die Erfahrung zeigt, daß jene beiden Größen nicht bereit sind, sich von der letzteren geschlagen zu geben.

Es ist klar, daß das Zeugnis im Innern durch den Heiligen Geist die Linie jener Wahrheit fortsetzt, die er selber schon offenbart hat.

8. Der papierene Papst Man hört oft sagen: “Luther hat die Christenheit vom römischen Papst befreit, und die orthodoxen Protestanten haben ihn durch einen papierenen Papst ersetzt. Ihr wollt uns, die wir nicht an die unfehlbare Kirche glauben, die unfehlbare Schrift aufdrängen. Jesus Christus allein ist unfehlbar, und er allein sollte diese höchste Autorität behalten. Die Protestanten haben die Bibel an die Stelle des Christus gesetzt, und das ist eine ihrer großen Schwächen.” (Vgl. Ed. J. Young, S. 104.)

Das sind Spitzfindigkeiten. Luther und die bibelgläubigen Christen haben nichts erfunden. Sie sind einfach zurückgegangen auf die Einstellung Christi und der Apostel zur Schrift. Bemerken wir, daß die geistliche Autorität nur drei Formen haben kann:

Vollmacht des Herrn und der geschriebenen Offenbarung,
Vollmacht der Kirche und ihres unfehlbaren Papstes,
Vollmacht des Menschenverstandes, der sich zum Herrscher macht.

Haben die Reformatoren wirklich Christus durch die Schrift verdrängt? Das Gegenteil trifft zu, da wir Christus nur durch sie kennen. Indem sie der Welt die Bibel zugänglich machten, gaben sie ihr eine wunderbare Predigt vom Evangelium der Gnade in Jesus Christus. Ed. J. Young sagt dazu: “Diejenigen, die eine solche Angst haben vor einem papierenen Papst, vor einer unfehlbaren Bibel, haben in sich selber eine solche unfehlbare Autorität: den menschlichen Geist. Ist der Christus der modernen Theologen das ’alleinige Wort Gottes’, der ewige Sohn Gottes, von der Jungfrau Maria geboren, für die Sühne unsrer Sünde ans Kreuz geschlagen, leiblich auferstanden? Jedenfalls nicht für Brunner, Niebuhr, Bultmann” ( S. 107).

Die einzige Art, die Herrschaft Christi zu achten, besteht darin, ihn in der einzigen Offenbarung, die wir von ihm haben, kennenzulernen und seiner Unterweisung, wie derjenigen der Propheten und Apostel, die er mit aller Macht bestätigte, zu gehorchen.

9. Die Gefahr der Bibel‑Vergötzung. Wer an die völlig eingegebene, unfehlbare Bibel glaubt, wird stets der Vergötzung der Bibel angeklagt. “Der Fundamentalismus macht aus der Bibel einen Götzen, dessen Sklave er ist.” Die Wirklichkeit sieht ganz und gar anders aus. Der aufrichtige Gläubige hat kein größeres Verlangen, als den Herrn, wie ihn die Bibel offenbart, anzubeten und zu verherrlichen. Die Schrift ist nur Botin, das vom Heiligen Geist geschmiedete Werkzeug, um ihn kennenzulernen.

10. Bekennt Paulus nicht selber, daß er nicht immer im Namen des Heiligen Geistes spricht? Er schreibt den Korinthern:

“Was ich schreibe, ist ein Gebot des Herrn” (l. Kor 14,37);
“Denen, die verheiratet sind, gebiete nicht ich, sondern gebietet der Herr” (7,10);
“Den andern sagt nicht der Herr, sondern sage ich … (V. 12)
“So ordne ich es in allen Gemeinden an … (V. 17) ;
“Was die Jungfrauen betrifft, habe ich kein Gebot des Herrn; ich sage aber meine Meinung, als der ich Barmherzigkeit
  erlangt habe von dem Herrn, sein Getreuer zu sein” (V. 25).

Paulus berührte damit eine recht ernste Frage, in der eine Änderung des mosaischen Gesetzes in bezug auf Ehescheidung vorlag. Es besteht kein Zweifel daran, daß er, seiner Inspiration gewiß, berechtigt war zu sagen: “Dies ist ein Gebot des Herrn.” Aber er zeigt damit, daß, wenn die einen Ordnungen von unbedingter Gültigkeit sind, Gott durch andere in gewissen praktischen Fällen dem Menschen einen Spielraum läßt, um nach seinem Gewissen, nach den Umständen und seiner persönlichen Gabe zu entscheiden. (V. 6‑7. 8‑9.36.39.) Paulus fühlt sich frei, dank seiner großen Erfahrung und seiner besonderen Berufung, einen treuen Rat zu geben, der vom Herrn eingegeben ist (V. 40). Etwas Unrichtiges, das der Unfehlbarkeit Eintrag täte, ist darin nicht vorhanden.

11. Enthält die Bibel nicht Dinge, die an sich falsch sind? – Doch, gewiß, denn sie gibt ja die Worte des Teufels wieder, wie auch die Äußerungen der Feinde Gottes, die größten Sünden und die bösen Gefühle der Gläubigen. Das kann ja nicht heißen, daß der Herr die Verantwortung dafür übernehme! Er wollte, daß diese Dinge zu unsrer Belehrung genau aufgeschrieben würden, unter der Zucht des Heiligen Geistes.

12. Läßt sich die Inspiration und die Unfehlbarkeit auf ganz ne­bensächliche Einzelheiten anwenden? Paulus schreibt dem Timotheus, daß er um der Schwäche seines Magens willen nicht nur Wasser, sondern etwas Wein trinken soll (l. Tim 5,23). Aus Rom bittet der greise gefangene Apostel darum, man möge ihm den Mantel, die Bücher und vor allem die Pergamente bringen, die er in Troas bei Carpus zurückgelassen hatte (2. Tim 4,13). Das Schlußkapitel des Römerbriefes (16,1‑16) ist voller Ausdrücke der Freundschaft und persönlichen Würdigung für die Personen, die Paulus in Rom grüßen läßt. Gelehrte Professoren haben erklärt, daß solche geringfügigen, alltäglichen Dinge der Inspiration nicht würdig seien. Die Bibel hat es offenbar nicht leicht, es allen Leuten recht zu tun! Andre Male kann man nicht genug ihre menschlichen Züge herausstreichen. Solche Stellen dünken uns gerade der Beweis zu sein für die herrliche Natürlichkeit des biblischen Stiles, der uns auch die Spuren der Persönlichkeit des Verfassers, seiner Zuneigungen und seiner Umstände nahe bringt. Gerade solche Angaben entkräften den Gedanken, die Schrift sei mechanisch diktiert worden.

Zu 2. Tim 4,13 führen wir noch die bedeutsame Bemerkung von Erasmus an: “Da seht ihr, worin die Güter des Paulus bestanden haben, ein Mantel, der ihn vor dem Regen schützte, und ein paar Bücher!” Und Grotius fügt hinzu: “Wie arm muß der große Apostel gewesen sein, daß er einen so bescheidenen Gegenstand, den er in der Ferne zurückgelassen hatte, derart entbehren mußte!”

Wir könnten noch andre Einwände beibringen gegen die Unfehlbarkeit, aber sie würden nur in andrer Form die gleiche grundsätzliche Auflehnung gegen die biblische Offenbarung darstellen. Gehen wir zu einer andern, positiven und wichtigen Seite unsres Gegenstandes über.

 

V. Die Unfehlbarkeit der Ur‑Handschrift

1. Gott hat darüber gewacht, daß die Botschaft getreu der emp­fangenen Offenbarung niedergeschrieben wurde. Wir halten dafür, es entspreche der Schrift einerseits wie dem Wesen und der Ehre Gottes andererseits, daß er bei jedem von ihm inspirierten biblischen Verfasser dafür Sorge trug, daß der Urtext ohne Irrtümer war. Wie könnte man behaupten, Gott habe gesprochen, wenn das geschriebene Wort nicht genau das Gesagte wiedergibt?

2. Es ist andererseits klar, daß auf keinen Fall eine Ur‑Handschrift bewahrt worden ist. Unsere Kapitel über die Übermittlung des Textes, über die Varianten und Schwierigkeiten der Bibel erklären, in welchem Zustand der heutige Text in unsern Händen ist, von dem nicht gesagt werden kann, daß er fehlerlos sei. E. Brunner sagt, daß die Fundamentalisten angesichts der Widersprüche und Fehlschlüsse, welche die Kritiker entdeckten, zu einem “unfehlbaren Text” Zuflucht nehmen mußten, von dem man nur weiß, daß er erstens das unfehlbare Wort Gottes ist, und zweitens, daß er die Bibel von heute ist, obwohl recht verschieden von ihm. E. Brunner verurteilt dies als “apologetische Kunstgriffe”. Diese Darstellung gibt ein verzerrtes Bild, wie wir unten sehen werden.

3. Warum ist es wichtig, daß der Urtext ohne Irrtümer war? Könnten wir nicht auskommen, ohne zu wissen, was er war, da Gott es nicht zuließ, daß er uns erhalten blieb? Die Gelehrten können sich auf den hebräischen und griechischen Text berufen, wie ihn die Abschreiber überliefert haben. Aber der Durchschnitts‑Leser muß sich mit einer notgedrungen unvollkommeneren und vom Urtext entfernteren  Übersetzung begnügen. Wenn Gott ihn aber durch dieses Mittel segnet, was sollte man mehr verlangen?

Erstens. Wir glauben, daß es um die Wahrhaftigkeit Gottes geht, und um seine Macht, sich nicht nur dem einzelnen, sondern der ganzen Menschheit zu offenbaren. Was müßten wir von ihm denken, wenn er gleich von Anfang an den Irrtum in die Niederschrift seiner Botschaft hätte einreißen lassen? Es kommt immer wieder auf die gleiche Frage heraus: Wenn schon im Urtext Fehler waren, wer zeigt uns, bis wohin der Irrtum geht, und wer lehrt uns, ihn zu unterscheiden? Wir wären in der größten Ungewißheit.

Zweitens. Es ist klar, daß der Verfasser des Urtextes eine ungleich schwierigere, entscheidendere Aufgabe hatte, als irgendein Abschreiber nach ihm. Mit L. Gaussen sprechen wir zuerst vom Urtext und seinen Übersetzungen, die im Lauf der Jahrhunderte gemacht wurden.

a) Der biblische Verfasser mußte der göttlichen Botschaft eine menschliche Gestalt verleihen. Das war eine geheimnisvolle, schwierige und dem Irrtum in höchstem Maße ausgesetzte Aufgabe, dafür brauchte es den vollen Beistand des Heiligen Geistes. Der Gedanke Gottes hat Form angenommen in der menschlichen Sprache; wenn man ihn übersetzt, muß er nicht wieder einen Körper bekommen; er wechselt nur das Kleid. Man sagt in unsrer eigenen Sprache, was das Hebräische und das Griechische gesagt haben, indem man bescheiden jedes Wort durch einen gleichbedeutenden Ausdruck ersetzt. Dieses Werk ist mit dem ersten, schöpferischen, nicht zu vergleichen. Zur Not könnte es durch einen loyalen Ungläubigen ausgeführt werden, der die fraglichen Sprachen vollkommen kennt.

b) Der Verfasser des Urtextes war ohne die volle Inspiration weit mehr den Gefahren der Irrtümer ausgesetzt als die Übersetzer. Die Arbeit der Letztern wurde ausgeführt von einer großen Zahl von Männern aus allen Sprachen und Ländern, die alle ihre Zeit und ihre Sorgfalt dafür verwenden konnten, wobei sie einander von Jahrhundert zu Jahrhundert überprüften, unterwiesen und vervollkommneten. Der Urtext hingegen mußte in einem bestimmten Augenblick durch einen einzelnen Menschen ein für allemal geschrieben werden. Niemand als Gott selber hat diesem Mann beistehen, ihn aufrichten und ihm bessere Ausdrücke eingeben können, wenn er in Gefahr stand, sich zu täuschen. Wenn Gott es nicht tat, war sonst niemand dazu in der Lage.

c) Während es sich bei den Übersetzern der Schrift um geschulte Männer handelte, die sich im Sprachstudium auskannten, waren die biblischen Verfasser oft ungeschulte Personen, mit wenig Erfahrung im Niederschreiben ihrer Sprache. Es wäre ihnen unmöglich gewesen, die göttliche Offenbarung allein fehlerfrei aufzusetzen.

d) Gottes Gedanke zündete im Geist der Propheten wie ein Blitzstrahl. Der Gedanke kann heute anderswo nicht mehr gefunden werden als im raschen Wort, durch das der Verfasser ihn beim Schreiben festhielt. Wenn er es schlecht gesagt hätte, wo fände man die Botschaft in reiner Gestalt? Der Fehler wäre nicht wiedergutzumachen gewesen; er hätte ohne Abhilfe das ewige Buch befleckt. Ganz anders verhält es sich mit den Übersetzungen. Da wir heute einen biblischen Text besitzen, der dem Urtext äußerst nahe ist, können unsre Übertragungen ständig verbessert werden, um dem Urtext möglichst gleichzukommen. Diese Arbeit vollzieht sich von Jahrhundert zu Jahrhundert; so ist es möglich, die Vulgata des heiligen Hieronymus nach 1500 Jahren, Luthers Übersetzung nach 450 Jahren, die autorisierte englische Übersetzung nach 350 Jahren, diejenige von L. Segond und die Elberfelder nach einem Jahrhundert zu verbessern. Wie wichtig war es, daß der Urtext uns ohne Fehler und in genauester Treue übermittelt wurde!

e) Wenn der Text fehlerhaft war, würde sich das Feld der daraus entstehenden möglichen Irrtümer immer weiter ausdehnen. Wenn er hingegen fehlerfrei war, sind die Gelegenheiten zu Irrtümern stets geringer. Die genaue Erforschung der zahllosen Exemplare der Schrift, die wir besitzen, die neue Entdeckung von Handschriften am Sinai und am Toten Meer, die Fortschritte der Auslegung und der Sprachwissenschaft, die ununterbrochene Verbesserung der Übersetzungen ‑ all dies hat wunderbar dazu beigetragen, den Grundtext zu bestätigen und viele Abschreibe‑ oder Übersetzungsfehler zu beseitigen, die im Laufe der Jahrhunderte begangen worden waren. Einmal mehr muß gesagt werden, daß ein solcher Fortschritt einen sicheren Urtext voraussetzt, von dem alles herrührt, wie weit wir davon heute auch entfernt sein mögen.

Prof. F. F. Bruce faßt folgendermaßen sowohl die Meinung der Gelehrten als diejenige der Bibel‑Gläubigen zusammen: “Durch die besondere Fürsorge und Vorsehung Gottes (Westminister Bekenntnis) ist uns der biblische Text in einem Zustand der größten Reinheit übermittelt worden, so daß auch die unkritischste hebräische oder griechische Ausgabe nicht die eigentliche biblische Botschaft verdunkeln oder ihr die rettende Macht nehmen kann.”

4. Warum hat Gott es nicht zugelassen, daß uns der Urtext erhalten blieb?  –  Wäre es darum, daß wir davor bewahrt blieben, daraus einen Götzen zu machen? Die Christen in Rom zum Beispiel, welche den echten Text des Briefes von Paulus in den Händen hatten, hielten sich im Glauben an die eingegebene Botschaft (wie wir es auch heute tun sollen). Aber später, als der Glaube weniger lebendig war, hätte da nicht die Gefahr bestanden, daß man aus dem Dokument, das aus den Händen des Apostels stammte, eine Reliquie, ein Zauberding machte? Das Beispiel der ehernen Schlange, der geräuchert worden war und die Hiskia schließlich zerstörte, gibt in dieser Hinsicht allerlei zu denken (4. Mose 21,8‑9; 2. Könige 18,4).

Da wir den Urtext entbehren, sind wir um so mehr darauf angewiesen, die vorhandenen Urkunden zu vergleichen und sie mehr und mehr dem Grundtext, von dem wir gar nicht so weit entfernt sind, anzunähern. Von der machtvollen Botschaft der Schrift ergriffen, von der Offenbarung des lebendigen Gottes überführt, können wir ihm unser volles Vertrauen schenken. Diese Einstellung ist uns möglich, auch wenn wir noch nicht imstande sind, das Wenige, das noch unklar bleibt, zu erklären, darzulegen oder in Übereinstimmung zu bringen.

In der gleichen Haltung haben wir auch alle biblischen Hauptlehren anzunehmen:

– die Dreieinigkeit: Gott in drei Personen offenbart
– die Fleischwerdung: Jesus Christus zugleich Gott und Mensch
– der Sündenfall. der Mensch ist nicht fähig, das Gute zu tun, bleibt aber
   verantwortlich
– die Rechtfertigung: der Gläubige ist zugleich sündig und gerecht
– die Vorausbestimmung: die ewige Wahl und des Menschen Freiheit
– die Auferstehung: ein neuer Leib, der gleichzeitig geistig ist
– die ewige Verdammnis: wie ist sie mit Gottes Liebe zu vereinen?

Wir glauben dies alles auf Grund der Schrift, deren Zeugnis uns überwunden hat, auch wenn wir nicht jede Einzelheit erläutern können. Gleicherweise können wir auch die Lehre von der Inspiration und der Unfehlbarkeit annehmen: Wir vertrauen dem Buch, das ganz von Gott und vom Menschen herkommt und von Irrtümern bewahrt wurde, um uns mit Gewißheit die Wahrheit zu offenbaren.

 

Vierter Teil
ZEUGNISSE ÜBER DIE INSPIRATION DER HEILIGEN SCHRIFT

Erstes Kapitel

Jesus Christus und die Heilige Schrift

Jesus, das göttliche, ewige, Fleisch gewordene Wort, ist nicht zu trennen von der Schrift, dem Wort Gottes als Buch. Die Beziehungen zwischen den beiden sind so bedeutsam, daß wir ihnen noch weiter nachgehen wollen:

I. Christus ist der Hauptinhalt der Heiligen Schrift
Die Bibel, als Botschaft des Heils, offenbart uns Gott, den Erlöser, und führt uns zu ihm. Deshalb gebührt dem Retter, dem Messias, der erste Platz in allen Teilen der Schrift. Jesus selber fordert uns auf: “Forschet in der Schrift, denn ihr meint, darin das ewige Leben zu finden, und sie ist es, die von mir zeugt” (Joh 5,39).

Der Geist Christi lebte in den Propheten des Alten Testamentes und offenbarte ihnen für uns die Leiden und die Herrlichkeit des Retters der Welt (l. Petr 1,10‑12).

“Das Zeugnis Jesu ist der Geist der Weissagung” (Offb 19,10). Daher gibt Jesus seinen verwirrten Jüngern den Schlüssel zum Verständnis der Schrift, wenn er mit ihnen durchgeht, was im Gesetz Mose, in den Propheten und in den Psalmen (den drei Teilen der hebräischen Bibel) von ihm geschrieben steht (Luk 24,44).

Der Hebräerbrief schreibt darüber ganz klar: Für seinen Verfas­ser ist der Ewige, der Herr des Alten Testamentes, kein andrer als Jesus selber, ganz vereinigt mit dem Vater:

– “Alle Engel Gottes sollen ihn anbeten” (Hebr 1,6; Ps 97,7).
– “Dein Thron, o Gott, ist ewig . . .”
– “O Gott, dein Gott hat dich gesalbt” (V.8‑9; Ps 45,7).
– “Du, Herr, hast am Anfang die Erde gegründet (V.10; Ps 102,26).

Welch unerschöpfliches Studium ist es, in jedem Buch der Schrift nachzuforschen und darüber nachzudenken, was es vom Herrn aussagt!

Führen wir hier noch E. Sauer an: “So lösen wir die Frage der Bibel zentral, das heißt von dem Mittelpunkt der Bibel, von Jesus Christus, aus. Wir glauben an die Bibel um Jesu willen. Durch den Glauben an Christus kommen wir auch zum vollen Glauben an Sein Wort. In Christus, dem Zentrum der Heilsoffenbarung Gottes, haben wir auch das Zentrum einer gottgemäßen Bibelanschauung.

Dies ist auch glaubensmäßig das allein Folgerichtige. Denn Christus selbst ist der ‘Logos’, die Urform des Wortes, das personhaft lebendige ‘Wort’, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Mund der ewigen Wahrheit, ja, die Wahrheit selbst. Sein Geist aber, der ‘Geist Christi’, hat die Propheten inspiriert (l. Petr 1,11), und das ‘Zeugnis Jesu’ ist der ‘Geist der Weissagung”‘ (Off 19,10) (a.a.O., S. 135).


II. Christus ist die Erfüllung der Schrift

Er erklärt: “Glaubt nicht, daß ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen” (Mt 5,17). “Der Sohn des Menschen geht von hinnen, wie von ihm geschrieben steht” (26,24). Am Abend des Auferstehungstages sagt er: “Es muß alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Mose, in den Propheten und in den Psalmen” (Luk 24,44).

Daher unterlassen die Evangelisten es nicht bei jeder Gelegenheit zu zeigen, wie alle Ereignisse im Leben Christi Schriftworte erfüllen. Beschränken wir uns hier auf die Beispiele von Matthäus:

Die Jungfrauengeburt (Mt 1,22‑23; Jes 7,14)
in Bethlehem (2,5‑6; Micha 5,1)
die Flucht nach Ägypten (2,15; Hos 11,1)
der Kindermord (2,17‑18; Jer 31,15)
die Kindheit in Nazareth, in Galiläa (2,23; 4,12‑16; Jes 8,23‑1 9,1)
der Vorläufer Johannes der Täufer (3,3; 11,10; Jes 40,3)
die Heilung der Krankheiten (8,16‑17; Jes 53,4)
die Verstockung des Volkes (13,14‑15; Jes 6,9)
die Heuchelei der Pharisäer (15,7‑9; Jes 29,13)
das Kommen Elias (17,10‑11; Mal 4,6; vgl. Mk 9,12)
der Einzug auf einem Esel in Jerusalem (21,4‑5; Sach 9,9)
der Tempel, der zur Räuberhöhle geworden war (21,13; Jes 56,7; Jer 7,11)
das Lob aus dem Mund der Kinder (21,16; Ps 8,3) und der verworfene Eckstein (21,42; Ps 118,22)
der Messias, den David seinen Herrn nennt (22,43; Ps 110,1)
die 30 Silberlinge, welche die Führer anboten (26,15; 27,3‑10; Sach 11,12‑13)
der Verrat des Judas (26,24; Ps 41,10)
der Hirte geschlagen und die Herde der Jünger zerstreut (26,31.56; Sach 13,7)
die Gefangennahme; Jesus unter die Missetäter gerechnet (26, 54.56; 27,38; Jes 53,7.9.12)
die Wiederkunft des Menschensohnes in den Wolken (26,64; Dan 7,13)
die Kreuzigung; die durchstochenen Füße und Hände (27,35; Ps 22,15)
 das Los, das über seine Kleider geworfen wird (27,35; Ps 22, 15‑19)
“Mein Gott, warum hast du mich verlassen?” (27,46; Ps 22,2) uvam.

So weit geht allein das Zeugnis von Matthäus. In der Tat, die Person und das Werk Christi sind untrennbar mit der Heiligen Schrift verbunden!

 

Ill. Das praktische Verhalten Christi gegenüber der Schrift

1. Er bezeugt mit größter Klarheit ihre Vollmacht und göttliche Inspiration Nach seinen Worten kann die Schrift nicht gebrochen werden (Joh 10,35). Ihre Geltungsdauer wird mit der Himmels und der Erde verglichen, weil sie übermenschlichen Ursprungs ist (Mt 5,18).

Gott selbst spricht durch den biblischen Text, zum Beispiel in dem Bericht des Mose vom brennenden Busch: “Habt ihr nicht gelesen, was Gott euch gesagt hat? Ich bin der Gott Abrahams (Mt 22,32; vgl. 15,4).

Der eingegebene Text ist “das Gebot Gottes”, “das Wort Gottes”, denn Gott hat es selbst gesprochen (Mt 15,3.6).

Das Gebot Gottes ist als das geschriebene Wort weit erhaben über alle menschlichen, auch die religiösen Überlieferungen (Mk 7,8‑9).

2. Er unterstreicht die Bedeutung eines jeden Wortes “Es werden eher Erde und Himmel vergehen, als daß ein einziges Strichlein des Gesetzes untergeht” (Luk 16,17). “Alles, was geschrieben ist von den Propheten über des Menschen Sohn, wird sieh erfüllen” (Luk 18,31; vgl. 24,44).

3. Er bezieht sich für seine Darlegung oft auf einen einzigen Ausdruck des Textes Der Name, den Gott sich zulegt: Ich bin der Gott Abrahams (Mt 22,32); das Wort “mein Herr”, das auf den Davidssohn bezogen ist (V. 43‑45).

4. Er stellt den biblischen Text gleich seinen eigenen, göttlichen und unfehlbaren Worten, die nie vergehen werden (Mt 24,35).

5. Er stützt sich ständig auf die Schrift Im Kampf gegen die Versuchungen Satans antwortet er dreimal: “Es steht geschrieben!”, alle seine Gründe aus dem 5. Buch Mose beziehend (Mt 4,4.7.10; 5. Mose 8,3; 6,16; 6,13).

In seinen Auseinandersetzungen mit den Juden wiederholt er ständig:

“Habt ihr nicht gelesen, was David tat?” (Mt 12,3); oder habt ihr nicht gelesen (was über den Sabbat gesagt ist? (V. 5
 habt “ihr nicht gelesen, daß der Schöpfer zu Beginn Mann und Frau schuf?” (Mt 19,4);
“habt ihr nie in der Schrift gelesen?” (der verworfene Eckstein, Mt 21,42);
“habt ihr nicht gelesen, was Gott gesagt hat … ?” (über die Le­benden, deren Gott er ist, Mt 22,31);
“was hat Mose euch vorgeschrieben … ?” (wegen der Ehescheidung, Mk 10,2‑3);
“in eurem Gesetz steht geschrieben, daß das Zeugnis zweier Menschen wahr ist” (Joh 8,17);

Seine Unterweisung an die Jünger stützt er auf die Schrift, um seine Vollmacht zu betonen:

Sein öffentliches Auftreten beginnt mit den Worten zu einer Stelle aus Jesaja: “Heute ist dieses Wort der Schrift, das ihr eben gehört habt, erfüllt” (Luk 4,16‑21).

Dem Schriftgelehrten antwortet er: “Was steht im Gesetz geschrie­ben? Was liest du dort?” (Luk 10,26).

Die Bergpredigt ist ganz auf dem Gesetz aufgebaut, das durch sie bestätigt und ergänzt wird (Mt 5,17).

In seiner Unterwerfung unter die Gebote des Gesetzes: Jesus hat es nicht verschmäht, “unter dem Gesetz geboren zu werden” (Gal 4,4). Er wird beschnitten und im Tempel dargestellt, wie im Gesetz des Herrn geschrieben ist (Luk 2,21).

Er empfiehlt dem geheilten Aussätzigen, das von Mose vorgeschriebene Opfer darzubringen (Mt 8,4). Er ist bereit, die zwei Drachmen zu zahlen, die für den Tempel erhoben werden (Mt 17.24).

Am Kreuz sagt Jesus die Gebete und erfüllt die Verheißungen der messianischen Psalmen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Ps 22,2; Mt 27,46).

“Danach, da Jesus wußte, daß alles vollbracht war, sagte er, auf daß die Schrift erfüllt würde: ‘Mich dürstet’ (Ps 69,22; Joh 19,28). Die Worte “Es ist vollbracht” bedeuten, daß sein versöhnendes Werk vollendet und die biblische Weissagung ganz verwirklicht war. “Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist” ist das Gebet des 31. Psalms (V. 6; Luk 23,46).

Nach der Auferstehung kommt Jesus nicht auf die Bestätigung zurück, die er der Schrift verliehen hatte in den Tagen seiner Erniedrigung (in welchen er nach gewisser Auffassung auf seine Allwissenheit verzichtet hätte). Im Gegenteil, er erklärt den Jüngern von Emmaus und dann allen versammelten Jüngern, was sich auf ihn bezieht, in der Schrift von Mose bis zu allen Propheten und den poetischen Büchern (Luk 24,27.44).

6. Christus bestätigt die Erzählungen der Heiligen Schrift. Er nimmt ganz natürlich und ausdrücklich Bezug auf die Ereignisse des Alten Testamentes. Also ist es klar, daß er in ihnen weder Legenden noch Mythen, sondern geschichtliche Begebenheiten sieht:

die Erschaffung der ersten Menschen (Mt 19,4‑5),
die Ermordung Abels (Luk 11,51),
Noah, die Arche und die Sintflut (Mt 24,37),
die Rolle und der Glaube Abrahams (Joh 8,56),
die Beschneidung, die den Erzvätern gegeben und am 8. Tag vollzogen wurde, selbst wenn es ein Sabbat war (Joh 7,22),
die Zerstörung von Sodom, Lots Rettung, Untergang seiner Frau (Luk 17,29.32),
die Personen Isaak und Jakob (Luk 20,37),
die Berufung des Mose (Mk 12,26),
das Gesetz des Mose, das die Ehescheidung erlaubt und die Reinigung des Aussätzigen anordnet (Joh 7,19; Mt 19,18),
die zehn Gebote (Mt 19,18), das Manna (Joh 6,31‑51), die eherne Schlange (Joh 3,14).
Elia und die Witwe in Sarepta (Luk 4,26), die künftige Bedeutung des Elia (Mk 9,12),
Elisa und der aussätzige Naemann (Luk 4,27),
Jona und die Niniviten (Mt 12,40), die Weissagung Daniels (Mt 24,15).

7. Jesus setzt sich auch für Stellen der Schrift ein, die heute hart angegriffen werden. Wir erwähnten schon seine Bezugnahme auf Adam und Eva, auf die Sintflut, Jona, Daniel (aus dessen Schrift er den Titel “Menschensohn” übernimmt) usw.

Er bestätigt ebenso die Gültigkeit und Einheit des Buches Jesaja, von dem er keinen Unterschied zwischen erstem und zweitem Teil angibt. Er beginnt sein Werk durch eine Erklärung zu Jesaja 61,1‑2 (Luk 4,17‑21).

Er macht auf die Drohung von Jesaja aufmerksam (Mt 13,14) und er wendet den schweren Vorwurf von Jesaja 29,13 auf das Volk an (Mt 5,7‑9). Uam.

Christus findet in den fünf Büchern Mose, die er Mose zuschreibt, die zwei wichtigsten Gebote des Herrn (5. Mose 6,4‑5; 2. Mose 19,18; Mk 12,29‑31).

Wir sahen schon, daß Jesus im lebensgefährlichen Kampf mit Satan dreimal das Schwert des 5. Buches Mose zückt (Luk 4,4.8.12), ein Buch, das zusammen mit dem 2. Buch Mose am meisten kritisiert wird.

8. Jesus legt dar, daß die Schrift vollkommen genügt, um den Men­schen zum Heil zu führen. Den bittenden Brüdern des reichen Mannes erklärt er: “Sie haben Mose und die Propheten; auf die mögen sie hören!” (Luk 16,29).

Die niedergeschriebene Offenbarung enthält alles, was den Sünder zur Erkenntnis Gottes und zum ewigen Leben führen kann. Ein wiederauferstandener Toter (V. 30‑31) oder selbst ein Engel (Gal 1,8) würden nichts mehr ausrichten.

9. Er zeigt, daß jede Quelle von Irrtum daher rührt, daß man die Schrift zu wenig ernst nimmt und sie nicht zu verstehen sucht. “Irrt ihr nicht, weil ihr die Schrift und die Macht Gottes nicht begreift? … Ihr irrt sehr” (Mk 12,24.27).

Die Jünger von Emmaus sind traurig und verwirrt, weil ihre Auffassung von Gottes Plan zusammenbrach. Jesus weiß wohl um diese Ursache ihrer Enttäuschung, indem er sagt: “O ihr Toren und trägen Herzens, dem zu glauben, was die Propheten geredet haben” (Luk 24,25).

IV. Folgerungen

Abschließend können wir sagen, daß Jesus, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, wie gesättigt ist von der Schrift, die er kennt, obwohl “er nicht darin geschult worden ist” (Joh 7,15). Ein Zehntel seiner Belehrung ist dem Alten Testament entnommen, nämlich von den 1800 Versen seiner Reden in den vier Evangelien sind 180 direkte Entlehnungen oder Anspielungen auf die geschriebene Offenbarung.

Wenn man uns vorwirft, ständig Bibelstellen anzuführen, was mögen dann diese Leute von Jesus denken, der die Schrift jederzeit im Munde führte? (Dieses Verhältnis von einem Zehntel entspricht übrigens dem andern Teil des Neuen Testamentes, während die Entlehnungen in den Ansprachen der Apostelgeschichte fast die Hälfte ausmachen.)

Die Bibel ist für Jesus das Zeughaus, in welchem er seine Waffen findet, der befestigte Hort der Wahrheit. Von Satan versucht, wendet er sich an Mose, seinen Diener, weil dieser die Worte von Gott selber gesprochen hatte. Und in der Todesgefahr, als die Juden ihn wegen angeblicher Lästerung steinigen wollten, da beruft er sich auf die Schrift, die nicht gebrochen werden kann” (Joh 10,31‑36).

Nach seinem Vorbild sei auch unsre eigene Schriftauslegung gestal­tet. Er weist die unfehlbare Inspiration und die Stetigkeit der göttlichen Offenbarung nach, ihre Einheit, ihren innern Zusammenhang und ihren hinreichenden Inhalt. Er lehrt uns die Kunst, die Haupt- und die Nebenlinien, alles in einem Text Vorhandene auszuschöpfen.

Er, welcher die Wahrheit, das Wort Gottes in Person ist, unterwirft sich ohne Bedenken dem eingegebenen Text. Es ist offensichtlich, daß für ihn jede Aussage des Alten Testamentes das Wort Gottes ist.

Man hat wahrhaben wollen, daß in diesem Verhalten der Herr von jüdischen Gedanken beeinflußt war. Das Gegenteil ist der Fall. Selbstverständlich brauchte Jesus die Sprache seiner Zeit, um von seinen Hörern verstanden zu werden; aber niemals teilte er deren Irrtümer oder ihre Unwissenheit. In Wirklichkeit setzte er sich ständig in offenen Gegensatz zu den falschen Auffassungen seiner Mitbürger in bezug auf die Überlieferung, die Bräuche, das Jenseits, die Reinigung, das Gesetz, den Sabbat, das politische und diesseitige “Reich Gottes” oder auf den Messias selber. Hätte Jesus über die volle Inspiration des Alten Testamentes eine andere Auffassung gehabt als die Juden, würde er sie mit der gleichen Unerbittlichkeit angegriffen haben wie irgendeine menschliche Überlieferung. Was sollten wir sonst von seiner sittlichen Lauterkeit und Wahrhaftigkeit denken?

Diese Haltung Christi, voller Vertrauen und unbedingter Unterwerfung gegenüber der Schrift, ist auch meine eigne Richtschnur. Mein Glaube an Christus, den göttlichen Retter, ist aufs engste verbunden mit meinem Vertrauen in die Schrift, die ihn offenbart. Indem ich die unverrückbare Vollmacht des Herrn anerkenne, kann ich nicht umhin, auch die Tatsachen und Lehren des inspirierten Buches zu glauben. Umgekehrt wird jeder, der das Zeugnis der Schrift annimmt, auch zum Glauben an Christus gelangen. Die Juden glaubten angeblich an Mose, verwarfen aber Christus. Deshalb hielt er ihnen entgegen: “Wenn ihr Mose glauben würdet, so glaubtet ihr auch an mich, denn er hat von mir geschrieben. Aber da ihr seinen Schriften nicht glaubt, wie solltet ihr mir Glauben schenken?” (Joh 5,46).

 

Viertes Kapitel
Wohin die Ablehnung der vollen Inspiration und die Kritik an der Bibel führen können

I. Was verstehen wir unter “Bibelkritik”?

Das Wort Kritik (griech. krinein, (be)urteilen, richten) bedeutet Gespräch, das nach vernünftiger Prüfung die Wahrheit und Echtheit gewisser Tatsachen oder Urkunden feststellt. Sagen wir von vornherein, daß wir eine positive Kritik der alten Texte für durchaus angebracht und sogar für notwendig erachten. Das Wort Gottes ist uns in der Form einer Sammlung alter Schriften gegeben, die von verschiedenen Verfassern in verschiedenen Sprachen in mehreren Zeitepochen und Ländern geschrieben wurden. Nichts ist richtiger, als unsern Verstand anzuwenden auf die Prüfung der Handschriften und Varianten, die alten Sprachen zu erforschen und dem Sinn der Sätze und dem Wert der Ausdrücke nachzuspüren. Man nennt dies die niedere Kritik. Es gab Gelehrte, die ihr ganzes Leben ihr gewidmet haben, bis ins kleinste die geringsten Einzelheiten des heiligen Buches untersuchend. Männer wie Alfred Menge für die ganze Bibel, B. F. Westcott und F. I. A. Hort durch ihr Neues Testament haben der wissenschaftlichen Textkritik unschätzbare Dienste geleistet. B. Kennicott in früherer und R. D. Wilson in jüngerer Zeit haben für das Alte Testament durch ihr unermüdliches Schaffen dasselbe getan. Hat nicht auch Lukas selber “alles von Anbeginn an mit Fleiß erkundet”? (Luk 1,3).

Man nennt andererseits die hohe Kritik die Prüfung der literarischen Gattung, des Inhaltes der Botschaft, ihr Verhältnis zu den Sitten, zur Zeit und zur Geschichte, usw.

Die Kritik, welche zu besserem Verständnis verhilft, ist daher zu begrüßen, und wir scheuen keine wissenschaftliche Erforschung, die im Licht und in der Wahrheit erfolgt. Aber nun stellt die Kritik der Bibel einen besondern Fall dar. In diesem einzigartigen Buch ist der Glaubende seinem Gott begegnet: sein gegenwärtiges und sein ewiges Leben ist durch die Erkenntnis Jesu Christi erleuchtet worden. Deshalb vermag er nicht an die Schrift heranzutreten wie an ein gewöhnliches Menschenwerk. Sein Wertmaßstab wird bei ihrem Studium immer der Herr selber sein, der diese Seiten selber eingab und erschließt. Die rein verstandesmäßige Kenntnis wird ergänzt und gemessen an der Lebenskraft, die aus dem eingegebenen Text hervorgeht.

L. Gaussen bemerkt zur Rolle der Bibelkritik folgendes: “Die Kritik der Heiligen Schrift ist eine edle Wissenschaft. Sie ist es durch ihren Gegenstand, nämlich die Geschicke des inspirierten Textes zu untersuchen, seinen Kanon, seine Handschriften, seine Übertragungen, seine Zeugen und die zahllosen Entlehnungen … Gott bewahre uns davor, den Glauben der Wissenschaft entgegenstellen zu wollen, wo doch der Glaube von der Wahrheit lebt, welcher die Wissenschaft nachforscht.

Die kritische Wissenschaft überschreitet hingegen ihre Grenzen, wenn sie, statt als Magd zu dienen, sich zum Richter aufspielt, wenn sie, statt die Worte Gottes zu sammeln, sie auseinandernimmt und zusammensetzt, wenn sie dem Kanon zurechnet oder von ihm ausschließt, wenn sie ihre eigenen orakelmäßigen Erklärungen abgibt. Wenn sie von diesem Buch, das von sich selber sagt, es sei inspiriert und es werde jedermann am Jüngsten Tag richten, etwas wegschneidet; wenn sie die Rolle der Engel am Jüngsten Gericht (Mt 13,48) zu spielen sich anschickt, um das Buch Gottes an das Ufer der Wissenschaft zu ziehen, um aus dem Schlamm herauszuholen, was ihr gut scheint, in ihren Gefäßen gesammelt zu werden, und wegzuwerfen, was schlecht ist; wenn sie mit menschlichem Denkvermögen die Gedanken Gottes richtet … dann muß man sie mißbilligen … Es kommt nicht selten vor, daß ein eifriges Studium der äußeren Gegebenheiten des heiligen Buches, nämlich seiner Geschichte, seiner Handschriften, seiner Übertragungen, seiner Sprache, die Aufmerksamkeit der Forscher so stark beansprucht, daß sie wie abgestumpft werden gegenüber seinem Sinn, seinem Ziel, der darin sich entfaltenden sittlichen Kraft, den Schönheiten und dem Leben die daraus strömen . . . Ein solcher Mann erstickt sein geistliches Leben … Kann er den Tempel erkennen? Er hat nur Steine gesehen; er weiß nichts von der shekina (der Herrlichkeit des Herrn, 2. Mose 40,35). Kann er die prophetischen Bilder erkennen und ahnt er ihre neutestamentliche Erfüllung? Er hat nur die Altäre gesehen, die Lämmer, das Blut, das Feuer, den Weihrauch, die Sitten und Gebräuche, aber er hat nichts geschaut von der Erlösung, von der Zukunft, vom Himmel, von der Herrlichkeit Jesu Christi.”

Die verneinende Kritik. Es ist leider offensichtlich, daß eine gewisse verneinende Kritik ihre Befugnisse überschritten hat. Indem sie zu oft von vorgefaßten theologischen und philosophischen Gedanken und nicht bewiesenen Theorien ausging, kam sie dazu, die Schrift, den Text wie einen Leichnam zu sezieren. Wir wollen einige der von solcher Kritik vorgebrachten Fragen betrachten und sehen, wohin sie notwendigerweise führen.


Il. Das Aufkommen und der Siegeszug der modernen Kritik

Man ist sich einig darüber, anzuerkennen, daß die Juden, Christus, die Apostel, die Urgemeinde, die Kirchenväter, die Reformatoren und ihre Nachfolger in umfassender Weise die volle Inspiration der Schrift bis Anfang des 18. Jahrhunderts bekannten.

Diese Auffassung wurde erschüttert durch den Rationalismus des 18. und den religiösen Freisinn des 19. Jahrhunderts. Unter dem Einfluß der Evolutionstheorie hat man den biblischen Bericht von der Schöpfung und vom Sündenfall abgelehnt. Der Mensch, der sich vom Höhlendasein befreite, hätte sich seine Götter nach seinem eigenen Bild gedacht (Polytheismus); nach und nach die Barbarei hinter sich lassend, habe er später den einen Gott erdacht (Monotheismus). Vor der Entwicklung der Altertumskunde, vor hundert Jahren, glaubte man, es gebe keinen geschichtlich gewissen Befund, der weiter zurückginge als zum 6. Jahrhundert v. Chr. Folglich wurde die Geschichte der Erzväter und des alten Israel als Legende und Mythos erklärt. Von Mose nahm man an, er habe sicher weder lesen und schreiben noch das Gesetzbuch mit den mannigfachen Riten, das nach ihm genannt ist, aufstellen können. Die Beschreibung der Ägypter, der Kanaaniter, der israelitischen Könige, vor allem von Salomo, wurde ins Reich der Fabel verwiesen. Also konnten die sogenannten Bücher Mose nicht von ihm stammen. Sie sollen viel später geschrieben worden sein. Die Wissenschaft der Kritiker setzte sie in den Stand, nach Tausenden von Jahren des Abstandes die vielfachen “Quellen” festzulegen . . .  –  Es erübrigt sich, auf die Gründe hinzuweisen, welche die Fragwürdigkeit dieser Folge von verwickelten Hypothesen aufzeigen, die durch gar keine Tatsachen gestützt sind. . . . (Gekürzt H. Koch)

Der Freisinn, der die Bibel als irgendein Buch behandelt, hat auch das Neue Testament angegriffen. Wo der Mensch keinen Sündenfall kennt, sondern sich von selbst zum Guten entwickelt, braucht er auch keinen Erlöser. Die Evangelien‑Berichte sind daher Legenden, das Übernatürliche wird kurzweg daraus entfernt. Weder ist Jesus durch ein Wunder geboren, noch vermag er die Sünden durch seinen Tod zu sühnen. Von seiner Wiederkunft ist nicht die Rede, und eine ewige Hölle gibt es nicht. Das vierte Evangelium wie einige Briefe und die Offenbarung sind nicht echt.

III. Die “Biblische Erneuerung”

Eine besser unterrichtete Wissenschaft hat auf viele Einwände des alten Freisinns geantwortet. Die materialistische Evolutionstheorie ist von einer großen Zahl von Gelehrten abgelehnt worden. Die Entdeckung von Ur in Chaldäa und der ältesten Kulturen (Sumer, Ba­bylon, Ninive, Mari, Ugarit, Jericho, Kreta, Ägypten usw.) hat bewiesen, wie genau die biblische Beschreibung von der Zeit der Erzväter, von Mose und Israel ist. Wer wollte nach der Auffindung des Gesetzbuches von Hammurabi noch bestreiten, daß Mose nicht ebensogut etwas Gleiches verfassen konnte? Solche Bestätigungen sind für Glaubende eine Freude, auch wenn ihr Vertrauen in die Schrift dieser Stärkung nicht bedurfte.

Eine neuere Strömung der Theologie betonte ihre Absicht, Gottes Wort wieder zu Ehren und uns zur Bibel zurückzubringen. Nun ist abzuklären, welches Wort Gottes und welche Bibel gemeint ist. Gewiß ist die Bibel wieder mit neuem Eifer erforscht worden. Aber für die Mehrzahl der zeitgenössischen Theologen gilt die alte Gleichung nicht mehr, daß die Bibel schlechthin das Wort Gottes darstellt. Es wird ‑ wie beim alten Freisinn ‑ daran festgehalten, daß die Schrift Irrtümer, Legenden und Widersprüche enthält. Sie ist nicht das Wort Gottes selbst; sie ist nur ein Zeugnis, das von fehlbaren Menschen dem Wort Gottes dargebracht wird.

Karl Barth schreibt: “Die Propheten und Apostel waren als solche in ihrem gesprochenen und geschriebenen Wort irrtumsfähig; sie waren tatsächlich fehlbare Menschen wie wir alle” (Kirchliche Dogmatik, 1, 2. S. 563). “Hat Gott sich der Fehlbarkeit all der menschlichen Worte der Bibel, ihrer geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Irrtümer, ihrer theologischen Widersprüche, der Unsicherheit ihrer Überlieferung und vor allem ihres Judentums nicht geschämt, sondern hat er sich dieser Worte in ihrer ganzen Fehlbarkeit angenommen und bedient, dann brauchen wir uns dessen nicht zu schämen, wenn er sie in ihrer ganzen Fehlbarkeit als Zeugnis auch an uns erneuern will, dann wäre es Eigenwilligkeit und Ungehorsam, in der Bibel auf die Suche nach irgendwelchen unfehlbaren Elementen ausgehen zu wollen” (S. 590).

Es ist klar, daß für Barth “die wirkliche Menschlichkeit der Bibel die nicht weniger wirkliche Möglichkeit von Fehlern in sich schließt. Und ebenso klar ergibt sich, daß in dieser wirklichen Menschlichkeit der Bibel die Berechtigung zur Bibelkritik liegt.” Wie das Fleisch gewordene Wort ohne Sünde war, so ist das niedergeschriebene Wort Gottes ohne Irrtum. Die Menschlichkeit Jesu ist der unsrigen gleich, ausgenommen die Sünde. Die Menschlichkeit der Bibel ist allen menschlichen Büchern ähnlich, ausgenommen den Irrtum.

Nach der modernen dialektischen Methode bleibt Barth dabei nicht stehen. Was er über die Menschlichkeit und Fehlbarkeit der Bibel sagt, sind nur vorangehende Feststellungen. Aber worum es ihm letztlich, daß die Schrift Gottes Wort sei. Barth: “Wir glauben in und mit der Kirche, daß die heilige Schrift als das ursprüngliche und legitime Zeugnis von Gottes Offenbarung das Wort Gottes selber ist” (S. 557). Aber, was will Barth mit diesen Worten sagen, da er doch die Lehre der Inspiration mit aller Entschiedenheit ablehnt, so wie sie formuliert wurde von den Kirchenvätern und den Reformatoren des 16. Jahrhunderts und von den reformierten Glaubensbekenntnissen.

Ein andrer berühmter Theologe, Emil Brunner, sagt: “Ich bin Anhänger einer ziemlich radikalen Schule der Bibelkritik, welche das Johannes‑Evangelium nicht als geschichtliche Quelle anerkennt und manche Teile der synoptischen Evangelien legendär findet” (Die Theologie der Krisis, S. 41). “Wer behauptet, das Neue Testament gebe uns einen klar zusammenhängenden Bericht von der Auferstehung, ist entweder unwissend oder wenig ehrlich” (Der Mittler, S. 577). – Die Schrift selbst ist nach der Ansicht der dialektischen Theologie nicht Offenbarung, weil diese ihrem Wesen nach gar nicht schriftlich festzuhalten ist. Was niedergeschrieben ist, wird damit der menschlichen Einsicht unterworfen. Emil Brunner drückt es so aus: “Es ist, wie wenn der Geist Gottes zwischen zwei Deckeln des geschriebenen Wortes gefangen wäre.” – “Darum können, was unsere Inspirationslehre auch sein möge, die biblischen Urkunden nicht als inspiriert gelten”  (R. A. Finlayson, Develation and the Bible, S. 225).

Emil Brunner lehnt auch die Jungfrauengeburt und das Sühneopfer ab. Er schreibt über die drei ersten Evangelien: “Etliches, was darin erzählt wird, ist nicht historisch. Auch in ihnen werden Jesus Worte in den Mund gelegt, die er nicht gesagt hat, und sie berichten verschiedene Tatsachen, die sich nicht zutrugen.” Was das vierte Evangelium betrifft, “so hat Jesus vielleicht keines der ihm zugeschriebenen Worte gesprochen” (Dogmatik II). “In gewissen Punkten stellt die Verschiedenheit der apostolischen Lehre vom rein theologischen, intellektuellen Standpunkt aus einen nicht zu versöhnenden Widerspruch dar” (Revelation and Reason, S. 290). – Das legt uns die recht ernste Frage nahe: Wenn die Bibel Fehler und Irrtümer enthält in Theologie, Moral, Geschichte und Wissenschaft, was bringt sie uns dann? Besteht die Möglichkeit, Gott objektiv zu erkennen? Fast sind wir versucht, mit Maria zu sagen: “Sie haben den Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben” (Joh 20,13).

Wenn die bedeutendsten Theologen sich so über den eigentlichen Wert der biblischen Texte äußern, wie können sie dann auf dieser Grundlage eine “Theologie des Wortes Gottes” aufbauen? Offenbar gibt man diesem letzten Ausdruck einen andern Inhalt, als es der überlieferte war. Man macht einen Unterschied zwischen dem geschriebenen Text und dem, was Gott durch die Bibel sagt. Es heißt, das Wort Gottes sei die Botschaft, die uns durch die Schrift erreicht; aber es wäre irrig zu glauben, diese Botschaft sei an diesen oder jenen Vers gebunden. Für viele neuprotestantische oder Barth’sche Theologen (wie G. S. Hendry, E. Brunner, J. A. Mackay) ist die Offenbarung Gottes diejenige einer Person; sie kann uns nicht Belehrungen, Wahrheiten, Lehren oder Aufschlüsse geben. Gottes Taten sind den Belehrungen und Sätzen der Bibel entgegengesetzt. Das ist für uns wohlverstanden unhaltbar, und man verwundert sich über die Geschicklichkeit des menschlichen (oder dämonischen) Geistes, der in neuer Form immer wieder das Wort Gottes in Frage stellt. Die Schlußfolgerung: Der Neuprotestantismus in seinen verschiedenen Formen spricht immer wieder von einer ‘Theologie des Wortes’ und von ‘biblischer Theologie’, wobei er das angreift, was die Bibel von sich selber sagt, nämlich daß ihre Belehrungen, ihre Lehren, ihre Aufschlüsse und ihre Aussagen das geschriebene, von Gott inspirierte Wort Gottes seien.

 

Das Echo der Offenbarung

Die zeitgenössische Theologie geht vom Grundsatz aus, daß die Schrift als solche nicht die offenbarte Wahrheit sei. W. Temple, anglikanischer Erzbischof von Canterbury schrieb: “Es gibt nicht ‘offenbarte Wahrheit’ . . . Es gibt Wahrheiten der Offenbarung, nämlich Aussagen, welche die Frucht wichtiger Gedanken über die Offenbarung ausdrücken; aber an sich sind sie nicht direkt offenbart” (Nature, Man and God, S. 317). Die Schrift wäre also die menschliche Antwort auf die Offenbarung und ein Zeugnis über sie; sie wäre ein Echo davon, aber keineswegs die Offenbarung selber. Professor D. D. Williams bezeugt, daß fast alle Theologen heute diese Auffassung teilen. Er schreibt: “So kann der christliche Gedanke befreit werden vom unerträglichen Dogmatismus, welcher Gottes Offenbarung irgendeiner menschlichen Formel gleichsetzen will”.

W. Temple schreibt ferner: “Es ist von größter Wichtigkeit, daß Christus kein Buch geschrieben hat. Es ist sogar noch wichtiger, daß wir von keiner einzigen seiner Handlungen oder keinem seiner Worte vollständig sicher sind, daß sie so getan oder so gesprochen worden sind.” Über die Bibel als Ganzes fügt er hinzu: “Es gibt keinen Satz, welcher die Autorität einer deutlichen Erklärung des dreimal heiligen Gottes hat” (S. 350).

R. A. Finlayson zieht daraus folgenden Schluß: “Dies zeigt, wie weit der neue Freisinn hat gehen müssen um seines Versuches willen, die Offenbarung von der Schrift zu trennen und der Bibel den Charakter einer glaubenswürdigen Quelle irgendeiner angemessenen Kenntnis Gottes abzusprechen. Vermutlich hat für Dr. Temple die Unsicherheit über alle Worte Christi eine ungeheure Wichtigkeit, weil sie der Ausübung des Glaubens um so mehr Raum läßt. Aber ein Glaube, der auf solchen Unsicherheiten beruht, ist reine Anmaßung.”

IV. Wie wird die fehlbare menschliche Botschaft zum “Wort Gottes” ?

Wie kann der Gläubige die Wahrheit erkennen, wenn der biblische Text so unsicher ist, wenn seine Verfasser in allen Punkten der Möglichkeit von Fehlern unterworfen und ihre Seiten voller Legenden und Irrtümer sind? Man antwortet uns darauf: Das geschieht, wenn der Text, so wie er ist, von Gott benützt wird, um den Leser jetzt und hier anzusprechen. Dann wird die Botschaft zum “Wort Gottes”, und die Offenbarung ist dem Menschen in der persönlichen Begegnung mit dem Herrn gewährt. John Murray faßt die moderne Auffassung, die er nicht teilt, in folgende Worte: Die Schrift “gibt dem Wort Gottes Zeugnis für uns; sie ist das Fahrzeug und als solches einzigartig. Aber Gott muß immer neu handeln und durch einen göttlichen Entscheid herbeiführen, daß das Zeugnis der Schrift als Gottes Wort uns mit zwingender Macht treffe. Die Vollmacht der Schrift besteht nicht an sich. Sie erweist sich nur hier und jetzt für diesen einen Menschen, aber nicht für einen andern, in einer Krisis und bestimmten Herausforderung. Gott offen­bart sich durch den Kanal der Schrift, aber diese wird uns nur zum Wort Gottes in der ständigen Erneuerung der Krise, die im Menschen entsteht, und in der göttlichen Entscheidung” (The Infallible Word, S. 43).

Kommen wir auf Th. Engelders Bemerkung über diese Theologen zurück: “Sie lehnen das Wunder ab, das Gott gemacht hat, indem er uns durch Eingebung eine fehlerfreie Bibel gab, aber sie glauben ohne weiteres an das viel größere Wunder, das Gott jeden Tag vollbringen muß, indem er Menschen befähigt, in dem unvollkommenen, menschlichen Wort das vollkommene Wort Gottes zu finden und zu erkennen” (Scripture cannot be broken, S. 129).

Wenn wirklich die Bibel Gottes Wort nur vermittelt im Augenblick, wo ich Gott in seiner Wahrheit begegne, wo seine Botschaft mich trifft, liegt ihre Autorität beim Empfänger der Botschaft. Das ist eine Verwechslung zwischen Inspiration der Bibel und dem innern Zeugnis des Heiligen Geistes.

Robert Preus fragt dazu: “Was ist denn dieser Text, der ‘Wort Gottes’ wird? Die Schrift ist Gottes Wort. Sie wird es nicht und kann es im besondern Fall nicht werden. Sie wird es weder, wenn die Kirche sie anerkennt, noch wenn Gott einen Menschen dazu führt, sie als solches anzunehmen. Gerade wie der Brief eines Freundes seine Gedanken ausdrückt, so enthält seit allen Zeiten die Schrift Gottes Plan für unser Heil … Unter welchem Gesichtspunkt man auch Gottes Wort betrachtet, es ist immer das gleiche, sich treu bleibende Wort des Herrn. Man kann es ins Auge fassen aus dem Geist Gottes, aus dem der Propheten und Apostel heraus, von diesen Männern gepredigt und aufgeschrieben ‑ oder als das, was unsre Herzen aufnehmen: Es bleibt stets das Wort Gottes” (a.a.O., S. 16, 19).

V. An welchem Prüfstein kann man Gottes Wort erkennen?

Wer behauptet, Gottes Wort sei nur in der Bibel “enthalten”, in welcher der Glaubende es zu entdecken habe, setzt sich damit in Wirklichkeit einer unlösbaren Schwierigkeit aus. J. I. Packer äußert sich über den Zwiespalt, in dem die zeitgenössischen Theologen sich verfangen, wie folgt: “Wie kann die Bibel oberster Richter über die menschlichen Irrungen sein, solange der Mensch oberster Richter über die biblischen Irrtümer bleibt? Wie verträgt es sich, das Zeugnis der Schrift für wahrhaftig zu erklären und doch ihre Fehler anzuklagen? Man verzeihe uns, wenn wir finden, es brauche einen Kunstkniff, um dieser Frage eine überzeugende Lösung zu geben. Dennoch ist dies das Unternehmen der modernen Theologie. Sie nimmt sich vor, die Lehre von der Offenbarung in neuer Weise so zu formulieren, daß einerseits die rechtgläubige Unterwerfung des Herzens und des Geistes unter die biblische Autorität und andrerseits die Unterjochung der Bibel unter die Autorität der verstandesmäßigen Kritik nicht als gegensätzlich, sondern als sich ergänzende Grundsätze erscheinen” (Contemporary Views of Revelation, in Revelation and the Bible, S. 94).

J. I. Packer fragt sich dann, welches das Kennzeichen der Offenbarung sein kann. “Wenn es keine offenbarte Wahrheit gibt, wenn die Bibel nur ein menschliches, fehlbares Zeugnis von der Offenbarung gibt, wer verbürgt uns dann, daß unsre Auffassung von der Offenbarung der Wahrheit entspricht? Da wir Sünder sind, haben wir Anlaß anzunehmen, daß unsre eigenen Gedanken über die Offenbarung ebenso anfechtbar sind wie diejenigen der andern. Wie können wir sie prüfen und ergänzen? Die althergebrachte Meinung der Christenheit antwortet: Dieser Wertmesser besteht in der biblischen Darstellung der Wahrheit. Die moderne Theologie sagt zurückhaltend: Der einzige Prüfstein für unsre fehlbaren Urteile ist unser eignes, auch fehlbares Urteilsvermögen …

Durch die moderne Art, die Frage zu behandeln, hat man einer Sprache Vorschub geleistet, die über die Bibel in Ausdrücken mit doppeltem Sinn spricht und mit biblischen Bezeichnungen spielt. Die biblischen Begriffe sind dargestellt als beste Möglichkeit, den Christenglauben zu bezeugen, aber sie werden nachher einer rationalistischen Kritik unterworfen, die sie ganz um den biblischen Gehalt bringt. (Zum Beispiel bezeichnet man den Bericht vom Sündenfall als Mythus, als wahres und bedeutsames Sinnbild des heutigen Zustandes des Menschen, aber falsch als Erzählung eines geschichtlichen, sachlichen Ereignisses.) So ist die theologische Münze abgewertet worden, und eine Wolke der Doppelsinnigkeit verdunkelt einen großen Teil des modernen ‘Biblizismus’. Bultmann hat wenigstens das Verdienst, die Konsequenzen gezogen zu haben: Nachdem er die Erlösungslehre im Neuen Testament als Mythus erklärt hatte, sah er mit einer Klarheit, die vielen andern abgeht, daß es das Vernünftigste sei, alles Mythische fallen zu lassen und einfach eine Art Existenzialismus zu verkündigen, die für ihn die wahre Bedeutung des Neuen Testamentes ausmacht” (a.a.O., S. 97‑98).

Dieser Tage erklärte ein Professor an einer unsrer theologischen Fakultäten, im Gegensatz zu den Bestätigungen der Elia‑Geschichte durch Jesus (Luk 4,25‑26) und durch Jakobus (5,16‑18): “Es kann gesagt werden, daß dieser Bericht historisch falsch, aber geistlich wahr ist.” Was mögen die Studenten dieses Professors denken, und was wollen sie der Gemeinde predigen, die schlicht glaubt, die Bibel sage die Wahrheit?

Vl. Wie kann man der Gefahr einer allzu persönlichen Auffassung entrinnen?

Wenn die Bibel nicht die Offenbarung an sich ist, sondern anfechtbar und irrig von der Theologie, der Moral, der Geschichte wie von der Wissenschaft her, wird das “Wort Gottes”, das ich angeblich durch sie erhalte, äußerst ichbezogen, d.h. es wird von meiner Erfahrung und Würdigung abhängig sein. Wer wird bestimmen, was in dem vorliegenden Text wahr und bedeutsam ist? Wie kann ich wissen, ob die wiedergegebenen Ereignisse genau, beschönigt oder erfunden sind? Wie soll ich unterscheiden können zwischen den Tatsachen und der Lehre, zwischen der eigentlichen Botschaft und dem wenig verbürgten Hintergrund? Im Grunde wird unser Verstand darüber entscheiden, gewiß in Anlehnung an bestimmte, unserm Geist ureigene Maßstäbe. Also sind Kenntnis und Verständnis des Menschen letzten Endes die höchsten Schiedsrichter über das, was jenes Wort Gottes ist (Dr. M. Lloyd Jones, Authority, S. 34).

Wir wiederholen die Frage: Wie kann ein solches Wort Gottes unterschieden und erkannt werden? Diese brennende Frage bewegt auch E. I. Young (Thy Word is Truth, S. 241). Immer wieder bleibt es bei dem, daß der Mensch in seinem ganz persönlichen Ur­teil sich selbst zum Richter macht. Diejenigen, welche den Unterschied zwischen der Schrift und dem Wort Gottes machen, billigen praktisch alle die Bibelkritik, oft in ihrer schärfsten Form. Dann kann jedes Wort des Textes in Frage gestellt werden und wird es auch. Alles, was die modernen Theologen wissen über Gott, die Dreieinigkeit, über Jesus Christus, den Heiligen Geist, die Auferstehung, von dem, was sie “Wort Gottes” nennen, haben sie durch Worte der Bibel bekommen. Aber wenn diese Worte nicht sicher sind, müssen sie dann nicht in ihrem eignen Geist eine Sicherheit suchen? Wie kann diese unbestimmte Mitteilung genau gefaßt werden, da nicht die Verse an sich reden? Und das vernommene Wort wird recht verschieden sein, von Mensch zu Mensch, von einer theologischen Berühmtheit zur andern. Man vergegenwärtige sich die grundlegenden Unterschiede zwischen Barth, Brunner, Bultmann, Tillich und Robinson. Wo liegt da die Wahrheit?

Wenn wir bisher von Subjektivismus sprachen, so hätten wir auch von Illuminismus (Lehre von der Erleuchtung) und von Mystik reden können. Bei der besonderen Betonung der Erleuchtung behauptet der Gläubige, von Gott unmittelbar ein besondres Licht empfangen zu haben, eine Mitteilung des Geistes, die ihn von der geschriebenen Offenbarung unabhängig macht. Wir glauben ohne weiteres, daß der Herr sich an den Geist eines jeden von uns wenden kann. Aber um uns vor Abwegen zu bewahren, hat er uns den unerlässlichen Prüfstein im unfehlbaren Wort gegeben. Die modernen Theologen entbehren diese Norm, und die ganze Kirchengeschichte zeigt uns, wie gefährlich dies sein kann.

In der Mystik vereinigt sich die Seele mit Gott, dessen Wesen unfaßbar bleibt. So sieht zum Beispiel E. Brunner die persönliche Begegnung, in welcher Gott mit dem einzelnen spricht. Die übermittelte Mitteilung ist unaussprechlich und entzieht sich jedem gefaßten Ausdruck. Ohne die Beziehung zur richtunggebenden Wahrheit der Schrift scheint uns dies eine unüberprüfbare mystische Angelegenheit.

Im 18. und 19. Jahrhundert war man von der Unfehlbarkeit der menschlichen Vernunft überzeugt, denn man hielt sie von der Sünde unverdorben. Unsre Zeitgenossen haben diesen Wahn verloren. Zu viele Philosophien und Ideale sind vor ihren Augen untergegangen. Sie wissen um den Einfluß der nicht verstandesmäßigen Größen auf unser Denken. Sie sahen die Macht der Massenmedien und der Gehirnwäsche; sie erschauern vor dem, wohin der ungesteuerte Gebrauch der menschlichen Wissenschaft und Intelligenz führen kön­nen. Und sie sind nahe daran, es aufzugeben, über irgendein Ding sachlich genaue Kenntnis zu erwerben. Wo finden sie die Gewißheiten, deren sie im Leben bedürfen?

Sie werden sie nicht dort finden, wo man den Zusammenbruch des Rationalismus zugibt und gleichzeitig an der niedergeschriebenen göttlichen Wahrheit zweifelt. Sofern wir nicht den Zugang haben zu einer wegweisenden Offenbarung, welche unsre irrigen Begriffe zu erkennen und zu berichtigen erlaubt, werden wir Sünder beständig auf dem Meer der Zweifel und der Vermutungen steuerlos umhergetrieben werden. Und wenn die moderne Theologie uns sagt, daß wir uns weder auf die Bibel noch auf uns selber verlassen dürfen, so gibt sie uns einem hoffnungslosen Schicksal preis.

VII. Die Jagd nach Mythen

Es gehört heute zur Mode, von Mythen zu reden. Ein Mythus ist nicht eine Legende oder eine Fabel, sondern “eine Geschichte, welche Erscheinungen, Ereignisse der geistigen Welt darstellt, als gehörten sie dem irdischen Leben an, oder die irdischen Ereignisse so darstellt, daß ihre geistlichen Wurzeln besonders hervortreten” (Otto A. Piper, God in History, Macmillan, New York 1939, S. 61).

Prof. Rudolf Bultmann in Marburg hat sich eine große Berühmtheit erworben durch sein Unternehmen, die Bibel, vor allem das Neue Testament, der Mythen zu entkleiden. Sein bekanntestes Buch heißt “Kerygma und Mythus”. Fassen wir die Wür­digung, die P. E. Hughes in Scripture and Myth (Tyndale Press, London 1956) davon gibt, zusammen. Der Leitgedanke Bultmanns geht dahin, daß, wenn man jeden mythischen Bestandteil des biblischen Textes wegnimmt, das Wesentliche des Evangeliums, das Kerygma (die Verkündigung, die zu predigende Wahrheit) bleiben wird. Was mit einem Wunder zusammenhängt, ist gleichbedeutend mit mythisch und daher dem modernen Menschen unzugänglich.

Jesus von Nazareth ist ein gewöhnlicher Mann, dessen Person und Werk nichts Übernatürliches an sich haben. Er ist eine historisch faßbare Gestalt, deren Kreuzigung wirklich stattgefunden hat. Alles andere, Jungfrauengeburt, leeres Grab und Himmelfahrt, sind Legenden, die Auferstehung als nicht geschichtlich abzulehnen. Die Lehre, Jesus Christus, der Sohn Gottes, habe schon vorher gelebt, ist nur mythisch. Diese Dinge werden rasch weggetan, da sie “sehr sicher spätere Ausschmückungen der ersten Überlieferung” darstellen (Kerygma und Mythus, S. 34‑39). Was den Sühnetod Christi betrifft, so ist “diese mythische Auslegung eine kurze Zusammenfassung von Analogien aus dem Opfer‑ und Gerichtsdienst, die heute nicht mehr haltbar sind” (S. 35). Daß der Tod die Strafe für die Sünde bedeute, widerspricht (immer nach Bultmann) dem Naturalismus sowohl wie dem Idealismus, weil beide den Tod als einen natürlichen Ablauf betrachten” (S. 7), dem nichts mehr folgt. Die christliche Jenseitshoffnung ist gegenstandslos. “Unser ganzes heutiges Denken geht von der modernen Wissenschaft aus. Nachdem die Kräfte und Gesetze der Natur entdeckt worden sind, bedeuten die Wunder des Neuen Testamentes nichts Wunderbares mehr … Es ist unmöglich, an die neutestamentliche Welt mit Dämonen und Geistern zu glauben … Die mythische Eschatologie ist unhaltbar; wir haben keine Wiederkunft des Menschensohnes in den Wolken des Himmels zu erwarten. Dank dem Wissen, das der moderne Mensch über sich selber hat, kann man heute sagen, die menschliche Natur sei eine Einheit, die sich selbst genügt und die bewahrt ist vor dem Eingriff übernatürlicher Mächte”‘ (a.a.O., S. 3).

J. E. Hughes schließt mit folgenden Worten: “Bultmann stellt den Grundsatz auf, daß die Kenntnis des ‘modernen Menschen’ und der ‘modernen Wissenschaft’ darüber entscheidet, was in unserer Welt möglich ist und was nicht. Er verleiht also dieser Erkenntnis des Menschen die Autorität und spricht sich gegen die Kenntnis und Autorität Gottes aus. Sieht er denn nicht, daß nach der Logik seines Systems er noch den letzten Schritt zu tun und zu erklären hat, Gott sei der letzte abzulegende Mythus?” (S. 27)

VIII. Gott ist anders ‑ Gott ist tot ‑ der Mensch ist Gott

Dieser Schritt ist tatsächlich gemacht worden. Das Buch “Honest to God”, das der anglikanische Bischof John A. T. Robinson veröffentlichte, wurde sofort ein Welterfolg; es wurde in 9 Sprachen übersetzt und zu Anfang des Jahres 1966 in über 1 Million Exemplaren verkauft. Der Verfasser hält den Mann des 20. Jahrhunderts für erwachsen. Man kann nicht mehr an einen Gott glauben, der “über, unter oder außer” einem wäre, an den man sich als an den himmlischen Großpapa wendet und der die Welt als himmlischer Diktator beherrscht. Robinson beruft sich dabei auf Dietrich Bonhoeffer und noch mehr auf Paul Tillich, den berühmten Professor, damals am Union Theological Seminary in New York. Nach ihm ist Gott nicht eine Projektion nach außen von uns und unserer geschaffenen Welt, ein Anderer, im Jenseits, von dessen Leben wir uns überzeugen müssen, sondern er ist “der Grund unsres Wesens selbst” (Gott ist anders, S. 31). Tillich spricht hier “von der Tiefe und dem unbegrenzten, unerschöpflichen Urgrund jedes Daseins”, denn, fügt Robinson hinzu, “das Wort Gott bedeutet die letzte Tiefe unsres Wesens, Grundlage und Sinn unsres Daseins”. Martin Buber, der vielgenannte jüdische Philosoph, sagte: “Wenn ein Mensch, der den Namen Gottes verabscheut und glaubt, Atheist zu sein, sich ganz dem Gespräch mit dem ‘Du’ seines Wesens hingibt wie mit einem ‘Du’, das durch niemand eingeschränkt werden kann, dann wendet er sich an Gott” (S. 62).

Bedeutet ein solches Denken nicht das Ende des Theismus (d. h. Glaube an die persönliche Existenz Gottes und an sein vorsehendes Handeln in der Welt) ? Robinson antwortet darauf: “Tatsächlich ist der Ausdruck ‘ein persönlicher Gott’ unzutreffend. Ein solcher Ausdruck ist dieser Auffassung fremd. Die Aussage ‘persönlicher Gott’ bedeutet, daß ‘die Wirklichkeit auf der tiefsten Ebene persönlich ist’.

Wenn das so ist, wären die theologischen Aussagen nicht die Beschreibung eines höheren Wesens, sondern die Zerlegung der Tiefen der persönlichen Beziehungen … oder eher die Untersuchung der Tiefen jeder Erfahrung, durch die Liebe ausgelegt’. Folglich hatte der deutsche Philosoph Feuerbach nicht unrecht, als er die Theologie in Anthropologie umwandeln wollte” (was Bultmann ebenfalls zu unternehmen erklärte, in seiner Antwort an K. Barth, S. 65‑67).

Nach Robinson ist auch die althergebrachte Art, Jesus Christus darzustellen, mythisch. “Ein Gott in menschlicher Gestalt … er galt als Mensch, war aber Gott, in Menschenkleid gehüllt wie St. Niklaus. Ich bin mir bewußt, daß das eine wahrscheinlich sehr beleidigende Verballhornung ist, aber ich glaube, sie ist gefährlich nahe der Wahrheit. Der Glaube, daß wir durch diese Person (Christus, vom Himmel gefallen als Besucher, gleich einem Märchenprinz) mit Gott in Verbindung treten, wird mehr und mehr die Überzeugung einer religiösen Minderheit sein, welche bereit ist, die alten Mythen als wahr anzunehmen” (S. 88‑93). Nach dieser Auslegungsart hat das Neue Testament nie gesagt: Jesus Christus sei Gott, und es ist nicht erwiesen, daß er sich Gottes Sohn nannte. Die Lehre von der Erlösung ist nicht eine rein mythische Verhandlung zwischen “Gott” einerseits und “dem Menschen” andererseits, wie diejenigen meinen, die an Übernatürliches glauben. Vor allem der Begriff, daß der Vater für uns den Sohn strafe, ist eine Abirrung vom Inhalt des Neuen Testamentes. Ebenso verhält es sich mit dem Weihnachts- ­und Auferstehungsmythus (S. 94‑105).

Gott ist tot. Nachdem Gott im Himmel zum Mythus erklärt wurde, haben einige amerikanische Theologieprofessoren und Laien sich damit bekannt gemacht, daß sie den Gott der Bibel, der Schöpfung und der Geschichte für tot erklärten.

Im letzten Jahrhundert hat F. Nietzsche, bevor er im Wahnsinn versank, den Schrei der Verzweiflung gerufen: Gott ist tot! Heute gibt es Baptisten, Anglikaner und Methodisten, die sich als “christliche Atheisten” vorstellen. Sie sagen: “Wir müssen den Tod Gottes als geschichtliche Tatsache erkennen: Gott ist in unsrer Zeit, in unsrer Geschichte, in unserem Dasein tot.” In Look Magazine vom 22. Februar 1966 erklärte ein Bischof der Episkopalkirche ebenfalls, er habe die Trinität, die Jungfrauengeburt und die Fleischwerdung verworfen, wie auch den Gedanken an Gott als ein höheres Wesen, das Gebet, die Wunder, die Gottheit Christi. Aber er ist dennoch Bischof. Billy Graham gibt dazu folgenden Kommentar: “Die Menschen sagen nicht, daß wir vor Gott tot sind, sondern Gott selbst sei tot. Solche maßlosen und lächerlichen Äußerungen sind heutzutage kennzeichnend für die Haltung an vielen christlichen Hochschulen… Ich möchte Sie versichern, daß solche Heißsporne nicht die Überzeugung der Mehrheit unsrer Gemeinden vertreten. Es ist eine kleine Gruppe, die viel Lärm macht und von der man wegen ihrer Einseitigkeit viel hört.”

Der Mensch ist Gott. Die oben gezeichnete Richtung soll weder geleugnet noch lächerlich gemacht werden. Sie ist unterirdisch verbunden mit der weiten Bewegung, die seit dem Sündenfall den Menschen von der Erkenntnis und Anbetung Gottes weg zur Verherrlichung und Verehrung des Geschöpfes führt (Röm 1,18‑25). Das verführerische Versprechen lautet immer gleich: “Ihr werdet Gott gleich sein” (l. Mose 3,1.5). Nach Buffon ist der Mensch ein religiöses Tier. Er unterscheidet sich vom Tier durch seine Fähigkeit, zu glauben und anzubeten. Wenn er den Schöpfer und sein Wort aufgibt, wird er sich Götzen machen und schließlich sich selber anbeten in der Person des Widerchristen. Der Übermensch Nietzsches und der Mensch, “der im Grund seines Wesens göttlich ist”, sind Vorläufer des höchsten Diktators, der über kurz oder lang sich von der ganzen Welt anbeten lassen wird (2. Thess 2,3‑12; Offb 13,8). Auf politischem Gebiet sind durch die “Vergötterung der Persönlichkeit” Männern wie Hitler, Stalin, Mao Tse‑tung Verehrung zuteil geworden, die der Anbetung nahezu oder ganz gleichkommt. Auf religiösem Boden herrscht außerhalb des unerschütterlichen Felsens vom Glauben an die eingegebene Schrift eine unheimliche Verwirrung. Es würde nicht wundernehmen, wenn durch eine ungeheure Zusammenballung (Synkretismus) auf der ganzen Erde die Religion des Menschen aufgerichtet wird als das große Babylon, daß die Propheten so klar vorausgesagt haben.

IX. Was bleibt letzten Endes?

Wollte man der Reihe nach alle Kritiken der Kritiker zusammennehmen, blieben von der Schrift nur wenige “echte” Verse und wenige annehmbare Lehren übrig.

Es gibt ja nichts Neues unter der Sonne. Schon vor hundert Jahren faßte Gaussen die Haltung der Rationalisten in folgende Worte: “Sie sagen, es gebe im Wort Gottes ein Gemisch. Sie scheiden aus; sie verbessern. Und mit der Bibel in der Hand kommen sie daher und verkünden: Es gibt keine Gottheit Christi, keine Auferstehung des Leibes, keinen Heiligen Geist, weder den Teufel noch Dämonen, keine Hölle, keinen Sühnetod Jesu Christi, keine angeborene Verderbtheit des Menschen, keine ewig dauernde Qual, keine Wunder in der Tat, keine Wirklichkeit in Jesus Christus” (Theopneustie, S. 448).

Sind hier nicht alle heute geäußerten Zweifel enthalten, gleichsam ein gesteigertes Echo der alten Frage des Versuchers in Eden: “Sollte Gott gesagt haben … ?” (l. Mose 3,1).

X. Folgewidrigkeit

Zum Glück sind viele der kritischen Theologen in ihrer praktischen Haltung nicht logisch. Obwohl sie so manche Seiten der Schrift als mythisch und irrig erklären, hindert sie das nicht, ihr eifrige und tiefe Studien zu widmen. Es scheint in ihrem Geist eine Scheidewand zu bestehen, die neben der Verneinung recht schöne positive Äußerungen nicht ausschließt. Das gehört zur Dialektik und zur existenziellen Spannung unsrer Tage.

Emil Brunner schreibt: “Es wird allgemein angenommen, daß die Berichte 1. Mose 1‑12 mythischen, nicht geschichtlichen Charakters sind; das hindert uns keineswegs, darin das Wort und die Offenbarung Gottes zu vernehmen.”

Dieses Nebeneinander macht den modernen Theologen gar keine Mühe, am wenigsten Karl Barth. Sie berufen sich ständig auf Stellen der Bibel, die nicht “Gottes Worte” sind und auf die man sich nicht stützen sollte, die K. Barth aber auslegt, wie es ein Anhänger der Verbalinspiration tun würde.

Merkwürdigerweise, durch eine seltsame Umkehrung, machen jene uns den Vorwurf, Rationalisten zu sein. Im letzten Jahrhundert war es gerade umgekehrt. Der Freisinn pries die unfehlbare menschliche Vernunft und spottete über die Glaubenden, die Angst hätten vor dem Denken und der Wissenschaft. Heute gilt die Dialektik und das Irrationale. Wer in seinem Glauben eine richtige Logik und eine ausgeglichene Überlegung nicht preisgeben will, wird des Rationalismus bezichtigt. Liegt da nicht eine Verwechslung vor? Gott hat nie den Verstand, den er uns gegegen hat, ausschalten wollen. Aber dieser Verstand bedarf der Erneuerung und der Unterwerfung unter seinen Geist und unter sein Wort: “Nachdem ihr Sklaven der Sünde gewesen seid, seid ihr nun von Herzen gehorsam geworden dem Bild der Lehre, welchem ihr ergeben seid” (Röm 6,17). Gott will, daß wir ihn “mit unserm ganzen Denken” lieben (Mt 22,37).

Wir sollen ihm einen vernünftigen Gottesdienst tun (Röm 12,1). Wir dürfen erfüllt werden mit Weisheit, geistlichem Verständnis (Kol 1,9; 2. Tim 2,7) und gesundem Menschenverstand (2. Thess 2,2; Apg 26,25). So werden wir eine gesunde Vernunft erwerben (Spr 3,4). Wir kennen wohl die Grenzen dieser Vernunft und unterwerfen sie daher der Offenbarung. Die göttliche Weisheit ist vollkommen, sie klärt auf, sie macht verständig, sie führt in alle Wahrheit.

XI. Gehen die bibelgläubigen Christen von unwissenschaftlichen Voraussetzungen aus in ihrer Einstellung zur Bibel?

So lautet ein moderner Einwand gegen uns, indem man uns erklärt: “Ihr dreht euch im Kreis. Zuerst stellt ihr das Dogma der Inspiration und der Unfehlbarkeit der Schrift auf; dann nehmt ihr in der Bibel die Texte vor, welche die Inspiration beweisen. Die Wissenschaft geht ohne vorgefaßte Meinung an die Tatsache heran und leitet daraus ein Gesetz ab, wenn es geht. Auch die Bibel muß man der wissenschaftlichen Prüfung unterziehen und dann die Ergebnisse ehrlich annehmen.”

Dieses Kompliment wäre leicht zurückzugeben. S. van Mierlo tut dies auf eine gute Art, wo er zur Hauptsache ausführt: Tatsächlich nimmt der Wissenschaftler eine kritische Haltung ein, wenn er die Wahrheit über Naturerscheinungen untersucht. Aber der Natur als Ganzes gegenüber befolgt er diese Methode nicht. Da nimmt er a priori an, die Natur sei wahr und eine erfaßbare Einheit. Man kann sogar vom tiefen Glauben der Gelehrten an die Einheit der Schöpfung reden. Wenn der Physiker auf einen scheinbaren Irrtum oder Widerspruch in der Natur stößt, kritisiert er sie nicht. Er forscht, vergleicht, versucht zu begreifen und zur Wahrheit zu gelangen, von der er annimmt, sie existiere. Gegenüber den Erscheinungen, die er nicht glauben oder mit andern zusammenreimen kann, sucht er den Fehler bei sich. Er berichtigt seine (erste) Bewertung, verändert seine Theorie und gibt, wenn es sein muß, sein bisheriges Denken auf. Er ist bescheiden gegenüber der Wahrheit. Die Wahrhaftigkeit und Einheit der Natur bezweifelt er nicht, sondern setzt mit der Kritik an der menschlichen Meinung über sie an.

Ganz gleich verhält es sich mit dem Glaubenden, der sich vor der Autorität, der Einheit und Wahrhaftigkeit der Schrift verneigt. Diese sind ihm nicht durch ein Gebot auferlegt worden. Wenn er sich ihr mit offenem, demütigem Herzen genähert hat, kam es zur großen Erschütterung seines Daseins: Er ist Gott begegnet; seine Augen wurden geöffnet; er empfing das neue Leben. Künftig überzeugt davon, daß er es mit Gottes Buch zu tun hat, wird er seinen Inhalt ernst nehmen und wird seinen kritischen Verstand anwenden auf die Auslegungen, welche die Menschen und er selber ihm geben.

Was das Wort “Wissenschaft” betrifft, scheint es für die Theologen gewagt, sich in sein Schlepptau zu begeben, wie es beispielsweise Brunner und Bultmann tun. Für den ersten ist es wissenschaftlich unmöglich, den Berichten vom 1. Buch Mose zu glauben, der zweite erklärt, die Technik des 20. Jahrhunderts habe den Glauben an das Übernatürliche endgültig erledigt. Auffällig ist nur, daß die “moderne Wissenschaft” so schnell immer wieder überholt wird. Die wissenschaftlichen Handbücher sind für die nächste Generation veraltet. Noch vor kurzem versicherte man uns in feierlichstem Ton daß die moderne Wissenschaft den Glauben an eine Endkatastrophe, wie die Bibel sie voraussagt, unmöglich mache. Heute erklärt man ohne weiteres, daß die Atomwissenschaft einen solchen Glauben, der gestern noch als absurd verschrien war, annehmen kann. Darum mußten die Theologen, die sich der Wissenschaft des Tages fest verschrieben, rechtsum kehrtmachen.

Die Suche nach der “wissenschaftlichen Achtbarkeit”. Der theologische Freisinn ist stark oder sogar entscheidend beeinflußt gewesen von der Welle des wissenschaftlichen Rationalismus, die das 19. Jahrhundert erfüllte. Die neueren Theologen, die eine neue Lehre der Offenbarung aufstellten, wollten sich auf der Höhe zeigen und ihre wissenschaftliche Würde dartun, die ihnen die Fühlung mit den gebildeten Kreisen sichert. Aber sie waren wenig auf dem laufenden über die positiven biblischen Forschungen, Andrerseits mußten sie Abstand wahren gegenüber dem biblischen Text und Zuflucht nehmen zu einer Lehre der unmittelbaren Begegnung mit Gott, die erst recht außerhalb des Bereiches und des Interesses der modernen Wissenschaft ist.

XII. Worauf soll die Predigt beruhen?

Wenn die Bibel nicht Gottes Wort ist, begreift man schwerlich, worüber der Verkündiger mit Gewißheit predigen kann. Wir haben gesehen, daß die Apostel bei ihrer Verkündigung des Wortes Gottes den ausgiebigsten Gebrauch von Bibelstellen machten (z. B. Apg 13, 16‑41). Aber was soll der Mann sagen, für den ganze biblische Bücher frommer Betrug und für den die zentralsten geschichtlichen Ereignisse nur Legenden und Ausschmückungen sind? Es wird schwierig sein, den Sinn der Mythen der Gemeinde zu erklären. Und was wird der Pfarrer an jenem Tag sagen, an welchem seine christliche Gemeinde eine Predigt von ihm erwartet über das, woran er nicht mehr glaubt?

Entweder wird er “tun als ob”, um die einfachen Seelen zu schonen, oder er wird in verwickelten Sätzen die religiöse Philosophie entfalten, die in seinem Geist den Platz der biblischen Theologie eingenommen hat. Daß diese Philosophie nicht mehr dem Evangelium entspricht, geht aus der Tatsache hervor, daß dieses den Weisen und Klugen verborgen, den Kindern aber zugänglich ist (Luk 10,21). Darum sind so viele moderne Predigten langweilig und gehen über die Köpfe hinweg. Spurgeon bemerkt, daß Jesus zu Petrus gesagt habe: Weide meine Lämmer!, nicht: Weide meine Giraffen!

Oder der Redner hält den Augenblick für gekommen, um in aller Freiheit seine Hörer “zu befreien” von dem veralteten, überholten Glauben. Der Erfolg wird sein, daß er einige fromme Seelen vor den Kopf stößt und vielen andern ihren naiven Glauben zerstört. Das schließt nicht aus, daß diese letzteren ihm Dank dafür wissen, wenn man an den unglaublichen Erfolg des Buches “Gott ist anders” von Bischof Robinson denkt.

XIII. Wie soll man sich die theologischen Strömungen erklären, die einander folgen?

Wir sahen die Schwierigkeiten für einen Prediger, welcher von den Gedanken der Kritik erfüllt ist. Wenn die moderne Belehrung nur wenigstens klar und vor allem beständig wäre. Schlimmer ist es, daß die Kritik immer wieder wechselt und ebensogut das heute verehren kann, was sie gestern verbrannt hat.

Sie hängt, wie wir sahen, vom persönlichen Urteil des einzelnen ab. Da die Bibel nicht mehr oberste Richtschnur ist, muß sie die Autorität des Menschen anerkennen, der durch seine Erfahrung und Erleuchtung dem Wort Gottes begegnet. Selbstverständlich werden die großen Persönlichkeiten als besonders erleuchtet angesehen werden, und ihre Erfahrung und Belehrung wird großes Ansehen erlangen. Aber ihr Unterricht ist fehlbar und unvollkommen, und ihr Lehrgebäude überdauert selten seinen Urheber. Unerquicklich ist es überdies zu sehen, wie sehr die Kritiker einander widersprechen und wie die maßgebenden Führer weit auseinandergehen. Jedes Geschlecht erlebt also eine neue theologische Schule und wird für einen neuen Meister schwärmen. So sind einander gefolgt:

Der Freisinn des letzten Jahrhunderts unter Schleiermacher und Wellhausen (letzterer so veraltet, daß 1948 ein Theologe seinem Zitat hinzufügte: Verzeihen Sie, daß ich diesen alten, verurteilten Drachen anführe!”) A. Bentzen, angeführt in Revelation and the Bible, S. 342.

Die dialektische Theologie, vor allem von K. Barth, E. Brunner und R. Niebuhr. Schien es zuerst, daß diese Bewegung von Dauer sein würde, so weiß heute jedermann, daß sie abgelöst wurde von der

Theologie R. Bultmanns, zusammen mit E. Käsemann, P. Tillich in Deutschland und Amerika, Robinson in England usw.

Da diese letzte Richtung reichlich verneinend ist, fragt man sich beunruhigt, was die nächste Welle bringen wird. Die amerikanische Bewegung, die Gott für tot erklärt, zeigt, daß man sich auf alles gefaßt zu machen hat. Der Titel, den Paul Tillich einem seiner Bücher gab, ist aufschlußreich: “Die Erschütterung der Grundlagen” (The Shaking of the Foundations).

 

Fünfter Teil: DIE AUTORITÄT DER SCHRIFT

 

Erstes Kapitel
Die übernatürlichen Wesenszüge der Schrift

I. Erhabene Offenbarung Gottes und Jesu Christi

Die Schrift, die sich als das Wort von Gott erklärt, gibt von ihm ein einzigartiges Bild, das jede menschliche Vorstellung von der Gottheit übersteigt. “Der Herr ist groß und hoch zu loben … denn alle Götter der Völker sind Götzen” (Ps 96,4). Einige wenige Reste einer ursprünglichen Offenbarung ausgenommen, bezeugen die babylonische, ägyptische, griechische, römische, germanische, keltische, hinduistische und chinesische Kultur einen weitreichenden Untergang aller Begriffe von Wahrheit, Heiligkeit und Gewißheit.

Der Gott der Bibel ist allein der wahre Gott, Geist, Schöpfer, höchster Herrscher des Weltalls, herrlich, ewig, heilig, allweise, in seinem tiefsten Wesen unfaßbar, vollkommen gerecht, voller unerschöpflicher Vaterliebe.

Er ist auch der Erlöser, der mit dem gefallenen Geschöpf mit‑leidet, sich in der Offenbarung und Fleischwerdung zu ihm neigt und den großartigen Plan für das Heil der Menschheit ‑ und zu welchem Preis! ‑ verwirklicht.

Die Person Jesu Christi ihrerseits geht über jedes irdische Maß hinaus. “Auf diese Weise wird nicht erfunden.” Kein menschlicher Geist unter den Gliedern unsres Menschengeschlechtes hätte je eine so reine und strahlende Gestalt ausdenken können. “Nie hat ein Mensch geredet wie dieser” (Joh 7,46). Niemand hat je so wie er gelebt, gelitten, geliebt. Er, der Auferstandene, kann allein uns mit ihm neues Leben geben.

Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort, ist der allergültigste Beweis für die göttliche Eingebung des Wortes, das zum Buch geworden ist. Er ist auch der einzig wirklich notwendige Beweis. Der Leser, welcher durch den Glauben und die Erleuchtung des Heiligen Geistes auf den Seiten des biblischen Buches in Christus dem lebendigen Gott begegnet, bedarf gar nicht mehr weiterer Beweise. Er bekennt: “Eines weiß ich gewiß. Ich war blind und bin nun sehend geworden” (Joh 9,25). “Ich hatte dich vom Hörensagen gekannt; aber nun, (da ich dich gelesen habe), haben dich meine Augen gesehen” (Hiob 42,5). 

II. Einzigartige Offenbarung des Menschen

Der Mensch, der seit dem Sündenfall, im jetzigen Zustand, sich selber überlassen ist, weiß nichts über das Wesen seiner Natur und seines Geschickes. Woher kommt er, welches Ziel hat sein Dasein, hat sein Leiden, sein Tod, und wohin geht er nachher? Er vermag es nicht zu sagen. Alle Religionen und Philosophien, die sich durch ihre Gegensätze gegenseitig aufheben, lassen ihn auf der ganzen Linie in der Unsicherheit und im Dunkeln.

Einzig das Wort des Schöpfers, die Bibel, gibt ihm Antwort auf alle diese Fragen. Sie zeigt ihm seinen Ursprung, den denkbar höchsten, da er nach Gottes Bild geschaffen wurde. Sie erklärt ihm durch den Sündenfall den zwiespältigen Stand, in welchem er sich befindet, hin und her gerissen zwischen dem Guten und dem Bösen, dem Glück und dem Leiden, dem Leben und dem Tod. Vor diesem Spiegel sieht der Mensch zu seinem Erstaunen sein entlarvtes Herz. Er fühlt, daß er erkannt ist, zurechtgewiesen, verurteilt, aber auch gerufen, geliebt, geschätzt, wiederangenommen. Der allwissende Urheber der Bibel hat den Menschen geschaffen und weiß, wie es um sein Geschöpf steht. Die Bibel gibt einen kurzen Abriß des menschlichen Wesens, indem sie dessen tiefe Triebe, seine verborgenen Leidenschaften und seine ungeahnten Möglichkeiten enthüllt (Vgl. 1. Kor. 14,25). Nun weiß er, wohin er geht. Er erfaßt den Sinn der Geschichte wie denjenigen seines eignen Geschickes. Er rüstet sich im Blick auf das kommende Reich und lebt schon jetzt in lebendiger Beziehung zur Ewigkeit.

Wir erkennen mit Paulus, daß dergleichen nie in die Herzen der Menschen gekommen ist: sie bergen den Beweis ihres übernatürlichen Ursprungs in sich selber (l. Kor 2,9‑10).

III. Der für den menschlichen Verstand unfaßbare Heilsplan

Vergleichen wir die verschiedenen Religionen mit der Schrift. Dann stellen wir fest, daß die menschlichen Systeme kein wahres Heil bieten können, denn sie kennen den dreimal heiligen Gott nicht, noch seine unbedingten Forderungen und die Verurteilung jeden Ungehorsams gegenüber seinem Gesetz. Da sie keinen wirklichen Begriff von der Sünde haben, wissen sie auch keine Lösung dafür. Für sie ist der Mensch nicht unrettbar verloren; er kann durch immerwährendes Bemühen sich loskaufen.

Die Bibel hingegen spricht von der Schuld, der Unzulänglichkeit und dem ewigen Verderben des Menschen. Dann zeigt sie, wie der Herr selber aus Liebe unsre ganze Schuld am Kreuz bezahlt hat und uns seine unfaßbare Gnade mit der Gewißheit des ewigen Heils frei anbietet. Welcher menschliche Geist hätte je eine Botschaft erfinden können, die so demütigend ist für den stolzen Sünder und so wunderbar für den bußfertig Glaubenden?

IV. Die Weissagungen als Beweis für die göttliche Inspiration

1. Gott allein ist allwissend und deshalb fähig, die Zukunft vorauszusagen.
Gott ist ewig, für ihn spielt die Zeit keine Rolle; der morgige Tag, ja alle Ewigkeit sind für seine Augen ebenso gegenwärtig wie das Heute. Keine andre Religion auf Erden hat je Weissagungen gebracht, die denjenigen der Bibel vergleichbar wären.

Die Wahrsagekunst und die Magie waren immerhin ganz weit verbreitet in der Antike (gerade wie in der Gegenwart). Überall wimmelte es von Orakeln, Wahrsagerinnen neben den Pythinnen von Delphi und anderswo, von Astrologen, Auguren und Sehern. Die falschen Propheten sind erkennbar daran, daß ihre Weissagungen nicht in Erfüllung gehen (5. Mose 18,20‑22) oder daß ihre doppelzüngigen Aussprüche nach Belieben ausgelegt werden können (Del­phi, Nostradamus usw.) . . .

2. Die Weissagung nimmt in der Schrift einen beträchtlichen Raum ein.

Im Alten Testament sind von 39 Büchern 17 prophetischen Gehalts, ganz abgesehen von vielen Voraussagen, zum Beispiel in den Schriften von Mose oder in den Psalmen. Im Neuen Testament sind ganze Kapitel der Evangelien, viele Stellen aus den Briefen und die ganze Offenbarung des Johannes der Weissagung gewidmet. . . .

3. Die großen Linien der Weissagungen

Untersuchen wir der Reihe nach einige Gebiete, in welchen die angekündigte Erfüllung genau nachgeprüft werden kann.
a) Israel

– Aufenthalt der Nachkommen Abrahams in Ägypten während 400 Jahren (l. Mose 15,13‑16).
– Aus dem Stamme Juda sind die königliche Familie und der König der Könige hervorgegangen (49,10).
– Israel wird stets ein besonderes Volk sein (4. Mose 23,9).
– Untreue, Gefangenschaft, Zerstreuung des Volkes (5. Mose 28, 20‑66; 3. Mose 26,14‑39).
– Die 10 Stämme werden 65 Jahre zum voraus über ihre Verban­nung durch den assyrischen König unterrichtet (Jes 7,8‑20).
– Juda für 70 Jahre nach Babylon entführt (Jer 25,11; 29,10).
– Nach der Verwerfung des Messias werden Jerusalem und der Tempel zerstört werden (Dan 9,25‑26; Mt 24,1‑2.34).
– Zerstreuung Israels in der ganzen Welt und Leidenszeit (Luk 21, 21‑24; 5. Mose 28,64‑67).
– Das jüdische Volk wird dennoch bestehen bleiben bis ans Ende der Tage, während alle großen Völker der Antike
   untergegangen sind (Jer 31,35‑36).
– Israel wird zurückkehren in das öde Land seiner Väter, dem wieder eine neue Blüte beschert ist (Hes 36 und 37).
– Zuletzt wird Israel sich zum verheißenen Messias bekehren (Sach 12,10; Röm 11,25‑29). Dies ist noch nicht in Erfüllung gegangen, wird es aber tun, so gut wie alles andre Vorausgegangene Wirklichkeit wurde.

b) Der Messias

Wir haben die Erfüllung der messianischen Weissagungen allein im Matthäus‑Evangelium erwähnt. Man zählt 333 auf Christus bezogene Weissagungen, die verwirklicht wurden!

Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung gäbe es nur eine Möglichkeit auf 83 Milliarden Fälle, daß so viele Voraussagen sich in einer Person erfüllen würden. Es ist überflüssig, zu sagen, daß ein solcher “Zufall” nicht vorkommt und daß allein der allwissende Gott in dieser Weise voraussagen und handeln konnte.

c) Die Völker

Es sind außer Israel noch viele andre geschichtliche Ereignisse in den Bereich der Weissagungen getreten:
– die vollständige Zerstörung von Ninive, der stolzen assyrischen Hauptstadt (Zeph 2,13‑15; Nahum);
– der dramatische Untergang von Babylon (les 13; 21,1‑10);
– das Urteil über Ägypten und der Verlust seiner Vormachtstellung (Hes 29, besonders V. 15‑16);
– der Aufstieg und der Niedergang der sich folgenden Kaiserreiche der Babylonier, der Meder und Perser, der Griechen
   (mit Alexander und seinen Nachfolgern) und Rom (ungenannt Dan 2,7‑8 usw.);
– die berühmte Weissagung der 70 Wochen bei Daniel 9, die Zeit bestimmend, in welcher der Messias erscheinen werde,
   und die Rolle der Völker dabei;
– die Einnahme von Tyrus durch Nebukadnezar nach einer 13jäh­rigen Belagerung und das Schicksal, das Alexander der
   Stadt zuletzt bereitete (Hes 26; Jer 27,1‑11).

d) Die Endzeiten

Christus und die Propheten des Alten wie des Neuen Testaments entwerfen bis in Einzelheiten ein Gemälde der Auflösung der Geschichte, das um so erregender ist, als es in den großen Linien dem entspricht, was vor unsern Augen sich zu erfüllen anschickt.

Das Evangelium wird allen Völkern gepredigt werden, und dann wird das Ende kommen (Mt 24,14). Welch kühne Erklärung des einfachen Zimmermannes von Nazareth. Aber die Bibel ist tatsächlich in Tausenden von Sprachen übersetzt und gepredigt und durch gedruckte Schriften, durch Radio, Schallplatten verbreitet, so daß immer mehr Menschen in raschem Zuwachs von der Botschaft erreicht werden.

Umgekehrt wird die Menschheit sich in ihrem Unglauben und in der Ablehnung der sittlichen und geistlichen Werte verhärten. Eine Erklärung hierzu erübrigt sich.

Der Krieg wird immer mörderischer und umfassender werden (Mt 24,6‑7; Offb 6,4.8). “Der Friede wird von der Erde genommen sein” und ein erschreckend großer Anteil der Menschheit vernichtet.

Die religiösen Verfolgungen werden zunehmen (Mt 24,8‑10). Nach der Vernichtung von Millionen Juden mitten im 20. Jahrhundert, ‑ wer wagte noch, eine solche Weissagung als unerfüllbar hinzustellen? (Vgl. Dan 12,7; Sach 13,8‑9).

Die Menschheit geht einer einheitlichen Weltregierung, der Diktatur des Widerchristen entgegen, welche von den Propheten angekündigt wurde (Dan 7,24; 2. Thess 2,3‑12; Offb 13,1‑8).

Dies wird zusammenfallen mit außerordentlichen Ereignissen in Palästina, wohin die noch ungläubigen Juden zurückgekehrt sein werden (Hes 37; Mt 24,15).

Jesus Christus selber ermahnt uns ernstlich: “Wenn diese Dinge beginnen werden, sehet auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht” (Luk 21,28).

Noch einmal: Bilden diese Voraussagen nicht eine Garbe zusammenlaufender, unwiderlegbarer Beweise der göttlichen Inspiration der Schrift?

(Wer dem großen Gedanken der biblischen Weissagung nachgehen will, findet ihn genauer entwickelt in unserem Buch Die Wiederkunft Jesu Christi,  R. Brockhaus, Wuppertal 1967).

 

V. Die Lebenskraft, die von der Bibel ausgeht

1. Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam

Das Wort des Herrn hat in einem einzigen Akt die Welt geschaffen (Hebr 11,3). Das schriftliche Wort strömt eine übernatürliche Kraft aus. “Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt? … Ich will meine Worte in deinem Munde zu Feuer machen und dieses Volk zu Brennholz, daß es verzehrt werde” (Jer 23,39; 5,14).

Der Verfasser des Hebräerbriefes, nachdem er von der Botschaft an das Volk in der Wüste, welche vom Heiligen Geist in den Psalmen bestätigt war, gesprochen hat, folgert daraus: “Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als ein zweischneidiges Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, Mark und Bein, und richtet Gedanken und Sinne des Herzens. Es ist alles bloß und aufgedeckt vor Gottes Angesicht, dem wir Rechenschaft geben müssen (3,7; 4,12‑13).

2. Die Schrift überzeugt von der Sünde und weckt das Gewissen

Indem sie das Gesetz und den Willen Gottes verkündet, straft sie unsern Ungehorsam und spricht das verdiente Urteil aus. Sie zeigt uns wie in einem Spiegel unser natürliches Gesicht, das zwar wohl die andern sehen, nicht aber wir selber (Jak 1,23). Sind wir aufrichtig, so sind wir ob solcher Entdeckung tief bestürzt. Der Heilige Geist unterstreicht den Ernst der biblischen Gerichtsurteile. Das Wort des Herrn wird uns am Jüngsten Tag richten (Joh 12,48).

Es ist ein leichtes, darzulegen, daß jede Erweckung in Israel durch die Wiederentdeckung der Schrift hervorgerufen wurde, welche unmittelbar in den Herzen die Überzeugung der Sünde schuf.

Man brachte eines Tages Josia das Gesetzbuch, das im Tempel vergessen worden war. “Als der König die Worte des Gesetzes hörte, zerriß er seine Kleider. Und der König gebot: . . . Gehet hin, befragt den Herrn über die Worte des Buches, das gefunden ist; denn groß ist der Grimm des Herrn, weil unsre Väter nicht gehalten haben das Wort des Herrn, was geschrieben steht in diesem Buch” (2. Chr 34,14‑21).

Zur Zeit von Jeremia verlangen alle Führer des Volkes von Baruch, er möge die Botschaft des Propheten verlesen. “Und als sie alle die Worte Gottes hörten, so entsetzten sie sich untereinander und sagten zu Baruch: Wir müssen alle diese Worte dem König mitteilen.” Aber der König, von den Worten nicht überzeugt, schnitt die Schriftrolle Stück um Stück mit einem Schreibmesser ab und warf sie ins Feuer. Deshalb verhängt der Herr eine furchtbare Strafe über ihn, sein Haus und sein Volk (Jer 36,11.16.23‑24.29‑31).

Esra und Nehemia weihen sich nach ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft in feierlicher Weise aufs neue Gott. Das geschieht durch eine öffentliche Vorlesung der Heiligen Schrift. Angesichts der großen Wirkung auf das Volk, sagen die Führer: “Seid nicht traurig und weinet nicht.” Denn alles Volk weinte, als es die Worte des Gesetzes hörte. Dann wurde ein Fasten ausgerufen. “Man las vor aus dem Buch des Gesetzes des Herrn, ihres Gottes, und drei Stunden bekannten sie und beteten zum Herrn ihrem Gott” (Neh 8,1‑9; 9,3).

Wer unter uns Kindern Gottes hat nicht durch das heilige Buch seinen Zustand des Verlorenseins vor dem höchsten Richter erkannt und mit den Worten der Samariterin vor Jesus bekannt: “Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe” (Joh 4,39) ? Und sind nicht in der Geschichte der Gemeinde, wie damals in Israel, ohne Ausnahme alle geistlichen Erweckungen durch eine Rückkehr zur Bibel entstanden? Erwähnen wir nur als Beispiele die Waldenser von Lyon und Piemont, Wycliffe und die Lolarden in England, Johannes Hus und die Böhmischen Brüder, die großen Reformatoren Luther, Calvin, Zwingli, Knox, die Pietisten und die Herrnhuter Brüdergemeine, im 18. Jahrhundert, Haldane und die Genfer Erweckung im 19. Jahrhundert, usw.

3. Durch das Wort des Lebens wird der Sünder wiedergeboren.

Die menschlichen Bücher, auch die frömmsten, haben nicht Leben in sich selber. Sie können bestenfalls ein Echo der himmlischen Botschaft sein. Die Schrift, als lebendiges Wort Gottes, wirkt wie ein unverwüstlicher Same, um zu erneuern und geistlich aufzuwecken (l. Petr 1,23‑25). Gepredigt oder geschrieben, erweist sich ihre Botschaft immer wieder als das Wort des Lebens, das die Welt erleuchtet (Phil 2,15). Sie verwandelt diejenigen, die glauben (l. Thess 2,13), denn sie ist Geist und Leben. Ohne den Geist bleibt das Gesetz der Buchstabe, der verurteilt und tötet; aber der Geist, der das Wort belebt, bringt das ewige Leben (Joh 6,63; 2. Kor 3,3‑6).

“Das Evangelium ist eine Kraft Gottes zum Heil für jeden, der glaubt” (Röm 1,16). “Der Glaube kommt vom Hören, und das Hören vom Wort Christi” (10,17). Jesus selber verkündet: “Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist vom Tode zum Leben durchgedrungen” (Joh 5,24). Dies sind nicht leere Worte. Man könnte Abertausende von Beispielen anführen von Menschen, deren Leben buchstäblich umgestaltet wurde durch den Einfluß der Schrift. Drei berühmte Beispiele mögen genügen:

Augustin führte einunddreißig Jahre lang ein Leben stürmischer Unruhe, erfüllt von Anstrengungen nach dem Guten, aber auch von Rückfällen und Not. Als er einst elend im Garten saß und seufzte, hörte er die Stimme eines Kindes, welches die Worte sang: “Nimm und lies! nimm und lies!” Er nahm die Rolle der paulinischen Briefe, und sein Blick fiel auf Römer 13,14. Damit war durch ein einziges Wort die Entscheidung gefallen; Jesus hatte gesiegt. Augustin brauchte gar nicht mehr weiter zu lesen; er schloß das Buch. “Mit dem Schluß dieses Satzes hatte sich ein Strom des Lichtes und der Geborgenheit in meine Seele ergossen, und die ganze Finsternis meiner Zweifel war verschwunden”.

Luther rutscht alle Stufen der berühmten Heiligen Treppe in Rom kniend hinauf, gequält von der Last seiner Sünden und abgestumpft von den vergeblichen Kasteiungen. Aber ein einziges Wort der Schrift bringt ihm den Frieden. Das Wort “Der Gerechte wird durch den Glauben leben” (Röm 1,17) ergreift ihn mit unwiderstehlicher Gewalt. Mit diesem Wort hebt die Reformation an, die den Menschen die Bibel, den Erlöser, die Freiheit der Kinder Gottes und die Gewißheit des ewigen Lebens zurückgibt.

Wesley hatte in Oxford Theologie studiert und suchte mit solch strenger Methode ein Leben der Frömmigkeit zu führen, daß ihm dies den Spottnamen “Methodist” eintrug. Dann hatte er sich in Amerika der Mission widmen wollen, ohne jedoch zur Heilsgewißheit zu gelangen. Aber am 24. Mai 1738 sprach Gott zweimal zu ihm durch Bibelworte (2. Petr 1,4 und Ps 130). Er erzählt: “An jenem Abend begab ich mich widerwillig in eine kleine Versammlung an der Aldergate Street, wo ich die Einführung Luthers zum Römerbrief vorlesen hörte. Gegen achtdreiviertel Uhr, beim Anhören der Beschreibung von der Veränderung, die Gott durch den Glauben an Christus bewirkt, stieg eine seltsame Welle von Wärme in mein Herz. Ich spürte, daß ich mich Christus übergab, ihm allein mein Heil anvertrauend; und ich empfing die Gewißheit, daß er mich von meinen Sünden befreite von der Knechtschaft der Schuld und des Todes.

Eben gerade weil dank der Bibel auch unser Leben verwandelt wurde, bezeugen wir die Wirkung ihrer neugestaltenden Kraft. Deshalb können uns alle Gegenargumente nicht abhalten von unsrer Antwort “Ich weiß, an wen ich glaube” (2. Tim 1,12) und “Ich glaube, darum rede ich” (2. Kor 4,13).

4. Die Schrift heiligt den Glaubenden

“Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus Gottes Mund hervorgeht” (Mt 4,4). Das Wort gibt dem Kind Gottes nicht nur das Leben, sondern es nährt es und fördert sein Wachstum. “Seid begierig nach der vernünftigen, lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf daß ihr durch dieselbe zunehmt zu euerm Heil, wenn ihr geschmeckt habt, daß der Herr freundlich ist” (l. Petr 2,2‑3). Der Psalmist sehnt sich nach dem Gesetz mit folgenden Worten: “Meine Seele verzehrt sich vor Verlangen nach deinen Ordnungen allezeit … Ich habe Freude an deinem Gesetz. …” (Ps 119, 20.70.103.131).

Das tägliche Verlangen des Neubekehrten nach der Heiligen Schrift ist eine unleugbare Tatsache. Jedesmal, wenn er sich in Gottes Wort versenkt, stärkt, tröstet, ermahnt es ihn. Der übernatürliche Gehalt des Wortes ist damit einmal mehr erwiesen.

Das war ja auch das Gebet des Herrn. Jesus betet: “Heilige sie in deiner Wahrheit, denn dein Wort ist die Wahrheit” (Ich 17,17).

Das Leben echter Christen in seiner Reinheit und Ausstrahlung in unsrer verdorbenen Welt ist ebenfalls einer der stärksten Beweise von der göttlichen Herkunft der Schrift. Nur das schöpferische Wort kann aus einem selbstsüchtigen Menschen eine siegreiche Persönlichkeit voll überströmender Liebe machen. Solche Zeugen sind tatsächlich “offene Briefe Christi”, lebendiges Gottes‑Wort, von jedermann gelesen (2. Kor 3,2‑3).

Durch die Gnade Gottes hat es der Welt an solchen Zeugen Christi nie gefehlt, die ihre Zeit neu belebten, die Welt erneuerten und die Gemeinde weckten. Durch die schon genannten Reformatoren kam über Europa eine Welle neuen Geistes nach dem Winterschlaf des Mittelalters. Blaise Pascal hat, seiner körperlichen Leiden ungeachtet, die tiefsten Wahrheiten des Evangeliums in unerreichter Klarheit auszudrücken verstanden. Wesley und Whitefield haben England, das moralisch, sozial und geistlich am Rand des Unterganges war, buchstäblich gerettet. Elizabeth Fry und Mathilde Wrede unter den Gefangenen, Josephine Butler unter den gefallenen Frauen, Félix Neff in den Alpentälern, William und Catherine Booth in den Elendsquartieren, Hudson Taylor im Herzen Chinas haben bezeugt, daß die Botschaft des Evangeliums heute noch allenthalben Wunder wirkt.

5. Das Wort Gottes überwindet den Gegner

Es ist das Schwert des Geistes, die ausgezeichnete Angriffswaffe (Eph 6,17). Adolphe Monod veranschaulicht folgendermaßen den Gebrauch, den Christus davon machte, um über Satan zu siegen: “Jesus hat ganz einfach die Schrift angeführt, ohne Einführung oder Ausführung, und sie dem großen Feind entgegengehalten an jenem geheimnisvollen, schrecklichen Tag, von dessen Ausgang das ganze Erlösungswerk abhing.

Es steht geschrieben! ‑ und der Versucher hält inne.
Es steht geschrieben! ‑ und er weicht zurück.
Es steht geschrieben! ‑ und er wendet sich weg.

Es steht geschrieben, und durch wen? Durch Mose, den Knecht, dem sein Wort zu Hilfe kam in der Stunde des Kampfes und der Not!”. Wie ist dies möglich, außer durch die göttliche Eingebung dieses Wortes?

Daß der Feind die Macht der Schrift fürchtet, das beweisen seine unaufhörlichen Angriffe gegen sie. Er verabscheut das Buch, in welchem der Retter angekündigt und er selbst entlarvt wird. Er haßt die Bibel, die von seiner Niederlage und ewigen Strafe spricht, vom ersten bis zum letzten Buch (l. Mose 3,15; Offb 20,10). Darum hat er gleich zu Beginn die listige Frage aufgeworfen: “Sollte Gott wirklich gesagt haben?” (l. Mose 3,1). Zu allen Zeiten fand Satan Zweifler, die sich zu befreien suchten, indem sie ihm folgten. Aber eines der bedenklichsten Kennzeichen unsres Zeitalters des Abfalls ist der zielbewußte Angriff des Feindes, den er seit zweihundert Jahren gegen die Schrift und ihre Vollmacht führt. Ein Drittel der Menschheit lebt unter einer atheistischen Regierung. In den westlichen Ländern wird unser Zeitalter als “nach‑christlich” bezeichnet. Noch mehr zu denken gibt die Tatsache, daß ein großer Teil der heutigen “Christenheit” den Gedanken, die Bibel sei das Wort Gottes, verwirft.

6. Die Schrift trotzt allen Angriffen.

Die Hugenotten stellten die Bibel und den christlichen Glauben als Amboß dar, der von drei kräftigen Schmieden umstanden ist und wozu die Worte gehören:

Je mehr man mich schlägt und faucht,
desto mehr Hämmer man braucht.

Sieht es nicht aus wie eine göttliche Ironie, daß das 19. Jahrhundert, die Blütezeit der Kritik in Theologie, Literatur und Politik, die größte Ausbreitung der Bibel gezeitigt hat? Allein die Britische und Ausländische Bibelgesellschaft hat innerhalb von 150 Jahren (von 1804 bis 1954) mehr als 600 Millionen Bibeln und Bibelteile gedruckt. Rechnet man die Produktion der andern Gesellschaften im gleichen Zeitraum dazu, so gelangt man zu einer Zahl von 1300 Millionen Exemplaren. Und doch hat man während vieler Jahrhunderte alles versucht, um die Schrift zu vernichten, zu verbieten und lächerlich zu machen.

“Dies ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, durch wen diese Bücher aufbewahrt wurden. Die Juden waren die gewissenhaften Hüter des Buches des Königtums. Rom bewahrte das Buch der Gemeinde. Die Juden, welche den Messias verwarfen, bewahren gerade jene Bücher, die ihren Unglauben feststellen und die Welt von der göttlichen Sendung Christi überzeugen (Pascal, Pensées, S. 284‑286). Wo sonst fände man ein Volk, das eifersüchtig eine Urkunde hütete, in welcher es so oft als verstockt, undankbar, verdorben erklärt wird? In wel­cher seine Siege und seine Überlegenheit nicht etwa seinem Wert sondern einzig der göttlichen Gnade zugeschrieben werden? Andrerseits bedenke man, daß Rom das Buch der Evangelisten und Apostel bewahrte, daß diese Kirche über der Erhaltung dieser Bücher wachte, in welcher folgendes erklärt wird. Christus hat durch ein einziges Opfer diejenigen vollkommen gemacht, die geheiligt sind. Das Heil ist aus Gnaden durch den Glauben geschenkt; es kommt nicht von uns, sondern ist Gottes Gabe; alle Glaubenden sind Priester und Könige vor dem Herrn; es gibt keinen andern Mittler zwischen Gott und den Menschen als den Menschen Jesus Christus. Diejenigen, welche die Ehe und gewisse Speisen verbieten, sind falsche Lehrer. Maria spielt gar keine Rolle in der Gemeinde nach Apg 1,14. Petrus wird von Paulus streng getadelt. Die Christen werden gelobt dafür, daß sie die Verkündigung der Apostel an Hand der Schrift nachprüfen (Hebr 7,24‑25; 10,14; Eph 2,8‑9; Offb 1,6; 1. Tim 2,5; 4,1‑5 Gal 2,11; Apg 17,11) . “

Die Juden geben dem Christus ein unfreiwilliges Zeugnis und Rom behütet und vermittelt sorgfältig seine eigne Verurteilung. Dasselbe läßt sich auch von den Protestanten sagen, die einst das Volk der Bibel waren, ohne immer an ihren Inhalt zu glauben.

7. Schlußfolgerung

Es ist kaum in wenige Worte zu fassen, welche Dienste die Bibel der Menschheit geleistet hat, da ihre lebenerneuernde Kraft immer wieder sichtbar wurde. A. Vinet hat gesagt: “Das Evangelium ist die unsterbliche Saat der Freiheit in der Welt.” Man könnte statt “Evangelium” “die Bibel” setzen, denn das Evangelium ist ja nur dort zu finden. Von ihr inspiriert, haben die Christen am Ende des Altertums sich von seiner grausamen und sittenlosen Kultur befreit und sich aufgemacht zu neuen Taten auf folgenden Gebieten:

Abschaffung der Sklaverei
Selbständigkeit der Frau
Anteilnahme am Leiden und Elend der Menschheit
Fürsorge für die Kranken, Gebrechlichen, die Greise,
Schaffung von Spitälern, Heimen aller Art, Waisenhäusern
Aufschwung der Wissenschaften durch Zerstörung der Schranken des Aberglaubens,
Kampf gegen Prostitution, Alkoholismus, das Laster
Schulung für alle Kinder, auch die am meisten Benachteiligten
die Jugendbewegungen und ihre Lager
Kampf gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit,
Werk des Roten Kreuzes, Gefangenenfürsorge, Hilfe für Kriegsopfer, usw.

Diese Unternehmungen der bibelgläubigen Jünger wurden dann vom Staat übernommen, als man den religiösen Einfluß ausschalten wollte oder als dieser seine Salzkraft verloren hatte. Aber über die Wurzel aller dieser Werke kann kein Zweifel herrschen. Mancher Unterschied zwischen den christlichen und den nichtchristlichen Ländern springt in die Augen in bezug auf Lebenshaltung und Sittlichkeit. Und auch unter den ersteren ist ein Unterschied sofort auffällig, zum Vorteil der Länder der Bibel, d. h. der protestantischen Länder. Man vergleiche den Norden Europas mit dem Süden, Nord‑Irland mit Süd‑Irland, das englische und das französische Kanada, das angelsächsische und das lateinische Amerika (Vgl. hierzu F. Hoffet, L’Impérialisme Protestant, Flammarion, Paris 1948). 

VIII. Die Überlegenheit der Bibel gegenüber allen andern religiösen jüdischen, christlichen oder heidnischen Büchern

Ein andrer übernatürlicher Wesenszug der Schrift tritt an den Tag, wenn man sie mit irgendeinem andern Buch vergleicht. Offenbar ist ihr Urheber viel größer als der menschliche Geist, wie auch ihre Botschaft unendlich und ewig ist.

Beim Vergleich des biblischen Textes mit den Quellen der Geschichte der Assyrer und Babylonier stellt M. de Niebuhr fest: “Das Alte Testament ist frei von jeder patriotischen Lüge; nie verschleiert es das Elend des Volkes, dessen Geschichte es schreibt. Darin ist es einzigartig unter allen Geschichtsbüchern, in einer Treue, die ihresgleichen nicht hat; das muß auch derjenige anerkennen, der an die göttliche Inspiration nicht glaubt. Und auch seine peinlichste Genauigkeit muß anerkannt werden”.

Welch ein Gegensatz herrscht ebenfalls zwischen den vier Evange­lien einerseits und den apokryphen Schriften über das Leben Jesu andrerseits! Wie kindisch sind die Wundertaten, welche die Uberlieferung demjenigen zuschreibt, der in allen seinen Handlungen den Vater verherrlichte und offenbarte. Wenn Johannes genau festlegt, daß Jesus in Kana das erste Wunder vollbrachte, so sind damit alle diejenigen, die man seiner Kindheit andichtet, ausgeschlossen (Joh 2,11).

Auch die Werke der Kirchenväter, wie schön und wohltuend sie auch sein mögen, haben ihren Wert darin, daß sie die erhabene Ursprünglichkeit der eingegebenen apostolischen Briefe erst recht zur Geltung bringen, ihre wunderbare Dichte, ihre Klarheit, ihren umfassenden Gehalt, mit einem Wort ihr göttliches Gepräge.

Auch sieht man mit Befremden, wie schnell die Kirchenväter sich von der Schrift und der Schlichtheit der Evangelien entfernten. Schon nach zwei oder drei Jahrhunderten nach den Aposteln haben sie die Abweichungen eingeleitet, welche die Kirche der folgenden Jahrhunderte entstellen sollte. Was soll man denken von ihrer Kurzsichtigkeit und ihren offensichtlichen Irrtümern auf dem Gebiet der Naturgesetze?

Der Koran behauptet, daß der Engel Gabriel ihn Mohamed Stück für Stück vom Hinunel gebracht habe. Mit seinen moralischen Sprü­chen und sozialen Anordnungen trägt er überall das Wesen des menschlichen, fehlbaren, erdgebundenen Geistes. Die Berge sind geschaffen worden, um die Bewegungen der Erde zu hindern und sie festzuhalten wie mit Ankern und Tauen. Maria, Schwester von Mose, ist verwechselt mit der Mutter von Jesus (Sure 19,29). Gabriel bringt mehrfach besondere Offenbarungen des Himmels, um Mohamed zu rechtfertigen, wenn er die Frau seines Pflegesohns heiratet, wenn er allen Gattinnen seines Harems willfährt oder sich Kebsweiber aus seinen Verwandten oder ihm gefallende Gefangene zuspricht (Sure 33,49‑52 usw.). Der gleiche Koran stellt den Grundsatz des heiligen Krieges auf und verspricht den Getreuen ein recht fleischliches Paradies.

Aber der Hauptunterschied zwischen Bibel und Koran liegt in dem, was dieser nicht enthält, nämlich die Liebe Gottes, der in seiner Fleisch gewordenen Gestalt mit seinem Geschöpf leidet; seine Heiligkeit, welche die Züchtigung der Sünde erheischt, die Sühnung unsrer Schuld am Kreuz, die volle Gewißheit der Vergebung, die Wiedergeburt des neuen Menschen, der geistliche Gehalt und die Wahrheit der ganzen mitgeteilten Botschaft ‑ dies alles fehlt im Koran und überzeugt uns um so mehr vom göttlichen Wesen der Bibel.

Auch die heiligen Bücher der Hindu können nicht den Vergleich mit der Bibel aushalten mit ihren 330 Millionen Göttern, deren Größter, Shiva, durch das Fortpflanzungsorgan sinnbildlich dargestellt ist; Hunderttausende von sogenannten Seelenwanderungen in Gestalt von Tier oder Mensch lösen sich ab, bis ein farbloses Nirwana den Menschen von jedem Wunsch befreit. Auch hier fehlt völlig eine Lösung des Problems der Sünde und der Not, des Zuganges zu einem reinen und befreiten Leben, unbedingte Gerechtigkeit und ein Zustand ewigen und tätigen Glückes in Gottes Gegenwart.

Nach der hinduistischen Weltentstehungslehre ist der Mond 50 000 Meilen höher als die Sonne. Er hat sein eignes Licht und gibt unserm Leib das Leben. Die Nacht entsteht durch das Verschwinden der Sonne hinter dem Berg Someyra, der in der Mitte der Erde und Tausende von Metern hoch ist. Unsre Erde ist flach und dreieckig, aus sieben Stockwerken bestehend, von denen jedes seinen Grad von Schönheit, seine Einwohner und sein Meer hat. Das erste ist aus Honig, das zweite aus Zucker, das dritte aus Butter, wieder ein andres aus Wein. Die ganze Masse wird von den Köpfen ungezählter Elefanten getragen, die, wenn sie sich schütteln, unsre Erdbeben verursachen (Vgl. Gaussen, S. 161).

Für Plato ist die Welt ein verständiges Tier. Die Schriften der griechischen und römischen Denker, Aristoteles, Seneca, Plinius, Plutarch, Cicero, in mancher Hinsicht so hervorragend, enthalten eine Fülle von Äußerungen, von denen eine einzige genügen würde, unsre Lehre der Inspiration bloßzustellen, wäre sie in irgendeinem Buch der Bibel enthalten (s. o. S.171).

Wir könnten unsern Vergleich noch lange weiter führen. Wenden wir unsre Aufmerksamkeit lieber der göttlichen Knappheit der eingegebenen Texte zu.

Die Juden haben der Schrift die zwei Talmude angefügt, ihnen den nämlichen göttlichen Charakter verleihend, von denen der eine (derjenige von Jerusalem) einen Folio‑Band und der andre (der von Babylon) zwölf Folio‑Bände bilden; der letztere ist der meistbefolgte und muß von allen Gelehrten erforscht werden.

Die römisch‑katholische Kirche hat auf dem Konzil von Trient erklärt, daß sie mit der gleichen Zuneigung und Verehrung wie der Bibel auch ihren Überlieferungen in bezug auf den Glauben und die Sitten begegne, das heißt das unabsehbare Verzeichnis der Synodal-Erlasse, der Verordnungen, der Bullen, der Kanonschriften und der Schriften der Heiligen Väter (Concile de Trente, décrets et avril 1546 ‑ Bellarmin, de Verbo Dei, IV).

Demgegenüber betrachte man, erklärt Gaussen, was der Heilige Geist in der Bibel gewirkt hat, und man bewundere die himmlische Klugheit seiner unnachahmlichen Kürze.

Der Bericht über die Schöpfung ist in 31 Versen zusammengefaßt.

Die Bewährungsprobe, der Sündenfall und die Verurteilung unsres Geschlechts sind in 24 Versen berichtet, während so
 manche Kapitel die Stiftshütte und den Opferdienst beschreiben, in welchen schon ein Vor‑Bild Jesu und seines  
Erlösungswerkes zu schauen ist.

Zwei Kapitel genügen, um die Menschheit vom Sündenfall zur Sintflut zu führen, während der größte Teil des 1. Buches
Mose den Lebensläufen der Erzväter gewidmet ist, da sie das Volk gründen, das den Messias hervorbringen wird.

Die zehn Gebote und ihre erhabene Zusammenfassung (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18) enthalten hinsichtlich der Pflichten
gegenüber Gott, den Eltern, der Familie, den Arbeitern, den Fremden ‑ über den Besitz’ das Leben, die Erholung, die Ehre
und die Wahrheit weit mehr, als alle Werke der Antike zusammengenommen.

Jedes Evangelium erzählt das Leben Jesu in 16 bis 28 knappen Kapiteln oder 800 Zeilen­ seine Geburt, seine Jugend, seine Lehre, seine Wundertaten, sein Vorbild, sein Leiden, seinen Tod, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt. Das geschieht mit einer Unparteilichkeit, einer Achtung vor Gott und den Menschen, einer Zurückhaltung, einer Wahrhaftigkeit, daß wir abermals fragen: Ist der Mensch imstande, so zu berichten? Die Evangelisten waren leidenschaftliche Männer, voll brennender Liebe zu ihrem Meister. Wieso vermochten sie dann mit solch ruhig maßvoller Überlegenheit, Nüchternheit und scheinbarem Unbeteiligtsein die verabscheuungswürdige Ermordung des von ihnen verehrten Herrn zu schildern? Wie konnten sie mit solcher Unverblümtheit ihre eigne Feigheit und ihren fleischlichen Sinn darstellen, ohne den leisesten Versuch, sich reinzuwaschen, und ohne irgendeine Erklärung?

In der Apostelgeschichte entwirft Lukas auf dreißig Seiten das Bild der dreißig schönsten Jahre in der Geschichte des Christentums. Welch wunderbare Kürze! War es nicht das Werk des Geistes Gottes, diese gedrängte Bestimmtheit, diese Wahl der Einzelheiten, diese ehrwürdige, mannigfaltige, knappe und doch bedeutsame Sprache, die mit wenig Worten viel aussagt?

IX. Folgerungen

Für den, der sieht, sind die Sonne, das Licht, seine Strahlen, seine Wärme keine Fragen. Der Blinde kann, wenn er will, an allem zweifeln, da er der unmittelbaren Wahrnehmung durchs Auge entbehrt.

Für den Glaubenden ist das übernatürliche Gepräge der Schrift mehr als offensichtlich. Er weiß, daß er durch sie zum Licht durchgedrungen ist. “Ich war blind, und nun sehe ich!” Er ist darin Gott begegnet; in ihr hat er durch Christus die Vergebung, das neue Leben, die Gewißheit des ewigen Heils erlangt. Die Weissagungen haben ihn von der Allweisheit des Urhebers des Buches überzeugt. Im Spiegel des Wortes hat er sein eignes Herz erkannt, wie es gezeichnet ist von dem, der es besser kennt als er selber. Jeden Tag vertieft er seine Erfahrung von der Macht, der ewigen Frische, der umfassenden Geltung und der Überlegenheit der Schrift über alles nur Menschliche.

Wir jubeln mit dem Psalmisten: “Ich freue mich über dein Wort wie einer, der große Beute macht. Ich habe deine Befehle gewählt” (Ps 119).

Leider macht diese ganze Beweisführung, die uns unwiderlegbar scheint, auf einen Ungläubigen nicht den geringsten Eindruck, so wenig als es das so klare Zeugnis der Schöpfung tut. “Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und das Firmament verkündigt das Werk seiner Hände … (Ps 19). “Gottes unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Gottheit ist seit der Erschaffung der Welt, wenn man es in den Werken betrachtet, klar und deutlich zu erkennen” (Röm 1,20). Und dennoch verherrlicht die große Mehrheit der Menschen nicht diesen lebendigen und wahren Gott.

Viele Menschen, auch wenn sie religiös sind, lehnen das Zeugnis dieses andern Buches Gottes, welches die Bibel ist, ab. Das gilt von den vielen, die noch nicht wiedergeboren sind, denn “der natürliche Mensch begreift nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm Torheit … denn es muß geistlich verstanden sein” (l. Kor 2,14). Der Fall Nikodemus zeigt uns, daß die Wiedergeburt selbst einem religiösen Führer und “Obersten unter den Juden” fehlen kann (Joh 3,3‑10).

Das Weltall ist das große Buch Gottes für die, welche glauben wollen. Die Bibel ist ebenfalls sein Buch, für diejenigen, welche durch den Glauben sein Zeugnis des Lebens annehmen. Die oben erwähnten übernatürlichen Wesenszüge der Schrift wollen nicht eine verstandesmäßige Beweisführung sein, die den Lesern den Glaubensschritt ersparen soll. Im Gegenteil, wir wiederholen abschließend die Worte von Paulus: “Mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, auf daß euer Glaube nicht auf Menschenweisheit bestehe, sondern auf Gottes Kraft” (l. Kor 2,4‑5).

 

Zweites Kapitel: Die Autorität der Schrift

I. Gott, die Quelle aller Autorität

Das ganze Weltall ist seinem höchsten Herrn, dem Schöpfer, unterworfen. Er ist die letzte Wirklichkeit, die einzige Quelle des Lebens, der Wahrheit und der Einheit. Er ist der vollkommene Gesetzgeber, dessen geistliche, sittliche und physische Gesetze die Welt lenken. “Der Herr ist König, immer und ewiglich” (Ps 10,16). “Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit … der Selige und allein Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren (l. Tim 1,17; 6,15).

Wie alle andern Geschöpfe, hängt der Mensch von dieser Macht ab. Er fiel in Sünde, indem er “die Autorität mißachtete”; er wollte sich befreien, um zu sein wie Gott (l. Mose 3,5; 2. Petr 2,10). Sein Heil besteht darin, sich dem König, den er beleidigt hat, völlig zu unterwerfen, sich dem Reich einzugliedern, in welchem der Herr allein befiehlt, handelt und errettet.

II. Die Autorität Jesu Christi

Christus, Fleisch gewordener Gott, entfaltet auf dieser Welt die ganze Macht seines Vaters. Von seinem ersten Auftreten an lehrt er mit Vollmacht, nicht wie die Schriftgelehrten (Mk 1,22). Er sagt nicht wie die Propheten: “Das Wort des Herrn geschah zu mir

“Also spricht der Herr sondern: “Wahrlich, wahrlich, ich sage euch … Zu den Alten wurde gesagt, ich aber sage euch”. Er gebietet mit Vollmacht und Kraft den unreinen Geistern (Luk 4,36). Er hat auf Erden die Macht (oder Autorität: exousia), die Sünden zu vergeben (5,24).

Er handelt in derselben Vollmacht gegenüber der Krankheit (6,19), dem Tode (8,53‑55) und der Natur (Mt 8,23‑26).

Gott gab ihm Macht über alles Fleisch, damit er das ewige Leben gewähre (Joh 17,2).

Alles Gericht ist dem Sohn übergeben worden (5,22).

Tatsächlich sind ihm alle Dinge von seinem Vater gegeben worden (Mt 11,27). Deshalb kann er erklären: “Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden” (28,18).

Paulus ruft voller Freude aus: “Ihr habt diese Fülle in ihm, welcher das Haupt aller Reiche und Gewalten ist” (Kol 2,10).

Und Johannes verkündigt: “Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unsres Gottes geworden und die Macht seines Christus” (Offb 12,10).

Diese unbedingte und offensichtliche Macht wird nicht als Zwang auferlegt. Jesus tritt als gewöhnlicher Mann auf, “ohne Schönheit und Hoheit, um die Blicke auf sich zu lenken”, ohne sichtbare Königskrone auf dem Haupt, ohne priesterliches Diplom und ohne Ordination (Joh 7,15), ohne Reichtümer und besondern sozialen Rang. Darum ist er ja von den Führern und Priestern seines Volkes abgelehnt worden, die ungeduldig fragten: “In welcher Macht tust du diese Dinge, und wer gab dir die Vollmacht?” (Mt 21,23).

Allein seine Vollmacht wird nur durch den Glauben wahrgenommen. Sie hängt an seinem tiefsten Wesen, an der Geistesmacht und der Liebe, die er ausstrahlt, an der Verbindung mit dem Vater, der in ihm wohnt. Die frommen Israeliten, welche das Zeugnis von Johannes dem Täufer empfingen, erkennen, aus welcher Macht heraus Jesus handelt. Sobald er spricht, rufen die erschütterten Kriegsknechte aus: “Nie hat je ein Mensch gesprochen wie dieser Mann” (Joh 7,46). Er vertreibt einen Dämonen, und die schlichten Seelen sind “entsetzt ob der Größe Gottes” (Luk 9,43)

III. Die Autorität der Schrift

1. Quelle und Definition

Es verhält sich mit dieser Vollmacht wie mit derjenigen Jesu Christi: sie geht aus ihrem Wesen hervor. Sie ist die unmittelbare Folge der Inspiration. Wenn Gott die Schrift ganz eingegeben hat (wie wir gesehen haben), dann ist sie auch mit seiner Vollmacht ausgestattet. Dem Buch, in dem tausendmal steht: “So spricht der Herr!” gebührt die Achtung und der Gehorsam, die wir dem Urheber schulden. Die Autorität der Schrift kommt von ihrer Inspiration, und auf ihrer Inspiration beruht ihre Autorität.

Gaussen erzählt, daß er, um seinen tausend quälenden Zweifeln ein Ende zu setzen, viele Verteidigungsschriften der Bibel gelesen habe, daß ihn aber zuletzt doch nur das Bibelwort selber überzeugt habe. “Die Schrift gibt Zeugnis nicht nur durch ihre Versicherungen, sondern durch ihre Wirkungen … denn sie bringt mit ihrem Glanz Gesundheit, Leben, Wärme, Licht. … Lest darum die Bibel … sie wird euch selber überzeugen und euch sagen, ob sie von Gott ist . . . ” (a.a.O., S. 281).

Für jeden, der im Glauben an die Schrift herantritt als an Gottes Wort, ist die Sache klar: Ihre Gültigkeit braucht nicht verteidigt, sie soll bezeugt werden (genau wie die Existenz Gottes und Jesu Christi). C. H. Spurgeon sagte in diesem Zusammenhang: “Ihr müßt den Löwen im Käfig nicht verteidigen. Es genügt, das Tor zu öffnen und ihn hinausgehen zu lassen.” Dr. Martyn Lloyd Jones unterstreicht, daß die Predigt der Bibel ihre Wahrheit und Vollmacht begründet. Zum Beispiel erklärt nichts so gut wie die Bibel mit ihrer Lehre vom Sündenfall und von der Sünde die heutige Weltlage nach den beiden Weltkriegen. Ähnlich verhält es sich mit der Erklärung der Weltentstehung: Große Gelehrte haben nach viel rationalistischem Forschen auf das Vorhandensein einer obersten Weisheit, eines Erbauers des Weltalls schließen müssen ‑ was die Bibel von jeher gesagt hat. Aber den Kritikern war die Lehre vom Sündenfall und von der Sünde verhaßt. Für sie ging die Menschheit bergauf, schritt voran und vervollkommnete sich ohne Ende. Es geht ihnen gegen den Strich, auf den Begriff des Bösen und die Verderbnis des Menschengeschlechtes zurückzukommen. Natürlich tun sie dies nicht wegen der Bibel, sondern gezwungenermaßen, weil der Weltlauf es sie lehrt. (M. Lloyd Jones, Authority, S. 41).

2. Die Autorität der Schrift in Israel

Das Buch des Gesetzes, Offenbarung des göttlichen Wollens, war die Grundlage des Bundes (2. Mose 24,7). Die Opferpriester und Leviten hatten die Aufgabe, das Gesetz zu lehren und darauf alle ihre Anweisungen aufzubauen (5. Mose 17,9‑11; 24,8). “Denn des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, daß man aus seinem Munde Weisung suche, denn er ist ein Bote des Herrn Zebaoth” (Mal 2,7). Die Wirkungsmacht des heiligen Buches beeinflußte “alle diejenigen, welche ob den Worten des Gottes Israels erzitterten” (Esra 9,4; 2. Chr 34,19; Neh 8,9 usw.). Jesaja beginnt seine Weissagung mit folgenden Worten: “Höret, ihr Himmel und Erde, nimm zu Ohren, denn der Herr redet!” Und im Blick auf das Elend Israels ruft er aus: “Hin zum Gesetz und hin zur Offenbarung! Werden sie das nicht sagen, so wird ihnen kein Morgenrot scheinen” (1,2; 8,20). Jeremia warnt: “Verflucht sei der Mensch, der nicht Gehör schenkt den Worten des Bundes, den ich euern Vätern vorschrieb” (11,3). Das Gesetz erstreckt seine furchtbare Macht auch heute noch über die, welche nicht durch die Gnade und den Glauben an Christus gerettet sind.

3. Christus beugt sich vor der Autorität der Schrift

Wir sahen weiter oben, mit welcher Sorgfalt Christus vorbehaltlos die Schrift bestätigt (Mt 5,17‑18); sie bis in die geringste Einzelheit erfüllt (Mt 26,54; Luk 24,44); sich auf sie allein stützt dem Gegner gegenüber: “Es steht geschrieben” (Mt 4,4‑10); auf den heiligen Text diejenigen verweist, die ihm widersprechen: “Habt ihr nicht gelesen? … Irrt ihr nicht, weil ihr weder die Schrift noch die Macht Gottes begreift?” (Mt 12,3; Mk 12,24); am Kreuz sogar die prophetischen Worte spricht, die er eben zur Erfüllung bringt (Joh 19,28‑30); seine Belehrung an die Jünger, selbst nach der Auferstehung, auf alle Teile des jüdischen Kanons gründet (Luk 24,27.44.46); das Endgericht auf Grund der Schrift ankündigt (Ich 5,45‑47; vgl. Röm 2,12).  –  Bedarf es noch weiterer Worte? Die Autorität des geschriebenen Wortes wird so wenig untergehen wie diejenige des Fleisch gewordenen Wortes, die dahinter steht.

4. Die Autorität der Schrift in der Urgemeinde

Der Schrift des Alten und des Neuen Bundes unbedingt gehorsam, hatten die Apostel den Auftrag, die Sendboten des Herrn zu sein und die schriftliche Offenbarung zu bestätigen und zu vollenden, Christus der Welt zu verkündigen.

Die Diener Gottes aller folgenden Geschlechter, die nicht mehr Augenzeugen der Auferstehung und Zeitgenossen der biblischen Verfasser sind, müssen notgedrungen ihr Amt in der Gemeinde ausüben, indem sie sich der Offenbarung unterziehen.

Ihre Vollmacht ist zwangsläufig verschieden und in gewissem Sinn geringer als die der Apostel. Timotheus soll die Gläubigen verbessern, zurechtweisen, aber vor allem das Wort predigen, evangelisieren, nach der gesunden Lehre (Die Wörter “Lehre, Belehrung, Lehrer” kommen in den beiden Timotheusbriefen und dem Titusbrief etwa dreißigmal vor). Die völlig eingegebene Schrift wird den Mann Gottes geschickt und für seinen Dienst geeignet machen (2. Tim 3,16; 4,3). Paulus schreibt an Titus, daß der wahre Gemeindeälteste sich halten soll an das Wort, das gewiß ist, nach der Lehre, auf daß er mächtig sei, zu ermahnen durch die gesunde Lehre und zu überführen, die da widersprechen. An ihn wendet er sich weiter: “Du aber rede, wie es sich ziemt nach der gesunden Lehre . . Solches ermahne und stelle ans Licht mit großem Ernst. Es soll dich niemand verachten” (Tit 1,9; 2,1.15). Die Aufgabe des Ältesten oder Bischofs (vgl. Apg 20,17.28) besteht darin, die Herde mit dem Wort Gottes zu weiden in einer Vollmacht, die ganz auf die Schrift gestützt ist, und von ihr überprüft.  . . .

IV. Wer hat den Vorrang, die Schrift oder die Gemeinde?

Für die römisch‑katholische Kirche ist die Sache klar. Nach Bellarmin ist die Autorität der Schrift auf derjenigen der Kirche aufgebaut. Durch die Apostel, die Verfasser des Neuen Testamentes, bekam die Ordnung der Gemeinde ihr Gepräge und fand ihre Autorität ihren Ausdruck. Daraus folgert man, daß die Kirche Herrin über die Schrift sei. Diese könne nur gültig verstanden werden durch die Auslegung von seiten des priesterlichen Lehramtes. Die römische Kirche ergänzt von sich aus die Schrift durch Hinzufügen der alttestamentlichen Apokryphen (im Konzil von Trient 1546) und durch die Verfügung, daß die Überlieferung, die Entscheidungen der Konzilien und schließlich die Erlasse des unfehlbaren Papstes (seit 1870) eine weitere Quelle der Lehre darstellen.

Es gibt genug Gründe, die im Gegenteil die Vorherrschaft und Vollmacht der Schrift beweisen.

1. Offenbar ist das Alte Testament nicht aus der Kirche entstanden, und wir haben eben gesehen, in welchem Grade Christus selber, die Apostel und die ersten Christen es anerkannten.

2. Die Gemeinde wuchs aus dem Wort Gottes heraus, das die Apostel predigten und im Neuen Testament niederlegten (l. Thess 2,13). Jeder Glaubende war durch das lebendige und stets gegenwärtige Wort Gottes wiedergeboren worden (l. Petr 1,23.25).

3. Ein ansehnlicher Teil des Neuen Testamentes setzt fest, wie das Gemeindeleben geregelt werden soll. Die Hirtenbriefe wie auch der 1. Korinther‑ und der Galaterbrief (ohne von der Apostelgeschichte und den Kapiteln 2 und 3 der Offenbarung des Johannes zu sprechen) legen die Gemeindeordnung dar und bemühen sich, gewisse im Lauf des 1. Jahrhunderts schon auftauchende Abweichungen richtigzustellen. Also bestimmt die Vollmacht der Schrift, wie die Gemeinde aussehen und wie sie tatsächlich sein soll. Es geht nicht an, das Neue Testament abhängig zu machen von einer Einrichtung, welche aus seinem Inhalt hervorging.

4. Wohl stützt die römische Kirche ihre Vorherrschaft, indem sie auf ihre Art Worte Christi dafür benützt. Aber wo holt sie diese her, wenn nicht eben aus der Bibel?

5. Die Schrift bestand vor den Kirchenvätern und Konzilien (und selbstverständlich vor den Päpsten). Die verschiedenen neutestamentlichcn Bücher, die im 1. Jahrhundert geschrieben wurden, sind in ihrer Gesamtheit erst später von den Kirchen anerkannt worden. Ihre göttliche Inspiration war von Anfang an vom Herrn gewirkt, nicht durch die Kirche. Diese hat sich einfach vor der Inspiration der apostolischen Schriften gebeugt. Es liegt auf der Hand, daß die Bedeutung eines Buches an seinem Verfasser hängt, nicht an seinem Verwalter oder Leser. So haben beispielsweise die Briefe von Paulus keineswegs die Genehmigung der Gemeinde abgewartet. In dem oft erwähnten Vers (l. Thess 2,13) lobt Paulus die Thessalonicher dafür, daß sie seine Botschaft tatsächlich als Wort Gottes annahmen. Er ordnet an, daß, wer sich seinem Schreiben widersetzt, ausgeschlossen werde (2. Thess 3,14). Er beschwört die Empfänger, die Briefe allen Gemeinden zur Kenntnis zu bringen (l. Thess 5,7; Kol 4,16). Er wagt, den Galatern zu schreiben, daß, wenn ein Engel vom Himmel seinen Worten widersprechen würde, dieser verflucht wäre (Gal 1,8).

6. Man sagt, daß die Kirche, die den Kanon festlegte, über der Schrift stehe. Nach dem Vorangegangenen stimmt dies so wenig, wie der Richter über dem Gesetz steht, das ihm der Gesetzgeber vermittelt. Nicht der Richter hat es geschaffen. Nachdem er sich von seiner Echtheit überzeugt hat, beschränkt sich seine Rolle darauf, es zu verteidigen und anwenden zu lassen. Die Kirche ist daher nicht die Herrin, sondern die Magd der Schrift, nicht die Mutter, sondern die Tochter, nicht die Richterin, sondern Zeuge und Verteidigerin des biblischen Textes.

Wäre außerhalb der Schrift eine Quelle der Autorität nötig, um uns gegenüber ihre Echtheit zu verbürgen und ihr Macht zu verleihen, hätte diese Quelle nicht ihrerseits wieder einen Bürgen nötig, und so weiter bis ins Unendliche? So geht es ja ähnlich mit der Jungfrauengeburt Christi. Man erfand die unbefleckte Empfängnis der Maria (die doch besonders begnadet war und die Gott ihren Retter nennt, Luk 1,30.47), ohne sich dessen bewußt zu sein, daß auch ihre Großmutter, ihre Urgroßmutter und das ganze vorangehende Geschlecht ohne Sünde hätte gezeugt werden müssen.

7. Die Schrift ist durch Männer entstanden, die unmittelbar von Gott inspiriert waren. Die Inspiration erfolgte durch ihn, nicht durch die Kirche. Darum ist auch ihre Vollmacht von ihm abgeleitet und vollauf genügend, um unsern Glauben zu gründen. Sagt doch Paulus, daß die Gemeinde aufgebaut sei “auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus selber der Eckstein ist” (Eph 2,20).

8. Alle göttliche Vollmacht auf Erden muß der Würde des Herrn entsprechen; sie muß beständig und unfehlbar sein. Solcher Art war diejenige der Theokratie in Israel, diejenige von Jesus in den Evangelien und die der Apostel, welche das Neue Testament aufsetzten. Aber Petrus selber wird eines Tages fehlbar und verdient den Vorwurf der Heuchelei und Verstellung (Gal 2,11‑14). Paulus trennt sich von Barnabas und Markus nach lebhaften Meinungsverschiedenheiten (Apg 15,37‑39). Später, wahrscheinlich wegen seiner schwachen Augen, täuscht er sich über die Person des Hohenpriesters (23, 2‑5). Die Hirtenbriefe, der 2. Petrus‑ und der 2. Johannesbrief, der Judasbrief, die Kapitel 2 und 3 der Offenbarung des Johannes zeigen, wie rasch falsche Propheten und falsche Schriftgelehrte sich in gewissen Fällen in der Gemeinde Macht anmaßten. Dieser Zustand wurde im Lauf der Jahrhunderte noch schlimmer: die Kirchenväter haben die gegensätzlichsten Meinungen vertreten. Es gab ganz unwürdige Päpste und religiöse Führer (wie auch im Protestantismus, bis heute), die nicht glaubten. Kirchliche Behörden haben Verfolgungen und grauenhafte Kriege befohlen, recht viele Konzilien sind im Widerspruch untereinander, und die aus der Überlieferung geschöpften Lehren entfernen sich immer mehr vom Evangelium. Nach der Weissagung wird der Abfall in der Welt der Schein‑Religion überhandnehmen, um auszumünden in die falsche Kirche, Babylon (2. Thess 2,3‑12; 1. Tim 4,1; 2. Tim 4,3‑‑4; Offb 17).

Da Gott den Ungehorsam und den Zerfall Israels voraussah, hat er das Buch des Gesetzes ins Heiligtum bringen lassen, als Ur‑Maßstab und unverwüstlicher Zeuge für die Haltung des Volkes (5. Mose 31, 24‑27). So, glauben wir, ist gleicherweise die eingegebene Schrift der Gemeinde als einzig unwandelbare Richtschnur zur Seite gegeben, denn die Gemeinde ist stets in Gefahr einzuschlafen, abzuweichen und abzufallen.

 

V. Die Angriffe gegen die Autorität der Schrift

1. Der aufrührerische Sinn des Menschen

Als Geschöpf, das nach dem Bilde Gottes geschaffen und berufen ist, die Erde zu beherrschen, hat der Mensch einen unglaublichen Drang zur Unabhängigkeit und zum Ehrgeiz. Aus Stolz ist er gefallen, denn er wollte sich von der Bevormundung des Schöpfers befreien. Er wird fortgerissen vom “Geist, der die Kinder des Aufstandes umtreibt” (Eph 2,2). Am unerträglichsten ist es für ihn, sich einzugestehen, daß er nicht unabhängig ist, daß sein Verstand und seine Kräfte begrenzt sind. Auf der ganzen Erde macht der Mensch heute eine gewaltige Anstrengung, um sich von jeder andern Autorität als der eignen zu befreien.

“Warum toben die Heiden und murren die Völker so vergeblich? Die Könige der Erde lehnen sich auf, und die Herren halten Rat miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten: Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Stricke!” (Ps 2,1‑3).

Diese Auflehnung verursachte auch das Kreuz. “Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche” (Luk 19,14). Sie richtet sich heute erst recht gegen die Schrift, die um ihrer Autorität willen gehaßt wird. Denn als Wort Gottes ist die Bibel das größte Hindernis auf dem Weg zur vermeintlichen Mündigkeit des Menschen.

2. Wie viele Autoritäten liegen miteinander im Streit?

a) Gott oder der Mensch

Es gibt auf der Welt im Grund nur zwei Religionen: in der einen bietet Gott durch Jesus Christus die Erlösung an, in der andern geht es bei allen Systemen, die auf den Erfindungen des Geschöpfes beruhen, darum, daß der Mensch sich durch eigene Anstrengung retten will. Also stehen sich zwei Autoritäten gegenüber, diejenige Gottes, Christi, und der Bibel  – und diejenige des Menschen.

Nachdem wir schon auf die erste eingegangen sind, wollen wir die zweite noch untersuchen. Es handelt sich im Grund um den Kampf zweier Herrschaftsbereiche. Gott, unser Schöpfer, hat Anrecht auf uns. Um uns frei und glücklich zu machen, will er ungeteilt über unser Herz, unsere Seele und unser Denken herrschen. Der Mensch wehrt sich gegen diesen Anspruch auf allen Gebieten, im Bereich der Religion, der Vernunft, der Wissenschaft, der Sittlichkeit wie in der Politik.

b) Die Autorität der Kirche.

Sie hat die Neigung, unter verschiedenen Formen die Autorität der Schrift zu beseitigen, zu zerstückeln und zu vermindern.

Der Papst wird zum unfehlbaren Haupt der Kirche hienieden erklärt. Die Apokryphen werden dem Kanon beigefügt, um Lehren zu stützen, die sich nicht darin finden.

Die Schrift wird der Autorität der Kirche unterstellt, und diese bestimmt ihre Auslegung. Das Lehramt der Kirche behauptet, sich auf die einstimmige Ansicht der Kirchenväter zu stützen, aber diese Einstimmigkeit gibt es nicht.

Da der Überlieferung, den Entscheiden der Konzilien und den Erklärungen, die der Papst als höchster Lehrer gibt, ebensoviel Gewicht beigemessen wird wie der Schrift, kann diese nach Belieben ergänzt werden. Sie ist in jeder Hinsicht in den 2. Rang versetzt. Die Bibelkritik, die neulich von Rom erlaubt wurde, hat keinen derartigen Einfluß wie bei den Protestanten, denn sie greift die höchste Macht der Kirche nicht an.

Was die orthodoxe Kirche betrifft, die sich selbst als unfehlbar ausgibt, begründet sie ihre Lehre außer auf die Schrift noch auf die sieben ersten Konzilien, die ökumenisch genannt werden (und sich von der Bibel in vielen Punkten entfernen).

e) Die Autorität des religiösen, kritischen Verstandes

Etliche Theologen haben zu ihrer nicht geringen Erleichterung die “Zwangsjacke” der Lehre von der unfehlbaren Bibel abgelegt, um sie durch ihre eignen Überlegungen zu ersetzen. E. Brunner läßt es an der größten Klarheit nicht fehlen: “Einst wurde jede Auseinandersetzung unvermittelt mit dem Satze abgebrochen: Es steht geschrieben!, indem man sich auf die Lehre von der Verbalinspitation berief. Heute könnten wir nicht mehr so vorgehen, selbst wenn wir es wünschten … Es ist unmöglich, nur einfach mit dem Hinweis auf den Bibeltext das Gespräch abzuschließen. Denn in den einfachen Vertretern der christlichen Lehre wie hinter den Worten Jesu und der Apostel ist vor allem die eigentliche Botschaft zu suchen … Die Bibel kann nicht gleichgesetzt werden mit dem Wort Gottes, schon deshalb, weil der Begriff  ‘Gottes Wort’ in sich selbst ein Problem darstellt.”

S. van Mierlo erhellt mit folgenden Worten die Gründe einer solchen Haltung: “Die modernen Theologen lehnen die ‘Autoritätsreligionen’ ab und wollen nicht, daß eine Autorität außerhalb des Menschen ihnen aufgedrängt werde. Aber sie gelangen selber wieder zu einer solchen Religion. Denn wenn die ganze Schrift nicht von Gott eingegeben ist, wenn sie zum großen Teil Urkunden von fragwürdigem Wert enthält, die von unbekannten Verfassern stammen, wie kommt dann der in der Kritik unerfahrene Glaubende zurecht? Woran erkennt er in der Bibel die rein menschlichen Meinungen einiger alter Persönlichkeiten? Es muß also jedermann die Theolo­gen befragen, um zu wissen, welchen Texten man Vertrauen schenken kann und wie man sie lesen soll. Aber da diese Kritiker häufig verschiedene Ansichten vertreten, wird er sich für einen unter ihnen entscheiden müssen. Dieser Auserwählte wird dann seine Autorität werden. Man verwahrt sich gegen die Autorität Gottes, unterwirft sich aber derjenigen eines Menschen” (a.a.O., S. 69). Und was geschieht dann, wenn derjenige, den man zum großen Meister seines Denkens machte, sich weiterentwickelt und dem widerspricht, was er zuvor lehrte, oder ganz einfach, wenn er veraltet und von einem neuen ‘Stern’  abgelöst wird?

Das wäre für die einen noch kein Übelstand. Nach ihnen gehört zum Wesen des Glaubens die Freiheit, welche gefährdet wäre, wollte die Offenbarung als Autorität ihnen fertige Wahrheiten aufdrängen. Die Irrtümer, Widersprüche, Legenden und Mythen sind für sie notwendig, damit man von keiner Stelle sagen könne, sie drücke die Wahrheit aus. Die Methode des Zweifels sichert “das Wagnis des Glaubens”. Dem Leser wird sein “religiöses Gewissen” sagen, was im Texte wahr ist und der Heilige Geist wird ihm zeigen, ob darin für ihn “Wort Gottes” wird (selbst wenn er einen Irrtum oder eine Legendeenthält). Eine solche unkontrollierbare Selbstbezogenheit vermöchte uns keine Gewißheit zu vermitteln. Brauchen wir noch zu sagen, daß die “Methode des Zweifels” uns als das genaue Gegenteil von Glauben erscheint? Sie fordert den Leser dazu auf, allem mit Mißtrauen zu begegnen und zu verwerfen, was ihm mißfällt. . . .

d) Das “innere Licht”

Wir müssen nochmals auf die Gefahr aufmerksam machen, die darin besteht, daß die Wirkung und die Erleuchtung des Heiligen Geistes von der Schrift getrennt werden. Den Quäkern des 17. Jahrhunderts lag vor allem andern am “inneren Licht”, dem Zeugnis des Geistes in der persönlichen Erfahrung. Dies führte die einen dazu, die Tragweite und Vollmacht der Schrift praktisch einzuschränken, während andere erklärten, sie sei überhaupt nicht nötig. Andrerseits waren die Worte eines Bruders, die er in der Versammlung “unter Eingebung” vorbrachte, von der gleichen Bedeutung wie der biblische Text. Wohin dies führen kann, ist leicht zu sehen.

Wir haben in unsern Tagen Leute kennengelernt, welche die gleiche Sprache redeten. Sie vernachlässigten die Schrift, weil ihnen in ihrer Frömmigkeit der Heilige Geist, das Streben nach seinen Gaben, die Verzückung und Weissagung über alles gingen. Wozu sollte man noch an ein Buch aus der Vergangenheit gebunden sein, wenn doch täglich der unfehlbare Zugang zum lebendigen Gott offen war? Aber gerade hier lauert die Gefahr. Ohne die ständige Zucht der geschriebenen Offenbarung wird der einzelne seinen ganz persönlichen Empfindungen ausgeliefert sein. Auch der Glaubende mit den lautersten Absichten fällt leicht irgendeiner Entgleisung zum Opfer, dem übertriebenen Kult der Erleuchtung oder der Schwärmerei. Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß dem Wort Gottes nichts hinzugefügt und nichts von ihm genommen werden darf (5. Mose 4,2; Offb 22,18‑19). Fast alle Ketzereien und Sekten entstanden durch eine vermeintliche Offenbarung oder die neue persönliche Erfahrung des Begründers außerhalb des biblischen Rahmens. Wir müssen einmal mehr wiederholen, daß der Heilige Geist den Glaubenden stets in der Richtung und durch das Mittel des Wortes der Wahrheit, das er eingab, führen, belehren und heiligen wird.

f) Gefahr, die Erleuchtung mit der Inspiration zu verwechseln

Wir sahen weiter oben, als wir von der inneren Erleuchtung sprachen, deren wir zum Verständnis der Bibel bedürfen, daß sie leicht mit der Inspiration verwechselt wird. Nur die biblischen Verfasser, Botschafter des Herrn, waren bei der Niederschrift des Urtextes vor dem Irrtum bewahrt. Als die Synagoge oder die Kirche begannen, den Erklärungen zur Schrift gleiches oder größeres Gewicht als dieser selbst beizumessen, haben sie diese entthront.

Lassen wir Gaussen noch weiter zu Wort kommen in dem, was er über die Juden schreibt: “Sie haben die Rabbiner in den Jahrhunderten, welche der Zerstreuung folgten, mit einer Unfehlbarkeit ausgestattet, welche jenen das Ansehen von Mose und den Propheten gab (wenn nicht noch mehr). Sie glaubten gewiß an eine Art göttlicher Inspiration der Heiligen Schrift; aber es war verboten, ihre Botschaft anders als ihrer Überlieferung gemäß zu erklären (Talmud, Mishna, Gemaras) … Rabbi Isaak sagt: ‘Mein Sohn, lerne, den Worten der Schriftgelehrten mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den Worten des Gesetzes.’ Der Rabbi Eleazar antwortete auf seinem Totenbett den Schülern, die ihn nach dem Weg des Lebens fragten: ‘Lehrt die Kinder, sich von der Bibel abzuwenden, und setzt sie zu Füßen der Weisen.’ Der Rabbi Jakob sagt: ‘Lerne, mein Sohn, daß die Worte der Schriftgelehrten lieblicher sind als die der Propheten’ ” (a.a.O., S. 323‑325).

Die römische Kirche ist, wie wir schon ausführten, in den gleichen Fehler, in die gleiche Verwirrung gefallen. Das unfehlbare Konzil von Trient gebietet, daß man alle Bücher des Alten und Neuen Testamentes ehre (in Anbetracht dessen, daß Gott ihr Urheber ist) und ebenso die Überlieferungen, welche sich auf den Glauben und die Sitten beziehen; diese sind vom Munde Jesu Christi oder vom Heiligen Geist diktiert worden und durch die ständige Sukzession von der katholischen Kirche bewahrt … Wenn jemand diese Bücher nicht völlig annimmt oder vorsätzlich die erwähnten Überlieferungen verachtet, sei er verflucht” (Konzil von Trient, 1. Dekret, Sektion 4). Der Doktor der Kirche, Bellarmin, lehrt: “Die Heilige Schrift enthält nicht alles, was zum Heil nötig ist, und ist nicht hin­reichend … Sie ist dunkel. Es ziemt sich dem Volk nicht, die Heilige Schrift zu lesen. Wir müssen im Glaubensgehorsam viele Dinge annehmen, die nicht in der Schrift sind” (de Verbo Dei, lib. IV; II. cap. 19; IV, cap. 3). Außerdem sind bei Gaussen Auszüge aus Bullen von Klemens VI. (8. Sept. 1713) und von Leo XII. (1824) zu lesen, die das Lesen der Bibel in der Volkssprache ablehnen (a.a.O., S. 325‑330). Leo XII. beklagt sich schmerzlich über die Bibelgesellschaften, welche entgegen der Überlieferung der Väter und des Konzils von Trient die Schrift in den Landessprachen unter alle Völker verbreiteten . . . “Um dieser Pest zu steuern, haben unsre Vorgänger mehrere Verordnungen veröffentlicht, welche beweisen, wie schädlich diese ruchlose Erfindung für den Glauben und die Sitten ist.”

Obgleich solche “unfehlbaren” Texte nie aufgehoben wurden, sind wir glücklich darüber, daß in neuerer Zeit katholische Priester zum Bibellesen aufmuntern. Dennoch bleibt die Gefahr zu allen Zeiten bestehen, die alleinige Vollmacht der Heiligen Schrift anzugreifen und das zu tun, was Jesus seinen Zeitgenossen vorhielt:
“Ihr hebt das Wort Gottes auf zugunsten eurer Überlieferungen” (Math 15, 1‑9).

 

Vl. Ergebnisse der Autorität der Schrift

1. Befreiung

Die vorbehaltlose Rückkehr zur Anerkennung der höchsten Schrift-Autorität war das große Ziel der Reformatoren. Ihr Losungswort ist auch das unsere: nur die Schrift und die ganze Schrift. Diese Wiederentdeckung hat die Glaubenden befreit von allen möglichen Überlagerungen, von Aberglauben und Vernebelungen der vorangegangenen Jahrhunderte. Das war ja gerade, was Jesus denen verheißen hatte, die seine volle Botschaft annahmen: “Wenn ihr in meinem Worte bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger; ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen” (Joh 8,31).

2. Einheit

Andrerseits sichert die Autorität der Schrift die geistliche Einheit unter denen, die sie annehmen. Für die evangelischen Christen gilt immer noch der entscheidende Grund: Es steht geschrieben! Sie sind bereit, gemeinsam die ganze, klare Lehre der Schrift zu bekennen, was nicht wenig bedeutet. Sie können in zweitrangigen Punkten und Fragen der Auslegung verschiedener Meinung sein (Phil 3, 15). Aber sie sind gewiß, daß sie die gleiche Bibel, den gleichen Christus und dieselbe Botschaft in die Welt hinauszutragen haben. Die Christenheit hat aber aufgehört eine einheitliche Front zu bilden, von dem Augenblick an, da in ihrem Schoße die verschiedensten Autoritäten diejenige der Schrift als des unfehlbaren Wortes Gottes verdrängt haben.

3. Vollmacht

Es ist nicht paradox, wenn wir sagen, daß der Glaubende, welcher die Vollmacht der Schrift anerkennt, selber mit einer gewissen Vollmacht ausgerüstet wird. Für ihn ist die Bibel das Schwert des Geistes, unversehrt und geschliffen, das er gegen sich selber wie gegen den Feind gebrauchen kann. Ohne Zögern kann er bezeugen: Es steht geschrieben. So spricht der Herr! Mit Paulus weiß er, daß das, was er verkündet, wirklich Gottes Wort ist (l. Thess 2,13). Nach dem Vorbild seines Meisters, dessen unfehlbare Botschaft er weitergibt, spricht er in beglaubigten Worten. (Mt 7,29). Wenn er sich seiner Schwachheit bewußt wird und zittert, kann er sich hinter das Buch stellen und sagen: “Dieses Wort ist nicht von mir, sondern von Gott.” Mit einem Wort, er ist ein wirksamer Botschafter, denn er spricht, wie wenn Gott durch ihn ermahnte (2. Kor 5,18‑20).

4. Eine freie Wahl

Eines ist klar: der Gott, dem alle Gewalt und alle Herrschaft gehören, zwingt uns nicht, uns ihm zu fügen. Seine Offenbarung blendet uns nicht; sie spricht zu unserm Herzen und setzt eine freie Entscheidung unsres Glaubens voraus (vgl. Apg 17,17). Seine Macht bietet sich uns ohne jeden Zwang an. Jetzt ist die Stunde der göttlichen Gnade und der Geduld. Selig, wer die Sklaverei der Sünde und die widerspenstigen Gedanken aufgibt und die Freiheit wählt, indem er sich Christus und seinem wunderbaren Wort unterwirft: “Gott aber sei gedankt, daß ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun gehorsam geworden von Herzen dem Bild der Lehre, welchem ihr ergeben seid” (Röm 6,17). Paulus fügt weiter hinzu: “Wir zerstören damit Anschläge und alles Hohe, das sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und nehmen alle Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christi” (2. Kor 10‑,5).

Einmal allerdings wird Gottes Geduld ein Ende haben. Die Stunde naht, in der sich jedes Knie vor ihm beugen wird. Diejenigen, die nicht wollten, daß er über sie herrsche, werden ein schreckliches Schicksal haben (Luk 19,14.27). Christus, der gekommen ist, nicht um die Welt zu richten, sondern zu retten, sagt eindeutig: “Wer mich verwirft und mein Wort nicht annimmt, ist schon gerichtet: das Wort, das ich verkündigt habe, das wird ihn eines Tages richten” (Joh 12,48).

 

VII. Schlußbetrachtung

Wir könnten uns noch lange mit unserem Thema, der geschriebenen Offenbarung, beschäftigen, denn wir haben es bei weitem nicht ausgeschöpft. Aber es ist uns Halt geboten, um die Leser nicht zu ermüden und jedem Zeit zu lassen, persönlich über die vernommenen Wahrheiten nachzudenken. Auch hier geht es darum, zu Taten zu schreiten. Der Gott der Liebe, der höchste Meister, der große Richter will sich gerne offenbaren.

An uns ist es, in der Stille zu verharren, in Ehrfurcht jedem Wort aus seinem Mund zu lauschen, zu gehorchen und der Welt diese herrlichen Wahrheiten zu vermitteln.

Sprich, Herr, deine Diener hören!

“Jede Schrift ist von Gott eingegeben” (2. Tim 3,16).

“Wohl dem Manne, der Lust hat am Gesetz des Herrn und über seinem Gesetz nachsinnt Tag und Nacht. Was er macht, das gerät wohl” (Ps 1,1‑3).

“Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz. Du lehrst mich deine Gebote.

“Das Wort, das aus meinem Munde geht … wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen” (Jes 55,11).

 

 

Die Hervorhebungen im gekürzten Text sind von mir. Horst Koch, Herborn, im November 2012

www.horst-koch.de

info@horst-koch.de

 

Das komplette Buch von Dr. R. Pache ist antiquar noch erhältlich. Evtl. auch bei amazon.de

Weitere Artikel von Dr. Pache:

Die Wiederkunft Jesu Christi

Die Engel

Das Jenseits

 

Ergänzende Beiträge zum Thema HEILIGE SCHRIFT.

Erich Sauer – Die Bibel – Das Buch der Heilsgeschichte

Dave Hunt – Die Bibel – Gottes Wort

Hans Rohrbach – Die Jungfrauengeburt

Eta Linnemann – Moderne Theologie

Markus Sigloch – Bibeltreue

Johannes Pflaum – Die Göttlichkeit Jesu

Lothar Gassmann – Die himmlische Herrlichkeit

Thieme – Kirche und Synagoge

Aleksander Radler – Die Reformation

A. Omenzetter – Die Gemeinde der Reformation

Theophil Flügge – Jesus – Sein Leben und Seine Wiederkunft

Alle Beiträge siehe unter: www.horst-koch.de

 




Jesus – Sein Leben (Theophil Flügge)

JESUS – Sein Leben und Sein Wiederkommen

Von Dr. Theophil Flügge, evangelischer Pfarrer

Inhalt

1. Jesus in der Ur-Ewigkeit
2. Jesu Erden-Leben
3. Jesus jetzt im Himmel
4. Jesu Wiederkommen
5. Jüngstes Gericht und Himmelreich

 

Vorwort
Dieses Buch möchte darstellen, was die Bibel über Jesu Erdenleben und über Sein dereinstiges Wiederkommen berichtet. Da die Aussagen über Jesu Wiederkommen in der Bibel weit verstreut und nicht immer leicht verständlich sind, ist der Kampf Jesu gegen den Antichristen, die Entrückung und Jesu Zukunftserscheinung mit möglichster Sorgsamkeit und ausführlich dargestellt worden.

Jedoch auch die spärlichen biblischen Berichte, die bisweilen nur schwer aufzufinden und zu deuten sind, über Jesu Dasein in vorweltlicher Ewigkeit und über Jesu Wirken jetzt im Himmel, sollten in zusammenfassender Ordnung dem Leser vor Augen geführt werden, da in den das Leben Jesu schildernden Büchern fast stets diese Dinge übersehen worden sind. So versucht dieses Buch, ein umfassendes Leben Jesu, von der Urewigkeit her bis zur Vollendung in der kommenden Ewigkeit hin, zu zeichnen, soweit die Bibel uns hierüber Bericht gibt.

Was über diese Dinge die Bibel nur leise andeutend uns aufweist, ist auch hier nur in dieser andeutenden Weise dargestellt worden. Das Bemühen ging dahin, niemals über die Bibel hinaus zu greifen und nichts erraten zu wollen, was uns in der Bibel verborgen bleibt. Aber es sollte tunlichst auch nichts vergessen werden, was die Bibel über Jesum uns zu berichten weiß. Wie unzureichend aber menschliche Kraft das Geheimnis Jesu zu erfassen und Sein wunderbares Bild zu gestalten vermag, habe ich selbst in jedem Kapitel wieder neu gespürt. Dennoch darf ich hoffen, manchem, der Jesu Bild schauen und Seine Erlösungstat verstehen möchte und über Sein Wiederkommen Kunde zu finden begehrt, ein wenig helfen zu dürfen dadurch, daß ich vorlege, was in jahrzehntelangem Bibelstudium sich mir an Zusammenhängen eröffnete.

Doch mußte dieses Buch sich leider in mehrfacher Hinsicht ernstlich beschränken. Jesu Predigt, Seine Seelsorge und Men­schenführung, was ER selbst über Sich, über den Vater Gott und die Menschen gelehrt hat, das alles durfte nicht dargestellt werden, weil der Raum dieses Buches eng gespannt werden mußte. Das Bild, das Propheten und Apostel von Jesu gezeichnet hatten, durfte hier nicht nachgezeichnet werden, und auch die messianischen Weissagungen konnten nicht vorgelegt werden – nur des mangelnden Raumes wegen.

Möchte dieses Buch dazu helfen, daß manche Jünger Jesu ihren Erlöser Jesus tiefer zu verstehen lernen und fröhlicher ihre Häupter erheben im Erwarten Seines nahenden Tages – mit diesem Gebet überreiche ich dieses Jesus-Buch denen, die mit den Aposteln anbetend rufen: Amen, ja komm, Herr Jesu!

Rehfelde bei Berlin

Dr. Theophil Flügge, im Herbst 1956

 

Für den gelehrten Leser

Manche theologisch geschulten Leser werden betroffen sein, wenn sie wahrnehmen, welch schrankenloses Vertrauen hier der Bibel entgegen getragen wird. Es sind zwei Gründe, die mich veranlassen, der Bibel unbedingt zu glauben:

Ich habe keinerlei Ursache gefunden, den hervorragend klugen grundehrlichen und aufrichtigen Aposteln irgendwie zu mißtrauen, als hätten sie Irrtum und Wahrheit bedenkenlos vermengt, oder als seien sie so töricht gewesen, daß sie zwischen Legende und Wirklichkeit nicht hätten unterscheiden können. Jeder moderne bibelkritische Theologe würde empfindlich beleidigt und empört sein, wenn man seiner Ehrlichkeit und Klugheit ebenso mißtrauen würde, wie er einem der klügsten Männer des Altertums, dem Arzt Lukas, mißtraut.

Ernstlicher ist ein zweiter Grund: es wird der Tag kommen – ich weiß nicht wann – da ich vor Gottes Gericht stehen muß. Dann werde ich sagen, daß ich nur ein unnützer Knecht war, der nur auf Gnade hofft, weil ich viel geirrt habe und im Dienst so manchmal mich verfehlte und von vielen Sünden weiß, die ich begangen habe. Aber dieses Eine möchte ich dann Gott dennoch auch sagen dürfen: “so bitter die Sünden und Irrungen mein Leben belasten, – an Deinen Worten, o Gott, habe ich nicht gezweifelt, Deinem Worte habe ich nie mißtraut.“ Denn wie sollte ich einst vor Gott dastehen und auf Jesu vergebende Gnade hoffen dürfen, wenn ich jetzt glauben und lehren würde, Sein heiliges Wort sei nicht so ganz wahr und voller Irrtum! Wir zwar irren viel. Gott betrügt uns in Seinem Worte nicht. Nie will ich meinem Gott mißtrauen, weil ich Sein Gericht fürchte.

Wer nun aber – aus welchen Gründen immer – zu solchem gewissen Bibelglauben nicht bereit ist, den bitte ich, ernstlich zu bedenken, daß es nicht gut tun kann, wenn man vor lauter Bibelkritik nicht mehr sicher weiß, wie Jesu Leben und Sein vorweltliches Dasein und Sein Wiederkommen sich auf Grund der Bibelaussagen darstellen. und wenn junge Männer, die sich zum Predigtdienst zurüsten lassen, moderne kritisch-theologische Theorien über das Leben Jesu genauer kennen als das, was die Bibel uns darüber lehrt. Daß aber in der Bibel Gott zu uns redet und die Bibelschreiber von Gottes Geist getrieben geschrieben haben, bezeugt die Bibel so eindringlich, daß es nicht nötig ist, es hier noch erst nachzuweisen. Auch kritische Theologen werden immerhin gut tun, genau darauf zu sehen, was eigentlich in der Bibel über Jesu Leben und Wiederkommen steht.

 

1. Christus in der Ewigkeit bei Gott

Von Ewigkeit her war Gott – Gott für sich allein. Nichts war außer Gott, keine Welt und kein Wesen. Da hatte an einem Tage, ehe noch die Welt erschaffen war, Gott einen Sohn geboren. “Heute (sprach Gott) habe ICH Dich geboren!” (Ps. 2, 7).

Geboren hatte Gott Seinen einzigen Sohn. Durch das hier im Hebräischen stehende Wort wird (wie es die Eigenart der hebräischen Sprache mit sich bringt) beides: das Gebären der Mutter und das Zeugen des Vaters, bezeichnet. Keine Mutter hatte der Sohn. Selber hatte Gott als Vater Seinen Sohn gezeugt und geboren. Tiefes Geheimnis liegt über dieser Geburt, das wir nicht begreifen, die wir aber glauben dürfen: “niemand kennet den Sohn als nur der Vater” (Matth. 11, 27). “ER ist ein Bild des unsichtbaren Gottes, und vor der ganzen Schöpfung schon geboren” (Kol. 1, 18).

In der Ewigkeit schon war der Sohn geboren. So gab es nie eine Zeit, in der der Sohn nicht gewesen wäre – vor aller Zeit schon, von Ewigkeit her, war der Sohn neben dem Vater: “ER, der aus Urzeit her stammt, aus urewigen Tagen” (Micha 5, 1). “Von Anfang an war ER bei Gott gewesen” (Joh. 1, 2). “Meinen Glanz …, den DU Mir schon gegeben hattest, ehe noch die Welt gegründet war” (Joh. 17, 24).

In wundersamem Lichte, das kein Mensch erforschen oder je auch nur erahnen kann, wohnte voller Seligkeit der Sohn bei dem Vater (1. Tim. 6, 15) und hatte Teil an dem rings um Gott leuchtenden Glanz, von dem die Propheten so genau erzählen. Ganz nahe war der Sohn bei dem Vater, ER saß ganz eng an Gottes Seite (Joh. 1,18) und war bei Ihm (1. Joh. 1, 2) und sah des Vaters Angesicht (Joh. 6, 46). Darum kennt niemand den Vater als nur der Sohn (Matth. 11, 27). Nichts trennte den Sohn von dem Vater, der mit dem Sohn in einem Sinne und Willen eins war (Joh. 10, 30). Aller Reichtum Gottes war des Sohnes Eigen (2. Kor. 8, 9).

Der Sohn war nicht Gott selber, doch in Allem war ER dem Vater gleich an Wesen und Gestalt (Phil. 2, 6).

Nur einmal hatte Gott einen Sohn gezeugt, nie vorher und nie hernach. Die Engel und die Welt hat Gott geschaffen, den Sohn aber hatte Gott schon zuvor geboren. Doch wollte Gott nur diesen einzigen Sohn (Joh. 1, 14).

Nicht von ungefähr war dieser Sohn geboren, sondern Gott wollte dieses Sein eigen Kind, weil Gott in Seinem Herzen den Willen trug, die Welt zu erschaffen (1. Petr. 1, 20). Um einen Sohn zu haben, für den und durch den Gott die ganze Welt mit all ihren Wesen schaffen könne, hatte Gott Ihn geboren (1. Kor. 8, 6; Hebr. 2, 10).

 

2. Christus bei der Schöpfung der Engel

Nun, als der Sohn geboren war, wollte Gott die Welt erschaffen, wie ER es längst in Seinem Sinn geplant hatte. Denn Gott hatte Seinen Sohn erzeugt, damit ER der Erstgeborene der Schöpfung sei (Kol. 1, 15). Darum dürfen wir glauben, daß Gott bereits an die Welt gedacht hatte, als ER dem Sohn das Leben gab (Joh. 1, 4). Aber noch bevor Gott die Welt machte, schuf ER Engel, die Ihm dienen und über die Welt, die jetzt erschaffen werden sollte, herrschen und sie lenken sollten. Als nun soeben diese Engel erschaffen waren und lobend Gott umstanden (Hiob 38,7), führte Gott Seinen einzigen Sohn hin zu den Engeln und forderte von ihnen, daß sie alle den Sohn anbeten sollten (Hebr. 1, 6). Was dann geschah wissen wir nicht. Doch erzählte Jesus Seinen Jüngern, ER habe den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen sehen (Luk.10,18). Und die Propheten wissen davon, daß “vom Himmel ein strahlender Morgenstern gefallen war, der in seinem Herzen sich gesagt hatte: zum Himmel will ich hochsteigen. . . . dem Höchsten stelle ich mich gleich – da mußte er zur Hölle herunter bis in den tiefsten Schlund” (Jes. 14, 12-15).

So hatte also einer der Strahlendsten unter jenen Engeln, die Jesum anbeten sollten, diese Anbetung verweigert. Und so mußte dieser Engelfürst, der jetzt stolz gegen Jesum aufbegehrt und damit gegen den heiligen Gott frech getrotzt und Gottes Gebot frevelhaft übertreten hatte und dadurch zum Satan geworden war, in Höllentiefen hinunterstürzen. (Satan heißt auf deutsch: der Streitbare). Wie der Morgenstern hatte er strahlend geglänzt – nun war er ein Satan geworden und in einen Fürsten der Finsternis verwandelt (Luk. 22, 53).

Und von Hesekiel (28,11-16) erfahren wir, daß dieser Gefallene einer der Cherubim war, voller Glanz und Schönheit. In seinem Sturz wandelte sich der strahlende Cherub in die Schlange, die nun Satan und Teufel heißt (das griechische Wort Teufel, eigentlich Diabolos, heißt auf deutsch: der Verleumder). (Off. 12, 9; 20,2): der Drache, die Schlange, die sich windet und vor Gott flieht, wenn ER naht (Hiob 26,13).

Wir dürfen darum die Bibel so verstehen: als Gott von den Engeln forderte, sie sollten Seinen einzigen Sohn anbeten (Hebr. 1, 6), da verbitterte sich das Herz eines strahlend schönen Cherubs (Hes. 28,16), der es nicht ertragen wollte, daß ein Anderer Gott näher stehen dürfe als er. Darum trotzte er und versuchte den Kampf: hochsteigen wollte er und den Sohn verdrängen und selber sich neben Gott stellen (Jes. 14, 14). Gott aber stieß ihn zurück (Hiob 26, 13). Und der Apostel Petrus erzählt uns, daß dieser strahlende Cherub nicht allein war, sondern mit ihm gemeinsam noch andere Engel “in finstere Tiefen stürzten, weil sie gesündigt hatten” (2. Petr. 2, 4; Jud. 6). Und aus den Worten des Petrus wird deutlich, daß dieses in der Urzeit geschah, ehe noch die Welt geworden war.

Die übrigen Engel aber erkannten in Jesus den Sohn, der Gott gleich an Würde und Hoheit über ihnen stand, und den sie darum ehrfürchtig anbeteten. (Hebr. 1,6).

 

3. Christus bei der Schöpfung der Welt

“In Christus ist alles im Himmel und auf Erden erschaffen worden” (Kol. 1,16). So bezeugen uns die Apostel eindringlich (Joh. 1,3; Hebr. 2,10). Und anbetend bekennen die Apostel von Jesu: “DU hast am Anfang, Herr, die Erde gegründet, und die Himmel sind das Werk Deiner Hände” (Hebr. 1,10). Also ist es  C h r i s t u s  gewesen, der die Erde gründete, wie uns der Geist durch den Apostel bezeugt.

Und so hat es auch Jesus selbst in eigenen Worten, die ER durch den Propheten reden ließ, erzählt. In den Sprüchen Salomos redet uns eine geheimnisvolle namenlose Gestalt an, in der wir unstreitig Jesum erkennen:

“Jehovas Eigen war ICH schon gewesen zu Anbeginn all Seiner Wege, ehe ER noch zu schaffen anhub, noch vor der Urzeit. . . . „ – So war ER also dagewesen, noch bevor Gott die Welt zu erschaffen begann. Und weiter erzählt ER von sich selbst:

“Als Gott die Himmel gründete, war ICH zugegen, . . als ER der Erde Urgründe ausschachtete, da war ICH Ihm zur Seiten als Sein Vertrauter. Vergnüglich spielte ICH vor Ihm Tag um Tag unentwegt. . . .“ – (Sprüche 8, 22-31).

Wer ist es, der da redet? Das zeigt uns ein sonst ganz unbekannter Gottesmann des Alten Bundes, Agur, ein Sohn des Jakäh, in einem seiner Sprüche:

“Wer schritt zum Himmel empor? und kam wieder hernieder? Wer greift mit Seinen geballten Händen den Wind? . . .er hat die unermeßlichen Weiten der Erde hingestellt? Wie heißt ER? und wie heißt Sein Sohn? wenn du es weißt!“  (Sprüche 30, 4).

Die alten Väter kannten noch nicht Jesu Namen. Doch wußte Agur bereits, daß Gott einen Sohn habe, von dem Salomo uns durch den heiligen Geist jene Worte oben in seinem Spruchbuch aufschreibt.

Und hier erfahren wir auch von neuem, was wir schon aus den zuvor genannten Bibelworten wissen, daß Jesus in der Ewigkeit, vor aller Zeit, als Gottes Sohn geboren wurde, und daß ER eingesetzt wurde, um als der Vertraute Gottes bei der Schöpfung der Welt Ihm, Seinem Vater Gott, zu helfen.

Dieses Sein Wirken war unendliche Freude, daß die Bibel es hier als ein vergnügliches Spielen Jesu darstellt.

Wir begreifen dieses Wort Jesu von Seinem vergnüglichen Spiel bei der Erschaffung und Ausgestaltung der Welt, wenn wir überdenken, wie unsere Erde voll ist von unsäglicher Schönheit, die keinerlei Zwecken dient, sondern – wie ganz offensichtlich ist – nur schlicht aus der Freude am Schönen so geworden sein kann: die Farbenschönheit der Blumen und Tierfelle, ebenso wie die Formenschönheit der Gräser, oder die unendliche Mannigfaltigkeit der Tier- und Pflanzen- und Mineral-Welt, und die oft so verwunderlichen Eigenschaften mancher Tiere, die nicht aus Zwecken zu erklären sind, sondern nur aus spielender vergnüglicher Freude des Schöpfers an immer neuen und immer schönerenFormen.

So wissen wir denn nun aus allen diesen Worten, daß Jesus es war, der diese bunte unendliche Vielfalt der Welt und ihre unsägliche Schönheit gestaltete, als ER, als der Vertraute Gottes, Seinem Vater bei der Weltschöpfung zur Seite stand und ihm half.

4. Satan zerstört die Welt

Nun lesen wir auf der ersten Seite der Bibel: “Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde” (1. Mose 1,1). W i e Gott die Welt erschuf, wird uns nicht berichtet. Liest man diese Bibelworte, so erahnt man, daß Gott wortlos schweigend, aus dem Nichts in das leere Nichts hinein, die Welt erschaffen habe.

Wenn wir jetzt aber die Bibelworte weiter lesen, so sind wir erschrocken, wenn uns sogleich in den nun folgenden Worten erzählt wird: “da wurde die Erde schaurig und grausig, lauter Dunkel lag auf der weiten Flut” (Vers 2). Wer hatte denn die Erde so entsetzlich verwandelt, daß sie grauenhaft schaurig wurde? Denn daß Gott selbst zu einem schaurigen Grausen die Welt erschaffen habe, wagt niemand zu denken. Und auch Jesaja beteuert, Gott habe die Welt nicht schaurig geschaffen (Jes. 45,18), sondern über das in den Tiefen lagernde Grausen hat Gott die Erde ausgebreitet, wie Hiob weiß (26,7). So dürfen wir glauben, daß Gott eine schöne gute Welt, zusammen mit Seinem Vertrauten Jesus, erschaffen habe, unter der aber in der Urtiefe das Grauen lagerte – die Welt selbst aber war schön und gut.

Doch dann wurde sie durch irgend eine entsetzliche Katastrophe fürchterlich verwandelt, und versank in grauenhafte dunkle Nacht. Das Licht, in dem Gott wohnt (1.Tim. 6,16), war von der Welt gewichen; lauter Dunkel umschattete die Erde. Jeremia hat es gesehen, wie die lichtfrohe Welt in den dunklen schaurigen Graus verstört wurde durch die Sünde (Jer. 4, 23):

“Ich sah die Erde – schaurig und grausig, und den Himmel ohne Licht!
Ich sah die Gebirge – sie bebten und alle Berge erzitterten.
Ich sah – und seht, da war kein Mensch – und alle Himmels-Vögel waren entflogen.“

Alle diese Worte dürfen uns zu der Vermutung leiten, daß die von Gott so wundervoll erschaffene Welt durch den Satan verstört wurde. Die Bibel sagt dieses jedoch niemals ausdrücklich, so daß wir hierüber keine Gewißheit besitzen. Wer aber sonst sollte so frivol gewesen sein, Gottes Schöpfung zu zerstören, und die von Gottes Händen gestaltete Schönheit in Grausen und Finsternis zu verwandeln? So bleiben wir bei der Vermutung, der Satan habe diese Erde mit seinen fürchterlichen Händen zerschlagen, ehe noch Gott die letzte Vollendung auf diese Erde hatte legen können: denn noch war der Mensch nicht erschaffen.

Über Gottes Werk war des Satans Rache gekommen. Gottes Licht und Schönheit waren von der Erde gewichen.

 

5. Der dreieinige Gott

“Aber Gottes Geist lag schwebend auf den Wassern” (l. Mose 1, 2). Gott war nicht mehr in der Welt. ER hatte sie, die so zerstört worden war, verlassen. Aber über die Welt hin schwebte Gottes heiliger Geist. ER war nicht in der Welt, aber ER war ihr nahe.

Nun lesen wir aber Ps. 33, 6: “durch Jehovas Wort wurden die Himmel gemacht”. Und entsprechend erzählt die Bibel weiter, daß plötzlich in die verlorene Welt hinein eine laute Stimme rief:

Licht soll es werden!
Und Licht wurde es! (l. Mose 1, 3).

Wer ist es, der da rief? Die Bibel sagt, G o t t habe gerufen. Im Evangelium aber lesen wir.- “Am Anfang war das Wort” (Joh. 1, 1). Und dieses Wort, das am Anfang war, war – wie uns der Eingang des Johannes-Evangeliums eindeutig zeigt – Jesus gewesen, der ursprünglich bei Gott gewesen war, hernach aber Mensch wurde (Joh. 1, 1-14). So hatte also Jesus das Licht in die Welt hinein gerufen, wie wir aus dem Evangelium lernen. Gott hatte die zerstörte Welt durch Sein Wort wieder erneuert, so daß sie wieder schön und gut wurde. Dieses Wort Gottes aber ist der leibhaftige Jesus. Darum auch sagt der Prophet des Neuen Testamentes (Off. 19,13): “Man nennt Ihn mit Seinem Namen: Gottes Wort”.

So schauen wir hier den dreieinigen Gott:

Der schweigende Gott im Dunkel schuf die Welt, die aber hernach vom Satan verstört wurde.
Der Geist Gottes war dieser so verstörten Welt nahe und bereitete die neue Schöpfung vor.
Der redende Sohn Gottes rief in die Welt hinein das Licht.

Daß der lichtbringende Gott (Jesus) nicht derselbe ist wie der Schöpfer Gott, erfahren wir auch daraus, daß Gott in einem Lichte wohnt, das uns unzugänglich ist (1. Tim. 6, 16). Für unsere Augen wohnt Gott im Dunkel, ferne unserem Licht: “Gott hat gesagt, ER wolle im Dunkel wohnen” (1. Kön. 8, 12; Ps. 18, 12). Sein Dunkel aber ist das wahre Licht, das unsere Augen nicht begreifen können, und das uns darum wie lauter Dunkel erscheint (Ps. 104, 2). Jesus indessen rief in die vom Satan zerstörte Welt ein Licht hinein, das unseren Augen schön und wonnevoll ist (Pred. 11,7).

Dennoch sagt die Bibel, Gott habe in die Welt hinein gerufen: “Licht soll es werden!” Denn Gottes Sohn ist Gott gleich an Wesen und Würde. Die Propheten, die das Alte Testament schrieben, haben bisweilen noch nicht ganz sorgsam unterscheiden können zwischen dem Vater Gott und dem Sohne Gottes Christus, weil Jesus noch nicht Mensch geworden war (1. Petr. 1, 11). Die Apostel aber bezeugen so eindringlich, daß wir gar nicht zweifeln dürfen: die Welt zwar hat Gott erschaffen; aber durch Jesum ist die Welt so geworden, wie sie jetzt ist (Hebr. 1, 2 und 10; und 2, 10).

 

6. Christus bei der Schöpfung der Menschen

Darum auch sagt Gott: Menschen wollen W i r machen in U n s e r e r Gestalt, nach Unserem Bilde” (l. Mose 1, 26). Niemals nennt Gott sich mit Seinen Engeln zusammen W i r. Sie sind nur Seine Boten, und Gott steht immer vor ihnen als ICH (Hiob 1,8). Auch zu sich selbst sagt Gott niemals W i r. Daß Gott sich als W i r anreden sollte, ist undenkbar und nie in der Bibel zu finden. Nur noch dreimal finden wir dieses göttliche Wir, und zwar nur dann, wenn Gott mit Seinem Sohn im Rate ist, was ER tun wolle mit der in Sünden verlorenen Welt:

1.Mose 3, 22: nach Adams Sündenfall sagt Gott (zu Jesu): “Der Mensch wurde wie einer von Uns” und vertrieb ihn daher vom Lebensbaum.

1. Mose 11, 7: beim Turmbau zu Babel sagt Gott: “Wir wollen hinunter fahren und dort ihre Sprache verwirren.”

Jes. 6, 8: “Wen kann ICH senden, wer will für U n s hingehen?” Und so spricht nun auch hier bei der Schöpfung Gott zu Seinem Sohne: “Menschen wollen Wir machen … nach Unserem Bilde.” – Das soll bedeuten: wie der Sohn des Vaters Ge­stalt an sich trägt, so sollen auch die Mensen gleiche Gestalt tragen wie der Vater Gott und Sein Sohn. Der Sohn ist vom Vater Gott geboren, die Menschen aber sind von Gott nur gemacht; dennoch sollen auch sie Gottes Bild sein, ähnlich wie der Sohn.

Und auch Jesus bezeugt uns, daß der V a t e r G o t t die Menschen gemacht habe (Matth. 19, 4-6). Aber der Vater besprach sich mit dem Sohne, als ER die Menschen erschuf; denn durch unseren Einen Herrn Jesus Christus ist alles gemacht worden, und wir sind durch Ihn (l. Kor. 8, 6). So sind wir Menschen geschaffen von Gott, aber durch Jesum Christum, der als Sein Vertrauter neben dem Vater stand, als der Vater den Menschen das Leben gab.

 

7. Die Sünde und Gottes Schmerz

Auf dieser, zu lauter Schönheit erneuerten und gut gewordenen Erde, wohnten nun die Menschen. Aber wieder lauerte der Satan, wie er gegen Gott und seinen Sohn Jesus Christus ankämpfen könne.

So verführte denn der Satan die Menschen in dem wundervollen Gottesgarten. Er beredete Eva, und durch Eva den Adam, gegen Gottes Worte zu trotzen – so wie er selbst in der Urzeit gegen Gottes Gebot sich empört und Jesu den Gehorsam versagt hatte.

Und das entsetzliche geschah: die Menschen ließen sich hinreißen, auf Satans Geheiß hin Gottes Worte frech zu verachten.

Daß es der Satan gewesen war, der in der Gestalt der Schlange die Mutter aller Menschen, Eva, verführerisch in unheimlicher List zum Ungehorsam verleitete, darf niemand bezweifeln, weil die Bibel es uns ganz unzweideutig lehrt: “der große Drache, die alte Schlange, die Satan und Teufel genannt wird” (Off. 12, 9).

Nun mußte Gott die Menschen aus dem Wonnegarten (hebräisch Eden) vertreiben (1. Mose 3).

Eine unsägliche Wehmut spricht uns aus den Worten der Bibel an:

“Gott rief dem Menschen: wo bist du?

Der antwortete: weil ich Dich im Garten hörte, hatte ich angst – ich bin ja doch nackend – darum versteckte ich mich. Darauf sagte Gott: wer hat dir denn das erklärt, daß du nackt bist?

Hast du etwa von dem Baum, von dem ICH dir befohlen hatte, daß du ja nicht davon essen darfst, doch gegessen?

Der Mensch sagte: die Frau, die DU mir für mich gegeben hast, die hat mir von dem Baum gegeben – da aß ich!

Nun sagte Gott zu der Frau: was hast du da getan?

Die Frau sagte: die Schlange, die hat mich betrogen – da aß ich!”

Erschüttert sieht Gott, was da geschehen ist. Wir spüren den wehen Schmerz aus Gottes Worten, wenn ER erschrocken fragt: “wo bist du? wer hat dir denn das erklärt? hast du etwas … ? was hast du da getan?”

Was soll Gott jetzt tun? ER muß die trotzigen Menschen aus dem Wonnegarten Eden vertreiben, “daß er nur nicht mit seiner Hand jetzt auch noch nach dem Lebensbaume greife und von ihm sich nimmt und ißt – und dann ewig lebt!” (3, 22). Der Mensch, von Gott und Christus mit so viel Hoheit ausgerüstet, mit dem Bilde Gottes auf seiner Gestalt und Stirn, muß von Gott zurück gestoßen werden, damit nicht unermeßliches Unglück geschehe.

Und wieder kann in dieser verzweifelten Not nur einer helfen: Gottes Sohn Jesus. Denn Jesus hatte mit Gott gemeinsam die Menschen erschaffen – Jesus will sie nun auch erlösen.

 

8. Jesus bei den alten Vätern

Wir ergründen Gottes Wege nicht, warum ER viertausend Jahre zögerte, ehe ER Jesum auf die Erde sandte. Wir mögen uns hierüber mancherlei Gedanken machen, die indessen Gottes Weisheit doch nie treffen können.

Doch wenn Jesus auch noch viertausend Jahre wartete, ehe ER als Mensch auf die Erde trat, so war ER verborgen doch schon immer gegenwärtig, wenn das Volk Israel durch seine Sünden in Verzweiflung getrieben auf die Erlösung harrte. Geheimnisvoll war Jesus in dem Felsen, aus dem das Volk Israel in der Wüste getränkt wurde, wie uns der Apostel bezeugt (1. Kor. 10, 4). Und Jesus erzählte, daß ER bereits unerkannt zugegen war, als die Israeliten in der Wüste das Manna aßen (Joh. 6, 32-35). ER, Jesus, war es in Wahrheit gewesen, der das Volk aus Ägypten herausrief und geleitete, wie der heilige Geist uns durch Judas belehrt (Jud. 5): “Jesus hat aus Ägyptenland ein Volk erlöst”. Und Jesu Geist war es gewesen, der den Propheten die Offenbarungen schenkte, die sie dem Volke kündeten, wie uns Petrus bezeugt (1. Petr. 1, 11).

Aber auch in sichtbarer und erkennbarer Gestalt zeigte sich Jesus den Vätern, wie ER selbst erzählt: “Abraham jauchzte, weil er meinen Tag sehen sollte – und er sah ihn und freute sich!” (Joh. 8, 56). Und der Evangelist erklärt uns: “Jesaja sah Jesu Glanz und erzählte von Ihm” (Joh. 12, 41). Nun sagt die Bibel unmißverständlich deutlich, daß kein Mensch Gott sehen könne und so auch niemals jemand Gott gesehen habe (Joh. 1,18; 1. Joh.4, 12). Wenn uns nun aber in der Bibel erzählt wird, Gott habe den Abraham besucht und mit ihm über Sodom gesprochen (1. Mose 18), so dürfen wir also annehmen, daß es nicht der Vater Gott, der Schöpfer der Welt, gewesen sei, der zu Abraham kam, sondern daß es Jesus gewesen sei, der dort Abraham besuchte, ebenso wie es ja auch Jesus gewesen war, der die Israeliten aus Ägypten erlöste, wie wir soeben von dem Apostel Judas hörten.

Und das wird uns noch vollends deutlich, wenn wir Jesum im Gespräch mit Abraham sehen, als er seinen Sohn Isaak zum Opfer auf dem Altar bereit legte. “Da rief ihm Jehovas Bote vom Himmel her: … nun weiß ICH, daß du Gott fürchtest, weil du Mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten hast”‘ (1.Mose 22, 12 und 16). Nun hatte aber Abraham seinen Sohn gewiß nicht einem Engel opfern wollen, sondern nur alleine für Gott wollte er ihn opfern. So war also jener Bote nicht ein gewöhnlicher Engel, sondern er war Gott selbst. Wenn in der Bibel von d e m E i n e n B o t e n geredet wird, so ist nicht ein Engel gemeint, deren Gott viele hat (1.Mose 32, 2) (es müßte doch sonst “ein Bote” und nicht “der Bote” heißen). Dieser eine Bote redet von sich selbst immer, als sei ER Gott selbst – und ER ist auch in Wahrheit göttlichen Wesens, weil ER Gottes Sohn ist. ER ist Jesus, der als Bote schon damals vom Himmel her den Vätern erschien.

Der Hebräerbrief nennt Jesum den Apostel (3, 1) – Apostel aber heißt auf deutsch: Bote.

Doch wußten die Väter das Geheimnis dieses Boten nicht so genau. Sie begriffen wohl, daß in diesem Boten ihnen Gott begegnete in geheimnisvollem Wesen, das sie aber noch nicht verstanden. Als daher dieser Bote zu Manoah und seiner Frau kam, stöhnte Manoah erschrocken: “O gewiß müssen wir nun sterben, weil wir Gott gesehen haben!” (Richter 13,22). Manoah wußte, daß jener Bote von göttlichem Wesen war, daß in Ihm Gott ihnen begegnete. Aber als er diesen Boten nach dessen Namen fragte, antwortete der Bote: “Was fragst du nach Meinem Namen: er ist wundersam!” So wußte also Manoah den Namen des Sohnes Gottes noch nicht, denn noch wollte Jesus nicht erkannt sein – und dennoch hatte Manoah mit Jesus, dem Sohne Gottes, gesprochen und Ihn gesehen.

Jakob begegnet am Jabbok-Fluß einem Manne, der mit ihm kämpft. Dieser Fremde segnet den Jakob nach heißem Kampf. Jakob fragt den Fremden, wie ER heiße. Der aber will Seinen Namen nicht verraten, bezeugt aber dem Jakob, daß er, der Jakob, jetzt eben mit Gott gekämpft habe. Und daher weiß Jakob: “Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen – und meine Seele wurde erlöst” (l. Mose 32, 25-31). Ein Mann göttlichen Wesens, mit geheimnisvollem Namen, der durch heißen Kampf Jakobs Seele erlöst, zu dem Jakob unter Tränen flehte (Hosea 12, 5) – in solcher Gestalt begegnete Jesus dem alten Erzvater, um ihn von seinen bösen Sünden zu reinigen. Dieser Fremde war “ein Mann” (Vers 25) – und doch begegnete Jakob Gott und rang mit Ihm, der aber, weil ER hier schlicht “ein Mann” genannt wird, nicht der allgewaltige Weltenherr und Schöpfer ist, sondern der Sohn Gottes, der göttlichen Wesens, Gott an Ehrwürde und Hoheit gleich, als Mann den alten Vätern begegnete.

Daß jener Bote wirklich Jesus war, zeigt uns noch deutlicher eine kleine Richter-Geschichte (2,1):

“Jehovas Bote … sprach: ICH führte euch aus Ägypten her­auf und brachte euch in dieses Land, und ICH verhieß euch, daß ICH Meinen Bund mit euch in Ewigkeit nicht brechen will.”

So durfte kein Engel sprechen, da niemals Engel mit dem Volke Israel einen Bund geschlossen hatten. Hier spricht Gottes Sohn Jesus, dem der Vater Gott alle Vollmacht über die Welt gegeben hatte. Und hatten wir vorhin von dem Apostel Judas erfahren (Vers 5), daß Jesus es gewesen war, der Israel aus Ägypten befreit hatte, so bezeugt ER es nun hier als der Bote unzweideutig selbst.

Als Mose in der Wüste die Schafe hütete, erschien ihm Jehovas Bote in dem brennenden Busch, um alsdann aber in langer Wechselrede mit Mose zu sprechen als sei ER Gott selbst (2. Mose 3).

Und auch Gideon sah Jesum als den Boten, den Gott ihm sandte (Richter 6, 11-16). Und Gideon lernte, daß dieser Bote Jesus es ist, der das Volk Israel aus seinen entsetzlichen Qualen erlöst dadurch, daß ER selbst dem Gideon die Kraft zum Kampfe verleiht.

Und Jesus ließ sich, wenn ER als dieser Bote zu den Vätern kam, verehren so wie Gott verehrt wird (Richter 13 und 16, 19). Die Engel aber wehren alle Verehrung durch die Menschen ab, weil sie nur Mitknechte, aber nicht selbst göttlichen Wesens sind (Jos. 5, 14; 2. Sam. 24, 16; Dan. 9, 23; Off. 22, 9).

Um jedem Zweifel zu begegnen, sei noch darauf hingewiesen, daß Engel stets, wenn sie ein Gotteswort zu überbringen haben, es einleiten durch den Satz: “So spricht Jehova” (z.B. Sach. 4, 6) und zugleich deutlich machen, daß sie nichts anderes sind als nur eben Engel, nicht aber Gott selbst (Jos. 5, 14), wenn nicht sogar Gott selbst sogleich bezeugt, daß es Sein Engel sei, den ER gesandt habe (Dan. 8, 16).

So sehen wir, daß von den Tagen Abrahams an unentwegt Jesus Christus vom Himmel her in die Geschicke des Volkes Israel eingriff und Sein Volk, die alten Väter, besuchte. Daß ER es war, der sie aus Ägypten herausführte, ER also durch Ägyptens Straßen gewandelt war, als Israels Hausväter die Türpfosten bestrichen mit dem Blut des Passah-Lammes, bevor der Todesengel die Ägypter mordete (2.Mose 12), daß ER sie durch die Wüste hindurchgeleitete, in der Not tränkte, im Hunger speiste und hernach vor den Feinden behütete (Gideon). Die heiligen Väter (Abraham, Manoah, Gideon usw.) begriffen, daß ER zwar göttlichen Wesens war, daß ER aber gleichwohl nicht der Vater und Schöpfer der Welt, dennoch aber von göttlicher Heiligkeit war. Seinen Namen verkündigte Jesus den Vätern noch nicht, die aber doch schon wissen durften, daß Sein Name wundersam ist, und Ihn darum verehrten als den einzigen, Gott an Ehrwürde gleichen, Sohn Gottes.

9. Des Boten Wunder-Walten

Das wunderbare Wirken dieses Boten sah aber deutlicher als alle Anderen der Prophet Sacharja (3, 1-5): “Der Hohepriester Josua stand vor Jehovas Boten und der Satan ihm zur rechten Seiten, um gegen ihn als ein Satan zu streiten. Und Jehova redete zu dem Satan. .. . Und Josua trug ein besudeltes Gewand – so stand er vor dem Boten, der nun zu denen, die vor Ihm standen, sagte: zieht ihm das besudelte Gewand aus! Und zu ihm sagte ER: siehe, deine Schuld habe ICH von dir fortgehoben und dich mit einem edlen Gewande bekleidet … und sie bekleideten ihn mit einem (neuen) Gewand, während Jehovas Bote noch dort stand.”

Hier sehen wir, wie Jesus schon während der Zeiten der alttestamentlichen Väter für die Seinen vor Gott eintritt: vor Gott steht Josua, neben ihm als sein Ankläger der Satan, der den Josua vor Gott beschuldigt – so wie er zu aller Zeit unablässig bei Tag und Nacht die Menschen vor Gott verklagt (Off. 12, 10).

Da stellt Jesus Christus sich neben den Josua – und auch hier heißt Jesus: der Bote. Und Jesus gibt den Engeln Befehl, dem Josua das durch Sündenschuld besudelte Gewand seiner Erden-Pilgerreise auszuziehen und ihn mit einem neuen Gewande der Unschuld zu umkleiden, woraufhin der Satan stille schweigen muß: die Schuld ist durchJesuKraft dem Josua entnommen und vergeben, so daß der Satan keine Anklage mehr gegen Josua vorbringen kann.

So erkennen wir hier ganz wunderbarJesuewiges Amt: ER steht vor Gott und errettet uns aus Gottes Zorn, wenn der Satan durch seine – ohne Zweifel wahren – Beschuldigungen, auf die wir keine Antwort wissen, unsere Sünden vor Gott hinträgt, der durch unsere Sünden in Seiner Heiligkeit furchtbar beleidigt wird. Jesus aber überkleidet uns sodann mit Seinen Gewändern und hebt unsere Schuld von uns fort. Wie Jesus das tut, hat der Prophet hier noch nicht gezeigt. Aber daß Jesus es tut, verkündet der Prophet schon mit voller Glaubens-Gewißheit.

 

10. Jesu Sendung vom Himmel her

Dieser Bote war nicht von Fleisch und Blut, wie wir Menschen es sind, obgleich er in Mannes-Gestalt erschien und einem Manne gleichsah. Dennoch kannte ER keine menschliche Schwachheit. Wollte ER einem Menschen erscheinen, so kam ER unversehens vom Himmel herab und fuhr in einer Feuerflamme wieder zum Himmel empor (Richter 13, 20).

Nun aber wollte Gott, daß Sein Sohn nicht nur gelegentlich hier oder da einem Menschen erscheine, sondern Gott wollte, daß alle Menschen in allen Völkern, so weit die Erde reicht, (und nicht nur in Israel), aus ihrer Sündennot erlöst werden. Darum sollte sein Sohn Jesus nun auf die Erde gehen und als Mensch unter den Menschen wandeln, um ihnen allen ein Heiland und Erlöser zu werden.

Und so geschah es denn, daß der Bote, der Gottes Sohn war, zur Weihnacht eines Weibes Sohn wurde, und einen Menschenleib an sich nahm, ganz ebenso wie auch wir ihn tragen (Gal. 4, 4; Röm. 8, 3; Hebr. 2, 14).

Und niemand, kein Engel und kein Mensch, konnte die Sühne darbringen, um die Sünden der Menschen, durch die sie Gott so furchtbar betrübt hatten, zu sühnen. Und niemand wußte ein Mittel zu finden, um der Menschen besudelte Gewissen zu reinigen und die Schuld aus ihrer Herzenstiefe auszureißen – niemand wußte hierzu das Mittel zu finden, als nur der Eine Sohn Gottes, Jesus, der darum nun sich anschickte, die Welt und der Menschen Sünden zu sühnen und die Kraft der Sünde in ihren Herzen zu brechen.

Dennoch wollte der Vater den Sohn nicht zwingen, sondern aus freiem Herzen wollte der Sohn sich selber in den Tod hingeben. Und weil der Sohn gehorsam war und hinging, darum liebt der Vater den Sohn (Joh. 10, 17). Der Sohn betrachtete Seinen himmlidien Reichtum und Seine gottnahe Würde nicht als einen Raub, den ER fest umklammern müsse (Phil. 2, 6), sondern ER verzichtete auf alles und war bereit, arm zu werden, um uns reich zu machen (2. Kor. 8, 9; Hebr. 2, 8 und 17). So war der Sohn dem Vater gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz (Phil. 2, 8).

In den Jahrhunderten vorher hatte Gott zu den Menschen oft Seine Knechte, die Propheten, gesandt – aber vergebens; die Menschen verhöhnten und mordeten sie. Darum schickte Gott nun zuletzt Seinen einzigen eigenen Sohn – so hat es uns Jesus selbst gesagt (Mark. 12, 6).

Und da nun Jesus immer wieder davon erzählt, daß der Vater Gott Ihn gesandt habe (Joh. 3, 17 und oft), so ist also offenkundig, daß ER nicht durch ein bloßes Ungefähr in die Welt kam – so wie wir von uns selbst nicht wissen, wie und warum und wodurch wir geboren wurden. Wir sind eben da, ohne zu begreifen, warum und woher. Jesus aber wußte, daß ER zuvor bei Gott gewesen war. Und daß ER gesandt war, bedeutet, daß ER, ehe ER geboren wurde, vor Gott im Himmel gestanden hatte und des Vaters Auftrag vernahm und dem Auftrag gehorsam war, daß ER also aus eigenem Willen dem Vater Gott gehorchte, der Ihn nun in die Welt schickte, wo ER als Kind der Jungfrau Maria geboren werden sollte.

Wie Gott der Vater mit Seinem Sohn hierüber gesprochen und mit welchen Worten ER Ihn gesandt hat, das erzählt uns die Bibel niemals. Aber es ist ganz gewiß, daß Vater und Sohn sich besprachen, denn Jesus war dem Vater gehorsam und verließ mit freiem Willen den Himmel auf das Gebot des Vaters hin. . . . ER wollte die Menschen, die der Satan in das Elend der Schuld und des Leides verjagt hatte, erlösen und wieder nach Hause bringen zu Gott (Joh. 10, 16; 14, 3; 17, 24). Denn Gott selber konnte die Menschen nicht erlösen, weil Gott Gott bleiben muß. ER darf und kann nicht sterben.

 

11. Gott bereitet Jesu Geburt vor

Die GeburtJesuhatte Gott sorgsam vorbereitet. Durch Seine Propheten hatte Gott schon seit Urtagen angekündigt, daß der Erlöser in Bethlehem als Sohn einer Jungfrau und zugleich als ein Sohn des David-Hauses geboren werden würde, daß Sein Glanz aber Anfangs über Galiläa aufstrahlen sollte (Micha 5,1, Jes. 7, 14; Jer. 23, 5; Hes. 34, 23; Jes. 8, 23). Gottes Stunde ließ lange auf sich warten, doch eilte die bestimmte Zeit dem Ende zu (Hab. 2, 3). Endlich war die Zeit erfüllt (Gal. 4, 4; Mark. 1, 15), daß nun Gott seinen Sohn senden konnte.

Eine uns sonst ganz unbekannte Jungfrau aus Nazareth, Maria, war von Gott auserwählt worden, Mutter des Kindes zu werden. Sie war verlobt mit einem Manne, der aus dem Hause Davids stammte, der also ein direkter Nachkomme des Königs David war. Daß Maria auch aus Davids Haus stammte, wird in der Bibel niemals gesagt, ist daher durchaus nicht zu vermuten. Vielmehr ist ihr Herkommen uns völlig dunkel. Denn Jesus sollte G o t t e s Sohn sein. So werden die Ahnen der Maria nicht genannt, damit keine menschlich natürliche Abstammung von einem menschlichen Vater oder Großvater dem Heiland der Welt nachgewiesen werden könnte.

Zwar sagt Paulus, Jesus sei Davids Sohn nach dem Fleisch. Manche haben daraus gefolgert, daß also auch Maria aus Davids Hause gestammt haben müsse. Da die Bibel dieses aber nie bezeugt, darf man gewiß annehmen, daß “nach dem Fleisch” auch bedeuten könne, Jesus sei durch Marias nachherige Ehe mit Josef dem Fleische nach mit Josef verwandt gewesen, was gewiß zutrifft. Wer indessen meinen will, Maria sei auch ein Abkömmling Davids, dem wird man es nicht bestreiten wollen und dürfen. Es hängt nicht viel an dieser noch an jener Meinung.

Das un­bekannte Mädchen trägt das Kind, dessen rechter Vater nur allein Gott ist.

Aber dieses Mädchen war verlobt mit Josef, einem Nachkommen des Königs David. Josef trug in seiner Person das Erbe des David und die Ehre des David-Hauses. Dadurch, daß er gleich nach Jesu Geburt die Maria heiratete und vor der Öffentlichkeit den Sohn der Maria als seinen eigenen Sohn anerkannte, übertrug Josef auf Jesum alles Erbe und alle Rechte des David-Hauses. So war also Jesus durch Adoption in das David-Haus hineingenommen. Und diese Adoption war völlig rechtswirksam. Der adoptierte Sohn genoß alle Rechte, die einem natürlichen Sohne zustehen. Und diese Adoption war um so kräftiger wirksam, weil wohl nur ganz wenige Menschen damals etwas davon ahnten, daß Jesus jungfräulich geboren war -vermutlich wußte überhaupt kein Mensch von diesem göttlichen Geheimnis der Maria, außer Josef und Marias Verwandter Elisabeth. Vermutlich erst nach Ostern hat Maria ihr Geheimnis verraten.

So hatte Gott in wunderbarer Weise dafür gesorgt, daß Jesus zugleich das vaterlose Kind eines unbekannten Mädchens und ein Sohn des David war; daß ER gesetzlich zwar Davids Enkel, der Natur nach aber nur Gottes Sohn durch die unbekannte, aber ganz reine Jungfrau war.

Gott bereitete durch seinen Engel Gabriel die Maria sorgsam auf ihren heiligen Beruf vor (Luk. 1, 26), der auf Maria als eine quälend schwere Last ruhen mußte. Denn vor der Welt mußte es nun, da sie schwanger wurde, so aussehen, als sei sie eine uneheliche Mutter, ein in Schande gefallenes Mädchen – denn zwar war sie verlobt, aber doch eben noch nicht verheiratet (Luk. 1, 34). Lieber aber nahm Maria solche Schmach auf sich, als daß sie ihr seliges Geheimnis verraten hätte. Maria schwieg und trug als erster Mensch die Schmach der Nachfolge, die Schmach des Kreuzes derer, die Jesu angehören (Luk. 1, 38).

Auch ihrem Verlobten Josef erzählte sie nichts. Denn dieses Wunder, daß Gott selbst der natürliche Vater ihres Kindes sei, war so unfaßlich, daß es ihr ohne Zweifel kein Mensch, und auch Josef nicht, je geglaubt hätten (Matth. 1, ig). Und so geschah es denn nun auch wirklich, daß Maria erkennen mußte, daß ihr Verlobter sich von ihr abkehrte – und sie konnte sich nicht wehren, konnte mit keinem Wort erklären, was Gott an ihr getan hatte. Darum sandte Gott noch einmal seinen Engel, der nun auch dem Josef das Geheimnis verkündete (Matth. 1, 20). Josef beugte sich dem Willen Gottes. Vor der Welt erkannte er das Kind, das geboren werden Sollte, als sein Kind an (Luk. 3, 23). So teilte er tapferen Sinnes mit seiner Braut Maria die Schmach, als seien sie beide miteinander in Schande gefallen.

Maria und Josef wohnten beide in der Stadt Nazareth, die inmitten der Landschaft Galiläa liegt.

Der Stammsitz der David-Familie war aber auch in jener Zeit immer noch Bethlehem, die Stadt, in der tausend Jahre zuvor der König David geboren worden war. Daher mußte Josef für einige Zeit nach Bethlehem reisen, als ein Gesetz des Kaisers Augustus eine Volkszählung vorschrieb. Denn man möchte vermuten, daß Joseph in Bethlehem geboren war und seine Familie dort Grundbesitz hatte, weshalb er bei der Volkszählung dort in Bethlehem sich zu melden hatte. Und vermutlich war er als Handwerksbursche kurz zuvor wandernd nach Nazareth gekommen, wo er sich mit der Jungfrau Maria verlobt hatte, die dort geboren sein mochte und vielleicht dort ein Anwesen besaß, in das er hinein heiraten konnte. Und nun, da er zur Volkszählung in seine Heimatstadt reisen mußte, nahm er seine Braut, die der Geburt ihres Kindes schon sehr bald entgegen sah, mit sich. So sollte nun das Jesus-Kind in Bethlehem geboren werden.

 

12. Jesu Geburt

Jesu Geburt war in lauter Wunder eingehüllt. Denn da Gott nun alles so sorgsam vorbereitet hatte und Jesus jetzt den Himmel verlassen wollte, um das Kind einer verlobten Jungfrau zu werden, konnte es natürlicherweise den Engeln nicht verborgen bleiben, die darum Jesu Eingang in die Welt mit wachen Augen beobachteten. Denn zuvor geordnet hatte Gott alles durch jenen Engel, den ER zu Maria und Josef sandte – so waren die Engel mit hineingezogen in dieses wundersame Geheimnis ihres hohen Herrn, dem sie anbetend gedient hatten, der jetzt aber so tief sich erniedrigte, daß ER einer unverheirateten Jungfrau Kind wurde.

Daß Jesus den Himmel verließ, um auf die Erde zu gehen, war aber ein so gewaltiges Geschehen, daß nicht nur die Engel im Himmel hiervon bewegt wurden, sondern auch die Natur in eine seltsame Erregung verfiel.

So verwundert es uns nicht, daß die Bibel uns erzählt, wie die Engel zur Geburtsnacht vom Himmel hernieder auf die Erde anbetend “tief sich beugten, um dieses anzuschauen” (1. Petr. 1, 12)1), und Gottes heller Lichtschein das Dunkel der Geburtsnacht durchströmte. Ein Stern leuchtete – vermutlich doch in der Nacht der Geburt – irgendwo in einem fernen östlichen Lande auf, wo gelehrte Männer ihn beobachteten und an diesem Stern erkannten, daß der göttliche König geboren sei.

Und auf den Weiden vor den Toren Bethlehems umleuchtete Gottes lichtheller Glanz mitten in der Nacht etliche Hirten, die bei ihren Herden wachten. Und die Hirten sahen große Engelscharen, die vom Himmel hernieder eilten, um dieses Wunder zu schauen, wie Gottes Sohn, ihr himmlischer König, als Kind der Jungfrau in Bethlehems Stall geboren wird. Und die Hirten hörten den frohlockenden Jubelsang der himmlischen Heerscharen, die Gott ob dieses Wunders rühmten, das ER unter den Menschen in dieser Nacht hier getan hatte. Und Einer unter diesen zahllosen Engeln erzählte sogleich den Hirten von dem Heiland, der jetzt in diesen Augenblicken in die Welt hinein geboren wurde.

Diesen Stern und den strahlenden Lichtglanz sahen nur etliche wenige Menschen. Und nur die Hirten durften mit anschauen, wie die Engel vom Himmel sich hernieder beugten. Doch viel wunderbarer noch war die Natur bewegt, ungesehen von Menschen, die hiervon nichts ahnen konnten. Jedoch die Engel im Himmel sahen erstaunliche wundersame Dinge, wie kein Mensch sie wahrnehmen durfte. Hiervon hat uns Johannes sorgfältige Kunde gegeben:

“Ein großes Zeichen wurde im Himmel gesehen: eine Frau war von der Sonne umkleidet, und der Mond stand unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupte trug sie einen Kranz von zwölf Sternen, und sie ist schwanger – da schreit sie vor peinvoller Qual der Geburt.“ (Off – 12, 1-2).

So erzählt uns Johannes, was die E n g e l in der Geburtsnacht anschauen durften. Von der Qual der Geburt hören wir in den Evangelien nichts – so erfahren wir es denn hier. Von den zwölf Sternen sahen die Weisen nur Einen – den Sonnenglanz spürten die Hirten für eine kleine Weile mitten in der Nacht.

Und weiter erzählt Johannes: “Und ein anders großes Zeichen wurde im Himmel gesehen: man sah einen großen feurig-roten Drachen der stellte sich hin vor die Frau, um ihr Kind, sobald sie es geboren hat, zu verschlingen. Und sie gebar einen Sohn, einen Knaben, der einst alle Völker mit eisernem Stabe weiden soll. Und der große Drache ist die alte Schlange, die auch Satan und Teufel heißt“. (Off. 12, 3-9.)

Den Drachen, der der Satan ist, sahen freilich die Menschen nicht, wenngleich Maria und Josef sehr schnell schon seine entsetzliche Nähe spürten. Zwar sagt uns die Bibel nirgendwo ausdrücklich, daß Jesus in einem Stall geboren sei. Aber von großer Raumenge in der Herberge (womit ein Gasthaus so gut wie die Unterkunft bei Verwandten bezeichnet sein kann) zeugt freilich der Hinweis auf die Krippe, in die Maria ihr Kindlein legen mußte – in einem Raum, der so unscheinbar war, daß ohne Beklemmung die schlichtesten armen Hirten ihn betreten konnten. Und die Krippe läßt freilich vermuten, daß es ein Stall gewesen sei, in dem Jesus geboren wurde und mit Seinen Eltern leben mußte. Kein anderer Raum bot sich dem Jesus-Kinde und Seinen Eltern dar!

Und wohl nur wenige Wochen später drohte ganz entsetzlich die Gefahr, daß der Drache dieses Kindlein verschlingen könnte.

Zuvor jedoch war noch ein ergreifendes Wunder um dieses Kindlein zu schauen.

Denn nicht nur durch diese wunderbaren Natur-Licht-Erscheinungen und nicht nur durch Engel erfuhren die Menschen, welch gewaltiges Ereignis so unscheinbar in jener Nacht der Geburt geschah, sondern schlicht nur durch das Zeugnis des ihnen einwohnenden Heiligen Geistes nahmen etliche Menschen wahr, daß jetzt der Heiland geboren sei: der Greis Simeon und die betagte Witwe Prophetin Hanna wußten genau, wer dieses Kindlein war, als etwa vierzig Tage nach Seiner Geburt die beiden Eltern das Jesus-Kind in den Tempel von Jerusalem trugen – Gottes Geist selbst hatte es ihnen gesagt (Luk. 2, 25-38).

Und schon zuvor, ehe noch Jesus geboren war, als Maria Ihn noch unter ihrem Herzen trug, wußte Marias Verwandte, die greise Priester-Gattin Elisabeth (weil Gottes Geist es ihr bekundet hatte), daß Maria die Mutter dessen werden sollte, der ihrer aller Herr und Erlöser werden würde (Luk. 1, 41, wo das Grundtext-Wort als Verwandte verstanden werden muß).

 

13. Jesu früheste Kindheit

Ein seltsamer Glanz voller Wunder lag über Jesu ersten Kindheitstagen. Jene Hirten, die von Gottes Glanz umleuchtet die Engel gesehen hatten, suchten das Kind und fanden es in der Krippe (Luk. 2, 16). Wenig später reisten jene Gelehrte aus dem fernen Ostland, die den Stern geschaut hatten, in das Land Israel, um das Kind zu finden. Die alten Prophetenworte des Micha wiesen sie hin nach Bethlehem, wo von neuem der Stern ihnen aufleuchtete. Und als dann nach etwa vierzig Tagen die Eltern das Kind in den Tempel trugen, war es wundersam, welche tiefsinnigen heiligen Worte jene zwei Greise, die wir vorhin nannten, Simeon und Hanna, über dieses Kindlein sprachen, derweilen Simeon es in seinen Händen trug.

Hirten, Gelehrte und Greise – armes Volk, und daneben die Hochangesehenen, die Nachbarhirten und ferne Ausländer, kamen zu Besuch, um dieses Kind zu grüßen. Welcher Glanz, welche Hoheit umstrahlten dieses Kind!

Doch auch der Haß verfolgte das Jesuskind von Anbeginn. Fand sein Stiefvater Josef keine brauchbare Herberge für Mutter und Kind, so wurde der Haß noch viel wüster, als König Herodes – von den östlichen Gelehrten ganz harmlos und ohne Arg auf das Jesus-Kind aufmerksam gemacht – dieses Kind zu morden trachtete. Daß dieser Haß seine letzte Ursache hatte in dem Satan, in der alten Schlange des Paradieses, hatte uns schon oben der Evangelist Johannes (Off. 12) gezeigt. So sehen wir hier, daß der Satan Jesum zu morden suchte, noch längst bevor ER Sein irdisches Werk vollenden konnte. Doch Gott selbst behütete das Kind, daß Seine Eltern mit Ihm noch rechtzeitig nach Ägypten entfliehen konnten. (Matth. 2,16).

 

14. Jesu Name

Gottes Engel Gabriel hatte der Maria und dem Josef geboten, des Kindes Namen auf hebräisch Jeschua zu nennen, das heißt auf griechisch Jesus (Luk.1, 31), Und da die Evangelien griechisch geschrieben sind, so finden wir den Namen auch in dieser griechischen Form im Evangelium und nennen unseren Herrn: Jesus. Der Name bedeutet “Gott-Heiland”. So soll uns dieser Name sagen, daß in Jesus Gott unser Heiland geworden sei, “weil ER Sein Volk von ihren Sünden erlösen wird” (Matth. 1, 21).

Es ist (in nur ganz leiser Abwandlung) derselbe Name wie Josua. Josua war der Nachfolger des Mose gewesen, der zwar das Volk Israel in das Land Kanaan hineinführen konnte, es dort aber zur wahren ersehnten Ruhe noch nicht zu bringen vermochte – nun sollte Jesus der wahre rechte Josua sein, der uns in die ewige Ruhe hineinführt, wie der Apostel uns erklärt (Hebr. 4, 8-9).

 

15. Jesu Jugend

Von Ägypten, wohin Jesu Eltern mit ihrem Jesuskind geflohen waren, kehrten sie wieder zurück, und zogen nun nach Nazareth, wo Jesus aufwuchs.

Und wieder zeigte sich, wie Sein Leben vom Geheimnis umwoben war. Denn schon als Kind wußte Jesus um das Absonderliche und Heilige Seines Wesens, wie wir in der Geschichte Seines (vermutlich ersten) Tempelbesuches erfahren (Luk. 2, 41-52). Mit deutlichen Worten bekundete ER, obgleich ER noch ein zwölfjähriger Knabe war, daß ER wohl wußte, daß Gott Sein wahrer Vater sei. Sicherlich hatte Maria Ihm über das Geheimnis Seiner Geburt noch nie erzählt, da Jesus ohne Zweifel hierzu nach mütterlichem Ermessen noch zu jung gewesen sein mußte. Und wir sehen, daß Maria ganz unbefangen zu Jesus über den Vater Josef spricht, als sei er wirklich Jesu Vater, und darum überrascht war, daß Jesus so zuversichtlich G o t t Seinen Vater nannte (Luk. 2, 48). So wußte also Jesus aus sich heraus um Sein wunderbares Geheimnis (wobei uns gleichgültig sein kann, ob ER es auch schon biologisch deutlich damals verstanden hatte).

Und erstaunt waren schon damals die Menschen ob Seiner Einsichten in die göttlichen Dinge (Luk. 2, 47), als ER dort im Tempel inmitten der jüdischen Schriftgelehrten saß, um ihnen zuzuhören, und von ihnen befragt wurde. Gleichwohl blieb Jesus nun nicht etwa im Tempel, um ein israelitischer Bibelgelehrter zu werden – wir nennen sie Schriftgelehrte – so wie Paulus wohl zu etwa der gleichen Zeit ein Student der Bibelwissenschaft dort in Jerusalem wurde. Auch Jesu Vetter mütterlicherseits, der spätere Evangelist Johannes, ist wahrscheinlich einige Jahre später dort in Jerusalem auf die Hohe Theologische Schule gegangen. Und so hätte es nun doch auch sehr nahe gelegen, Jesum, der sich so auffällig klug im Tempel dort als Zwölfjähriger erwies, in diese Laufbahn hineinzulenken. Aber wie Sein ganzes Leben voller Wunder ist, so geschieht auch hier das Erstaunliche: Jesus kehrt mit Seinen Eltern wieder heim und wird ein Handwerker! ER sollte nicht menschliche Weisheit, nicht menschliche Bibelwissenschaft der Israelitischen Theologen (Schriftgelehrten) lernen, sondern ganz und gar nur gelehrt sein aus Gottes Unterweisung durch den Geist, den Gott selbst in Ihn legte. Trotz Seiner die Gelehrten erstaunenden Begabung trieb Ihn keinerlei Ehrgeiz in die akademische Laufbahn. Sondern nach diesem seltsamen Erleben im Jerusalemer Tempel kehrte Jesus wieder nach Nazareth zurück, wo ER das Handwerk eines Zimmermanns erlernte, das auch schon Sein Vater Josef ausübte, so daß Jesus vermutlich bei Josef als Lehrling diente (Mark. 6, 3; Matth. 13, 55).

Daß Jesus gerade dieses Handwerk ausübte, erwies sich später als tiefsinniges Gleichnis Seines wahren Berufes (Joh. 14, 2-3):
“Im Hause Meines Vaters sind viele Wohnungen. Wäre es nicht so, so hätte ICH zu euch gesagt, daß ICH hingehen will, um euch Raum zuzurüsten. Und wenn ICH dorthin gehe, um euch Raum zuzurüsten . . . “

In seiner Jugend baute ER irdische Wohnungen, um dadurch anzuzeigen, daß Sein wahrer Beruf sei, uns himmlische Wohnungen zuzurüsten. In diesem Handwerk stand Jesus offenbar bis etwa zu Seinem dreißigsten Lebensjahr (Luk. 3,23). Derweilen war vermutlich Sein Stiefvater Josef gestorben, da bei den späteren Erwähnungen der Mutter und Geschwister Jesu Sein Stiefvater Josef nie wieder genannt wird.

Maria und Josef hatten noch mehrere Kinder, die mit Jesu als ihrem ältesten Bruder zusammen aufwuchsen. Seine Brüder hießen: Jakobus, Josef, Simon und Judas, deren zwei, der Älteste und der Jüngste, hernach, jedoch erst nach Jesu Auferstehung, auch an Jesum gläubig wurden und jeder einen der Neutestamentlichen Briefe schrieben (Joh. 7, 5). Die Namen Seiner Schwestern, deren mehrere waren, sind uns nicht genannt (Matth. 13, 55).

 

16. Jesu Heimat

Jesus wuchs in einer Gegend auf, die weltverloren ganz abseits zu liegen schien, in der kleinen Stadt Nazareth, die etwa 25 Kilometer westlich vom See Genezareth und nach der anderen Richtung etwa ebenso fern vom Berge Karmel lag, am Nordrand der Ebene Jesreel, etwa 20 Kilometer nördlich von Megiddo. In Wahrheit aber ist diese Gegend die eigentliche Mitte der Welt, wo die beiden Erdteile Afrika und Asien aneinander stoßen, mit dem Blick auf Europa hinüber (Zypern), so daß man diese Gegend auch den Schnittpunkt der drei Erdteile nennen kann. Drei Welten begegnen sich hier, in drei Welten schaut man von hier hinüber. Es liegt fast genau in der Mitte zwischen Europa und Indien, zwischen Amerika und Japan (auf der Landhälfte der Erde), in der Mitte der großen Handels- und Kriegs-Straße des Altertums von Ägypten nach Babylon, und heute unweit der größten und wichtigsten aller Seestraßen, des Suez-Kanals.

Hier, auf dem Berge von Megiddo (hebräisch: Har-Mageddon Off. 16, 16), an dessen Fuß Nazareth liegt, wird einst die Entscheidungsschlacht fallen im letzten Krieg zwischen den zwei letzten großen Weltmächten.

Hier, bei Megiddo, wurden die großen Entscheidungen gefällt für Gott gegen die Götzen in der Debora-Schlacht (Richter 5, 19), und in den Tagen des Elia auf dem Karmel (l. Kön. 18). Hier wurde für immer das Volk Israel als Staatsmacht ver­nichtet, als Josia in Megiddo im Kampfe fiel (2. Kön. 23, 29), woraufhin Jerusalem zerstört und Israel in die babylonische Gefangenschaft geführt wurde.

Mit dem steten Blick auf diese Stätten, wo durch Debora und Elia Israels Glauben gerettet und durch Josias Tod Israels Eigenständigkeit vernichtet wurde, und wo einst der Antichrist zerschlagen werden wird, wuchs Jesus auf – in eben derselben Gegend, da ER einst wiederkommen wird.

Nazareth liegt etwa 110 Kilometer (Luftlinie) von Jerusalem entfernt, der Stadt, in der Jesus starb, von wo aus ER auch zum Himmel wieder empor fuhr. Jerusalem dürfte wohl die älteste der heute noch Bedeutung besitzenden Städte in der ganzen Welt sein. Wir hören von ihr zum ersten Male im Jahre 2100 vor Christi Geburt, als Abraham, von einem Kriegszug heimkehrend, an der Stadt Schalem vorbeiwandernd, dort vor den Toren der Stadt dem König von Schalem, Melchisedek begegnete. Schalem ist ein hebräisches Wort und heißt zu deutsch: Frieden. Bald hernach heißt die Stadt mit vollerem Namen Jeruschalem: die Friedensstadt, oder Jeruschalajim: die Friedens-Doppelstadt.

Die Berge rings um diese Stadt heißen die Morija-Berge. Auf einen dieser Berge hatte Abraham seinen Sohn Isaak zur Opferung geführt – also auf einen der vor der Stadt liegenden Hügel, deren einer (vielleicht derselbe) später Golgatha hieß (1. Mose 22, 2).

Zu diesen Morija-Bergen gehört auch der Zion, auf dem Salomo den Tempel erbaute. Er liegt schon innerhalb der Stadt (2. Chr. 3, 1).

David nennt die Tore dieser Stadt die “ewigen Pforten” (Ps. 24), weil schon tausend Jahre vor David Melchisedek sie durchschritten hatte, um dem Abraham Brot und Wein ent­gegen zu bringen (1. Mose 14), und tausend Jahre später Jesus Christus durch sie hindurchschreiten sollte als König des Himmelreiches unter den Hosiannarufen des Volkes (Matth. 21, 9). Und wieder wird Jesus auf den Zion (der inmitten der Stadt Jerusalem liegt) treten, wenn ER einst wiederkommen wird (Off. 14, 1).

 

17. Jesu Zeit

Jesus wurde geboren etwa im Jahre 4135 nach der Erschaffung Adams. Es wird gut sein, um zu verstehen, wie sehr Jesus die Mitte der Zeit bildet, wenn wir noch einige Zahlen uns vor Augen führen:

Genau in der Mitte zwischen Adam und Jesus steht Abra­ham, der 1948 nach Adam oder 2187 vor Christus geboren ist und 2123 nach Adam oder 2012 vor Christus starb.

Genau in der Mitte zwischen Abraham und Jesus steht David: 3076-3145 nach Adam = 1059-990 vor Christus.

Und zwischen Abraham und David steht wieder genau in der Mitte Mose: 2588-2708 nach Adam oder 1547-1427 vor Christi Geburt. Auszug aus Ägypten: 2668 nach Adam = 1467 vor Christus. Und da Jesus etwa im Jahre 33 starb, war also der Auszug aus Ägypten 1500 Jahre vor Jesu Tod auf Golgatha.

Wir sagen rund:

4000 vor Christus Erschaffung Adams
2000 vor Christus Abraham
1500 vor Christus Mose
1000 vor Christus David.

Es zeigt sich hierinnen, wie erstaunlich Jesus die Mitte der Zeit bildet. Wir heute sind von Jesus Christus zeitlich etwa ebenso weit entfernt wie Abraham es war: er starb 2012 vor Christi Geburt. (Josef wurde geboren 1934 vor Christi Geburt und Jakob starb 1880).

Die Zeit vor Christi Geburt ist durch Abraham in zwei Hälften geteilt:

die ersten zwei Jahrtausende bis zu Abraham sind die Zeit der Völker, die zwei Jahrtausende nach Abraham bis zu Christus sind die Zeit Israels. Und seither sind wieder zwei Jahrtausende dahin gegangen als die Jahrtausende der Kirche Jesu Christi.

2000 Jahre von Adam bis Abraham = die Zeit der Uroffenbarung,
2000 Jahre von Abraham bis Jesus = die Zeit des Alten Bundes zwischen Gott und Israel,
2000 Jahre von Christus bis heute = die Zeit der vollkommenen Offenbarung.

Etwa 2000 Jahre vor Christi Geburt wurde dem Abraham von Gott das Land Kanaan geschenkt.

Etwa 2000 Jahre nach Christi Geburt ziehen nun die Israeliten wieder in ihre Urheimat Kanaan hinein.

Jesus wurde geboren sogleich, nachdem durch Cäsar und seine Nachfolger die germanische und die keltische (romanische) Welt, d.h. Mittel- und Westeuropa) erschlossen wurden und Nordafrika und die zunächst gelegenen Teile Osteuropas und Asiens dem großen Römischen Weltreich sich hatten öffnen müssen, so daß nun das Evangelium ungehindert durch Jesu Boten, die Apostel, allenthalben hingetragen werden konnte in den zwei Sprachen, der griechischen und lateinischen, die die weltbeherrschenden geworden waren.

 

18. Jesu Stammbaum

Da Marias Ehemann Josef einen lückenlosen Stammbaum seiner Familie bis zu David hin besaß, und da die Bibel die Generationenfolge von Adam bis zu David genau dargelegt bat, konnte Lukas in seinem Evangelium (Kap. 3) Jesu Stammbaum von Adam über Abraham und David bis hin zu Josef, Jesu Adoptivvater, aufstellen.

Und da ergibt sich die erstaunliche und seltsame Zahl, daß Jesus der sieben-und-siebzigste seit Adam war. Das bedeutet, daß 77 Generationen dahingegangen waren, bis Jesus kam – ER selbst in der siebenundsiebzigsten stehend.

 

19. Jesu Taufe

Viele Jahre hatte Jesu s als schlichter Zimmermann in Nazareth gearbeitet. Da geschah es, als Jesu s etwa 30 Jahre alt war, daß Sein Vetter Johannes, der Sohn des Priesters Zacharias, in mächtiger Kraft am Jordan predigte, so daß das Volk in Scharen zu ihm strömte und sich taufen ließ.

Die Predigt des Johannes gipfelte in der Verkündigung, daß ein Stärkerer, als er selbst es sei, nun bald kommen und mit heiligem Geist und Feuer taufen werde. Johannes konnte damals noch nicht wissen, daß dieser Stärkere, Kommende sein Vetter Jesus sei. Jedoch als nun auch Jesus zu ihm kam, um sich taufen zu lassen, überfiel den Johannes eine plötzliche Ahnung, dieser sein Vetter, der ihm fast gleichaltrig war (Jesus war sechs Monate jünger, Luk. 1, 26), sei ihm weit überlegen. Darum wollte Johannes Jesum nicht taufen, sondern sich lieber selbst von Ihm taufen lassen. Zwar wußte Johannes in diesen Augenblicken noch nicht, daß Jesus Gottes wahrer Sohn sei. Aber um Jesus wehte so spürbar der Odem Gottes, daß Johannes erschrak. Weil Jesus es aber forderte, taufte Johannes Ihn gleichwohl (Matth. 3, 14).

Da, als Jesus soeben sich von Johannes im Jordan hatte taufen lassen, erlebten sie beide, Jesus und Johannes, ein den Johannes tief erregendes Geschehen: die Himmel öffneten sich, Gottes Geist kam sichtbar, wie die Taube behutsam gleitend schwebt, vom Himmel hernieder auf Jesum und blieb auf Ihm. Johannes hatte vorher von diesem Geheimnis Jesu nichts geahnt (Joh. 1, 32-33) – jetzt wußte er: Jesus ist Gottes Sohn. Denn vom Himmel hörten sie beide, Jesus und Johannes, wie Gott selbst über Jesu bezeugte: “Dieser ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich Meine Freude habe” (Matth. 3, 17). Die anderen Menschen, die zufällig dabei gestanden haben mochten, sahen und hörten nichts. Johannes aber zweifelte keinen Augenblick, sondern wußte jetzt: J e s u s  ist der Starke, der Erlöser der Welt.

 

20. Jesu Versuchung

Jesus aber ging sogleich nach der Taufe in die Einsamkeit, in eine wüste Gegend. Dort war ER allein. Gottes Geist hatte Ihn dorthin geführt.

In dieser Einsamkeit sollte ER nun überdenken, was ER soeben in der Taufe erfahren hatte.

Denn nun wußte Jesus ganz gewiß durch des Vaters Wort, daß ER Gottes Sohn sei, an dem der Vater sich freut. Und Jesus kannte genug die Propheten und Psalmen, um nun im betenden Nachdenken während der langen sechs Wochen, die ER in der Wüste blieb, zu ergründen, wie notvoll, vom Haß des Satans und vieler falscher Priester stets umringt, Sein Weg auf Erden sein werde. Noch war es zwar nicht ausgesprochen, aber Jesu s wußte es dennoch aus der Bibel des Alten Testamentes, daß des Gottessohnes Weg ein Sterbensweg sein müsse.

Da greift in diese forschenden und grübelnden Gedanken über Sein Wesen, über Gottes Willen und Seinen eigenen Weg, der Satan ein. Jesus suchte im Gebet des Vaters Willen zu erfahren.

Satan aber versuchte, durch gedankliche Verführung Jesum von seinem Wege, wie Gott ihn Ihm vorzeichnete, abzubringen.

Hatte der Satan es dreißig Jahre zuvor nicht vermocht, Jesum durch Herodes zu töten, so versuchte nun der Satan auf eine andere Weise, Jesum daran zu hindern, der Erlöser der Welt zu werden. Soeben hatte bei der Taufe Gott über Jesum bezeugt, ER sei Sein geliebter Sohn. Muß denn nun Gottes geliebter Sohn einen Weg unsäglicher Einsamkeit, quälender Not und grausamen Sterbens durchwandern? Solche Fragen versucht der Satan, Jesu in das Herz hinein zu senken. Muß Jesus jetzt hier in der Wüste hungern? Freilich mußte ER es, weil nichts zu essen da war und ER doch nun Mensch geworden war. Und ein Mensch muß ohne Nahrung hungern. So muß also auch Jesus hungern. Aber muß ER wirklich? Satan versucht, Jesum zu bewegen, den Leidensweg, der heute voller Hunger, bald aber voller Angst und Qualen vor Ihm liegen werde, nicht zu betreten. Jesus ist – so möchte der Teufel Ihn erinnern – Gottes Sohn. Darum mahnt Ihn jetzt der Satan, ER solle Sein Recht als Gottes Sohn wahrnehmen und die verzweifelte Menschheit in ihren Sünden sich selbst überlassen und viel lieber als Gottes starker Sohn hoheitsvoll mächtig über die Erde hinschreiten. Denn als Gottes Sohn habe ER Anspruch auf einen freudenreichen Weg erhabener Macht über diese Erde – warum will ER denn hierauf verzichten und den grausamen Leidensweg gehen? Steine sollen unter Seinen Händen Brot werden, die Lüfte sollen Ihn tragen als den Göttlichen, erhaben vor aller Augen.

Aber Jesu s weist zweimal den Satan zurück Statt der Freuden, die der Satan vor Seinen Augen ausbreitet, und die ER leicht hätte ergreifen können (Hebr. 12, 2), wählte ER den Weg des Kreuzes, um uns Menschen zu erlösen. So wurde ER Gott gehorsam (Hebr. 2, 10; Phil. 2, 8) und nahm die furchtbarste Seelenqual und Leibesnot (den Kreuzestod) auf sich (Hebr. 5, 7). Wenngleich ER in diesen Tagen noch nicht alle Schrecken wußte, die Seiner warteten – wenige Tage später schon mußte Jesus es lernen.

Die Versuchungsworte des Teufels zeigen uns unzweideutig, daß Jesu s jetzt noch einmal die Wahl hatte – so wie einst im Himmel, als Gott Ihn auf die Erde senden wollte und Jesu s erwog, ob ER gehen solle. Noch konnte jetzt Jesus Nein sagen und den Kreuzesweg verlassen und zu Gott zurückkehren, ohne Sein Werk vollendet zu haben. Aber “von Mir selbst aus gebe ICH Meine Seele hin” (Joh. 10, 18) – Jesus blieb des Vaters Gebot gehorsam.

Und noch ein drittes mal versuchte Ihn der Satan: wenn denn Jesu s nicht Seine hohe göttliche Würde wahrnehmen, sondern die Menschen erlösen will, so kann ER die Menschen doch auch auf andere Weise erlösen – es muß nicht durch das Kreuz sein. Satan zeigt Jesu, daß ER ein Menschheits-Beglüd<er werden kann auf viel leichterem Wege als durch das bittere Leiden. Satan möchte jetzt Jesum verlocken: des Vaters, Gottes, Gebot ist so entsetzlich schwer: sterben als ein Verfluchter! (Gal. 3, 13), – wie, wenn jetzt Jesus dem Vater Gott trotzte, wo Gott so grausam Jesum schlagen und verlassen wird! Möchte nicht Jesus mit dem Satan sich verbünden gegen Gott? Satan ist zwar aus dem Himmel gefallen – aber die Erde ist sein! Und wenn jetzt Jesus mit dem Satan gemeinsam gegen Gott stehen will, will zum Lohn dafür Satan Ihm die Erde und die ganze Menschheit schenken. Und Jesus soll die Menschen lenken, beglücken und beschenken, ganz wie ER will – aber mit dem Satan gemeinsam! Jesus braucht dann nicht zu sterben – aber freilich wird ER dann auch nie die Menschen zu Gott heimführen und nie sie aus ihren Sünden erlösen!

Jesus weist auch dieses dritte mal den Satan zurück: zu der entsetzlichen Revolution des Satan gegen Gott will ER sich ganz gewiß nicht schlagen. So geht ER den Gehorsamsweg und betet Gott an – und läßt sich von Gott senden auf den Weg des Leidens – für uns!

Sechs Wochen lang – vierzig Tage – hatte der Satan Jesum versucht. Diese Versuchungen mußte Jesus auf sich nehmen, um in allem uns gleich zu werden (Hebr. 2, 17), damit Seine Sündlosigkeit nicht nur schlicht in Seiner göttlichen Natur beruhe, sondern erprobt und ein echter Sieg über den Satan sei. Denn Jesus sollte in demselben Kampf gegen die Sünde sich bewähren, den auch wir unentwegt durchkämpfen müssen und in dem wir gar zu oft unterliegen – ER aber sollte in diesem Kampf Seine Sündlosigkeit beweisen, so daß niemand Ihm eine Sünde würde nachweisen können (Joh. 8, 46).

 

21. Jesus lernt Sein eigen Wesen erkennen

Als Jesus noch im Himmel gewesen war und Gott Ihn dort fragte, ob ER auf die Erde hernieder gehen wolle, um die Menschen zu erlösen, hatte ER mit freiem vollbewußten Willen den Himmel verlassen und war Mensch geworden. Aber Mensch wurde ER ganz ebenso, wie auch wir es wurden: als kleines seiner selbst unbewußtes Kindlein, das anfangs nichts ü b e r sich selbst und nichts a u s sich selbst heraus weiß. Unwissend einfältig wie jedes andere Kind auf Erden war auch das Kind Jesus gewesen.

Als Zwölfjähriger, da ER zum erstenmal die wundervolle von lauter Gebet und Psalmenliedern und heiligen Gotteswarten getragene Passahfeier im Jerusalemer Tempel erlebte, wurde Ihm bewußt, daß Gott Sein wahrer rechter Vater sei. Zum ersten Male wußte ER, wenngleich auch nur ganz wenige, so doch aber leise andeutende Gedanken und Worte über Sein wahres Wesen zu finden.

Wir dürfen vermuten, daß hernach Maria Ihm über das Wunder Seiner Geburt das Nötige erzählt habe. Obgleich ER als Handwerker still und unauffällig Seine Arbeit tat, war ER doch in allem ganz anders als die anderen jungen Männer. Schon äußerlich: ER heiratete nicht und suchte keine Frauen­liebe. Noch mehr innerlich: frei von Sünden, rein, ohne die Last der Schuld, schritt ER Seinen Lebensweg dahin. Welche Erkenntnis über Sein wahres Wesen allgemach in Ihm reifte, wenn ER im Gebet Gott suchte und die Propheten, Mose und die Psalmen las, erfahren wir nicht. Wie ER vom Säugling zum Kind, vom Kind zum Jüngling und Mann langsam – wie irgend ein anderer Mann auch – erwuchs, so wuchs in Ihm allgemach – ganz anders als bei anderen Männern – Erkenntnis und Wissen.

Doch beruht all unser Wissen auf Erfahrung oder Unterricht. Und da Jesus Mensch war, konnte es bei Ihm auch nicht anders sein. Daher gab Ihm Gott in der Taufe durch das vom Himmel herab gerufene Wort, daß ER Gottes Sohn sei, den Unterricht. Und der Geist, der sichtbarlich wie eine Taube vom Himmel auf Ihn hernieder schwebte und auf Ihm blieb, schenkte Ihm die Erfahrung. Von Stund an wußte Jesus ganz gewiß aus Erfahrung und göttlichem Unterricht, wer ER sei. ER erkannte das Geheimnis Seines Wesens: daß ER Gottes wahrhaftiger Sohn und Gottes ganze Freude war.

Als ER sodann gleich nach der Taufe in die Wüste hinein wanderte, mußte Jesu grimmigster und wütender Feind, der Satan, durch Seine frivolen frechen Worte Jesu Erkenntnis Seines eigenen Wesens nur noch mehr befestigen und vertiefen: daß ER als Gottes wahrhaftiger Sohn ein absoluter Herr über die Natur sei, der Steine verwandeln und durch die Lüfte entschweben könnte, wenn ER Seiner Aufgabe entrinnen wollte.

Nun wanderte Jesus nach den sechs Wochen der Versuchung wieder zurück an den Jordan. Wieder sucht ER den Täufer Johannes auf, der jetzt unversehens und überrascht Jesum vor sich stehen sieht und in prophetischem Geiste mit seinem Finger deutlich auf Jesum hinweist und dem umstehenden Volke laut zuruft: “Sehet das Lamm Gottes! ER trägt die Sünde der Welt!” (Joh. 1, 29).

Nun war es ganz deutlich ausgesprochen – was der greise Simeon einst leise nur angedeutet hatte: daß Jesus Der sei, von dem Jesaja geweissagt hatte: Gottes Sünden-Opferlamm, der des Volkes Sünden tragen und durchbohrt sterben müsse, wie ein geschlachtetes Lamm (Jes. 53). In diesen Augenblicken lernte Jesus aus den prophetischen Worten des Johannes, daß ER als Gottes Passah-Opferlamm Seinen Weg über die Erde hinschreiten müsse.

Gott hatte Ihn in der Taufe Seinen geliebten Sohn genannt. Nun muß Jesus lernen, daß Gottes Sohn – ER selbst – Gottes Opferlamm sein müsse – von Gott geliebt, von den Menschen erwürgt: das war Sein Weg, den ER jetzt klar vor Augen liegen sah und nun beschreiten sollte.

Und noch wieder einige Zeit später besuchten Ihn vom Himmel her Mose und Elia, die Ihm bis ins Einzelne genau, darlegten, in welcher Weise ER in Jerusalem werde sterben, müssen (Luk. 9, 31).

So lernte Jesus Schritt um Schritt das Geheimnis Seines eigenen Wesens immer tiefer verstehen. Daher begreifen wir, daß ER in Seinen Worten zum Ende Seines Lebens hin immer deutlicher von Seinem Leiden, aber auch von der erhabenen Würde Seines Wesens redete, und von dem Opferwert Seines Sterbens am Kreuz und Seines Blutes.

Und wenn wir Jesu eigene Worte recht verstehen, so wuchs auch zugleich in Ihm mehr und mehr die Erinnerung an Sein Dasein, das ER zuvor droben in der Ewigkeit bei Gott einst zu Eigen gehabt hatte (Joh. 17, 24). Wie tief und deutlich diese Erinnerung in Ihm lebendig war, können wir indessen nicht wissen. Und wir dürfen nicht vergessen, daß ER ganz und gar Mensch geworden war: “ER entblößte sich (von Seiner göttlichen Würde) und nahm die Gestalt eines Knechtes auf sich. Vollends ähnlich wurde ER den Menschen, und in Seinem Wesen fand es sich, daß ER einem Menschen gleich war” (Phil. 2, 7). Dennoch wußte ER aus Seiner Erinnerung hier und da mancherlei Dinge aus der Ewigkeit zu erzählen (Luk. 10, 18; Joh. 3, 12-13 und 8, 38). Und ganz deutlich war Ihm bewußt, daß Gott Ihn vom Himmel her gesandt hatte und welcher Glanz Ihn einst umflossen hatte, als ER noch droben, im Himmel an Gottes Seite geweilt hatte (Joh. 17, 4. 24).

 

22. Jesu erste Jünger

Aus der Jünger-Schar, die Johannes den Täufer umgab, hatten zwei Jünglinge die Worte des Täufers über Gottes Lamm verstanden, und waren sogleich zu Jesu hingegangen, um nun Seine Jünger zu werden.

Der erste war Jesu anderer Vetter: Johannes (seine und Jesu Mutter waren Schwestern). Er war vermutlich etwas jünger als Jesus. Er gehörte dem Priesteradel an. Doch war seine Familie in Kapernaum ansässig und besaß dort ein Fischerei-Gewerbe. Von Zeit zu Zeit jedoch durfte Johannes in Jerusalem Priesterdienst tun und hatte wahrscheinlich dort die Hohe Schule der Rabbinen und Hohenpriester besucht. jetzt aber legte er den Priester-Adel ab, um Jesu Jünger zu werden. Später schrieb er eines der vier Evangelien und die Offenbarung.

Andreas, der andere der beiden Johannes-Jünger, brachte gleich hernach seinen leiblichen Bruder Simon mit, dem Jesus den Zunamen Petrus gab.

Und zu diesen Dreien kamen noch am selben und am nächsten Tage zwei weitere Jünglinge hinzu: Philippus und Nathanael (der vermutlich den Zunamen Bartholomäus trug) (Joh. 1, 35-51).

Mit diesen fünf Männern wanderte nun Jesus hinein in das Land, zu den Menschen, deren Heiland und Sündenversühner ER jetzt werden sollte.

 

23. Jesu große Rundreise

Und weil Jesus in der Galiläischen Stadt Kana zu einer Hochzeit geladen war, wanderte ER sogleich vom Jordan aus mit seinen fünf Jüngern dorthin, und nach wenigen Tagen dann weiter nach Kapernaum. Man möchte vermuten, daß ER schon damals floh. 2, 12) für seine Mutter und sich ein Haus dort in Kapernaum erwarb oder baute. Ohne sich aber dort länger aufzuhalten, reiste ER weiter zum Passahfest nach Jerusalem (das jüdische Ostern), wo ER zum ersten Male öffentlich vor dem Volke sich in wuchtiger Kraft als den göttlichen Herrn erwies und zugleich durch Seine Worte Seine himmlische Würde offenbarte: ER vertrieb aus dem Tempel die Taubenhändler, und mit einer Strickgeißel Kühe und Schafe, und verschüttete den Geldwechslern die Gelder (Joh. 2, 13-16). Sonst aber wirkte er nur im Verborgenen, tat nur wenige aber erstaunliche Wunder, aber auch die mehr verborgen als sichtbar (in Kana hatten die wenigsten Leute nur begriffen, daß Jesus es war, der sie mit so köstlichem Wein beschenkt hatte, Joh. 2,9), erregte aber schon jetzt durch Sein mutiges Auftreten und wuchtige Tatkraft im Tempel und durch die verborgenen Wunderzeichen die Aufmerksamkeit der Gelehrten (Nikodemus Joh. 3, 2). jedoch wanderte ER sogleich nach dem Passahfest wieder von Jerusalem fort an den Jordan, wo ER öffentlich predigte. Doch erfahren wir kein einziges Wort Seiner dortigen Predigten und Gespräche. Seine Jünger tauften jene, die sich auf Jesu Predigt hin bekehrten (Joh. 3, 22 und 4, 2).

Inzwischen wurde Johannes der Täufer verhaftet. Und Jesus spürte, daß ihm gleiche Gefahr drohte. Auch verfolgten ihn die Pharisäer aus Jerusalem mit ihrer Eifersucht, so daß fesus die judäische Provinz verließ und wieder nach Galiläa reiste (Joh. 4, 1-3; Luk. 3, 20; Matth. 4, 12). Diese Reise führte ihn durch Samaria, wo Jesus indessen nicht lange verweilte. Nur von einem einzigen Gespräch hören wir, das ER in Samaria mit einer mannstollen Frau führte (Joh. 4).

 

23. Jesu Haus in Kapernaum

Matth. 4, 13. Vergleiche Math. 9, 1 mit Mark. 2, 1, wo es sich offensichtlich um Sein eigenes Haus handelt (“ER ist zu Hause”), und ebenso Mark. 3, 20 und 7, 17 und 9, 28.

Durch Galiläa wanderte Jesus mit seinen fünf Jüngern hin und her, wobei er auch nach Nazareth kam, wo Ihn aber die Leute, die Ihn seit Seiner frühen Jugend kannten, schroff ablehnten und zu morden suchten. So wanderte Jesus sogleich wieder weiter und kam nun nach Kapernaum, wo ER forthin wohnte – mit seiner Mutter im eigenen Hause (Matth. 4, 13; Mark. 1, 14; Luk. 1, 16).

 

24. Jesus in Kapernaum

In Kapernaum blieb Jesus längere Zeit – es mögen etwa anderthalb Jahre gewesen sein. Hier wurde nun Sein Haus der Mittelpunkt des geistlichen Lebens der Stadt. Ging Jesus am Sabbat in die israelitisch-gottesdienstliche Versammlung, um dort zu predigen, so überlagerten am Nachmittag und Abend die Menschen in Scharen Sein Haus (Mark. 1, 21-34). Sie umstanden Sein Haus so dichtgedrängt, daß es an einem Tage geschehen konnte, daß vier beherzte Männer sich nicht scheuten, des Hauses Ziegel abzudecken, um einen Kranken vom Dach aus in die Stube hinunter zu senken vor Jesu Füße (Luk. 5,18).

Von Kapernaum aus wanderte Jesus hin und her in die umliegenden Dörfer. Einmal fuhr ER auch hinüber auf die andere See-Seite nach Gadara (Mark. 5), wo ER sich indessen nicht verwellte, weil die Leute Ihn brüsk ablehnten und Ihn dringend baten, sogleich wieder fort zu reisen.

Bei diesen Wanderungen strömten die Volksscharen Ihm zu, denen ER auf einem Berge oder irgendwo im Felde oder am See-Ufer Seine langen Predigten hielt (Matth. 5-7; Matth. 13; Luk. 6). Und viele Kranke wurden durch seine Hilfe gesund.

Zu einem kurzen, das Volk aber heftig aufregenden Besuch wanderte Jesus zwischendrin – vermutlich ohne Seine Jünger – nach Jerusalem (nur Johannes wird bei Ihm gewesen sein, der deshalb als Einziger der Evangelisten von dieser Reise berichtet, Joh. 5). Doch reiste Jesus von dort sogleich wieder nach Kapernaum zurück

 

25. Die zwölf Jünger

Zu seinen fünf ersten Jüngern fanden sich bald weitere sieben Männer hinzu, die nun auch seine Jünger wurden:

6. Jakobus. Er war ein Bruder des ersten Jüngers Jesu, des Johannes. So war er also auch ein Vetter Jesu und wurde später der erste Märtyrer unter den zwölf Aposteln (Apg. 12, 1).

7. Der spätere Indien-Missionar Thomas, der den Beinamen Zwilling trug.

8. Der kleine Jakobus. Er war ein Sohn des Emmaus-Jüngers Kleophas und der Maria, die unter Jesu Kreuz gestanden hatte (die “andere Maria”, Matth. 27, 61, die weder mit Maria Magdalena noch mit Jesu Mutter Maria verwechselt werden darf). Um ihn von Jesu Vetter Jakobus und von Jesu leiblichem Bruder Jakobus zu unterscheiden, nannte man ihn den kleinen Jakobus. Wir erfahren sonst nichts über ihn.

9. Levi = Matthäus, der frühere Zöllner, der hernach das erste Evangelium geschrieben hat, das von einem hervorragenden Gedächtnis, aber auch von gründlicher Bildung und Verstandes-Klugheit zeugt, die er aus seinem früheren Beruf oder Erziehung mitgebracht haben mochte.

10. Judas, der den Beinamen Thaddäus trug. (Wir sehen, daß diese Beinamen gehandhabt wurden, um die einzelnen Männer gleichen Namens von einander zu unterscheiden). Johannes nennt ihn: Judas, nicht der Ischarioth. Wir wissen sonst nichts weiter über ihn. Sein Vater hieß Jakobus.

Kapitel 25. Thomas: Eusebius berichtet nur von Parthien, das aber bis an den Indus reichte. Spätere berichten von Indien.

Levi-Matthäus’ Vater hieß auch Alphäus Mark. 2, 14, woraus manche erschlossen, er sei ein Bruder des kleinen Jakobus, und Thomas (so meinten manche Bibelerklärer weiterhin, weil er der Zwilling heißt und stets neben Levi steht) sei ebenfalls des Matthäus Bruder, so daß sie alle drei miteinander Brüder wären. Das ist aber unwahrscheinlich Matthäus’ Vater wird ein anderer Alphäus gewesen sein.

11. Simon der Kananäer, mit dem Beinamen: der Zelot, das heißt: der Eiferer (Luk. 6, 15). Aus diesem Beinamen möchten wir vermuten, daß er zuvor, ehe er zu Jesu fand, zur jüdischen radikal-politischen Zeloten-Partei gehört hatte.

12. Judas Ischarioth, der hernach Jesum verriet.

 

26. Die Predigtreise der Jünger

Zum Ende der Predigtzeit von Kapernaum sandte Jesus Seine zwölf Jünger aus, je zwei und zwei, um das Evangelium auch dorthin zu tragen, wo ER selbst nicht hatte hinwandern können (Matth. 10; Mark. 6, 7).

In diesen selben Tagen ließ König Herodes den schon seit Monaten im Gefängnis liegenden Johannes den Täufer enthaupten (Matth. 14). Als Jesus dieses erfuhr – die Jünger des Johannes hatten es Ihm sogleich erzählt – ging ER in die Einsamkeit, irgendwo am See Genezareth (Matth. 14, 12-13). Wie tief Jesus von dieser Nachricht bewegt war, können wir ahnen. Johannes der Täufer hatte Jesum von Anfang an so tief verstanden, wie niemand sonst, und als erster nun war Johannes Ihm auch in diesem vorangegangen und starb unter Mörderhänden, so wie bald hernach auch Jesus unter Mörderhänden sterben sollte.

Dort in der Einsamkeit fanden Ihn die Jünger, als sie von ihrer großen Predigtreise wieder heimkehrten (Mark. 6, 30).

Der Erfolg ihrer Predigtreise war ganz wunderbar und gewaltig gewesen. Fünftausend Männer strömten auf diese Jünger-Predigten hin zusammen, um nun Jesum selbst zu sehen. Die Jünger hatten in ihrer Predigt auf Jesum hingewiesen – nun kamen die Männer zu Jesu selbst und durften erleben, wie Jesus sie in überwältigend wunderbarer Weise mit Brot speiste, nachdem ER zu ihnen in langen Predigten geredet hatte (Mark. 6, 30-56).

Und so groß war die Begeisterung dieser Männer für Jesus, daß sie in entflammter Leidenschaft Ihn zum König ausrufen wollten. Jesus jedoch entzog sich ihnen in die Berg-Einsamkeit (Joh. 6, 15). Es waren gerade die Tage, da man sich zur Pilger­reise nach Jerusalem rüstete zum Passahfest. Jesus jedoch reiste in diesem Jahre nicht zum Passah (6, 4).

 

27. Eine gefährliche Zwischenreise

Etliche Monate später jedoch wanderte Jesus von Kapernaum nach Jerusalem zum Laubhüttenfest (Joh. 7-8). Eigentlich wollte ER nur verborgen sich dort verweilen (7, 10). Indessen war ER inzwischen schon so sehr berühmt geworden, und jedermann redete von Ihm – man suchte und erwartete Ihn geradezu auf dem Fest, so daß ER sich nicht verbergen konnte (7, 11-12). Und da die Leute so sehr Ihn suchten und hören wollten, so predigte ER denn auch frei öffentlich im Kirchgarten rings um den Tempel (7, 14). Diese seine Predigten erregten ein solches Aufsehen, daß ER die Mitte des ganzen Festes wurde. Und da nun die Frage sich vor allem darum drehte, wer ER denn eigentlich sei, und woher ER die Kraft und das Recht zu solcher Predigt habe, und weil das Volk von Seiner Predigt so wunderbar ergriffen wurde, daß die Leute nicht verstehen konnten, warum die Jerusalemer Obrigkeit Ihn so bitter haßte, so fügte es sich, daß Jesus, immer wieder neu auf diese Fragen eingehend, zum ersten Male in deutlichen Worten und weitläufigen Darlegungen erzählte, wie Gott Ihn gesandt habe und welchen Auftrag Gott Ihm anvertraut habe, wie ER daher auch willens sei, allen zu helfen, die zu Ihm kommen, wie furchtbar teuflisch und böse es aber sei, Ihn ermorden zu wollen.

Der Haß der Jerusalemer Priester gegen Jesus entflammte aus ihrer Eifersucht, weil sie sahen, wie die Mengen des Volkes hinter Jesu drein liefen und Ihm lauschten, und wie darüber das Volk die Priester vergaß, so daß sich aus dem Volke niemand mehr um sie kümmerte. Schon hatten die Priester den Auftrag gegeben, Jesum zu verhaften – aber auch die Tempeldiener waren von Jesu Worten so ergriffen, daß niemand Ihn anzurühren wagte. Daher sind die langen Reden dieser Tage (Joh. 7-8) so voller Bitternis. Jesus mußte unentwegt spüren, wie man Ihn zu morden suchte – und es war doch kein Grund vorhanden, Ihn zu hassen. Fast schon wäre es dahin gekommen, daß sie Ihn steinigten (8, 59) – da aber entwand sich Jesus ihren Blicken und wanderte nach Kapernaum zurück.

Auf diese Jerusalemer Reise hatte Jesus vermutlich Seine Jünger nicht mitgenommen, sondern sie in Kapernaum zurückgelassen. Wahrscheinlich hatte auch dieses Mal nur Johannes Ihn begleitet, der darum auch alleine uns über diese Reise einen Bericht gebracht hat.

 

28. Letzte Wochen in Kapernaum

Die Jerusalemer Theologen (Schriftgelehrte und Pharisäer) ließen indessen Jesum nicht aus ihren Augen, sondern reisten hinter Ihm drein nach Kapernaum, um das Volk gegen Jesum aufzuwiegeln, und um Ihn genau zu beobachten (Mark. 7, 1). Denn sie suchten nach Gründen, um Jesum baldmöglichst zu ermorden. Aber wie es ihnen in Jerusalem nicht gelungen war, Jesum zu verhaften (Joh. 7, 46), weil das Volk in begeisterter Liebe an Jesu hing, so konnte es ihnen noch viel weniger in Galiläa gelingen, wo die Menschen zu Tausenden Jesum umringten und ER als wunderbarer Heiland allenthalben von den Kranken gesucht wurde.

Indessen trat es nun offen vor allem Volk zu Tage, welche tiefe Kluft Jesum von den jüdischen Kirchenmännern trennte. In scharfen geißelnden Worten hielt Jesus diesen Jerusalemer Bibelgelehrten und Pharisäern, die Ihm nach Kapernaum nachgereist waren, vor aller Ohren eine fürchterliche Strafpredigt, dort irgendwo am See Genezareth, weil sie, die die Bibel so genau kannten und weithin auswendig wußten, das Bibelwort durch theologisch-exegetische Künsteleien zerredeten und ungültig zu machen suchten (Mark. 7).

Aber auch Herodes wurde auf Jesum aufmerksam und erkundigte sich genau nach Ihm (Matth. 14, l) und ließ es sich anmerken, daß er Jesum gerne auch, ebenso wie er es mit Johannes getan hatte, töten würde (Luk. 13, 31). Er äußerte auch den Wunsch, Jesum einmal zu sehen (Luk. 9, 9). So wußte sich Jesus in Gefahr. Aber seine Zeit war noch nicht gekommen. ER sollte, nach Gottes Willen als Passahlamm in Jerusalem sterben, und nicht heimlich in Galiläa von irgend einem Knecht des Herodes oder durch die Faust eines fanatischen Pharisäers ermordet werden. Darum mied Jesus jetzt für einige Zeit die laute Öffentlichkeit.

 

29. Jesu Auslandsreisen

Aber noch aus einem anderen Grunde brauchte Jesus eine völlig verschwiegene Einsamkeit. Wo ER auch immer auf Straßen oder Feldern, in Bergen oder Dörfern wanderte, fanden sich Leute zu Ihm hin, die mit Ihm reden oder sich heilen lassen wollten (Mark. 6, 54-56). So fand Jesus keine Zeit für Seine zwölf Jünger. ER mußte nun aber endlich einmal für etliche Wochen mit Seinen Jüngern die Einsamkeit finden. Denn Jesu Erdenzeit ging dem Ende zu. Bald mußte ER zu Seinem Sterben nach Jerusalem reisen. Zuvor aber mußten Seine Jünger von Ihm noch die letzten Geheimnisse, die ER ihnen anzuvertrauen hatte, lernen. Darum wanderte Jesus in das Ausland, hoch zum Norden hinauf in die syrischen Gegend (Mark. 7, 24).

Dort nun saß Jesus in einem abgelegenen Dorf in verschlossener Stube mit den zwölf Jüngern, um sie auf ihren Apostelberuf vorzubereiten. Aber auch dorthin, in jenes Ausland, war die Kunde von Jesus schon gedrungen. Unversehens tritt in die Stube eine Frau. Man versteht, daß Jesus unmutig wurde, als diese Frau ihn bat, einen weiten Weg mit ihr zu wandern, um ihre kranke Tochter zu heilen. Jesus hatte jetzt keine Zeit mehr, ER mußte Seine Jünger unterweisen. Darum lehnte ER den Wunsch der Frau ab, denn diese Krankenheilung hätte Ihm vielleicht mehr noch als einen ganzen Tag an Zeit gekostet – dennoch half ER ihr auf ihr glaubensstarkes andringendes Bitten und heilte die Tochter aus der Ferne (Mark. 7, 24).

Vielleicht weil ER hier nicht verborgen bleiben konnte, wanderte Jesus wieder an den See Genezareth zurück nach Kapernaum und zu Seiner Mutter in Seine Wohnung kehrte Jesus indessen nicht, sondern ruhelos wanderte ER durch einsame Dörfer und verlassene Gegenden (Mark. 7, 31; 8, 10, 13, 22).

Und von neuem, zum zweiten Mal, suchte ER das Ausland auf. War ER auf Seiner ersten Reise nach Nordwesten gewandert, so wanderte ER nun nach Nordosten, nach Cäsarea Philippi. Und hier fand Jesus die nötige Einsamkeit, Stille und Zeit, um Seine Jünger zur tiefsten Erkenntnis zu führen: daß ER leiden müsse, aber wieder vom Tode auferstehen werde, was Seine Gemeinde sei, und wie man Ihm nachfolgen müsse, und daß ER dereinst Sein Reich bringen werde (Mark. 16). Im Evangelium ist die Fülle dieser Erkenntnis in wenige Sätze gefaßt. Doch können wir leicht begreifen, daß Jesus lange Tage oder Wochen brauchte, um Seinen Jüngern diese vielen Geheimnisse so zu deuten, daß sie alles verstanden.

Wenige Tage später offenbarte Jesus dreien Seiner Jünger Seinen himmlischen Glanz in der Verklärung – die Jünger konnten hernach selbst nicht mehr genau sagen, wo es gewesen war. Aber tief hatte sie dieses Erleben, wie sie Jesum vom himmlischen Licht überstrahlt sahen und des himmlischen Vaters Stimme hörten, bewegt, daß sie nun vollends begriffen, daß ihr Meister Jesus wahrhaftig Gottes Sohn war (Mark. 9, 2-13; 2. Petr. 1, 17).

 

30. Die Reise durch Samarien

Das Passah rückte näher. So rüstete Jesus sich nun zu Seiner Todes-Reise nach Jerusalem. Auf dieser Reise wollte Jesus noch das Evangelium nach Samarien tragen. So reiste ER jetzt von Cäsarea Philippi durch Kapernaum und Galiläa, wo ER aber unerkannt bleiben wollte. In Kapernaum saß ER noch einmal in Seinem Wohnhaus (Mark. 9, 33) und hatte tiefsinnige Gespräche mit Seinen Jüngern (Vers 34-50). Doch durfte niemand von den Leuten der Stadt erfahren, daß ER da sei. Denn die Leute von Kapernaum hatten genügend Zeit gehabt, Seiner Predigt zu lauschen. Jetzt wollte Jesus sich von niemandem mehr aufhalten lassen, sondern sogleich weiter reisen dorthin, wo ER noch nicht gewesen war. So wanderte Jesus jetzt eilig nach Samarien, der Provinz, die zwischen Galiläa (Im Norden) und Judäa (im Süden) liegt.

Gleich im ersten Dorf aber wiesen die Leute Ihn brüsk ab (Luk. 9, 52). Den empörten Jüngern zeigte Jesus, wie die Samariter für das Himmelreich zu gewinnen seien: aus allerlei Männern, die Ihm nachfolgten (9, 57-62), suchte Jesus sich siebzig Männer aus, die ER in alle jene Samariter-Dörfer hinsandte, durch die ER auf Seiner Reise kommen mußte (Luk. 10). Diese Siebzig sollten Sein Kommen den Leuten ankündigen.

Und deren Verkündigung war nicht vergeblich gewesen. Überall, wo Jesus hinkam, wurde ER mit großer Freude aufgenommen, daß Ihn ungezählte Tausende umdrängten und Ihm zuhörten (11, 29; 14, 25; 15, 1). Auf den Dorfstraßen redeten die Leute Ihn an, vornehme Männer luden Ihn zu Gast, und nie versagte Jesus sich irgend einem, sorgte aber auch stets dafür, daß, wenn ER irgendwo zu Tische saß, jedermann dort Zutritt zu Ihm fand (11, 37; 14, 1). Aber auch in der Stille eines einsamen Hauses saß ER lange Stunden bei schlichten Frommen (10, 38).

So kam nun Jesus zuletzt in die Stadt Jericho, wo ER im Hause des Zöllner-Aufsehers Zachäus lange Gespräche führte (Luk. 19, 1-27).

 

31. Wunder um Jesum

Allenthalben, wo Jesus nur immer verweilte, umgaben Ihn seltsame Wunder. Von lauter Wunder war schon Sein Eingang in die Welt begleitet:

Drei Wunder bei Seiner Geburt: eine Jungfrau war Seine Mutter, ein Stern leuchtete im Ostland auf, und in der Nacht erstrahlte den Hirten helles Licht.

Dreimal zeigten sich zu Jesu Geburt Engel: der Maria, dem Josef und den Hirten.

Drei Menschen erfuhren in jenen Wochen (vor und nach der Geburt) durch den Geist, daß dieses Kindlein der Heiland der Welt sei: Elisabeth, Simeon und Hanna.

Und etliche Zeit später hören wir nochmals von drei Träumen, durch die Jesus behütet werden sollte: dem Josef (zweimal) und den Weisen (Matth. 2).

Drei seltsame Naturvorgänge bei Jesu Sterben: die Sonne wurde umdüstert, der Tempelvorhang zerriß, und ein Erdbeben zerriß Felsen und Gräber (Matth. 27, 45, 51).

Drei wunderbare Geschehnisse am Ostermorgen: ein Erdbeben, Engel kamen und verrückten den Stein, Tote längst vergangener Tage wurden in Jerusalem gesehen (Matth. 27, 56; 28, 2).

Dreimal erschienen in den Ostertagen Engel: den drei Frauen, der Maria Magdalena, und bei der Himmelfahrt.

Drei wunderbare Bezeugungen über Jesus waren während Seiner Wanderjahre wahrzunehmen: die Stimme vom Himmel bei der Taufe, die Verklärung, und die Stimme vom Himmel in der Leidenswoche (Joh. 1.2).

Dreimal sahen die Jünger mit Erstaunen, wie die Natur sich unter Jesus beugte: der Sturm wurde ganz still, als Jesus über den See fuhr. Ein andermal wanderte Jesus auf Wasserwogen, als sei es trockenes Land. Und ein Feigenbaum mußte sogleich verdorren, weil er Jesu keine Feigen darbot (Matth. 8, 14, 21).

Wunderbar auch war, daß Jesus dreimal Besuch aus dem Himmel empfing: Mose und Elia beredeten sich mit Ihm über Seinen Opfertod, den ER sterben sollte (Luk. 9, 31), und Engel stärkten Ihn in der Wüste und in Gethsemane (Mark. 1, 13; Luk. 22, 43).

Dreimal versuchte der Teufel Jesum (Matth. 4).

Obgleich Jesus ganz ein Mensch war, so mußten die Menschen doch an diesen erstaunlichen Geschehnissen immer wieder wahrnehmen, daß ER nicht ein Mensch war wie irgend einer von uns. Sondern von lauter Wundern umhüllt, schritt ER die irdischen Wege dahin: ein Herr, der sich selbst zum Knecht machte – und dennoch ein Herr war, so wunderbar, daß die Leute, die es ansahen, erschauernd fragten: wer ist Dieser? Solche Dinge haben wir noch nie gesehen! (Mark. 4, 41 und 2, 12).

Doch niemals nutzte Jesus diese Seine wunderbare Herrschaft über die Natur und die Engel dazu aus, sich aus menschlichen Nöten zu befreien: ER hungerte, dürstete, wachte und trug alle Unannehmlichkeiten und Nöte geduldig, weil ER in allem unser Bruder sein wollte.

 

32. Jesu Wunderwirken

Lauter Wunder strahlten von Jesu aus: eine arme Frau brauchte nur – ohne vorher zu fragen – ganz heimlich von hinten Jesum anzurühren, so wurde sie sofort gesund (Mark. 5, 27). Durch das bloße Berühren Seines Gewandes wurden die Kranken gesund (Matth. 14, 35-36). Sehr oft wird berichtet, daß nicht nur Einzelne, sondern geradezu alle Kranken, Besessene, Mondsüchtige, Sieche, gesundeten, wenn sie zu Ihm gebracht wurden oder selbst kamen (Matth. 4, 23-2,1; 8, 16; 9, 35; 12, 15, 19, 2; Mark. 1, 32).

Außer den hier genannten Berichten, nach denen alle Kranken gesund wurden, erfahren wir im Besonderen noch von sieben Blinden (zwei bei Jairus, Matth. 9, ein Taubstumm-Blinder, Matth. 12, einer in Bethsaida, Mark. 8, zwei in Jericho, Matth. 20).
Drei Taube und Stumme (Matth. 9; Mark. 7 und 9).
Drei Besessene: einer in Kapernaum, zwei in Gadara (Mark. 1,­ Matth. 8).
Ein Aussätziger in Galiläa und zehn in Samaria (Mark. 1,­ Luk. 17).
Zehn sonstige Kranke: des Petrus Schwiegermutter, Gichtbrüchiger, Hauptmanns Sohn, Blutflüssige Frau, gekrümmte Frau, verdorrte Hand, Tochter in Syrien, Wassersüchtiger, Lahmer in Bethesda, Malchus.
Und beiläufig wird noch erwähnt, daß Jesus von Maria Mag­dalena sieben Teufel ausgetrieben habe (Luk. 8, 2).
Drei Tote wurden lebendig: Jairus Tochter, Jüngling zu Nain, Lazarus (Luk. 7 und 8; Joh. 11).

So hören wir von 35 Kranken und 3 Toten, denen Jesus half.

Vier der Geheilten kennen wir mit Namen: Bartimäus, Lazarus, Malchus, Maria Magdalena.
Zweimal heilte Jesus aus der Ferne (Hauptmanns Sohn, Tochter in Syrien; Matth. 8 und 15).
Jesus spürte, wie bei einer solchen Heilung Kraft von Ihm ausging (Mark. 5, 30).

Von undankbaren Geheilten hören wir (Luk. 17, 17), von dankbaren (Luk. 18, 13 und 8, 38).
In Nazareth, wo Jesus keinen Glauben fand, tat ER auch keine Wunder (Matth. 13, 58).

Die Wunder wurden während Jesu Heilands-Tätigkeit immer gewaltiger: als erste heilte ER eine Fieberkranke (Mark. 1), zuletzt den bereits begrabenen Lazarus.

Aber die Wunder wurden auch immer seltener: in Kapernaum Anfangs tat Jesus viele Wunderzeichen, sehr Viele wurden gesund. In der Leidenswoche in Jerusalem hören wir nur den kurzen Bericht (Matth. 21, 14): einige Blinde und Lahme kamen zu Ihm, die ER heilte. Doch hören wir keine Wundergeschichte mehr aus jenen Tagen (außer Malchus Ohr). Auf der langen Reise von Kapernaum durch Samarien nach Jerusalem erfahren wir nur noch von ganz wenigen Wundern.

Denn Jesus war nicht eigentlich gekommen, um Wunder zu tun, sondern um uns von unseren Sünden frei zu machen. Die Sündenvergebung war Sein Werk – die Wunder tat Jesus nur nebenher: aus tiefem Mitleid mit der menschlichen Not (Mark. 1, 41). Doch wichtiger als die Heilung war Ihm die Sündenvergebung (Gichtbrüchiger, Mark. 2, 5).

Jesus selbst bezeugte, daß die Wunder die Zuhörer nicht zu Gott führen (Joh. 6, 26; Matth. 11, 20, 23). Durch die Wunder wurden Jesu Feinde nur noch mehr in Sünden hineingerissen (Math. 12, 24), sie nützen den Ungläubigen nichts (Matth. 12, 38, 43; 16, 1).

Doch sagte Jesus auch wieder, daß an Seinen Wundern deut­lich werden müsse, wer ER sei (Matth. 11, 5). Ehe Jesus an einem Kranken ein Wunder tat, forderte Jesus Glauben (Mark. 9, 23; Joh. 11, 40).

Niemals tat Jesus ein Wunder, um hierdurch sich selbst zu helfen: schroff wies ER jede solche Versuchung ab (Matth. 4, 4; 16, 22f.).

Aber auch in der Natur wirkte Jesus sieben erstaunliche Wunder:

dreimal speiste ER wunderbar die Menschen: Hochzeit zu Kana, Speisung der 5000 und der 4000 (Joh. 2 und 6; Matth. 14 und 15).
Drei wunderbare Fischzüge (Luk. 5; Matth. 17; Joh. 21).
Und Jesus ließ den Petrus über das Wasser wandeln (Matth. 14).

Nach Seiner Auferstehung tat Jesus nur noch ein Wunder: der Fischzug der sieben Jünger (Joh. 21).

So hören wir von 33 wunderbaren Begebenheiten um Jesu, 35 Krankenheilungen, 3 Toten-Auferweckungen, 7 Wundern Jesu in der Natur.

Das sind 78 Wunder Jesu und um Jesus.

 

33. Letzte Einsamkeit

Ehe nun Jesus zur Stadt Jerusalem hinwanderte – ER hatte bis zum Passah-Fest noch etliche Wochen Zeit – suchte ER noch einmal, zum letztenmal, die stille Einsamkeit. Wir gewinnen aus dem Johannes-Evangelium den Eindruck, daß Jesus viel allein war. Und da über diese nun folgenden Wochen der Stille auch nur das Johannes-Evangelium berichtet, waren vielleicht in diesen Wochen nur wenige der Jünger beständig um Ihn. Johannes aber stand dem Herrn am nächsten und hat darum in diesen Wochen den innigsten Anteil an Jesu Wirken gehabt.

Wenn wir das Evangelium recht verstehen, ging Jesus von Jericho aus wieder an den Jordan, in jene Gegend, in der einst Johannes getauft und Jesus auch früher gepredigt hatte. Ganz verborgen bleiben konnte ER hier indessen nicht. Viele, die Ihn noch von früher her kannten, kamen dorthin zu Ihm (10, 40-41).

Einmal erschien ER unversehens in Jerusalem. Und weil Ihm dort ein Blinder auf der Straße wie von Ungefähr begegnete und Jesus ihn gesund machte, wurde das Volk und die Priester auf Jesum aufmerksam und versuchten, mit ihm zu zanken (9, 40). Jesus antwortete ihnen durch eine Seiner wundervollsten Reden (9, 41-10, 38). Sogleich aber ging ER wieder in die Jordan-Einsamkeit zurück (10, 40). Denn es war Gefahr, daß ER heimlich ermordet würde (10, 31, 39). ER wollte aber öffentlich zum Passah sterben.

Doch wurde ER noch einmal aus Seiner Einsamkeit herausgerufen: jemand erzählte Ihm, daß Sein Freund Lazarus in Bethanien (unweit Jerusalem) totkrank sei (11, 3). So ging Jesus hin nach Bethanien, wo ER den inzwischen verstorbenen Lazarus auferweckte. Hierdurch wurde der Eifersuchts-Zorn der priesterlichen Obrigkeit derart heftig erregt (11, 47), daß Jesus sich überhaupt nicht mehr öffentlich zeigen durfte, sondern ganz heimlich im Dörflein Ephraim am Wüstenrande sich verbarg (11, 54).

 

34. Die Zweieinhalb Jahre

Von Jesu Taufe bis zu seinem Sterben vergingen etwa zweiundeinhalbes Jahr.

Nach Seiner Taufe ging Jesus für sechs Wochen zur Versuchung die Wüste, reiste dann über Kana und Kapernaum nach Jerusalem zum Passah. Das Passah-Fest liegt im Anfang des Frühlings (am fünfzehnten Tag des ersten Frühlings Monates). Für diese langen Wanderungen brauchte Jesus mehrere Wochen, zu denen die sechs Wochen der Versuchung hinzukommen. Da die Taufe schwerlich mitten im Winter war, das Passah-Fest aber zum Frühlingsbeginn liegt, dürfen wir also vermuten, daß die Taufe im Herbst, etwa ein halbes Jahr vor diesem ersten Passah lag.

Zum nächsten Passah-Fest reiste Jesus nicht nach Jerusalem, sondern speiste während dieser Tage die 5000 am See Genezareth, nahe bei Kapernaum (Joh. 6, 4).

Und wieder ein Jahr später starb Jesus am Vorabend des Passah-Festes in Jerusalem.

So ergeben sich ohne jeden Zweifel zwei volle Jahre und etliche Monate drüber hinaus, also rund zwei und ein halbes Jahr.

 

35. Jesu Wanderungen

Wir geben nun noch eine Übersicht über Jesu Wanderungen, Taufe am Jordan, sechs Wochen in der Wüste zur Versuchung (Matth. 4), Zurück an den Jordan, von dort nach Kana und Kapernaum, sodann zum Passah nach Jerusalem (Joh. 1-3).

Wieder an den Jordan für eine längere Predigtzeit (Joh. 3, 22 und 4, 1).

Nach der Verhaftung Johannes des Täufers reiste Jesus durch Samarien (Joh. 4) und Galiläa nach Kapernaum, wo ER etwa anderthalb Jahre blieb (Mark. 1, 14-7, 23).

Von Kapernaum kleine Zwischenreisen am See Genezareth entlang, über den See hinüber nach Gadara (Mark. 5) und in das Land Galiläa hinein (Markus 6), und irgendwann eine kurze Reise nach Jerusalem (Joh. 5). Während des Passah-Festes blieb Jesus am See Genezareth (Joh. 6, 4). Zum Laubhütten Fest im Herbst erneute kurze Reise nach Jerusalem (Joh. 7-8), und sogleich wieder zurück nach Kapernaum.

Nun folgen während des Winters die zwei Auslandsreisen nach Syrien und Cäsarea Philippi (Mark 7, 24 und 8, 27). Von dort, in großer Eile durch Galiläa hindurch reisend (Mark 9, 30-50), die große und langwährende Reise durch Samarien und Jericho (Luk. 9, 51 bis 19, 27).

Dann folgen einsame Wochen am Jordan, ein kurzer Besuch in Jerusalem (Joh. 9-10), und wieder zurück in die Jordan Einsamkeit (Joh. 10, 40), Besuch in Bethanien (Joh. 11), heimlich verborgen im Dorf Ephraim am Rande der Wüste (Joh. 11, 54), und wieder nach Bethanien zurück (Joh. 12, 1), und von dort Einzug in Jerusalem am Palmsonntag (Mark. 11).

Nach Jesu Auferstehung: am Ostersonntag eine Wanderung nach Emmaus, mehrere Tage später eine Reise nach Galiläa, zu einem (uns nicht näher genannten) Berge und an den See Genezareth (Matth. 28, 16 und Joh. 21), und wieder zum Himmelfahrtstage zurück nach Jerusalem. Am Himmelfahrtstag Wanderung von Jerusalem auf den Ölberg, von wo aus Jesus zum Himmel zurückkehrte.

36. Einzug in Jerusalem

Als nun das Passah-Fest näher kam und aus dem ganzen Lande die Festpilger nach Jerusalem zogen und man in Jerusalem schon sich fragte, ob und wann wohl Jesus kommen werde (Joh. 11, 56), da verließ Jesus das Dörflein Ephraim und ging nach Bethanien zu Seinen Freunden, in das Haus des Lazarus (12, 1). Von hier aus wanderte Jesus am Sonntag vor dem Passah, dem Palmsonntag, zur Stadt Jerusalem hin.

In Jerusalem war damals die Luft vergiftet durch wilde politische Hetzparolen und bis zum Wahnsinn geschürte politische Hoffnungen. Man wartete in der von den verhaßten Römern durch eine starke Soldatentruppe besetzten Stadt auf den Mann, der Mut und Kraft besitzen mochte, um die Volksmassen an sich zu reißen und das ganze Volk mit einmütigem Sinn zu erfüllen, und dann den Aufstand gegen die Römer zu wagen.

Und manch Einer mochte vielleicht an Jesus gedacht haben, den gewaltigen Prediger, dem die Herzen der Leute so begeistert zugefallen waren: ob dieser Jesus nicht der von Gott begnadete Volksführer sein könnte, der das Reich Israel aufzubauen und freizumachen verstünde von den fremden Besatzern. Niemand beherrschte die Volksseele so wie Jesus. Genau ein Jahr zuvor, während der Passah-Festtage des Vorjahres, hatten schon die Galiläer versucht, Ihn zum König aus­zurufen (Joh. 6, 15). Damals war es nicht gelungen – ob es nicht jetzt gelingen würde?

So mochten die Gedanken mancher Männer in Jerusalem laufen. Jesus wußte das. Und nun kam ER in die Nähe der Stadt, in das gedrängte Gewühl der Festpilger, die von allen Seiten sich herzu gesellten. Tausende, als sie hörten, daß Jesu da sei, strömten herbei, um Ihn zu sehen -.

Jesus spürte die Gefahr, daß nun leidenschaftlich erregte Männer der fanatischen Zeloten-Partei versuchen könnten, Ihn in ihre wahnsinnigen politischen Ziele einzuspannen. Darum mußte ER sogleich zeigen, daß ER schlechterdings gar nichts zu tun haben wollte mit diesen wilden politischen Dingen, und daß ER nicht gekommen sei, um Hader und Krieg mit den Römern zu suchen, sondern daß Sein Sinnen nur einzig auch dieses alleine gerichtet war, den sündigen Menschen ihre Sünden fortzunehmen, ihnen zu vergeben, und den Mühseligen und Beladenen Trost, Kraft und Liebe des himmlischen Vaters einzuflößen. Darum sandte ER zwei Seiner Jünger zu einem ein wenig abseits liegenden kleinen Dorfweiler. Von dorther, sollten sie einen an einem Zaun angebundenen Esel Ihm bringen, auf dem sodann Jesus in die Stadt hineinritt.

Denn hierdurch bezeugte Jesus, daß ER der demütige Friedenskönig sein wolle, den Sacharia, der Prophet, vor Zeiten geweissagt hatte. Wehrlos auf dem Esel reitend würde Er gewiß keine römischen Soldaten, die auf stolzen Rossen im Eisenharnisch ritten, vertreiben wollen.

Aber ein wahrhaftiger König wollte Jesus dennoch sein. Darum kam ER auf dem Esel geritten, den Sacharia geweissagt hatte – zwar als demütiger Friedenskönig, aber dennoch als ein wahrhaftiger König. Darum schritt ER nicht zu Fuß durch die Stadttore, sondern ritt hinein als der göttliche König des Friedens – so sollte alle Welt es sehen, und so wollte Jesus es durch diese Gleichnis-Tat allen Festpilgern verkünden: ICH bin euer König des Friedens, der demütig ein Helfer und Heiland ist in Seinem Blut des Bundes (Sach. 9, 9-11).

Und so verstanden es denn auch die Tausende der galiläischen und jüdischen Festpilger, die Sein Zeichen – den Eselritt- wohl verstanden und nun, als sie Ihn auf dem Esel als, König der Stadt entgegenreiten sahen, sich herandrängten, weil Alle Ihn sehen wollten, und in herrlicher Begeisterung Ihm als König zujubelten in frohem jauchzen. Ihre Mäntel breiteten sie auf die Straße als Teppiche (wie man es bei den alten Völkern, den Griechen und anderen, gerne tat bei hochverehrten Volkshelden), um zu beweisen, daß sie Alle ihre Liebe und Hingabe Ihm gerne zu schenken bereit waren.

Und ergreifend drang das laute Rufen der Männer, die neben Jesum einher liefen, zum Himmel empor, als Gebet zu Gott: “ach bitte, hilf DU!” (hebräisch: hosianna). Die galiläischen und judäischen Männer, die mit solchen andringenden Gebetsrufen Jesum begleiteten, mochten tief in ihrem Gemüt die furchtbare Gefahr spüren, die Jesu von den Tempelpriestern in den nun folgenden Tagen drohte. So beteten sie unverdrossen laut hinauf rufend: “Ach bitte, hilf DU hoch droben!” (Mark. 11, 10).

Die so riefen, waren allerlei Männer und Frauen aus dem Volke, die Jesum kannten und Ihn liebten, die nun aber ahnten, daß ER, der Friedenskönig und Heiland der Armen und Sünder, auf den wilden Haß der Priester und enttäuschten Politiker der fanatischen Zeloten-Partei und der Pharisäer stoßen mußte, die gewiß Ihn zu morden trachten würden. Daher ihr flehentliches unermüdliches banges Rufen: “Ach bitte, hilf DU hoch droben!”

Daß diese selben Männer, die hier heute Jesum zujubelten und für Ihn zu Gott durch ihre lauten Rufe flehten, am Karfreitag früh das entsetzliche “kreuzige Ihn!” gerufen hätten, ist nur eine törichte Fabel falscher Bibelerklärung. Denn davon steht kein Wort in der Bibel. Hier am Palmsonntag waren es die von Jesu Predigt und Wundern ergriffenen Frommen, die in Ihm ihren Erlöser erkannten. Die Rufer am Karfreitag früh indessen waren die Parteileute der Zeloten und hergelaufenes von den Priestern bestochenes Volk der Großstadt Jerusalem.

Ehe Jesus in die Stadt hineinritt, als ER den Toren sich nahte, kamen Ihm die Tränen – weinend sah ER auf die sündenvolle Stadt (Luk. 19, 41), die von den Zeloten-Parteileuten in ein rasendes Unglück hineingestürzt werden sollte, weil sie sich den Heilandsrufen Jesu verschloß.

Nachdem alsdann Jesus in die Stadt hineingeritten war, schritt ER sogleich hin zum Tempel, der ehrwürdigen Kirche auf dem Zion, und schaute ihn sich sorgsam an. Dann ging ER, ohne irgend ein Wort zu reden oder etwas zu tun, am Abend zu Fuß nach Bethanien zurück(Mark. 11, 11).

 

37. Die Leidenswoche

Denn als Jesus an diesem Sonntag Abend sich den Tempel anschaute, mußte ER gewahren, daß Seine Tempelreinigung am Passah-Fest zwei Jahre zuvor völlig vergeblich gewesen war: die Händler trieben es im Tempel genau so, wie sie es je getan hatten. Darum reinigte Jesus am Montag den Tempel, ganz ebenso wie ER es damals getan hatte. Kinder jubelten Ihm zu. Blinde und Lahme kamen zu Ihm, um geheilt zu werden. Die Priester aber zankten darob mit Ihm. Jesus aber gab ihnen nur kurze Antwort und verließ wieder den Tempel und die Stadt, um draußen zu übernachten (zum Passahfest war die Stadt von Hunderttausenden von Menschen, Pilgern aus allen Landen, überfüllt) (Mark. 11, 12-19). Irgendwo am Ölberg blieb Jesus zur Nacht.

Am Dienstag früh ging Jesus wieder in den Tempel. Zum letztenmal sprach ER an diesem Tage öffentlich zum Volke in ernsten strafenden und mahnenden Worten und Gesprächen.

Sein letztes öffentliches Wort zum Volk, das Jesus auf Erden sprach, betraf das Geld der Kollekte (Mark. 12, 41).

Als ER dann am Nachmittag die Stadt verließ, setzte sich Jesus mit den Jüngern im Ölberg hin und redete zu ihnen ausführlich über Sein eigenes Wiederkommen und das jüngste Gericht (Matth. 24-25). Wieder übernachtete ER irgendwo hier am Ölberg.

Am Mittwoch ging Jesus nicht mehr in die Stadt, sondern besuchte Seine Freunde in Bethanien. Vor dem Volke hielt ER sich verborgen. Maria, die Schwester des Lazarus (wahrscheinlich ist sie dieselbe wie Maria Magdalena), salbte Jesum. Durch ein Wort Jesu wurde Judas Ischarioth so wild gereizt, daß er hinging zu den Priestern und ihnen anbot, er wolle Jesum an sie verraten (Mark. 14, 3-11; Joh. 12, 4-8). Vermut]ich bestand sein Verrat darinnen, daß er den Priestern anbot, die Häscher zu Jesu Nachtherberge am Ölberg zu geleiten.

Denn bei Tage konnten sie Jesum nicht verhaften aus Furcht vor den Galiläern, die am Sonntag in so großen Scharen Ihm zugejubelt hatten. Und niemand wußte, was diese Galiläer zu tun fähig sein würden, wenn ihrem geliebten Jesus ein Leid geschehen sollte (wer selbst, wie jene Priester, so böse ist in seinem Wesen, traut auch Anderen alles Böse zu). Bei Nacht aber konnten die Priester Jesum nicht auffinden, weil die Stadt und alle Gärten ringsum übervoll von Festpilgern waren. So brauchten sie den Judas Ischarioth, der ihnen half, Jesum in finsterer Nacht aufzugreifen und Ihn ganz heimlich und ungesehen zu verhaften.

 

38. Jesu Abendmahl

Am Donnerstag Nachmittag ging Jesus nun wieder nach Jerusalem, mit Seinen Jüngern, doch ganz heimlich: vom Volke sollte es niemand wahrnehmen, weil Jesus mit Seinen Jüngern alleine sein wollte. Irgendwo in einem Saale saß Jesus mit den Zwölfen bis in den tiefen Abend hinein. Vielleicht war es das Haus des Johannes Markus und seiner Mutter Maria gewesen. Hier hielt Jesus mit Seinen zwölf Jüngern das Passah-Mahl, das nun unter Seinen Händen zum heiligen Abendmahl der Jüngergemeinde sich wandelte.

Eigentlich durfte dieses Passahmahl erst am Freitag Abend gefeiert werden. Aber da Jesus am Karfreitag sterben wollte, feierte ER es mit Seinen Jüngern schon einen Tag zuvor.

Es kann kein Zweifel sein, daß auch Judas am Abendmahl teilnahm (Joh. 13, 2; Luk. 22, 20-21). In den Abendmahlsworten bekundete Jesus, daß ER nun als das Opferlamm sterben werde, von dem Jesaja 53 sprach, und daß Sein Blut, das vergossen wird, Seinen Jüngern die Vergebung ihrer Sünden schenke (Matth. 26, 28).

Nachdem sie gegessen hatten, stand Jesus vom Mahle auf und wusch Seinen Jüngern (auch dem Judas Ischarioth) die Füße (Joh. 13, 4-15). Wieder setzte sich Jesus zu Tisch. Das heilige Mahl hatte ER mit den Seinen gefeiert – nun aßen sie die Abendmahlzeit in gewöhnlicher Weise. Jetzt bezeugte Jesus, daß Einer der Zwölf Ihn verraten werde. Johannes fragte heimlich Jesum, wer dieser Verräter sei, worauf Jesus es ihm durch ein Zeichen bekundete: ER reichte dem Judas ein Stück Brot zu. Die anderen Jünger hatten die verstohlenen Worte zwischen Jesus und Johannes nicht gehört, verstanden daher auch von dem Zeichen nichts. Judas aber ging, von Jesus nun fortgeschickt, hinaus in die Nacht, um die Tempeldiener abzuholen, damit sie Jesum fingen (Joh. 13, 21-30).

Als der Verräter gegangen war, fiel Jesus offenbar in ein tiefes Schweigen, derweilen die Jünger in einen häßlichen Streit sich verfingen (Luk. 22, 34). Als Jesus dieses endlich wahrnahm, mahnte ER die elf Jünger mit Seinen letzten Worten (Luk. 22, 25-38 und Joh. 13, 31-38) und redete zu ihnen davon, daß ER zwar nun die Welt verlassen müsse, daß ER aber wiederkommen wolle (Joh. 14). ER sang mit den elf Jüngern etliche Psalmen, die man in Israel nach alter Ordnung beim Passah zu singen pflegte (Matth. 26, 30) und stand nun auf, um hinauszugehen in die Nacht (Joh. 14, 31).

Doch im Aufstehen redete Jesus noch mancherlei Worte voll tiefster Bedeutung, in denen ER den Jüngern die Fülle Seiner Freundesliebe offenbarte und sie Seine Freunde nannte (Joh. 15-16). Ein letztes Mal betete Jesus noch für die Seinen, die in der Welt bleiben müssen, doch aber nicht von der Welt sind: Gott möge sie bewahren, daß sie einst in Jesu Reich und Glanz hinüberfinden dürfen (Joh. 17).

 

39. Gethsemane

Nun ging Jesus zum Ölberg, vermutlich dorthin, wo ER die letzten Tage schon übernachtet und bei Tage mit den Jüngern gesessen hatte (Matth. 26, 30). Über den Bach Kidron (Joh. 18, 1; 2. Sam. 15, 23, 30) wanderte ER mit den elf Jüngern zum Garten Gethsemane (Matth. 26, 36), wo ER in zagender Angst und mit Tränen zu Gott betete (Hebr. 5, 7).

Denn Jesus wußte, welches Ende am Kreuz Ihm nun bevorstand – aber ER wußte auch, daß ungezählte Tausende himmlischer Heerscharen Ihm zu Gebote stehen würden, um Ihm beizustehen und ihn heraus zu retten aus der Todesgefahr wenn ER nur Gott bitten würde, sie Ihm zu senden. Und nun kämpfte Jesus den entsetzlichen Kampf in Seiner Seele. Diese himmlischen Heere nicht zu rufen, sondern dem Gebot des Vaters gehorsam zu bleiben und den grausamen Tod zu sterben (Matth. 26, 53). Ein Engel kam und stärkte Ihn (Luk. 22, 43).

Hernach, da ER dreimal gebetet hatte, wußte nun Jesus, daß Judas Ischarioth mit den Tempeldienern kam, um Ihn zu verhaften. So trat ER mit freiem Mut den Dienern entgegen und ließ sich fesseln (Joh. 18, 4-11; Matth. 26, 46-56).

 

40. Vor dem Hohen Rat

Sogleich wurde Jesus von den Tempeldienern vor den Hohen Rat geführt. Dieses war die höchste jüdische Verwaltungs- und Kirchenbehörde in Jerusalem. Nachdem zunächst der Alt-Hohepriester Hannas Jesum verhört hatte, versuchte dann der amtierende Hohepriester Kaiphas, eine Beschuldigung gegen Jesum zu finden, die Ihn als des Todes schuldig erweisen könnte. Mancherlei törichte Beschuldigungen erwiesen sich jedoch als nichtig, bis dann Jesus frei und offen eingestand, ER sei der verheißene Messias und Gottes Sohn. Der Hohe Rat verurteilte nun in den späten Nachtstunden Jesum zum Tode – derweilen Petrus seinen Heiland dreimal verleugnete.

Jedoch hatte der Hohe Rat keine Vollmacht, einen Verurteilten hinzurichten. Todesurteile hatte sich der römische Statthalter, Pontius Pilatus, vorbehalten. Und Jesum heimlich in der Nacht zu ermorden (was für die Juden eigentlich das Einfachste gewesen wäre), hatten die Priester wahrscheinlich keinen Mut, weil sie sich vor den Galiläern fürchteten, die in Liebe an Jesu hingen, und von denen zu diesem Passah sich vielleicht sehr viele jetzt in Jerusalem befinden mochten. Darum wollten sie die Verantwortung für Jesu Tod von sich wegschieben auf den römischen Statthalter Pontius Pilatus, damit keine Rache der Galiläer ihnen drohe.

Daß sie hierdurch den Willen Gottes erfüllen mußten, hatte keiner von ihnen begriffen. Denn freilich durfte Jesus nicht unter jüdischen Steinwürfen heimlich irgendwo in der Nacht ermordet und verscharrt werden (wie hernach Stephanus ohne Pilatus gesteinigt wurde). Sondern nach Gottes Willen mußte Jesus als Gottes Lamm Sein Blut hingeben und bei einem Reichen begraben werden (Jes. 53, 9).

 

41. Jesus vor Pilatus

So führten denn am Freitag in erster Frühe die Männer des Hohen Rates Jesum vor das Gericht des Pilatus (Joh. 18, 28; Matth. 27, 1). Auf die Frage des Pilatus, was sie als Klage gegen den gefesselt vor ihm stehenden Jesus vorzubringen hätten, antworteten die Juden ausweichend: ohne Ursache würden sie den Pilatus schon nicht so früh am Morgen belästigen. Es sei aber gewiß nicht nötig, daß er sich lange auf umständliche Untersuchungen einlasse: sie haben die Schuld untersucht und seien zu dem wohlerwogenen Urteil gelangt, daß dieser Jesus gekreuzigt werden müsse. Und nun bäten sie ihn, er möge das Urteil rechtskräftig machen und die Hinrichtung durch seine Soldaten durchführen lassen.

Aber hierauf will Pilatus nicht eingehen. Er weiß, daß am heutigen Tage die Juden nicht viel Zeit haben, weil am Nachmittag das große National-Fest, das Passah, beginnt. Gleichwohl will er sich nicht von den Juden überrumpeln lassen und antwortet daher spottend: wenn ihr mir nicht berichten wollt, um was es eigentlich geht, dann bin ich ja überflüssig – dann verurteilt ihr Ihn doch und tötet Ihn nach eurem Gesetz.

Nun sind die Juden ratlos. In der Nacht freilich hätten sie Jesum heimlich ermorden können, ohne daß Pilatus je darnach gefragt hätte. Was kümmerte es den Pilatus, wenn ein Festpilger morgens irgendwo tot herumliegt, heimlich ermordet, und verscharrt wird! Aber nun war es dazu zu spät. Des Nachts hatte sie die Angst vor den Galiläern gehemmt, jetzt hindern die Gesetze sie. Denn natürlich hatte Pilatus die Juden jetzt eben nur verhöhnt: sie durften ja keine Hinrichtung vollziehen. Aber Pilatus wollte ein ordentliches Verfahren und also die Schuld Jesu erwiesen haben durch eine formgerechte Anklage.

Aber die Juden bringen ihre Anklage gegen Jesum nicht über die Lippen. Denn was sollen sie nun sagen? Pilatus müßte sie ja doch auslachen, wenn er den wahren Grund erfahren würde: wegen Jesu Predigten vom Himmelreich und der Sündenvergebung. Das war für einen hohen römischen Beamten wahrhaftig kein Grund, einen sonst tadelfreien Mann hinrichten zu lassen. Was also sollen sie sagen? Daß sie eifersüchtig auf Jesu Predigten seien, weil alles Volk Ihm zufiel? Daß dieses der wahre Grund war: daß sie Ihn grundlos und sinnlos haßten, weil Jesus die Wahrheit sagte und die Menschen durch Seine Liebe an sich fesselte und ER sie zu Gott hinlenkte – was den Priestern nie gelungen war: das alles konnten sie unmöglich vor den Ohren des Pilatus aussprechen.

So bleiben sie einfach vor dem Pilatus stehen und lassen sich nicht abweisen. Dem Pilatus wird es unheimlich. Denn wenn zwar die Juden ohne ihn jetzt nichts tun können und seine Macht scheuen müssen – er, der Pilatus, muß die Juden ebenso fürchten, wie sie ihn. Einen Aufstand, eine Revolte, jetzt wo die Stadt voller Menschen, Festpilgern aus allen Gegenden, war, durfte der Pilatus nicht herausfordern. Diese Priester – das wußte Pilatus – waren zu Meuchelmorden und allen scheußlichen Dingen jederzeit bereit. So mußte er auf ihre Forderungen schon hinhören.

Aber weil die Juden ihm nun nicht verraten wollen, was sie eigentlich gegen Jesum haben, darum nimmt Pilatus Jesum zu sich hinein in seine Privaträume, und läßt derweilen die jüdischen Priester draußen stehen (Joh. 18, 33). Und nun hat Pilatus ein langes Gespräch mit Jesus. Und dieses Gespräch erschreckte ihn so tief in seinem Gewissen und zeigte ihm Jesu göttliche Hoheit und Wahrheit, daß er “überhaupt keine Schuld an Ihm finden konnte” (18,38). Darum gibt sich Pilatus alle Mühe, den Juden Jesu Unschuld zu beweisen und sie von ihrem verruchten Ansinnen, er solle Jesum kreuzigen lassen – und das hieß doch einen Unschuldigen zu ermorden – abzubringen.

Weil dieses ihm aber mißlang und die Juden hartnäckig Jesu Verurteilung forderten, darum schickte Pilatus Jesum zu König Herodes, der zwar auch dem römischen Senat unterstand, dem aber Pilatus das Recht hierdurch zuerkannte, über Jesum das Todesurteil zu sprechen. Denn Herodes weilte in diesen Tagen gerade zu Besuch in Jerusalem. Ihm unterstand die Provinz Galiläa, aus der Jesus ja auch herkam. So konnte und wollte Pilatus die Verantwortung auf Herodes abschieben. Herodes aber wußte mit Jesus nichts zu beginnen und wagte das Todesurteil nicht (wahrscheinlich auch er aus Furcht vor den Galiläern). So schickte denn Herodes Jesus zu Pilatus zurück (Luk. 23, 6).

Darum versuchte Pilatus es nun mit einer List. Denn inzwischen hatte er wohl gemerkt, daß die jüdischen Priester Jesus aus hitziger Eifersucht zu töten trachteten, weil des ganzen Volkes Liebe sich Jesu zugewandt hatte. Darum machte er den Versuch, das Volk gegen die Priester auszuspielen. Der Prozeß wurde auf der großen Freitreppe des römischen Amtsgebäudes draußen im Freien durchgeführt. So wandte sich nun Pilatus von den Anklägern fort zu den Leuten auf der Straße, und bot ihnen an, er wolle Jesum begnadigen, wenn sie ihn darum bitten würden (obgleich noch gar kein Urteil gesprochen worden war), weil zum Passahfest alljährlich ein Inhaftierter freigelassen wurde.

Aber Pilatus hatte sich getäuscht. Auf der Straße standen die Männer der Jerusalemer radikal-revolutionären Partei der Zeloten, die sich schon eingefunden hatten, um einen politischen Anarchisten, Barabbas, der ihr Parteigänger war, freizubitten. Daß Jesus in der Nacht verhaftet worden war, hatte man in Jerusalems Straßen noch nicht bemerkt (es war noch die erste Morgenfrühe), so daß von Jesu Anhängern unter den galiläischen Pilgern wahrscheinlich kein Mensch von all diesen Vorgängen etwas ahnte und daher kein einziger von ihnen vor dem Amtsgebäude des Pilatus herumstand (denn was sollten sie dort zu suchen haben?). So mußte Pilatus erschrocken sehen, daß Jesus keinen einzigen Freund zur Seite hatte und ganz verlassen dort stand.

Daher mochte nun auch Pilatus sich nicht mehr länger Seiner annehmen und übergab Jesum den wüsten Händen römischer Soldaten, die als italienische Heiden oder sonstige Fremdländer keine kleinste Ahnung hatten, wer Jesus eigentlich war. Da sie aber bei diesem Verhör – dem sie als Wachposten beiwohnten – soeben gehört hatten, Jesus wolle ein König sein, erschien ihnen dieses wie ein großer Spaß, so daß sie im inneren Kasernenhof grausam und entsetzlich mit Jesus Königskrönung spielten. Eine Dornenkrone drückten sie Ihm in die Stirn, derweilen Jesus wehrlos vor ihnen stand und Seinen Mund nicht auftat, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird.

Pilatus schaute zu, und ein Entsetzen und Grausen faßte nach seiner Seele, da er sah, wie der Dulder Jesus schweigend allen diesen Hohn auf sich nahm und die Qualen unter den wüsten Fäusten der rohen Männer stille litt. – Pilatus fühlte den Odem der Ewigkeit, die göttliche Hoheit des himmlischen Königs, auf Jesu ruhen. Seine Frau, von Träumen hart geplagt, warnte ihn (Matth. 27, 19).

So versuchte Pilatus von neuem, sich der Verantwortung zu entziehen, und bot den jüdischen Priestern an, der Hohe Rat solle selber das Todesurteil sprechen und Jesum hinrichten. Der aber weigerte sich beharrlich – vermutlich aus Angst vor den Galiläern, deren begeisterter Jubelruf am Palmsonntag noch den Priestern in den Ohren gellte, und die vielleicht durch Meuchelmord oder gar offene Revolten sich fürchterlich an den Hohenpriestern rächen konnten. Darum wollten die feigen Priester die juristische Verantwortung nicht auf sich nehmen, sondern nötigten den Pilatus, er solle das Urteil sprechen, zumal nach den gültigen Gesetzen es ihm ganz alleine zustand.

Und nun hört Pilatus auch den wahren Grund, warum Jesus sterben sollte. Denn jetzt endlich erklärten die Priester dem, Pilatus ganz unverhohlen offen: Jesus müsse hingerichtet werden, weil ER sich zu Gottes Sohn gemacht hat (Joh. 19, 7). Erschrocken hört Pilatus dieses Wort und Furcht überfällt ihn, weil wahrhaftig Jesus wie ein Göttlicher einsam, hoheitsvoll schweigend, in dem Wahnsinnswirbel satanischen Hasses, der Ihn umflutete, stand. Und weil Jesus nicht zu bewegen war, auch nur ein einziges Wort zu reden, und weil ER auf keine Frage antwortete sondern in göttlicher Hoheit schweigend verharrte, zog Pilatus Jesum noch einmal in seine Privatstuben hinein, nach drinnen in das Haus.

Und was ihm dort in der Stube Jesus sagte (Joh. 19, 11), erschütterte den Pilatus so tief in seinem Gewissen, daß er – wenngleich sein Verstand durchaus nicht glauben konnte, daß Jesus Gottes Sohn sei – dennoch Ihn nicht verurteilen konnte. So weigerte er sich, ein Urteil über Jesus zu sprechen, weil er keinerlei Schuld an Ihm fand.

Da aber drohten ihm die Priester in versteckter, aber ihm doch unmißverständlicher Weise, sie würden ihn beim Kaiser in Rom anzeigen, wozu sie vielleicht mancherlei ihn belastendes Material besitzen mochten (19, 12).

Da erschütterte die Angst vor der Rache der Priester, wenn er Jesum freiließe, so sehr das Gemüt des Pilatus, daß er endlich das Todesurteil sprach, zugleich sich die Hände waschend zum Zeichen, daß er unschuldig an Jesu Tod sein wolle. Die Juden erleichterten ihm dieses Urteil dadurch, daß sie die volle moralische und sittliche Verantwortung für Jesu Tod auf sich nahmen (Matth. 27, 24-26).

 

42. Die Kreuzigung

So nahmen die Römischen Soldaten Jesum in ihre Hände, geißelten, schlugen und verhöhnten Ihn in neuem grausamem Spiel (Mark. 15, 19). Sodann legten sie Ihm das Kreuz auf die Schulter, an das ER hernach genagelt werden sollte. Auf dem Wege zum Berge Golgatha, wo sie Ihn kreuzigen wollten, brach, wie es scheint, Jesus unter der harten Last des Kreuzes zusammen. Darum zwangen die Soldaten den wie von Ungefähr vorbeigehenden Afrikaner Simon von Cyrene, für Jesus das Kreuz zu tragen. Wunderbar war es, wie hernach die ganze Familie dieses Afrikaners Simon zu Jesus fand, und seine Söhne zu Säulen in der Gemeinde wurden und seine Frau eine Mutter wurde für den späteren Apostel Paulus. Aus dem Kreuzträger Simon wurde ein Nachfolger Jesu, der seine ganze Familie mit hin führte unter das Kreuz (Mark. 15, 21; Röm. 16, 13).

Viele Leute folgten Jesu, Frauen weinten (Luk. 23, 27). Zwei Verbrecher wurden mit Jesus nach Golgatha geführt.

Einen Betäubungstrank zu trinken, weigerte sich Jesus (Matth, 27, 34). Zur Mittagsstunde kreuzigten die Soldaten Ihn, und rechts und links von Jesu die beiden Verbrecher, Jesum in der Mitten (Joh. 19, 14. 18).

Während die wüsten grausamen Soldaten erbarmungslos die Nägel durch Jesu Hände und Füße schlugen, betete Jesus für sie, weil sie in all ihrer Grausamkeit nichts von dem wußten, was sie taten – sie kannten Jesum nicht (Luk. 23, 34). Die jüdischen Hohenpriester indessen, der Hohe Rat, und Pilatus, wußten so entsetzlich genau, was sie taten: sie kannten Jesu Predigt und Seine Wunder und hatten Seine Worte tief in ihrem Gewissen gehört. Für sie gab es nun keine Vergebung mehr. Dieses Gebet Jesu für die fünf römischen Soldaten aber wurde sogleich, als ER am Kreuze starb, ganz wunderbar erhört: der Hauptmann mit seinen vier Soldaten fanden unter dem Kreuz als Erste völlig und gläubig zu Jesu und erkannten in Ihm Gottes Sohn (Matth. 27, 54).

 

43. Die Kreuzes-Schmach

Auch der verächtlichste Mensch bewahrt sich bis zuletzt einen geringsten Rest von Ehre dadurch, daß er sich seine Scham umhüllt. Und auch den ehrlosesten Gesellen wird niemand so grausam ehrlos behandeln, daß er ihm diese Ehre, sich zu umhüllen, verweigert. Und kein erbärmlichster Mensch stirbt so arm, daß er nicht doch wenigstens einen Fetzen von Tuch hinterläßt als sein unbestreitbares Eigentum.

Jesu aber nahmen die Soldaten, ehe sie Ihn an das Kreuz schlugen, alle Kleider, jedes Stück Tuch, das ER an sich trug, grausam fort. So war ER der Allerverachtetste und Unwerteste (Jes. 53, 3) – so verstört, wie sonst nie ein Mann sah ER aus (52, 14). Auch den letzten Rest Seiner Ehre entrissen Ihm die Soldaten, daß die Priester und anderen Feinde Jesu in schändlicher Lust Ihn so fürchterlich beleidigten, wie man es nie in der Welt einem Menschen antut. So wurde ER arm und entehrt wie kein Mensch sonst.

 

44. Die Kreuz-Familie

Als einziger der zwölf Jünger stand Johannes unter dem Kreuz. Neben ihm stand seine Mutter Salome. Sie war die Schwester der Mutter Jesu, Maria.

Und Jesu Mutter Maria stand unter dem Kreuz.

Ehe ER nun starb, bedeutete Jesus mit kurzem Wort dem Johannes, er solle die Maria (Jesu Mutter, die aber eine Tante des Johannes war) forthin als seine Mutter ansehen, und Maria solle den Johannes wie einen eigenen Sohn erkennen. Aber nun stand doch neben dem Johannes auch dessen natürliche richtige Mutter Salome mit ihm zugleich unter dem Kreuz.

So zeigte also Jesus, daß unter Seinem Kreuz wir wie eine große Familie alle zueinander gehören. Denn freilich sollte Johannes nicht seine Mutter Salome verstoßen, sondern künftighin zwei Mütter sein Eigen nennen.

So schuf Jesus vom Kreuze aus die neue Familie derer, die sich untereinander lieben wie Mütter und Söhne, auch wenn sie von Natur aus es nicht sind.

Aber mehr noch: Jesus war der Sohn der Maria. Wenn ER nun den Johannes zu Marias Sohn macht, so wird Johannes dadurch Jesu Bruder. So schuf Jesus vom Kreuze aus die Familie derer, die Seine Brüder sind, nicht durch Natur, sondern dadurch, daß Jesus uns unter Seinem Kreuz in Seine eigene Familie hineinzieht.

Maria aber hätte nach menschlichem Ermessen dieses Sohnes Johannes nicht bedurft, da sie noch vier andere, eigene Söhne hatte. Unter dem Kreuze aber zieht Jesus uns heraus aus Familien, die nicht unter Seinem Kreuze stehen wollen, um uns eine neue Familie derer zu schenken, die als Kreuz-Gemeinde Ihm bis unter Sein Kreuz nachfolgen.

Denn Jesus senkt vom Kreuz herab in die Herzen der Seinen hinein die Liebe, in der ER uns geliebt hat.

Darum auch nannte Jesus nach Seiner Auferstehung Seine Jünger Seine Brüder.

 

45. Unter dem Kreuz

Neben diesen Dreien stand unter dem Kreuz die andere Maria. Sie war die Ehefrau des Emmaus-Jüngers Kleophas und Mutter eines der zwölf Jünger: des kleinen Jakobus.

Und Maria Magdalena stand unter dem Kreuz.

Und zur Kreuz-Abnahme fanden sich noch Josef von Arimathia und Nikodemus ein (Joh. 19, 38). Von Josef wissen wir sonst gar nichts, als daß ER ein heimlicher Jünger Jesu, ein reicher Mann, war, der jetzt mutig vor Pilatus sich zu Jesu bekannte (Matth. 27, 57; Joh. im, 38). Nikodemus gehörte der jüdischen Regierung an und hatte mannhaft für Jesu sich in den Regierungssitzungen eingesetzt, da er heimlich schon früh zu Jesu gefunden hatte. jetzt fand er, als die Jünger (außer dem getreuen Johannes) Jesum verlassen hatten und Ihn einsam ließen, als erster hin zum Kreuz (Joh. 3, 1 und 7, 50).

Diese sieben Getreuen hielten bis zuletzt bei Jesu aus – alle übrigen waren geflohen (Matth. 26, 56).

Vier Soldaten mit einem Hauptmann bewachten das Kreuz, daß niemand Jesum berühre oder Ihm herabhelfe (Joh. 19, 23; Mark. 15. 39).

Viele Neugierige schauten zu, und die Priester standen als Zeugen im Vollbewußtsein ihres Sieges bei dem Kreuz (Matth. 27, 39-42). Und sie alle höhnten und spotteten über den Mann am Kreuz, der Anderen geholfen hatte, sich aber selbst nicht helfen konnte.

Die zwei Verbrecher hingen rechts und links von Ihm, deren Einer in dieser letzten Stunde die Gnade Jesu sich schenken ließ, mit der Gewißheit, sogleich mit Jesum das Paradies hinein finden zu dürfen (Luk. 23, 43).

 

46. Todesdunkel

Um die Mittagsstunde verdunkelte sich der Himmel, “und die Sonne verlor ihren Schein” (Luk. 23, 44-45) – nicht durch eine Sonnenfinsternis (denn es war Vollmondszeit), sondern wahrscheinlich durch einen gewaltigen Wüstenföhn, der in der Wüste eine mächtige Wolke aus Wüstensand aufstäuben ließ und als dicke Staub- und Sandwolke über den Himmel hinfegte, daß die Sonne tief umdüstert wurde (lies Hos. 13, 15).

Wie bei Jesu Geburt das helle Licht aufstrahlte, so fällt bei Jesu Sterben das finstere Dunkel auf das Land.

Bis nachmittags drei Uhr hielt die Dunkelheit an.

“Gott hatte gesagt, ER wolle im Dunkel wohnen” (1. Kön. 8, 12) – darum hatte Gott einst, fünfzehn Jahrhunderte zuvor, geboten, man solle in der Stiftshütte (der kleinen Notkirche, die Israel am Berge Sinai errichtete) – und ebenso hernach im Zion-Tempel – einen Raum Ihm bereiten, der vollends im tiefen Dunkel liegt. Darum wurde quer durch den Tempel ein Vorhang gezogen, der von der Decke bis zum Fußboden schwer herabhing und keinen kleinsten Lichtwinkel freigab, so daß hinter dem Vorhang ein fensterloser und türloser, durch und durch dunkler Raum verblieb. Diesen nachtdunklen Raum nannte man das Allerheiligste, in dem nichts weiter stand als nur die Bundeslade: das ist der heilige Schrein, der Gottes Fußschemel war (Ps. 99, 5), wo Gott sich dem betenden Hohen-Priester nahen wollte, wenn er – nur einmal des Jahres, und nur der Hohepriester ganz allein – mit dem Blut eines Opferlammes hinter den Vorhang schreitet, hinein in das Dunkel, in dem Gott wohnt. In Wahrheit aber wohnte Gott im Himmel und nicht im dunklen Allerheiligsten des Tempels (l. Kön. 8, 27). Doch war jener dunkle heilige Raum ein Gleichnis für die Menschen, daran sie erkennen sollten, daß Gott, wie “ER gesagt hatte, im Dunkel wohnt” (2. Mose 26, 33 und 40, 21 und 3. Mose 16, 15 und 1. Kön. 6, 16).

Nun aber zeigte Gott, wo ER in Wahrheit wohnt: im Dunkel des Mittags am Karfreitag auf Golgatha. Denn so dunkel es am Himmel war, so verzagt dunkel war es in Jesu Seele, daß ER aufstöhnte: “Mein Gott, Mein Gott, warum hast DU Mich verlassen!”

Aber in diesem finsteren Todesdunkel des Verzagens wohnte Gott. Nach dem Ruf tiefer Sterbensnot: “Mich dürstet!” fand Jesus in diesem Dunkel endlich Seinen Vater Gott wieder, daß ER sterbend rief: “Vater, in Deine Hände befehle ICH Meinen Geist!” – weil ER sterbend nun erkannte: in diesem Dunkel Seines Karfreitags, in der abgründigen Verzweiflung Seiner totverzagten dürstenden Seele, wohnte Gott – unter dem vom Wüstenföhn umdüsterten Himmel besuchte in dieser Stunde der durch Jesu Sterbensnot versühnte Gott Sein Volk und schenkte den Sündern die Vergebung, die Jesus durch Seinen Tod uns erfunden hatte, weshalb nun Jesus sterbend rufen durfte: “Es ist vollbracht!” – Gott ist versühnt! des Volkes Sünde ist vergeben, Gott wohnt wieder unter Seinem Volke, in dem Dunkel, unter dem Gottes einziger geliebter Sohn hier starb.

Doch nun, in denselben Augenblicken, da Jesus am Kreuze starb, geschah das erstaunliche seltsame Wunder, daß der Vorhang im Tempel, durch den der allerheiligste dunkle Raum geschaffen wurde, von oben an bis unten hin zerriß. Der dunkle Raum erfüllte sich mit hellem Licht und war darum nun kein Allerheiligstes mehr (Matth. 27, 50).

Und darum mußte in eben diesen Augenblicken der Vorhang im Tempel zerreißen, weil Gott nun nimmermehr in dunklen Tempelräumen wohnen wollte, und kein Hoherpriester mehr Ihn an der Bundeslade suchen sollte. Sondern hier, an Jesu Kreuz, als in Jesu Seele das tiefste todesdunkle Verzagen sich legte, weil Gott Ihn verlassen hatte, da begegnete Gott uns in Seinem Sohne Jesus Christus.

 

47. Nach Jesu Sterben

So grausig war diese Finsternis, die unter dem Himmel lag und die Sonne umdüsterte, und so erschütternd war dieses Dunkel über Jesu Kreuz, daß ein Entsetzen die schuldigen Priester packte, und Furcht und Grauen sich auf jene Zuschauer legte, die noch eben zuvor frivol über Jesu gelästert hatten, so daß Priester und Volk von Furcht gejagt an ihre Brust sich schlugen und davon eilten, und auch die Soldaten das Entsetzen erschütterte (Luk. 23, 48; Matth. 27, 54).

Der Hauptmann indessen war von diesem wunderbaren Sterben so ergriffen, daß er und seine Soldaten nun in Jesus Gottes wahrhaftigen Sohn erkannten. Als erste aller Heiden waren sie durch Jesu Tod für Jesu Reich gewonnen worden (Mark. 15, 39).

Und in diesen Augenblicken, da Jesus starb, erschütterte ein Erdbeben das Land. Und Gräber wurden durch dieses Erdbeben zerrissen und öffneten sich – wenige Tage später sahen fromme Jerusalemer auferstandene Heilige vergangener Zeiten (Matth. 27, 52-53).

Wie die Natur bewegt war, als Jesus geboren wurde, so war die Natur umdüstert und zerrissen, als Jesus starb, daß man wahrhaftig spüren mußte: der hier jetzt starb, war Gottes Sohn.

 

48. Jesu Opfer

Erschütternd aber war, daß in dieser selben Stunde, da Jesus starb und die Natur darob so zerrissen und umdüstert war, Israels Fromme, ja Israels ganzes Volk sich zu der heiligsten Stunde des Jahres und zu ihrem frohesten und schönsten Fest rüsteten, wo sie nach uralter Gewohnheit fromme Bräuche vollzogen, um im Familienkreis und hernach im Gottesdienst diesen schönsten aller Tage zu feiern – eben in derselben Stunde, da Jesus am Kreuz die entsetzlichste Pein erlitt.

Denn in eben derselben Stunde, da Jesus starb, bereiteten die frommen jüdischen Hausväter das Opferlamm des Passah vor.

In jener Nacht, schier auf Tag und Jahr genau eintausendfünfhundert Jahre zuvor, saßen die Israeliten in Ägypten, gestiefelt und gegürtet, mit dem Stab in der Hand (2.Mose 12, 11), wartend auf die mitternächtige Stunde, da sie in Eilschritten das Land ihrer Knechtschaft verlassen sollten. Am Nachmittag hatten die Hausväter, damals in Ägypten, ein Lamm geschlachtet, dessen Blut sie an die Türpfosten strichen, auf daß der Würgeengel (2. Mose 12, 23) an ihrem Hause vorüberschreite. Das Blut dieses Opferlammes behütete sie vor dem entsetzlichen Tod, der die erstgeborenen Söhne aller ägyptischen Familien durch den Zorn des vorüberschreitenden heiligen Gottes traf (2. Mose 11, 4 und 12, 12). Das Blut dieses Opferlammes mußte fließen, um die Familie vor Gottes zorniger Hand zu erretten. Bei der Schlachtung des Opferlammes durfte dem Tier kein Knochen zerbrochen werden (wundersame, damals in Ägypten noch so unverständliche, aber heilig gehaltene Gebote); des Tieres Leib mußte unversehrt erhalten bleiben (2.Mose 12, 46 und Vers 9).

So war es einst vor fünfzehnhundert Jahren in Ägypten gewesen. Und nun feierten seither die Israeliten Jahr um Jahr diesen Tag der herrlichen Errettung aus der ägyptischen Knechtschaft durch Gottes starke Gnadenhand. Sie feierten es dadurch, daß sie nun alljährlich an eben diesem Tage – dem ersten Vollmondtag im Frühling – ein gleiches Opferlamm schlachteten, ohne ihm einen Knochen zu zerbrechen, und das Blut des Opferlammes an ihre Haustüre strichen.

Zu diesem Passah eilten nun die frommen Israeliten aus dem ganzen Lande, soweit ihnen die Umstände es erlaubten, nach Jerusalem.

Und nun war wieder der Tag gekommen. Und an eben diesem Nachmittag, zur Stunde, da man die Lämmer zu schlachten pflegte, starb Jesus auf Golgatha.

So starb Jesus – ER selbst als das wahre Opferlamm. Alle Lämmer, die in den fünfzehnhundert Jahren seither zum Passah geschlachtet worden waren, waren nur Gleichnis und Vorbild auf das wahre Opferlamm Jesus auf Golgatha.

 

49. Jesu Blut

Bei der Kreuzigung hatte Jesus kein Blut vergossen. Durch jenes Passahlamm des Mose in Ägypten aber hatte Gott dargetan, daß nicht schon der Tod des Opferlammes das Haus vor dem Zorn Gottes erretten könne, wenn Gott durch die ägyptischen Lande schreitet. Erretten konnte nur das B l u t, nicht irgend ein Tod des Lammes. Daher durfte das Lamm nicht erstickt werden: sein Blut mußte fließen zur Sühnung vor Gottes Zorn.

Das hatte tiefe Bedeutung. Denn hernach hatten die Propheten gezeigt, daß der gute Hirte, der als Heiland der Welt einst kommen sollte, durchbohrt (Sach. 12, 10) und Gottes Lamm werden müsse (Jes. 53, 7).

Die Juden, die damals am Karfreitag noch nicht begriffen, daß Jesus Gottes Lamm sei, waren in großer Sorge: schon dämmerte der Abend, der als “heilige Nacht” dem Passahtag vorausging; schon wollten die Familien ihre Opferlämmer verspeisen und das Tierblut an die Haustür-Pfosten streichen – da wollten sie diese für sie so heiligen Stunden nicht entweihen lassen durch die Klagerufe der drei Männer am Kreuz oder durch den widerlichen Anblick dreier hoch schwebender Leichen. Daher baten sie den Pilatus, die drei Gekreuzigten totschlagen und alsdann von den Kreuzen herabnehmen zu lassen (Joh. 19, 31). Pilatus genehmigte diese Bitte. Da erwies es sich, als die Soldaten die zwei Verbrecher mit Keulenhieben totschlugen, daß Jesus schon alleine eben zuvor gestorben war. So stieß denn einer der Soldaten seine Lanze in die Seite Jesu – und heraus floß Blut und Wasser (Joh. 19, 32-37).

Warum hatte der Soldat so getan? Ohne Zweifel hatte der Soldat dieses selbst nicht gewußt. Sicherlich folgte er gedankenlos einem willkürlichen Einfall. Und doch war es kein Zufall der Willkür. Sondern Gott hatte den Sinn dieses Soldaten gelenkt, daß er so handeln mußte, ohne zu wissen, weshalb eigentlich: weil Gott ihn die Lanze in Jesu Seite zu stechen bewegte. Und so floß nun Jesu Blut, als das Blut des wahren Passah-Lammes Gottes.

Und uns ist es ein Zeichen, daß nicht Jesu Tod als solcher und nicht das Kreuz unsere Erlösung bedeutet, sondern Jesu Blut, das ER sterbend hingab. Die Theologie des Blutes, die das ganze Alte Testament durchzieht, findet ihre Erfüllung hier im Evangelium: “Das Blut Jesu, Seines Sohnes, reinigt uns von jeder Sünde” (1.Joh. 1, 7). “Erlöst seid ihr durch Christi teures Blut als eines fehlerlosen fleckenlosen Lammes” (1.Petr. 1. 19). “Das Blut Christi reinigt unser Gewissen (Hebr. 9, 14). Denn “ER hat uns geliebt und uns von unseren Sünden gewaschen in Seinem Blut” (Off. 1, 5).

Die beiden mitgekreuzigten Verbrecher waren durch Keulenhiebe erschlagen und ihre Knochen ihnen zerbrochen worden. Aber Jesu Leib durfte von keinem Keulenschlag getroffen werden. Kein Knochen durfte diesem Gotteslamm, das zum Opfer auf Golgatha geschlachtet wurde, zerbrochen werden. Denn ER sollte am dritten Tage mit diesem Seinem Leibe wieder auferstehen.

 

50. Das Sühnegeld

Jesus war in die Welt hinein gekommen, “um Seine Seele hinzugeben als Sühnegeld für Viele” (Mark.10, 45). Darum liebt Gott Jesum, “weil ICH Meine Seele hingebe, denn der gute Hirte gibt für die Schafe seine Seele hin – so gebe ICH Meine Seele für die Schafe hin” (Joh. 10, 11. 15. 17).

Nun liegt die Seele des Menschen in seinem Blut (3. Mose 17, 14; 5. Mose 12, 23).

Wir aber haben unsere Seele verspielt durch die Sünde. Verloren haben wir sie in den Tod. Und “niemand kann seinen Bruder (vom Tode) freikaufen, weil niemand zu Gott einen Kaufpreis hintragen kann – zu teuer ist die Summe, die er für die Seele, um sie loszukaufen, bezahlen müßte – nie in Ewigkeit kann es gelingen”. Aber schon weiß jener alttestamentliche Gottesmann: “Meine Seele aber wird Gott dennoch aus dem Totenlande freikaufen!” (Ps. 49, 8. 9. 16).

“Zion wird durch Gericht losgekauft” (Jes. 1, 27), dadurch, daß Jesus das Gerichtsurteil trägt, das über unsere Sünde ausgesprochen werden mußte. ER ist “der Schiedsrichter, der Seine Hand zwischen Gott und den Menschen legt”, um die Schläge Gottes, mit denen Gott Seine davongelaufenen Söhne züchtigen muß, aufzufangen und selbst zu tragen (Jes. 1, 5; Hiob 9, 33). So wurde ER von Gott zu Tode geschlagen und reichte Seine Seele dar und hat dadurch so teuer uns erkauft, daß dieser Kaufpreis uns erlösen konnte. Weil nun aber auch Jesu Seele – wie jedes Menschen Seele – in Seinem Blute lag, darum gab Jesus Sein Blut dahin für uns, – so hat ER uns durch Sein Blut erlöst, als jener Soldat in Jesu Seite seine Lanze stieß (Joh. 19, 34). So sind wir “nicht durch Geld oder Gold freigekauft worden, sondern durch Christi teures Blut, wie von einem fehlerlosen fleckenlosen Lamm” (1. Petr. 1, 18).

 

51. Der grausige Schrecken

Die Feinde Jesu wurden an jenem Karfreitag von lauter Grausen und Entsetzen geschüttelt. Als die Tempeldiener am Abend zuvor Jesu in Gethsemane begegneten, wichen sie zurück und stürzten zu Boden” Joh. 18, 6) – so erschrocken waren sie vor Jesu Hoheit, vor dem Odem der Ewigkeit, der auf Ihm lag.

Früh am Morgen stand Jesus gefesselt vor Pilatus, und die Priester klagten Ihn mit haßerfüllten schlimmen Worten vor Pilatus an, so daß Pilatus Jesum fragte, ob die Anklagen wahr oder erlogen seien – “und Jesus antwortete ihm auch nicht Ein Wort, so daß der Statthalter Pilatus höchst erschrocken war” (Matth. 27, 14).

Überhaupt sprach Jesus an diesem ganzen Karfreitag Vormittag nur dieses einzige Wort: “Du sagst es!” Es war die Antwort auf die Frage des Pilatus, ob ER der Juden König sei (Matth. 27, 11). Kein Wort weiter hörte man Ihn reden. Vor Herodes schwieg Jesus vollends – wortlos wie ein Lamm, das geschlachtet wird und verstummt, so stumm stand Jesus vor Pilatus, Herodes, den Priestern und dem Volk, daß sie erschraken.

So nimmt denn Pilatus Jesum zu sich hinein in seine Privaträume. Hier nun, ganz insgeheim, in verschlossener Stube, nur mit Pilatus allein, redete Jesus freimütig und erzählte dem Pilatus von Seinem heimlichen Reich, dessen König ER ist – zwei Könige standen sich so einander gegenüber: Roms Statthalter Pilatus und der König des Himmelreiches Jesus (Joh. 19, 33-38), der, wenn ER nur rufen wollte, mehr himmlische Streiter zu Seiner Verfügung hat, als Rom Soldaten besitzt (Matth. 26, 53). Aber Jesus ruft sie nicht.

Und Pilatus hört auf die Stimme des Königs der Wahrheit nicht – aber in seinem Gewissen gepackt und von Grauen geschüttelt, führt ER Jesum vor das Volk: “So seht doch diesen Menschen!” (Joh. 19, 6). Des Pilatus Frau mußte in der Nacht viel unter Träumen leiden und zittert in Angst um diesen gerechten Jesus (Matth. 27, 19).

Entsetzen packt das Volk, Priester und Soldaten, als unter der umdüsterten Sonne Jesus starb, daß sie erschüttert davon liefen (Luk. 23, 48).

Und erschrocken war Pilatus, als er am frühen Nachmittag hörte, Jesus sei so schnell schon am Kreuz gestorben, daß er es schier nicht glauben konnte (Mark. 15, 44).

So starb Jesus – ein König, der seine Macht nicht nutzte, der über mächtige Heere noch am Karfreitag zu gebieten wußte (Matth. 26, 35), aber die Heere nicht rief, weil ER Gottes Lamm sein wollte, das nicht herrscht sondern dient und Seine Seele hingibt als Lösegeld für Viele.

Aber unheimlich sichtbar lag, zum Entsetzen und Erschrecken für Seine Feinde und die höhnenden Spötter, auf Jesu Antlitz die königliche Hoheit, daß der Hauptmann erschüttert ausrief: “Wahrhaftig ist dieser Mensch Gottes Sohn gewesen!” (Mark. 15, 39). Und ewig unvergessen bleibt des Pilatus Wort über den Mann mit der Dornenkrone:

“So seht doch diesen Menschen!”

 

52. Jesu Begräbnis

Ein heimlicher Jünger Jesu, der Ratsherr Josef von Arimathia, erbat sich von Pilatus die Erlaubnis, Jesum zu begraben. Mit Nikodemus zusammen begrub er Jesum in einem ihm zu Eigen gehörenden Felsengrab unweit Golgathas [Joh. 19, 38-42; Mark. 15, 42-46). Einige Frauen schauten zu und halfen auch wohl beim Begräbnis (Matth. 27, 61).

So wurde Jesus, wie schon Jesaja geweissagt hatte (Jes. 53, 9), bei einem Reichen begraben. So hatte Gott es gewollt. Denn Jesu Grab sollte nach Seiner Auferstehung vor jedermann, der es schauen wollte, offen daliegen, daß man hinein gehen und alles genau besehen konnte, damit keinerlei Zweifel entstehen dürften.

Darum mußte Jesu Leichnam in einem weiträumigen Grab-Gewölbe (wie nur ein sehr reicher Mann es besitzen konnte) begraben werden. Hätte man Jesum wie irgend einen armen landfremden Pilger oder gar Verbrecher irgendwo verscharrt, so hätte man das Grab hernach am Ostertage (nach drei Tagen!) nicht mehr sicher identifizieren können, und der Beweis, daß Jesus auferstanden sei, wäre sehr unsicher gewesen. Darum sorgte Gott, daß ein reicher Mann Jesum begraben mußte und ließ es schon Jahrhunderte zuvor durch Jesaja weissagen.

Auf Bitten der Juden ließ Pilatus das Grab durch einige Soldaten versiegeln und bewachen, damit die Jünger nicht Jesu Leichnam stehlen und eine Toten-Auferstehung vortäuschen könnten (Matth. 27, 62-66).

 

53. Jesus kehrt zu Gott zurück

Jesu Leib war nun tot und lag im Grabe. ER selbst aber ging, wie wir aus Seinen eigenen deutlichen Worten ganz bestimmt wissen, noch an diesem selben Abend zusammen mit dem Einen der beiden mitgekreuzigten Verbrecher hinein in das Paradies (Luk. 23, 43).

Dieser Verbrecher war der Erste, dem Jesus die Himmelstüre auftat und vor Gott hinführte. Und Jesus schämte sich nicht, nun, da ER vor Gott trat, diesen armen als Verbrecher hingerichteten Mörder Seinen Bruder zu nennen (Hebr. 2, 11). Und die Mörder-Blutspuren, die jener Mann an seinen Händen schier unauslöschlich trug, hatte Jesus durch Sein eigen Blut abgewaschen (Off. 1, 5), so daß nun das Wunderbare dennoch geschah: das Mörderblut war völlig getilgt (Kol. 1, 22) – aber die Spuren von J e s u Blut waren auf des Mörders Antlitz zu sehen (l. Petr. 1, 2; vgl. Hebr. 10, 22), so daß jener Mörder kraft dieses Tropfens von Jesu Blut, womit ER besprengt war, jetzt durch die Himmelstür schreiten durfte (Hebr. 10, 19).

Und weil Jesus ihn so gereinigt und ihn nun Seinen Bruder genannt hatte, darum erkannte Gott diesen Mörder auch als S e i n e n Sohn an, der tot war und wieder lebendig geworden ist (Luk. 15, 24). Denn Jesus wollte diesem Seinem Bruder, den ER durch das Sterben hindurch behütet hatte, Seinen Glanz zeigen, den ER (Jesus) im Himmel bei Gott besitzt (Joh. 17, 24, 12). Die Anklageschrift gegen diesen Mörder, die ein Engel in seinen Händen Gott entgegentrug, worinnen alle Missetaten dieses Verbrechers verzeichnet waren, nahm Jesus aus des Engels Hand und zerriß sie – alle Sünde sollte vergeben sein (Kol. 2, 14). Und Gott sah noch die Tränen der Todesqual und der verzweifelten Reue auf des Mannes Antlitz – und Gott trocknete ihm mit eigener Hand alle Tränen aus seinen Augen (Off. 21, 4), und Jesus setzte ihn zu Tisch droben im Himmelreich und bediente ihn in gütiger Freundeshuld (Luk. 12, 37).

 

54. Jesus im Lande der Toten

Doch sogleich eilte Jesus aus dem Paradiese, wo ER den Schächer bei Gott zurückließ, hinunter in das Totenland. Denn nun mußte ER die alten Väter, die in den langen Jahrhun­derten seither gestorben waren, herausrufen und hinüberführen zu Gott. Hiob hat es uns am treulichsten geschildert, wie die Väter dort im Totenland hoffend auf Jesum harren. Hiob erzählt, daß er zwar bald sterben und in des Totenlandes Tiefe hinunter werde sinken müssen. Aber (so betet er):

DU verbirgst mich im Lande der Toten und versteckst mich dort, bis Dein Zorn vergangen ist – bis jener Starke kommt, der Gottes Zorn durch Sein Sühnegeld zu stillen weiß.

DU setzest mir eine Frist (nämlich bis Jesus als Erlöser auf die Welt kommen wird), um aber dann wieder an mich zu denken, … hoffen will ich, bis meine Erlösung kommt. Und dann, dann rufst DU und ich, ich antworte Dir! – weil DU Sehnsucht trägst nach dem, den Deine Hände erschufen. Alsdann umhütest DU sorgsam meine Schritte … (Hiob 14, 13-16).

Jetzt war die Stunde gekommen, da Gott Sehnsucht trug nach Seinen im Totenlande verlorenen Kindern. Jesus eilte hinunter in das Totenland, um “als der Stärkere den Starken zu bezwingen, den Teufel, der die Macht über den Tod hatte und durch den Tod die Menschen allzumal in seine Faust hineinzwang“ (Hebr. 2, 14).

Aber wie der Tod bisher allmächtig alle an sich riß durch seine Geißeln: Pest und Seuche, so wurde Jesus selbst zu einer Seuche und Pest für das Totenland in jenen Augenblicken, als ER vom Himmel hernieder stieg und kraftvoll wuchtig die Tür zum Totenlande aufstieß mit Seiner starken Hand:

“Aus der Gewalt des Totenreiches will ICH sie erlösen, aus dem Tod sie loskaufen. Tod, wo ist dein Verderben? Totenreich, wo ist dein Sieg?“ – (Hosea 13, 14).

So trat Jesus – derweilen Sein Leichnam im Grabe lag – in die weiten Räume des nachtdunklen Totenreiches (Hiob 10, 22) und besuchte die alten Väter und Mütter, die in tiefer Sehnsucht auf ihre Erlösung (nach Hiobs Worten) warteten. Und wie Jesus zu ihnen hintrat, rief ER sie und brachte ihnen durch Seine Predigt das Evangelium, wie uns Petrus erzählt: “darum wurde auch den Toten das Evangelium zugetragen” (1. Petr.1, 6) durch Jesum, “der zu den Geistern im Gefängnis ging und ihnen predigte” (3, 19). Nun war endlich die von Hiob ersehnte Stunde gekommen. Und wie Jesus als Sieger durch das Todestor schritt und den Hiob rief und die alten Väter und Mütter allzumal, die dort im Totenlande, vom Teufel gefangen, lagen, da hörten sie – “und ich, ich antworte Dir” (sagte Hiob) – und so folgten sie Ihm, der jetzt “sorgsam alle ihre Schritte umhütete”, um sie auf sicherem Pfade in Seinem treuen Geleit aus dem Totenlande hinüber zu führen in das große selige Vaterhaus droben – so wie ein Hirte seine Herde leitet – nach Jesu Worten, so wie ER selbst hierüber gesagt hatte: “Und ICH habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stalle sind; auch die herbeizuführen liegt Mir ob – und sie werden auch auf Mich hinhorchen (wie Hiob es längst zuvor schon so gewiß versprochen hatte) – und so wird nur Eine Herde sein, Ein Hirte nur” (Joh. 10, 16).

Dort im Totenlande blieb Jesus, wie es scheint, bis zum Ostermorgen. Denn all den ungezählten Hunderttausenden, die dort im Dunkel harrend lagen, mußte ER predigen von Seiner Gnade, die ER allen schenken wollte, die gläubig sich Ihm anvertrauten. Und – so erzählt Matthäus – nach Seiner Auferstehung erschienen diese alten Väter vielen in Jerusalem (27, 53), als sie auf dem Wege waren, hinter Ihrem Herzog Jesus drein (Hebr. 2, 10), dem sie erlöst nachfolgten zum Vaterhause nach droben.

So war Jesus “in die tieferen Teile der Erde hernieder gestiegen”, ist dann aber wieder “zur Höhe hinauf gefahren und hat Gefangene gefangen abgeführt” (Eph. 4, 8-9); das bedeutet: die im Totenlande Gefangenen entriß ER dem Tode und nahm sie in Seinen Besitz: als Gefangene der Gnade führte ER sie zum Himmel empor (Eph. 4, 10).

Wieviele der Toten Ihm damals folgten und wieviele vielleicht auch nicht, erzählt uns die Bibel nicht. Wir müssen uns mit diesem, was wir jetzt sahen, begnügen.

55. Karsamstag in Jerusalem

Derweilen saßen während des auf den Karfreitag folgenden Sonnabend die Jünger und die Frauen stille in Jerusalem (Luk. 23, 56). Dieser Sonnabend war doppelt geheiligt: als Sabbath und als Passah-Tag, die – wie es sich gerade traf – in diesem Jahre zusammen fielen (Passah liegt auf dem fünfzehnten Tag des ersten Frühlings-Monates, das ist der Vollmondstag). Heimlich aber in der Stille mischten die Frauen Salben, um am Sonntag (wenn das große Fest vorüber und der Sabbat vergangen war) zum Grab zu gehen und Jesu Leichnam dort zu salben.

Judas Ischarioth hatte sich schon am Freitag, ehe noch Jesus gestorben war, erhängt (Matth. 27, 5). Über die übrigen Jünger erfahren wir während dieses Sonnabendes nichts.

56. Jesu Auferstehung

Mit Seiner Siegesbeute verließ Jesus im Triumph das Totenland.

Ein Erdbeben erschütterte am Sonntag früh die Friedhofs­stätte. Ein Engel des Herrn stieg vom Himmel hernieder und rückte den schweren Stein beiseite, den am Karfreitag Josef von Arimathia vor das Grab hatte wälzen lassen (Matth. 27, 60).

Und Jesus trat in eben diesem selben Augenblick lebendig aus dem Grab heraus!

Nicht der Engel hatte Ihn auferweckt aus Seinem Todesschlaf – kein Engel hätte hierzu Kraft und Macht gehabt – sondern Gott selbst erweckte Jesum durch Seinen Glanz, wie uns die Bibel deutlich bezeugt (Röm. 6, 4).

So war also Gottes Glanz, der wundersame leuchtend-lichte Glanz, der von Gottes Thron ausstrahlt, hineingeflossen in des Grabes Nachtdunkel und hatte Jesu Leichnam umstrahlt – und unter diesem Strahlenlicht des Himmels war Jesu Leichnam auferwacht.

Die fünf Wunden der Kreuzes-Nägel an Jesu Händen und Füßen und des Lanzenstiches in Jesu Seite waren als Narben deutlich an Jesu Leib auch jetzt noch sichtbar (Joh. 20, 25) – und Jesus trat mit Seinem wundersam verklärten Leibe, der die Narben der fünf Kreuzeswunden an sich trug, lebendig und stark aus dem Grabe heraus und ging hinweg, derweilen ein Engel die Leichentücher in dem Grab sorgsam zurechtlegte und ein zweiter Engel (derselbe, der eben zuvor den Stein fortgerückt hatte) auf den Stein sich setzte.

Niemand hatte gesehen, wie Jesus auferstand. Denn die römischen Soldaten, die das Grab bewachten, wurden durch das Erdbeben und des Engels wuchtige Tat, als er den Stein fortrückte, so bestürzt und betäubt, daß sie von diesem mächtigen Geschehen, wie Jesus aus dem Grab heraustrat, nichts wahrnahmen und Jesum nicht erblickten.

Durch Gottes Glanz war Jesu Leichnam wieder lebendig geworden – aber wundersam verklärt. Es war derselbe Leib, mit dem ER drei Tage zuvor am Kreuz gehangen hatte und mit dem ER nun auferstand und das Grab verließ. Aber dieser Leib, der als gestorbener in das Grab gelegt war, war nun mit Unsterblichkeit überkleidet worden, der irdische Leib war in einen himmlischen Leib verwandelt, so daß er zu einem geistlichen Leibe geworden war (1.Kor. 15, 40-53).

Mit diesem Leibe wanderte nun Jesus und verzehrte Nah­rung (Luk. 24, 15, 43, 50). Man konnte ihn anfassen, er hatte Fleisch und Knochen und war ganz gewiß nicht bloßer Geist (Luk. 24, 39), sondern wirklich der Leib, den Jesus durch Sein ganzes irdisches Leben immer getragen hatte – aber wunderbar verklärt: er war an keine Erdenschwere mehr gebunden und nicht dem Raum verhaftet, wie unser irdischer Leib. Unsichtbar oder sichtbar, entschwebend oder wandernd, ganz wie Jesus wollte, war dieser Leib befreit von allen Erdenbanden, frei von aller Menschen-Schwachheit (Joh. 20, 19, 26; Luk. 24, 31). Sein Leib war überkleidet von himmlischem Wesen, das das sterbliche irdische Wesen des Leibes verschlungen hatte.

Und so, in diesem verklärten Leibe, verließ Jesus das Grab, um Seinen Jüngern zu begegnen.

Jesus war nicht alleine auferstanden, sondern viele der in den früheren Jahrhunderten gestorbenen Heiligen waren sogleich nach Ihm, Ihm folgend, auch aus ihren Gräbern geschritten und wanderten in die Stadt Jerusalem hinein, wo manche Fromme dort sie gesehen haben (Matth. 27, 53).

 

57. Die verzweifelte Oster-Angst

Für Jesu Jünger aber und alle Gläubigen, die sich zu ihnen hielten, war der Ostertag ein Tag bebenden Entsetzens. Früh am Sonntag Morgen gingen vier Frauen zum Grabe mit ihren Salben, um Jesu Leichnam zu salben:

1. Maria Magdalena,
2. Maria, die Frau des Kleophas und Mutter des kleinen Jakobus, der einer der zwölf Jünger war,
3. Salome, die Schwester der Mutter Jesu und Gattin des Zebedäus und Mutter des Johannes und des anderen Jakobus,
4. Johanna, von der wir sonst nichts wissen.

Wie sie zum Grabe hinkommen und sehen, daß der Stein fortgerückt war, lief Maria Magdalena flugs, ohne sich umzusehen, nach Jerusalem zurück, um diese erschreckende Nachricht dem Petrus und Johannes zu erzählen (Luk. 24, 10; Joh. 20,2).

Die drei anderen Frauen aber gingen in das Grab hinein und sahen drinnen einen Engel sitzen – hernach auch sahen sie den anderen Engel auf dem großen Stein sitzen. Beide Engel erzählten den Frauen, Jesus sei auferstanden.

Die drei Frauen aber “flohen vom Grabe, von zitterndem Entsetzen ergriffen” (Mark. 6, 8). Sie liefen nach Jerusalem zurück.

Jedoch auf dem Wege “begegnete Jesus selber ihnen und sagt: Freuet euch – sie aber traten auf Ihn zu, erfaßten Seine Füße und beteten Ihn an”, gingen heim “und erzählten diese Dinge den Aposteln und den Anderen; aber denen dünkten diese Reden nur lauter Geschwätz – sie glaubten ihnen nicht!” (Matth. 28, 9; Luk. 24, 9-11).

Petrus und Johannes aber waren indessen schon, auf die Reden der Maria Magdalena hin, eilend zum Grabe hin gelaufen und fanden es leer – aber kein Jesus und auch kein Engel war zu finden – “hierüber war Petrus höchst erstaunt, ging aber wieder heim” (Luk. 24, 12; Joh. 20, 3-10).

Maria Magdalena eilte derweilen zum zweiten Male zum Friedhof, sah zunächst nur zwei Engel, gleich hernach aber Jesum selbst, der sie wieder zu den Jüngern zurückschickte (Joh. 20, 11-18). So lief sie “und erzählte es denen, die mit Ihm gewesen waren und nun trauerten und weinten. Als sie aber hörten, daß Jesus lebt und sie Ihn gesehen habe, glaubten sie es doch nicht” (Mark. 16, 10-11).

Lähmende Trauer lastete auf den Jüngern. Das Grab war leer, darüber konnte gar kein Zweifel sein – Frauen behaupteten Ihn gesehen zu haben, aber keiner der Männer hatte Jesum irgendwo gefunden. Niemand wußte, was aus Jesu Leichnam geworden war – außer den Frauen, aber denen glaubte niemand.

Schrecken erfaßte auch die Jerusalemer Priester, als sie von den römischen Soldaten, die am Grab gewacht hatten, hörten, was jene von dem Engel, der Erschütterung des Erdbodens und dem leeren Grab zu erzählen wußten. Die Priester versuchten, durch eine törichte Lüge Jesu Auferstehung zu vertuschen (Matth. 28, 11).

 

58. Die Oster-Freude

Am späten Nachmittag wanderte Kleophas, der Gatte jener zweiten Maria, die Jesum am Morgen gesehen hatte, mit noch einem uns unbekannten anderen Jünger über Land nach Emmaus, wo ihnen beiden auf dem Wege Jesus begegnete (Luk. 24, 13).

Während jene wieder eilend nach Jerusalem zurückliefen, um den Anderen zu erzählen, was sie erlebt hatten, erschien Jesus dem Petrus allein (Luk. 24, 34). Was Jesus da mit Petrus geredet hat, hat Petrus offenbar nie erzählt – wir wissen hiervon nichts.

Am Abend hatten die Jünger sich aus Furcht vor den Juden eingeschlossen, weil schon die boshaften Priester das Gerücht in der Stadt verbreiteten, die Jünger hätten Jesu Leichnam gestohlen, um eine Totenauferstehung vorzutäuschen. So mußte im Volk die Meinung auftauchen, die Jünger seien infame Betrüger, die daher nun mit ihrer baldigen Verhaftung rechnen mußten.

Kleophas und der andere Jünger waren derweilen zurüdcgekehrt und erzählten soeben den Jüngern, wie sie Jesum gesehen und mit Ihm gesprochen hätten – da trat Jesus unversehens durch verschlossene Türen in ihre Mitte und zeigte sich ihnen. Weil “aber die Jünger bestürzt und ängstlich waren und glaubten, einen Geist zu sehen”, ließ Jesus sich Speisen reichen und aß vor ihnen, um ihnen zu beweisen, daß ER wirklich ER selbst und nicht ein bloßer Geist sei, und ER redete mancherlei mit ihnen. “Nun freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen!” (Joh. 20, 20; Luk. 24, 38), und erzählten es auch Anderen mit großer Freude weiter: “Wir haben den Herrn gesehen!” (Joh. 20, 25). Verzagen, Angst und Trauer waren gewichen.

 

59. Die Tage nach Ostern

Am Sonntag nach Ostern kam Jesus wieder zu den Jüngern und zeigte sich besonders dem Thomas (Joh. 20, 24-29). Zuvor schon hatte Jesus (am Ostertag) Seinen Jüngern befohlen, sie sollten nach Galiläa wandern; dort wolle ER ihnen nochmals begegnen (Matth. 28, 10).

So wanderten die elf Jünger denn dorthin, und weil sie nun Jesum nicht mehr bei sich hatten, waren sie wieder ihrer alltäglichen Arbeit des Broterwerbes hingegeben, da sie noch keine Weisung von Jesu empfangen hatten über ihre künftigen Aufgaben in der Weltmission. Sie wurden also wieder Fischer.

Da erschien an einem Tage Jesus am See Genezareth sieben Jüngern, die zum Fischfang auf dem Wasser waren, und hielt mit ihnen ein Frühmahl. Insbesondere redete ER mit Petrus und über den Johannes (Joh. 21).

Und wohl bald darnach besprach sich Jesus mit allen elf Jüngern und noch fünfhundert anderen Brüdern (von denen etliche bis dahin im Glauben noch schwankend gewesen waren und darum zweifelten) (Mattth. 28, 16-20; 1.Kor. 15, 6). Jesus zeigte ihnen die große Aufgabe der Predigt und Gemeindegründung allenthalben unter allen Völkern der Welt, und sandte sie aus. Ihren galiläischen Fischerberuf sollten sie nun verlassen, um als Seine Boten in die weite Welt zu wandern mit dem Evangelium und der Taufe, und in der Gewißheit, daß Jesus selbst sie allenthalben hin geleiten werde. So löste ER die Jünger hier in Galiläa von ihrer galiläischen Heimat und aus ihrem irdischen Beruf, um sie ganz in Seinen Dienst zu ziehen. Doch schickte Jesus zunächst Seine elf Jünger noch einmal wieder nach Jerusalem zurück, wo sie auf Ihn warten sollten (Apg. 1, 4).

Irgendwann während jener Zeit erschien Jesus auch Seinem leiblichen Bruder Jakobus, wodurch jener sich bekehrte und zum Glauben kam (l. Kor. 15, 7).

 

60. Jesu Erscheinungen

So erzählt uns die Bibel, daß Jesus zehnmal sich als Auferstandener den Seinen gezeigt habe:

1. den drei Frauen, 2. der Maria Magdalena, 3. den Emmaus-Jüngern, 4. Petrus, 5. den Jüngern am Abend, 6. nach acht Tagen allen Jüngern (Thomas), 7. sieben Jüngern am See Genezareth, 8. 500 Brüdern auf einem Berg in Galiläa, 9. dem Bruder Jesu, Jakobus, 10. am Himmelfahrtstage allen Jüngern.

Jesus zeigte sich als Auferstandener nur Seinen Gläubigen – jedoch auch solchen, die zu Zweifeln noch fähig waren, und nun dadurch, daß sie Ihn sahen, zu voller Gewißheit geführt werden sollten (Matth. 28, 17).

Aber auch solche durften Ihn sehen, die bis dahin noch Ihn abgelehnt hatten, nun aber dadurch, daß Jesus sich ihnen zeigte, zum Glauben hinfanden und forthin ganz Ihm zu Eigen gehören wollten. Ein solcher war Jesu leiblicher Bruder Jakobus (Joh. 7, 5; 1. Kor. 15, 7).

Anderen aber, die im Unglauben verharren wollten, zeigte Jesus sich nicht.

 

61. Jesu Himmelfahrt

Sechs Wochen lang zeigte sich Jesus durch solche Erscheinungen Seinen Jüngern. Zum letzten Male erschien ER vierzig Tage nach Ostern den Jüngern in Jerusalem. Nach längeren Gesprächen über Sein einstiges Wiederkommen, legte ER Seinen Jüngern noch einmal ihre Aufgabe, der ganzen Welt das Evangelium zu verkündigen, eindringlich an das Herz, und wanderte alsdann mit ihnen zum Ölberg hinaus (in die Nähe des Dorfes Bethanien) (Luk. 24, 50). Und unter letzten segnenden Worten schied ER von ihnen. Vor den Augen der Jünger wurde ER emporgehoben und entzog sich durch eine Wolke ihren Blicken. Zwei himmliche Boten traten zu den Jüngern und belehrten sie, daß Jesus in eben dieser Weise, wie ER nun von ihnen geschieden war, einst wieder kommen werde (Apg. 1, 3-11). Stieg Jesus in einer Wolke verborgen zum Himmel empor, so wird ER in einer Wolke verborgen auch wieder vom Himmel herniederfahren, wann Sein Tag anbrechen wird.

62. Jesus betritt den Himmel

“Gott fuhr empor, nach droben fuhr Jehova, unter jubelndem Posaunenschall!“ (Ps. 47, 6).

Nichts erzählt uns die Bibel darüber, wie Jesus den Himmel betrat, da ER Seinen Siegeszug über die Erde hin und zuletzt noch durch das Totenland, den Hades, vollendet hatte. Doch läßt dieses Psalmenwort uns ahnen, welche Freude den Himmel erfüllte, und welchen Jubel die Engel anstimmten, als Jesus nun wieder heimkehrte in Sein Vaterhaus.
“Zu Gott wurde ER und zu Seinem Thron hingerissen” (Off. 12, 5), wodurch Jesus dem Zugriff des Satan nun für immer entnommen und entrissen war. So lange Jesus auf Erden weilte, hatte der Satan ihn verfolgen, versuchen und am Ende sogar töten dürfen – nun kann er Ihm hinfort nichts mehr anhaben (Off. 12, 13).

Und Gott rief, da Jesus nun zum Himmel hinein schritt, Seinem Sohne Jesus Christus zu: “Setze Dich zu Meiner rechten Seite!”

Und Gott schwur Jesum zu, daß ER als ein ewiger Priester an Gottes Seite für Seine Jünger und Alle, die Ihm glauben wollen, ewig wirken dürfe (Hebr. 1, 13 und 5, 6).

Und Jesus schritt hin zu Gottes Thron und setzte sich an Gottes rechte Seite (Mark. 16, 19).

 

63. Jesu Thron im Himmel

So sitzt denn nun Jesus zur rechten Hand Gottes auf Gottes Thron. Über diesen Thron Gottes und Jesu weiß uns der Evangelist Johannes mancherlei zu erzählen (Off. 4-7): Der Thron ist von farbigem Licht (gleich einem Regenbogen) umstrahlt, der Thron selbst wie ein grün-leuchtender Sma­ragd-Edelstein (4, 3). Rings um den Thron, offenbar ihn tragend, stehen vier Cherubim (4, 6; Hes. 1).

In einer kleinen Entfernung sitzen rings um den Thron auf geringeren Thronen vierundzwanzig Ehrwürdige, die die Weltregierung verwalten, in feierlichen Augenblicken aber ihre Kronen vor Gott niederlegen als dem erhabenen Weltherrn (Offb. 4, 4, 10).

Neben Gott steht am Thron – oder sitzt zugleich mit Gott auf dem Thron – Jesus Christus (5, 6). In weiterem Kreis umringen ungezählte Scharen dienst­bereiter Engel den Thron (5, 11). In einem kleinen Abstand steht vor dem Thron ein Altar. Unterhalb dieses Altares – also wesentlich tiefer stehend als Gott – finden sich die Seelen derer ein, die die Erde verlassen und durch den Tod zu Gott heimgehen (6, 9).

 

64. Jesus zeigt sich vom Himmel her

Drei Seiner Jünger durften Jesum noch nach der Himmelfahrt sehen, wie ER im Himmel weilt:

1. Stephanus sah bei seinem Sterben “Gottes Glanz und Jesum zu Gottes rechter Seite stehen” (Apg. 7, 55).

2. Saulus, der hernach Paulus hieß, wurde von hellem Licht umstrahlt und geblendet – Jesus erschien ihm und sprach zu ihm (1. Kor. 15, 8; Apg. 9, 5).

3. Der Jünger Johannes sah auf der Insel Patmos den Herrn in Seinem himmlischen Glanz (Off. 1, 9-20). Auch in Traumgesichten erschien Jesus dem Paulus mehr­mals (Apg. 18, 9; 22, 18; 23, 11).

 

65. Jesu himmlischer Leib

So wie Jesus dort neben Gott steht, trägt ER an Seinem himmlischen Leibe durch alle diese Zeiten – und wir möchten vermuten: bis in alle Ewigkeit – die Wundmale Seiner Kreuzigung. Johannes sah Ihn dort im Himmel am Thron stehen wie ein geschlachtetes Lämmlein – was wir gewiß so verstehen sollen: deutlich sichtbar blieben an Seinem Leibe die fünf Wundmale des Kreuzes (Off. 5, 6). Und gekleidet ist ER in ein blutgetränktes Gewand (Off. 19, 13).

 

66. Jesu unsägliche Arbeit im Himmel

Unsäglich mühevoller Arbeit ist Jesus im Himmel hingegeben. In dem großen Vaterhause droben rüstet ER den Raum für alle, die durch Glauben und Nachfolge Ihm angehören (Joh. 14, 3). Das bedeutet, daß, wenn wir uns zum Sterben rüsten, Jesus für jeden von uns, die wir glauben, eine Wohnung im Himmel zubereitet, die unserer Reife, unseren Lebensschicksalen und unserem Glauben angemessen ist. Gewiß sind Engel Ihm hierzu zu Dienst bereit. Doch welcher Sorgsamkeit und Umsicht, wieviel hingegebener Freundestreue bedarf es, um jedem Seiner ungezählten Jünger, die täglich sterben, die Wohnung so zuzubereiten, daß wir nach unserem Sterben einziehen können.

Engel tragen unsere Gebete (wie es die Bibel deutlich bezeugt) vor Gottes Angesicht (Off. 5, 8 und 8, 4). Und für Alle, die in Jesu Namen zu Gott oder zu Jesus selbst beten, tritt ER fürbittend ein vor Gott (Röm. 8, 34; Ps. 73, 25). Das bedeutet, daß Jesus unsere Anliegen, die wir im Gebet Ihm sagen, sorgfältig untersucht, um unsere Gebete erhören zu können. Und unsere Lebensschicksale, seien sie notvoll oder durch satanische Versuchungen voller Gefahren, bespricht ER mit Gott, immer den Vater bittend um Gnade oder freundliche Hilfe, auch wenn wir es nicht verdient haben. Unsere Wünsche, die wir im Gebet Ihm sagen, kann ER freilich uns nicht immer so erfüllen, wie wir es gerne wollten. Dennoch erhört ER jedes Gebet, das die Engel vor Ihn tragen – und sie tragen jedes unserer Gebete hinauf – auch wenn ER anders darauf ant­wortet, als wir erhofft hatten. Denn Jesus prüft sorgsam, wie ER auf unsere Bitten in vollkommener Weisheit uns am besten helfen könne. Wieviel sorgsames Sinnen und prüfendes Erwägen lastet auf Jesu, angesichts oft törichter Wünsche Seiner Gläubigen! Und wieviel muß ER bedenken, um den Seinen recht helfen zu können, wenn Haß, Eifersucht und Zank und unsäglich viel Sünde das Leben Seiner Getreuen vergiften. So steht ER als Priester vor Gott – für uns! – unentwegt bedenkend, wie ER uns helfen könne.

 

67. Der Paraklet

Und Jesus sendet Seinen Geist, den Parakleten (deutsch: den Tröster und Vermahner), zu den Jüngern, auf daß sie nicht welthaftem Geist des Zagens, Zweifelns und der Sünde verfallen. So klopft ER in unserem Gewissen oder durch Sein Wort bei uns an, um uns durch Seinen Geist zu besuchen und in unseren Herzen zu wohnen (Joh. 16, 7, 14 und 14, 21, 23; Off. 3, 20). In dieser geheimnisvollen Weise “will ICH (sagt Jesus) alle Tage bei euch sein, bis die Einigkeit vollendet wird” (Matth. 28, 20). So lehrt ER uns durch Seinen Geist, wie wir recht beten sollen (Röm. 8, 26), und führt uns in die Tiefen der Erkenntnis, die wir durch Ihn selbst, das heißt durch Seinen Geist, erfassen dürfen, auch ohne welthaft gelehrt zu sein (Joh. 16, 13).

Und emsig ist Jesus bemüht, uns zuzurüsten, daß wir einst zum Himmelreich eingehen dürfen. Wer darum in Gefahr steht, durch Sünde verloren zu gehen (Off. 3, 19), den erzieht ER durch Seine Strafen: ER “wirft sie auf das Krankenbett” oder sucht mit irgendwelchen Qualen sie heim, oder muß auch gar ihre Kinder zu Tode kommen lassen” (Off. 2, 16, 22, 23), wenn keine andere Mahnung mehr hilft. Wie muß da Jesus unentwegt Seine Augen auf alle werfen, die Ihm angehören – wie muß ER sorgen, beobachten, und um uns sich unsäglich mühen! “So sorgst DU Dich um alle meine Wege” (Ps. 139, 3).

Doch tut Jesus dieses nur mit Seinen Freunden, die ER lieb hat, weil auch sie Ihn lieben.

Um Andere aber, die von Jesus nichts wissen wollen, kümmert ER sich nicht. “Für Meine Jünger bitte ICH – betete Jesus am Gründonnerstag Abend – aber nicht bitte ICH für die Welt, sondern (nur) für die, die DU Mir gegeben hast” (Joh. 17, 9). Wer Ihn verachtet, den tut Jesus von sich, wie man faules Wasser aus dem Munde ausspeit (Off. 3, 16) – das heißt, den läßt Jesus ruhig leben, ob gut oder schlecht, ohne sich noch irgendwie um ihn zu kümmern. ER straft solche nicht, aber ER hilft ihnen auch nicht, weil ER sie nicht kennt.

Und doch hat Jesus all die Vielen, die Ihn noch nicht kennen oder die Ihm entlaufen sind, nicht vergessen, sondern allenthalben hin sendet ER Seine Jünger. So wie einst, als ER noch auf Erden lebte, so sendet ER auch heute Seine Boten durch Seinen Geist, den ER von droben her auf Seine Jünger legt. Und durch diese Seine Boten ruft ER die verlorenen Menschen zu sich. “Und wer zu Mir kommt, den stoße ICH gewißlich nicht nach draußen” (Joh. 6, 37): Jeden nimmt Jesus in Seine Fürsorge hinein, der betend Ihm naht oder durch einen Jünger zu Ihm sich hinleiten läßt.

Und niemand darf Ihn daran hindern, um die Seinen sich sorgend zu mühen. Darum sagte Jesus bei Seinem Abschied in Galiläa Seinen Jüngern: “Jetzt wurde Mir das volle Recht übergeben, im Himmel und auf Erden zu walten. Darum sollt ihr euch nun zu allen Völkern wenden, auf daß auch sie zu Jüngern werden …” (Matth. 28, 18). Und wenn auch alle diese, die so zu Seinen Jüngern werden, noch so viele Fehler an sich tragen, und mag der Satan sie wie einst den Hiob (Hiob 1) oder den Josua (Sach. 3, 1) vor Gott anklagen – Jesus hat ein volles Recht über alle jene Menschen, die sich gläubig Ihm anvertrauen und zu Ihm beten, so daß der Satan sie nicht mehr von Ihm trennen kann.

 

68. Das Haupt der Gemeinde

Darum wird Jesus das Haupt der Gemeinde genannt (Kol. 2, 19]. Aber nicht nur die Gemeinde, sondern “alles sollte in Christus wie unter einem Haupte zusammengehalten werden, sowohl das, was im Himmel ist, wie auch das, was auf Erden ist” (Eph. 1, 10). Jedoch will Jesus nicht durch Zwang regieren, sondern Sein unsäglich treues Bemühen geht dahin, “alles in Allen zur Vollendung zu bringen” dadurch, daß ER die Gemeinde baut, “die Sein Leib ist und gänzlich erfüllt ist von Ihm” (Eph. 1, 23). Nicht aber bringt Jesus alles in Allen zur Vollendung durch Gewalt. Denn noch will ER nicht durch machtvollen Zorn herrschen, durch den ER jeden Gegner zermalmt. Sondern noch ist die Zeit, da ER durch Seinen Ruf die Schafe aus anderen Ställen ruft:

“auch die herbei zu führen liegt Mir ob, und sie ruerden auch auf Mich hinhorchen” [Joh. 10, 16).

So steht Jesus – jetzt in dieser Zeit zwischen Himmelfahrt und seinem Wiederkommen – nicht als Herr der Welt droben im Himmel, sondern ER steht vor Gott als der ewige Priester (Hebr. 5, 6), und als der “einzige Mittler und Fürbitter” (Hiob 33, 23 und 36, 32), der die Schafe aus fremden Ställen (Wissenschaft, Philosophie, Kunst, Theater usw.) lockend ruft – der sie aber niemals zwingt. Daher auch sagt Jesus, ER stehe vor der Tür und klopfe an (Off. 3, 20) – und ER wartet, ob jemand auftut. Niemals öffnet ER durch Zwang die Tür. Will jemand auf Sein Klopfen nicht hören, so wendet Jesus sich von solchen fort. ER herrscht nur über solche, die aus freiem Willen sich Ihm unterordnen. Nie herrscht ER jetzt in dieser Zeit durch Gewalt. Dereinst freilich, in den letzten Gerichten, wenn ER wiederkommen wird, dann wird Sein Zorn entbrennen über alle, die Ihn jetzt verhöhnen (Ps. 2, 12). Noch aber ist die Zeit der Gnade.

 

69. Jesu Wiederkommen

Daß ER wiederkommen werde, hat Jesus selbst sehr deutlich am Gründonnerstag-Abend in Seinem Verhör vor Kaiphas und dem Hohen Rat bezeugt: “Nun wird es bald geschehen, daß ihr den Menschensohn sehen werdet, wie ER sitzt zur rechten Seite der Macht, und auf den Wolken des Himmels herbei kommt” (Matth 26, 64).

Aber schon von Anfang an hatte Jesus hierüber geredet: in der Bergpredigt (Matth 7, 22) und in den späteren Predigten (Matth. 16, 27). Jedoch über die Zeit, wann ER wiederkommen werde, wußte auch Jesus selbst nichts zu sagen (Matth. 24, 36). Und noch am Tage Seiner Himmelfahrt bestätigte ER Seinen Jüngern zwar, daß ER wiederkommen werde, jedoch “euch geziemt es nicht (sagte Jesus ihnen) die Zeiten und Jahre zu ergründen, die der Vater in der (nur) Ihm eigenen Macht festgesetzt hat (Apg. 1, 7).

 

70. Die Vorwarnungen

Am Dienstag der Leidenswoche hatte Jesus über Sein Wiederkommen zu Seinen ersten Jüngern ausführlich gesprochen und ihnen erklärt, an welchen Vorzeichen man dereinst, wenn Sein Tag sich naht, erkennen werde, daß Sein Wiederkommen vor der Türe steht.

Als solche Zeichen Seines nahenden Tages nannte ER Seinen Jüngern diese (Matth. 24):

eine allgemeine geistliche Verwirrung und schwärmerische Irrungen werden zuvor die Menschheit betören (Matth. 24, 5, 24).

Die Natur gerät in Verwirrung durch Unwetter und Erdbeben (Luk. 21, 11).

Kriege durchzucken die Völker, derweilen die ganze Welt voll ist vom Friedens-Gerede (Matth. 24, 6; 1. Thess. 5, 3).

Jesu Jünger werden verfolgt, daß viele dadurch aus dem Glauben und der Liebe entfallen werden (Matth. 24, 10-12), derweilen aber gleichzeitig das Evangelium bis in die letzten Weltenwinkel hingetragen wird (Matth. 2,1, 14).

Der Haß gegen Jesus wird die Familien vergiften, in deren Schoß sich noch ein Gläubiger findet (Mark. 13, 12).

In die Kirche hinein zieht die freche Leugnung der heiligen Wahrheiten (Matth, 24, 15), während zugleich namenlose Qualen die Menschheit heimsuchen, wie man sie früher auf Erden nie gekannt hatte (Matth. 24, 21).

Männer suchen göttliche Verehrung von ihren Mitmenschen – und finden sie auch! (2. Thess. 2, 4; Mark. 13, 22).

Die Sonne verliert ihre Kraft (das bedeutet vermutlich, daß das Klima zu schwanken anfängt oder das Wetter in Unordnung gerät), derweilen kosmische Erschütterungen die Welt erschrecken (Matth. 24, 29) –

“und dann wird am Himmel sichtbar werden das Zeichen des Menschensohnes, und alle Familien auf Erden werden wehklagen, und sie werden auf den Menschensohn hinblicken müssen, wie ER auf den Himmels-Wolken kommt mit großer Macht und Glanz” (Matth. 24, 30).

Die Jünger Jesu haben diese Vorwarnungen, an denen sie die Nähe des Tages erahnen können, so wie man an den Baumknospen die Nähe des Sommers abliest (Matth. 24, 32). Für die Welt jedoch wird dieser Tag in furchtbarer Plötzlichkeit hereinbrechen, daß die Menschen in schreckenvoller Pein dem vom Himmel kommenden Christus zu entlaufen suchen werden – “ER aber wird sie alle zwingend vor Sein Gericht ziehen, wie der Hirte seine Schafe vor sein Angesicht stellt” (Matth. 25).

Aber auch die Jünger Jesu können die genaue Zeit, wann Jesus wiederkommen wird, nie wissen, müssen daher unentwegt in treuer Wachsamkeit auf Ihn harren.

So hatte Jesus in Seinen Erdentagen die Jünger belehrt. Erst nach Seiner Himmelfahrt hat ER alsdann den Aposteln Paulus und Johannes tiefere Offenbarungen über Sein Wiederkommen enthüllt – jedoch niemals etwas Genaueres über das Datum. Doch wie wir die Nähe des Frühlings erahnen, wenn die Blätter sprießen, so spüren wir – nach Jesu eigenem Wort – die Nähe Seines Tages.

 

71. Die Vorläufer des Antichrists

Durch die Apostel erfahren wir nun, daß zuvor, ehe Jesus wiederkommen kann, “der Abfall noch erst kommen und der Mensch der Gesetzlosigkeit sich enthüllen muß, der Sohn des Verderbens, der Streitsüchtige, der sich über alles, was Gott heißt und ehrwürdig ist, hoch erhebt, daß er sich sogar in Gottes Tempel setzt und von sich behauptet, er sei Gott, ein Gesetzloser, dessen Dasein vom Satan gewirkt ist in lauter Kraft und Zeichen und Lügenwundern und in lauter schlechter Verführung, durch die er die Verlorenen verführt” (2. Tim. 2, 3-10). Wir nennen ihn nach den Worten des ersten und zweiten Johannesbriefes den Antichristen (1. Joh. 2, 18. 22 und 4, 3; 2. Joh. 7).

Bevor aber der letzte mächtige Antichrist kommt, der durch seinen Krieg das Ende dieser Welt heraufbeschwört, wird es viele kleinere Antichristen geben, die das Kommen des eigentlichen Antichristen vorbereiten (1. Joh. 2, 18). Dieser letzte Antichrist wird (wie wir aus Off. 13 erfahren) ein mächtiger Staatsmann sein, der über ein gewaltiges Reich herrscht, neben dem es aber noch ein zweites Reich geben wird, das die Bibel “die Hure” nennt (Off. 17, 1). Zwischen diesen zwei Reichen wird es zum Kriege kommen, da der Antichrist versuchen wird, auch dieses Huren-Reich sich zu unterwerfen, um Herr der ganzen Menschheit und der ganzen Erde zu werden.

Hinter dem Antichristen steht der Satan, der seinen Ungeist und seine Pläne dem Antichristen einflößt, um durch ihn seinen entsetzlichen Kampf gegen Gott bis zum Äußersten durchzufechten (Off. 16, 13).

Und nun ist der Satan seit Jesu Erdentagen unentwegt an der Arbeit, diesem letzten Antichristen den Weg zu bahnen. Daher geht sein Trachten darauf hin, die Menschheit immer mehr unter Einem Herrscher zu Einem Riesen-Staatswesen zu vereinen, um sie sodann durch diesen Einen Weltherrscher völlig und satanisch zu beherrschen.

Um zu diesem Ziel zu gelangen, schickt er einen Antichristen um den anderen (1. Joh. 2, 18), die langsam aber stetig die vielen Staatswesen der Welt zu großen antichristlichen oder Huren-Reichen vereinen, bis es zuletzt nur noch die zwei großen Gewalt-Reiche geben wird, die alsdann auch noch zu vereinen die dem Antichristen vom Satan gestellte Aufgabe sein wird. Mancher Versuch des Satan, dieses Reich zu gründen. ist seither zu spüren gewesen; aber es ist ihm noch nicht gelungen (das Römische Kaiserreich, Mohammed, Napoleon, Clemenceau, Hitler). Dennoch wird er nicht nachlassen, in diese Richtung hinein die Menschheit zu treiben – seit dem Turmbau zu Babel, bis zum Antichristen hin.

 

72. Die Hure und das Tier

Das Staatswesen des Antichristen nennt die Bibel (und mit­hin nun auch wir im Folgenden) “Das Tier” (Off. 13 und 17, 3).

Nicht so wird es kommen, daß die Hure und das Tier zwei festgefügte in sich geschlossene Staaten sind, sondern sie sind zwei Macht-Sphären oder zwei Staatenbünde. Die einzelnen Staaten, wie sie sich durch Heimat, Sprache und Volkstum im Laufe der Geschichte gefügt haben, behalten ihre Eigen-Existenzen. Doch werden diese vielen Einzelstaaten zu höheren Einheiten zusammengefügt in den zwei Systemen oder Machtsphären. Das bedeutet, daß sie von zwei Mittelpunkten der Welt aus geleitet und dirigiert werden, so daß sie am Ende wie zwei große Weltreiche sich gegenüber stehen, in die die kleineren Völker hinein bezogen sind, dadurch daß sie von der Hure oder dem Tier unterjocht wurden (Off. 17, 12-15 und 13, 5).

Und diese zwei Macht-Sphären oder Staatsoberhoheiten haben jede ihre besondere Gestalt, die uns die Bibel sehr deutlich schildert.

 

73. Die Hure

Die Hure ist ein Staatswesen, das als Mittelpunkt eine riesige Welthandelsstadt hat, mit der die ganze ihr zugeordnete Welthälfte Handel treibt. Es ist ein Staatswesen des Reichtums, großer Mächtigkeit und luxuriöser Verschwendung, zugleich aber auch frivoler Lüste und voll ehebrecherischer Niedertracht und grenzenlosen Leichtsinns, und voller schlimmer Verführungsmacht, der auch die Gläubigen leicht verfallen (17, 4 und 18, 4). Alle Bequemlichkeit, Schönheit und Gaumenlust sind hier vereinigt, wodurch aber die Menschen in eine hemmungslose Sinnlichkeit hineingezerrt werden (Off. 18,4-14). Ein abscheulicher Huren-Geist durchzittert die leidenschaft­lichen Seelen der Bürger dieses Reiches (18,14), daß sie ,Menschen und Menschen-Seelen verschachern, wie man Tiere verkauft (Mädchenhandel) (18, 13). Aber unsäglich herrlich wird ihr Luxus sein, so daß auch die Gläubigen in steter großer Gefahr der Verführung leben und daher gut daran tun, der Hauptstadt mit ihren Luxus-Stätten eilend zu entfliehen (18, 4).

 

74. Das Tier

Völlig anders ist das Staatswesen des Tieres (Off. 13). Nichts findet sich dort von diesem Luxus. Es lebt in schlichter Einfachheit. Die Wirtschaft dieses Reiches ist nicht gegründet auf den freien Handel, der sich dort niemals entfalten kann, weil der Antichrist alles in seinen strengen Händen hält. Der Staat verwaltet die Güter, nicht aber – wie im Huren-Reich – die Handelsherren, die es im Tier-Reich überhaupt nicht gibt (18, 17-19).

Das Huren-Reich wird von der Wirtschaft beherrscht und demgemäß von einem Handelszentrum. Das Tier-Reich aber wird straff zentral von dem Antichristen beherrscht und von seinem Propaganda-Chef, den die Bibel den Lügen-Propheten nennt. Man kann demgemäß in diesem Lande gut leben, wenn man sich mit Leib und Leben dem Antichristen willig unterordnet, was man äußerlich dadurch bezeugt, daß man sich das Zeichen des Antichristen auf seiner Hand oder Stirn eintätowieren läßt (13, 16). Wer sich dem widersetzt, wird von den öffentlichen Berufen, vom Handel und Verkehr ausgeschlossen und wird kaum wissen, wie er noch – wenn er doch keine Arbeit finden und in den Kaufhäusern nicht mehr einkaufen kann – sein Leben fristen soll.

Aber auch innerlich muß man dem Antichristen willig seinen Verstand und Seele unterordnen, ihm begeistert zujubeln, seinen öffentlich aufgestellten Bildern tiefe Verehrung bezeugen, aber mit hassender Verachtung jeden aus seiner Familie oder Freundschaft verstoßen und bei den Staats-Stellen zur Anzeige bringen, der nicht dem Antichristen öffentlich huldigt, als sei er göttlichen Wesens (13, 8. 15).

 

75. Der Antichrist

Der Antichrist ist ein wunderbarer, erstaunlicher Mensch, dem die Liebe und Begeisterung des Volkes in lauter Jubel und Begeisterung zufällt. Für diese Begeisterung sorgt der Lügen-Prophet, der der Propagandist und zugleich Kanzler dieses Antichristen ist. Der Lügen-Prophet wird in der Kraft und im Namen des Antichristen erstaunliche Wunder vollbringen, Wunder an Tatkraft und Macht, um derentwillen die Menschen erschüttert und ehrfürchtig den Antichristen anbeten, weil solche herrlichen Dinge niemand aus seiner eigenen Menschenkraft vermag. Und in der Tat ist es so. Denn des Antichristen und seines Lügenpropheten Hände sind gestärkt und befähigt zu diesen ungewöhnlichen und erstaunlicher Taten durch den Satan (13, 11-16 und 16, 13).

Aber vor allem besitzt der Antichrist eine wunderbare Gabe, aller Menschen Herzen durch die Gewalt seiner Rede und das Gewinnende seiner Persönlichkeit an sich zu ziehen, daß sie gar nicht anders können, als ihn zu lieben (13, 8).

Und er, wie auch sein Lügenprophet, wissen beide sich demütig zu stellen, als seien sie Gottes Diener. Dadurch versuchen sie, die an Jesu Gläubigen zu verführen. Es wird dem Antichristen gelingen, sich in die Kirche einzuschleichen. Und er wird Pfaffen finden, die ihn als göttliches Wesen drinnen in der Kirche feiern werden – derweilen er alle heiligen göttlichen Gesetze durch seinen Lebenswandel verhöhnt und seine Mitläufer dazu verführt, ebenfalls sich sinnlich frei und unsittlich auszutoben (2. Thess. 2, 3-10).

Die Zahl des Antichristen ist sechshundertsechsundsechzig. Diese Zahl soll vermutlich die absolute Verneinung des Heiligen bedeuten, das durch die Zahl sieben gekennzeichnet ist. Die dreifach wiederholte sechs ist die radikale, aufs höchste erhobene Weltlichkeit, die zur göttlichen Zahl sieben nicht hinfinden will (Off. 13, 18).

Ehe die Regierungsgewalt über das Reich des Tieres in die Hand des letzten großen Antichristen fällt, wird das Reich des Tieres von Männern beherrscht, die schon ganz die Züge des letzten Antichristen tragen. Der letzte Antichrist hat mehrere Vorgänger, die die Macht seines großen Weltreiches begründet hatten. Zuletzt dann, wenn seine Vorgänger zurückgetreten oder gestorben sind, übernimmt er die absolute Herrschaft und Gewalt über das Reich (17, 9-10).

Der Antichrist wird für einige Zeit wirtschaftlich und politisch viel schwächer sein als das Reich der Hure, so daß er des Huren-Reiches Macht zu spüren bekommt. Wahrscheinlich kommt es zu einem Krieg oder einer Revolte – wir erkennen aus der Bibel nicht, was die Ursache sei. Doch berichtet uns die Bibel, daß für einige Zeit des Tieres Macht so zerbrochen scheint, daß man ihn schon für tot hält und er (der Antichrist und sein Reich) vernichtet am Boden liegt – nicht durch irgend ein zufälliges Unglück oder wirtschaftliche Schwäche, sondern durch eine tödliche Verwundung, die er irgendwo und irgendwie erhält. Während dieser Zeit reitet – wie die Bibel es im Gleichnis sagt – die Hure auf dem Tier. Das bedeutet: das Huren-Reich beherrscht auch das Tier-Reich, so daß für eine (aber nur sehr kurze) Zeit die ganze Welt sich unter die Herren-Macht der Hure (des Huren-Staatswesens und seiner Hauptstadt) beugen muß (13, 3. 14 und 17, 3. 8, vgl. 13, 1).

Jedoch nach einiger Zeit taucht unversehens der Antichrist aus dem Dunkel wieder auf. Der schon Vergessene und Totgeglaubte steht in neuer, und nun noch wunderhaft unbegreiflich erhöhter Macht, vor seinen Völkern, die in rasender Begeisterung ihn wie einen Gott anbeten. Und auch die zum Huren-Reich gehörende Menschheit ist fassungslos erstaunt und erregt ob dieser unbegreiflichen Fügungen (13, 3-4 und 17, 8).

Der Lügenprophet aber peitscht die Menschen des Tier-Reiches zu fanatischer Begeisterung für den Antichristen auf und erregt eine wilde Verfolgung gegen alle, die dem Antichristen göttliche Verehrung und Anbetung verweigern (13, 14-15).

 

76. Die Drangsal

So bringen der Antichrist und sein Lügenprophet eine Zeit bitterer Nöte über die Gemeinde. Wer den Antichristen nicht anbeten will, wird hingemordet von der fanatischen Masse, die vom falschen Propheten des Antichristen aufgehetzt wird zu sinnloser Wut gegen die Gläubigen. Und wer sich das Zeichen des Antichrists nicht in die Haut einbrennen läßt auf die Hand oder Stirn, der wird aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen, daß er verhungern muß, wenn er nicht gar ermordet wird (Off. 13, 15-17).

Die Verführungsmacht des Antichristen und seines Lügenpropheten ist deshalb so entsetzlich groß, weil er durch seine erstaunlichen Wunder die Menschen zu verblenden vermag, so daß das Volk ihm blind vertraut (13, 13 und 17, 8).

Und um dieser Wunderzeichen und seines blendenden Auftretens willen wird er durch treulose Pfaffen auch in die Kirche hinein Eingang finden und sich die Kirche durch Zwang gefügig machen, weil falsche Gottesdiener sich seinem Zwange beugen werden (Matth. 24, 15; 2. Thess. 2, 4). Und da er sich alsdann in der Kirche abgöttisch verehren lassen kann und wird, darum wird es für viele, die im Glauben nicht fest stehen, schwer sein zu erkennen, welches lästerliche Spiel falsche Priester hier treiben. Denn ohne Zweifel wird der Antichrist in der Kirche auch Kirchenworte fromm reden und kirchliche Formeln und Wörter geläufig benutzen, so daß nur im Glauben geübte Sinne den Trug zu durchschauen vermögen.

Jenen aber, die sich nicht ernstlich Jesu anvertraut hatten sondern nur halbe Christen waren, die unschlüssig auf beiden Seiten hinkten, die zwar den Namen Christi und fromme Worte im Munde führen, im Herzen aber doch wankelmütig und welthaft geblieben sind, denen schickt (alsdann) Gott starken Irrtum, durch den sie der Lüge glauben sollen, auf daß sie in das Gericht fallen (2. Thess. 2, 11). Denn nun muß Gott eine klare Entscheidung fordern, ob jemand für Ihn ist oder ob er mit dem Antichristen gelten will. Darum prüft jetzt Gott die Menschen dadurch, daß ER es zuläßt, daß eine falsche Predigt die Gemeinde erschüttert, daß Viele sich betäuben und verführen lassen und dadurch untreu werden (Matth. 24, 10. 23. 24). Und leichtsinnige Zweifel und Spöttereien vergiften die Gemeinden (2. Petr. 3, 3-4). Hier dann wird sich zeigen die Geduld der Heiligen; denn wer ausharrt bis zum Ende und durch alle diese Verführungen hindurch Glauben bewahrt und bei Jesu bleibt, der wird selig (Off. 14, 12; Matth. 24, 13).

In dieser drangvollen Notzeit der gemeinde, die ihre Kirche verloren hat, weil der Antichrist auch die Kirche beherrscht, und in der viele hinsterben unter der wilden Verfolgung des Lügenpropheten, der ihnen alle Lebensgrundlagen zu entreißen sucht, will aber alsdann Gott “jene Tage abkürzen, um der Auserwählten willen, weil sonst kein Mensch selig werden würde” (Matth. 24, 22).

 

77. Israel zwischen den Weltmächten

Das Tier-Reich steht nun wieder, nachdem der Antichrist von seinen tödlichen Verletzungen zum Erstaunen aller genesen ist, in unvergleichlicher Macht und stolzer Höhe da. Ihm gehören die Ost-Staaten an (Off.16, 12). Zwischen dem Reich der Hure und dem des Tieres liegt das Land Israel, das einstweilen weder der einen noch der anderen Machtsphäre, weder diesem noch jenem Reiche angehört.

Daher muß sich der politische Eifer beider Weltmächte auf dieses Land ausrichten: beide möchten es in ihre Machtsphäre einbeziehen. Wie sich die Dinge im Einzelnen entwickeln, erfahren wir nicht. Indessen aber hören wir, daß drei und ein halbes Jahr lang Jerusalem zertrampelt wird von den Völkern. Und das sind – wie sich sogleich zeigen wird – die Völker des antichristlichen Reiches. Das übrige Land Israel liegt als neutrale Zone zwischen den beiden großen Macht-Bereichen (11, 2).

Zwischen diesen beiden großen Welt-Staaten droht es unentwegt zum Kriege zu kommen. Denn der Antichrist versucht, die ganze Welt dem Satan zur Beute zu bringen. Und das bedeutet: er muß darnach trachten, um die ganze Welt herum das Band nur Eines Gedankens und Eines Reiches zu legen, in dem Gott abgesetzt und der Mensch auf den göttlichen Thron in den Tempel gesetzt wird. Der Antichrist selbst will göttliche Verehrung von den Mitmenschen. So verlangt er also, daß Alle sich seinem Willen unterordnen. Das aber muß bedeuten, daß sich Alle seinem Staatswesen, seinem Reiche, beugen. Und da das Huren-Reich aber neben ihm selbständig zu bleiben versucht und sich dem Antichristlichen Herrn des Tier-Reiches durchaus nicht beugen will, wird der Antichrist das Tier-Reich durch Krieg zwingen müssen, sich seinem Willen zu fügen. So muß er also zum Eroberungskrieg sich rüsten (mag er diesen Krieg auch vor dem Volke begründen wie immer: die Gemeinde Jesu weiß, worum es in Wahrheit geht, und die Welt spürt, daß der Antichrist keinen Widerspruch dulden und keine andere Herrschaft neben sich ertragen kann).

So kommt es zum Kriege, der entscheiden soll, wem die ganze Welt gehören soll: der Hure oder dem Antichristen. Denn sie können nun auch deswegen nicht mehr beide nebeneinander bestehen, weil sie sich in ihren Gesinnungen so feindselig sind, und in ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Struktur so abgründig verschieden sind, daß ihr Nebeneinander zu unendlichen Konflikten führen muß, die nur ein Krieg entscheiden kann. Einer von ihnen beiden, der Hure und dem Antichristen, muß weichen, damit der andere alsdann total die Welt beherrschen kann. Und wer dieser Eine sein soll, das kann nur der Krieg entscheiden.

 

78. Die zwei Zeugen

Derweilen sich die beiden großen Weltmächte zu dem Kriege rüsten, sind die Augen der ganzen Welt auf Israel gerichtet, wo ein seltsames Geschehen die Menschheit aller Länder in ihren Bann zieht und sie wie ein unheimliches Rätsel, das niemand begreifen kann, in Atem hält: zwei Propheten durchwandern Jerusalems Straßen und suchen die Herzen und Ge­danken der jüdischen Männer und Frauen zu Jesu hin zu ziehen. Sie warnen die Bewohner der großen Stadt Jerusalem, sich nicht länger dem Sohne Gottes, Jesu Christo, zu widersetzen – doch das Volk will sich nicht warnen lassen (Off. 11, 3-13).

Aber ihre Predigt richtet sich nicht nur auf Jerusalem, sondern mit wuchtiger Kraft und unüberhörbaren Worten warnen sie die ganze Menschheit der Erde – und ihre Worte werden auch tatsächlich allenthalben gehört, weil ihre Zeugniskraft so hinreißend mächtig ist, daß niemand seine Ohren vor ihnen verschließen kann.

Die Bibel sagt nicht, auf welche Weise die Predigten dieser beiden Zeugen der ganzen Welt zu Ohren kommen: wir können aber leicht erraten, wie auch in jener letzten Zeit die christlichen Gemeinden mit aller Sorgfalt und Kraft das Wort der zwei Zeugen auf alle Weisen, die ihnen Technik und Verkehr erlauben, den Völkern zu Gehör bringen, bis in die letzten Welten-Winkel hin.

Doch die Menschheit will sich nicht warnen lassen. Da überzieht eine entsetzliche Dürre die Lande. Und jedermann spürt, daß die Ursache dieser quälenden Dürre bei den beiden Zeugen liegt, die eine solche Gebets-Kraft besitzen, daß sie den Wolken gebieten können, regenlos vorüberzuziehen.

Dennoch bekehren sich die Massen des Volkes in Israel nicht. Und im Huren-Reiche wird der grenzenlose Leichtsinn nicht eingedämmt, und im Tier-Reiche des Antichristen wird die freche Gotteslästerung und Menschenvergötzung nicht zum Schweigen gebracht: frivol leichtsinnig oder frech gegen Gott leben die Völker weiterhin (11, 6).

Aber man versucht, die beiden Zeugen in Jerusalem zu ermorden. Doch mit Grausen nehmen die Menschen wahr, wie gedungene Meuchelmörder unter unheimlichen Umständen, wie von rätselhafter Krankheit geschlagen, tot zu Boden fallen, sobald sie es versuchen, die zwei Zeugen anzutasten. So wagt es nun niemand mehr, Hand an die beiden zu legen (11, 5).

Da aber erobert der Antichrist (vermutlich durch einen raschen Handstreich) in der Vorbereitung des drohenden Krieges (der jetzt aber noch nicht ausgebrochen ist) die Stadt Jerusalem. Und kurzerhand läßt er die zwei Zeugen verhaften – und seltsamer Weise gelingt es ihm, als sei an den beiden Zeugen gar nichts irgendwie sonderliches; die Männer, die die Beiden verhaften, sterben nicht, nichts ungewöhnliches geschieht. Und in einem geschwinden Gerichtsverfahren läßt der Antichrist die zwei Zeugen zum Tode verurteilen. Sie werden öffentlich auf der Straße hingerichtet.

Und damit jedermann die erstaunliche Macht des Antichristen sehen und anerkennen muß, läßt man die beiden Zeugen auf der Straße liegen: sie sind der Beweis, daß es keinen Gott gibt und der Antichrist stärker ist als die törichte christliche Predigt (11, 7-9).

Jedoch nach drei Tagen sehen mit entsetztem Erschrecken etliche zufällig vorübergehende Leute, daß die zwei Propheten wieder lebendig sich auf ihre Füße stellen, aber auch sogleich zum Himmel empor gehoben werden und den Menschenblicken entschwinden (11, 11-12).

In denselben Augenblicken aber erschüttert ein heftiges Erdbeben die Straßen Jerusalems, unter dem siebentausend Menschen den Tod finden.

Die Welt ist voll von der Nachricht dieses Erdbebens, daß darüber das erstaunliche Aufwachen und die Himmelfahrt der beiden Zeugen verschwiegen werden können. Dennoch erfahren es die Völker unter der Hand. Und viele werden in ihrem Gewissen so erschrocken, daß sie zu Gott zurück finden (11, 13).

Im übrigen aber lebt die Welt weiter, als sei nichts geschehen. Wer unter den Weltmenschen wird schon diese wunderlichen Berichte aus Jerusalem glauben? Und die Angst vor dem Antichristen und seiner grausamen Herrschsucht tut das ihre, gar zu viele Menschen daran zu hindern, nachzudenken und Buße zu tun.

 

79. Die Zerstörung der Huren-Stadt

Der Antichrist, der das Tier-Reich aus den Fesseln des Huren-Reiches befreit hatte, hat nun seine gesamte Macht so gründlich gesammelt, daß er jetzt losschlagen kann. Ganz plötzlich, ohne daß das Huren-Reich auch nur irgend etwas ahnte, überfällt der Antichrist, in einem Blitzkrieg, die große Welt-Handelsstadt am Meer, die sich völlig sicher wähnte und auf einen solchen Sturm-Angriff nicht gerüstet war. Entsetzlich ist das Ende dieser Stadt und alles ihres Volkes.

An einem einzigen Tage (18, 8), ja, sogar in nur einer einzigen Stunde (18, 10) wird durch einen rasenden wilden Kriegszug diese Weltstadt der Hure völlig vernichtet: “eine Rauchwolke wirbelt auf über ihrer Brandstätte, und ein Feuerbrandrauch zerschmettert in nur einer einzigen Stunde” dieses Handels-Zentrum der Welt (18, 9. 18-19), so daß der gesamte Welthandel aller Länder durch diesen Kriegsbrand vernichtet ist, da es im Reiche des Antichristen keinen freien Handel geben kann, wie wir vorhin sahen. So ist denn der private Welt-Wirtschaftshandel durch diesen Kriegsbrand zerschlagen und für immer vernichtet (18, 17).

 

80. Die eisernen Rosse

Die große Welt-Handelsstadt wird in nur einer einzigen Stunde, ganz offensichtlich durch einen überfall aus der Luft, einem Flugzeug-Bombenkrieg des Antichristlichen Staates, vernichtet.

Da aber greifen während eben dieser Zeit – sei es zugleich oder kurz zuvor oder bald hernach (die Bibel berichtet nicht genau, wann die Zeit sei) – noch ganz andere unheimliche Mächte aus der Luft her die Menschen an.

In der Offenbarung schildert Johannes uns furchtbare Überfälle:

“Da waren Heuschrecken . . . sie gleichen völlig zum Krieg gerüsteten Pferden . . . Sie haben Zähne wie Löwenzähne. Und Panzer haben sie wie von Eisen, und ihre Flügel klirren wie ein Zug von Panzer-Kriegswagen. Und sie tragen einen Schwanz . . . gestachelt . . . worinnen ihre wuchtige Kraft liegt, mit der sie fünf Monate lang die Menschen strafen. Ihr König ist der Engel der abgründigen Tiefe, der Vernichter. Es waren zweimal Zehntausende mal Zehntausenden. Sie tragen Panzer als wären sie von Feuer, tief-dunkelblau und wie von Schwefel. Ihrem Maul entströmt Feuer und Rauch und Schwefel. Ihre wuchtige Kraft liegt in ihrem Maul und in ihren Schwänzen” (Off. 9, 7-19).

Sie fliegen in großen Schwärmen hoch durch die Luft wie Heuschrecken, sind aber groß und stark wie Pferde, und sind eisengepanzert. Diese Vergleiche meinen offensichtlich eine besondere Art von Kriegsflugzeugen: sie haben eiserne Flügel und speien aus ihrem Maul und Schwanz Feuer und Tod.

Wenn wir die Offenbarung aber recht verstehen, so sind es doch nicht menschliche Flugzeuge. Sondern in den irdischen Krieg greifen himmlische Mächte (Dämonen) ein – einstweilen aber (wie es scheint) von den Kriegführenden noch unerkannt, die den Völkern aber grausames Entsetzen einflößen (9, 20).

Fünf Monate lang quälen diese fremden unbekannten Flugwesen die Menschheit, jedoch nicht in geordnetem Kriege, sondern hier und da unheimlich die Menschen verwundend, aber auch zunehmend mehr und mehr die Menschen mordend. Der dritte Teil der Menschheit wurde getötet (18), und ihr König wird Apollyon, der Verderber, genannt. (Vers 11)

 

81. Harmageddon

Doch dadurch, daß die große Stadt zerstört worden ist, ist der Krieg noch keineswegs beendet. Das Huren-Reich wehrt sich verzweifelt. Beide Staatswesen sind gleich gottlos: das eine in frecher Gottesleugnung, das andere in frivoler Sinnenlust. So stehen sie beide unter dem gleichen Gottesfluch.

In beiden Reichen aber wohnen Scharen von Gotteskindern, die von dem Antichristen oder der Sinnenlust sich nicht ver­führen lassen, sondern still in ihren Gemeinden auf den kommenden Tag, den sie schon ahnen, warten.

Das Huren-Reich, das so heimtückisch ohne Kriegserklärung in dem wahnsinnigen Blitz-Luftkrieg angegriffen worden war, sammelt jetzt seine Heere. Die Hauptstadt zwar ist zerstört und zu einem rauchenden Ruinenfeld geworden. Das Reich aber hat noch Bestand und rüstet sich zum Gegenschlag.

Der Antichrist steht in Jerusalem. Er war offenbar vom Süden her, von Ägypten, gekommen. So gehört vermutlich Ägypten in den Bereich des Tier-Reiches.

Die Kriegsheere des Huren-Reiches müssen demgemäß wenn sie dem Antichristlichen Heer in Jerusalem begegnen wollen – vom Norden her heran marschieren. Sie kommen wahrscheinlich von Zypern her und aus der Türkei, und dringen nun durch Syrien hindurch immer weiter nach Süden vor, derweilen vom Süden her, aus Ägypten, die antichristlichen Heere zum Norden vorstoßen.

Da das Huren-Reich wahrscheinlich gewaltige Scharen von Streitkräften anrücken läßt, kommen die Völker des Antichristen ihm vom Osten her zur Hilfe. Ihr Kriegszug wird ihnen durch einen merkwürdigen Umstand erleichtert: durch eine durch nichts zu erklärende Natur-Entwicklung trocknet der gewaltige Euphrat-Strom so völlig aus, daß die Heere mit ihren Panzern ungehindert vom Osten aus durch die Wüste hindurch – nördlich am Toten Meer vorbei – nach Jerusalem, wo der Antichrist mit seinen Heeren weilt, stoßen können, ihm zur Hilfe. Ihre Macht und Rechtshoheit übertragen sie dem Antichrist, so daß er über eine schier unübersehbare Schar von Völkern und Kriegs-Heeren gebietet (Off. 16, 12 und 17, 13).

Doch will der Antichrist dem Feind nicht in Jerusalem begegnen, sondern zieht ihm nordwärts entgegen. Und vom Norden her ziehen die Kriegsheere des Huren-Reiches südwärts dem Feind entgegen.

Bei Megiddo, unweit der Stadt Nazareth, stoßen die beiden Heere aufeinander, drunten in der Ebene, unterhalb der Berge. Der Berg von Megiddo heißt auf hebräisch: Har-Mageddon. Der Kampf der letzten Kriegsschlacht aller Weltgeschichte kann beginnen (Off. 16, 16).

 

82. Der Sieg des Antichristen

Noch stehen die Heere in Harmageddon – die Heere, die soeben noch bereit waren, in zwei Heerlager zerspalten, sich gegenseitig fürchterlich zu morden. Jetzt aber sind sie plötzlich geeint – und eine unbändige Freude ergreift die Soldaten, weil sie den mörderlichen Krieg mit ihren inzwischen zu höchster Grauenhaftigkeit entwickelten fürchterlichsten Waffen nicht zu kämpfen brauchen. Und die Männer beider Heerlager – soeben noch grimmige Feinde, nun aber Freunde – jubeln dem Antichristen zu, der sie in letzter Minute geeint hatte, und der durch seine herrliche Hoheit und Klugheit den Krieg für immer überwunden hat, so daß jetzt die ganze Welt nur noch Ein Reich, nur Ein Staatswesen geworden ist, in dem unzerstörbarer Friede herrscht. Es ist der Friede des Antichristen in einem Reich, in dem Gott abgesetzt und der Antichrist als göttliches Wesen angebetet und auf den Altären verherrlicht wird.

Noch stehen die Kriegsheere vereint in Harmageddon als eine herrliche Heerschau des Antichristen und seiner unendlich erhabenen Macht: nun ein Heerlager des Friedens, den Satan ihnen geschenkt hat, und Soldaten des Friedens, die auf der Wacht sind, den Frieden zu hüten, den Frieden des satanischen antichristlichen Reiches. –

“Da öffnet sich der Himmel und hervor tritt ein weiß-leuchtendes Pferd, auf dem Einer reitet – ER heißt der Treue und Wahrhaftige . . . der nun den Krieg führen wird” (Off. 19, 11).

 

83. Die Entrückung

Denn jetzt ist die Stunde gekommen, “die Gott, der Vater, in der nur Ihm eigenen Macht festgesetzt hat” (Apg. 1, 7). An jenem Tage, da die gewaltigen Kriegsheere in Har-Mageddon aufmarschiert sind, “gibt Gott den Befehl, auf den hin (drohen im Himmel) der Erzengel ruft und Gottes Posaune dröhnt” und auf diesen Posaunenschmetter und Erzengelruf hin “kommt Christus vom Himmel hernieder” (1. Thess. 4, 16).

Über die Entrückung erfahren wir nur in 1. Thess. 4. Doch erinnert Paulus 2. Thess, 1, 10 offenbar noch einmal an das, was er 1. Thess. 4 gesagt hatte, meint dort also auch die Entrückung. Daß sie zusammenfällt mit Jesu Wiederkommen, wie es 2. Thess. 2, 8 geschildert wird, ist unzweideutig, da niemals irgendwo in der Bibel davon die Rede ist, daß Jesus zweimal wiederkommen werde. Und 2. Thess. 2, 8 ist von demselben Gericht gesprochen, von dem hernach der Evangelist Johannes uns so genauen Aufschluß gibt in Off. 16 und 19. So fallen also Entrückung und Harmageddon zeitlich zusammen – wenn auch nicht auf den Augenblick, so doch in dem Sinne, daß es beide Male dieselbe Wiederkunft Jesu ist. Und daß 2. Thess. 1, 10 und 2, 8 dasselbe meinen, sollte deutlich zu verstehen sein aus dem Zusammenhang 2. Thess. 1, 8-10, wo das Gericht über den Antichristen in Vers 8 und die Entrückung in Vers 10 als gleichzeitig dargestellt werden. In 1. Thess. 4 wollte Paulus mit Absicht nur über das zukünftige Erleben der Gläubigen berichten, ohne sich für die weitere große Welt zu interessieren. Im 2. Thessalonicherbrief hingegen will er die künftige Welt-Entwicklung insgesamt darstellen. So reden beide von demselben Ereignis. Und 2. Thess. 1 bringt Paulus zunächst bündig kurz die Darstellung des Gerichtes bei Jesu Wiederkommen, um sodann in 2. Thess. 2 alle diese Dinge breiter zu entfalten und zu zeigen, warum des Herrn Wiederkommen noch so lange sich hinzieht. Und da nun 2. Thess. 1, 10 die Verklärung der Heiligen darstellt – was doch ohne Zweifel die Entrückung meint -, geschieht also die Entrückung in eben derselben Wiederkunft Jesu, in der ER den Antichristen schlägt.

Aber hiervon merken die Heere in Har-Mageddon im ersten Augenblick noch nichts. Doch allenthalben in den Ländern der Erde geschehen erstaunliche wunderbare Dinge: Männer und Frauen, die längst verstorben waren, die aber in ihrem Leben gläubig fest zu Jesu gehört hatten, stehen aus ihren Gräbern auf 1. Thess. 4, 16). Vielleicht sieht die Welt hiervon nichts, aber manche gläubigen Jesus-Jünger sehen diese auferstandenen Heiligen umher wandeln.

Und dann – wahrscheinlich nur ganz kurze Zeit später – faßt ein furchtbarer Schrecken die Welt: Christus kommt wieder!

Denn unversehens erblicken die Menschen auf den Wolken des Himmels ein erschreckendes Bild: auf den Wolken steht ER! (Matth. 26,64). Sogleich begreifen die Menschen: das ist Christus! Von wilder Angst gepeinigt, fliehen sie davon in Verstecke und Höhlen (Off. 6, 16). “Und alle Familien auf Erden werden wehklagen, weil jedes Auge Ihn schauen muß” (Matth. 24, 30; Off. 1, 7).

In unsäglicher Freude aber stürzen die Gläubigen, Jesu treue Jünger, aus ihren Häusern heraus, auf die Straßen und Felder, um ihren wunderbaren Herrn zu sehen. Ein unbeschreiblicher Jubel erfüllt ihre Herzen. Freude und Wonne werden sie ergreifen (Jes. 35, 10), wenn sie zum Himmel empor blicken und Ihn sehen, auf den sie so lange schon gewartet hatten. Sie sehen Ihn, und in unnennbarer Sehnsucht schauen ihre Augen empor – sie möchten ihren herrlichen Heiland fassen und Ihm ganz nahe sein, Ihm begegnen.

Jesus aber fährt über den Himmel dahin (Luk. 17, 24). Wer nie an Ihn geglaubt hatte, muß Ihn jetzt sehen und in zitterndem Schreck begreifen, daß das Gericht naht und daß Jesus wahrhaftig König ist aller Welt.

Doch betritt Jesus noch nicht die Erde, sondern weiter fährt ER auf den Wolken, über die weite Erde hin.

Und gleich hernach wird ein neues entsetztes Erstaunen die Menschen schütteln: wo Jesus vorüber fuhr auf den Wolken des Himmels, sind Seine Gläubigen entschwunden. Niemand findet sie mehr – sie sind entrückt (1. Thess. 4, 17).

Denn während Jesus auf den Wolken hoch im Himmel erscheint, sendet ER Seine Engel aus biß in die letzten Weltenwinkel hin, bis in die verlorensten Dörfer oder Landstriche. Dort suchen die Engel alle, die an Jesu gläubig sind, bis sie auch den letzten herbeigeholt haben, und führen sie dem Herrn entgegen, hinauf in die Luft, auf die Wolken, zu Jesu (Matth. 24, 31).

Und alle jene Gläubigen, die aus ihren Häusern heraus auf die Straßen oder in die Gärten unter dem offenen Himmel gelaufen waren, erfaßt plötzlich ein unendlich wundersames Erstaunen: sie werden empor gehoben, hoch hinauf in die Luft – sie begreifen nicht wie, aber sie fühlen beseligt, daß sie aus den Plagen des Lebens, von dieser kriegeswütigen Erde enthoben, hinaufgerückt werden, hin zu Jesus, zum Himmel empor. Frei schweben sie durch die Lüfte, und ihre Augen blicken gläubig froh auf ihren Herrn, dem sie immer näher entgegen gezogen werden, – bis sie in seiner seligen Gegenwart sind, “und bleiben alsdann allezeit bei Ihm” – während das gottlose und christuslose Volk vor Ihm entsetzt in die Höhlen und dunklen Winkel sich versteckt (1.Thess. 4, 17; 2.Thess. 1, 10).

Und das alles geschieht so plötzlich, so unerwartet, daß die Leute mitten in der alltäglichen Arbeit von Jesu überrascht werden (Matth. 24, 40; Luk. 21, 34).

Doch während Jesus mit den Seinen, die zu Ihm hinauf entrückt wurden, auf den Wolken über den Himmel hin fährt, über die Lande hin, kommen die Menschen wieder aus ihren Verstecken heraus. Und da sie nun Jesum nicht mehr sehen, weil ER auf den Wolken des Himmels weiter gefahren ist, dünkt es die Leute, als habe ein schrecklicher Traum sie verstört, der nun aber wieder vergangen ist – sie greifen wieder nach ihrer Lust oder nach ihrer Arbeit – und für eine kleine, nur noch ganz kurze Zeit läuft die Welt weiter.

 

84. Jesus tritt auf den Zion

Kurz zuvor waren durch Jerusalems Straßen die beiden mit sonderlichen Vollmachten ausgerüsteten Propheten Jesu, die Zwei Zeugen, gewandert, die aber vom Antichrist ermordet worden waren (Off. 11).

Jesus nun, der aller Welt sichtbar auf den Wolken über den Himmel hinfuhr und Seine Gläubigen zu sich hinauf gezogen hatte, – Jesus tritt jetzt vom Himmel hernieder auf den Berg Zion, wo die Gläubigen aus Israel um Ihn sich sammeln (Off. 14, 1), die Gemeinde derer, die durch die Zwei Zeugen sich zu Buße und Bekehrung hatten rufen lassen: es sind hundertundvierundvierzigtausend Gläubige aus dem Volke Israel, die durch die Predigt der Zwei Zeugen zu Jesu als ihrem Erlöser hingefunden hatten. Die große Menge des Volkes Israel aber hatte der Predigt der beiden Zeugen zwar zugehört, nachdenklich und aufmerksam (wie sich hernach gleich zeigen wird), aber sie hatten dennoch nicht geglaubt und sich nicht bekehrt. (Zur Zahl 144000, ob sie symbolisch oder wirklich zu verstehen sei, ist nicht auszumachen. Ehe man aber rasch solche Zahlen fort-symbolisiert, bedenke man immerhin, daß die 12 Jakob-Söhne. die 12 Stämme, die 12 kleinen Propheten und Jesu 12 Jünger nicht symbolische Zahlen sind, sondern wirklich jeweils 12 waren).

 

85. Israels Bekehrung

Doch kann das Ende nicht eher kommen, bevor nicht das ganze Volk Israel im Glauben zu Jesu hingefunden hat (Röm. 11, 26). Die zwei Zeugen hatten Sein Kommen vorbereitet. Daß aber schon zuvor, ehe Jesus auf den Zion tritt, ganz Israel vom Glauben ergriffen sein werde, sagt die Bibel niemals, sondern meint, daß es nur jene 144000 sein werden, die Ihm schon im Glauben angehören, bevor ER selbst kommt.

Doch ist das Volk nun durch die zwei Zeugen so zubereitet, daß es seinem Erlöser und Herrn zufallen kann in eben dem Augenblick, da ER, sichtbarlich vom Himmel hernieder steigend, den Zion betritt.

Und eine unnennbare Wehmut überfällt das ganze Volk Israel, wenn sie nun unversehens auf dem Berge Zion Den stehen sehen, den ihre Väter zuvor auf dem Berge Golgatha (gleich neben dem Zion) durchbohrt hatten, und von dem ihnen wenige Jahre zuvor die beiden ermordeten Zeugen so eindringlich gepredigt hatten. Sie hatten zwar den beiden Zeugen zugehört, aber sie hatten ihnen nicht geglaubt – und nun sehen sie den Mann mit den durchbohrten Händen lebendig und leibhaftig auf dem Zion stehen – da erfüllt eine tiefe Wehklage das ganze Land ob ihres Unglaubens und ob des Golgatha-Frevels ihrer Väter vor Zeiten (Sach. 12, 10-14).

Und in Buße und Reue weinen und klagen sie und bekehren sich zu ihrem König Jesus. “Danach werden die Kinder Israel umkehren und den Herrn, ihren Gott, und David ihren König, suchen und werden sich bebend zu dem Herrn und zu Seiner Güte flüchten am Ende der Tage” (Hosea 3, 5).

Und das ist das Zeichen, daß nun die Zeit heran genaht ist, da die Toten wieder lebendig werden (Röm. 11, 15).

 

86. Der Harmageddon-Krieg

Vom Zion aus wendet sich Jesus nun nach Har-Mageddon, wo die zwei Heere in fröhlicher Eintracht sich verbrüdern und dem Antichrist göttliche Verehrung darbringen.

Offenbar – so scheint es uns beim Lesen jener Bibelabschnitte – haben diese Heere und der Antichrist nicht wahrgenommen, daß Jesus vom Himmel her wiedergekommen ist. Sicherlich haben sie irgendwelche Nachrichten gehört und Gerüchte über die merkwürdige Erscheinung eines seltsamen Mannes am Himmel und über das plötzliche Verschwinden der Gläubigen – aber sie lachen über solche törichten Narrheiten und glauben nichts.

Da sehen zu ihrem maßlosen Erstaunen diese antichristlichen Kriegsheere, die aus allen Staaten der Erde sich hier zuhauf vereinigt haben, daß ein fremdes Heer sie angreift. Wo gibt es denn auf der Erde noch einen Staat (so fragen sie sich tödlich erschrocken), der aus der Luft herunter Soldaten gegen dieses brüderlich vereinigte Welt-Heer entsenden und es angreifen kann? Der Antichrist und seine Hunderttausende von Soldaten müssen meinen, daß Fallschirm-Jäger in schier unendlichen Scharen, die aus irgend einem revolutionären Staat hergeflogen sind, sie überfallen – aber niemand weiß, aus welchem Staat und woher sie kommen, und nirgendwo sind die feindlichen Flugzeuge zu sehen. Welches Land wollte es denn wagen, jetzt, da alle Welt dem Antichrist zujubelt, und alle Völker zum großen weltweiten Friedensbund sich vereinigt haben, Revolution zu entfachen?

Aber nein, sie ahnen ganz wohl, daß diese Streiter nicht aus irgend einem Erdenland herkommen, sondern daß jetzt Gott gegen sie streitet. Sie ahnen Furchtbares. Aber sie wollen es nicht wahrhaben. Sie reden sich ein, es sei ein freches Volk, daß sich gegen den großen Frieden, den Weltfrieden, der soeben ausgerufen wurde, empört. Und so nehmen sie den Kampf auf. Sie ahnen es zwar, aber sie wissen es dennoch nicht, und sie wollen es nicht glauben, daß sie jetzt gegen Christus streiten.

Aber freilich können sie auch gar nicht begreifen, daß es himmlische Engel sind, die jetzt so plötzlich die antichristlichen Heere angreifen – so wie auch vorzeiten Josua durchaus nicht erkennen konnte, daß ein Engelfürst vor ihm stand, als er einen Streiter vor sich stehen sah, der ganz einem irdischen Soldaten glich. Denn die himmlischen Engel sehen – wenn sie auf die Erde treten – ganz so aus wie wir Menschen, nur erhabener, gewaltiger oder glänzender, dennoch aber ganz uns Menschen ähnlich (Josua 5, 13).

Aber, ob sie nun begreifen oder nicht – die antichristlichen Scharen in Har-Mageddon müssen sich dem Kampf stellen, gleichgültig woher die angreifenden Heere kommen, die aus der Luft hernieder über dieses antichristliche Welt-Heer herniederstürzen und es angreifen.

 

87. Der tobende Endkampf

“Das Tier und die Erdenkönige und ihre Kriegsheere werden zuhauf vereint, um den Krieg zu führen gegen Den, der auf dem Throne saß und gegen Seine Heerscharen” (Off. 19, 19). “In ihren Gedanken sind die Könige sich ganz einig, und ihre Macht übertragen sie dem Tier (dem Antichristen) und führen mit dem Lamm (Jesus Christus) Krieg” (17, 13).

Der Kampf tobt – jedoch ist er schnell beendet – aber grausig! “Es ist als dringe aus Jesu Munde ein Schwert – so schlägt ER die Völker – ja, mit eisernem Stabe weidet ER sie” (19, 15).

Wie der Kampf ausgefochten wird, darüber erfahren wir nichts. Aber wir wissen freilich, daß der Satan selbst dem Antichristen eine satanische Macht überreicht hatte (13, 2), und daß der Antichrist und sein Lügen-Prophet große Wunderzeichen zu wirken vermögen (13, 13). Und wenn sie sich nun mit verzweifeltem Mute wehren, so muß es sich gräßlich auswirken. Der Kampf wird entsetzlich toben.

Furchtbare Erschütterungen durchzittern die Erde unter diesen Kämpfen der antichristlichen Heere, die vom Satan aufgepeitscht werden zu wilder Wut und hemmungslosen Zerstörungen. Es ist in Wahrheit der Kampf zwischen Satan und Christus, zwischen Satans Engeln und Jesu Engeln.

Wir ersehen, welche zerstörenden Kräfte den Menschen zur Verfügung stehen, wenn sie vom Satan besessen sind. Und der Satan sieht diese Erde als sein Eigentum an, wie er deutlich genug in der Versuchungsgeschichte zu Jesu gesagt hatte (Luk. 4, 6) – nun kämpft er um sein vermeintliches Eigentum, um seinen Raub, um diese Erde, die er Gott geraubt hatte. Und lieber wird er es mit ansehen, daß die Erde so entsetzlich zerbricht, als daß er sie Jesu freiwillig überläßt. Es wird ein entsetzlicher Kampf sein zwischen den Engeln Jesu und den Engeln des Satan (Judas 6). Denn die Satans-Engel werden in die antichristlichen Heere als böse Dämonen hineinfahren und kämpfen (Off. 16, 13), sie werden diese antichristlichen Soldaten zu fanatischstem Trotz und wilden Zerstörungs-Orgien aufhetzen, daß sie mit letzter verzweifelter Verbitterung gegen Christus und Seine Engel sich wehren, daß darüber die Erde in grausame Qualen fällt und eine wahnsinnige Zerstörung über sie entsetzlich dahinfährt.

Derweilen aber jubeln die Erlösten, die aus diesen Plagen eben zuvor zu den Wolken hoch entrückt wurden und dort bei dem Herrn Jesus weilen. Sie jubeln, weil der Herr, der die Engel befehligte, nun den Antichristen und seine Heere dennoch besiegen wird: deren verzweifelte Gegenwehr und fürchterliche Zerstörungen, die sie über die Erde bringen, werden ihnen nichts helfen können: Jesus ist stärker, Jesu Heere besiegen den satanischen entsetzlichen Feind (Jes. 24, 14).

 

88. Das Gericht über den Satan

Denn gegen die Heerscharen Jesu vermag der Antichrist mit allen seinen kriegsgeübten Heeren nichts: sie werden endlich doch besiegt und völlig bezwungen, daß es für sie auch kein Entrinnen mehr gibt: “das Tier wurde überwältigt, und mit ihm der falsche Prophet. Und die Übrigen wurden getötet durch das Schwert dessen, der auf dem Throne saß” (Off. l9, 20).

Jesu Schwert aber ist das Schwert Seines Mundes (Off. 1, 16). Und das bedeutet: Sein Wort, das strenge Befehlswort an Seine himmlischen Begleiter, die für Ihn den Kampf auskämpfen und denen niemand widerstehen kann.

Der Antichrist und sein Lügenprophet werden, da sie nun überwältigt sind, “lebendig in den feurigen Pfuhl geworfen, der in Schwefel brennt” (Off. 19, 19).

Auf der Erde aber liegen die Leichen der Erschlagenen, der zahllosen Soldaten des Antichrists und des Huren-Reiches (Hes. 38-39). Und die Drachenschlange des Paradieses, die der Satan ist, wird durch einen Engel gebunden und auf tausend Jahre in die abgründige Tiefe gestürzt. Und die Tiefe wird hinter ihm verschlossen und versiegelt (Off. 20, 2).

So besucht Jehova an diesem entsetzlichen Gerichtstage das Heer der Himmelshöhe in Himmelshöhen und die Könige der Erde auf der Erde. Sie werden verhaftet abgeführt, in tiefem Schlund gebunden und eingeschlossen im Gefängnis – dennoch aber sollen sie nach langer Zeit noch einmal besucht werden (Jes. 24, 21-22).

Das Heer der Himmelshöhe sind der Satan und seine Engel, die der Apostel Paulus die Herrscher dieser dunklen Welt, die bösen Geister im Himmelsraum, nennt (Eph. 6, 12), und die nun auf tausend Jahre verhaftet und gebunden in finsteren Tiefen liegen.

Jesus aber herrscht als König auf Zions Berg in Jerusalem (Jes. 24, 14. 23).

Nach langer Zeit aber soll (wie wir in diesen Worten des Jesaja erfahren) der Satan noch einmal besucht werden und in Freiheit kommen. Tausend Jahre hat er in seiner Verhaftung Zeit, seinen Trotz zu bedenken und sich zu bekehren.

Dann, nach tausend Jahren, soll ihm noch einmal die Tür aufgetan werden, ob er vielleicht Demut vor Gott und Christus gelernt hat.

 

89. Das Tausendjährige Reich

Die Toten aber, die während der langen Jahrhunderte, seitdem Jesus auferstand, im Glauben gestorben waren, “die wurden (schon kurz zuvor, als Jesus auf den Himmelswolken wieder gekommen war) wieder lebendig und herrschen nun Königen gleich mit Christus tausend Jahre lang” (Off. 20, 4), derweilen Christus auf dem Berge Zion “allen Völkern ein kräftiges Mahl bereiten wird”. Und hatte der Unglaube in den vorherigen Jahrhunderten wie ein Schleier auf den Völkern gelegen, daß sie die Geheimnisse Gottes und Jesu Christi nie zu begreifen vermochten, so “vernichtet ER nun auf diesem Berge den Schleier, der alle Völker verschleiert, und die Decke (des Unverständnisses), die alle Völker bedeckt (Jes. 25, 6-7). Die verfluchte Stadt (Off. 17) ist für immer zerstört (Jes. 25, 2), aber Zion wurde nun zur festen Stadt, in der ein rechtschaffenes Volk wohnt. Und Gott “wird dafür Sorge tragen”, daß, dem Volke jenes tausendjährigen Reiches “Frieden zukomme und unumstößlich bleibe” (Jes. 26, 1-3).

Daß nun die wieder auferstandenen Jesus-Jünger im tausendjährigen Reich die Herrschaft führen, besagt aber doch noch nicht, daß dieses Reich der Aufenthaltsort der Seligen sei. Nach dem, was Kap. 91 zeigt, scheinen im tausendjährigen Reich nur richtige irdische Menschen dieser Zeitlichkeit zu wohnen. Die Bibel aber sagt uns nicht so Genaues über diese Zeit, daß wir ganz klar sehen könnten. Auch aus dem, was wir Jesaja 24-27 und 65 erfahren, ebenso wie Jes. 11, ist es eben doch ein irdisches Reich und durchaus nicht mit dem Himmelreich zu verwechseln. Doch wie Mose und Elia zur Verklärung auf die Erde kamen und mit Jesu redeten, so werden diese Heiligen auch im tausendjährigen Reich in die Geschicke hineinreden und sie lenken. Man mag sich auch an das erinnern, was Jesus über die 10 und 5 Städte im Gleichnis der anvertrauten Pfunde sagte, Luk. 19, 17.

Während dieser tausend Jahre darf der Tod nicht herrschen – “ER vernichtet den Tod für immer” (Jes. 25, 8).

Dennoch kann es auch in diesem seligen Reiche noch die Möglichkeit geben, daß ein verfluchter Sünder um seiner Sünde willen stirbt (Jes. 65, 20, wo wahrscheinlich an diese kommende Zeit gedacht ist).

Die Herrschaft über dieses Reich, das so weit ist, wie die Erde reicht, tragen in ihren Händen die auferstandenen Jesusjünger, die “selig und heilig als Priester Gottes” (Off. 21, 6) mit Christus zusammen vom Zion aus regieren. Christus aber ist König dieses Reiches, tausend Jahre lang (Off. 20, 4).

In dieser Zeit erfüllen sich die alten Weissagungen vom wiederkehrenden Paradies. Der Immanuel-Gott-mit-uns, von dem Jesaja redete (7, 14 und 9, 5), trägt nun die Herrschaft: “Frieden waltet ohne Ende auf Davids Thron in Seinem Reich, das ehrenstark und in Gerechtigkeit dasteht” (9, 6):

da verweilt der Wolf beim Schäflein, der Panther legt sich hin zum Lamm, Kalb und junger Löwe und Rind alle beieinander sie weidet ein kleines Kind.
In’s Kreuzottern-Versteck fassen die Jüngsten mit ihrer Hand. Niemand tut Böses – keinerlei Schaden auf Meinem ganzen heiligen Berge! Denn voll ist das Land von Erkenntnis Jehovas! – (Jes. 11, 6-9 und 65, 25).

Über die Menschen, die während jener tausend Jahre auf Erden leben werden, erfahren wir in der Bibel nichts. Doch ist die Erde (wie wir gleich hernach sehen werden) voller Menschen, die vom Teufel-Versucher nicht mehr verführt werden, weil der Satan im Abgrund verhaftet liegt. Daß die Menschen in jener Zeit aber dennoch auch sündigen können, wenn sie wollen, zeigte uns vorhin Jesaja (65, 20). Doch die wilde Flut der Sünden, wie sie jetzt in diesen unseren Jahrhunderten über die Erdenlande verheerend hinströmt, ist gebannt, und das weite Erdenreich wird vom Zion her beherrscht, wo das Erdenvolk “den König in Seiner Schönheit erblickt” (Jes. 33,17), den Lehrer, der gerecht herrschen wird (Jes. 32, 1), wie Jesaja in seinen späteren Predigten Ihn uns so wundervoll gezeigt hat.

Das Tausendjährige Reich ist ein durchaus irdisches Reich. Es ist ein Staatswesen, so wie es unter den jetzt gegebenen irdischen Verhältnissen sein kann, wenn Jesus Christus als König herrscht und die Sünde nicht aufkommen kann, wenn Krankheiten beiseite getan und der Tod in die Ferne gestoßen (aber dennoch nicht ganz aufgehoben) ist. Doch ist das Tausendjährige Reich nicht die Heimat der Seligen. Sondern es ist ein letztes Gnaden-Angebot Gottes und Jesu Christi an die Menschheit. Es ist eine Zeit der Bewährung für die lebende, irdische Menschheit, aber nicht der Gnadenort der vollendeten Gerechten.

 

90. Die Heimat der Seligen

Unsere Hoffnung im Tode ist nicht erst die Auferstehung am Jüngsten Tage und nicht das Tausendjährige Reich, sondern das Vaterhaus im Himmel droben, das uns sogleich bei unserem Sterben aufnimmt, so wie Jesus es für Seine Jünger und alle, die gläubig Ihm sich anvertrauen, errichtet hat.

Wenn die Gläubigen sterbend von der Erde scheiden, so sind sie bei Christus, so daß das Sterben ihnen nur Gewinn bringt (Phil. 1, 21-23), so wie der arme Lazarus (Luk. 16) und der Schächer am Kreuz am Karfreitag sogleich hinaufgehoben wurden in das Vaterhaus – denn für Seine Jünger hat Jesus den Tod vernichtet (2. Tim. 1, 10). ER erlöst sie in Sein himmlisches Reich hinein (2. Tim. 4, 18). Und nicht das irdische Jerusalem, das im tausendjährigen Reich die Hauptstadt der Welt sein soll, ist unsere Hoffnung, sondern unsere Heimat haben wir im Himmel (Phil. 3, 20). Das Jerusalem droben ist unsere Mutter (Gal. 4, 26).

Es ist eindeutige biblische Lehre, daß die Seele der Gläu­bigen im Tode nicht stirbt. Der Leib zwar muß friedlich im Grabe ruhen – “aber meine Seele wirst DU (Gott) der Todestiefe nicht überlassen. DU gibst Deinen Freund nicht hin, daß er in Grabestiefen hinunter blicken muß” (Ps. 16, 10). Und unzweifelhaft ist die Stunde schon jetzt da – denn Jesus selbst hat es gesagt – wo die Toten den Ruf des Gottes-Sohnes hören; und die ihn hören, werden leben! (Joh. 5, 25) – und das nicht erst am Ende aller Tage, sondern schon jetzt. Wenn wir daher jetzt hier sterben, so ist gar kein Zweifel, daß Jesus uns sogleich hinüber ruft vor Gottes Angesicht.

Wenn nun die Bibel von der Auferstehung um Jüngsten Tage spricht, so meint sie, daß wir, die wir an Christus glauben, nicht in den ewigen Tod versinken sollen, dem alle verfallen müssen, die nicht im Buche des Lebens eingeschrieben stehen (Off. 20, 14-15). Auch dieser ewige Tod bedeutet nicht Vernichtung und Bewußtlosigkeit, sondern er bedeutet die Qual des Feuersees, in dem der Satan und der Antichrist hausen mit Allen, die Jesum verworfen haben durch willentlichen Unglauben, um sich an den Antichristen zu klammern.

Die Auferstehung am Jüngsten Tage bedeutet den Ruf vor Gottes Gericht hin.

Dennoch werden wir, die Gläubigen, längst schon, seit dem Tage unseres Sterbens, in dem seligen Vaterhause droben wohnen, um aber hernach, bei Jesu Wiederkommen, Ihn zu begleiten und – wie wir in den nächsten Kapiteln sehen werden – im Jüngsten Gericht von Ihm vor dem Zorn errettet zu werden und an Seiner, des Richters, Seite als Seine Mit-Richter zu stehen.

 

91. Satans letzter Kampf

“Und wenn dann die tausend Jahre vergangen sind, wird der Satan aus seinem Gefängnis befreit” (Off. 20, 7).

So wie Christus die Toten besucht hatte und ihnen predigte, als ER gestorben war, um sie zu Gott heimzuführen, so wird auch jetzt “nach langer Zeit der Satan noch einmal besucht” (Jes. 24, 22). Wir dürfen nach diesen Bibelworten vermuten, daß der Satan besucht wird, um ihm noch einmal Gnade anzubieten. Tausend Jahre lang hatte er Zeit, seinen Trotz zu bedenken – nun will Gott ihm die Heimkehr anbieten, wenn Satan willig ist, sich zu beugen.

Jedoch zeigt es sich sogleich, daß während seiner tausendjährigen Haft der Satan keine Demut gelernt hat; sondern emsig betreibt er ohne Verweilen, kaum aus der Haft entlassen, sein altes Werk. Die weit über die ganze Erde hin verstreuten Menschen versucht er, zu einer Revolution aufzuwiegeln gegen den König auf dem Berge Zion, Jesus Christus.

Und das Entsetzliche geschieht: zahllose Menschen lassen sich hineinreißen in die Revolte: “Der Satan wird ausgehen die Nationen verführen, die an den vier Ecken der Erde sind, den Gog und den Magog – in einen Krieg wird er sie hineinführen. Zahlreich sind sie wie der Sand am Meer – so überrennen sie die Weiten der Erde und umzingeln die Heimat der Heiligen und die geliebte Stadt Jerusalem” (Off. 20, 7-9).

Also gelingt es dem Satan, sogar die Menschen des tausendjährigen Reiches zu verwirren und dazu zu verführen, daß sie ihrem König Jesu trotzen – und nicht nur Etliche, sondern unheimliche Scharen. So ist also auch das letzte Gnaden-Angebot Gottes an die Menschen, das tausendjährige Reich, für Un­gezählte vergeblich gewesen: sie trotzen gegen Gott und Seinen Christus, sobald der Satan wieder an ihr Herz rühren kann.

Die Macht des Satan ist schrecklich, denn er war von Gott als mächtiger Engelfürst einst erschaffen worden. Und von früheren erbitterten Kämpfen zwischen dem Erzengel Michael und dem Satan, von einem harten Krieg, der im Himmel vor Zeiten ausgefochten wurde, erzählt die Bibel auch sonst (Off. 12, 7; Judas 9).

Jetzt nun, nach den tausend Jahren, ergreift den Satan ein höchster Zorn (vgl. Off. 1,2, 7) – er weiß, daß in diesem Kampf die letzte ewige Entscheidung fällt.

 

92. Erde und Sonne verbrennen

Daher begreifen wir, daß dieser Krieg an Furchtbarkeit alles, was je früher gewesen war, noch weit übertrifft.

“Und es fiel Feuer von Gott aus dem Himmel hernieder und verzehrte sie” (Off. 20, 9). Aber so furchtbar wird dieser Kampf sein, daß in jenem Feuer die ganze sichtbare Welt verbrennt und zerstört wird. Johannes sah in seiner Offenbarung “Einen, vor dessen Angesicht die Erde und der Himmel flohen” (Off. 20, 11). “Da werden die Himmel krachend zerschellen, die Elemente verbrennen und verflüchtigen sich”, berichtet uns Petrus über diesen fürchterlichsten aller Tage, die die Welt je gesehen (2. Petr. 3, 10).

Denn so fest verklammert sich der soeben freigelassene Satan in diese Erde, daß die ganze Erde zerschellen muß, wenn Jesu Engel den Satan schlagen sollen. “Und der Teufel, der die Menschen verführt hatte, wurde in den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wo auch das Tier ist und der falsche Prophet. Und sie werden gepeinigt werden von Ewigkeit zu Ewigkeit” (Off. 20, 10).

Und wie es scheint, geschieht es durch das Feuer, das vom Himmel hernieder fiel, daß der jetzige Sternen- und Lufthimmel und unsere alte Erde vergehen müssen, so gründlich, daß sie hernach nicht mehr zu finden sind – vor dem Angesicht Jesu Christi.

 

93. Das Jüngste Gericht

“Und ich sah (schreibt Johannes) einen gewaltigen­ weißen Thron, und Einen, der auf dem Throne saß … und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Throne stehen, und Bücher wurden aufgetan …” (Off. 20, 11-12).

Der Richter auf dem leuchtend-hellen Thron ist Jesus Christus, wie ER es selbst gesagt hatte: “dann wird ER auf Seinem glanzvollen Throne sitzen, und alle Völker werden vor Ihn hingeführt – und ER wird sie von einander sondern, so wie der Hirte die Schafe sondert von den Bösen. .. “Dann wird der König reden zu denen, die zu Seiner rechten Seite stehen: eilet herbei, ihr Gesegneten Meines Vaters! Ihr sollt das Reich erben, das für euch schon zubereitet wurde in der Urzeit, da die Welt entstand. Dann aber redet ER auch zu denen auf Seiner linken Seite: fort von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und für seine Engel schon vorbereitet ist (Matth. 25, 31).

Diese Sonderung aber, durch die etliche zur rechten und andere zur linken Seite gestellt werden, geschieht durch sorgsame Gerichtsurteile auf Grund der Bücher, die im Himmel über unsere Taten und all unser Wirken geführt werden (Off. 20, 12). Und dieses Gericht über jeden Einzelnen fällt Jesus nicht selbst, sondern hierfür hat ER seine Richter, die von Ihm zu diesem Richter-Dienst bestellt worden sind: die Heiligen, das heißt Seine getreuen Jünger, jene Menschen, die Ihm in den langen Jahrhunderten auf Erden gefolgt sind und gedient hatten (1. Kor. 6, 2). Gott “selbst richtet niemanden, sondern das ganze Gericht hat Gott dem Sohne Jesus Christus übergeben” (Joh. 5, 22), und Jesus übergibt es nun wieder Seinen getreuen Jüngern (Matth. 19, 28), und es kann kein Zweifel sein, daß Jesu Gerichtsordnung und Jesu Gerichtsspruch gerecht sein werden (Joh. 5, 30).

 

94. Das Gericht über die Engel

Nicht nur die Menschen fallen unter Sein Gericht, sondern auch der Satan und jene Engel, die ihre Würde nicht bewahrten, sondern ihre Heimat verließen und dadurch zu Engeln des Satans wurden, über die aber die nicht gefallenen Engel selbst kein Verdammungsurteil zu fällen wagen (Judas 6. 9). Auch diese fallen unter das Gericht der Heiligen und werden ihr Urteil erhalten (1. Kor. 6, 3).

“Und der Satan wurde in den Feuersee geworfen …, wo auch der Antichrist und der Falsche Prophet ist..“ (Off. 20, 10). Und so gibt es keinen Ausblick der Hoffnung, ewig bleiben sie verflucht. Für diese entsetzlichen Drei wird eine ewige Höllenstrafe von der Bibel verkündet. Und für solche, die in ihrem Leben wider den heiligen Geist gesündigt haben (Matth. 12, 32), das bedeutet: die frivol ohne Scham und Hemmung dem Rufen des Geistes sich verschließen und Lästerworte gegen ihn reden.

 

95. Jesu Jünger im Gericht

Auch Jesu Jünger “müssen vor Christi Gerichts-Stuhl erscheinen, um zu empfangen, was sie ein jeder mit Seinem Leibe geschafft haben, ob es nun gut oder ob es schlecht war” (2. Kor. 5, 10; Röm. 14, 10). Da wird dann an jenem Tage aufgehellt werden, wie eines jeden Tun gewesen war – das Feuer wird es klären (1. Kor. 3, 13).

Müssen nun auch alle Gläubigen durch dieses Gericht hindurch, so wissen wir aber doch, daß Jesus die Seinen “aus dem Zorn, der einstens kommen wird, herausreißen will (1. Thess. 1, 10). ER wird es nicht dulden, daß Seine Heiligen – und das sind wir, die wir an Ihn glauben – “vor Ihm getadelt werden” (Eph. 1, 4). Es wird in diesem Gericht unversehens deutlich werden, “wie unerschöpflich reich Gottes Gnade uns in Christus gütig umfängt” (Eph. 2, 7), und daß durch Ihn, durch Jesu Blut am Kreuz, “alles zu Gott hin versühnt wurde” (Kol 1, 20), so daß wir alsdann “als Heilige ohne Tadel vor Ihm dastehen” dürfen – wir, die wir unwandelbar im Glauben gegründet sind (Kol. 1, 22-23). “Die Anklageschrift”, jene Bücher, nach denen wir gerichtet werden, weil “sie uns anklagen, und die gegen uns gerichtet waren, hat Jesus ausgelöscht und an das Kreuz genagelt” (Kol. 2, 14), so daß kein Gericht uns anklagen darf. Und Jesus selbst verwandelt die Seinen, die im Glauben Ihm sich anvertrauen, “daß sie Seinem verklärten Leibe ganz gleich werden” (Phil. 3, 21) und daher von den alten Sünden an ihrem Leibe, und doch gewiß auch an ihrer Seele, nichts mehr zu sehen ist.

Und so zeigt es sich denn, daß wir unsere Gerechtigkeit nicht aus uns selbst haben, sondern daß Christus unsere Gerechtigkeit ist. Und es wird sich in diesem Gerichtsverfahren zeigen, daß niemand unter den Jüngern Jesu rein ist in seinem Wesen, sondern daß wir alle durch die Sünde gezeichnet und noch nicht vollkommen sind, daß also unsere Heiligung nicht in unserem Bemühen liegt, sondern daß nur Christus allein unsere Heiligung ist.

Wer aber seine Gerechtigkeit und Heiligung nicht in Christus gefunden und nie in seinem Leben im Glauben Ihm sich anvertraut hatte, der erhält seine Strafe nach gerechtem Urteil. Und ebenso auch jene, die zwar viel von ihrem Glauben geredet hatten, aber ihren Glauben nicht bewährten in der rechten Nachfolge Christi: der Nachfolge durch Glauben, Liebe, in der Wahrheit und in treuem Dienst.

 

96. Der letzte Feind

Des Satans fürchterliche Gewalt bewies sich darinnen, daß er die Macht über den Tod hatte (Hebr. 2, 14). Wenn nun Christus den Satan in dem letzten entsetzlichen Krieg vollends überwunden hat, dann ist dadurch auch der Tod überwunden. Denn der Tod ist einer der grausigsten Gesellen des Satan, der wie “ein Reiter auf fahlem Pferde” durch das Land reitet, gefolgt von dem Lande der Toten, in das hinein er einen um den anderen derer, die er schlägt, stürzen läßt (Off. 6, 8).

Daß der Tod nicht ein bloßes Wort und nicht bloß das schlichte Aufhören des Lebens sei, sondern eine wirkliche Gestalt, ein Geselle des Satan, bezeugt die Bibel oft. “Im Totenlande, wo der Tod sie weidet” (Ps. 49, 15). Manchesmal auch muß er dem Befehle Gottes gehorchen und als von Gott gewiesener Verderber durch das Land schreiten (2.Mose 12, 23). Oder er muß sich von dem Einzigen Mittler Jesus verweisen lassen, daß er einen Sterbenskranken doch nicht sterben lassen darf (Hiob 33, 22).

Nachdem der Teufel in den Höllenschlund gestürzt worden ist durch Jesu Gewalt, wird auch “der Tod und das Totenland in den feurigen Pfuhl geworfen” (Off. 20, 14).

Und alsdann ist der Tod vernichtet, für ewig – der letzte Feind liegt im Höllenpfuhl ewig ohnmächtig.

 

97. Das neue Jerusalem

Die durch den Satan in diesem letzten entsetzlichsten Krieg so fürchterlich zertrümmerte Welt wird wieder neu erschaffen – so wie einst in der Urzeit Gott und Sein Vertrauter Jesus die vom Satan zerstörte Welt neu gestaltet hatten. Wie aber diese neue Welt jetzt am Ende der Zeiten erschaffen wird, darüber berichtet uns die Bibel nichts. Wir erfahren nur, daß es einen neuen Himmel und eine neue Erde geben wird in wunderbarer Gestalt, als Heimat für die von Jesus Christus erlösten Menschen (Offb. 21,1).

Erstaunlich ist es uns, zu erfahren, daß es auf dieser neuen Erde kein Meer geben wird. Die Mächte der Unfruchtbarkeit und der Zerstörung, die wilden Wogen des Ozeans, haben auf der neuen Erde keinen Raum mehr.

Inmitten der neuen Erde liegt das neue Jerusalem. Wunderbare Dinge hören wir über diese Stadt: Nichts Böses findet sich in dieser Stadt, keine Unreinheit, kein Schmutz, nichts Gemeines. Darum wird von dieser Stadt ausgesagt, daß sie “wie ein köstlichster Stein aufstrahle, wie, ein kristallheller Jaspis-Edelstein. Sie ist wie von reinem Glase. Und die Stadt ist von lauterem Golde” (21, 11. 18) – das soll ohne Zweifel bedeuten: es gibt dort keinen Raum, wo man seine Bosheit verstecken, und nichts, woran eine Unreinheit haften könnte. Wie das Gold keinen Schmutz an sich bindet und Glas nicht verdunkeln kann, so ist in dieser Stadt alles lichthell und rein.

So gibt es in dieser Stadt auch kein Dunkel, “weil Gottes Glanz ihr leuchtet, und ihre Leuchte ist das Lamm (Jesus Christus)” (21, 23). Hier strahlt das Licht, in dem Gott wohnt, wohinein von uns irdischen Menschen niemand eindringen kann (1. Tim. 6, 16) – in jener n e u e n Welt aber sollen wir den Glanz schauen, der um Jesus leuchtete, ehe noch die Welt gegründet war, als ER noch vor Seiner Menschwerdung bei Gott weilte (Joh. 17, 24) – dort in dem ewigen Jerusalem der neuen zukünftigen Welt werden wir alle, deren Heimat im Himmel ist (Phil. 3, 20), in diesem göttlichen Lichte wandeln.

 

98. Vor den Toren der Stadt

Erstaunt aber sind wir, zu erfahren, daß diese Stadt “eine große und hohe Mauer hat mit zwölf Toren, auf denen zwölf Engel stehen” (vermutlich doch als Wächter) (21, 12).

Also gibt es außerhalb dieser Stadt auch noch Raum, und offenbar – so muß man doch wohl vermuten – auch noch Menschen, die zwar nicht, wie die schlimmen Sünder, in den Feuersee verdammt sind, aber dennoch in die Stadt nicht hinein finden dürfen.

Die Mauer und die Perlen, das Gold und Glas, die Bäume mit ihren Gesundheit verleihenden Blättern, und manches andere in diesen beiden letzten Kapiteln der Bibel (Off. 21-22) mögen Gleichnis und Wirklichkeit vermengen. Denn freilich kann über himmlische und ewige Dinge nie zureichend durch menschlich-irdische Worte geredet werden. sondern bedarf es immer des Gleichnisses. Doch mag es auch sein, daß hierinnen viel mehr Wirklichkeit ausgesagt ist, als wir gemeinhin meinen. Wir jedenfalls können nichts weiter tun, als eben diese Worte auf uns wirken zu lassen, in der Erkenntnis, daß besser und zureichender niemals über die Ewigkeit und den Himmel geredet werden kann (da die Bibel es sonst ohne Zweifel getan hätte). Und so wissen nun auch wir nicht anders hierüber zu reden, als in eben diesen Worten der Bibel.

Die Tore dieser Stadt sind unentwegt offen (21, 25). So können wahrscheinlich (wir werden so vermuten dürfen) die Bewohner dieser Stadt frei aus- und eingehen – der weite Weltenraum liegt offen vor ihnen, da sie nun nicht mehr unter den Grenzen von Raum und Zeit stehen, sondern sich frei in den unermeßlichen Weiten der Welt bewegen können. Doch ihre Heimat, in die sie immer wieder zurückkehren dürfen, ist jene Stadt, die von den Mauern umhütet ist.

Und warum ist sie von Mauern umhütet? Warum wachen auf ihren Mauern an den Toren die Engel?

Wir wissen so wenig hierüber. Aber diese Berichte über die Mauer lassen uns ahnen, daß manche draußen vor den Toren stehen werden, die gerne hinein möchten und doch nicht dürfen. Es sind nicht jene, die für alle Ewigkeit in den feurigen Pfuhl hinein verdammt wurden – denn die werden in Ewigkeit ihrer Verdammung nicht entrinnen und lagern nicht vor den Toren der Stadt, sondern sind ihr unendlich weit entfernt, eingeschlossen in die Verdammung.

Diese aber, die draußen vor den Toren der Stadt warten, werden einmal doch noch hinein finden. “Und man wird den Glanz und die Ehre der Völker in die Stadt hinein tragen – jedoch nichts Gemeines, und niemand der Schimpfliches tut oder mit Lügen umgeht, darf in die Stadt hineinschreiten” (21, 24-27). Der Glanz und die Ehre der Völker sind ohne Zweifel die Menschen dieser Völker. Denn alles Übrige der alten (jetzigen) Welt ist ja doch verbrannt in dem letzten Kampf zwischen Jesu Engeln und dem Satan. Also ist nichts mehr vorhanden an irdischen Gütern und Reichtümern. Und überhaupt: was sollte die Stadt wohl noch an irdischen Gütern benötigen, wo sie aus lauter Perlen und Gold erbaut ist? Und sie ist nicht ein Museum für vergangene nichtige Dinge. So ist offensichtlich, daß der Glanz der Könige die Zahl ihrer Untertanen ist, und die, nachdem das Totenland sie wieder hergegeben hat (20, 13), stehen nun vor den Toren, und warten, ob sie hinein gelassen werden. Es sind jene, die in ihrem Leben nie erfahren hatten, daß es einen Heiland Jesus gibt, oder die durch falsche Jesus-Jünger auf falschen Pfad geführt wurden, daß sie in die Irre liefen, ohne doch Schuld zu haben an ihrem Irrtum, weil sie von falschen Lehrern verführt wurden.

Vielleicht sind es auch jene, die zwar sich gläubig an Jesum hielten, Seinen Worten glaubten, aber in der Nachfolge die Heiligung vergaßen, und nun draußen noch stehend warten müssen, weil keine Lüge und demgemäß also auch kein Lügner und niemand, der Schimpfliches tut, durch die Stadttore zur Stadt hinein schreiten darf. Nun müssen sie, die die Erkenntnis und den Glauben hatten, aber in der Heiligung versagten und daher befleckt sind, sich reinigen lassen, so wie Paulus es uns erklärt: wenn jemandes Taten sich im Feuer des Gerichtes nicht bewähren, sondern verbrennen, so wird er bestraft werden, wenngleich er selbst zwar gerettet wird – aber wie durch das Feuer! (l. Kor. 3, 15; lies auch 5, 5).

Und warten müssen draußen jene, die während ihres Erdenlebens in eigenem Bemühen ihre Heiligung gesucht haben und nun erkennen müssen, wie vergeblich ihr Bemühen gewesen war, weil wir unsere Heiligung finden können nur in Christus. Nun müssen sie noch lernen, daß keine Vollkommenheit zu finden ist, als nur alleine jene, die Christus durch Sein Blut uns erfunden hat.

Denn inmitten der Stadt wachsen “Bäume, deren Blätter den Völkern Gesundheit schenken” (22, 2). So kann also, was in Sünden krank war, gesunden – auch noch in der Ewigkeit.

Aber warten müssen alle jene, die auf solchem halben Wege stehen geblieben waren, bis alles Schimpfliche und die Lügen von ihrem Wesen abgefallen sind und sie von ihren Sünden gereinigt werden, auf daß sie doch noch zuletzt in das Lebensbuch des Lammes eingetragen werden mögen (21, 27). Und dann dürfen sie auch durch die Tore in die Stadt – zwar verspätet, aber dennoch am Ende selig hinein schreiten.

Jedoch gilt dieses nicht den frivolen Sündern und jenen, die durch eigene Schuld die Erkenntnis verwerfen und Jesum nicht erkennen wollen. Solche sollen sich keinen falschen Hoffnungen hingeben, als dürften sie vor den Toren der Stadt doch noch Gnade finden. Denn wer nicht im Lebensbuche eingetragen ist, das heißt, wer sich den Rufen Jesu verschloß und nicht glauben wollte, der wird in den feurigen Pfuhl geworfen zu dem Satan und dem Antichristen, “wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nie verlöscht” (Mark. 9, 48; Off. 20, 15).

Aber eine ernste Warnung muß es allen sein, die an Jesum glauben und von den Glaubensdingen viel und schön zu reden wissen, aber nicht gelassen haben von der Lüge oder anderen schlimmen Dingen, durch die sie sich beständig – trotz ihres Glaubens – beflecken. Die werden draußen warten müssen, bis die Blätter der Bäume auch ihnen Gesundheit verleihen.

Die unendliche Seligkeit dieser Stadt liegt darinnen be­schlossen, daß wir verklärt dort stehen dürfen und schuldlos – dort in jener Stadt – Gottes und Jesu Antlitz schauen dürfen und ein volles Genüge finden, Gott in Seiner Gestalt zu erblicken – das ist die ewige Seligkeit, auf die wir warten dürfen (Ps. 73, 24 und 17, 15).

Denn inmitten der Stadt steht der Thron Gottes und Jesu Christi, von dem aus das Licht die ganze Stadt durchströmt. “Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen” (21, 3), – “… und sie werden Sein Angesicht sehen, und Sein Name wird auf ihren Stirnen sein. Und es wird keine Nacht mehr sein. … Gott der Herr wird sie erleuchten, und sie werden herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit” (22, 4).

 

Anhang

Zur Offenbarung des Johannes

Die Offenbarung ist eine Enthüllung, durch die aufgehellt wird, was nun schon bald geschehen soll (1, 1). Diese Geschichte der Endzeit, die in dem letzten Bibelbuch aufgehellt werden soll, ist aber unendlich weitschichtig. Denn die Offenbarung möchte alle Vorgänge vor Jesu Wiederkommen, wie sie sich abspielen in der Natur, in der Geschichte, in der Kirche und in der Völkerwelt, vor uns ausbreiten. Eine solche umfassende Darstellung kann aber nicht in Einem Flusse dargeboten werden. Darum mußte Johannes mehrfach wieder neu beginnen, um die Endgeschichte in diesen einzelnen Lebensbereichen aufzuzeigen.

So kommt es denn, daß in der Offenbarung viermal die Endgeschichte dargestellt wird bis hin zum Tage von Harmageddon. Die alsdann folgenden Geschehnisse werden in den letzten Kapiteln der Offenbarung in einer einfachen Linie uns vor Augen geführt bis hin zur Neuerschaffung der Welt und des neuen Jerusalem.

Das Buch JESUS – Sein Leben und Sein Wiederkommen wurde schon 1956 verfasst. Besonders die Ausführungen zum Antichristen und Falschen Propheten, zur Hure Babylon und zu Volk und Land Israel erfüllen sich ja deutlich vor unseren Augen. Die heutigen Umwälzungen im Nahen Osten zielen deutlich auf eine Auseinandersetzung um Jerusalem hin, die ja vom Propheten Sacharia in Kapitel 12 und 14 vorhergesagt ist.

Das Buch ist evtl. noch antiquarisch zu erwerben.

Horst Koch, Herborn, im September 2012

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Musik unter der Lupe (K.E.Koch)

Kurt E. Koch

Musik unter der Lupe

Inhalt
Karl Barth und Mozart
Robert Schumann, Komponist und Spiritist
Johannes Brahms im Bereich der Kunst und Dämonie
Durch das Heidentum inspiriert
War Joh. Seb. Bach ein Pietist?
Bob Larsen, vom Rockmusiker zum Evangelisten
Satans Trommelfeuer
Rockmusik und Kirche

– Anmerkung. Der Beitrag ist dem Buch OKKULTES ABC entnommen, Seiten 390 bis 446, und stark gekürzt, auch die Hervorhebungen sind von mir. Da es heißt, Musik ist eine Himmelsmacht, soll eine eventuelle Beziehung des jeweiligen Komponisten zur transzendenten Welt bedacht werden. Sowohl im Guten als auch im Negativen, wie wir sehen werden. Bes. bei der Rockmusik wird das oft deutlich bzw. unterschätzt.  Horst Koch, Herborn 2016 –

 

Auszüge:

Seite 403: Karl Barth und Mozart

Ich war noch Pennäler, als Karl Barth in mein Gesichtsfeld trat. Es war in den zwanziger Jahren. Vikar Kehrberger, der schnell das Vertrauen der Schüler gewann, war unser Religionslehrer. Er hatte den Römerbriefkommentar von Karl Barth in die Klasse gebracht und begeistert darüber gesprochen. Mein erster Eindruck von diesem Theologen, den viele Pfarrer den bedeutendsten Dogmatiker des 20. Jahrhunderts nennen, war durchaus positiv. Das war mit ein Grund, warum ich in der täglichen Bibellese den Römerbrief mit neuen Augen las. Unerwartet fragte mich Kehrberger eines Tages: »Verstehst du den Römerbrief?« Aus ehrlichem Herzen bejahte ich, weil ich damals den Schwierigkeitsgrad dieses Paulusbriefes noch nicht kannte.  . . .

Die zweite Auseinandersetzung mit Karl Barth war schon viel problematischer. Als Theologiestudent saß ich unter seinem Katheder. Ich erinnere mich gut an seine Vorlesung über die Inspiration der Heiligen Schrift. Mit gemischten Gefühlen hörte ich seinen Erklärungen zu. Was diese theologische Koryphäe in den Vorlesungen sagte, fand den Weg in seine Dogmatik. In Band I, 2 Seite 563 steht zu lesen: »Die Propheten und Apostel waren als solche in ihrem gesprochenen und geschriebenen Wort des Irrtums fähig. Sie waren tatsächlich fehlbare Menschen wie wir alle.« Auf Seite 565 des gleichen Bandes sagt Professor Barth: »Die Anfechtbarkeit bzw. Irrtumsfähigkeit der Bibel erstreckt sich auch auf ihren religiösen und theologischen Gehalt. Da ergeben sich offenkundige Überschneidungen und Widersprüche.«
Es ist schmerzlich, daß dieser große Theologe die Lehre der Inspiration, wie sie von Kirchenvater Augustinus und auch von dem Reformator Calvin formuliert wurde, mit Entschiedenheit ablehnt. Wenn Theologen und Nichttheologen in diesem Lehrstück Karl Barth folgen wollen, so ist das ihre Sache. Ich selbst kann diese Lehrmeinung nicht übernehmen.

Geradezu weh tut mir, was auf Seite 595 dieses Bandes zu lesen ist: »Hat Gott sich der Fehlbarkeit all der menschlichen Worte der Bibel, ihrer geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Irrtümer, ihrer theologischen Widersprüche nicht geschämt, dann wäre es Eigenwilligkeit und Ungehorsam, in der Bibel auf die Suche nach irgendwelchen unfehlbaren Elementen ausgehen zu wollen« (gekürzt).
Wir brauchen nicht nach unfehlbaren Elementen zu suchen, sie sind in der Heiligen Schrift in Fülle da. Paulus schreibt in 1. Tim. 3, 16: »Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis; Gott ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.«

Ist das etwa kein unfehlbares Element? Natürlich kann ich nicht gegen einen Karl Barth antreten. Theologisch bin ich ihm gegenüber wie eine kleine Maus gegen einen riesigen Elefanten.
Es bleibt dabei. Mir gilt »pasa graphe theopneustos« = alle Schrift ist von Gott eingegeben (2. Tim. 3, 16). Diese Inspiration ist nicht als automatisches Diktat mit mechanischer Aufnahme zu verstehen, sondern bedeutet, daß die Verfasser der biblischen Schriften Männer voll Heiligen Geistes waren.
Die kurze Erörterung der Inspirationsfrage erfolgte nur, weil wir uns in einigen Kapiteln mit der genialen Begabung großer Musiker auseinandersetzen.
René Pache unterscheidet in seinem Buch über die Inspiration zwischen Erleuchtung und Inspiration. In unserem Zusammenhang geht es um andere Abgrenzungen, wie noch deutlich werden wird.

Zunächst steht die Frage zur Diskussion, ob Karl Barth mit seiner Glorifizierung Mozarts auf der richtigen Fährte war. Stand dieses Musikgenie Mozart bei seinen Werken unter der Inspiration des Heiligen Geistes? Hören wir einmal, was Karl Barth über ihn sagte. Wir finden seine Äußerungen in der kirchlichen Dogmatik, aber kurz zusammengefaßt in seiner Schrift »Wolfgang Amadeus Mozart«.

Barth schreibt: »Ich habe zu bekennen, daß ich seit Jahren und Jahren jeden Morgen zunächst Mozart höre und mich dann erst der Dogmatik zuwende. Ich habe sogar zu bekennen, daß ich, wenn ich je in den Himmel kommen sollte, mich dort zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin, Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen würde.«
Die Aussage über die eigene Ungewißheit des Heils kann wahrscheinlich als ein Akt der Bescheidenheit gelten. Barth hat ja oft die Pietisten wegen eines »grölenden Redens vom Heiligen Geist« – wie er sich ausdrückte – getadelt und angegriffen. Daß er aber Mozart, seinen erwählten Lieblingsmusiker, einfach in den Himmel versetzt, ist fragwürdig.

Wir stehen hier vor einer Untugend der westlichen Bildung. Die menschliche Ratio und das schöpferische Schaffen großer Männer wird so hoch bewertet, daß die Volksmeinung sie automatisch in den Himmel versetzt. So finden wir in dem Buch von Dompropst Martensen Larsen »Am Gestade der Ewigkeit« (Seite 166) folgende Aussage: »Es wäre doch ein wunderlicher Himmel, in dem man nicht Plato, Cäsar, Goethe, Schiller und Beethoven finden würde!«  . . .

Haben Goethe und Mozart automatisch den Himmel verdient, weil sie große Männer waren? Das Wort Gottes ist maßgeblich und nicht das intellektuelle Niveau.
Mein verehrter Lehrer Karl Heim äußerte einmal: Wenn schon Kollege Barth sich einen Musiker zum Leitstern nimmt, warum dann nicht Johann Sebastian Bach, der doch zu Christus ein ausgeprägteres Verhältnis hatte als Mozart.  . . .

Karl Barth ist wegen seiner Mozart-Verfallenheit öfter angegriffen worden. Er antwortete darauf (Seite 45): »Ich stelle eine Frage unbeantwortet zurück, die nämlich: wie ich als evangelischer Christ dazukomme, gerade zu Mozart das Ja zu sagen, das hier gewiß nicht verborgen geblieben ist – da er doch so katholisch und auch noch Freimaurer und im übrigen ganz und gar nur Musikant gewesen ist?«

Es ist keine pietistische Engstirnigkeit, wenn ich die Tendenz ablehne, geniale Männer eo ipso in den Himmel zu verfrachten ungeachtet ihrer Stellung zu Christus und zur Bibel. Man wird bei Mozart auf seine kirchlichen Werke, besonders sein Requiem hinweisen und sagen wollen, er habe doch Gott mit seiner Gabe gedient. Mit der gleichen Freiheit hat er auch Freimaurergesänge komponiert. Ein persönliches Christuszeugnis fehlt bei diesem großen Meister. Karl Barth bescheinigt ihm: »Das Subjektive wird bei ihm nie ein Thema. Er hat die Musik nicht dazu benützt, sich über sich selbst auszusprechen« (Seite 39).
Es gibt große Meister der Musikwelt, die in ihrer religiösen Einstellung nicht nur indifferent, sondern sogar ablehnend sind.

Arthur Rubinstein, Künstler, Atheist und danach Christ
Ein Nestor unter den Musikern ist Arthur Rubinstein. 1886 im polnischen Lodz geboren, geht er zur Zeit dieser Niederschrift ins fünfundneunzigste Lebensjahr. Sein Geist und seine Lebenskraft sind noch nicht gebrochen, so daß er hofft, den hundertsten Geburtstag noch zu erleben. Zu wünschen wäre es ihm, am meisten aus dem Grunde, daß er seine noch offene Rechnung mit Gott ins reine bringen kann.
Ob die Nähe der Ewigkeit nicht seine Gedanken in diese Richtung gelenkt hat? Ich erhielt vor einigen Jahren einen Brief von ihm, daß er mein Buch »Between Christ and Satan« gelesen hat und dazu einige Fragen habe. Ich werte das als positives Zeichen.
Dieser Mann hat einen ungeheuren Aufstieg und Ruhm als Pianist erlebt. Sein Weg begann als Wunderkind. Ähnlich wie Mozart spielte er schon als Vierjähriger im kleinen Kreis. Mit sechs Jahren stellte er seine virtuose Begabung in den Dienst von Wohltätigkeitsveranstaltungen. Mit elf Jahren war er in einem Mozart-Konzert von den Berliner Symphonikern als Pianist engagiert.

Nach seiner Ausbildung in Berlin wagte er 1906 seinen ersten Sprung über den großen Teich. Fast hätte dieser erste Besuch in dem Land unbegrenzter Möglichkeiten mit einer Katastrophe geendet. Sein Talent war in der Neuen Welt noch nicht bekannt. So bekam er kein Engagement und stand mittellos in einer mitleidlosen Welt. Diesem trostlosen Dasein wollte er durch einen Freitod ein Ende bereiten. Aber die Schnur des Bademantels, mit der er sich aufhängen wollte, riß. Sein Leben blieb erhalten. Wie dankbar war er später für die Vereitelung seines unheilvollen Planes. Die Misere in USA veranlaßte ihn, wieder nach Europa zurückzukehren. Seine vielen Tourneen in England und Frankreich darzustellen, ist nicht der Sinn dieses Berichtes.

Ein glückliches Ereignis darf aber nicht unerwähnt bleiben. Als Vierzigjähriger lernte er Aniela, die siebzehnjährige hübsche Tochter des polnischen Dirigenten Mlynarski kennen. Einige Jahre später heirateten sie. Vier Kinder wurden dem Ehepaar geschenkt. Es war eine große Liebe, die sich als tragfähig erwies. Sie verwandelte auch den genußfreudigen und lebenslustigen Mann in einen hart arbeitenden Pianisten, der acht bis zehn Stunden am Tag arbeitete und damit den Grundstein für seinen weiteren Aufstieg legte.

In der Zeit, als in Europa die braune Ära begann und ihre Schatten über den alten Kontinent warf, siedelten die Rubinsteins wie viele andere Emigranten nach Kalifornien um.
Dieses warme Land an der pazifischen Küste wurde zu einer Ausgangsbasis für den weltweiten Ruhm des hochbegabten Pianisten. Überall empfingen ihn Beifallsstürme. Sechs Millionen seiner Schallplatten wurden verkauft. Rubinstein wußte mit dem Geld umzugehen, das heißt nicht zu horten, sondern damit Freude zu bereiten.

Ein Charakterzug im Leben dieses Mannes ist mir sehr sympathisch. Er empfand eine große Liebe für Israel. Dreißig Jahre konzertierte er immer wieder in diesem Land, ohne auf Gagen zu achten. Er hat fast nichts aus Israel mit herausgenommen als seine Liebe wiederzukommen. Als Neunzigjähriger wurde er hoch geehrt. Die Jury ernannte ihn zum Musiker des Jahres. Von allen Seiten flossen ihm Ehrenzeichen und Orden zu. Unbekannte Menschen ehren ihn und überschütten ihn mit Blumen. Wahrlich, er hat das Leben außer seiner ersten Epoche mit zwanzig Jahren von der Sonnenseite erlebt. Genügt das nicht? Rubinstein sagt ja. Er will das Leben bis zum letzten Tag genießen. Ob das alles ist?

Von der offenen Rechnung vor Gott war die Rede. Wer das Thema Gott anschneidet, erlebt einen leidenschaftlich reagierenden Rubinstein. Er zweifelt an den alttestamentlichen Geschichten. Er meint, Mose hätte es nie gegeben. Einer Reporterin erzählte er: »Schon als kleiner Junge wollte ich Gott sehen, aber niemand konnte ihn mir zeigen. Heute kann mich niemand überzeugen, daß ein liebender Gott uns lenkt und seine Gnade schenkt. Das mag für andere Menschen gelten, für mich aber nicht. Das sind alles Lügen!«
Er weist als Argument auf die Religionskriege hin. In der Gegenwart sieht er seinen Atheismus bestätigt in den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Irland. Er erwähnt auch die dauernden Kämpfe zwischen Arabern und Israel und sagt: »Die einen verehren Allah und Mohammed, die anderen Jehova. Und im Namen ihrer Götter bringen sie sich gegenseitig um.«
So einfach ist das Problem nicht. Gott ist nicht für unsere Blindheit verantwortlich. Der Herr sagt (Jer. 29, 13 f.): »So ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.« Perlen und kostbare Schätze liegen nicht an der Straße. Die Perlenfischer in der Südsee müssen oft tief tauchen und suchen, bis sie eine Muschel mit einer Perle finden. Jesus erzählt auch in seinen Gleichnissen (Mt. 13) von einem Kaufmann, der gute Perlen suchte. Gott mutet es uns zu, daß wir suchen – dann dürfen wir auch finden.

Rubinstein ist geistig noch frisch. Er hat noch eine Chance zum Finden, wenn er sucht.
Das schrieb ich 1981. Inzwischen erhielt ich Nachricht, daß Rubinstein in sehr hohem Alter und in völlig geistiger Klarheit Christus als seinen Herrn angenommen hat. Preis dem Herrn, der auch die Starken zum Raube hat! Es erging ihm also ähnlich wie Heinrich Heine, der zuerst Gottesleugner, sogar Spötter war, und dann im Alter noch Jesus als seinen Messias anerkannte. Man schiebe diese Entscheidung der beiden Männer im hohen Alter nicht auf eine etwaige Altersschwäche. Man bekehrt sich in der Jugend leichter als im Alter. In der Jugend ist der Mensch beweglich und elastisch, im Alter erstarren alle körperlichen und geistigen Funktionen. Alte Leute können »frömmlerisch« werden, aber echte tiefgreifende Bekehrungen sind selten. Und doch haben das Heine und Rubinstein erlebt.

Robert Schumann, Komponist und Spiritist

Robert Schumann (1810-1856) wird Gründer der deutschen romantischen Musik genannt. Mit vierundzwanzig Jahren wurde er Dozent am Leipziger Konservatorium. Seine Ehe mit Clara Wieck, der Tochter seines Lehrers, war eine ideale Lebensgemeinschaft. Als Klaviervirtuosin erreichte Clara Schumann Weltruhm. Sie wird häufig mit Arthur Rubinstein verglichen.

Die musikalische Bedeutung Robert Schumanns darzustellen, ist nicht meine Aufgabe. Das haben Musikkritiker und Musikhistoriker getan. Mir geht es um die Wurzeln der geistigen Umnachtung dieses bedeutenden Komponisten, der sein Leben in der Nervenheilanstalt beschloß.

Die geistige Entwicklung dieses Mannes ist geradezu ein Schulbeispiel dafür, was der Spiritismus anrichtet.

Die spiritistische Bewegung begann in der Neuzeit mit den beiden Schwestern Margaret und Kate Fox, die in einer Ortschaft des Staates New York auf einer Farm wohnten. 1848 wurden in dem Elternhaus der beiden Mädchen Klopfgeräusche gehört, die sinnvoll gesteuert schienen. Da hinter den Klopftönen Geister vermutet wurden, vereinbarte man mit ihnen ein Klopfalphabet, das Raps genannt wurde. Es handelt sich um ein englisches Wort mit der Bedeutung: klopfen, schlagen. Die Töchter des Spukhauses entwickelten sich seit 1848 zu fähigen Medien. Der Geisterverkehr wurde mit Holztischen praktiziert, die keine Nägel enthalten durften. Das war die Geburtsstunde des sogenannten Tischrückens, das sich wie eine Epidemie in allen Ländern ausbreitete. Nicht nur das einfache Volk betrieb dieses Spiel zum Zeitvertreib, auch Akademiker, unter ihnen Physiker, wollten diesem Phänomen auf die Spur kommen. Schwindel und Tricks sagten die einen, Steigrohre des Unbewußten nannten es die anderen. Zu der spiritistischen Hypothese (Geisterverkehr) kam die animistische Theorie, ein Aktiverwerden verborgener Seelenkräfte des Menschen. Diese beiden hauptsächlichen Erklärungen haben sich bis heute erhalten.

Von dieser okkulten Seuche des Tischrückens wurde Robert Schumann erfaßt. Er richtete sich damit langsam zugrunde. Absichtlich stelle ich den Vorgang nicht mit eigenen Worten dar, weil es Akademiker gibt, die meinen, ich würde übertreiben. Ich lasse seinen Biographen Wasielewski berichten. Diese ausgezeichnete Darstellung findet sich in dem Buch von Otto Zoff »Die großen Komponisten« ab Seite 187.
Es heißt dort:
»Die krankhaften, im Jahre 1852 mehrfach hervorgetretenen Symptome zeigten sich nicht allein im Jahre 1853, sondern es kamen auch neue hinzu. Zunächst war es das sogenannte >Tischrücken<, welches Schumann in vollständige Ekstase versetzte und seine Sinne in der vollen Bedeutung des Wortes berückte. Das Tischrücken hat zu jener Zeit, wo es die Runde durch die Boudoirs und Teegesellschaften nervöser Damen, ja, durch die Studierzimmer sonsthin ernster Männer machte, allerdings auch manchen besonnenen Kopf irritiert; doch unterscheiden sich diese Vorkommnisse durchaus von der krankhaften Exaltation, welche Schumann damals ergriffen hatte.
Als ich im Mai 1853 mich besuchsweise in Düsseldorf aufhielt und eines Nachmittags in Schumanns Zimmer eintrat, lag er auf dem Sofa und las in einem Buche. Auf mein Befragen, was der Inhalt des letzteren sei, erwiderte er mit gehobener, feierlicher Stimme: >Oh! Wissen Sie noch nichts vom Tischrücken?<
>Wohl<, sagte ich in scherzendem Tone.
Hierauf öffneten sich weit seine für gewöhnlich halb geschlossenen in sich hineinblickenden Augen, die Pupille dehnte sich krampfhaft auseinander, und mit eigentümlich geisterhaftem Ausdrucke sagte er unheimlich und langsam: >Die Tische wissen alles<.
Als ich diesen drohenden Ernst sah, ging ich, um ihn nicht zu reizen, auf seine Meinung ein, in Folge dessen er sich wieder beruhigte. Dann holte er seine zweite Tochter herbei und fing an, mit ihr und einem kleinen Tische zu experimentieren, wobei er den letzteren auch den Anfang der c-Moll-Symphonie von Beethoven markieren ließ. Die ganze Szene hatte mich aber aufs äußerste erschreckt, und ich erinnere mich genau, daß ich meine Besorgnisse damals sogleich gegen Bekannte äußerte. An Ferd. Hiller schrieb er über seine Experimente am 25. April 1853: >Wir haben gestern zum ersten Male Tisch gerückt. Eine wunderbare Kraft! Denke Dir, ich fragte ihn, wie der Rhythmus der zwei ersten Takte der c-Moll-Symphonie wäre! Er zauderte mit der Antwort länger als gewöhnlich – endlich fing er an, aber erst etwas langsam. Wie ich ihm aber sagte: >Aber das Tempo ist schneller, lieber Tisch<, beeilte er sich, das richtige Tempo anzuschlagen. Auch fragte ich ihn, ob er mir die Zahl geben könnte, die ich mir dächte, er gab richtig drei an. Wir waren alle wie von Wundern umgeben.< Und desgleichen unter dem 29. April: >Unsere magnetischen Experimente haben wir wiederholt. Es ist, als wäre man von Wundern umgeben.<

Dann auch stellten sich zeitweilig Gehörstäuschungen ein, derart, daß Schumann einen Ton unausgesetzt zu hören glaubte, und auch in nervöser Erregung wirklich hörte, obschon in der ganzen Umgebung nichts, was einem Ton hätte ähnlich sein können, wahrzunehmen war. Der Violinist Ruppert Becker in Frankfurt am Main, welcher damals in Düsseldorf lebte, berichtete mir, daß er eines Abends mit Schumann zusammen in einem Bierlokale gewesen sei. Plötzlich habe Schumann die Zeitung weggelegt und gesagt: >Ich kann nicht mehr. Ich höre fortwährend A<.«

Die Gehörstäuschungen verstärkten sich. Es meldeten sich Geisterstimmen, denen Schumann gehorchte. Eines Nachts verließ er das Bett und begab sich ins Wohnzimmer, um zu komponieren. Seiner Frau, die ihn zurückhalten wollte, erklärte er, er habe von Schubert und Mendelssohn ein Thema erhalten, das er sofort ausarbeiten müsse.

Zu den akustischen Halluzinationen traten dann noch visuelle Halluzinationen. Schumann wurde nicht Herr über diese wahnhaften Trugbilder. Manchmal bekannte er sich als Sünder, der die Liebe seiner Frau nicht verdiene. Die Gespräche mit den Geistern mehrten sich. Er wurde ihr Sklave. Sie gaben ihm Aufträge, die er ausführen mußte. So erhielt er im Februar 1854 den Auftrag, sich das Leben zu nehmen. Er verließ wortlos sein Haus und eilte zur Rheinbrücke. Dort stürzte er sich in die Fluten des Stromes. Er wurde aber von Rheinschiffern beobachtet, die ihm mit einem Kahn nachfuhren und ihn aus dem Wasser zogen. Er war damit gerettet. Einige Wochen später wurde er von seinem Arzt in eine Heilanstalt gebracht. Nach zweieinhalb Jahren endete sein Leben in dieser Anstalt in Endenich.

Natürlich ist mir klar, was die Psychiater zu dieser Krankengeschichte zu sagen haben. Sie erklären, man dürfe Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Die Geisteskrankheit sei das Erste und danach der Hang zu dem mysteriösen Tischrücken. Im Leben Schumanns war es aber so, daß seine Geisterhörigkeit erst zwei bis drei Jahre nach dem Beginn des Tischrückens einsetzte.
Musiker haben allgemein ein sensibleres Nervensystem als Menschen anderer Berufsgruppen. Sie zerstören mit dem Spiritismus viel schneller ihr seelisches Gefüge als die massiv oder grobstrukturierten Menschen.

Johannes Brahms im Bereich der Kunst und Dämonie

Johannes Brahms (1833-1897) gilt als der größte deutsche Musiker der nachklassischen Zeit. Sein Leben und künstlerischer Spielraum liegt in dem Dreieck Hamburg, Zürich, Wien. Sein Vater war in Hamburg ein Berufsmusiker, der mehrere Instrumente spielte. Johannes erregte schon als Zehnjähriger durch sein frühreifes musikalisches Talent Aufmerksamkeit. Sein Musiklehrer Gossel kam, als sein Schüler erst elf Jahre alt war, händeringend zu Eduard Marxsen, einem Pianisten von Rang, und erklärte: »Ich kann dem Jungen nichts mehr beibringen, bitte übernehmen Sie ihn.« Seiner Bitte wurde entsprochen, als sich Marxsen das Spiel des jungen Talents angehört hatte.

Mit vierzehn Jahren fiel Johannes bei einem Konzert auf und erhielt von einem Musikkritiker eine wohlwollende Kritik. Mit fünfzehn Jahren wagte der junge Pianist sein erstes eigenes Konzert. Auf seinem Programm standen unter anderem Bach und Beethoven.
Sein musikalischer Aufstieg begann nach seiner Begegnung mit Schumann, der alles daransetzte, für die Frühwerke von Brahms einen Verleger zu finden.
Nach dem Tode seines Freundes und Gönners bahnte sich zwischen der Gattin des Verstorbenen, Clara geb. Wieck, und Brahms eine herzliche Freundschaft an, die Jahrzehnte hindurch bestand. Sie unternahmen viele gemeinsame Konzertreisen.

In den Jahren 1865 bis 1874 wurde Brahms häufig zu den Musikfesten nach Zürich eingeladen. Dort lernte er bedeutende Männer kennen und schätzen. Dazu gehörten der berühmte Chirurg Prof. Billroth, der feinsinnige Schriftsteller Josef V. Widmann und Ernst von Wildenbruch, dessen Dramen Brahms sehr zusagten.

Seit 1863 gab Brahms auch in Wien Konzerte, für die er von einigen Wagner-Fans starke Opposition erhielt. Dennoch konnte er sich durchsetzen. Er entscheidet sich schließlich für Wien als seinen Wohnsitz und Wirkungsstätte, obwohl er oft von Heimweh nach seiner Vaterstadt Hamburg geplagt war.

Über die musikalische Bedeutung von Johannes Brahms zu schreiben, steht mir nicht zu. Ich bin kein Musikkenner. Mein musikalisches Bedürfnis ist mit den Bach-Chorälen gestillt. Meine Aufgabe liegt auf einer ganz anderen Ebene: die Frage nach der Inspiration dieser großen Komponisten.

Auf diesem Sektor ist Brahms der ergiebigste Musikschöpfer, weil wir von ihm am meisten wissen. Das Buch von A. M. Abell »Gespräche mit berühmten Komponisten« ist eine reiche Fundgrube für das Problem der Inspiration.

Das meiste Material liefert uns Max Kalbeck (1850-1921), dessen Brahms-Biographie in acht Bänden erschienen ist. Hören wir einmal eine typische Partie Kalbecks aus dem Buch »Die großen Komponisten«, Seite 280f.:

»In Ischl hatte ich später ein paarmal unverhoffte Gelegenheit, Brahms bei der Arbeit zu belauschen. Als Frühaufsteher und Naturfreund wie er, war ich an einem warmen Julimorgen sehr zeitig ins Freie hinausgegangen. Da sah ich plötzlich vom Walde her einen Mann auf mich über die Wiese zugelaufen kommen, den ich für einen Bauern hielt. Ich fürchtete, verbotene Wege betreten zu haben, und rechnete schon mit allerlei unangenehmen Eventualitäten, als ich in dem vermeintlichen Bauern zu meiner Freude Brahms erkannte.
Aber in welchem Zustande befand er sich, und wie sah er aus! Barhäuptig und in Hemdärmeln, ohne Weste und Halskragen, schwenkte er den Hut in der einen Hand, schleppte mit der anderen den ausgezogenen Rock im Grase nach und rannte so schnell vorwärts, als würde er von einem unsichtbaren Verfolger gejagt. Schon von weitem hörte ich ihn schnaufen und ächzen. Beim Näherkommen sah ich, wie ihm von den Haaren, die ihm ins Gesicht hingen, der Schweiß stromweise über die erhitzten Wangen herunterfloß. Seine Augen starrten geradeaus ins Leere und leuchteten wie die eines Raubtieres – er machte den Eindruck eines Besessenen. Ehe ich mich von meinem Schrecken erholte, war er an mir vorbeigeschossen, so dicht, daß wir einander beinahe streiften; ich begriff sofort, daß es ungeschickt von mir wäre, ihn anzurufen; er glühte vom Feuer des Schaffens. Nie werde ich den beängstigenden Eindruck der elementaren Gewalt vergessen, den der Anblick der Erscheinung in mir zurückließ.

Und ebenso unvergeßlich bleibt mir die einzige Stunde, in der ich als heimlicher Ohrenzeuge seinen Eingebungen lauschen durfte, die er, aller Wahrscheinlichkeit nach vor der ersten Niederschrift, seinen verschwiegenen Wänden anvertraute. Auch da berührte sich das Dämonische mit dem Künstlerischen in eigentümlicher Weise.«

Die Ausdrücke Besessenheit und Dämonie tauchen hier auf. Sie wollen hier nicht im biblischen Sinne als der Innewohnung böser Geister verstanden werden, sondern einfach als die völlige Beschlagnahmung durch eine Aufgabe. Wir haben im Deutschen die Redewendung: von einer Idee besessen, von der Kunst, von der Arbeit besessen, ohne daß wir gleich an Dämonen denken. Allerdings kann man sich hier auch einer Verharmlosung schuldig machen. Wir müssen daher Brahms’ Inspiration noch bei Arthur Abell untersuchen, der diesem Problem nachgegangen ist. Als Quelle dient sein Buch »Gespräche mit berühmten Komponisten«. Dieses Buch ist eine Schatzkammer der künstlerischen Inspiration, ohne jedoch zu dem Urgrund verschiedener Inspirationen vorzustoßen.

Die Liebhaber der Brahmsschen Werke werden sich über die folgenden Abschnitte ärgern. Ich konstruiere aber nichts. Die Quellen sind völlig eindeutig. Untersuchen wir Schritt für Schritt den Hintergrund der Brahmsschen Musik.
Eine erste Etappe ist Brahms’ Stellung zur Heiligen Schrift. Es war im Spätherbst 1896, ein Jahr vor seinem Tod. Der berühmte Violinist Joseph Joachim, Brahms’ Freund, und Arthur Abell saßen im Wiener Heim des Komponisten zusammen. Das Gespräch ging um die letzten Fragen des Lebens.

Die drei Gesprächspartner mühten sich zunächst um die Frage, woher einem Komponisten die Kräfte zu seinem Schaffen zuströmen. Begriffe wie Unterbewußtsein und Überbewußtsein wurden genannt. Brahms gab folgende Erklärung und zitierte Joh. 14, 10 f.:
»Der Vater, der in mir wohnt, der tut die Werke. Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und wird größere denn diese tun.«
Brahms meinte nun, sein eigenes Schaffen würde diesem Wort entsprechen. War er dazu berechtigt? Nein, er glaubte nicht an den Sohn Gottes, wie die Schrift sagt (Joh. 7, 38). Den Beweis gibt er selbst. In diesem Gespräch behauptet er folgendes: »Diese Stelle steht im glatten Widerspruch zu Joh. 3, 16 (Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn dahingab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben). Als Beweis für diesen Widerspruch oder Gegensatz führte er an:
»Joh. 14, 12 sind die eigenen Worte Jesu, während Joh. 3, 16 die Worte des Evangelisten darstellen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.« Brahms behauptete, seine eigene Inspiration käme von Gott, während er die totale, echte Inspiration der Bibel ablehnte. Damit gibt dieser Schöpfer großer Musikwerke, ohne es selbst zu wissen, zu, daß seine Inspiration aus anderen Quellen kommt.

Für diese Behauptung gibt er in diesem Gespräch laufend neue Beweise.
Arthur Abell fragte den großen Meister: »Glauben Sie, daß Jesus der Sohn Gottes ist?«
Brahms erwiderte: »Sicher glaube ich das; wir sind alle Söhne Gottes, denn wir können aus keiner anderen Quelle stammen. Der riesige Unterschied zwischen ihm und uns gewöhnlichen Sterblichen liegt aber darin, daß er sich mehr Göttlichkeit angeeignet hat.«
Das heißt also, daß Jesus nur einige Sprossen höher auf der Leiter steht als wir. Diesen Gedanken hat Brahms dann noch mit anderen Worten untermauert. Er erklärte in dem Gespräch: »Jesus war das größte geistige Genie der Welt. Er war sich bewußt, die einzige wahre Quelle der Kraft zu gebrauchen, obgleich Beethoven und Milton ebenfalls wußten, daß sie die gleiche Quelle in geringerem Umfang erschlossen. Es ist alles nur eine Frage des Ausmaßes.«

Diese Einstellung zeigt doch eindeutig, daß Brahms die klare biblische Einstellung abgeht. Er gibt Jesus alle Ehrenprädikate, läßt ihn aber nicht den Sohn Gottes sein, der für unsere Sünden starb. Die großen Männer sind gleicher Qualität, stehen aber nur einige Stufen tiefer in der Skala der großen Werke. Jesus ist nicht der Erlöser, sondern nur das große Vorbild, dem wir nacheifern. Der Mensch ist von Natur aus gleicher Art wie Jesus und muß sich nur nach gleicher Vervollkommnung ausstrecken. Wir haben hier die Theologie des Humanismus und des Spiritismus.

Man wird mir sagen wollen: »Einen großen Meister darf man nicht mit biblischen Begriffen oder gar mit Dogmen messen. Genies haben ihre eigene Gesetzlichkeit.«
Um die Kernwahrheiten der Bibel kommt aber kein noch so begabter Mensch herum. Vor dem Heiligen Gott schwindet alle menschliche Größe, und das Wort Gottes ist der Maßstab, mit dem wir in der Ewigkeit gemessen werden.
Zu diesem Wort Gottes hatte Brahms aber eine gebrochene und gegensätzliche Einstellung. So erklärte er zum Beispiel bei diesem Wiener Gespräch, daß die Stelle Lukas 23, 39-43, die Geschichte von dem bußfertigen Schächer, eine Fälschung sei. Nun, Hunderte von modernen Theologen denken genauso. Das ist keine Entschuldigung für Brahms, denn die Inspiration und Überzeugung dieser Theologen ist ja nicht göttlichen Ursprungs.

Wenn man die Biographie von Brahms liest, drängt sich einem der Verdacht auf, daß er von seinem Freund Robert Schumann, der ein ausgesprochener Spiritist war, einiges übernommen hat. Schumann nannte ja Brahms den neuen musikalischen Messias. Beide Männer hielten viel von den kosmischen Schwingungen, die den Künstler mit Gott verbinden sollen. Das sind Vorstellungen, wie wir sie im Spiritismus und überhaupt im ganzen Bereich des Okkultismus vorfinden. Hellseher, Radiästheten, Magier, Magnetiseure reden davon, daß sie sich in die Schwingungen ihres irdischen Objektes oder des Kosmos einpendeln, einschalten würden. Dieser Vorgang ist zu einer wehverzweigten okkulten Wissenschaft geworden.

Der Verdacht auf spiritistische Vorgänge wird durch das Bekenntnis Brahms’ verstärkt, daß er seine Anregungen und Inspirationen in der Halbtrance erhielt. Vielleicht ist es aufschlußreich, wenn wir die betreffenden Sätze zitieren (Seite 64): »Ich befinde mich in einer tranceähnlichen Situation, wenn ich in diesen traumähnlichen Zustand falle . . . in solchen Augenblicken strömen die inspirierten Ideen ein.«

Es nimmt uns ferner dann nicht mehr wunder, daß Brahms in höchsten Tönen von Daniel Home spricht, der als das größte, erfolgreichste spiritistische Medium gilt. Auch hier sollen einige Sätze (Seite 73) die Aussage erhärten: »Jesus wußte, daß er kraft dieses höheren Gesetzes wirkte, und daß andere eines Tages das gleiche tun würden. Und nun ist dieses höhere Gesetz, die Überwindung der Schwerkraft, tatsächlich von einem Mann namens Daniel Home verwirklicht worden.«

Bei den Berichten Abells war Brahms fasziniert. Der Spiritist Home war Levitationsmedium und hat sich einmal freischwebend 7 m hoch in die Luft erhoben. In seiner Gegenwart haben sich schwere Tische im Zimmer fortbewegt, ohne daß jemand sie berührte. Er brachte durch Fernwirkung ein Klavier zum Spielen, ließ Glocken läuten und vollbrachte viele andere telekinetische Kunststücke. Betrug konnte nie entdeckt werden. Physiker und Mathematiker haben ihm ohne Erfolg vergeblich Tricks nachweisen wollen.

Brahms sah in den spiritistischen Phänomenen eine Erfüllung des Jesuswortes Joh. 14, 12. Den Wandel Jesu auf dem See Genezareth verglich er mit den Schwebezuständen von Daniel Home. Er sah aber einen wichtigen Unterschied, wie folgende Stelle (Seite 105) zeigt: »Das Unterbewußtsein hat allmächtige Kräfte. Wer sie sich aneignen kann, kann Wunder tun wie zum Beispiel Daniel Home, der sie freilich im Gegensatz zum Nazarener nicht bewußt vollbringen kann.« Die Leistungen Homes erfolgten in der Trance. Wenn Home aus der Trance erwachte, wußte er nicht, was geschehen war.

Es ist genug Beweismaterial ausgebreitet worden. Wem es nicht genügt, der kaufe sich das Buch im Schroeder-Verlag, Eschwege.

Die Inspiration von Brahms stammt aus ähnlichen Quellen wie die von Robert Schumann. Eine genuine biblische Inspiration aus dem Zentrum des Heiligen Geistes läßt sich absolut nicht nachweisen. Daran ändern auch die religiösen Partien einiger Musikstücke nichts. Mir tut das leid bei dieser gewaltigen Begabung und Leistung dieses Künstlers.

Durch das Heidentum inspiriert
Das Künstlerehepaar Schmidt gab mir wertvolle Aufschlüsse über die Inspirationsquellen der großen Komponisten. Ich zog dazu folgende Bücher zu Rate:
1. Abell, Arthur: Gespräche mit berühmten Komponisten
2. Barth, Karl: Wolfgang Amadeus Mozart
3. Debussy, Claude: Musik und Musiker
4. Flessa, Ernst: Die Händel-Chronik
5. Gerlach-Herrmann: Goethe erzählt aus seinem Leben
6. Harich-Schneider: Zärtliche Welt
7. Insel-Bücherei: Goethes schönste Briefe
8. Köhler, L.: Allgemeine Musiklehre
9. Kraus, Egon: Musik als Lebenshilfe
10. Müller-Blattau, J. M.: Johannes Brahms
11. Myers, B. L.: Musikorchester Komponisten
12. Pache, René: Inspiration und Autorität der Bibel
13. Pfennigsdorf, E.: Christus im deutschen Geistesleben
14. Rößler, Hellmuth: Deutsche Geschichte
15. Söhngen, Oskar: Theologie der Musik
16. Strube, Adolf: Deutsche Musikkunde
17. Zoff, Otto: Die großen Komponisten
18. Das zehnbändige Kittelsche Wörterbuch zum Neuen Testament

Wenn man die hier erwähnten Bücher liest, dann fällt sofort die Terminologie auf. Es wird gesprochen von den Musen und Dämonen. Engel und Schutzgeister spielen eine Rolle. Ekstase, Trance und Rauschzustände werden genannt. Die ganze Begriffswelt ist von dem Stil und Sprachgebrauch des Neuen Testamentes völlig verschieden.

Geben wir zunächst eine Kostprobe aus den beiden erwähnten Goethe-Büchern. Goethe gehört zwar nicht zu den Komponisten, schöpft aber aus den gleichen Quellen. Bei allen in diesem Kapitel gegebenen Zitaten wiederhole ich nicht die Buchtitel, sondern lediglich die oben angegebenen Ziffern. Es handelt sich also um die Ziffern 5 und 7.

5,76: »Umschwebt mich, ihr Musen, ihr Charitinnen. «
7,14: »Doch was können die heiligen Götter nicht wenden, wenn’s ihnen beliebt?«
5,44: »Das Dämonische ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unterworfen.«
5,254: »Fromm sind wir Liebende, still verehren wir alle Dämonen, wünschen uns jeglichen Gott, jegliche Göttin geneigt.«
7,87: »Wirken wir fort, bis wir, vor- oder nacheinander, vom Weltgeist gerufen, in den Äther zurückkehren.«

Damit haben wir schon eine typische Palette heidnischer, vorchristlicher Vorstellungen: die Musen, die heiligen Götter, die Dämonen, der Weltgeist.
Nun mag man mir entgegenhalten: Die großen Geister, die Heroen eines Volkes darf man nicht mit theologisch-dogmatischen Maßstäben messen. Sie haben in ihrem Dichten und Denken eigengesetzliche Strukturen. Bei Goethe wäre das außerdem eine poetische Ausdrucksform. Gehen wir kurz darauf ein.
In der Tat liegen bei Goethe keine neutestamentlichen Ausdrucksformen vor, wenn er von Dämonen redet. Bei diesen Äußerungen steht die griechische, vorchristliche Welt Pate.

Wir müssen daher den Begriff des Dämonischen im Hellenismus in kürzester Form skizzieren. Einige Kapitel über den Begriff Dämon liegen bereits in meinen Büchern »Demonism, Past and Present« und »Besessenheit und Exorzismus« vor. Was dort nicht ausgeführt ist, muß hier angeschnitten werden.
Bei Homer und dem noch älteren Hesiod bedeutet Dämon eine übermenschliche Macht. Plato bezeichnete die Dämonen als Götter oder als Söhne der Götter. Wichtig für die Beurteilung Goethes und der großen Komponisten ist die Ambivalenz, die Doppelwertigkeit des Begriffs Dämon in der frühgriechischen Epoche. Er schließt Gutes und Böses in sich. Der Dämon kann Unheil stiften, aber auch ein freundliches Schicksal bereiten. Von hier aus war es nur noch ein Schritt zu der Bedeutung einer Schutzgottheit.
Die griechische Vorstellungswelt ist der große Topf, aus dem unsere Künstler ihre Ideen geholt haben. Die ganze Musikwelt lebt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von diesen griechisch-heidnischen Inspirationen. Frau Schmidt, deren Geschichte wir gehört haben, sagt, außer Bach hätten alle großen Komponisten den griechischen Nektar getrunken, der im klaren Gegensatz zu dem Angebot des Heiligen Geistes steht. Das Beweismaterial zu dieser Behauptung ist geradezu erdrückend.

Bringen wir zunächst einige Hinweise zur Frage der Inspiration.

Pfennigsdorf untersucht als christlicher Autor die Quellen künstlerischen Schaffens und richtet doch durch die mangelnde Unterscheidung Verwirrung an. Er schreibt (13,112):
»Jeder große Künstler weiß, daß er nichts schaffen kann, wenn es ihm nicht gegeben wird. Wie wahr das ist, das wußten schon die Griechen, die alles höhere Denken und Wirken auf eine Begeisterung durch den Eros, die Musen oder Apoll zurückführten.« – Schöpfen christusorientierte Männer und die alten Griechen etwa aus den gleichen Quellen?
Diese Verwirrung des Denkens geht aber durch die meisten Bücher über die großen Komponisten. Die Aussagen über die künstlerische Inspiration erhellen die heidnischen Wurzeln.

Richard Strauss bekennt (1,25):
»Wenn ich mich in inspirierter Stimmung befinde, habe ich bestimmte Zwangsvisionen unter dem Einfluß einer höheren Macht. In solchen Augenblicken spüre ich, daß ich die Quelle der unendlichen Kraft, aus der alle Dinge hervorgehen, erschließe.«
Auf dieser Ebene befinden sich nahezu alle Äußerungen der Komponisten zur Frage der Inspiration. Brahms nannte kosmische Schwingungen als seine Inspirationsquelle (1,60 und 1,127). Er erklärt, daß er sich in solchen Augenblicken in der Halbtrance befinde. Über Toscanini heißt es (1,155): »Toscaninis Interpretationen sind Wunder, und sein unvergleichliches Gedächtnis ist eine kosmische Offenbarung. Toscanini ist Gott nahe, wenn er dirigiert.«
Wagner bekannte, daß er im Zustand des Halbschlafes das Vorspiel zu »Rheingold« erhalten habe (1,175).
Beethoven herrschte einen Geiger, der sich der schweren Griffe wegen beklagte, an: »Glaubt er, ich denke an seine elende Geige, wenn der Geist über mich kommt und ich komponiere?« (16,224).
Der Biograph von Verdi berichtet (17,250 f.) folgendes: »Schon als kleiner Knabe konnte Verdi vor den Wundertaten eines alten Violinisten in Ekstase stehen.« Ein andermal mußte ein Priester den jungen Verdi durch einen Stoß aus der Trance wecken.

Ein Beispiel für teuflische Inspiration ist Paganini. Es wird erzählt, daß er als Bettelmusikant in Spelunken aufspielte und sich kümmerlich damit durchs Leben schlug. In seiner Verzweiflung habe er sich mit seinem Blut dem Teufel verschrieben. Daraufhin machte er als Geiger Karriere. Myers berichtet (11,41):
»Paganinis Spiel war so brillant, daß ein Mann schwor, gesehen zu haben, wie der Teufel den Bogen führte. Paganini erfand neue virtuose Kunstgriffe im Violinspiel und entwickelte eine ungeheure Technik.« Sein Spiel wurde Hexenmeisterei genannt.
An Hexerei erinnert auch die Teufelstrillersonate. »Nach einer Legende ist dem italienischen Geiger und Komponisten Guiseppe Tartini der Teufel im Traum erschienen und spielte ihm ein virtuoses, mit schwierigen Trillern versehenes Stück auf der Violine vor. Der Musiker schrieb es nach dem Erwachen aus der Erinnerung auf und nannte es >Teufelstrillersonate<.« So berichtete Myers (11,49).
Es ist wiederum typisch, daß Brahms diese Sonate für das beste Werk Tartinis hält.

Weiteren Aufschluß über die Quellen künstlerischen Schaffens unserer großen Komponisten geben uns die vielgebrauchten Ausdrücke wie: Engel, Geister, Schutzgeister, Schutzgötter, Dämonen.

Solche Hinweise auf jenseitige Helfer sind nicht immer eindeutig. Das zeigt sich besonders bei Händel, dessen »Messias« ich sehr schätze. Einige Zitate aus der Händel-Chronik sollen das zeigen.

4,357: »Vermessen wollte ich nichts Geringeres, als Gebirge aufrichten. Nun stürzten sie über mir zusammen. Ich muß daran verzweifeln, das letzte Lichtgeheimnis der Engel in meiner Musik zu offenbaren. Das aber ist die Hölle.«

4,380: »Ich habe mit dem Engel ringen müssen wie Jakob.«
Aufschlußreich ist ein weiteres Zitat, in dem sich Händel auch zur Antike bekennt im Gegensatz zur Bibel.

4,384: »Ehe ich wieder zu den strengen, hohen Bibelstoffen zurückkehre, habe ich mich ins helle Griechenland begeben . . . Ein liebliches Menschenkind entbrennt in tragischer Liebe zu Jupiter, ihrem Erretter, und nimmt im Übermaß ihres herrlichen Gefühls Tod und Untergang auf sich.«
Die Engelvorstellung Händels verlagert sich eindeutig zu der Annahme, daß die Engel seine Schutzgeister sind.

4,392: »Mit dem Engel brauche ich nicht mehr ringen um meine Musik. Sie ist geborgen unter seiner Obhut.«

4,430: »Nur, wenn heißer Flügelwind und brausender Engelatem hinter einer Musik her sind, dann taugt sie was. Gebe Gott, daß sie mich niemals verlassen.«

4,433 »Unter dem Schutzgeist, der mich dabei beriet, habe ich’s, so hoffe ich, mit innigem Leben erfüllen dürfen.«

Diese Engelzitate aus dem Händelbuch sind nicht einfach zu deuten. Man kann sich an Hebr. 1, 14 erinnern, wo Engel eine Schutzfunktion haben. Auch die katholisch volkstümlichen Vorstellungen von Heiligen und Engeln können hier hereinspielen. Zuletzt kann man an die spiritistische Annahme von Schutzgeistern, Kontrollgeistern denken, eine Vorstellung, die bei Schumann bewußt und bei Brahms unbewußt vorliegt. Bei Händel zeigt sich die Tendenz aller großen Musiker – außer Bach -, die Motive im Griechentum zu holen. Händel empfindet »das helle Griechenland« als Erholung gegenüber dem schweren biblischen Text. Wenn hier nochmals der Name Brahms auftaucht, soll das entsprechende Zitat erwähnt werden.

1,127: »Jene Heimsuchungen meiner himmlischen Schutzgöttin sind meine kostbarsten Erinnerungen.«

Der Begriff des Dämonischen taucht in den Biographien der Musiker noch mehr auf als der Hinweis auf die Schutzengel.

Im Titel »Zärtliche Welt« heißt es (Seite 41), die Künstler hätten einen Zug zum Abgründigen, zum Dämonischen. Dieser Trend wird in allen ihren Biographien sichtbar.
Einige Zitate sollen das zeigen.

16,234: »Was aber ein solcher vom Dämon Besessener ausspricht, davor muß ein Laie Ehrfurcht haben. Denn hier walten die Götter und streuen Samen zu künftiger Einsicht.«

16,257: »Schumann schrieb nächtens ein ihm von Engeln eingegebenes Thema auf. Und während ihn furchtbare Dämonen bedrohten, schrieb er gleichwohl Variationen über jenes Engelthema.«

Bei diesem Schumannzitat werden Engel und Dämonen in einem Atemzug genannt. Da Schumann hochgradiger Spiritist war, ist die Frage, ob es Engel Gottes oder Satans waren. Bei Brahms, der von seinem Freund Schumann spiritistisch beeinflußt war, finden sich ähnliche Vorstellungen.

16,292: »Es waren einzelne Klavierstücke, teilweise dämonischer Natur . . . Es stehen uns noch wunderbare Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor. Möchte ihn der höchste Genius dazu stärken.«
Dieses Zitat ist verkürzt wiedergegeben. Zu beachten sind die drei Ausdrücke: dämonisch – Geisterwelt – Genius (Schutzgeist). Wir sind damit eindeutig im spiritistischen Bereich.

Ergänzen wir diese dämonische Reihe mit einem Zitat von Wagner.
17,235: »Was reden Sie von der Zukunft, wenn meine Manuskripte im Schrein verschlossen liegen! Wer soll das Kunstwerk aufführen, das ich, nur ich unter Mitwirkung glücklicher Dämonen zur Erscheinung bringen kann, daß alle Welt wisse, so ist es, so hat der Meister sein Werk geschaut und gewollt.«

Die irregeleitete geistige Verfassung der großen Komponisten – wiederum sage ich außer J. S. Bach und einigen Ausnahmen – wird deutlich an ihrer Haltung Gott und Christus gegenüber. Dazu einige Hinweise.

16,251: »Wahrlich, in dem Schubert wohnt ein göttlicher Funke.«
Wir stehen hier vor der Grundeinstellung der Mystiker, daß in jedem Menschen ein Stück Gottheit, ein göttlicher Funken verborgen liege, der zur Flamme angefacht werden muß. Es liegt hier der Gedanke der Höherentwicklung, der Selbsterlösung vor. Christus, der Erlöser und Mittler, ist hier überflüssig. Der Mensch »wurschtelt sich aus seiner Misere in eigener Kraft heraus.«

1,156: »Für Jesus von Nazareth wie für Beethoven muß es sehr leicht gewesen sein, mit der Allmacht in Verbindung zu treten.«

Hier steht also Beethoven neben Jesus. Jesus steht nur einige Sprossen höher auf der Leiter, wie Brahms einmal angedeutet hat. Nach dieser Meinung hätten also die Künstler eine unmittelbare Stellung zu Gott. Kein Wunder, daß daher die Künstler automatisch nach ihrem Tode in den Himmel versetzt werden. Diese Vorstellung finden wir auch bei dem christlichen Autor Pfennigsdorf. Es heißt in seinem Buch:

13,156: »Was werden Phidias und Raffael, Sophokles und Shakespeare, Händel und Mozart im Himmel für Werke geschaffen haben und noch immer herrlichere schaffen!«

Auch hier tritt das Griechentum mit seinem künstlerischen Schaffen in den Vordergrund. Weil Phidias klassische Statuen meißelte und Sophokles großartige Tragödien und Dramen schrieb, steht ihnen als Belohnung der Himmel offen.
Hier spricht das Heidentum und nicht die Bibel als allein vom Heiligen Geist autorisierte Quelle der Inspiration.

Wie steht es bei unseren Musikern heute? Von dem Geiger Yehudi Menuhin war in einem Artikel im »Reader’s Digest« zu lesen, daß er als Vorbereitung zur Inspiration ein konstantes Jogatraining absolviere. Wenn er beim Spielen auf der Geige einen schwarzen Engel über dem Griffbrett sehe, dann spiele nicht mehr er, sondern »es spiele«.

In einer vor einigen Jahren ausgestrahlten Fernsehsendung, in der dieser Geiger mit seinem Klavierbegleiter auftrat, erklärte der Kommentator vor Beginn des Konzertes, daß Menuhin spielen würde, wenn er in der linken oberen Ecke, also über dem Griffbrett seiner Geige, einen schwarzen Engel sähe, der ihn inspiriere.

Der Dirigent Herbert von Karajan praktiziert die gleiche Vorbereitung zur Inspiration wie Menuhin. Jeden Morgen von sechs bis acht Uhr betreibt er Jogaübungen, um für seine Arbeit fit zu sein. Er wird auch Magier des Taktstockes genannt. Seine virtuose Kunst zu dirigieren, wird auch als Charisma bezeichnet. Charismata sind Gaben des Heiligen Geistes, die man nicht durch Jogaexerzitien erlangen kann.

Als letztes Beispiel dieser Art ein Bericht aus dem Blatt »Die Zeit« vom 2. Januar 1981. Ein Zitat von Leonard Bernstein lautet:

»Der Künstler kann Einfälle und Vorstellungen über ein Stück in der Trance empfangen. Der schöpferische Akt nimmt einen in die Klauen. Nichts hat mit dieser beglückenden Sensation des darin Gefangenseins etwas gemeinsam.«
Die Trance ist mit ihrer Passivität die Empfangsstation und Situation für das Einwirken der Geister, die im Luftgebiet, in der uns umgebenden Atmosphäre ihr Unwesen treiben (Eph. 6, 12). Das Erfülltwerden, das Inspiriertwerden durch den Heiligen Geist Gottes hat eine völlig andere Charakteristik. Ich verweise auf mein Taschenbuch »Die Geistesgaben«.

Wir schließen das Musikkapitel mit einigen historischen Hinweisen.

Pythagoras (geb. 497 v. Chr.), Entdecker des pythagoräischen Lehrsatzes und der Gesetzlichkeit schwingender Saiten, beobachtete eines Abends die Sterne. Der nächtliche Lärm junger Männer störte ihn dabei. Er bemerkte, daß sie, durch die Musik eines Schalmeienspielers rasend gemacht, in das Haus einer jungen Schauspielerin einzudringen versuchten. Da befahl Pythagoras dem Bläser, den Halbton zu ändern. Darauf gingen die jungen Männer beruhigt nach Hause (15, 122).
Es gibt also nichts Neues unter der Sonne. Heute sind es die Rockfans, die rasend gemacht werden und im Rauschzustand zu allen Gewalttätigkeiten bereit sind.
Die geheimnisvolle Macht der Musik kannte auch Plato. In seinen Nomoi (nomos = Brauch, Sitte, Ordnung, Recht) erklärte der Philosoph, daß die sogenannten Lieder in Wahrheit Zauberlieder, Zaubersprüche für die Seele sind. Je nach den Tonarten haben sie eine verschiedene ethische Wirkung auf die Menschen. Das sind Erkenntnisse, die bis heute ihre Gültigkeit haben.
Zu den Gedanken von Pythagoras und Plato ein Zeugnis gleichen Charakters von heute. Professor Gerhard Taschner erklärte: »Musik ist Rauschgift, und wenn es nicht so ist, dann ist es keine Musik, sondern Handwerksarbeit auf dem Instrument.«

Rauschzustände, Vernebelung des Denkens gehören zum Instrument Satans. In der Bibel geht es um Nüchternheit und Wachsamkeit.
1. Petr. 5, 8: »Seid nüchtern und wachet!«
1. Thess. 5, 6: »Lasset uns wachen und nüchtern sein!«
Luk. 21, 36: »So seid nun wach allezeit und betet!«

Der kleine Rundgang durch die heidnischen Inspirationen wird hier abgeschlossen. Ein noch wichtigeres Kapitel wäre nun die Darstellung des gottgeschenkten Musizierens und Singens. Das geht über die Tendenz der ursprünglichen Veröffentlichung dieses Buches hinaus. Einige Randbemerkungen sollen aber gemacht werden. Paulus mahnt die Kolosser:
»Lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern und singet dem Herrn in euren Herzen« (Kol. 3, 16).  . . .

Luther war ein fröhlicher Sänger und pflegte Gesang und Musik, sowohl in der Hausgemeinde als auch im Gottesdienst. Hören wir ein Stück seiner Vorrede zum Babstschen Gesangbuch.
15, 23: »Gott hat unser Herz und Mut fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns gegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer solches mit Ernst glaubet, der kann’s nicht lassen, er muß fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, daß es andere auch hören und herzukommen. Wer aber nicht davon singen und sagen kann, das ist ein Zeichen, daß er’s nicht glaubet.«

Wenn Christen keinen Grund zum Singen und Musizieren haben, wer soll dann noch das Recht dazu haben?

Nach dem Rundgang durch die klassische Musik sind noch viele Fragen offen. Ich gebe ja mit meinen Büchern keine Rezepte für jede Situation, sondern oft nur Richtlinien, bei denen jeder selbst seine Entscheidung treffen muß. Für den folgenden Abschnitt weise ich empfehlend auf das Buch von Walter Kohli hin »Rockmusik und christliche Lebenshaltung«.

Auf Seite 145 steht folgendes:
»Wolfgang Amadeus Mozart war Freimaurer: Muß der Christ darum seine rein instrumentale Musik ablehnen?
Da stellt sich sofort eine zweite Frage: Stimmt Mozarts rein instrumentale Musik mit der Schöpfungsordnung überein? Bei dieser Problemstellung darf nicht vergessen werden, daß Musik nur einen Bereich der schöpferischen Tätigkeit des Menschen ausmacht. Der Automobilbauer ist schöpferisch tätig, wenn er einen neuen Wagen konstruiert. Der Architekt, der Gärtner, der Chirurg – sie alle sind schöpferisch tätig, wenn sie in ihrem Fachgebiet etwas Neues hervorbringen. Fragen wir aber vor einer Operation – oder beim Kauf eines Autos, eines Möbelstückes, eines Kleides, eines Hauses, einer neuen Sorte Brot – ob der Mann dahinter Christ sei oder nicht?

Nein, sondern wir interessieren uns zuerst einmal für die Qualität der Sache und fragen somit, ob der Gegenstand an sich mit der Schöpfungsordnung übereinstimme. Was nützt uns das Auto eines gläubigen Ingenieurs, wenn es viel schlechter läuft als der Wagen des agnostischen Planers, der die Naturgesetze der Mechanik besser anzuwenden wußte als der Christ? Als bibelgläubiger Mensch soll man nur dann die Produkte von Nichtchristen ablehnen, wenn ihre unbiblische Weltanschauung das geschaffene Werk verdirbt. Beim Anhören von Mozarts instrumentaler Musik ist kein schlechter Einfluß des freimaurerischen Denkens erkennbar. Mozarts Instrumentalwerke zerstören die Schöpfungsordnung nicht, sondern stimmen mit ihr überein und sind darum für den Christen annehmbar.
Im Gegensatz dazu gehört es zur Eigenart der Rock-Musik, daß die unbiblische Lebenseinstellung vieler Rock-Komponisten auch im rein musikalischen Teil ihrer Stücke und in der Bühnenshow zum Ausdruck kommt. Man darf also nicht in oberflächlicher Weise von der Weltanschauung eines Komponisten auf seine Werke schließen, sondern muß zuerst die Musik anhand der Schöpfungsordnung prüfen.«

Hier endet der Artikel von Walter Kohli, der ein ernstes Problem enthält. Kann man eine Person von ihrem Werk völlig trennen?
In vielen Fällen ja, in manchen Fällen nein.  . . .

Kompliziert ist es, wenn es sich um Werke handelt, die den Geist und das Gemüt des Menschen ansprechen. Dazu gehört das musikalische Schaffen und auch die Malerei. Da der Autor W. Kohli Mozart als Beispiel nimmt, bleiben wir bei diesem Komponisten. Es ist durchaus möglich, daß man bei der Mozartschen Musik keinen freimaurerischen Einschlag feststellen kann. Ist dann aber der Geist Mozarts, seine Inspiration frei von dem Geist der Bewegung, der er angehört?
Diese Frage muß sich jeder selbst beantworten und danach seine Entscheidung treffen. Ich möchte persönlich an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden. Ich richte keine Grenzpfähle auf. Es wird Gläubige geben, die sich weiterhin der Mozartschen Musik erfreuen und auch solche, denen es verwehrt ist.

Soli Deo Gloria

Halleluja!
Lobet den Herrn in seinem Heiligtum; lobet ihn in der Feste seiner Macht!
Lobet ihn in seinen Taten; lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!
Lobet ihn mit Posaunen; lobet ihn mit Psalter und Harfe!
Lobet ihn mit Pauken und Reigen; Lobet ihn mit hellen Zimbeln;
Alles, was Odem hat, lobe den HERRN!
HALLELUJA! – Psalm 150

Der Reformator Martin Luther prägte einst folgende Aussage über die notwendige Beachtung der Wahrheit: »Wo nicht GOTTES WORT gepredigt wird, da ist’s besser, daß man weder singe noch lese, noch zusammenkomme.«

Jeder wahre Christ hat die Möglichkeit, Gottes Lob hier auf Erden in allerlei Weise zu mehren. Geistliches Schaffen legt zu Grunde, dаß der Schaffende sich an den Schöpfer wendet in der Weise, wie er es dem Menschen vorgegeben hat in Buße und Beugung, in Anerkennung des Opfertodes Jesu Christi. Hierzu gehört Gebet und Hingabe des Lebens an Gott durch Jesus Christus.
Zu jenen, die den Lobpreis Gottes auf Erden mehrten, gehörte u. a. Johann Sebastian Bach, Organist, Thomas-Kantor und Hofkompositeur zu Leipzig.
Es gab zur Zeit Bachs noch ein festgegründetes Zentrum allgemeiner Musikausübung: die Kirche.
Auch die weltliche Musikpflege, deren sich die zahlreichen Residenzen und Fürstenhöfe des damaligen Deutschland befleißigten, war noch fest im christlichen Glauben verankert. Dasselbe galt für die Volksmusik. Johann Sebastian Bach hatte im Alltag seines Lebens Musik für den Alltag seiner Zeitgenossen geschaffen. Mittelpunkt dieses Alltags waren Gebet und Gottesdienst.
»SDG« – Soli Deo Gloria: Gott allein zur Ehre. Dieses Zeichen steht am Ende vieler seiner Notenblätter, ebenso »JJ« – Jesu juva (Jesus, hilf!) und »In nomine Jesu« an deren Beginn.

Gläubige Demut schafft sich ihre Form, wie atheistische Selbstüberheblichkeit sie pervertiert und zerstört. Bei Bach kommt Wort, Klang, Harmonie und Form unter einen Geist. Somit kann man prägend äußern: Die klangharmonischen Aussagen Bachs sind unisono.
Der Sinn der damaligen Kirchenmusik war folgender: Sie war keine autonome, selbständige Kunst, sondern ein Vehikel mit der Aufgabe, Gottes Wort zu verbreiten. Dies trifft auch für die geistliche Musik von J. S. Bach zu, in der die Forderung Luthers realisiert ist: »das heylige Evangelion zu treyben.« Sie interpretiert Gottes Wort, betreibt eine Art Textexegese.

Johannes Kulman, vor Bach Kantor an der Leipziger Thomas-Schule, schrieb in der Vorrede zu seinem 1700 in Leipzig erschienenen Sonatenwerk >Musikalische Vorstellung einiger Biblischer Historien im Hinblick auf die Vokalmusik<, »Denn gleichwie die Rede schon vor sich selbst würcket, also bekömmt sie vollends durch die Music eine durchdringende Kraft.«

Im Jahre 1700 erschien in Hamburg folgende programmatische Erklärung von Fr. E. Niedt in der Schrift >Musikalische Handleitung vom Generalbaß<: »Endlich soll auch der Finis oder Endursache aller Music und also auch des General-Basses seyn, nichts als nur Gottes-Ehre und Recreation des Gemüths, wo dieses nicht in acht genommen wird, da ist auch keine rechteigentliche Music, und diejenigen, welche diese edle und göttliche Kunst mißbrauchen zum Zunder der Wollust und fleischlicher Begierden, die sind Teuffels-Musicanten, denn der Satan hat seine Lust solch schändlich Ding zu hören, ihm ist eine solche Music gut genug, aber in den Ohren Gottes ist es ein schändliches Geplärr. Wer nun bey seiner Musicalischen Profession einen gnädigen Gott und gut Gewissen haben will, der schände diese große Gabe Gottes nicht durch deren Mißbrauch zu unehrbaren Wesen.«
Dieses diente einer 1738 verfaßten Generalbaß-Lehre zur Grundlage, die, wie auf dem Titelblatt angegeben, »Vorschriften und Grundsätze des Generalbaß-Spiels von J. S. Bach für seine Scholaren« in der Musik wiedergibt. Nach den Aufzeichnungen eines Schülers forderte Bach in seiner Anleitung, es solle »wie aller Music, also auch des General-Basses Finis und End-Ursache anders nicht als nur zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths seyn. Wo dieses nicht in acht genommen wird, da ist’s keine eigentliche Music, sondern ein Teuflisches Geplärr und Geleyer.«

Für Bach war das Schaffen im Wesentlichen ein Mittleramt, und dadurch unterschied er sich von der Mehrzahl der anderen Musiker. Aus der Erkenntnis heraus, daß er seine Begabung von Gott erhalten habe und ihm dadurch verpflichtet sei, wollte er nichts anderes, als seinen Zeitgenossen dienen und ihnen so vollkommen wie möglich das Wie und Warum seines Dienstes klarmachen.

Ein prägnantes Beispiel ist das Rezitativ in der Kantate Nr. 42 »Wer sich selbst erhöht«. Darin heißt es wie folgt:
»Der Mensch ist Koth, Staub, Asch’ und Erde. Isťs möglich, daß vom Übermuth, als einer Teufelsbrut er noch bezaubert werde? Ach! Jesus, Gottes Sohn, der Schöpfer aller Dinge, ward unsertwegen niedrig und geringe, erduld’te Schmach und Hohn, und du, du armer Wurm, suchst dich zu brüsten? Gehört sich das für einen Christen? – Geh’, schäme dich, du stolze Creator, thu Buss’ und folge Christi Spur, wirf dich vor Gott im Geiste gläubig nieder, zu seiner Zeit erhört er dich auch wieder.«
Oder z. B. in der Kantate Nr. 117 »Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut«, weist Bach auf die allein notwendige Ehre Gottes in Jesus Christus hin: »Ihr, die ihr Christi Namen nennt, gebt unserm Gott die Ehre! Ihr, die ihr Gottes Macht bekennt, gebt unserm Gott die Ehre! Die falschen Götzen macht zu Spott, der HERR ist Gott, der HERR ist Gott: gebt unserm Gott die Ehre!«

Man erkennt leicht auf den ersten Blick, daß Bachs Inspirationsquelle die Bibel, das frohmachende Evangelium, ist, warum er auch den Beinamen erhielt >Der fünfte Evangelist<. Das ist auch der Grund seiner Höhe, die alle großen Komponisten bewunderten, ohne unbedingt zu wissen warum, denn Gott allein, verherrlicht durch Jesus Christus, ist groß.
Nehmen wir als weiteres Beispiel von vielen Bachs Kantate Nr. 85 >Ich bin ein guter Hirt<, in der er die Notwendigkeit des Messias in Jesus Christus für das Seelenheil angibt, in der Arie: »Jesus ist ein guter Hirt, denn er hat bereits sein Leben für die Schafe hingegeben, die ihm niemand rauben wird.«
Hier wird der Erwerb der Seelen durch den Opfertod Jesu Christi angesprochen und die ewige von den Seelen gesuchte Geborgenheit. Auch die Überwindungskraft durch den Heiligen Geist war Bach nicht fremd, denn er notierte im SchlußChoral: »Ist Gott mein Schutz und treuer Hirt, kein Unglück mich berühren wird; weicht alle, meine Feinde, die ihr mir stiftet Angst und Pein, es wird zu eurem Schaden; ich habe Gott zum Freunde!«

Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß ein ehemaliger Kommilitone von mir diese Erfahrung machte, ohne sich des Ursprungs bewußt zu sein. Er äußerte folgendes: »Wenn ich Bachs Musik höre, werde ich ruhig und muß sogar an Gott denken, so daß mein atheistischer Sinn zerstört wird.«

Ferner sollte nicht unerwähnt bleiben, daß Bachs Matthäus- und Johannes-Passion ein Zeugnis der göttlichen Gnade sind, wenn er in der erstgenannten Jesus Christus als den verkannten König und in der zweitgenannten seine verkannte Gottheit zum Ausdruck bringt. Bachs Frau, Anna Magdalena, schrieb dazu: »Diese Musik kam aus Sebastians innerstem Herzen: er schrieb sie in schweren Leiden, denn nie konnte er Christi Wunden und seines Kreuzestodes gedenken, ohne selbst zu leiden und die Sündhaftigkeit der Kreatur zu empfinden.«

Besonders in seinen letzten Jahren verwendete Bach viel Zeit für ständig erneutes Feilen an den Werken, denen er einen höheren Wert beimaß. »Die wirkliche Musik erraten wir doch bloß«, pflegte er hin und wieder zu sagen. Er arbeitete bis spät in die Nacht bei Kerzenschein, obwohl er häufige Augenschmerzen dabei empfand. Es entstand ein Augenleiden, das letztlich zur Erblindung führte. Während seine Frau, Anna Magdalena, darum sehr trauerte, sagte er zu ihr: »Seien wir nicht traurig, daß wir leiden müssen; es bringt uns näher an unseren Herrn, der für uns alle gelitten hat.« Die beste Hoffnung im Leben war die, einmal scheiden zu können und zum Erlöser zu gehen, den er so liebte. So waren Bachs letzte Stunden auch vom Erlöser geprägt. Er diktierte seinem Schüler Altnikol kurz vor seinem Heimgang seine letzte Musik. Es war der Choral: »Vor deinen Thron tret ich hiermit!«

Lassen wir A. Magdalena Bach noch berichten:
»Das war das letzte Geschenk Gottes an ihn, die Rückkehr des Lichtes kurz vor seinem Ende. Er sah noch einmal zur Sonne, sah zu den Kindern hinüber, sah mich an, den kleinen Enkel, den ihm Lieschen entgegenhielt, und der seinen Namen trug. Ich reichte ihm eine rote herrliche Rose hin, sein Blick verweilte auf der Pracht ihrer Farbe: >Magdalena<, sagte er, >wo ich hingehe, da werde ich schönere Farben sehen und die Musik hören, von der wir, du und ich, bislang nur geträumt haben, und schauen wird mein Auge den Herrn selbst.<
Er lag still, hielt mein Hand in der seinen und schien das Bild zu sehen, das ihm Zeit seines Lebens vorgeschwebt hatte, das Bild des höchsten Gottes, dem er in seiner Musik gedient hatte.« Soweit Anna Magdalena Bach.

J. S. Bach ist in Frieden und Stille von dieser Welt geschieden. Man kann hieraus lernen, daß die Musik, die ursprünglich aus der Gottentfremdung, bzw. fleischlichen Gesinnung in dieser Welt entsprang (siehe 1. Mose 4, 15-22), doch bei denen, die ihre Hoffnung auf Jesus Christus, den Messias, setzen, zu einem Lobpreis Gottes werden kann. In dieser Hinsicht erfährt nicht der weltliche Musiker »Maßregelung«, sondern der geistliche Mensch Ausrichtung.

Im 1. Korintherbrief sagt dazu der Apostel Paulus ganz klar durch den Heiligen Geist, daß der natürliche Mensch nichts vom Reden und Wehen des Geistes Gottes vernimmt, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen (Kap. 2, 14-15).

Bachs Musik ist ein Zeugnis der Schöpfung aus der geistlichen Hinwendung zu Gott. Alle, die diesem Prinzip geistlich wie handwerklich folgen, kann man als Praktikanten geistlicher Musik bezeichnen. Diese Aussage wird durch das Wort aus dem Paulusbrief an die Philipper, Kap. 4 Vers 8, bekräftigt. Dort heißt es: »Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohllautet ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!«
SOLI DEO GLORIA ist der wahre Maßstab für geistliche Musik!

War Joh. Seb. Bach ein Pietist?
– Seine Musik ist ohne den Text nicht zu haben –
Im 300. Geburtsjahr Johann Sebastian Bachs, des größten Komponisten aller Zeiten, ist viel über sein Leben und Werk berichtet worden, es war auch wesentlich häufiger seine Musik zu hören.
Fraglich ist, ob viele Zeitgenossen sich mit Bach und der Botschaft, die er seiner Zeit und uns heute Lebenden nahebringen wollte, beschäftigt haben.
Es bleibt zu hoffen. Nicht umsonst ist das vom Volumen her gesehen größte Werk Bachs, seine rund 200 erhaltenen Kirchenkantaten, bis auf eine kleine Anzahl von Publikumslieblingen, bis heute relativ recht unbekannt geblieben – selbst in Fachkreisen. Das beweist schon die Tatsache, dаß bis vor wenigen Jahren nur etwa die Hälfte der Kantaten mit dem notwendigen Aufführungsmaterial käuflich war.
Bach hatte für jeden Sonntag im Kirchenjahr – eingebunden in Schriftlesungen und Predigt – eine Kantate bereitzustellen und aufzuführen. Das heißt: Er mußte sie meist selbst, innerhalb weniger Tage, komponieren. Man darf nicht übersehen, daß die besondere Wertschätzung überwiegend der Bachschen Musik, viel weniger aber den von Bach verwendeten oder teilweise von ihm selbst erstellten Texten gilt.
Schon der bekannte Carl Friedrich Zelter wettert in einem Brief an seinen Freund Goethe, »die verruchten deutschen Kirchentexte« wären das größte Hindernis für das Bachverständnis. Vor kurzem äußerte sich ein hochgebildeter Mann mir gegenüber: »Ich liebe die Musik Bachs ungemein, aber ich hätte sie gerne ohne Text.«

Bach und die Bibel
Wer Bach begreifen will, muß verstehen, daß er in und mit dieser Botschaft, mit dem Wort Gottes lebte. Das zeigen nicht nur seine persönlichen, eigenhändigen Anmerkungen in seiner mehrbändigen Calov-Bibelausgabe (Lutherbibel mit Erklärungen), die erst vor wenigen Jahren in den USA entdeckt wurde (mit roter Schrift schrieb er z. B. zu 1. Chron. 25, 1 ff.: »Dieses Kapitel ist das rechte Fundament aller gottgewollten Kirchenmusik«). Dies zeigt noch mehr seine theologische Bibliothek, die in seinem Nachlaßverzeichnis Titel für Titel (mit Schätzwert) aufgeführt wird; insgesamt knapp über 100 Bände. Der Hauptautor in Bachs Bibliothek ist Luther. Einundzwanzig dicke Foliobände sind den Schriften von Martin Luther gewidmet. Dazu hat Bach noch eine ganze Anzahl Bücher Luthers in anderen Ausgaben.
Dann tauchen weitere bekannte und programmatische Namen im Nachlaßverzeichnis auf: Johann Arndt (Wahres Christentum), August Hermann Francke, Johann Olearius, Phil. Jakob Spener, (auch ein Predigtband von Tauler, herausgegeben von Spener), J. J. Rambach (Franckes Nachfolger in Halle) und Thomas von Kempffs (Die Nachfolge Christi):

Bach und die Theologie
Bach beschäftigte sich mit dem Wort und legte dieses Wort für Wort wie kein anderer Komponist durch die »Sprache« seiner unübertrefflichen Musik aus. So sieht dies auch der Bachforscher Walter Blankenburg: »Kein Zweifel, daß uns Bach … in besonderem Maße als Theologe begegnet.« Selbst ein Friedrich Nietzsche schreibt im Jahre 1870: »Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier (in Bachs Matthäuspassion) wie ein Evangelium …«. Kein Wunder, daß selbst der Atheist Karl Liebknecht von Text und Musik so ergriffen war und seinem Sohn aus dem Zuchthaus einen Brief schrieb und ihn aufforderte, Bach zu hören: »… nichts Großartigeres kennt die Musik«.

Bach und sein Glaube
Bach nimmt die Möglichkeiten, den Test – vielfach handelt es sich um Bibelteste – musikalisch abzubilden, immer wahr. Seine Musik unterstreicht die Aussage des Textes in vielfältiger Weise; noch mehr, sie identifiziert sich persönlich damit und bezeugt auf diese Weise seinen Glauben. Das zeigt die Auswahl und Zusammenstellung seiner berühmten Motette »Jesu, meine Freude«. So kann nur einer »sprechen«, der den Römerbrief verstanden hat, der nach der erregten Frage der Jünger in der Matthäuspassion »Herr, bin ich’s, bin ich’s«, so persönlich antwortet: »Ich bin’s, ich sollte büßen, an Händen und an Füßen gebunden in der Höll. Die Geißeln und die Banden, und was du ausgestanden, das hat verdienet meine Seel«. (Bach hat die Liedverse im Zusammenhang des Textes der Passionsgeschichte und der Picanderschen Dichtung eigenhändig ausgesucht!).

Bach unter dem Kreuz
Wie häufig verwendet Bach – besonders in seinen Kantaten – durch eine nur in der Partitur ersichtliche, besondere Stimmführung, ein Zeichen des Kreuzes Jesu. Ja, hin und wieder hat er bei entscheidenden Passagen seinen eigenen Namen b-a-c-h erklingen lassen, sozusagen um darauf hinzuweisen: »Das geht mich an«.
Der Thomaskantor stand mit beiden Beinen auf dem nüchternen Boden der Tatsachen, hatte seine Schwierigkeiten mit seinen kirchlichen und weltlich-fürstlichen Vorgesetzten, mit Gemeindepfarrern aus der Orthodoxie, die insgesamt Bach als genialen Künstler vielleicht besser verstanden haben könnten.

Bach und die Pietisten
Bach hatte auch mit den Pietisten seiner Zeit, die argwöhnisch darauf bedacht waren, daß die Kunst nicht zu sehr Kunst war, seine Probleme. Trotzdem ging er, auch in entmutigenden Situationen seiner bescheidenen musikalischen Möglichkeiten, über die er sich auch einmal deftig beschweren konnte, seinen Weg unbeirrt durch die musikalischen Modeströmungen seiner Zeit. Der berühmte Bachbiograph Philipp Spitta (1841-1894), der eine zweibändige Biographie über Joh. Seb. Bach veröffentlichte, ordnete den gläubigen Lutheraner Bach sehr präzise ein, indem er so formulierte: »Bach wollte kein Pietist sein, aber er war einer.«

Alles zur Ehre Gottes
Es ist für uns heute nicht entscheidend, ob Pietist oder nicht. Wichtig scheint mir, daß der geniale Bach seine Kunst zielbewußt und eindeutig auf Gott, seinen Herrn ausgerichtet hatte. Als Nichtakademiker, dem dadurch manche Chancen verbaut waren, wußte er gar nicht, wie genial und unübertroffen seine herrliche Musik war. Seine Zeitgenossen wußten es auf jeden Fall nicht. Bach war wohl als virtuoser Organist anerkannt, aber als Kantor und Komponist war er in Leipzig nur dritte und vierte Wahl.
Bei den meisten Kompositionen schreibt er vor dem Titel und der ersten Note »J. J.« (»Jesu Juva« = Jesus, hilf!), und er beschließt fast alle seine Werke mit dem schon berühmt gewordenen »S. D. G.« (»Soli Deo Gloria« = Allein Gott die Ehre).
Erfreulich ist, daß gerade in den letzten Jahren ein neues Verständnis für das an Umfang riesige Kantatenwerk Bachs erwächst; nicht zuletzt auch durch die erstmaligen Schallplattenaufnahmen sämtlicher 200 erhaltenen Bach-Kantaten durch den unbestritten besten Kenner des Kantatenwerks, Helmut Rilling, der sich seit 15 Jahren bemüht, die Textbezogenheit der Bachschen Musik nicht nur durch seine hervorragenden Schallplatten zu Gehör zu bringen, sondern eben in unzähligen Gesprächskonzerten den Zusammenhang zwischen Test und Wort einer großen Hörerschaft zu erklären.

Anfragen an uns
Hört unsere Generation den Botschafter Bach, der beim Durchzug der verfolgten Salzburger durch Leipzig komponierte »Ich will den Kreuzstab gerne tragen« oder beim Todesfall in der Familie »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit«? Dieser so nüchterne und trotzdem von Freude, auch an seiner großen Familie, erfüllte Mensch Bach hatte auch eine unstillbare Sehnsucht nach Erlösung, nach dem Tod. Davon sprechen viele seiner Kantatentexte: »Komm, du süße Todesstunde«, »Mein Gott, wie lang, ach lange«, »Liebster Gott, wann werd ich sterben?«, »Es ist genug«. Aber das alles ist keine Weltflucht, sondern der Blick durch den Horizont, der damit auch sein Ziel bestimmt, gerade auch in seinem letzten Werk, wenige Stunden vor seinem Tode diktiert: »Vor deinen Thron tret ich hiermit, o Gott, und dich demütig bitt: Wend dein gnädig Angesicht von mir blutarmen Sünder nicht.«

Wird nur die Musik Bachs verstanden oder auch seine Botschaft? Diese Frage sollte im Bach-Jubiläumsjahr 1985 von uns beantwortet werden. Friedrich Hänssler

Der Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. Er war Geiger, Cembalist, Organist- und vor allem Komponist. Und zwar so umfassend, daß selbst Fachleute kaum mehr den Überblick haben. Mit 38 Jahren wurde er Thomaskantor und war nun für die Musik an vier Leipziger Kirchen verantwortlich. Allein in der Thomas-Kirche fanden jeden Sonntag mehrere Gottesdienste statt. Im Hauptgottesdienst sollte eine Kirchenmusik von 20 Minuten Dauer über den jeweils vorgeschriebenen Bibeltext oder Kirchenlieder erklingen. Zu diesem Zweck schrieb Bach fünf vollständige Kantantenjahrgänge. Das sind 295 Kantaten, nicht gerechnet die großen Passionen, Motetten, Orgelwerke und viele andere Kompositionen. Die Kantaten gehören zu den eindrucksvollsten Werken, die je von Menschen geschrieben wurden. Was hat dieser Mann gearbeitet! Nur fünf Arbeitstage standen zur Verfügung, dann mußte das Werk in Stimmen und Orchester abgeschrieben sein, um für den bevorstehenden Sonntag zu proben. Am 28. Juli 1750 nahm der Tod Bach die Feder aus der Hand. Im Alter an Star erblindet, diktierte er seinen letzten Choral »Vor deinen Thron tret ich hiermit«. Soli deo gloria, Gott allein die Ehre – war lebenslang Bachs Anliegen. Als er einmal gefragt wurde, warum er komponiere, antwortete er: »Um Gott zu ehren und den Nächsten zu lehren …«. -mk-

Zur Abrundung der klassischen Musik soll das Zeugnis von Franz Knies folgen. Es ist ein Originalbeitrag, den ich vor vielen Jahren von ihm bekam.

Vom Opernsänger zum Evangeliumssänger
Einst war ich von Jesu geschieden
Und keiner so ferne wie ich;
Und ich fragte mich, gibt es wohl Frieden
Für solch einen Sünder wie mich?

Ich wanderte weiter im Dunkeln,
Das mich tiefer und tiefer umschlich;
Keinen freundlichen Stern sah ich funkeln
Für solch einen Sünder wie mich.

Und während vom Dunkeln umgeben
Die Stunde der Gnade verstrich,
Da empfand ich, in Jesus ist Leben.
Er rettet auch Sünder wie mich.

Das durft’ ich im Glauben erfassen.
Wer war wohl so glücklich wie ich?
Und nun kann ihn mein Herze nicht lassen,
Der Sünder errettet wie mich.

Nun kann ich im Sonnenschein wandern;
Denn das Dunkel der Sünde entwich.
Und mit Freuden verkünde ich andern:
Er rettet auch Sünder wie mich.

Ich war noch ein kleiner Bub von 10 Jahren, als in mir schon der Gedanke Fuß faßte, Sänger zu werden. Hatte mich doch damals mein Klassenlehrer schon »Nachtigall der Sexta« genannt. Auch alle meine Verwandten wie der Freundeskreis meiner Eltern, unsere Nachbarn und meine Mitschüler freuten sich über mein Singen mit meiner hellen, so klaren Sopranstimme, die mir als Knabe eigen war.
Ich war Kind gläubiger Eltern, und meine Mutter hatte großen Kummer über meinen Wunsch, ans Theater zu gehen. Aber ich bat meine Eltern jahraus, jahrein: »Laßt doch meine Stimme ausbilden, laßt mich doch Sänger werden.« Nun endlich bekam ich meinen Willen. Stimme ausbilden, ja, aber niemals ans Theater! Meine Mutter betete stets: »Herr Jesus, laß doch meinen Jungen nicht zur Bühne. Ich bitte dich, mache ihn zu einem Evangeliumssänger.« Ich studierte in München und verlebte meine Ferien zu Hause. Es waren die ersten Sommerferien. Da rief mich meine Mutter eines Morgens an ihr Bett und sprach: »Ich habe heute Nacht einen Traum gehabt. Das war schon mehr eine Vision. Ich sah dich vor vielen tausend Menschen stehen und hörte dich das Lied singen:

Sieh, das ist Gottes Lamm,
Es trägt voll Huld,
Dort an dem Kreuzesstamm
Aller Welt Schuld.

Ich kannte das Lied; denn Mutter hatte das Lied mit ihrer schönen Stimme sehr oft zur Ehre Gottes gesungen. Und ich selber hatte als dreizehnjähriger Schüler damit das Herz eines meiner Lehrer erreicht.

Aber jetzt als angehender Opernsänger war ich über diese Lieder erhaben. Ich lachte: »Mein liebes Muttilein, du spinnst. Ich, solche Lieder singen? Das kommt gar nicht in Frage! Du weißt, daß ich zur Oper will. Wenn schon fromm singen, dann Bach, Händel, Schütz, Haydn usw. Aber doch nicht so etwas, das kommt nicht in Frage! Nie, niemals!« Mutter antwortete darauf: »Und ich werde tagtäglich beten, daß Jesus dich zum Evangeliumssänger macht.« Da wurde mir angst und ich flehte: »Mutter, tu’ das nur nicht. Das hat gar keinen Zweck. Du wirst es nicht erleben. Lasse das! Du hemmst mir meine Karriere. Hörst du, du magst noch so alt werden! Es passiert nicht. Und wenn du nach deinem Tode droben noch weiterbeten würdest, will ich doch zum Theater.« Mutter betete. Ich aber ging meinen Weg und lebte mein Leben. Dabei fiel ich in Sünde und Schuld.
Bei allen meinen Irrwegen unterschätzte ich die Glaubensmacht und Gebetskraft meiner Mutter, obwohl ich manchmal Zeuge wunderbarer Gebetserhörungen war. Ein solches Erlebnis soll kurz angedeutet werden.

Es war in den dreißiger Jahren. Meine Schwester und ich befanden uns auf einer Konzerttournee durch Holland. In Arnheim oder Nymwegen war es. Ich weiß es nicht mehr genau. Meine Schwester hatte in Amsterdam zu tun gehabt und kam zurück. Gleich nach der Begrüßung sagte sie zu mir: »Du, wir fahren morgen nach Hause.« Ich machte wohl ein sehr geistreiches Gesicht; denn sie fuhr sogleich fort, weiter zu erzählen. »Ja, stell dir vor: im selben Abteil des Zuges, mit dem ich fuhr, saß der Direktor des Theaters aus Rotterdam. Da wir allein in dem Abteil saßen, glaubte der Kerl, mir gegenüber aufdringlich werden zu können. Als er sich mir näherte, versetzte ich ihm eine Ohrfeige. Da war es aus. Solch prüde Gans könnte er in seinem Etablissement nicht gebrauchen, schrie er mich an. Ohne weiteres war der Vertrag gelöst.« – »Ein Glück, daß wir dort nicht auftreten müssen«, erwiderte ich. »Wollen wir den Eltern ein Telegramm schicken?« – »Nein, wir wollen sie überraschen.« So fuhren wir heim.

In unserer Heimatstadt angekommen, öffneten wir die Tür des Zuges und stiegen aus. Auf dem Bahnsteig, direkt vor uns, stand unsere Mutter und schaute uns strahlend an. »Du hast ja doch telegrafiert«, schmollte meine Schwester. »Ich? Nein du!« – »Bestimmt nicht!« Wir sahen uns gegenseitig an, weil wir das nicht begriffen. Tatsächlich hatte keiner von uns telegrafiert. Ich umarmte mein Mütterlein, gab ihr einen Kuß und fragte sie: »Muttilein, wie kommst du denn hierher?« – »Ach Kinder«, sagte Mutter mit Tränen in den Augen, »ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich habe euch da herausgebetet. Und dann bin ich eben hierher gegangen, um euch abzuholen.« – »Das ist ja Spökenkiekerei«, so meinte ich in meiner Unkenntnis. Ich war ja damals noch blind für das wunderbare Wirken Gottes, sonst wäre mir die göttliche Führung meiner Mutter nicht so absonderlich vorgekommen.

Nach Kriegsbeginn wurde ich eingezogen und kam an die Ostfront. Beim Zusammenbruch wurden wir eingeschlossen, und ich flehte zu Gott um Rettung. Meine Mutter hatte mir ja eine Bibel mitgegeben, in der ich täglich las. Auch meine Andacht und das Gebet hatte ich nie versäumt. Allerdings machte ich große Abstriche am Wort Gottes. Vor allem das Alte Testament lag mir nicht. Ich war zu sehr politisch beeinflußt. Meine Haltung stand in folgender Spannung. Ich war viel zu nationalsozialistisch, um ein guter Christ zu sein, und war viel zu christlich, um ein guter Nationalsozialist zu sein. Aus diesem Grunde sah ich das Alte Testament nie an. Als wir nun eingeschlossen waren, flehte ich: »Herr Jesus, gib du mir eine klare Antwort. Komme ich nach Hause? Gib mir einmal in meinem Leben eine Antwort, wie du meine Mutter oft buchstäblich erhört hast.« Wie ich so im Gebet vor dem Herrn stand, hieß es plötzlich in mir: Jeremia 39, Vers 17 und 18. Du liebe Zeit, wie kam ich bloß an den Jeremia? Was sollte ich mit dem alten Judenpropheten anfangen? Der ging mich doch nichts an. »Herr, komme ich nach Hause, gib mir eine Antwort!« Ich wurde Jeremia 39, 17-18 nicht los. Und endlich suchte ich diese Stelle im Alten Testament. Ich wußte absolut nicht, was da stand, und wo das zu finden war. Ich kannte ja nicht einmal die Reihenfolge der alttestamentlichen Bücher. Endlich fand ich diese Stelle und schlug sie auf. Zu meiner Überraschung las ich folgenden Text: »Aber dich will ich erretten zur selben Zeit, spricht der Herr, und sollst den Leuten nicht zuteil werden, vor welchen du dich fürchtest. Denn ich will dir davonhelfen, daß du nicht durchs Schwert fallest, sondern sollst dein Leben wie eine Beute davonbringen, darum, daß du mir vertraut hast, spricht der Herr.«

Ich las diese Stelle mehrmals hintereinander. Das war doch eine klare Antwort, wie ich sie mir erbetet hatte. Ich konnte das gar nicht fassen, dаß Gott so deutlich geantwortet haben sollte. Allmählich wurde ich über diesem Wort zuversichtlich und nahm diese Verheißung für mich in Anspruch. Ich fiel nun ins andere Extrem und wurde geistlich übermütig. Jeden Durchbruchsversuch machte ich verwegen mit. Durch diese Gebetserhörung wurde mir das Alte Testament neu erschlossen. Es fielen mir Psalmworte ein, die mir ja ohnehin vom künstlerischen Standpunkt aus geläufig waren. So betete ich beim letzten Durchbruchsversuch, den ich mitmachte: »Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen.« Ich komme heim, so stand es in mir fest, und ich schloß das Gehet mit dem Satz: »Ich danke dir Gott.« Bei dem Wort »danke« – peng – da hatte ich einen Oberarmdurchschuß auf der linken Seite weg. Zu allem Übel war es ein Explosivgeschoß, das mir den ganzen Oberarm aufriß. Jeder Arzt sagte mir später: »Das ist ein Wunderschuß.« In diesem Augenblick verlor ich den Glauben an die Verheißung. Ich schrie über das Schlachtfeld: »Gott – also doch nicht!« Bei uns Landsern hieß es: »Verwundet in die Hände der Russen bedeutet, mit einem Genickschuß aus dem Leben.« Das Blut strömte. Ich wurde schwach und schwächer. In meiner großen Angst betete ich: »Herr Jesus, vergib, dein Wille geschehe! Und wenn du die obere Heimat gemeint hast, dann nimm mich doch in Gnaden auf.« Und dann sackte ich zusammen und wurde bewußtlos. Ich erwachte, als ein Russe mir die Stiefel von den Beinen riß. Er hatte mich gänzlich ausgeraubt. Als er sah, daß ich noch lebte, forderte er mich auf: »Iddi siuda! Komm mit!« Ich antwortete auf russisch, ich wäre zu schwach. Von meinen russischen Kriegsgefangenen hatte ich soviel Russisch gelernt, daß ich mich verständigen konnte. Im Umgang mit diesen russischen Gefangenen hatte ich schon 1943 russisch sprechen und singen gelernt. Sie sagten mir damals: »Herr Soldat, Deutschland kann nicht den Krieg gewinnen. Und wenn Sie in Gefangenschaft kommen, wir Sorge haben, daß Sie seien zu sensibel, Sie überleben das nicht. Aber wenn Sie gefangen werden, dann singen Sie, singen Sie, singen Sie!«

Nun war diese Situation eingetreten. Ich stand vor dem russischen Kommissar und wurde verhört. »Was ist der Beruf?« wurde ich gefragt. »Opera bewjez, Opernsänger.« – »Künstler an der Front gibt es ja nicht. Goebbels sagte: >Kein deutscher Künstler hat es nötig, an der Front zu kämpfen.<« Da war es mir plötzlich, als wenn ich jenen russischen Gefangenen neben mir hörte: »Singen Sie, singen Sie!« Ich sang sofort ein kleines russisches Lied von Rubinstein. Es ist eine Nachdichtung von Goethes »Wanderers Nachtlied«. Die Russen hörten sprachlos zu. Sie konnten es nicht fassen, daß ein ganz gewöhnlicher deutscher Landser ihnen ein Lied in ihrer Sprache sang. »Karascho! Gut! Aber keine Oper.« Glücklicherweise konnte ich auf russisch eine Opernarie singen. Ich sang sie sofort. Die Russen klatschten in die Hände: »Otlischna! Ausgezeichnet! Wir glauben es. Du sein guter Artist!« Von diesem Augenblick an wurde ich mit Glacéhandschuhen angefaßt. Ich wurde dann in meiner ganzen russischen Gefangenschaft wie ein rohes Ei behandelt.

Ich sah wohl das Elend, das um mich herum geschah. Ich kann den Russen wahrhaftig nicht das Zeugnis ausstellen, daß die Gefangenen gut behandelt wurden. Aber Gott war mir gnädig. »Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig«, spricht der Herr. Ich konnte es nicht fassen und hatte es absolut nicht verdient. Wie oft bin ich ihm aus der Schule gelaufen! Aber die Gebete meiner Mutter ließen mich nicht los und standen stets dahinter. Durch meine Verwundung kam ich mit dem ersten Transport, der von Sibirien nach Deutschland ging, nach Hause. Ich war schon am 18. September 1945 in Wilhelmshaven bei meinen Eltern. Fast eine dreiviertel Stunde schritt ich durch Trümmerfelder und fand mein Elternhaus unversehrt vor.

Am nächsten Tag ging ich zur Behörde, um mich anzumelden. Ich fuhr mit dem Fahrrad und stürzte unterwegs auf dem Fahrdamm. Lang ausgestreckt lag ich auf der Straße. In diesem Augenblick rollte ein schwer beladener Lastwagen mit zwei Anhängern an meinem Kopf vorbei. Der Abstand war höchstens 15 Zentimeter. Die Leute hatten aufgeschrieen. Ich kam kreidebleich nach Hause. Mutter fragte bestürzt: »Was ist bloß mit dir?« – »Mutter, ich soll wohl noch leben. Es ging eben hart am Tode vorbei.« Sie antwortete: »Der Herr weiß, warum.« An mir ging diese Lektion noch ohne ernste Besinnung vorbei. Ich gab wieder Konzerte und sang in Hamburg, München, Frankfurt, Bremen usw. weltliche Lieder. In Wilhelmshaven gab ich Hochschulkonzerte und Hauskonzerte. Eines Tages fragte mich ein Professor: »Erzählen Sie doch einmal, wie ist es gekommen, daß Sie so früh aus russischer Gefangenschaft zurückkamen?«
Da mußte ich zum ersten Mal vor einer größeren Menschenmenge bekennen. Ich erzählte, was Gott an mir getan hatte. Der Professor erwiderte: »Dann haben Sie aber auch noch eine Aufgabe.« Und diese Aufgabe wurde mir in einer Evangelisation klar. Ich wurde aufgefordert, dort zu singen. Schließlich war ich Kind gläubiger Eltern. Aber, wenn wir auch Kinder von Gotteskindern sind, Gott hat keine Enkelkinder. Wir müssen selber von neuem geboren werden. Das wurde mir deutlich. Und als ich das Lied gesungen hatte »Ich bin durch die Welt gegangen«, da sprach Gott zu mir: »Was hinkst du noch auf beiden Seiten?« Ich tat Buße und bekannte meine Sünden. Von Stund an weihte ich mein Leben und meine Stimme dem Herrn Jesus. Jetzt reiste ich als Evangeliumssänger und kam mit dem Rundfunkevangelisten Anton Schulte zusammen. Ich sang im Rundfunk. Und eine der ersten Sendungen hörte ich zu Hause am 78. Geburtstag meiner Mutter. Das heißt, am Vorabend saß ich mit meiner Mutter Hand in Hand am Radio und hörte den Sender Monte Carlo. Da kam die Stimme durch den Äther:
»Jetzt hören Sie den Evangeliumssänger Franz Knies.« Können Sie sich das Gesicht meiner Mutter vorstellen? Über ein Vierteljahrhundert hat die Mutter tagtäglich gebetet: »Herr Jesus, mache meinen Jungen zu einem Evangeliumssänger.«
Und jetzt endlich war es soweit. Mein und unser Erstaunen ging noch weiter. Es waren beim Sender etwa zehn Beiträge eingesandt. Und als erstes kam mein Lied »Sieh, das ist Gottes Lamm«. Es war das Lied, das meine Mutter schon vor über 25 Jahren im Traum und in der Vision gesehen und gehört hatte. Das alles war keine abgemachte Sache. Meine Mutter faltete die Hände und schloß die Augen. Tränen rannen ihr über die Wangen. Ihre Lippen bebten, und dann, unter verhaltenem Schluchzen, hob sie die Lider. Ihre Augen begannen zu leućhten, als sie mich anschaute. Mit beiden Händen ergriff sie meine Rechte und flüsterte: »Der Nazarener und ich haben gesiegt.«
Beglückt und beschämt sah ich sie an. Ich gedachte verlorener Jahre. Dennoch, Gott hat alles wohl gemacht. Über ein Vierteljahrhundert hatte Mutter darum gebetet. Nun war ihr Erhörung zuteil geworden. Buchstäblich hat sie die Erfüllung ihres Traumgesichtes erlebt. Nicht nur, daß Tausende durch den Rundfunk dieses Lied hörten, sondern auch, daß ich es vor Tausenden auf einer Freilichtbühne in Wuppertal sang. Außerdem durfte ich es in vielen anderen Veranstaltungen bringen. Weiterhin erklingen ebenso viele Schallplatten in Häusern hin und her, sowohl dieses als auch andere Lieder zur Freude der Kinder Gottes und zum Rufen und Mahnen von Menschen, die noch ferne sind von Jesus.  –  Franz Knies

Rockmusik – Tonattacken aus der Hölle
Wir wenden uns nun der anderen Musik zu, bei der uns die Flammen der Hölle entgegenschlagen. Es sei das Stichwort »Rockmusik« genannt, obwohl es andere Musikformen gibt, die den gleichen Charakter haben. Es gibt gute wegweisende Veröffentlichungen zu diesem Thema. Einige werden erwähnt:

»Satans Kult mit Rockmusik«, im Oktoberheft 1983 der »Diagnosen«.
»Jesus-Bewegung und moderne Musik«. O. Markmann im L. Keip Verlag Berlin
»Rockmusik und christliche Lebenshaltung«. W. Kohli im Haus der Bibel Zürich
»Die Rolling Stones«. Flugblatt von W. Weiler, Bielefeld

Warum wurde von den Flammen der Hölle geschrieben? Otto Markmann gibt einen drastischen Hinweis in dem erwähnten Buch Seite 16. Er schreibt: »Die böse Wirkung dieser Musik zeigt sich z. B. auch daran, daß es Beat-Bands gibt, die mit schwarzen Messen, musikalischen Teufelsbeschwörungen, dämonischen Phantasien und mittelalterlichen Hexenritualen ihr Geschäft machen. Solche Musikgruppen nennen sich z. B. >Schwarzer Sabbath, >Schwarze Witwe<, >Luzifer im Untergrund< usw.
„Der Tagesspiegel“ vom April 1971 berichtete: »>Black Widow< (Schwarze Witwe) spielte unlängst für das Fernsehen eine schwarze Messe mit Teufelsbeschwörung. Vom zweifelhaften Gag bis zur brutalen Realität ist nur ein kleiner Schritt. Als die >Rolling Stones< in Altamont ihren Song >Sympathy for the Devil< (Sympathie für den Teufel) zelebrierten, ermordeten Angehörige der >Hell’s Angels< (Höllenengel) einen jungen Schwarzen (M. Hunter) direkt vor der Bühne.«

Die Berliner Zeitung »Der Abend« vom 30. 11. 61 berichtet unter der Überschrift »Kleinholz im Pariser Sportpalast« folgendes: »3500 Rock’n’Roll Fanatiker zerschlugen in einer Massenhysterie 2000 Zuschauersessel und richteten einen Sachschaden von über DM 20.000 an. Die wild gewordenen Jugendlichen zerschlugen alle erreichbaren Fensterscheiben. Sie öffneten die Feuerlöschhydranten und bespritzten die noch sitzengebliebenen Zuschauer. Zuletzt rissen sie sich gegenseitig die Kleider vom Leibe. Die rasch herbeigerufene Polizeiverstärkung verhütete noch Schlimmeres.«
Eine solche Musik ist auf höchste sexuelle Erregung, Ekstase und Besessenheit, überhaupt auf jegliche Enthemmung aller Triebe gerichtet.

Wo kommt dieser Musikstil her, der die Welt, vorwiegend die Jugend, überschwemmt und mitreißt?
Die Antwort auf diese Frage erhielt ich bei meinen Missionsreisen in Afrika und in Südamerika. Bei den heidnischen Kult- und Opferfesten tanzen sich die Heiden in die Raserei hinein. Normal enden dann diese von entsprechender Musik begleiteten Tänze in sexuellen Orgien. Diese als Sklaven nach Südamerika verschleppten Schwarzen haben dorthin ihr heidnisches Brauchtum mitgebracht. Ich war oft in Südamerika und staunte, daß in Rio und noch mehr in Santos die Tänzer ohne Nahrung und Schlaf drei Tage lang durchtanzen können. Ihre körperliche Kraft würde gar nicht ausreichen. Das sind mediale, okkulte, dämonische Tänze, begleitet von einer extrem lauten aufpeitschenden Musik.
Ich bin schon oft gefragt worden, was ich vom Rock halte und vor allem, ob ich meine, daß man diese Musik auch zur Evangeliumsverkündigung verwenden könne. Eine Antwort gebe ich hier schon: »Mir ist diese Musik zuwider. Ich fliehe, wenn ich aus Versehen sie einmal zu hören bekomme.« Es gibt eine Musik, die nach oben zieht, denken wir an die von Johann Sebastian Bach. Es gibt auch Musik, die alles Gute zerstört und nach unten zieht, weil sie da herkommt. Es gibt Musik unter göttlicher und unter dämonischer Inspiration.
Ich möchte einmal einen Fachmann in dieser umstrittenen Frage zu Wort kommen lassen.

Bob Larsen, vom Rockmusiker zum Evangelisten
Im Herbst 1971 wurden in den Staaten Massachusetts, Maine und New Hampshire, USA, Vortragswochen durchgeführt. Die Redner wurden ausgewechselt. Begehrte Sprecher standen auf dem Podium. Jack Wyrtzen, unter dessen Kanzel sich manchmal fünftausend Menschen drängten, war unter ihnen. Meine eigenen Vorträge in dreiundzwanzig Kirchen wurden diesen Verkündigungswochen vorausgeschickt oder angehängt.
Bei diesem Dienst kreuzte Bob Larsen meinen Weg. Er war auch einer der Redner, wahrscheinlich der Jüngste von allen und zugleich einer der Begehrtesten. Verfolgen wir seinen Weg:
Bob machte seine Karriere vom Rockmusiker zum Evangelisten. Er ist der Fachmann, der über Rockmusik sprechen kann.
Mit dreizehn Jahren hatte Bob schon seine eigene Kapelle. Er wurde zu einem jugendlichen Star der Rockmusiker. Die Radiostationen, die Rockmusik senden, luden ihn laufend ein. Gunst und Geld flossen dem gefeierten jungen Musiker zu.
Da gab es einen plötzlichen Stopp. An einem seiner musikfreien Abende, die ohnehin sehr selten waren, wußte der junge Mann nichts mit seiner Zeit anzufangen.
Eine wehmütige Stimmung, eine Art moralischer Katzenjammer kam über ihn. In dieser Einsamkeit zog es den Unbefriedigten in eine kleine Kirche.
Ein Psychologe würde sagen: typische Pubertätsstimmung, die fast jeder einmal durchmacht.
Es war mehr. Bob hat gläubige Eltern, die viel für den »verlorenen« Sohn beteten.
Während des Gottesdienstes griff der Heilige Geist nach diesem jungen Menschen. Der ganze Jammer seines jungen Lebens stand ihm vor Augen. Schuld, Sünde, Unfrieden bedrängten ihn.
In dieser Stunde übergab er sein Leben Jesus. Er traf radikale Entscheidungen. Seine Kapelle löste er auf. Das Instrument seiner Erfolge, die elektrische Gitarre, bekam einen Ruheplatz. Er mochte dieses Instrument nicht einmal zu geistlichen Liedern verwenden. Es kam ihm stilwidrig vor. Er wollte einmal Abstand gewinnen.
Bob fragte im Gebet den Herrn: »Was soll ich nun tun?« Sein Weg wurde klar. Die nächste Station war ein Bibelstudium. Damit kristallisierte sich sein nächster Auftrag heraus. Er wurde Zeuge Jesu, Verkündiger des Evangeliums.
Da er von der Rockmusik her den Weg zu Jesus gefunden hatte, spürte er einen Auftrag an den jugendlichen Rock-Fans. Die Radiostationen standen ihm immer noch offen, und er nutzte die offenen Türen. Über das ganze Land hinweg sprach Bob Larsen an allen Stationen über seine Wende von der Rockmusik zu Jesus.
Er machte dabei eine hochinteressante Entdeckung, die geradezu ein Symptom unserer Zeit ist.
Sprach Bob Larsen in Kirchen, da wurde er angegriffen. Man sagte ihm: »Du übertreibst. Man kann Rockmusik auch für das Evangelium einsetzen.«
Bob Larsen erklärte: »Nein, diese Musik hat einen Geist, der aus trüben und dunklen Quellen kommt. Sie läßt sich nicht reinigen und für den Heiligen Geist verwerten.«
Sprach Bob Larsen zu den Rock-Fans, dann fand er Zustimmung. Sie sagten ihm: »Du bist auf der richtigen Linie. Fahre so fort. Wir alle spüren etwas von der Dämonie dieser Musik.«
Um welche Entdeckung geht es hier? Wo die Wahrheit sein sollte, wird sie abgelehnt. Wo sie nicht erwartet wird, nimmt man sie an.
Das heißt nichts Geringeres, als daß ein Rockfan dem Reiche Gottes näher ist als mancher Kirchenältester. Das ist in Abwandlung die Wahrheit des Jesuswortes: »Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als die heuchlerischen Pharisäer.«
So hat ein ehemaliger Rock-Musiker ein Zeugnis aufgerichtet für die verlorenen Söhne und Töchter. Keiner ist für Jesus zu schlecht. Für keinen ist es zu spät. Jesu Erbarmen gilt allen, die nach ihm fragen.
Bei der Materialsammlung für meine Bücher habe ich es sehr oft erlebt, daß mir zur rechten Zeit die genau passende Information in die Hände gespielt wurde. So erlebte ich es auch bei der Niederschrift dieses Kapitels. Ein mir unbekannter Bruder aus Kalifornien gab mir in einem Brief ausgezeichnete Informationen über die Rockmusik und bat mich, seine Beobachtungen schriftlich zu verwerten. Die wichtigsten Partien des Briefes werden hier wiedergegeben.
Die Bibel sagt uns, daß in den letzten Tagen Menschen den verführerischen Geistern und Lehren der Dämonen anhangen werden. Viele Rockmusiker haben zugestimmt, als Sprachrohr der Dämonen gebraucht zu werden.
In der volkstümlichen Musik ist der satanische Einfluß sehr groß. Geisterfüllte, christliche Lehrer sollten auf die Tete der Rockmusiker achten. Das sind keine harmlosen Liebeslieder. Sie haben raffinierte Verdrehungen und Tarnungen, die den Hörer in die Irre führen. Diese Musik hat eine ganze Generation von Teenagern zur Rauschgiftsucht und zu Sexmißbrauch verführt.

1. Man muß nur einmal auf den Wortlaut der Lieder achten, um deren Charakter zu erkennen. Ich gebe nur Überschriften solcher Hits:
Wir fallen in einen Ring von Feuer
Wir machen einen Pakt mit dem Teufel
Menschen mit lachendem Gesicht verbergen das Böse, das in ihnen wohnt
1968 verlor ich meine Seele
Rufe mich an, und ich werde da sein und deinen Wunsch erfüllen
Wir praktizieren Zauberei und verkaufen unsere Seele
Jesus wird uns quälen, wenn seine Zeit da ist
Die Beatles sind volkstümlicher als Jesus
Die Christenheit wird im Dunkeln enden
Wir arbeiten für eine Welt, in der es keine Religion gibt
Die schwarze Schlange lebt in der dunklen Höhle
Wir sind unsere eigenen Retter
Hexen im Wald
Wir kommen von unten
Der Himmel ist ein Ort, wo niemand hingehen will
Die Kinder treiben sich nachts herum, während ihre Eltern schlafen.

Das sind Titel und Themen von Rocksongs, deren Charakter offenkundig ist. Die Inspiration, die dahintersteht, bedarf keiner Erläuterung.

2. Eine weitere Eigenart der Rockmusik ist der Gebrauch von Kodewörtern, die den Nichteingeweihten unverständlich sind.
Ein solches tausendfach wiederholtes Kodewort ist Regen. In ihren Liedern fürchten sie ihn. Sie haben Angst, darin zu ertrinken. Sie wollen ihn stoppen. Nur die Rockmusiker verstehen, was damit gemeint ist.

Ein anderer Kodeschlüssel ist der Ausdruck Regenbogen. Sie singen: Wer aushält bis an das Ende, erlebt den Regenbogen. Sie singen nicht nur darüber, die Hippies malen auf Tausenden von Anklebeplakaten den Regenbogen oder gestalten alle ihre Malereien mit den Regenbogenfarben. Einige große Kommunen von Rauschgiftsüchtigen und Satanisten nennen sich »Regenbogen-Familie«. Ja, auch eine kommunistische Kommune in Wisconsin nennt sich »Regenbogen-Stamm«. Auch die New-Age-Bewegung verwendet den Regenbogen, oft mit umgekehrter Farbfolge.
Hinter diesen Kodewörtern steckt eine Rock-Philosophie. Sie singen auch über die Sonne. Sie rufen: Hüte dich vor ihr. Sie brennt dir die Augen aus. Sie deckt dein Wesen auf.

3. Eine dritte Charakteristik der Rockmusik ist die Kenntnis biblischer Tatsachen und deren Anerkennung oder Verdrehung ins Gegenteil.
So singen sie über die große Kluft, den Ozean, den Cañon zwischen Himmel und Hölle (Luk. 16, 25). Viele ihrer Lieder sprechen von der Hoffnung, einmal die große Kluft zu überbrücken.
Manche Lieder sprechen auch von der Furcht, einmal in die Qual der Hölle zu kommen und dort zu brennen (Mt. 13, 40), wenn der »Regen« nicht stoppt.
Dem Vater der Lüge folgen sie, wenn sie in ihren Hits die Göttlichkeit Jesu leugnen. Sie fragen: Jesus Christus, Superstar, bist du wirklich der, für den sie dich ausgeben? Das Ergebnis dieser schweren Attacke ist die Zerstörung des Glaubens in Millionen von jungen Menschen.

Bob Dylan, der als Rockmusiker viele Millionen verdient hat, schrieb ein Buch mit dem Titel »Trantula«. Darin wird die Vernichtung der Hölle beschrieben (Offb. 20,10). Der Autor macht seine Aussagen in der Ichform als Satan selbst. Auch in diesem Buch tauchen wieder die vielen Kodewörter der Rocksongs auf: Regen, Sonne, Berge usw.

Die Dämonen bringen ihren Vertretern viel Geld ein (Apg. 16, 16). Milliarden sind bei diesem Geschäft verdient worden – ein Milliardengeschäft, um Menschenseelen zu vernichten. Soweit der Brief, der mir Dinge berichtete, die ich im Detail nicht kannte. Ich danke an dieser Stelle dem Bruder in Kalifornien.
Inzwischen hat die Rockmusik ihren Kulminationspunkt überschritten. Der Teufel legt ja stets neue Platten auf, um immer im Geschäft zu bleiben.

Die »Popfestivals« haben die Rocker teilweise in den Hintergrund gedrängt. So berichtete eine englische Zeitung, daß in England ein Popfestival rund 270.000 junge Menschen angezogen hätte. Die Polizei wurde mit dem Andrang und den Ausschreitungen nicht mehr fertig. Etwas ruhiger ging es in Ludwigsburg zu. Ich gebe den Bericht der RNZ vom 16. 8. 75 wieder:
25.000 Popmusik-Fans kamen. Das große Open-Air-Festival lief relativ ruhig ab. 160 Ordner waren aufgeboten. Ohne Gewalt und Exzesse ging am Wochenende das Ludwigsburger Open-Air-Festival über die Bühne. 25.000 jugendliche Popmusik-Fans waren aus allen Teilen der Bundesrepublik in die Barockstadt gekommen. Der Ansturm der Jugendlichen war von der Stadtverwaltung »mit gemischten Gefühlen« erwartet worden. Erfahrungen mit ähnlichen Spektakeln rechtfertigten die Skepsis. Schlägerei zwischen Ordnern und Zuschauern, Drogen- und Alkoholorgien – das alles ließ schon manches Festival im Fiasko enden. Die Konzertagentur hat Ordner aufgeboten, die von den Ludwigsburger Behörden polizeilich überprüft wurden. »Rocker wurden nicht akzeptiert«, erklärte ein Stadtsprecher.

Welche Ergebnisse der »ruhige« Ablauf der Veranstaltung zeitigte, berichtet die gleiche Zeitung: 174 Personen mußte geholfen werden, weil sie zuviel Alkohol oder Drogen zu sich genommen hatten. 13 Jugendliche mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden. 25 Festival-Besucher wurden vorläufig festgenommen, weil sie sich gegen das Betäubungsmittelgesetz vergingen.
Wie muß bei anderen Veranstaltungen dieser Art die Hölle los sein, wenn das ein ruhiger Verlauf ist?

Wicca
Wicca ist der Sammelbegriff für »A Union of Witchdoctors and Conjurers«, eine Vereinigung für Zauberer und Beschwörer. Die zahlreichen Mitglieder besitzen drei Schallplattenkonzerne. Jede Schallplatte hat die Aufgabe, an der moralischen Zerstörung und der inneren Zerrüttung der jungen Menschen von heute mitzuwirken. Im Grunde praktizieren sie auf den Platten eine Art Teufelskult und weihen sich der Person des Teufels.
Wicca hat viele Künstler hochgebracht und populär gemacht. Die Schallplatten, die von Künstlern dieser Vereinigung herausgebracht werden, beschreiben genau den Seelenzustand, der den Teufelsanhängern entspricht und lädt die Leute ein, den Ruhm, die Ehre und das Lob des Teufels zu feiern.

Unterschwellige Signale
Die »Rolling Stones« gehören zum Beispiel einer Teufelssekte der Gegend von San Diego an. Sie verbreiten zwar nicht in allen Titeln, aber in mehreren ihrer Aufnahmen Grundsätze, die zu denen gehören, die sich dem Teufelskult geweiht haben.
Eine andere bekannte Gruppe, »Garry Funkell«, produziert ebenfalls dieselbe Art von Musik. Diese Vereinigung hat sich zum Ziel gesetzt, besonders solche Schallplatten zu verbreiten, die sich an der Ideologie orientieren, die Jugend in den Satanismus zu führen.
Alle dem Teufel geweihten Schallplatten sind auf den gleichen Grundsätzen aufgebaut. Dazu gehört der Rhythmus, auch Beat genannt, der sich der Bewegung der sexuellen Beziehung entsprechend entwickelt. Man hat plötzlich das Gefühl, in Raserei geraten zu sein. Daher gibt es auch so oft daraus hervorgehende Fälle von Hysterie, da man durch den Beat den sexuellen Instinkt auf einen höheren Grad bringt.
Dazu wird eine Lautstärke bewußt sieben Dezibel oberhalb der Toleranzgrenze des Nervensystems gewählt. Das ist genau berechnet: Wenn die jungen Menschen dieser Musik eine gewisse Zeit ausgesetzt sind, entsteht eine Art von Depression, Empörung und Angriffslust. Sie wissen nicht warum, sie meinen, im Grunde nichts anderes getan zu haben, als Musik zu hören. Durch Erregung des Nervensystems ist es zu diesem Ergebnis gekommen, das heißt eine Verwirrung, die die Leute drängt, den Beat, den sie den ganzen Abend gehört haben, zu verwirklichen.
Hinzu kommen unterschwellige Signale. Es handelt sich um sehr hohe Signale oberhalb der Hörgrenze. Es ist eine Harmonie der Ordnung von 30.000 Schwingungen pro Sekunde. Die Zuhörer können es mit ihren Ohren nicht vernehmen, weil es im Obertonbereich liegt. Es löst in ihrem Gehirn den Ausfluß einer Substanz aus, die dieselbe Wirkung wie Rauschgift hat. Es handelt sich um eine natürliche Droge, die vom menschlichen Gehirn erzeugt wird. Sie fühlen sich fremdartig, und das ist auch die Absicht, um in ihnen das Bedürfnis nach Rauschgift zu wecken oder die daran sich anschließenden Gefühle fortzusetzen.

Errichtung der Universalherrschaft
Solche Schallplatten haben die Merkmale einer rituellen Weihe im Rahmen einer schwarzen Messe. Bevor diese Art von Schallplatten auf den Markt gebracht wird, wird jede von ihnen innerhalb eines besonderen Ritus, den man auch »schwarze Messe« nennt, dem Teufel geweiht.
Wer sich die Mühe macht, die Texte der verschiedenen Gesänge zu entschlüsseln, wird erkennen, daß die Themen im allgemeinen immer dieselben sind: Widerstand gegen die Eltern, gegen die Gesellschaft, gegen alles, was besteht. Die Entfesselung aller sexuellen Triebe gehört zur Voraussetzung der Schaffung eines Zustandes der Anarchie, der zur Errichtung der Universalherrschaft Satans führt.

Wer kann den gefährlichen Einfluß des Bösen leugnen, der so viele Mittäter auf dem Weg der Verschwörung und des Hasses zählt. »Da geriet der Drache über das Weib in Zorn, und er ging hin, Krieg zu führen mit ihren anderen Kindern, die die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben.« (Offb. 12, 17).

Im Frühjahr 1982 wurde die amerikanische Rockgruppe Led Zeppelin von einem kalifornischen Gericht wegen Beeinflussung mit satanischen, unterschwelligen Botschaften auf der Schallplatte »Stairway to Heaven« verurteilt. Der Text in »Stairway to Heaven« der Gruppe Led Zeppelin:
»Iťs a feeling, I get, when I look to the west and my spirit is crying for leaving.« Dieser Text heißt in der Version rückwärts abgespielt: »I have got to live for satan.« – »Ich muß für Satan leben.« – »Ja, zum Teufel, habe keine Angst vorm Teufel, sei kein Idiot. Ich will, daß der Herr vor dem Teufel auf die Knie fällt.«

Vergewaltigung des Bewußtseins
Nachforschungen haben ergeben, daß 18 Prozent der Jugendselbstmorde und viele Gewalttaten auf den Rock’n’Roll zurückzuführen sind. Es gibt zweifelsohne eine Verbindung von Rock und Rauschgift, wie die Beispiele der Beatles mit »Yellow submarine« und der Rolling Stones mit »Brown Sugar« (Kokain) zeigen. Und es besteht auch ein Zusammenhang zwischen Rock und Okkultismus, der zum Teufelskult führt; Beispiel der Beatles-Song aus dem Jahr 1968 »The Devils White Album«.
Auf dieser Platte wurden das erste Mal unterschwellige Botschaften über das Unterbewußtsein mitgeteilt, um das »Evangelium Satans« zu übermitteln. Damit nimmt der Rock den Weg der teuflischen Perversion. Sie wird weiter gefördert durch die Rolling Stones, The Who, Black Sabbath, Led Zeppelin, Kiss (Abkürzung für Knights in Satan’s Service – Knechte in Satans Dienst) und andere Gruppen.
Durch einen Prozeß der Verbraucherschutzorganisationen in Kalifornien sind diese unterschwelligen Steuerbotschaften an das Unterbewußtsein in die Öffentlichkeit gekommen. Sie können mit den äußeren Sinnen nicht wahrgenommen werden, und somit besteht überhaupt keine Verteidigungsmöglichkeit gegen diese Art von Aggression. Das Unterbewußtsein ist jedoch in der Lage, diese Botschaften zu entschlüsseln und über den Weg des Gedächtnisses das Bewußtsein zu beeinflussen.

Diese im Rock übermittelten Botschaften sind sehr verschieden: sexuelle Perversion, Revolte gegen die bestehende Ordnung, Einflüsterung des Selbstmordes, Anregung zu Gewalt und Mord und schließlich die Weihe an den Teufel. Diese Wortbotschaft wird im »Reversmaking-prozess« übertragen, das heißt rückwärts. Sie wird dem Bewußtsein sofort verständlich – wenn man die Schallplatte rückwärts abspielt.

Ein wortloses unterschwelliges Steuersignal auf die biologisch-psychologischen Körperorgane wird durch den synkopischen Beatrhythmus übertragen, der sich wie gesagt besonders auf die Sexualität auswirkt. Ein weiteres Mittel zur Steuerung ist das mit der Musik gekoppelte Stroboskop (Blitzlichteffekt), das das Orientierungs-, Urteils- und Reflexionsvermögen beträchtlich vermindert. Besonders das moralische Urteilsvermögen wird aufgehoben und so der Eingang der unterschwelligen Wortbotschaften wesentlich erleichtert.

Der Mensch steht diesen Techniken hilflos gegenüber. Einige Beispiele: »Fire on High« von Electric Light rückwärts gespielt: »Music is reversible, but time is not. Turn back« (Musik ist umkehrbar, Zeit aber nicht. Kehr um!)
Die Beatles-Platte »Number Nine« rückwärts abgespielt: »Turn me on, dead man!« (Ein obszöner Ausdruck gegen Christus gerichtet.)

Bewußt im Dienste Satans
Um die Gedanken der Beatles zu verdeutlichen, folgen hier drei Erklärungen aus dem Jahr 1966.
John Lennon: »Das Christentum wird vergehen. – Wir sind heute populärer als Jesus.«
Paul McCartney: »… keiner von uns glaubt an Gott.«
Ringo: »In jedem Fall, ob sie es glauben oder nicht, wir sind nicht der Antichrist, sondern nur Antipapst und Antichristen.«

Weitere Rückwärtstexte der Gruppe Kiss: »Vereinige dich, verschmilz! Wenn du mich liebst, schneide dich! Der Teufel selbst ist dein Gott!«

Black Sabbath: »Jesus, du bist der Abscheuliche!« und »Nimm deine Marke und lebe!« Es handelt sich um die auf der Plattenhülle mit einem Teufelsblitz eingeprägte Zahl 666, das Zeichen des Antichristen.
Allerdings gibt es auch genug direkte teuflische Botschaften. Ein Rockautor berichtet: »Ich habe die Hardrockgruppe >ACDC< gewählt, weil diese Abkürzung >Antichrist, death to Christ< (Antichrist, Tod für Christus) bedeutet. Und diese Gruppe singt den Ruhm der Höllenglocken: >Hells Bells<«.

Die großen Rockstars haben sich alle freiwillig und bewußt in den Dienst Satans gestellt.
Alice Cooper: »In einer spiritistischen Sitzung versprach mir der Geist den Ruhm und die Weltherrschaft durch die Rockmusik und Reichtum im Überfluß. Das einzige, was er von mir verlangte, war mein Körper, um ihn zu besitzen, und so bin ich weltberühmt geworden unter dem Namen, den er mir als den seinen gab, als Alice Cooper.«
Lautstärken von bis zu 120 Phon und Laserstrahlen, die in einigen Diskotheken verwendet werden und die, wenn sie ins Auge treffen, zu blinden Flecken führen, tragen zu unwiederherstellbaren Schäden bei. Gemäß einer amerikanischen Untersuchung aus dem Jahr 1981 hören 87 Prozent aller Jugendlichen 3 bis 5 Stunden täglich Rockmusik.
Seit Einführung der »Walkman«-Abspielgeräte hat sich der Durchschnitt auf 7 bis 8 Stunden täglich erhöht. 90 Prozent der weltweit verkauften Schallplatten waren Rockmusikplatten: 130 Millionen pro Jahr, nicht eingeschlossen die 100 Millionen Alben, die von der Rockmusik jährlich verkauft werden.
Die Rockmusik aber, deren Rhythmus die Sinne überreizt und die fast immer unmoralische oder selbst gotteslästerliche Texte begleitet, wird und ist sehr oft nächste Gelegenheit zur Sünde. Wer sie häufig hört, läuft Gefahr, Gott zu verlieren.

Satans Trommelfeuer
Dieses Kapitel war schon geschrieben, da erschien in »Diagnosen« vom Febr. 84 ein aufschlußreicher Artikel, der stark gekürzt hier wiedergegeben wird. Die Überschrift des Berichtes lautet: Satans Trommelfeuer.

US-General Dozier berichtete nach seiner Entführung durch Rote-Armee-Terroristen während einer ersten Pressekonferenz am 2. Februar 1982 über folgendes Erlebnis: »Während der ersten Tage zwangen mich die Terroristen dazu, eine Art Ohrstopfer zu tragen. Dann ließen sie mich über Kopfhörer Hardrock hören, jeden Tag schätzungsweise neun Stunden.« General Dozier gab nicht an, man habe den Versuch unternommen, ihn einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Nur, der Einfluß, dem er durch die Musik ausgesetzt war, könnte als der einzige Versuch einer Gehirnwäsche gedeutet werden.

Seit man weiß, daß es »unterschwellige Botschaften« gibt, die man nicht bewußt wahrnehmen kann, es sei denn, man richtet die Aufmerksamkeit besonders auf sie, ist es notwendig geworden, zusätzliche Unterscheidungsmerkmale im Bereich der unbewußten Aufnahme von Botschaften zu finden. Das psychologische Potential unterschwelliger Texte, das gewaltige Medium Musik, die Vielfalt der im Text verarbeiteten Themen, das Auftreten von Superstars und die Skrupellosigkeit der profithungrigen Industriellen sind die Faktoren, die zu dem geistigen Erdrutsch führen.
Durch die gewaltige Schallplatten- und Medienmaschinerie wurden Wünsche nach Anarchie, Sex, Gewalt und Tod in die Gedanken der heranwachsenden Käufer eingepflanzt, genährt, gepflegt und beherrscht. Was heute sichtbar wird, ist eine voll ausgereifte Ernte. Die Weitergabe unterschwelliger Botschaften von Superstars an Konsumenten ist die Erklärung dafür.
Kinder und Heranwachsende übernehmen und verwirklichen immer mehr Homo-, Bi- und Gruppensexualität, Sado- und Masochismus, Sex mit Tieren, Sex mit Gewalt, Vergewaltigungen, Brutalität und Tod.
Kinder und Heranwachsende akzeptieren und praktizieren immer mehr Satansanbetung, Hexerei, Zauberkulte, Zauberformeln, phantastische kultische Handlungen, Astrologie und unterwerfen sich Satanspriestern, Hexen und Wahrsagern.
Und letztendlich akzeptieren Kinder und Jugendliche immer mehr den Nihilismus, Gotteslästerungen, Terrorismus, Revolten, Pluralismus, Drogenmißbrauch, Gewalt sogar mit Todesfolgen.

Rockmusik und Kirche
Bob Larsen, dessen Bekehrungsgeschichte in diesem Buch schon erzählt worden ist, zeigt in seinem Buch »Rock and the Church« die Unvereinbarkeit von Rock und Gospelmusik im kirchlichen Dienst. Wer den Fesseln der Rockmusik entkommen ist, muß seiner Meinung nach sämtliche in seinem Besitz befindlichen Platten zerbrechen und die Kassetten zerstören.
An der letzten Aussage »Rock und Gospelmusik« muß ich anknüpfen und zwei eigene Erfahrungen berichten.
In einer badischen Gemeínde war eine Evangelisation angesagt. Der Gemeindepfarrer wollte die Abende zugkräftig gestalten und rief eine Musikband, die Evangelisationslieder spielen sollte. Ich besuchte gleich den ersten Abend. Fünf Minuten hörte ich mir den Superlärm an. Moderne, unverständliche Texte, elektronisch verstärkt. Jungen, die mit den Füßen den Takt klopften. Mädchen, die mit wippender Hüfte vor dem Altar standen. Mich hat das so angewidert, daß ich aufstand und den Gottesdienst verließ. Zwei andere Besucher taten das gleiche. Ich rief am nächsten Morgen den Gemeindepfarrer an und sprach mit ihm. Er gab meine Bedenken an den Leiter der Band – ebenfalls ein Pfarrer – weiter, der dann die Verstärkung etwas zurücknahm, Stil der Musik ging aber weiter.
Der gleiche Vorgang hat sich in einer anderen Gemeinde wiederholt. Mein Berichterstatter ist ein gläubiger Kirchengemeinderat, der noch zu der jüngeren Generation gehört. Uns Älteren kann man ja nachsagen, daß wir rückständig sind. Dieser gläubige Bruder hörte sich den greulìchen Lärm und die discoartigen Melodien an, daß er empört seinem Gemeindepfarrer sagte: »Wenn Sie so weitermachen, ziehe ich mich aus der kirchlichen Arbeit zurück.« Der Gemeindepfarrer versprach, diese Gruppe nicht mehr zu holen. Der Kirchenälteste erzählte mir: »Die älteren Leute der Gemeinde hatten einen Abscheu vor diesem Lärm, der Jugend hat es aber Spaß gemacht, so daß sie von der ganzen Gegend zusammenkam.«
Für was halten wir Evangelisationen? Um das Evangelium zu verkündigen und Menschen für Jesus zu gewinnen oder nur die Jugend mit Discolärm anzulocken?
Eine Musik, deren Geist aus dem Abgrund geboren ist, kann nicht für den Dienst am Evangelium eingesetzt werden.
Damit schließen wir das Kapitel »Musik unter der Lupe« ab. Genauso gut hätten wir im Blick auf die Rockmusik sagen können »Musik aus dem Abgrund«. Warum so radikal? Die Texte handeln von Terror, Sex, Rauschgift und von Luzifer. Die Musik ist ein nervenzertrümmerndes Getöse. Dieser Musikstil ist das raffinierteste Seelen-Fang-Netz Satans, um vor allem junge Menschen in den Abgrund zu reißen.

Der 149. Psalm
Zion lobe den Herrn!
1. Halleluja – Singet dem Herrn ein neues Lied: die Gemeinde der Heiligen soll ihn loben.
2. Israel freue sich des, der es gemacht hat; die Kinder Zions seien fröhlich über ihren König.
3. Sie sollen loben seinen Namen im Reigen; mit Pauken und Harfen sollen sie ihm spielen.
4. Denn der Herr hat Wohlgefallen an seinem Volk; er hilft den Elenden herrlich.
5. Die Heiligen sollen fröhlich sein und preisen und rühmen auf ihren Lagern.
6. Ihr Mund soll Gott erheben, und sie sollen scharfe Schwerter in ihren Händen haben.
7. daß sie Rache üben unter den Heiden, Strafe unter den Völkern;
8. ihre Könige zu binden mit Ketten und ihre Edlen mit eisernen Fesseln;
9. daß sie ihnen tun das Recht, davon geschrieben ist. Solche Ehre werden alle seine Heiligen haben. Halleluja!

 

 




Die Absolution (K.E.Koch)

Dr. theol. Kurt E. Koch

–  Die Absolution –

 

Auszug aus dem Buch SEELSORGE UND OKKULTISMUS, Seiten 337 bis 359. Thema ist die Befreiung von okkulter Belastung.  Gekürzt und die Hervorhebungen von Horst Koch, Herborn, im September 2006  –

3. Die seelsorgerliche Führung der okkult Behafteten
Die eigentliche Praxis, die Durchführung des seelsorgerlichen Dienstes an okkult Behafteten steht nun zur Erörterung. Wenn in der folgenden Darstellung systematisch vorgegangen wird, so soll das nicht heißen, dass die vom Leben diktierte Mannigfaltigkeit in ein Schema gefasst werden soll… Wir gehen wie bei der ganzen vorliegenden Untersuchung davon aus, dass ein seelisch erkrankter Mensch zur seelsorgerlichen Aussprache  kommt. Wenn der Hilfesuchende nicht sofort durch eine spontan Beichte, bei der das Schuldbekenntnis mit elementarer Gewalt aus dem Herzen des seelisch Kranken bricht, den Verlauf des seelsorgerlichen Gesprächs selbst bestimmt, dann hat der Seelsorger zunächst eine diagnostische Aufgabe. Darüber soll zuerst gesprochen werden.

a. Die Differentialdiagnose bei seelischen Erkrankungen
Die Kernfrage der Diagnose bei seelischen Erkrankungen ist die Feststellung, ob die Ursachen rein medizinischer Art sind, ob eine okkulte Behaftung oder ein Mischtypus vorliegt. Die Frage nach den medizinischen Ursachen bei dem seelisch Kranken steht im Vordergrund. Ergibt sich hier ein stichhaltiger Befund, so wird der Patient einem Facharzt zugewiesen. Liegt ein Mischtypus vor, das heißt, sind medizinische und okkulte Wurzeln nachweisbar, dann ist die Zusammenarbeit mit einem Facharzt, der auch die geistliche Fragestellung des Phänomens anerkennt, angezeigt.
. . . Ist bei seelischen Erkrankungen ohne medizinischen Befund eindeutig eine okkulte Behaftung nachweisbar, dann verzichte ich auf fachärztliche Hilfe. Selbstverständlich wird in allen Zweifelsfällen auf den christlichen Facharzt verwiesen. In allen Fällen aber wird nie auf die spezifisch christliche Allgemeinseelsorge verzichtet. Die cura specialis an okkult Behafteten kommt nur unter eindeutigen Voraussetzungen zur Anwendung. Wie sich eine solche Anamnese im einzelnen vollzieht, soll an einem kurz zusammengedrängten Beispiel gezeigt werden.
B 124 Nach einem Evangelisationsvortrag, der das okkulte Gebiet überhaupt nicht berührte, meldete sich ein Mann zur Aussprache an. Er erklärte, er wolle eine Generalbeichte ablegen. Die Unterredung begann damit, dass der Hilfesuchende spontan von seinen seelischen Nöten berichtete. Er gab an, dass er ohne äußeren Grund an seelischen Verstimmungen leide. Er könnte dann tagelang sich in ein dunkles Zimmer zurückziehen, habe keine Lust und kein Interesse an der Arbeit. Alles sei ihm verleidet. Das Essen schmecke ihm dann nicht. Entscheidungen im Geschäftsleben fielen ihm in solchen Zuständen schwer usw.
Die Beobachtung während des Berichtes gab durch den schmerzlichen, ängstlichen mimischen Ausdruck mit geringer Beweglichkeit und der typischen Veraguthschen Falte des Oberlides den Hinweis auf Melancholie. In diesen ersten Eindruck fügten sich die mangelnde Entschlussfähigkeit, das Gefühl der Kraftlosigkeit, die gelegentlichen Versündigungs- und Verarmungsideen bei bester Vermögenslage, die periodischen depressiven Phasen, die „schwarze Brille“, mit der alles gesehen wird, als weitere Symptome, um die Diagnose auf Melancholie zu stützen. Bemerkenswert ist das Fehlen des manischen Temperamentes in den Intervallen und ferner die kurze Dauer der depressiven Phase von etwa 1-2 Wochen. Zwischen den depressiven Phasen geht er seiner Arbeit nach und kann seinem Geschäft wohl vorstehen. Besonders ausgeprägt ist auch die Ansprechbarkeit für religiöse Dinge.
Trotz dieses medizinischen Befundes einer periodischen Melancholie hatte ich in diesem Falle den unbestimmten Eindruck von okkulten Zusammenhängen. Eine diesbezügliche Frage wurde verneint. Die Vorfahren wären alle fromme Menschen, treue Kirchgänger gewesen. Ich ließ mich noch nicht überzeugen und führte die Anamnese hinsichtlich der Familienglieder und Vorfahren weiter, mit folgendem Ergebnis: Ein Neffe hat die gleichen melancholischen Verstimmungszustände. Eine Schwester und eine Tante nahmen sich das Leben. Der Großvater starb im Irrenhaus. Ätiologisch ist dem Psychiater diese familiäre Häufung endogener Depression ein typisches Bild für die Vererbung des manisch-depressiven Irreseins, wenn auch die Art des Erbganges noch nicht sicher ist. Nicht weniger charakteristisch ist dieses Bild in der Seelsorge an okkult Behafteten. In Besprecherfamilien, deren Geschichte ich in drei und vier Generationen verfolgen konnte, ist die Folge von Tod im Irrenhaus, von Schwermut und Selbstmord und tödlichen Unglücksfällen ein stets wiederkehrendes und darum normales Bild. Es kann hier nicht mehr auf die Ursachen und die Priorität der Phänomene eingegangen werden. Die bei fast allen Besprechergenerationen zutage tretenden derartigen Symptome lassen mich stets hellhörig werden. So entließ ich bei dieser ersten Aussprache außer dem Zuspruch mit dem Wort Gottes den Geschäftsmann mit dem Hinweis, dass ich vermute, dass in der großelterlichen Reihe okkulte Aktivisten, möglicherweise Besprecher waren. Er lehnte das nochmals als unmöglich ab. Zwei Stunden später erhielt ich von ihm einen Telefonanruf mit der überraschenden Meldung, dass nach sofort eingezogener Erkundigung feststeht, dass sein Großvater, der im Irrenhaus starb, Krankheitsbanner und Viehbesprecher war.
Es kann hier dieser Fall nicht weitergeführt werden. Es folgten noch viele Aussprachen, die den Tatbestand klärten, dass die seelische Erkrankung des Mannes mit der okkulten Betätigung der Vorfahren direkt oder indirekt gekoppelt ist. Da es sich bei diesem Fall um einen Mischtypus handelt, ist zunächst von psychiatrischer Sicht aus eine Konvulsionstherapie angezeigt und in seelsorgerlicher Hinsicht eine spezielle Führung erforderlich.
Dieses Beispiel sollte nur zeigen, dass der Seelsorger eine schwierige differentialdiagnostische Aufgabe hat und erst sorgfältig, mit allen wissenschaftlichen Hilfsmitteln gerüstet, die Zusammenhänge der seelischen Erkrankung aufdecken muss, bevor er zur Hilfeleistung die weiteren Maßnahmen trifft.

b. Die Beichte
Seelsorge bedeutet nicht, über unsaubere Geschwüre leichtfertig fromme Spruchpflaster zu kleben. Darum müssen nicht nur auf wissenschaftlich neutraler Ebene diagnostisch die Zusammenhänge erfasst, sondern auch die Wunden freigelegt und die religiösen Konflikte erhellt werden, ehe ein Heilungsprozess beginnen kann. Das heißt auf seelsorgerlichem Gebiet, die Sünde erkennen und beichten.
Was bedeutet diese Beichte im Rahmen der seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten?
Vor der Klarstellung der Bedeutung der Beichte in dem vorliegenden speziellen Anliegen muss die scharfe Abgrenzung zur Aussprache bei der psychotherapeutischen Behandlung vollzogen werden.
Bei der Psychoanalyse sollen Verdrängungen, Verklemmungen, unterbewusste Spannungen, Komplexe durch Bewusstmachen der Ursachen und falschen Weichenstellungen abreagiert werden. Es wird also nach dem sokratischen Prinzip eine Entspannung, eine klärende Verarbeitung und Überwindung vor dem Forum der ratio gesucht. Die analytische Methode ist auf Arzthilfe und Eigenhilfe abgestimmt.
Beim Beichtvorgang stehen Seelsorger und Beichtender vor dem Angesicht Gottes und erwarten und erhalten von dorther Hilfe. Soviel Beziehungspunkte beide Gebiete haben, so müssen sie doch klar auseinandergehalten werden. Diese scharfe Abgrenzung schließt natürlich nicht aus, dass ein christlicher Arzt auf Grund des Priestertums aller Gläubigen außer der psychotherapeutischen Behandlung zusätzlich christliche Seelsorge übt. Wenn hier die Psychoanalyse und die christlich verstandene Beichte einander gegenüberstehen, so muss an dieser Stelle auch einmal auf die eventuelle Gefährlichkeit der Psychoanalyse hingewiesen werden, nachdem sie so oft schon erwähnt wurde. Es ist mir bekannt, dass christliche Akademiker die Gefährlichkeit einer Analyse für ihr Glaubensleben erfuhren.
Ein junger christlicher Psychiater z.B. bekannte mir, dass er nach den Sitzungen bei einem bekannten nichtchristlichen Psychoanalytiker sich oft stundenlang mit Wort Gottes und Gebet gegen unheimliche Gewalten in seinem Seelenleben wehren musste. Dieser Psychiater steht seither der analytischen Methode sehr kritisch gegenüber. Es ist ja psychologisch sehr einsichtig, was dabei herauskommt, wenn ein antichristlich eingestellter Psychotherapeut den Wesenskern eines christlichen Patienten analysiert.
Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch, was der Psychotherapeut Dr. Tournier sagt: „Das christliche Bekenntnis führt zu den gleichen psychischen Befreiungen wie die besten psychoanalytischen Behandlungen.“
Nach dieser Klärung wenden wir uns der christlichen Beichtpraxis zu. Es werden gewöhnlich drei Arten der Beichte unterschieden.
Nach Müller sind es: Beichtgespräch, Einzelbeichte, Beichtfeier der Gemeinde; nach Lackmann sind es: Beichte vor Gott allein oder Herzensbeichte, Einzelbeichte und Beichtfeier.
Bei der seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten kommt nur die Einzelbeichte oder Privatbeichte in Frage. Bei der Darstellung der seelsorgerlichen Führung werden nur die speziellen Probleme behandelt. …

Wenn in Form einer Skizze die Stellung Luthers zur Beichte umrissen werden soll, so kommen fünf Punkte in Frage. Wir erhalten damit gleichzeitig eine Grundlegung für unsere eigenen Darlegungen, die sich zum Teil aus Luthers Stellung entwickeln lassen. Für Luther steht die Notwendigkeit der Beichte und speziell der Einzelbeichte außer Frage. Er schreibt: „So lehren wir nun, wie treffliches, köstliches und tröstliches Ding es ist um die Beichte.“
Zweitens verwarf Luther den Zwangscharakter der Beichte. „Von der Beichte haben wir allzeit also gelehrt, dass sie solle frei sein“. Hierher gehört ferner des Reformators Kampf gegen die gesetzliche Verengung der Beichte. Das Bekenntnis der Sünde soll zur Hilfe, zum Trost führen und nicht zur Aufrichtung eines neuen Gesetzes.
Darum verwirft Luther die Forderung, der Beichtende müsse krampfhaft sein Gewissen erforschen, um ja keine Sünde zu vergessen. Er schreibt: „Die Erzählung der Sünden soll frei sein einem jeden, was er erzählen oder nicht erzählen will …“
Der empfindlichste Schnitt in die katholische Beichtpraxis war Luthers völlige Umgestaltung des Priesterbegriffes. Unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen kann im Grunde jeder Christ des anderen Beichtvater sein. Die Privatbeichte ist kein Privileg der ordinierten Priester, kein Reservat der Geistlichkeit.
In der Abwehr gegen das teuflische, katholische Ablasswesen und die satisfaktorische Auffassung der Beichte wandte sich Luther gegen den Werk- und Verdienstcharakter der Beichte.

Es liegt im Wesen des Wortes Gottes, dass der Mensch aus der Gottesferne, aus der Sünde zurückgerufen wird in die Gemeinschaft Gottes. Die beiden wesentlichen Pole der biblischen Botschaft sind Gericht und Gnade.
Die Gottesferne ist Finsternis, die Gottesgemeinschaft ist Licht. Beichten heißt nichts anderes, als die Flucht in die Finsternis aufzugeben, offenbar zu werden vor Gott, ins Licht zu kommen.
Eine besondere Bedeutung hat dieser Vorgang bei der seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten. Okkulte Betätigung stellt in besonderer Weise einen Vertragsschluss mit dem Reich der Finsternis dar. Das wird vor allem deutlich bei den Bluts- und Amulettverschreibungen und bei dem formalen und realen Teufelsanruf, etwa beim magischen Besprechen und der Schwarzen Magie. Für den okkult Behafteten besteht die Beichte darin, dass er die Zugehörigkeit zum Reich der Finsternis sieht und sich entschließt, zum Licht zu kommen. Es ist ein interessanter Tatbestand, der sich mir bei allen okkult Behafteten darbot, dass bei okkulter Behaftung eine Beichte unumgänglich ist.

In der allgemeinen Seelsorge steht es dem Hilfesuchenden stets frei, ob er beichten will oder nicht. Bei okkulter Behaftung wird stets beobachtet, dass die Hilfesuchenden, die eine Generalbeichte, welche nicht nur die okkulte Betätigung, sondern auch das übrige Leben betrifft, scheuen, nicht frei werden.
Kein Beichtgespräch mit okkult Behafteten führt zu einer Befreiung, wenn dem Hilfesuchenden nicht durch die Gnade Gottes Herz und Lippen zum Schuldbekenntnis geöffnet werden.
Hinter diesem Tatbestand steht ein doppeltes Gesetz. Zunächst hat die Beichte psychologische Bedeutung.
Ein Schuldbekenntnis hat entspannende, entlastende Wirkung. Es wird eine klare Atmosphäre geschaffen. „Solange die Sünde geheim bleibt, breitet sie sich aus, greift sie um sich. Es ist daher von höchster Wichtigkeit, dass sie offenbar werde“.
Die Sünde ist das Geheime schlechthin. Sie sucht sich zu verstecken und zu verbergen, wie wir das an Adam und Eva nach dem Sündenfall wahrnehmen. Erst wer diesen Zwang zum Geheimen in der Sünde erkannt hat, versteht, welche Bedeutung das Aussprechen, das Offenbarwerden und Bekennen der Sünde in der Beichte hat.

Damit sind wir schon bei dem zweiten Gesetz. Dieses Faktum der Flucht ins Geheime ist ein charakteristisches Merkmal der Finsternismacht. Der dämonische Versucher lebt ja immer von dem Geheimnis, das zwischen ihm und uns besteht. Solange es gewisse verschwiegene Dinge in unserer Lebensführung gibt, die kein Mensch wissen darf, solange hat auch der arge Feind über unsere Seele Gewalt. In dem Augenblick aber, wo das Geheimnis ausgesprochen und verraten ist, verliert die Finsternismacht ihren Herrschaftsanspruch über uns.
Die Beichte ist deshalb die Aufkündigung dieses Herrschaftsanspruches, die Gegenaktion gegen das Reich der Finsternis. Weil diese finsteren Mächte zur Abwehr der Beichte alles aufbieten, fällt dem Menschen das lösende Wort so schwer. Beichte ist also ein Ausbruch aus der Gefangenschaft der Civitas Diaboli. Dieses Ausbrechen ist Wirkung der Gnade, darum kann Beichte niemals erzwungen werden, genauso wenig, wie sich Sündenerkenntnis und Buße kommandieren lassen. Erzwungenes führt nur zu Verkrampfungen und Verbiegungen im Seelenleben. Der Seelsorger kann nur dem alleinigen Schrittmacher folgen. Über den Bußbegriff wird hier nicht gesprochen, weil bei echter Beichte echte Sündenerkenntnis und echte Buße vorausgesetzt ist.

c. Die Absage an den Teufel
Mit abrenuntiare, apotássesthai wird ein mit kirchlichen Handlungen verbundenes, mitunter auch ein für sich allein stehendes Gelöbnis bezeichnet, mit welchem der Gelobende sich vom Teufel und dessen Diensten lossagt.
Das Problem der abrenuntiatio (Absage) war in der Geschichte der Taufpraxis von jeher umstritten. Der Schriftbeweis für die Lossagung vom Teufel wird gewöhnlich in Matthäus 25, 41; Johannes 12, 31; Epheser 6, 11-12; 1. Johannes 2, 13; 5, 19 gesehen. Begründet wird der Ritus der abrenuntiatio mit dem Hinweis, dass die heidnischen Täuflinge sich vom Dämonenkult des Heidentums lossagen müssten. Der Götzendienst wird ja im NT als Dämonendienst (1.Korinther 10, 19-20; Offenbarung 9, 20) bezeichnet…
… Luther behält in der Taufliturgie die abrenuntiatio bei. Die lutherischen Agenden folgen seinem Beispiel. In den neueren Agenden stehen die Abrenunziationsfragen in zwei Fassungen. Die Lutherischen im allgemeinen haben mehr die ursprüngliche Fassung: „Entsagst du dem Teufel“ usw.. Die anderen Agenden haben meistens die zweite Fassung mit der abschwächenden Akzentverschiebung: „Entsagst du dem Bösen“ usw.. Einige Länder, z.B. Baden, haben die Abrenunziation nicht.
Bei der Hilfe an okkult Behafteten ist die abrenuntiatio keine dogmengeschichtliche und liturgische, sondern eine seelsorgerliche Frage. In dem Abschnitt über die Beichte wurde gesagt, dass die okkulte Betätigung einen Vertragsschluss mit dem Reich der Finsternis darstellt. Dieser Vertrag muss aufgehoben, annulliert, gelöst werden durch eine bewusste Lossprechung von seiten des okkult Behafteten, nachdem von Jesus Christus schon die objektiven Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind. Während ich in der allgemeinen Seelsorge bisher völlig auf die abrenuntiatio verzichtet habe und es auch weiterhin tun werde, so verzichte ich auf Grund entsprechender Erfahrungen in manchen Fällen nicht mehr ganz auf die abrenuntiatio bei okkult Behafteten.
Es ist die übereinstimmende seelsorgerliche Beobachtung vieler Evangelisten, dass die bewusste Lossprechung von seiten des Behafteten zu einer gewissen Befreiung führt. Der Evangelist Pfarrer Bruns pflegt diese Lossprechung, indem er den okkult Behafteten sagen lässt: „Ich entsage dem Teufel und allem seinem finsteren Wesen und Werken und übergebe mich Dir, dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, und will Dir im Glauben und Gehorsam treu sein bis an mein Ende.“
Die gleiche Auffassung vertritt Dr. Riecker. Er schreibt: „Überall, wo magische oder zauberhafte Handlungen vorgenommen wurden, kann auch ein offizielles Bekenntnis der Loslösung von allen dämonischen Mächten, eine Absage an den Teufel notwendig werden: Ich entsage dem Teufel und allen seinen Werken.“
Die gleiche Haltung hat auch Dekan Hauß, der Leiter des volksmissionarischen Amtes von Baden.
Was bedeutet die abrenuntiatio in der Seelsorge an okkult Behafteten? Die Absage an den Teufel enthält zunächst ein psychologisches Moment. Was bisher „in occulto“, im Verborgenen lag, wird nunmehr durch festen Willensentschluss bewusst verarbeitet. Hier zeigt sich ein Stück psychotherapeutischer Heilmethode, die hier natürlich niemals in die Tiefe des Problems vordringt.
Zweitens vollzieht sich in der Absage an den Teufel eine Entmythologisierung gerade im Gegensinn zu Bultmann. Der Teufel wird seines mythischen Charakters entkleidet und als furchtbare Realität erkannt und genannt.
Kein Gebiet zeigt so drastisch die Unhaltbarkeit der Bultmannschen Theologie wie gerade die Seelsorge an okkult Behafteten. Die Bultmannsche These: „Erledigt ist durch die Kenntnis der Gesetze der Natur der Dämonenglaube“ geht an der Wirklichkeit der Mächte vorbei.
Drittens ist die abrenuntiatio eine offizielle Erklärung vor Zeugen. Sie schafft damit in der congregatio sanctorum das Faktum der öffentlichen Lossagung, der Lostrennung vom Reich der Finsternis.
Ferner hat die abrenuntiatio die gleiche Bedeutung wie die Absage der heidnischen Katechumenen der alten Kirche. Dort wurde die Lostrennung von dem dämonischen Götzenkult vollzogen. Bei der Absage des okkult Behafteten geht es in gleicher Weise um die Lösung vom Teufelskult; denn Magie ist Teufels- und Dämonenkult …

d. Die Absolution
Zur Beichte und Abrenunziation gehört die Absolution. Der Zuspruch der Vergebung durch den Seelsorger an den Beichtenden ist in der Einzelbeichte besonders notwendig, da hier gewöhnlich Sündenerkenntnis und Sündenbekenntnis in ausführlicher Beichte und Einzelangaben konkrete Formen angenommen haben. Ihre biblische Verankerung hat die Absolution zunächst in der Vollmacht Jesu Christi zur Sündenvergebung (Matthäus 9, 6a) und dann als deren Folge in der Schlüsselgewalt, die Jesu Christus Seinen Jüngern und damit Seiner Gemeinde gegeben hat (Matthäus 18, 18-20; Johannes 20, 21-23).
Die Vergebung der Schuld ist der tiefste, tragende Grund, dem der Christ sein Leben verdankt, der zentralste Vorgang in der Seelsorge, der entscheidende Punkt bei der Hilfe an okkult Behafteten. Darum muss hier besonders das Augenmerk darauf gerichtet werden.
Die Absolution steht zwischen zwei Irrwegen: Ihre gesetzliche Verengung oder ihre voreilige Erteilung. Beide Irrwege können bei dem Dienst an okkult Behafteten zu einem Verhängnis führen. Die Absolution ist nicht an die Erfüllung verschiedener vorlaufenden oder nachfolgenden Verpflichtungen geknüpft. Die Absolution ist ein Kernstück des Evangeliums, das nicht durch das Gesetz abgeschwächt werden darf. Riecker schreibt dazu: „Wir wollen in unserer an Charismen, an verwirklichten Gnadengaben so armen Zeit nicht neue Bindungen einführen und die Gnade, die dem Bußfertigen zugesprochen ist, nicht wieder mit Zäunen umgeben.“ Der okkult Behaftete braucht zu seiner schweren Last nicht ein neues Joch, sondern Entlastung.
Diese Erkenntnis schließt allerdings das Extrem des zweiten Missbrauches nicht aus. Ein leichtfertiger Zuspruch, eine voreilige Absolution führt zur falschen Sicherheit und zur Selbsttäuschung. Es handelt sich hier um das Problem, wie und woran man die Berechtigung zur Erteilung der Absolution erkennt. Der Verweigerung der Absolution muss ja die gleiche Auftragsgewissheit zugrunde liegen wie der Erteilung. Thurneysen weist in die gleiche Richtung, wenn er schreibt: „Hier ist es mit dem bloßen Sagen (Zuspruch der Vergebung) nicht getan. Denn gerade hier hängt alles an dem Gesagtbekommen von seiten Gottes selber.“ Um dieses Problem geht es speziell bei dem Hilfsdienst an okkult Behafteten. Es wird nun ganz praktisch gezeigt, wie bei diesem besonderen seelsorgerlichen Dienst vorgegangen werden kann.
Nach der Beichte und eventuell nach der Abrenunziation lese ich mit dem Hilfesuchenden Bibelstellen zur Sündenvergebung, etwa Jeremia 31,34; Matthäus 9,2; 26,28; Johannes 1, 29; Römer 5, 20; Galater 1, 4; Epheser 1, 7; Hebräer 1, 3; 1. Petrus 1, 19; 2, 24; 1. Johannes 1, 7-9; 2, 2. An die Betrachtung dieser Stellen in der besonderen Anwendung für den Beichtenden schließt sich die Frage an: „Kannst du das glauben?“ Diese Frage nach dem Glauben soll nicht bedeuten, dass die Absolution in den Glauben des einen Mannes hineingestellt werden soll, der doch gekommen ist, von außen her Hilfe zu bekommen. Wenn alles von ihm verlangt werden soll, dann ist die seelsorgerliche Hilfe wiederum Gesetz und nicht Evangelium. Diese Frage hat nur den Sinn, festzustellen, ob dieses „Gesagtbekommen von seiten Gottes“ vorliegt.
Wie das „Beichten können“ Gnade Gottes ist, so ist das „Glauben können“ auch gratia und Zeichen, dass die göttliche Absolution schon zugesprochen ist. Wenn der Seelsorger dieses „Glauben können“ merkt, so steht dem Zuspruch der Vergebung nichts entgegen. Dieser einfache seelsorgerliche Fall kommt bei okkulter Behaftung ganz selten vor.
Manchmal ist es so, dass man bei Beichtenden beobachtet, dass nach der Betrachtung der Vergebungsstellen ein ganz kleines Glaubensfünklein zu glimmen beginnt. Da kann der Seelsorger dann getrost handeln. In dem menschlich-seelsorgerlichen „Du“ des Zuspruches: „Dir sind deine Sünden vergeben“ verwirklicht sich das „Du“ des göttlichen Zuspruches, und das glimmende Glaubensfünklein wächst beim Zuspruch zum festen Glauben.
Der Regelfall bei okkulter Behaftung ist allerdings, dass solche Hilfesuchende überhaupt nicht glauben können. Man steht an dieser Stelle einfach vor einem toten Punkt in der Seelsorge an solchen Angefochtenen. Das Beichtgespräch ist damit zunächst festgefahren, weil der Hilfesuchende das Evangelium, die Vergebung seiner Schuld nicht fassen kann. Es ist dadurch dem Seelsorger die Aufgabe gestellt, dem „Stecken-bleiben“ dieses Beicht- und Absolutionsvorganges sachlich richtig und charismatisch zu begegnen. Im einzelnen können dann folgende Punkte zur Behandlung stehen:
Das erste Problem wird ein medizinisches sein. Hat der Beichtende irgendeine Thymopathie, die bestimmte Willens- und Denkhemmungen oder mangelnde Entschluss- und Entscheidungskraft im Gefolge hat? Die Behandlung der medizinischen Frage erübrigt sich, da ihr der Abschnitt über die Differentialdiagnose gewidmet ist.
Die nächste Frage ist die Überlegung, ob der Beichtende allgemein ein schwerfälliger Mensch ist, der zur Erfassung der Vergebung eine besondere Brücke braucht. In solchen Fällen hat sich das Lesen von Vergebungsstellen in der Ichform bewährt. Zum Beispiel liest der Hilfesuchende Jesaja 53, 4-7: „Fürwahr, Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf Sich geladen; wir aber hielten Ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch Er wurde um unserer Übertretungen willen durchbohrt, wegen unserer Missetaten zerschlagen; die Strafe lag auf Ihm, damit wir Frieden hätten, und durch Seine Wunden sind wir geheilt worden. Wir alle gingen in die Irre wie Schafe, jeder wandte sich auf seinen Weg…“ …

Eine weitere Hilfe zur Überwindung des „Stecken-bleibens“ ist der Hinweis auf die Perfecta der Heilstatsachen. In diesem Zusammenhang wird auf Johannes 19, 30 und andere Schriftstellen hingewiesen, in denen von den Perfecta die Rede ist, auch auf die Vocatio, die schon bei der Taufe erfolgt und vollzogen ist… Diese Heilswirklichkeiten werden in unserem Leben durch das bewusste Nehmen und Danken realisiert. Das Lutherwort mag darin Wegweiser sein:
„Denn, ob Christus tausendmal für uns gekreuzigt würde, wäre es umsonst, wenn nicht das Wort Gottes käme und teilte es aus und schenkte mir’s und spräche: ‚Das soll dein sein, nimm und habe.‘ “
Das Nehmen, die Akzeption der Perfecta, lässt sich seelsorgerlich unschwer an folgenden Schriftstellen klarmachen: Lukas 11,10; Johannes 1, 16; 16,24; Epheser 6,17; 1.Tim. 6, 12…


Dieser Vorgang des Nehmens lässt sich dem Hilfesuchenden auch leicht mit drastischen Beispielen aus dem Alltag untermalen. Gern frage ich manchmal scherzhaft den, der nicht glauben kann: „Kann der Russlandheimkehrer in seiner Heimat vor einem reichgedeckten Tisch verhungern?“ Ja, wenn er nicht zugreift. Glauben heißt nichts anderes als die Perfecta: Vergebung, Erlösung, Kindschaft Gottes, Gliedschaft am Leibe Jesu Christi, ewiges Leben, Gewissheit des Heils annehmen und dafür danken. Glauben heißt zugreifen und handeln.

Wenn trotz eines handgreiflichen Angebotes des Evangeliums der Hilfesuchende nicht glauben kann, dann muss nach den weiteren Ursachen geforscht werden. Vielleicht wurde bei der Beichte gerade das Schwerste bewusst verschwiegen; vielleicht sucht der seelisch Kranke nur seine psychischen Anfechtungen loszuwerden, ohne Jesus Christus nachfolgen zu wollen; vielleicht liegen geheime Bindungen vor, mit denen der Hilfesuchende nicht brechen will.

Köberle schreibt dazu: „Wird der Bruch mit der Sünde nicht ganz vollzogen, so geht der Glaube zuletzt verloren.“
Vielleicht hat der Hilfesuchende einen falschen Glaubensbegriff, dass er Gefühlsreaktionen erwartet, statt sich nur auf das Wort Gottes gründen zu wollen. Wenn all diese Gesichtspunkte und noch andere durchgesprochen sind, so ergeben sich manche Anhaltspunkte, deren Bereinigung den toten Punkt überwinden lässt. Wird aber nach dieser Richtung kein besonderer Tatbestand sichtbar, und der Hilfesuchende kann einfach nicht glauben, dann liegt der Verdacht auf jenen hintergründigen Widerstand vor, den wir Resistenz nannten…
Die Praxis der Seelsorge an okkult Behafteten lehrt, dass eine voreilige Absolution hier keine Hilfe, sondern nur neue Anfechtungen zeitigt. Auch tritt bei dem Vergebungszuspruch an okkult Behafteten keine Befreiung ein, solange nicht der Wirrwarr dunkler Verknotungen im Lichte Gottes entwirrt ist.
Vollends ist es unberechtigt, von einem Schema zu reden. Bei aller Freiheit und Vielfalt mannigfacher Seelenführung haben sich bei dieser cura specialis die oben beschriebenen Gesetzmäßigkeiten als Regelfälle in der Praxis gezeigt. Es kann hier nur schrittweise auf kleine Einzelzüge achtend vorgegangen werden. Der Wille zur echten Hilfe, die Angst vor seelsorgerlichen Missgriffen, das Wissen um die Verantwortung, die Scheu und die Achtung vor dem Heiligtum der Seele des Bruders, der seelsorgerlichen Dienst begehrt, erfordern diese Sorgfalt. Trillhaas schreibt dazu: „Wer für diese Verantwortung kein Empfinden hat, soll die Finger davon lassen. Es wird damit zu rechnen sein, dass für das Abnehmen der Beichte und für das Wahrnehmen der Vergebungsvollmacht eine besondere Gnadengabe (Charisma) nötig ist.“

e. Der geistliche Kampf
Die Resistenz ist ein evidentes Symptom der okkulten Behaftung. Sie ist, wie schon angedeutet, in vielen Fällen die causa des toten Punktes beim Beichtgespräch. Der Seelsorger muss bei Vorliegen dieses Befundes seine ganze Kraft für die nun bevorstehende Aufgabe einsetzen. Wenn für diesen Teil des seelsorgerlichen Dienstes der Terminus „geistlicher Kampf“ gewählt wurde, so soll das nicht heißen, dass das Kämpfen und Ringen des Seelsorgers den okkult Behafteten befreien müsste. Hier gilt das Wort aus Psalm 49,8: „Und doch vermag kein Bruder den anderen zu lösen; Er kann Gott das Lösegeld nicht geben.“
Befreiung aus der Gefangenschaft persönlicher oder fremder Mächte gibt es nur durch Jesus Christus. Sein Sieg ist die Voraussetzung des seelsorgerlichen Ringens um den Bruder. Es gibt auf dieser Stufe der cura specialis drei Momente des Helfens: Beten und Fasten, die Fürbitte eines christlichen Kreises, Handauflegung nach Markus 16,18 und die Austreibung.
Der seelsorgerlich-persönliche Einsatz für den Hilfesuchenden findet seinen schönsten Ausdruck im Beten und Fasten als Hilfestellung für den Angefochtenen. Jesus Christus sagte Seinen Jüngern angesichts ihrer Vollmachtlosigkeit einem Kranken gegenüber in Matthäus 17,21: „Aber diese Art fährt nicht aus außer durch Gebet und Fasten“.
Dieser Hilfsdienst bedeutet, dass der Seelsorger in der Bruderschaft zu dem schwer angefochtenen Hilfesuchenden steht und sich mit seinem seelischen Leid solidarisch erklärt. Dieser Dienst in der Stille geschieht viel häufiger, als die christliche Öffentlichkeit davon weiß. Pfr. Schick nennt dieses Gebiet der Seelsorge eines der zentralsten Geheimnisse alles geistlichen Kampfes und Sieges und das tiefste Lebensgesetz der Seelsorge. Die Einzelseelsorge wird bei der cura specialis an okkult Behafteten oft wirksam durch einen Kreis treuer Christen unterstützt, die sich zur Unterstützung des Seelsorgers für den Angefochtenen verantwortlich wissen.
Künkel hat auf psychotherapeutischem Gebiet diesen Gedanken vom Helferkreis – etwa Arzt, Gymnastin, Sportlehrer, Ernährungsfachmann – auch betont. Was die Medizin hier als besondere Erkenntnis herausstellt, ist in noch tieferem Sinn in der Schriftstelle Matthäus 18,19 verankert. In der christlichen Bruderschaft, die sich zur gemeinsamen Fürbitte für den Angefochtenen verbindet, wird Jesus Christus mit Seinen befreienden Kräften offenbar. Was hier geschieht, ist ein Stück Realisierung der Gemeinschaft der Heiligen, von der im dritten Glaubensartikel die Rede ist, eine actio congregationis sanctorum. Wenn in den modernen psychologischen und medizinischen Schulen also vom Helfersystem und von der Gemeinschaft als einer Kraftquelle für den einzelnen gesprochen wird, so ist das eine Erkenntnis, die im Christentum schon zwei Jahrtausende praktiziert wird und in der speziellen seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten in der Gegenwart besonderes Gewicht hat. Es sind mir Fälle bekannt, dass eine Gruppe von nüchternen Christen – nicht von Schwärmern – sich zu Fast- und Gebetszeiten zusammenschloss und erleben durfte, dass schwer Angefochtene frei wurden. Im allgemeinen reden Seelsorger ungern über dieses Gebiet. Wo aus solchen Befreiungen Sensationen gemacht werden, da ist „der Tod im Topf“ (siehe 2. Könige 4, 40). Es wird hier also von allen marktschreierischen Machenschaften sektiererischer oder schwärmerischer Richtungen ausdrücklich Distanz genommen.
Eine weitere Möglichkeit der Hilfe ist die Handauflegung unter Gebet. Das NT kennt die Handauflegung in verschiedenen Formen. Der vorpfingstliche Jüngerkreis erhält von Jesus Christus die Verheißung: „ … Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden.“ (Markus 16,18). Der nachpfingstliche Jüngerkreis legt die Hände zur Mitteilung des Heiligen Geistes auf (Apostelgeschichte 8,18; 9,17; 19,6). Ferner werden Charismata geweckt oder gegeben nicht allein durch Handauflegung des Apostels (2. Timotheus 1,6), sondern auch durch Handauflegung der Ältesten (1. Tim. 4,14). Timotheus erhält ferner von Paulus den seelsorgerlichen Rat, niemand die Hände zu früh aufzulegen.
Für unsere Untersuchung wird Markus 16, 18 und zum Vergleich Jakobus 5, 14 herangezogen. Der árrostos (= aeger, imbellis, infirmus, languidus) ist nicht nur der organisch-physisch Kranke, sondern auch der psychisch Mutlose. Einen ähnlichen Befund ergibt Jakobus 5, 14: „asthenēi tís …“ Asthenéo heißt: Kraftlos, schwach sein, besonders im Blick auf die physische Stärke. Doch kann dieser Terminus auch psychische Schwäche bedeuten.
Diese kleine exegetische Besinnung hat folgenden Sinn. Darf der Seelsorger nur bei physisch Kranken oder auch bei psychisch Kranken unter Handauflegung beten, wenn er darum gebeten wird? Ein Schweizer Evangelistenkreis forderte bei einer Konferenz im Herbst 1952 Zurückhaltung bei seelischen Erkrankungen, sofern sie okkulte Wurzeln haben. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die beiden Schriftstellen oben für diese Einschränkung exegetisch keinen Raum haben.
Allerdings lassen sich vielleicht solche Schlüsse aus der Haltung Jesu Christi ziehen. In den Evangelien fällt auf, dass Jesus Christus bei Besessenen nur gebietet (Matth.17,18; Markus 5,8), während er physisch Kranke auch anrührt (Matthäus 8,15; 9,29; Markus 7,33; 8,23). Dieses Verhalten kann für den seelsorgerlichen Dienst an okkult Behafteten richtungweisend sein. Hier gilt also ganz besonders der Rat des Paulus, niemand zu früh die Hände aufzulegen. Und dennoch darf daraus kein neues Gesetz gemacht werden. Wenn die Not des schwer Angefochtenen uns ans Herz geht, und die innere Freiheit geschenkt wird, dann kann ein solcher Dienst erfolgen. In einigen Fällen übte ich diesen Hilfsdienst aus unter Hinzuziehung von zwei treuen Christen. Riecker bestätigt diesen besonderen Dienst auch. Er schreibt im Zusammenhang mit der Abrenunziation: „Es ist gut, wenn diese Aussage in Gegenwart von einem oder mehreren Freunden als Zeugen gemacht wird. Diese können ihr Gebet mit dem des Hilfesuchenden vereinigen, ihm unter Umständen auch die Hand auflegen.“
Zur Abgrenzung gegen Missbrauch ist zu sagen, dass diese – selten geübte – Handauflegung sich scharf gegen alle magische Gesundbeterei abgrenzt. Es ist ein schmaler, aber scharftrennender Grat zwischen Charisma und Gebetszwängerei, zwischen Pneuma und psychischer Hochspannung, zwischen dem stillen Hilfsdienst in der Verborgenheit und dem marktschreierischen Gebaren der Wunderheiler. Aber, abusus non tollit usum, muss hier wieder gesagt werden.
Die nächste Stufe des Helfens ist der Exorzismus. Da es sich hier um den größten Zankapfel der christlichen Seelsorge handelt, soll er kurz in seiner Entwicklungsgeschichte dargestellt werden, ehe er in seiner Bedeutung in der Seelsorge an okkult Behafteten behandelt wird. Gutes Beispielmaterial von psychiatrischer und christlicher Bedeutung hat Dr. Lechler. Der Exorzismus der bei den Nachfolgern Jesu Christi hat seine Wurzeln in den Austreibungen Jesu Christi und nicht in den religionsgeschichtlichen Parallelen.
Auf religionsgeschichtliche Zusammenhänge weist dagegen der Namenkultus der beschwörenden Skevassöhne hin (Apostelgeschichte 19,14). Judäische Exorzisten gebrauchten zur Austreibung den Namen Jehova und in diesem Fall einmal probeweise den Namen Jesus. Der Versuch war ihnen schlecht bekommen.
Jesus Christus, dessen Kommen den Anbruch der Basileía toū Theoū darstellt, trieb die Teufel aus (Matthäus 12, 27; Markus 1, 27; Lukas 4, 36; 11, 19) und gab Seinen Jüngern die gleiche Vollmacht (Matthäus 10, 1 und 8; Markus 16, 17). Die Frühgemeinde trat in diese Bahnen und exorzisierte die energoūmenoi oder daimonizómenoi. Die Ausübung dieser Tätigkeit war an ein chárisma iamáton geknüpft, dessen Träger exorkístai hießen und bald einen eigenen Stand bildeten. Der Exorzismus fand nicht statt bei Taufkandidaten, die nicht daimonizómenoi waren, aber immer bei heidnischen Proselyten.
Mit dem Zunehmen der Kindertaufe wurde der Exorzismus auf die Kinder übertragen und nun in einem biblisch nicht begründbaren Bedeutungswandel mit der Erbsünde zusammengebracht. Im Taufformular entwickelte sich von dieser Zeit an der Exorzismus in der Koppelung mit Handauflegung, insufflatio oder exsufflatio und apertio aurium mit dem Befehl: Effeta. Im Rituale Romanum trat dann der exorcismus aquae et salis hinzu. 
Luther kürzte dann in seinem Taufbüchlein 1523 die Exorzismen, behielt aber das Hephata bei. In der zweiten Ausgabe 1526 findet sich folgender Exorzismus: „Ich beschwöre dich, du unreiner Geist, bei dem Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes, dass du ausfahrest und weichest von diesem Diener Gottes.“…

Der Rationalismus räumte dann mit dem Exorzismus auf… Von den neueren Dogmatikern wird der Exorzismus als Teil der Taufliturgie verworfen …
Wenn zwar heute als theologisch gesichert angesehen werden darf, dass der Exorzismus in der Taufliturgie keinen Platz hat, so gilt das nicht in der Seelsorge an okkult Behafteten. Es ist ein Teilergebnis dieser Untersuchung, dass es heute bei den weit verbreiteten magischen Praktiken noch daimonizómenoi oder energōūmenoi in verschiedenen Graden des Behaftet-Seins gibt. Es wurde in dieser Untersuchung der Terminus „okkulte Behaftung“ dafür geprägt, kritisch untersucht und bestätigt. Es wurden bisher in diesem Abschnitt drei Arten der seelsorgerlichen Hilfe beschrieben. Die letzte Hilfe ist das Austreiben finsterer Mächte in der von Jesus Christus geschenkten Exousia.
Bei diesem letzten Hilfsdienst muss gesagt werden, dass es der allerseltenste Fall seelsorgerlicher Hilfe ist, der gewöhnlich nur bei Besessenheitsfällen zur Anwendung kommt. Da reine Besessenheitsfälle nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz der okkulten Fälle darstellen, tritt der Exorzismus nicht häufig in Erscheinung. Ferner muss dieser Hilfsdienst unbedingt in der Stille geschehen. Jeder Zug ins Sensationelle bedeutet gerade das Gegenteil der erstrebten Hilfe. Diese Feststellung bedeutet eine Abwehr gegen die veräußerlichten, exorzistischen Schauhandlungen der mittelalterlichen Kirche. Diese Einschränkung bedeutet aber auch eine Abwehr gegen den Pseudoexorzismus mancher christlicher Kreise und vor allem gegen die sektiererischen Richtungen der Gegenwart. Wenn diese Abgrenzungen gegen exorzistische Missbräuche vorgenommen werden, so heißt das natürlich nicht, dass durch die Abwehr das eigentliche Anliegen erstickt werden darf.
Es gibt in der Gegenwart einige Seelsorger, die dem Exorzismus in der Seelsorge an okkult Behafteten eine biblische Beurteilung zuteil werden lassen.
Erich Schick sei erwähnt, der ganz generell zu dieser Frage schreibt: „In der heimischen Christenheit wie auf den Missionsfeldern tritt die Realität und Macht übersinnlicher und übermenschlicher Mächte immer stärker in die Erscheinung. Der Seelsorger ist also wesentlich Exorzist, Teufelsaustreiber.“
Thurneysen gibt zum Exorzismus eine biblisch fundierte Definition: „Hinter der Gefangenschaft des Menschen unter die Sünde sieht die Heilige Schrift ein unsichtbares Reich böser Geister und Gewalten. Aber auch in diesen verborgenen Tiefen wird Gott Meister in Jesus Christus. Wo Vergebung der Sünden ist, da ist Satans Reich zu Ende … Ein Wörtlein kann ihn fällen. Weil die Seelsorge dieses Wort ausrichtet, darum ist ihr Werk zu verstehen als das Werk der Austreibung der Dämonen …“
In der Reihe der Praktiker mag noch Pfr. Bruns zu Wort kommen: „Wo ist der Exorzismus in der Kirche geblieben? Nicht der formelhaft agendarisch gebrauchte, sondern der geistgewirkte Machtspruch, vor dem der Teufel flieht und die Dämonen weichen und durch den in der Welt der Besessenheit mit der Befreiung durch Christus der Friede Gottes einkehrt!“
Einen ganz großen Dienst hat Dr. Lechler als Psychiater und Christ allen Reichgottesarbeitern getan mit den beiden oft zitierten Vorträgen. Er stellt in dem einen über Dämonie und Seelenstörung drei Besessenheitsfälle dar und zeigt, dass sie vom psychiatrischen Standpunkt aus nicht in befriedigender Weise zu erklären waren. Er schließt seine Differentialdiagnose ab mit den Sätzen: „Dass es sich in Anbetracht dieser Sachlage um eine Besessenheit handelte, war mir nun nicht mehr zweifelhaft. Da der Zustand trotz eingehender Seelsorge sich nicht bessern wollte, wurde zur Austreibung geschritten. Es kam dabei mehrmals zu heftigen Kämpfen von mehrstündiger Dauer mit Umsichschlagen, Schreien, Schimpfen, Fluchen, besonders, wenn vom Blut Jesu die Rede war. Dabei bewies sie eine ungewöhnlich große Körperkraft. Plötzlich spürte sie eine Befreiung und konnte gleich darauf loben und danken.“
Bei dieser Austreibung zeigte sich das Phänomen des Paroxysmus nach der Art des im NT berichteten. Einmal erlebte ich selbst den Paroxysmus bei der Heilung und Befreiung eines okkult behafteten jungen Mannes. Es war der Abschluss mehrfacher seelsorgerlicher Beratung von B53. Nach dem Anfall wurde der Mann plötzlich ruhig. Während er vorher noch lästerte, fing er dann zu loben und zu danken an und war damit frei. Bei anderen Fällen ging es nicht dramatisch zu. Im Fall von B65 dachte ich nicht an eine Handauflegung, wurde aber von dem schwer Angefochtenen dringend darum gebeten. Mit innerer Freude erwies ich ihm den Bruderdienst bei der letzten seelsorgerlichen Aussprache. Der junge Mann konnte daraufhin glauben, dass Jesus Christus ihn angenommen hatte. Die Vergebung seiner Schuld war ihm zur Gewissheit geworden. Ein direkter Zuspruch der Absolution war nicht mehr erforderlich, da Christus es unter sichtbaren Zeichen bereits getan hatte. Der bis dahin innerlich zerrissene, depressive junge Mensch „zog seine Straße fröhlich“.
Im Blick auf die seelsorgerliche Hilfe an okkult Behafteten lässt sich im Zusammenhang mit dem Exorzismus aus der Praxis folgendes sagen: Im Exorzismus vollzieht sich ein Nahkampf des Seelsorgers mit den finsteren Mächten. Eine befreiende Hilfeleistung ist nur aus vollmächtiger, charismatischer Seelsorge heraus möglich. Diese Vollmacht ist keine menschliche Qualität, sondern ein entscheidendes Durchbrechen des Heiligen Geistes in der Glaubenstat des Seelsorgers, der mit Jesus Christus ein Geist ist (1. Korinther 6,17). Souveränes Subjekt der lösenden Hilfe ist nie der Seelsorger, sondern Jesus Christus, dessen Realpräsenz im Heiligen Geist Ereignis wird.

f. Die Resistenz des Befreiten
Der Terminus „Resistenz“ in dieser neuen Beziehung bedarf der Klärung. Bei dem Phänomen der okkulten Behaftung stellt die Resistenz die unheimliche Front gegen alles Göttliche dar. Diese Resistenz wird von dem okkult Behafteten manchmal als eine fremde Macht empfunden. Nach der Befreiung ist es unbedingt erforderlich, dass diese dämonische Resistenz eine Umkehr zur pneumatischen Resistenz erfährt. Ein Frontwechsel um 180° ist notwendig! Der okkult Behaftete, der in der militia Diaboli stand, kämpft nun als echter Überläufer in der militia Christi gegen das ehemalige Lager. Es wäre nicht sehr schwer, für diese neue Abwehrfront einen neuen Begriff zu wählen, doch wird der alte Begriff beibehalten, weil es sich um parallele Vorgänge mit entgegengesetzten Vorzeichen handelt. Wenn für diesen Terminus in der neuen Bedeutung eine Schriftstelle genannt werden soll, so kommt Epheser 6,13 in Frage: „Daher ergreift den Harnisch Gottes, damit ihr am bösen Tage Widerstand leisten könnt.“
Dieses Wort stammt aus dem Abschnitt, in dem Paulus von der Finsternismacht der bösen Geister unter dem Himmel spricht und deshalb zum Anlegen der Waffenrüstung mahnt. Diese Mahnung des Apostels entspricht keiner leeren Theorie, sondern einer seelsorgerlich erfahrenen und glaubensmäßig erkannten Wirklichkeit. Die actio resistendi ist die notwendige Folge der Abrenunziation und des Exorzismus. Das wird auch an dem Jesuswort in Matthäus 12, 43-45 deutlich. Der ausgefahrene Geist will zurückkehren, und wenn das gelingt, so wird es mit dem Menschen schlimmer, als es zuvor war. Stauffer schreibt dazu: „Das Ringen mit den Dämonen der Geschichte ist ein Kampf mit der Hydra. Eine Vielzahl neuer Köpfe droht an der Stelle des abgehauenen Kopfes emporzuschießen.“
Es handelt sich nun um die Frage, wie dieser Abwehrkampf nach der Befreiung geführt wird. Grundsätzlich ist vorauszuschicken, dass der Mensch von sich aus immer auf einem verlorenen Posten steht. Keiner kann den Kampf von sich aus führen. Ferner ist zu konstatieren, dass die Schlacht seit Golgatha und der Auferstehung schon geschlagen und gewonnen ist. So stellt sich dieser Kampf als das Faktum dar, dass der Mensch durch seine Hingabe an Jesus Christus mit in die Tat von Golgatha und der Auferstehung hineingenommen wird. Das heißt, der Mensch erlebt in seiner Koinonia mit Jesus Christus den Vorgang des Mitsterbens und des Mitauferstehens, das Geheimnis eines Lebens mit Christus. Paulus hat diesen Tatbestand in Römer 6 und Kolosser 2 dargestellt und auf die Taufe bezogen. Der Christ, der zur kaine ktisis (Neue Schöpfung) erneuert ist, ist mit Jesus Christus gekreuzigt, gestorben, auferweckt, zum Leben gebracht, in den Himmel versetzt und mit Ihm Erbe geworden. Es entspricht dieser inneren Linie, dass der Christ in der Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus auch Sieger ist, der, „als Er die Herrschaften und Gewalten entwaffnet hatte, sie öffentlich an den Pranger stellte und an demselben über sie triumphierte.“ (Kolosser 2, 15)
Der Christ steht mit Jesus Christus auf Siegesboden, darum hat der Abwehrkampf des Befreiten von vornherein ein positives Vorzeichen. Die Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus ist die Gewähr, dass der Befreite in den Nachhutgefechten bewahrt bleibt. Die wichtigste Waffe in diesem Kampf ist das Wort Gottes. Gerade die Seelsorge an okkult Behafteten lehrt mit instruktiver Deutlichkeit, dass nicht Gefühlsstürme den Kampf bestehen lassen, sondern das Bauen und Trauen auf das Wort Gottes. Paulus nennt das Wort Gottes das Schwert des Geistes, mit dem der Angefochtene den Kampf bestehen kann. Der Seelsorger hat darum das Amt der Verwaltung des Wortes und den Auftrag, den Beichtenden ins Wort Gottes hineinzuführen. In der Praxis mache ich es sehr oft so, dass ich zunächst dem Hilfesuchenden nach der Aussprache eine Anleitung zum Bibellesen gebe. In besonderen Fällen schreibe ich einen kleinen Leseplan auf, den ich zusammen mit dem Hilfesuchenden lese. Die Gemeinsamkeit stärkt den Angefochtenen zum treuen Lesen. Außer dieser generellen Hinführung zum Wort ist es wichtig, dass der aus okkulter Behaftung Befreite die Waffe des Wortes Gottes zunächst einmal zu seinem persönlichen Schutz führen lernt. Das ist kein individualistisches Ziel, sondern nur ein elementares Gebot der Abwehr der Mächte, denen er früher verknechtet war.
Zu dieser Waffenführung gehört die Einprägung von besonderen Kernworten, die der Befreite bei wiedereintretenden Anfechtungen betet, z.B.: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ (Psalm 139, 5);
„ … und Ich selbst, spricht der HERR, will eine feurige Mauer um es her sein und Herrlichkeit in seiner Mitte.“ (Sacharja 2, 9); ferner 5. Mose 31, 6; Josua 1, 9; Psalm 91, 1-2; Jesaja 41,10; Matthäus 28,20; Psalm 23 usw…
Es erweist sich bei solchem Abwehrkampf, dass das Wort Gottes ein Mittel ist, die Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus zu verwirklichen, ferner aber auch die Verteidigungswaffe, die eine von der Herrschaft der Dämonen und dieses Äons befreiende Wirkung hat. Es sind besonders zwei Anwendungsformen des Wortes Gottes, die sich bei dieser Abwehr des Befreiten bewährt haben:
Erstens das im Glauben vergegenwärtigte Perfectum der Erlösung und zweitens das Gebieten im Namen Jesu Christ auf Grund Seines Sieges. Um es noch deutlicher zu machen. Ich lese mit dem Befreiten Bibelstellen, die vom Blut Jesu Christi als dem wirkungskräftigen Zeichen und Sinnbild der Erlösung handeln, z.B.:
1. Petrus 1, 2: „ … zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi: …“
1. Petrus 1, 19: „ … (losgekauft) mit dem kostbaren Blut des Christus …“
1. Johannes 1, 7: „ … das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“
Hebräer 10, 22: „ … durch Besprengung der Herzen …“
Hebräer 12, 24: „ … ihr seid gekommen zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes u. zu dem Blut der Besprengung, …“
Offenbarung 1, 5: „ … Ihm,  der uns geliebt hat und uns von unseren Sünden gewaschen hat durch sein Blut.“
Die Beschäftigung mit solchen Stellen, die Formulierung solcher Worte zu einem Gebet hat die Bedeutung der Vergegenwärtigung der Erlösung im Glauben. Stauffer sagt in seiner Theologie des N.T.: „Das Blut des Crucifixus ist das Remedium (Heilmittel), das dem Hydrakampf ein Ende macht.“ Das Gebet über solche Stellen bringt die freimachende und bewahrende Kraft des Opfertodes Jesu Christi in unser Leben.
Selbstverständlich muss auch hier wieder die Grenzlinie gegen alle Blutsmystik und Blutsschwärmerei gesehen und scharf beachtet werden. Doch darf die Angst vor Schwärmerei und Sektiererei nicht dazu führen, dass wir Kraftquellen des Wortes ungenutzt und unser Glaubensleben verkümmern lassen.
Eine weitere Abwehrform gegen sich wiederholende Anfechtungen ist das Gebieten im Namen Jesu Christi. In der allgemeinen Seelsorge weise ich Beichtende nicht auf diese Form der Hilfe hin. Bei schwerer okkulter Behaftung wird nach der Befreiung, wenn die Hydra wieder ihr Haupt erhebt, das Gebieten („im Namen Jesu Christi gebiete ich euch Finsternismächte zu weichen“) zu einer wirksamen Abwehrwaffe. Die Jünger Jesu übten das Gebieten nach dem Wort ihres Meisters.
Jesus Christus selbst gebot in der Anfechtung dem Widersacher „Weiche, Satan!“ (Matth.4,10). Paulus wehrte sich damit in Philippi gegen die Bedrohung seines Dienstes. Männer wie Blumhardt, Seitz und andere halfen sich damit in schweren seelsorgerlichen Kämpfen. Dem ursprünglich okkult Behafteten, der sich völlig Jesus Christus ausgeliefert hat, darf diese letzte Abwehrwaffe nicht verwehrt werden, wenn er im Glauben die innere Freiheit dazu hat. Es ist interessant, dass andere Seelsorger und Evangelisten aus dem Wort Gottes und aus der Praxis heraus zu gleichen Ergebnissen gekommen sind. Der Leiter des volksmissionarischen Amtes in Baden, Dekan Hauß, erzählte mir, dass er bei der Fürbitte für ein okkult angefochtenes Ehepaar in der Nacht unheimliche Anfechtungen erlebte. Als er im Namen Jesu Christi gebot, wich diese Finsternismacht. Schweizerische Evangelisten erklärten bei einer Konferenz in Männedorf, dass sie diese beiden oben geschilderten Anwendungsformen des Wortes Gottes genauso üben, wie es hier dargestellt wurde. So sind Reichgottesarbeiter aus verschiedenen Kreisen und Völkern in gleicher Weise geführt worden …
… In der allgemeinen Seelsorge kommt man mit den in Apostelgeschichte 2, 42 genannten Gnadenmitteln – Wort Gottes, Lehre, Gemeinschaft, Brotbrechen (Abendmahl), Gebet – als den Mitteln zur Verwirklichung der Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus aus… Nach dem Wort Gottes ist als zweite Stärkung in dem Abwehrkampf des Befreiten … die Gemeinschaft, die congregatio sanctorum, zu nennen. Bei „kirchlich“ uninteressierten Leuten hört man bei Einladungen zum Gottesdienst das geflügelte Wort: „Kirchgang macht nicht selig.“ Dieses Wort verrät die Unkenntnis des organischen Gefüges des Leibes Jesu Christi. Das Glied, das vom Leibe getrennt wird, stirbt ab. Die Kohle, die aus dem Feuer genommen wird, verlöscht nach und nach. Isolation innerhalb der Gemeinde bzw. des Leibes Jesu Christi führt oft zum geistlichen Tod. Wenn der Schreiber des Hebräerbriefes mahnt, „(seine) eigene Versammlung nicht zu verlassen, wie es einige zu tun pflegen, …“ (Hebr.10, 25), so weist er sich mit dieser Ermahnungsrede als Seelsorger aus. Der aus okkulter Anfechtung Befreite muss treu in der congregatio sanctorum stehen, um dort an den Kraftstrom angeschlossen zu sein, der vom Haupt der Gemeinde auf alle Glieder fließt.
Die Erfahrung der Seelsorge lehrt, dass zur wirksamen Resistenz der Befreiten normaler Gottesdienstbesuch im allgemeinen nie genügen wird. Es wird deshalb die Bildung von Kleinkreisen treuer Christen befürwortet, die als Sauerteig in der großen Versammlung wirken und seelsorgerliche Nacharbeit übernehmen können. Einmal übergab ich nach einer Evangelisation eine okkult schwer angefochtene Frau einem solchen Kreis zur weiteren Betreuung. Ein ganzes Jahr trug dieser Kreis in der Fürbitte die Angefochtene durch, bis sie ganz frei war. Solche Kreise sind Kraftstationen, in denen ein aus okkulter Behaftung Befreiter zum Widerstand den Rücken gestärkt bekommt. Die Kleinkreise haben also sowohl im Befreiungskampf, wie oben dargestellt wurde, als auch im Abwehrkampf ihre seelsorgerliche Bedeutung. …
Die nächste Hilfe für die pneumatische Resistenz des Befreiten ist das Abendmahl. Emil Brunner nennt diese Praktiken die Klammern, die der Herr seinem Bau mitgab, um ihn vor dem Zerfallen zu schützen. Der aus okkulter Behaftung Befreite braucht diese Klammern, die ihn mit Jesus Christus und seiner örtlichen Versammlung fest verbinden.
Wenn wir kurz über das Wesen des Abendmahls unter dem seelsorgerlichen Aspekt unserer Untersuchung nachdenken, so kann diese Besinnung nach den von Prof. Hahn gegebenen Perspektiven erfolgen. Hahn stellt eine dreifache Bedeutung des Abendmahles heraus.
„Erstens ist im Abendmahl der neue eschatologische Bund mit Gott, der die Erfüllung der alttestamentlichen Heilsgeschichte ist, gesetzt. Dieser Bund ist nur in diesem Blute Wirklichkeit, d. h. im Kreuzesgeschehen Jesu Christi. Es ist das auf Golgatha vergossene Blut Jesu Christi, um dessentwillen und in dem der Neue Bund seine Wirklichkeit hat. Dieses Blut hat auch die andere Aufgabe des Passahblutes: Es ist Schutz gegen den Würgeengel, gegen die Dämonenherrschaft. Wer an diesem Blut Anteil hat, ist gegen die Machtwirkung der Dämonen gedeckt, wenn auch nicht in magischer Weise, sondern im jeweiligen neuen Ergreifen der im Blut Christi geschenkten eschatologischen Möglichkeit. Als drittes dem Passahblut entsprechendes Moment tritt die an diesem Blut haftende Verheißung für die Zukunft hinzu: Das Blut ist die Versicherung der Teilhabe am Gelobten Land, an der Parusie.“
Diese Darlegungen können sich nicht besser in den Rahmen unserer Untersuchung einfügen. Im Abendmahl wird der aus okkulter Behaftung Befreite in das Christusgeschehen einbezogen. Der Befreite erlebt unter sichtbaren Zeichen die Gemeinschaft mit Leib und Blut Christi, die Einverleibung in die Gemeinde Christi, die Realisierung der Gliedschaft in der Basileia und damit die Stärkung seiner pneumatischen Resistenz gegen dämonische Einflüsse und Anfechtungen. Das Abendmahl ist ein Brennpunkt der Reichgottesdynamik, in dem das Heraustreten aus der Civitas Diaboli und das Hineintreten in die Civitas Dei dem Angefochtenen und dem Befreiten zum Ereignis wird. Darum empfehle ich dem aus okkulter Behaftung Befreiten den häufigen Abendmahlsbesuch.
Als weiteres Mittel zur Stärkung der pneumatischen Resistenz des Befreiten wäre das persönliche Gebetsleben zu nennen, das die Bitte „Veni creator spiritus“ zu einem täglichen Anliegen macht. Wie das Wesen der Besessenheit die Innewohnung von Dämonen ist, so ist das Wesen des gennethēnai ánothen (Joh. 3,3) die Innewohnung des Heiligen Geistes (Joh.14,23). Die Realisierung der Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus, des „in-Christus-sein“, (2.Kor.5,17) ist nur durch den Heiligen Geist möglich (1. Kor.12,3
Zusammenfassend lässt sich von der seelsorgerlichen Praxis her das Wesen der Resistenz in folgender Weise charakterisieren: Im Exorzismus hat sich durch das Auftreffen des Heiligen Geistes bei dem okkult Behafteten und Befreiten ein Herrschaftswechsel vollzogen. Dem Freiwerden folgt das Freibleiben als ein dauerndes Stehen unter der Christusmächtigkeit, deren Wirklichkeit im Wort Gottes, in der Ekklesia, im Abendmahl, im Glaubens- und Gebetsleben erfahren wird. In der akuten Abwehr der Nachhutgefechte des finsteren Widersachers erweist sich die Zuflucht unter das Blut Jesu Christi als das Zeichen des vollkommenen Sieges am Kreuz und das Gebieten im Namen Jesu Christi als wirksame Verteidigung bei der Resistenz des Befreiten.
Die Befreiung aus okkulter Behaftung erweist sich als ein Spezialproblem der Seelsorge mit folgenden Stationen des Beichtgespräches: Differentialdiagnose, confessio (Sünden-Glaubensbekenntnis), abrenuntiatio, Absolution, Exorzismus, pneumatische Resistenz. Der Dienst an okkult Angefochtenen kann nur aus gründlicher Sachkenntnis und mit charismatischer Ausrüstung erfolgen. Damit ist angezeigt, dass die Befreiung des okkult Behafteten nicht die Frucht seelsorgerlichen Ringens, sondern eine Tat Jesu Christi ist. Eine Befreiung des Angefochtenen erfolgt daher nur über die Verwirklichung der Gleichzeitigkeit – der Koinonia – des okkult Behafteten mit Jesus Christus.

Welche Perspektiven ergeben sich aus dieser Untersuchung für den Seelsorger an okkult Behafteten?

Eine Frage löst der Einwand aus, warum manche Seelsorger wenig mit okkult Behafteten zu tun haben. Das mag verschiedene Gründe haben: Geringe Sachkenntnis, Nichtbeachtung und das Nicht-ernst-nehmen dieses Problems, geringe Seelsorgetätigkeit, apriorische Ablehnung usw.. Der wesentliche Punkt wird die von Gott geschenkte Lebensführung sein. Es gibt vom NT her verschiedene Gaben und Ämter. Jeder Christ hat sozusagen seine Platzanweisung. Jeder hat seinen besonderen Auftrag, den er treu erfüllen soll. Wem Gott das Charisma der Geisterunterscheidung (1.Kor.12,10) gegeben hat, der hat zu dieser Gabe die Aufgabe, sich mit allen wissenschaftlichen Hilfsmitteln in das Gebiet der Differentialdiagnostik einzuarbeiten.
Die Kompliziertheit der mancherlei seelischen Erkrankungen im Zusammenhang mit okkulter Betätigung macht die Notwendigkeit einer klaren Diagnostik deutlich.
Eine der brennendsten Fragen ist die Bedeutung von Gesetz und Evangelium in der Seelsorge an okkult Behafteten. Hier liegt ein entscheidender Prüfstein, ob ein Seelsorger dem Hilfsdienst an okkult Behafteten gewachsen ist oder nicht. Gesetz und Evangelium haben in der cura specialis ihren bestimmten Ort. Jede Verwechslung, jede Vermischung wirkt sich in diesem schwierigsten Gebiet der Seelsorge verhängnisvoll aus.
Das Gesetz hat hier nur seine Berechtigung in der Diagnose, in der es darum geht, die okkulten Zusammenhänge aufzudecken. Die Verkündigung des Gesetzes hat das Ziel, dem okkulten Praktiker zu zeigen, dass er sich mit seinem okkulten Treiben, ganz gleich ob aktiver oder passiver Art, durch Übertretung des ersten und zweiten Gebotes außergöttlichen Mächten verschrieben hat und unter dem Gericht Gottes steht. Es handelt sich hier um den usus elenchthicus des Gesetzes, durch den der okkult Behaftete seiner Sünde überführt werden soll. Damit ist die Verkündigung des Gesetzes in der Seelsorge an okkult Behafteten abgeschlossen.
Nun hat im Beichtgespräch mit dem okkult Behafteten uneingeschränkt das Evangelium das Wort. Dem Angefochtenen ist das Wort von der Vergebung und Erlösung auszurichten im Sinne von Epheser 1, 7: „In Ihm (Jesus Christus) haben wir die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Übertretungen nach dem Reichtum seiner Gnade, …“.
Eine pharisäische, gesetzlich-dränglerische Seelsorge hat beim Hilfsdienst an okkult Behafteten keinen Raum. Der seelisch Angefochtene ist gewöhnlich so zerschlagen, so zermürbt, dass ihn eine gesetzliche Seelsorge nur tiefer in die Verzweiflung hineintreibt. Jede Verteufelung des Angefochtenen, und seien auch schwerste dämonische Bindungen da, ist eine Verleugnung des Evangeliums.
Wenn im ersten Teil der Aussprache der Zustand hypò krísin erkannt ist, dann hat jede weitere Beschwernis im Zuspruch der Vergebung keinen Raum mehr. Wo die Sünde genannt, erkannt und bereut ist, gilt allein der Trost des Evangeliums. Jesu Christi Seelsorge am Gichtbrüchigen, an der großen Sünderin, an Zachäus ist dafür maßgebend. Hier gilt nur ein Imperativ: „Komm, es ist alles bereit, nimm, iss, trink. Es gehört dir!“
In diesem Sinn, als Imperativ und Hilfe zur Annahme des Evangeliums, wollen alle Abschnitte dieser Untersuchung verstanden werden.
Das Gesetz zeigt uns, was wir angerichtet haben, das Evangelium zeigt uns, was Gott „angerichtet“ hat. Dieser Unterschied darf in der Seelsorge nicht aufgehoben werden. …
Wenn nun im Blick auf die Seelsorge an okkult Behafteten das Verhältnis von Gesetz und Evangelium bestimmt werden soll, so ist folgendes zu sagen:
Wer in der Seelsorge an okkult Behafteten nur eine Beschwichtigungs- und Beruhigungstherapie anwendet, nivelliert die Bedeutung des Gesetzes, deckt nicht die Tiefen der Schuldzusammenhänge okkulter Betätigung auf und verflacht damit auch das Evangelium; denn wo keine Schuld ist, ist das Evangelium gegenstandslos.
Man kommt bei diesem schwierigen Hilfsdienst ohne das Gesetz Gottes nicht aus, da sonst der okkult Behaftete seine seelische Not auf die Ebene der medizinisch diagnostizierbaren Gemütskrankheiten schiebt und sich damit einen Schlupfwinkel vor Gottes Zugriff schafft. Das Gesetz darf vom Evangelium nicht getrennt werden. 

Die zweite Aussage bezieht sich auf die Reinhaltung des Evangeliums. Das Evangelium ist keine nova lex, deren Erfüllung dem okkult Angefochtenen Befreiung bringen soll. Nein, hier ist alles auf Gottes Tat in Jesus Christus gestellt. Jedes Hineintragen von Bedingungen, denen zuvor genügt werden muss, stellt eine Verwässerung, Vermischung, Vergesetzlichung des Evangeliums dar.
Der Seelsorger muss eine heilige Furcht davor haben, nicht das Evangelium durch das Gesetz zu verfälschen. Nicht der geistliche Kampf des Seelsorgers, nicht die pneumatische Resistenz des Angefochtenen führt zur Befreiung oder erhält im Frei-sein, sondern allein Jesus Christus. …

Jesus Christus – das Ende der Dämonen
Nicht der Nachweis dämonischer Bindungen und der Besessenheit ist das Ziel dieser Untersuchung, sondern die Verkündigung ihrer Überwindung und Heilung. Wo das seltene Phänomen der Besessenheit als äußerste Manifestation der dunklen Herrschaft des Bösen tatsächlich auftaucht, da ist die Botschaft von der Befreiung dagegenzusetzen. Seit Golgatha und der Auferstehung ist Satans Macht nur eine Scheinmacht. In Wirklichkeit sind in Jesus Christus alle Dämonen schon besiegt. Der Sohn Gottes hat die Bollwerke der Finsternis gesprengt (1. Joh. 3, 8).
Diese Siegesbotschaft ist in der Seelsorge dem okkult Behafteten zu überbringen. Sie bedeutet dem Angefochtenen die Teilhabe an dem Sieg, die Sprengung der Gefängnistore seelischer Leiden. Diese Siegesnachricht ist das Ende der Zwingherrschaft Satans, da der Christus Gottes der Kyrios und der Heiland der Welt ist!

Die Internetfassung von Seelsorge und Okkultismus wurde von mir gekürzt. Die ungekürzte Fassung kann als PDF angefordert werden. – Horst Koch, Herborn, im Juli 2006

info@horst-koch.de

 




Drogenepidemie (Wilder-Smith)

Prof. Dr. mult. A. E. Wilder-Smith
Dr. O.H.G. Wilder-Smith  

URSACHE UND BEHANDLUNG DER DROGENEPIDEMIE

 

– Geringfügige Kürzungen wurden von mir vorgenommen.
Horst Koch, Herborn, im
Januar 2012 –

 

Inhalt

Kapitel I

1. Die Drogenkultur und die Gesellschaftsentfremdung
2. Psychedelische Drogen
3. Die Wirkung von Marihuana im Militärleben
4. Establishment-Drogen
5. Der Trend zu psychedelischen Drogen
6. Natürlich veränderter Bewußtseinszustand

Kapitel II

1. Pharmakologische Überlegungen in bezug auf den Drogen-Mißbrauch
2. Der gegenwärtige Drogenmißbrauch
3. Verschiedene Drogenarten
4. Kokain
5. Heroin                       

Kapitel III

Drogen-Abhängigkeit und Entzug

 

Kapitel IV

1. Tranquilizer und die moderne mechanisierte Gesellschaft                       
2. Die meisten Drogenwirkungen können ohne Hilfe von Drogen erzeugt werden …                       
3. Andere Tranquilizer (Valium, Librium, Meprobamat etc.)..           
4. Entzug und Behandlung                       

Kapitel V

1. Allgemeine Überlegungen  

2. Wirkungsweisen der psychedelischen Drogen           
3. Halluzination           
4. Der Mechanismus des Bewußtseins           
5. Alle fünf Sinne stehen miteinander im Wettstreit
6. ESP (=außersinnliche Wahrnehmung)           
7. Das «Recall Syndrom» oder das «Flash-back»           

Kapitel VI

1. Arten von Halluzinationen (Vision, Trance oder Trip)           
2. Der Mechanismus der Halluzination
3. Natürliche Halluzination durch Sinnesentzug           
4. Die Schärfe des Leidens und das Abstumpfen           
5. Die Märtyrervision           

Kapitel VII

1. Ursache und Behandlung der Drogenepidemie           

2. Die Chemie des Denkens           
3. Drogen und Visionen
4. Die Sinne sind sowohl utilitaristisch als auch hedonistisch (nützlich und lustbezogen)
5. Hauptthese über die Ursachen der psychedelischen Drogenepidemie           
6. Die Behandlung der Drogenepidemie
7. Praktische Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogenepidemie      
    

Vorwort

Das Problem des Drogen-Abusus ist hoch komplex und dazu in der westlichen Kultur weit verbreitet. Es ist in der ganzen Welt das Problem Nr. 1 der Natokräfte, ganz zu schweigen über das Problem der Universitäten und anderer Institutionen, die vorwiegend mit der jüngeren Generation umgehen. Die Natokräfte haben unermeßlich kostspielige Programme aufgestellt, um den Drogen-Mißbrauch zu steuern. Ganze Militärstützpunkte werden regelmäßig mit Hilfe von Spezialisten und Polizeihunden nach Drogen durchsucht, in dem Versuch, den Drogen Abusus unter Kontrolle zu bringen. Am Anfang versuchten die Autoritäten, die Leute mit Abschreckmethoden von den Drogen abzubringen. Die «Experten», die oft wenig Information erster Hand über dieses Thema besaßen, erzählten Geschichten, daß einem die Haare zu Berge standen. Sie wiederholten diese so oft, bis sie sie am Ende selbst glaubten. Jedoch zeigt diese Taktik nicht viel Erfolg, wie die Assoziation zwischen Lungenkrebs und Zigarettenrauchen erwiesen hat, obgleich das Abschrecken wohl begründet sein mag. Dem stillen Haschisch-Raucher z.B. waren diese propagierten Schrecken fremd.

Nach den Abschreckmethoden gebrauchte man Drohungen – brutale Strafen für den Besitz kleiner Marihuanamengen wurden angedroht und durchgeführt. Aber auch die Drohungen wirkten nicht. Hunderte von Leuten, meist Jugendliche, sperrte man wegen des Besitzes dieser Drogen lange Zeitperioden ins Gefängnis. Das Gesetz und seine Drohungen lösten das Problem nicht. Daraufhin versuchte man es mit Amnestie. Wenn sich ein Militärangehöriger selbst meldet und um Hilfe bezüglich Drogenmißbrauch bittet, garantiert man ihm Erlassung der Strafe. Trotzdem ist natürlich eine gewisse Diskriminierung ihm gegenüber unvermeidbar, denn er kann bestimmte Arbeiten nicht ausführen, wenn er LSD und ähnliche Drogen eingenommen hat. So wird die Amnestie oft dahin führen, daß er Böden kehren muß, anstatt in seinem ausgebildeten Beruf arbeiten zu können.

Dazu kommt das schwerste aller Probleme – der Alkohol, der den Menschen immer unfähiger macht, seinen Beruf auszuüben; der die Unfallsrate erhöht, Familien zerbricht und Persönlichkeitsveränderung mit sich bringt. Die Alkohol-Droge ist legal, obgleich für einige gefährlich. Aber andere Drogen, manchmal gefährlicher, manchmal ungefährlicher, sind durchaus ungesetzlich. Der Konsument der illegalen Droge empfindet es bitter, daß der Oberst des Establishments seine besondere Lieblingsdroge (potentiell gefährlich) wie Alkohol oder Nikotin genießen darf, während er (der Konsument der verbannten Droge) es nicht darf. Diese Tatsache führt natürlich zu Entfremdungen, was in jeder hoch integrierten Gesellschaft negative Auswirkungen hat.

Es ist klar, daß wir hier ein pharmakologisches Problem vor uns haben, jedoch eins, das unentwirrbar vermischt ist mit menschlichen und psychologischen Komplikationen. Das ganze Problem des Drogen-Mißbrauch ist tatsächlich fast hoffnungslos kompliziert. 

 

Kapitel I.

Die Drogenkultur und die Gesellschaftsentfremdung

Wir alle wissen, daß die westliche Gesellschaft durch eine nie dagewesene Drogenkultur hindurchgeht. Aber kaum jemand scheint imstande zu sein, einen zusammenhängenden Bericht der konkreten Gründe zu geben, die so plötzlich zu Drogen führen; denn Drogen fast aller Arten, einschließlich der psychedelischen, sind beinahe so alt wie der Mensch selbst. Und doch ist erst vor kurzem die westliche Wohlstandsgesellschaft zu einem Treibhaus für das epidemische Emporschießen von psychedelischen und anderen Drogenkulturen geworden.

Wir wissen, daß Cannabis (eine psychedelische Droge) in altertümlichen und modernen Gesellschaften, besonders im Orient, gebraucht wurde. Wir haben auch nicht vergessen, daß das ernsthafteste Drogenproblem des Westens immer noch Alkohol ist. Sowohl Opium (Opiate) als auch Haschisch (Psychedelika) waren in den alten chinesischen Kulturen volkstümlich. Cannabispräparate sind im früheren und heutigen Indien so populär wie Tee in England. Wir erinnern uns auch daran, daß schon lange Zeit in den großen Städten des Westens gewohnheitsmäßige Heroin- und Kokainkonsumenten existierten. Meskalin und ähnliche Drogen (Psychedelika) spielen immer noch eine wesentliche Rolle im religiösen Leben gewisser amerikanischer Indianerstämme und sind von der amerikanischen Regierung für diesen Zweck offiziell erlaubt. Die Eingeborenen der Anden kauen Cocablätter (Kokain, Erythroxylon) als Anti-Ermüdungsdroge in der gleichen Weise, wie ein Mensch des Westens eine Amphetamintablette schluckt. Jedoch sind spezifische psychedelische Drogen relative Neulinge für die westliche Kultur. Genau das ist der neue und auffallende Faktor im Drogen-Abusus des Westens.

1. Psychedelische Drogen

 

Die westliche Kultur hat sich bis vor kurzem (im Gegensatz zu gewissen orientalischen Kulturen) zu einem nie dagewesenen Grad von Komplexität und Wohlstand entwickelt, ohne daß der Gebrauch von psychedelischen Drogen eine wesentliche Rolle darin gespielt hätte. Wiederum wollen wir nicht vergessen, daß Alkohol und Nikotin längst ein Teil der westlichen Kultur geworden sind, aber keins von beiden ist psychedelischer Natur.

Die westliche Kultur entwickelte sich durchaus ohne den Gebrauch von Psychedelika. Tatsächlich ist der Westen für
kulturelle und soziale Zwecke ganz gut ohne Drogengebrauch fertig geworden außer Nikotin- und
Alkoholgebrauch. Seine Medizin hat praktisch alles, was es gibt, an aktiven Substanzen für Drogenzwecke benutzt, vielleicht sogar mehr als jegliche frühere Kultur. Aber im allgemeinen bediente sich die westliche Kultur
fast keiner spezifisch psychedelischen Drogen für nicht medikamentöse Zwecke. Und in diesem Punkt hat sie
sich von vielen orientalischen Kulturen und Religionen unterschieden. Allgemein gesprochen betrachtet das Establishment im Westen den kulturellen und gesellschaftlichen Gebrauch von Drogen (ausgenommen Nikotin und Alkohol), geschweige denn den religiösen Gebrauch derselben, als ziemlich primitiv, abstoßend und vielleicht auch dekadent. Viele sehen solch einen Drogen-Mißbrauch als eine Rückkehr zu primitiven, orientalischen Gebräuchen der Eingeborenen an und prophezeien als Resultat den Untergang der modernen westlichen Kultur. Das westliche
Establishment fühlt sich durch das neue Phänomen sichtbar bedroht. Tatsächlich nimmt man die Bedrohung der
eigenen Ordnung so ernst, daß ein Netz weitverbreiteter internationaler Polizeiüberwachung ausgebreitet worden
ist, das jährlich Millionen von Dollar kostet und durchgeführt wird in dem Versuch, der Drogensubkultur Einhalt
zu gebieten, indem man die Zufuhr abschneidet, von der der Drogenkonsum abhängig ist. Und trotzdem hatte 1980 etwa die Hälfte aller amerikanischen Studenten persönliche Erfahrung mit wenigstens den milden Psychedelika Marihuana oder Haschisch gehabt. Eine große Anzahl genoß es regelmäßig, trotz der ernsthaften Komplikationen, die von Seiten des Gesetzes immer noch daraus erwachsen können.

Die Drogenkultur in Europa ist derzeit (1984) höchst aktiv, obwohl sie in den USA zurückgeht. Aus welchem Grund fühlt sich die Gesellschaft so bedroht durch diese neue epidemische psychedelische Drogenkultur, wenn ihr eigenes Alkoholproblem gleichzeitig schlimmer ist? Es bestehen natürlich viele gute Gründe dafür. Einer davon ist, daß der Mensch oft das fürchtet, was er nicht versteht. Der Mangel an Verständnis dafür, was für eine Bedeutung unsere, für die westliche Kultur, neue psychedelische Drogenepidemie hat, bezeugt durch den bei uns weitverbreiteten Gebrauch der verhältnismäßig neuen Gesellschaftsdroge Marihuana, spielt sicher eine Rolle in der Erzeugung von Angst, die sich gegenwärtig vielerorts zeigen. Und dies bezeugen auch die drastischen Maßnahmen, die dagegen ausgearbeitet werden. Wir sprechen hier nicht von dem älteren, gewohnheitsmäßigen Drogenkonsum, der Heroin und Kokain einschließt und stark suchtbildend ist sowie andere toxische Folgen nach sich ziehen kann. Diese Art Drogen-Mißbrauch ist ganz gewiß in medizinischer und auch soziologischer Hinsicht ebenso schwerwiegend in seinen Konsequenzen, wie sie alt ist. Wir sprechen hier auch nicht von «Speed», das, wie jeder weiß, töten kann. Wir reden hier von einer ungewöhnlichen Furcht bestimmter Kreise vor allen möglichen Arten milder Psychedelika, wie z.B. Marihuana. Reine Angst verleitet oft zu unvernünftigen Handlungen von Seiten der Ängstlichen. Was könnte die Folgen unvernünftiger Angst von Seiten des Gesetzes besser illustrieren als die Verurteilung zu zehn oder zwanzig Jahren Gefängnis für den bloßen Besitz einer nicht suchtbildenden Droge, die relativ untoxisch (ungiftig) ist, solange man sie nicht chronisch zu sich nimmt?

Zur gleichen Zeit aber legalisiert man eine recht toxische, suchtbildende Droge wie Tabak, die nicht nur Zirkulations- und Lungenstörungen hervorruft, sondern auch zu Lungenkrebs und Erkrankung der Herzkranzgefäße beitragen kann, wenn chronisch genossen. Warum erlaubt man gesetzlich den Genuß einer Droge wie Alkohol, die nicht nur sehr wirksam ist, sondern in gewissen Leuten starke Persönlichkeitsveränderungen sowie Leberzirrhose bewirkt und auch suchtbildend ist? Alkohol und Tabak sind recht gefährliche, suchtbildende Substanzen. Dies kann aber von der neuen westlichen Gesellschaftsdroge Haschisch nicht behauptet werden. Die Toxizität (schädigende Wirkung) von Tabak ist inzwischen so wohl begründet, daß die obersten medizinischen Instanzen in den angelsächsischen Ländern anordneten, eine diesbezügliche Anmerkung auf jede Tabakpackung zu drucken. Wir wollen uns auf den folgenden Seiten mit der Frage, ob Angst vor Psychedelika berechtigt ist oder nicht, beschäftigen. Ohne den folgenden Kapiteln vorwegzugreifen, kann man mit Recht sagen, daß fast alle Gesellschaftsdrogen, wenn möglich, vermieden werden sollten.
Wir wollen Drogen dazu benutzen, pathologische Zustände zu beheben, die durch Drogen korrigiert werden können. Man ist ängstlich darauf bedacht, die Einführung eines weiteren toxischen Faktors in unsere soziale Umwelt zu vermeiden. Dies ist auch der Grund, weshalb die Toxizität des Marihuana soweit getrieben wird, daß Jugendliche, die bereits Drogen genommen haben nur darüber lachen und das Ganze für Unsinn halten. Natürlich ist Toxizität
vorhanden, aber sie ist nicht auf eine unvoreingenommene, glaubhafte und annehmbare Weise dargelegt worden.

2. Die Wirkung von Marihuana im Militärleben

Viele Militärkommandanten, mit denen ich mich im Blick auf den Drogen-Mißbrauch beraten habe, machen sich
immer noch (1984) über den gesellschaftlichen Gebrauch jeglicher Droge innerhalb ihres Kommandos Sorge. Von den Soldaten, mit denen ich in Europa während der Jahre 71-75 vertraulich über Drogen-Mißbrauch gesprochen habe, sind 70 % durch psychedelische Drogenerfahrungen gegangen. 20% der Männer in Europa, die nach meinen Tierversuchen über Drogen-Mißbrauch zu mir kamen, hatten an dem gleichen Tag, an dem sie zu mir kamen,  psychedelische Drogenerfahrungen gehabt. Trotzdem und trotz der schwerwiegenden Auswirkungen auf gewisse Aspekte in der Leistungsfähigkeit militärischer Aufträge, macht den Obersten und Generälen, wie sie mir gewöhnlich anvertrauen, der Alkohol-Abusus noch mehr Sorge als der gesellschaftliche Genuß von Haschisch. Alkohol verursacht Gewalttat, Persönlichkeitsveränderungen sowie Auto- und andere Unfälle. Die allgemeine Meinung besteht: während Marihuana und Haschisch die Männer amotiviert, sie passiv und manchmal liederlich macht, zuweilen «Omnipotenz-Syndrom» hervorruft, sei doch das akuteste Problem Alkohol, der positiven sozialen Schaden verursacht. Trotz alledem ist er legal. Tatsächlich hat das Establishment seine eigenen besonderen Drogen, Alkohol und Tabak, legalisiert, während es die Gesellschaftsdroge Cannabis verboten hat. Die Tatsache verursacht Groll und Entfremdung unter den jüngeren Anhängern der psychedelischen Drogenkultur, die das Empfinden haben, daß gegen sie diskriminiert wird. Dieses Ressentiment zeigt sich besonders an Tagen, an denen der Militärkommandant irgendeinen sportlichen Sieg oder ein gutes Inspektionsresultat feiert, bei dem sein Kommando gut abgeschnitten hat. In seiner Großmütigkeit teilt er für alle Freibier aus. Natürlich fühlen sich die jungen Marihuanaraucher, die manchmal Bier und Alkohol nicht schätzen, verletzt, weil die Gesellschaftsdroge des Establishments als Belohnung ausgeteilt wird, während sie mit schrecklichen Strafen bedroht werden, sollten sie beim Einnehmen ihrer eigenen Gesellschaftsdroge ertappt werden.

3. Establishment-Drogen

Die Tatsache ist, daß die Establishment-Drogen Alkohol und Tabak (beide sind recht toxisch und suchtbildend vom physiologischen Standpunkt aus, dazu verursacht Alkohol Persönlichkeitsveränderungen) zugelassen sind, obwohl die Gesellschaft ohne sie wahrscheinlich viel besser dran wäre. Auf der anderen Seite ist die Gesellschaftsdroge der Subkultur, Cannabis (Haschisch, Marihuana), verboten. Außerdem hat das Establishment offenbar allerlei Arten von Schreckgeschichten erfunden, um die Subkultur von ihrer Lieblingsdroge abzuschrecken. Natürlich lachen die jungen Leute mit ihrer Drogenerfahrung den Miesmachern einfach ins Gesicht, deren Geschichten sich nicht mit ihren eigenen Erfahrungen decken. Der daraus erfolgende Glaubwürdigkeitsbruch führt zur Entfremdung der verschiedenen Gruppen. Das Establishment und die Drogensubkultur nehmen sich gegenseitig nicht mehr ernst, was zumindest eine schlechte Sache ist; denn Entfremdung zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten zerreißt die Gesellschaft.

Der außerordentliche Erfolg eines Buches wie «The Greening of America» (Das Grünen Amerikas) von Charles A. Reich beschreibt diesen Vorgang und klassifiziert diesen Prozeß. Zu der Bedrohung der Entfremdung, als Resultat unterschiedlicher Ansichten über Drogen und ihre Kulturen kommt eine zweite noch beunruhigendere Bedrohung der
Gesellschaft. Es ist die Bedrohung durch eine mitten unter ihr blühende Subkultur,
die genau entgegengesetzte
Lebensideale und -ziele verfolgt.
Die herrschende westliche Kultur arbeitete immer nach dem Prinzip und Ideal
von Leistung, basierend auf persönlichem Wettbewerb. Konkurrenz zwischen den einzelnen Menschen und Leistung sind immer die Basis amerikanischer und westlicher Industrie und Gesellschaft gewesen. Mit seiner auf Leistung und Konkurrenz basierenden Industrie belieferte Amerika die Welt mit Gütern und wurde dabei wohlhabend. Die Drogenkultur dagegen verwirft allgemein die ganze Vorstellung von Wettbewerb, besonders den, der sich auf persönliche Konkurrenz gründet. Spottend bezeichnet sie das Establishment als
«Meritocracy» (eine Gesellschaft, der Leistung über alles geht). Demgemäß setzt sich die Subkultur dafür ein, alle die Leistung messende Examina von Schule, Universität und Industrie zu verbannen. Man findet eine gute Abhandlung des ganzen Themas in Charles A. Reichs oben erwähntem Buch. Dieser Angriff auf Konkurrenz muß, wenn er erfolgreich ist, schwere Folgen nach sich ziehen für eine Gesellschaft, deren gesamte Wirtschaft, politische und akademische Struktur auf Wettbewerb gegründet ist. Die Auswirkung auf das Militär würde genauso tiefgreifend sein,  denn das System militärischer Beförderung basiert auf genau dem gleichen Prinzip. Seine Aufhebung würde die Militärmacht beeinträchtigen. Und damit wird ein
Grundstein der Establishment-Gesellschaft, die letztlich auf Militär- und Polizeimacht gegründet ist, angegriffen. Kein Wunder also, daß in bezug auf bestimmte Gesellschaftsdrogen Furcht überhand nimmt. Was wird nun heute in der Gesellschaft an die Seele der Konkurrenz gesetzt? Die Antwort lautet einfach, daß alles auf der Basis der Nicht-Konkurrenz funktionieren soll. Anders ausgedrückt:
laissez-faire, laßt nur alles dahintreiben, am Ende wird es schon richtig herauskommen. Man betrachte in diesem Licht die Tatsache, daß der Genuß von Haschisch in orientalischen Gesellschaftsordnungen Jahrhunderte hindurch genau die gleiche Haltung von Lethargie, laissez-faire, Amotivierung begleitet hat.

Das gibt Grund zum ernsthaften Nachdenken. Hasch und Cannabis rufen in der Tat im allgemeinen Symptome von
Lethargie und Konkurrenzunfähigkeit hervor und verstärken diese. Auch die Einstellung der psychedelischen Drogenkultur gegenüber der Wissenschaft weicht von derjenigen des Establishments ab. In den meisten westlichen Ländern wandte sich die junge Generation in den letzten Jahren stark von Wissenschaft und Technologie ab. Man kann diese Wendung verstehen, wenn man bedenkt, daß Wissenschaft und Technik dazu benutzt wurden, die zwei destruktivsten Kriege der Geschichte zu ermöglichen und gleichzeitig die «Konsum-Gesellschaft» zu schaffen. Es
waren Wissenschaft und Technik, die dem Establishment in ihren eigenen Ländern und im Ausland seine Macht gaben, um damit über andere zu herrschen. Die Fahrt zum Mond rückte die Früchte der wissenschaftlichen und technischen Überlegenheit ins Rampenlicht. In diesem Wettrennen bewiesen westliche Technik und westliche Medizin eindeutig ihre Überlegenheit über ihre kommunistische Konkurrenz. Sie brachten mehrere Male Menschen sicher zum Mond und zurück, wogegen es den Kommunisten, trotz augenscheinlicher Versuche, nicht ein einziges Mal gelang. Aber heutzutage ändert sich vieles. Der Ruf von Wissenschaft und Technik verblaßt schnell. Sie sind im Begriff, unsere Umwelt zu zerstören. Man verehrt sie nicht mehr. …

4. Forschung und psychedelische Drogen 

Wir wollen noch einmal fragen, warum man sich von der Wissenschaft abwendet. Man könnte viele Beispiele zitieren, um die Gründe für diese Abkehr zu illustrieren. Wir wollen ein Beispiel gebrauchen, das diejenigen interessieren wird, die sich mit der Bedeutung der Drogenkultur beschäftigen. In den letzten Jahren sind in der wissenschaftlichen Literatur Dutzende von Artikeln über die pharmakologische, physiologische und psychologische Wirkung von Tetrahydrocannabinol (aktiver Stoff im Haschisch) und anderen bewußtseinsverändernden Drogen (ASC-Drogen) erschienen. Gewöhnlich wurden diese wissenschaftlichen Forschungsprojekte gut mit Bundesgeldern, d. h. mit dem Geld der Steuerzahler, subventioniert. Die Forscher sammeln nun wissenschaftliche Daten – und Ansehen. Je größer die zur Verfügung gestellte Summe, um so bedeutender ist das Projekt und der Forscher – unabhängig von der sinnvollen Investierung des Geldes. In der letzten Zeit jedoch sind Zweifel über die auf solche Art und Weise finanzierten Forschungsprojekte aufgekommen. Nun fließen staatliche Gelder spärlicher. Wenn die Ergebnisse dann veröffentlicht werden, liest man oft von erhöhtem Pulsschlag, von Augenrötung, von wachsendem oder verringertem Appetit und
von Gedächtnisschwund nach dem Marihuana-Rauchen.

All diese Information ist im manchmal recht hochtrabenden wissenschaftlichen Jargon zusammengefügt und gibt komplizierte Berichte über Reaktionen zu IQ. (Intelligenz-Quotient) und anderen Testen, denen sich Freiwillige unterwarfen, während sie unter Drogeneinwirkung standen. Gewöhnlich bemerkt man, daß wegen der kurzen Dauer des besonderen Testes keine akute oder chronische Toxizität beobachtet werden konnte. Der junge regelmäßige Konsument von Marihuana oder anderen bewußtseinsverändernden Drogen, der sehr oft ein intelligenter Student ist, lächelt beim Lesen von ernsten wissenschaftlichen Berichten obiger Natur über die Wirkungen des Drogengenusses, denn jede  Zeile dieser Berichte verrät dem belustigten Marihuana-Eingeweihten, daß der arme Establishment-Wissenschaftler nicht die geringste Ahnung davon hat, was es heißt* «stoned» zu sein (unter Drogeneinwirkung zu stehen). – (* Ekstatisch ist im englischen Sprachgebrauch weniger negativ als im deutschen. Im Englischen bedeutet das Wort nicht, daß man vor «Ekstase» die Selbstbeherrschung verliert, sondern mehr, daß man einfach überaus, wenn auch nüchtern, froh ist. In dieser Bedeutung ist das Wort «Ekstase» in diesen Ausführungen zu verstehen).

«Stoned» zu sein hat recht wenig zu tun mit Pulsschlag, roten Augen, Appetit oder gar mit Gedächtnis! Auf diese Weise wirkt die Wissenschaft in den Augen des Erfahrenen leicht lächerlich. Sie nimmt Blutdruck und Pulsschlag als gültiges Maß des «High»! Für den eingeweihten Marihuanakonsumenten sind dies aber die belanglosesten Nebenerscheinungen, die überhaupt nichts mit der Bedeutung der Psychopharmakologie von Cannabis und dessen Hilfe zur Erlangung eines High zu tun haben! Ekstase kann man eben nicht bloß in Ausdrücken von Blutdruck messen, obwohl Ekstase den Blutdruck verändern kann!

So wird der Marihuana-Konsument, wenn er über die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet seiner Lieblingsdroge liest, in seiner Ansicht bestätigt, daß die Gesellschaft ihn fürchtet, nur weil sie ihn nicht versteht. Sie weiß nichts von der glückseligen Schau des psychedelischen Höhepunktes oder des psychotischen Tiefs. So kommt der Eingeweihte zu der Überzeugung, daß man nicht viel tun kann, um einer Gesellschaft und deren Wissenschaft zu helfen, die so unfähig sind, die bewußtseinsverändernde Drogenkultur zu verstehen. Und damit weitet sich der Entfremdungsriß zwischen ihm und der Gesellschaft, die ihn trug.  . . .

5. Der Trend zu psychedelischen Drogen

In Wirklichkeit versteht also das Establishment nicht, warum die jüngere Generation sich den bewußtseinsverändernden Drogen zuwendet. Es meint zu wissen, warum sich Menschen Alkohol zuwenden; denn Alkohol ist ein Anästhetikum (und ein Beruhigungsmittel), und damit ertränkt ein Mann seine Sorgen im Vergessen, nachdem er ein anfängliches High erlebt hat. Das gleiche betrifft andere suchtbildende Drogen wie die Opiate, einschließlich Heroin, Morphin, Codein und die Barbiturate. Alle diese Drogen ermöglichen es dem Menschen, sich auf eine angenehme Weise zu betäuben und ein pharmakologisches «Nirvana» zu erreichen. Das Ende der Sauferei ist Bewußtlosigkeit unter dem Tisch. Und das Ende vom Rausch des Heroinsüchtigen nach einem High (das er nur wirklich in den frühen Stadien der Süchtigkeit erlangen konnte), ist Dahindämmern, d.h. Anästhesie, Analgesie.

Aber die jüngere Generation besitzt im allgemeinen nicht den gleichen Geschmack bezüglich Drogenerlebnis wie die ältere Generation. Die jüngere Generation möchte mehr erleben, nicht weniger; sie sucht keine Anästhesie, wie sie die ältere Generation wünschte. Sie will nicht Vergessen, sondern mehr und neues Bewußtsein erlangen. Tatsächlich sucht und wünscht die jüngere Generation nicht nur erweitertes Bewußtsein, sondern ein umgewandeltes, verändertes, erweitertes und transzendentes Bewußtsein, das heißt, einen besseren und veränderten Bewußtseinszustand und nicht die Bewußtseinslosigkeit, welche die ältere Generation suchte.

Das heutige Establishment weiß wenig über den veränderten Bewußtseinszustand, der ohne Drogengebrauch entsteht. Es fastet und betet beispielsweise selten, wenn überhaupt. Es betet jedenfalls so wenig, wie es das schicklich tun kann. Daher kennt es auch nicht den veränderten Bewußtseinszustand, dessen man sich als bewußter Christ erfreuen kann. Eine beachtliche Minorität jeder westlichen Gesellschaft in den vergangenen Generationen wußte davon praktisch und persönlich. Es gab immer eine Anzahl von Personen, besonders in England und den Vereinigten Staaten, die aus erster Hand wußten: «Alles ist neu geworden für den, der in Christus ist.»

Sie wußten aus persönlicher Erfahrung, daß die Worte des Liedes eine wahre Erfahrung ausdrückten, wenn ein Mensch nach der innigen Verbindung mit Christus, durch Bekehrung und totale Übergabe, «den Himmel so blau wie noch nie und die Erde grüner als je» sah (bekanntes englisches Kirchenlied). Da eine solche grundlegende, existentielle Erfahrung weitgehend verlorengegangen ist, hat der Mensch von heute kaum eine Grundlage, die bewußtseinsverändernde Droge richtig einzuordnen. 

6. Natürlich veränderter Bewußtseinszustand

In westlichen Ländern leiden wir an einer oberflächlichen Massenverkündigung des Evangeliums. Es wird oft mehr Gewicht auf eine durch Seelenmassage erzielte «Entscheidung» als auf wirkliche Buße (Umkehr) gelegt. Das Ergebnis dieses Trends ist ein Mangel an echten, tiefen Erlebnissen, die aus gründlicher Sündenvergebung erwachsen. Eine Folge davon ist, daß immer weniger Menschen von transzendenten Erfahrungen Kenntnis haben, wie sie z.B. die Propheten des Alten und des Neuen Testamentes machten und beschrieben. Und wenn Menschen solche Erfahrungen trotzdem machen, stehen sie in der Gefahr, als unnüchterne Sektierer eingestuft zu werden. Wir wollen jetzt zwei wichtige Konsequenzen dieses Sachverhaltes prüfen.

Erstens ist die allgemeine Öffentlichkeit nach und nach dazu gekommen, jegliche «natürliche» transzendente Erfahrung und jeglichen veränderten Bewußtseinszustand als ein sicheres Zeichen beginnenden Wahnsinns zu betrachten. Sie weiß selbst nichts von dieser «neuen Kreatur», und deshalb lehnt sie diese voller Abscheu ab. Sie vergißt natürlich, daß sowohl Träumereien am Tag als auch die gewöhnlichen Träume der Nacht zu der Kategorie der Erlebnisse des veränderten Bewußtseins gehören, die sie verwirft. Nichtsdestoweniger ist diese Reaktion nur zu erwarten, denn die meisten Leute haben die Neigung, das, was sie nicht verstehen und nicht persönlich erlebt haben, zu verwerfen.

Der zweite Punkt ist noch wichtiger. Die Schlafforschung hat gezeigt, daß die sogenannte REM-Phase (Rapid Eye Movement=die Traumperiode, die durch schnelle Augenbewegung angezeigt wird) für die geistige Gesundheit des Menschen von großer Bedeutung ist. Nimmt man einem Menschen seine Traumphasen (seinen veränderten Bewußtseinszustand), indem man ihn bei Beginn der schnellen Augenbewegungen (REM-Phase) aufweckt,
so wird er nach wenigen Tagen oder Wochen anormal und unruhig werden und schließlich in einen Angstzustand
verfallen. Einige Experten sind geneigt, die Angstzustände, die man in diesen Experimenten beobachtet, eher der
Heftigkeit des Aufweck-Vorganges zuzuschreiben als dem bloßen Verlust der Zeit des Träumens. Aber manche Säugetiere kann man durch Schlafentzug töten. Es scheint, daß die transzendente Erfahrung, die (wie Träumen) auch einen veränderten Bewußtseinszustand darstellt, ebenfalls für die geistige Gesundheit des Menschen notwendig ist. Er braucht transzendente Freude. Beides sind veränderte Bewußtseinszustände. Und die Bibel verspricht, den Menschen heilzumachen (Prozeß der Gesundung), indem sie ihn genau mit diesen Freuden für jetzt und für immer versorgt.

Wenn nun eine gesamte Gesellschaft hinsichtlich ihrer wesentlichen Freude und ihrer religiösen Erfahrung einen
Zustand von Verhungern und Entbehrung erreicht hat, dann wird diese Gesellschaft krank werden und versuchen, das, was sie an verändertem Bewußtseinszustand benötigt, durch jedes verfügbare Mittel zu bekommen. So ist unsere
gegenwärtige materialistische Gesellschaft eine kranke Gesellschaft, die an Mangel von transzendenter (nicht materialistischer) Erfahrung leidet. Als solche wird sie versuchen, diese Entbehrung entweder dadurch zu befriedigen,
daß sie einen natürlichen bewußtseinsverändernden Zustand in der Gemeinschaft mit Gott erlangt oder im unnatürlichen synthetischen Opiat- oder psychedelischen Drogenerlebnis.

Unsere religiösen Führer beweisen oft nicht viel Kenntnis oder gar Weisheit bezüglich der Bewußtseinsveränderung. Als Ergebnis sind Eltern selten in der Lage gewesen, ihre Kinder in diese Dinge einzuführen – aus dem einfachen Grunde, daß die Eltern selbst diese Erfahrung nicht hatten und sie deshalb nicht an ihre Nachkommen weitergeben können. So entbehrt nicht nur die ältere Generation Erfahrung auf diesem Gebiet, sondern auch die jüngere.

Die Unternehmungslustigeren von ihnen schlagen den Weg zur bewußtseinsverändernden Drogenkultur ein (gewöhnlich nicht Opiat-, Barbiturat- oder Alkohol-Kultur), um etwas über den Ursprung von Erfahrungen dieser Art
selbst herauszufinden. Es wäre lächerlich anzunehmen, daß junge Leute ihre bewußtseinsverändernden Erlebnisse unter psychedelischen Drogen nicht miteinander austauschen. Wenn man einem Verhungernden von Beefsteak erzählt, wird seine Begierde für diese Nahrung unermeßlich. Sobald der von der Tretmühle ausgehungerte, verkümmerte junge Mann oder das junge Mädchen etwas von transzendenten Erfahrungen hört, tönt eine Saite in ihrer Seele mit, und sie wissen, daß das etwas für sie ist.

Aldous Huxley erwähnt in seinem berühmten Buch «Die Pforten der Wahrnehmung» (The Doors of Perception) vor einem breiten Publikum, wie er, dem Beispiel einiger Orientalen folgend, seine bewußtseinsverändernde ekstatische Erfahrung mittels psychedelischer Drogen erlangt. Solche Erfahrungen sind gerade das, wonach sich die jüngere Generation vielleicht unbewußt schon lange gesehnt hat – wie Huxley selbst zugibt. Sie sind verkümmert wegen Mangels an transzendenter Freude, weil sie wenig außerhalb der Tretmühle kennen, die ihre Väter und Mütter vor ihnen betätigten. Ihre rein materialistische Erziehung zu Hause, in Schulen und Universitäten hatte generationenlang dafür gesorgt. Deshalb wurde ihnen das, was sie ihrer Meinung nach brauchten, genau bewußt, als sie herausfanden, was Huxley und andere erlebt hatten – mit oder ohne Drogen. Huxleys Erfahrungen verhalfen zweifellos dazu, die psychedelische Drogenepidemie im Westen auszulösen, denn die Umstände (ein Jahrhundert wissenschaftlicher Materialismus) waren gerade dazu reif. Eine in transzendenter Hinsicht verkümmerte Generation war, ganz unbewußt, bereit für die psychedelische Droge, die ihr die «religiöse» Erfahrung vermittelte, an der es ihr und zwei oder drei Generationen vor ihr gemangelt hatte. So ist der Drogen-«Brand» weit ausgebreitet. Das Heu war trocken und der Funke, die Droge (LSD, Meskalin, Haschisch, Psilocybin), war zur Hand.  

7. Zusammenfassung

Ein Teil der Entfremdung zwischen den Generationen besteht in der Tatsache, daß die ältere Generation die Freude des bewußtseinsverändernden Zustandes braucht, aber nicht herausgefunden hat, wie man diesen durch die gesunden Kanäle des biblischen Weges erhalten kann, indem ein Mensch zu einer neuen Kreatur in Christus wird. An dieser Entbehrung sind zweifellos die religiösen und kulturellen Führer schuld.

Das Ergebnis ist eine verkümmerte Generation, die wirklich nicht weiß, wie sie das erlangen kann, was ihre Kinder und sie selbst brauchen. Eine weithin materiell wohlhabende ältere Generation ist unsagbar arm an Lebensqualität – nicht an Apparätchen, Telefonen, Radios, TVs, Musik, Lebensmitteln oder Kleidung, sondern an der Qualität eines erfahrungsreichen Lebens. Sie ist buchstäblich vollgestopft mit Gütern, aber entbehrt jeglicher bedeutungsvoller, transzendenter, froher Lebenserfahrung. Die Folge sind Unbehagen (Malaise) und Entfremdung, die alle Aspekte des Lebens in der Wohlfahrts- und Wohlstandsgesellschaft plagt. Die jüngere Generation ist, als Erbe der älteren  Generation, natürlich auch verkümmert. Ihre Wissenschaft hat sich völlig jeglichen Glaubens an das Transzendente oder Göttliche beraubt – Darwinismus und Neo-Darwinismus haben dafür gesorgt.

Aber obgleich unsere Generation meint, sie könne nicht an Gott glauben und zugleich intellektuell redlich bleiben, leidet sie an Heimweh nach dem Transzendenten, nach der Ewigkeit, nach Bedeutung und Schönheit. Dieses Heimweh hat sie todkrank gemacht. Eltern und Lehrer können nicht die Medizin der Ewigkeit, die sie braucht, herbeischaffen, deshalb wenden sie sich den bewußtseinsverändernden Drogen als Hilfsmitteln zu. Die ältere Generation sucht eine Lösung, indem sie Bewußtsein und Heimweh in Alkohol, Opiaten, Nikotin und Barbituraten ertränkt, während die jüngere Generation durch einfache Schlußfolgerung besser empfindet, was ihr fehlt. Sie hat das angebotene Heilmittel – synthetische Bewußtseinsveränderung – ausprobiert und herausgefunden, daß es funktioniert und das Bedürfnis stillt, obgleich es einige unerwünschte Nebenerscheinungen, in Form von psychotischen Trips, von denen einige chronisch sind, geben mag. – Wir scheinen vergessen zu haben, daß der Mensch auf Zeit und Ewigkeit hin geschaffen worden ist und deshalb selbst auch hier auf Erden «Glückseligkeit für immer» braucht.

8. Die Reaktion der Gesellschaft

Die Reaktion der Gesellschaft auf die bewußtseinsverändernde Drogensubkultur ist vorauszusagen. Sie versteht nicht. Sie kann sie nicht verstehen. Sie ist von Erfahrungen bezüglich der Transzendenz abgeschnitten worden, weil sie zu lange in ihrem begrenzten Gesichtsfeld gefangen war. Da sie mangels persönlicher Erfahrung nicht verstehen kann, fürchtet sie die Geheimnisse anderer. Sie warnt vor den «tötenden Drogen» und versucht die Jugend von ihren bewußtseinsverändernden Drogen, die sie mit Opiaten und Barbituraten verwechseln, abzuschrecken, anstatt sie über ihre wirkliche transzendenten Bedürfnisse aufzuklären.

Es ist natürlich vollkommen nutzlos, wenn die Gesellschaft eine solche Haltung annimmt; denn die Gesellschaft weiß ja selbst, daß Abschrecken selten wirksam ist. Jedes Päckchen Zigaretten, das von der heutigen angelsächsischen Gesellschaft geraucht wird, ist mit der Aufschrift versehen «Zigarettenrauchen ist für Ihre Gesundheit gefährlich». Und trotzdem riskieren die Menschen Lippen- und Lungenkrebs durch Kettenrauchen zu bekommen. Abschrecken hilft nicht, denn man «glaubt» nicht mehr an «Propaganda»!

In der Tat gebrauchen die Hersteller heutzutage die Toxizitätswarnung der Regierung als eine Art Reklame, um die Wirksamkeit ihres Tabaks unter Beweis zu stellen. Wir wollen uns darüber im klaren sein: In ihren Augen ist die durch Tabak hervorgerufene Beruhigung das Risiko eines schrecklichen, quälenden Zu-Tode-Erstickens durch Ertrinken im eigenen Blut als Folge von Lungenkrebs wert. Ich habe gesehen, wie Verwandte Patienten besuchten, die einen schrecklichen Tod durch Lungenkrebs starben. Sofort nach dem Verlassen des Leidensbettes der entsetzlichen Todesqual zündeten sie sich eine Zigarette an. Warum versucht man dann etwas so Unwirksames wie Abschreckung, um die Drogensubkultur zu bekämpfen?

Zuflucht in die Abschreckung zeigt, daß der Abschreckende glaubt, die Personen, die er abschrecken will, seien vernünftiger als er selbst; denn Gegner der bewußtseinsverändernden Drogen sind oft selbst Tabakraucher, und nur eine ganz kleine Minderheit läßt sich vom Zigarettenrauchen abschrecken. Wie können wir es von dem Marihuana-Raucher erwarten, daß er anders oder vernünftiger reagiert als der Zigarettenraucher? Es ist also ganz nutzlos, wenn die Gesellschaft davor warnt und abschreckt, daß man beim Gebrauch von bewußtseinsverändernden Drogen «überschnappen» kann. Die Erfahrenen wissen darüber besser Bescheid als das Establishment. Trotzdem sind sie gewillt, um des transzendenten Erlebnisses und des «El Kifs» (der große Friede) willen das Risiko auf sich zu nehmen.

Die Tatsache, daß einige Leute psychotisch werden, unwiderruflich psychotisch, beeinflußt den Eingeweihten etwa so viel wie die Tatsache, daß Menschen bei Flugzeugunglücken getötet werden. Wenn ein gewöhnlicher Reisender an sein Reiseziel in Stunden statt in Wochen gelangen will, dann wird er das Risiko der Luftreise auf sich nehmen. Niemand bezeichnet ihn als verrückt, weil er dieses Risiko auf sich nimmt. Der psychedelische Drogenverbraucher nimmt die gleiche Art von Risiko auf sich, um die «Reise» (trip) zu erleben, die er unbedingt begehrt, aber in der heutigen Religion und Kultur nicht erhalten kann – den Trip in das Transzendente, den kognitiven Trip.

Wir müssen jedoch bedenken, daß der in den psychedelischen Drogen Erfahrene das Establishment als total verrückt ansieht, weil es willig die todlangweilige Tretmühle Jahr für Jahr ohne Aussicht auf Belohnung in der Form von transzendenter Freude fortsetzt. Und so, wenn jede Seite die andere als verrückt ansieht, bestehen sehr geringe Chancen für produktive Kommunikation zwischen den beiden. Die Haltung einiger führender Politiker macht dies deutlich, sie empfangen medizinische Fachgutachten über die verhältnismäßig harmlose physiologische Wirkung von Tetrahydrocannabinal und empfehlen ihre gesetzliche Zulassung ebenso wie für Tabak, Alkohol und andere Drogen. Sie scheinen nicht zu realisieren, daß Tabake, Alkohol und Cannabis für sich – je nach Gefährlichkeit behandelt werden muß. Cannabis ist gefährlich, jedoch auf ganz andere Art und Weise als Alkohol oder Tabak.

9. Drogenzugänglichkeit, türkisches Opium und Haschisch

Weiterhin verschlimmert wird die Entfremdung zwischen den Gruppierungen unserer Gesellschaft durch die Politik des Establishments hinsichtlich der Verfügbarkeit von Drogen. Die Theorie ist und war immer die, daß die Menschen keine Drogen nehmen können, wenn diese nicht zur Verfügung stehen. Ein wirklich meisterhaftes und zwingendes Stück einfachen, logischen Theoretisierens! Die Regierung der Vereinigten Staaten ist von dieser Logik so beeindruckt, daß sie – laut Radiomeldung – Anfang der 70er Jahre bereit war, die türkischen Bauern mit jährlich 35 Millionen Dollar zu unterstützen, damit sie keinen Mohn mehr anbauten.

Auf diese Weise käme dann kein Heroin und Morphium auf den Markt. Über genau diese Problematik kam es zu einer Krise in türkischen Regierungskreisen.

Der türkische Bauer ist nicht gewillt, den Mohnanbau aufzugeben, weil er erstens einträglich und zweitens in seinen Augen medizinisch höchst nützlich ist. Er weiß auch sehr genau, daß Morphin leicht in Heroin umzuwandeln ist, was dann mißbraucht wird. Er weiß aber auch, daß wenige synthetische Morphinsurrogate in der allgemeinen medizinischen Nützlichkeit an Morphium heranreichen, besonders in den letzten Stadien von Krebs.

Der Bauer selbst mißbraucht gewöhnlich das Opium, das er anpflanzt, nicht und begreift nicht, warum fortschrittlichere Kulturen als seine es tun sollten. Auf alle Fälle sieht er nicht ein, warum er aufhören sollte, Opium anzubauen, nur weil einige Amerikaner im weit entfernten Amerika Heroin mißbrauchen, zumal es nur sehr wenig Türken tun. …

Die Tatsache ist, daß die anscheinend einfache Logik: «mach eine Droge unzugänglich, und sie wird nicht mißbraucht werden», nicht so einfach ist. Jeder, der die Geschichte der Prohibition in den USA kennt, sollte das wissen. Die ganze Idee hinter der edlen Bemühung, das Alkoholproblem zu lösen, gründete sich genau auf diese gleiche transparente Logik. Mach Alkohol unzugänglich, und er wird nicht mißbraucht werden!

Die Schwierigkeit dabei ist, daß diese einfache Logik in der Praxis nicht funktioniert. Der Grund dafür ist folgender: Sobald eine «benötigte» Droge und ihre «nützliche» Wirkung (z.B. die Wirkung von Alkohol und Nikotin) weit bekannt sind, weil sie von vielen erprobt wurde, wird eine starke Nachfrage nach dieser Droge vorhanden sein. Wenn die Behörden nun entscheiden, daß die Droge schädlich sei und sie deshalb diese unzugänglich machen, dann wird jene Droge automatisch ein noch begehrteres Produkt, und ihr Preis steigt. Sobald die Preise steigen, bringt die Verbreitung der verbotenen Droge mehr Profit ein. Je strenger die Vorschriften gegen den Drogenhandel werden, desto höher die Preise und desto größer der Antrieb, sie zu vertreiben. Die Droge wird immer interessanter und kostbarer. Der Mensch, wie er heute ist, ist gewöhnlich unfähig, seine Gier nach schnellem Gewinn zu unterdrücken. So hatte das Alkoholverbot in den USA die direkte Wirkung, den Preis von Alkohol zu erhöhen und seine Reinheit und damit die Unschädlichkeit herabzusetzen. Ganz gewiß machte die Prohibition den Alkohol nicht unzugänglich.

Daraufhin verstärkten die zuständigen Behörden die Polizeimacht in der Bemühung, die Nichtzugänglichkeit von Alkohol durchzusetzen. Dies bestärkte die Organisation der Rum-Schmuggler in ihrem Bestreben, die Arbeit der Polizei zu umgehen. Zum Schluß wurde die Nation (mit einiger Übertreibung) eine Nation von Polizisten, die eine Nation von Rum-Schmugglern bekämpfte. Dieser Kampf verzehrte viel Energie der Gesellschaft, so daß die Nation unter den Folgen dieser Logik zu leiden begann.

Cannabis sativa (Haschisch, Marihuana) ist weit bekannt und als Gesellschaftsdroge in Gebrauch. Es ersetzt in gewissem Maße Alkohol und Tabak. Die Toxizität aller drei Drogen ist verschieden. Alkohol und Tabak sind suchtbildend (die Abhängigkeit ist sowohl physisch als auch psychisch), während cannabis sativa dies physiologisch gesehen nicht ist. Alkohol erzeugt Leberzirrhose und Delirium tremens, Tabak bewirkt oft Zirkulationsstörungen, Lippen-, Gaumen- und Lungenkrebs. Cannabis sativa kann Flashbacks* (besonders mit Amphetaminen und LSD), Psychosen, Synästhesie und Bindehautentzündung erzeugen. Nach meiner persönlichen Ansicht als Pharmakologe soll man die Hände von allen drei Drogen lassen, denn es gibt einen besseren Weg, auf dem man Transzendenz – ohne Drogen – erlangen kann. Aber irgendeine der drei erwähnten Drogen zu kontrollieren, wo alle von ihnen gut bekannt sind und ihre pharmakologische Wirkung von vielen als begehrenswert angesehen wird, indem man sie einfach nicht zugänglich macht, wird die gleiche Wirkung hervorrufen, die man hinsichtlich des Alkohols während der Prohibition in den USA gesehen hat. (* Trips ohne Droge als Folgewirkung von Drogenkonsum).

Tatsächlich beobachtet man dies schon im Fall von Marihuana. Trotz der übermenschlichen Bemühungen seitens der Polizei, dieses nicht zugänglich zu machen, haben die Hälfte aller Studenten in den USA in den Jahren 1972-75 Marihuana geraucht, davon rauchte es ein beträchtlicher Prozentsatz regelmäßig. Die horrenden Strafen für den Besitz dieser Droge hatten wenig dazu beigetragen, der Zugänglichkeit und dem Rauchen Einhalt zu gebieten. Vielleicht haben die Strafen sogar den Mißbrauch verstärkt; denn die jüngere Generation liebt Schauergefühl –  und setzt gerne dem Mann (Tyrannen?) zu, der sich beim Herrschen auf Gewalt anstatt auf Intelligenz und Vernunft verläßt. Außerdem führt die Unzugänglichkeit der einen Droge zum Mißbrauch einer anderen. Drogenverbraucher tauschen gewöhnlich eine Droge gegen eine andere aus, je nach Zugänglichkeit.

Wenn Unzugänglichkeit nicht funktioniert, um den Drogen-Mißbrauch unter Kontrolle zu bringen, welche Methode kann man dann anwenden?

Es ist ziemlich klar, daß bis jetzt nur wenige Kontrollmethoden für bewußtseinsverändernde Drogen bekannt sind, außer denen der Unzugänglichkeit und der Bestrafung. Es gibt keine gesellschaftliche oder pharmakologische Methode, um einen Mann oder eine Frau von Marihuana-Mißbrauch zu heilen. Man ist physikalisch nicht süchtig, und viele glauben, daß auch nur geringe psychologische Abhängigkeit vorhanden ist. Beim Einstellen des Haschisch-Rauchens gibt es keine Entzugssymptome, und es treten auch keine bei Entziehung von LSD oder Meskalin auf. Vielleicht die Mehrheit experimentiert mit Marihuana und läßt es dann ganz sein. Andere rauchen es längere Zeit, reifen und «wachsen heraus». Aber, so weit ich weiß, gibt es keine Mittel, eine Person zu «behandeln» oder zu «heilen», die ihre Freude aus Cannabis oder anderen psychedelischen Drogen bezieht. Diese Person ist physiologisch nämlich weder süchtig noch abhängig. Was kann oder soll man da medizinisch behandeln? Der Cannabiskonsument mag amotiviert und lethargisch werden und sich gar zurückziehen und nicht mehr arbeiten. Aber das scheint sowohl ein soziales als auch ein Drogenproblem zu sein. Wenn also das Herabsetzen von Drogenzugänglichkeit zusammen mit Strafmaßnahmen die Epidemie der bewußtseinsverändernden Drogen nicht aufhält, was wird es tun?

Da das Problem ursprünglich weder ein medizinisches noch ein pharmakologisches ist, haben wir nur den einzelnen Menschen und seine persönlichen Probleme vor uns, die wir behandeln können. Sollte man ihn nicht wie eine Person behandeln, die verkümmert ist und nach Freude und nach dem wahren Sinn des Lebens sucht? Sollte man nicht seinen Überfluß und seinen Materialismus behandeln? Denn die psychedelische Drogenepidemie ist gewöhnlich mit Überfluß, Unmotiviertheit und Materialismus verbunden. Darüber werden wir später mehr hören.

Unzugänglichkeit und Strafmaßnahmen werden ebenfalls angewandt, um die Opiat- und Tranquilizer-Epidemie unter Kontrolle zu halten. Daß die Methode auch hier nicht sehr gut wirkt, beweisen die Zahlen der Opiatsucht, die in den meisten westlichen Ländern regelmäßig veröffentlicht werden. Das gleiche gilt in bezug auf den Mißbrauch von den Amphetamin-Drogen.

Unter diesen Umständen fragen wir uns: Was kann man tun? Das folgende Kapitel wird unter anderem einige pharmakologische und andere Möglichkeiten behandeln.

 

Kapitel II

Pharmakologische Überlegungen in bezug auf den Drogen-Mißbrauch

Der gegenwärtige Drogenmißbrauch

Die gegenwärtige Drogenepidemie ist nur ein Symptom des allgemeinen Unbehagens, das der westlichen Gesellschaft anhaftet. Das Phänomen ist weitverbreitet und komplex. Einfache Antworten sollten demgemäß nicht in Betracht gezogen werden. Wie die meisten Störungen organischer Art, steht der Drogen-Mißbrauch in einem gewissen Gleichgewicht mit der Gesellschaft, von der er sich nährt. Das heißt, daß einerseits die Gesellschaft die Drogenepidemie beeinflussen wird, und andererseits wird die Drogenepidemie die Gesellschaft beeinflussen.

Dies wiederum bedeutet, daß die Art der Gesellschaft, in der Drogen-Mißbrauch auftritt, die Art der Behandlung modifizieren wird, die verschrieben werden soll. Zum Beispiel wird die Behandlung von Drogenabusus in einer hierarchischen, autoritären Gesellschaft, wie im Militär, verschieden sein von derjenigen, die in einer demokratischen Gesellschaft möglich ist, wo man Befehle nicht einfach in dem Bewußtsein geben kann, denen gehorcht wird. Ein General kann jeden Soldaten zweimal in der Woche nach Drogen durchsuchen lassen. Doch kann man das nicht ohne weiteres mit allen freien Bürgern in einer demokratischen Gesellschaft tun. So werden soziale Umstände gewiß die Art der Maßnahmen bestimmen, womit man eine Gesellschaft von Drogen kurieren will.

Im Westen haben wir es mit der demokratischen Lebensweise zu tun, so daß auch die Polizei vorsichtig sein muß, um nicht zu stark gegen die Freiheit des Bürgers zu verstoßen, selbst wenn es sich um illegale Drogen handelt. Wenigstens theoretisch sind die Menschen souverän, nicht die Polizei. Das bringt – rein theoretisch – mit sich, daß die Gesetze einer Gesellschaft die Wünsche und den Willen eben dieser Gesellschaft widerspiegeln. Die Folgen dieser Tatsachen sind recht schwerwiegend, soweit sie den Drogen-Mißbrauch betreffen, werden aber im allgemeinen von unseren Gesetzgebern übersehen. Wir müssen einige dieser Folgen näher betrachten.

Im Idealfall entscheidet sich eine freie demokratische Gesellschaft dafür, Gesetze aufzustellen und einzuhalten, die gut für sie sind und ihr nützen. Stehlen, Lügen, Morden und Unterschlagen zerstören eine Gesellschaft aufs ganze gesehen, so daß die Gesetze der Gesellschaft diese Taten ächten werden. Minderheiten in der Gesellschaft protestieren normalerweise nicht gegen eine Mehrheit, die Gesetze verabschiedet gegen Taten, die so gesellschaftsschädlich sind wie die erwähnten.

Jedoch gibt es andere Taten, aus denen nicht so klar geschlossen werden kann, ob sie schlecht oder gut für die Gesellschaft sind. Zum Beispiel entstand vor und während des Ersten Weltkrieges in den Vereinigten Staaten ein akutes Alkoholproblem, so daß die Gesellschaft sich dazu entschloß, etwas dagegen zu tun. Die Mehrheitsmeinung beschloß, das Alkoholproblem durch Prohibition zu lösen. Er hieß ganz einfach: mach die Droge (Alkohol) nicht zugänglich, dann können die Leute sie nicht mißbrauchen und betrunken werden. Auf diese einfache Logik wurde, wie schon bemerkt, das Alkoholverbot (Prohibition) gegründet.

Abgesehen davon, daß das wirkliche Problem nicht im geringsten gelöst war (das psychologische Bedürfnis für Alkohol und dessen Beseitigung), waren die sozialen Folgen dieser einfachen Logik unheilvoll. Prohibition verwandelte das Land beinahe in eine Nation von Polizisten und Rum-Schmugglern, dazu wurde die Reinheit des Alkohols vermindert, was allgemein toxische Reaktionen verursachte. Zur gleichen Zeit verweigerte das Verbot einem großen Teil von Bürgern eine, wie sie meinten, harmlose Freude.

Nehmen wir die heutige Frage der Abtreibung als ein anderes Beispiel für die Rolle, die die öffentliche Meinung in einer demokratischen Gesellschaft beim Gesetzgeben spielt. Vor einer Generation hielt man das Leben im Mutterleib für heilig. Abtreibung war nur bei dringenden medizinischen Gründen zulässig. Heute ist Abtreibung – das bedeutet in einigen Fällen das Zerschneiden oder Absaugen des lebenden Fötus im Mutterleib – ein Ergebnis der lockeren Geschlechtsbeziehungen und des allgemeinen Verlustes der Hochachtung vor der christlichen Bedeutung des Sex und wird gewöhnlich praktiziert aus keinem anderen Grund, als daß Mutter und Vater «ja» sagten zum Sex, aber «nein» zu dessen natürlichen Konsequenzen. Tausende von hilflosen ungeborenen Babys werden auf diese Weise wöchentlich in Städten wie London brutal dahingeschlachtet. Diese Vernichtung von Leben wäre auf einer legalen öffentlichen Basis vor einer Generation undenkbar gewesen, denn die Gesetze, die zu jener Zeit den Willen der Gesellschaft darlegten, verboten das Vernichten hilflosen, unschuldigen und sich entwickelnden Lebens, wenn kein besserer Grund vorlag als der, daß die Mutter nicht ihr Kind austragen wollte. Nebenbei gesagt, haben Krankenhäuser, die heutzutage Abtreibungen massenweise und aus nicht-medizinischen Gründen durchführen, Schwierigkeiten, Ärzte und Krankenschwestern zu halten, die diese Abtreibungen durchführen. Sie sagen, was gut zu verstehen ist, daß sie ihre Nerven verlieren, wenn lebendige Babys im Mutterleib herumstoßen und -springen, während man sie, so wie erst kürzlich durchgeführte Abtreibungen zeigen, lebendig entzweireißt. Diese Handlungsweise widerspricht direkt dem Hippokratischen Eid.

Der springende Punkt in diesen Beispielen ist: Wenn eine Gesellschaft keinen absoluten Wertmaßstab hat, auf dem sie ihre Gesetze aufbaut, dann wird diese Gesellschaft, wenn sie wirklich demokratisch ist, ihre Gesetze auf der Basis ihrer Wünsche aufbauen, die natürlich von Generation zu Generation wechseln können und werden. In vergangenen Jahren waren die Gesetze der westlichen Gesellschaft auf das unveränderliche Buch, die Bibel, begründet. Heute sind sie es nicht mehr. Sie gründen sich auf den souveränen Willen des Volkes, das die Gesetze macht. Und hier liegt der Haken, insofern es sich um Gesetze gegen Drogen-Mißbrauch handelt. Vor einer Generation wäre man dem Konsum von psychedelischen Drogen zwecks Erlangung religiöser Erfahrungen – wenigstens in der angelsächsischen Gesellschaft – mit Unglauben begegnet. Man hätte es wahrscheinlich als primitiv, unglaublich und vielleicht gar als gotteslästerlich angesehen. Die Bibel, der frühere Grundfels westlicher Gesetze und Ordnung, verbietet förmlich und spezifisch den Konsum von Drogen, um Zauber- und Trancezustände hervorzurufen. Sie nennt solche Übungen «Zauberei durch Drogen» (pharmakeia), die im Alten Testament mit dem Tode bestraft wurden (vergleiche Galater 5, 20).
Heutzutage denkt ein hoher Prozentsatz von Studenten ganz anders über bewußtseinsverändernde Drogen (die
Trancezustände und Trips hervorrufen). Tatsächlich gebrauchen sie sie regelmäßig für diese Zwecke, mag es ihnen
auch vom Gesetz her verboten sein. Ihre Haltung gegenüber dem alten Anker des Gesellschaftsgesetzes, der Bibel,
hat sich geändert. Daraus folgt, daß sich ihre Haltung zur «freien Liebe», zu Abtreibung und Drogen ebenfalls geändert hat. Man übt jetzt alle drei aus, obwohl diese noch vor einer Generation, nach Meinung der Öffentlichkeit, auf der schwarzen Liste standen. Die Gesetzgebung der demokratischen Gesellschaft spiegelt ihre eigene Souveränität und ihre eigenen Wertmaßstäbe wider. Die unterscheiden sich aber häufig von den Wertmaßstäben früherer Generationen, für die die Bibel die Norm war.

Wenn nun – was eine Zeitfrage zu sein scheint – die Drogengeneration in unserer westlichen Gesellschaft eine Wahlmehrheit erreicht, dann wird diese Generation ihre eigene Religion, den Drogenkult, legalisieren. Obwohl heute kein Zweifel darüber besteht, daß Alkohol (und Tabak) ein ernsthaftes medizinisches Problem darstellen, das nicht nur Persönlichkeitsveränderungen, Leberzirrhose, Verkehrsunfälle, Gewalttat und Armut verursacht, ist es für eine Mehrheit unserer Gesellschaft eine Quelle des Vergnügens. Und da die Verbraucher von Alkohol und Tabak aus diesen Drogen ihr Vergnügen gewinnen, obgleich es auf Kosten ihrer Gesundheit geht – und auch auf Kosten der Regierungen, die «freie» Staatsmedizin zur Verfügung stellen müssen, um sie von ihren drogenbewirkten Störungen zu heilen -, wird keine demokratische Regierung es je wagen, diese zwei vergnügenspendenden Drogen auf die Verbotsliste zu setzen.

Es wäre gegen den Willen des Volkes! Die Regierung würde bald abgewählt werden. Die Gesellschaft wird dafür sorgen, daß ihr Vergnügen unter keinen Umständen beschnitten wird. Sogar wenn die Regierung Warnungen auf Zigarettenpäckchen drucken läßt, daß das Rauchen für die Gesundheit nachteilig sein kann, gebrauchen die Hersteller gerade diese Toxizitätswarnung als Reklame für ihre Waren! Wenn der Tabak nicht toxisch ist, dann kann er dir auch keine Vergnügen bereiten! Die stillschweigende Folgerung ist: Wenn der Tabak dich zugrunderichtet, dann hat er dir doch zuerst dein Vergnügen gegeben. Deshalb genieße deine Freuden um jeden Preis, selbst wenn sie dich vernichten!

Wenn sich also eine Mehrheit für bewußtseinsverändernde Drogen entscheidet (und damit gegen die Erfahrung der Transzendenz durch den biblischen Weg), dann kann keine demokratische Macht auf Erden sie davon abhalten, ihre Vergnügen zu legalisieren – ob diese nun schädlich sind oder nicht. Sobald von Staats wegen gegen Drogen verfügt wird, ist die Demokratie aufgegeben und der Diktatur die Tür geöffnet worden. Wenn die Mehrheit zufällig unrecht hat in ihren Wünschen und sich damit in den daraus sich ergebenden Gesetzen irrt, dann wird sich auf die Dauer jene Gesellschaft durch ihre eigenen Gesetze und Bräuche selbst vernichten. Genau dieser Prozeß ist in den Zivilisationen, die vor der unsrigen blühten, abgelaufen.

Und es sieht ganz so aus, als ob die Geschichte sich in unserer westlichen Gesellschaft wiederholen wird, wenn der gegenwärtige Trend so weiterläuft. Polizeigewalt und Unzugänglichkeit sind machtlos gegen diese zerstörerischen Prozesse, weil die demokratische Gesellschaft gerade diese Kräfte der Zerstörung legalisieren kann. Sobald eine demokratische Gesellschaft ein Liebhaber ihrer Vergnügen um jeden Preis geworden ist, ist sie unwiderruflich zum Verfall verurteilt. Der eingebaute demokratische Mechanismus, genau das zu erlauben, was die Mehrheit gerne will und was sie erfreut, unabhängig davon, ob es zerstört oder nicht, sorgt für den unwiderruflichen Verfall.

Wenn einmal eine demokratische Gesellschaft entscheidet, daß sie ihre Demokratie dazu gebrauchen will, um zu ihren Freuden zu gelangen, obwohl sie Schaden anrichten könnten – es ist nicht so wichtig, ob die Folgen dieser Freuden Krebs, Psychosen, Arteriosklerose, Herzinfarkte, Geschlechtskrankheiten, Unmoral oder gar der Fatalismus, der mit gewissen östlichen Religionen und einigen psychedelischen Drogen (Cannabis) zusammengeht, sind -, keine Macht in einer demokratischen Gesellschaft kann den Schaden oder den Zerfall aufhalten! Eine Möglichkeit, diesen Prozeß aufzuhalten, bestünde darin, einer solchen Gesellschaft ihr Recht auf Eigengesetzgebung zu nehmen. Das wäre allerdings das Ende der demokratischen Freiheit. Wir scheinen diesem Punkte in der Geschichte der
westlichen Kultur gerade jetzt sehr nahe zu sein.

Eine andere Möglichkeit, den Lauf zum Verfall aufzuhalten, ist die einer geistlichen Erweckung, die eine Gesellschaft davon heilt, ihre Freiheit zur Legalisierung dessen zu benutzen, was sie zerstören muß. Das ist in der westlichen Geschichte vorgekommen – und es funktioniert! Ehe eine demokratische Gesellschaft den Zustand des Zerfalls erreicht, kann ein durchschlagendes Erziehungsprogramm helfen, vor der Gefahr zu warnen und diese abzuwenden. Aber eine geistliche Erweckung, die einen neuen Sinn für Werte gibt, ist ein wesentlicher Teil des Vorganges. Hier wird die Gesetzgebung nicht mehr vom Lustgewinn einer Mehrheit, sondern vom Wohl der ganzen Gesellschaft ausgehen. Die Vordergründigkeit von «Vergnügungen» wie freie Liebe, Drogenkonsum und Überfluß, wird dem Bedürfnis nach echter Transzendenz weichen, um eine neue, geistliche Dimension zu erschließen, die dem Leben echten Sinn und überwältigende Freude gibt. So ist das einzige Bollwerk gegen den scheinbar vorprogrammierten Lauf zum Zerfall in einer demokratischen Gesellschaft eine geistliche Belebung und Neubewertung des Lebens. Wie wir später sehen werden, ist die gegenwärtige psychedelische Drogenepidemie ein Anzeichen dafür, daß die Gesellschaft den Weg der Erneuerung einschlagen könnte, wenn ihr nur die richtige Leitung gegeben würde von erneuerten Männern und Frauen, die den wahren Zustand der gegenwärtigen Lage in der westlichen Gesellschaft beurteilen können; denn unsere jüngere Generation sehnt sich offenbar nicht wirklich nach bewußtseinsverändernden Drogen an sich, sondern sucht nach der Bedeutung des Transzendenten, d. h. sie sehnt sich nach echten geistlichen Erlebnissen. Bewußtseinsverändernde Drogen tun etwas in der Richtung, daß sie das Bedürfnis des Menschen zeigen, obwohl sie selbst nach unserer Meinung nur eine Pseudolösung anbieten. Ehe wir auf diesen Aspekt der Bedeutung der psychedelischen Drogenepidemie eingehen können, wird es nötig sein, sich zunächst den rein pharmakologischen Aspekten der bewußtseinsverändernden Drogen zuzuwenden.

2. Verschiedene Drogenarten

Die Hauptdrogen, die das Bild heute bestimmen, sind die sogenannten psychoaktiven Drogen. Dazu gehören
(1) die Anästhetika und Tranquillizer (Beruhigungsmittel), die Nikotin und Anästhetika wie Alkohol einschließen,
(2) die Amphetamine oder ZNS (=Zentrales Nerven-System) stimulierenden Drogen,
(3) die Barbiturate (= ZNS dämpfende Drogen) (Anästhetika),
(4) die Opiate oder Analgetika, die auch das Zentralnervensystem und das Schmerzempfinden beeinflussen und
(5) die sogenannten psychedelischen Drogen, die angeblich das Bewußtsein erweitern, Bewußtseinsveränderungen
      hervorrufen und einen Zustand von «Instantmystizismus» veranlassen.

So schließen die psychoaktiven Drogen wenigstens fünf unterschiedliche Arten von Stoffen ein, die nicht miteinander verwechselt werden sollten, obgleich sie alle psychoaktiv oder den Bewußtseinszustand verändernde Substanzen sind. Natürlich sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Klassifizierungen nicht immer klar definierbar. In der Tat kann es vorkommen, daß eine Droge, die allgemein als nicht psychoaktiv klassifiziert wird, sich als psychoaktiv herausstellen kann, wie z.B. im Falle einiger Lokalanästhetika. Lidocain kann Hypnose oder Schlaf neben Lokalanästhesie hervorrufen. Normalerweise sind die letzteren bei Normalanwendung (für Lokalanästhesie) nicht psychoaktiv. Aber mehrere Lokalanästhetika können unter gewissen Umständen ZNS dämpfend (d. h. als psychoaktive Drogen) wirken. Unter den psychoaktiven Drogen werden die sogenannten psychedelischen Stoffe dazu gebraucht, tranceähnliche
Zustände oder Trips auszulösen, die Halluzinationen, psychedelische Höhepunkte (High) und ein Wahrnehmen der
Transzendenz in sich schließen, die oft den Sinn für Zeit und Raum verlieren lassen. Sie können eine Art mystischen tranceähnlichen Zustand hervorrufen, den man als «Instantmystizismus» bezeichnet, mit einigen Begleiterfahrungen, die zum Mystizismus gehören. Natürlich können diese Drogen bei dem einzelnen Menschen, der die Droge einnimmt, je nach Dosis und seinem Set (Einstellung zur Drogenerfahrung) und Setting (Umstände zur Zeit der Drogenerfahrung) zur Zeit der Drogeneinnahme, auch reine psychotische Störungen herbeiführen. Für eine Beschreibung der genauen Wirkungen von psychedelischen Drogen, siehe mein Buch «The Drug Users: the Psychopharmacology of Turning On.»

Amphetamine können ebenfalls, neben bloßer ZNS-Stimulierung, in einigen Fällen Halluzinationen und Psychosen hervorrufen. Aber es entsteht wenig wirkliche psychedelische Wirkung. Opiate produzieren Euphorie neben den dämpfenden Wirkungen auf das Zentralnervensystem und das Verdauungssystem. Aber der Euphorie folgt eine Depression und ein «Vor-sich-Hindösen». Es gibt keine ausgeprägte psychedelische Wirkung.

Die obige Zusammenfassung der Drogentypen unter der Klassifikation «psychoaktiv» vermittelt eine Ahnung von der Komplexität der Drogenepidemie, die von den verschiedenen Typen der erwähnten psychoaktiven Drogen ausgelöst wurde. Neben dieser Verschiedenheit der Drogen ist die Tatsache von Bedeutung, daß die Person, die heute heroinsüchtig ist, wahrscheinlich schon vorher andere psychoaktive Drogen genommen hat. Wenn sie ihre Dosis
(Fix) an Heroin nicht erhalten kann, wird sie vielleicht mit einem Barbiturat oder einer anderen Droge vorlieb nehmen. Als Gipfel der Süchtigkeit wird es gewöhnlich angesehen, wenn ein Drogenkonsument Kokain nimmt, das gleichzeitig ein Stimulans und eine anästhetische Substanz ist, und noch dazu eine dämpfende Droge (mit euphorischen Eigenschaften) wie Heroin.
Unter solchen Umständen setzt die Zerstörung des Charakters oft schnell ein. Es ist wichtig, das Ineinandergreifen beider Drogentypen und Drogenverbraucher zu erkennen, denn das ganze Problem der Drogenepidemie ist kompliziert. Die Verbraucher psychedelischer Drogen wie Cannabis und LSD oder Meskalin betrachten gewöhnlich den Gebrauch von Opiaten wie Morphin oder Heroin zur Bewußtseinsveränderung als «schlechten Stil» oder «schlechte Technik»; denn die wirklichen Instantmystiker begehren, wie wir schon hervorgehoben haben, mehr und verschiedenartiges Bewußtsein, nicht «Nirvana» oder Vergessen (weniger Bewußtsein), wie man sie mit den Anästhetika oder Analgetika der Opiate oder Barbiturate erhält. So ist es eine Tatsache, daß der Gebrauch von Cannabis oder LSD nicht notwendigerweise zu Heroin und dessen unerwünschten Folgen für den einzelnen und die Gesellschaft, in der er lebt, führt. . . .

Psychedelika führen nicht unvermeidlich zu Heroin – die Hunderttausende von Cannabisgenießern, die nach Jahren der Erfahrung kein Heroin gebrauchen, beweisen das. Die heutige Drogensubkultur schließt also den Gebrauch aller psychoaktiven Drogenarten ein – Opiate, Amphetamine, Barbiturate, Tranquilizer (Beruhigungsmittel) wie auch psychedelische Drogen. Jedoch ist es wichtig zu erkennen, daß die Drogen, die zu mystischen Erfahrungen und psychedelischen Highs führen, vollkommen verschieden sind von praktisch allen anderen psychoaktiven Drogen: Sie verursachen keine Abhängigkeit oder, um die alte Terminologie zu gebrauchen, keine Sucht. Amphetamine, Opiate, Barbiturate und bis zu einem gewissen Maße Tranquilizer können suchtbildend sein. Aber die am wenigsten gefährlichen Drogen in dieser Hinsicht sind die psychoaktiven Drogen, die eine psychedelische Wirkung haben und «Instantmystizismus» hervorrufen. Ganz spezifisch gesprochen sind LSD, Cannabis, Meskalin, Psilocybin nicht gefährlich in bezug auf suchtbildende Wirkung. Ihre Gefahr liegt woanders, auf dem Gebiet der Psychosen in Verbindung mit negativen Trips. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu kennen, weil öffentliche Stellen mitunter psychedelische Drogen als «Narkotika» klassifizieren und den Eindruck erwecken, daß Suchtgefahr besteht.

Drogen vom LSD-Typ dürfen wegen ihrer schnellen Toleranzentwicklung (nicht Abhängigkeit) nicht in dicht
hintereinanderliegenden Dosierungen genommen werden. Ein Zwischenraum von ungefähr einer Woche ist zwischen den Dosen erforderlich, um die LSD-Wirkung zu reaktivieren. Auf den folgenden Seiten wollen wir die Möglichkeiten zur wirklichen Behandlung der Drogenepidemie prüfen. Wir wollen dabei wieder zwischen psychoaktiven Drogen
und Psychedelika unterscheiden.

3. Kokain

In unserer Klassifikation haben wir Kokain nicht vergessen, obgleich es, pharmakologisch gesprochen, eher eine
Klasse für sich bildet. Es ist ein starkes Lokalanästhetikum und deshalb ein Dämpfer, aber zur gleichen Zeit ein
kurzwirkender Stimmungsheber, der Euphorie, Appetitabnahme, Unempfindsamkeit gegen Müdigkeit und
Schmerz hervorruft. Es ist der stärkste bekannte Stoff gegen Ermüdung, der ein Gefühl von großer Muskel- und geistiger Stärke schafft, so daß der Gebraucher der Droge seine Kraft überschätzt. Es bewirkt, genau wie Amphetamin, in sonst völlig intakten Personen eine Euphorie. Die Eingeborenen in den Anden kauen das Cocablatt, das eine gebundene Form von Kokain enthält, um Müdigkeit zu überwinden. Wegen der kurzen Wirkungsdauer müssen innerhalb weniger Stunden viele Dosen verabreicht werden, um die Euphorie beizubehalten. Bei Überdosierung kommen noch Angstzustände und Halluzinationen, wie die durch Amphetamine erzeugten, hinzu. Durch Schlaganfall und Versagen der Atmung kann der Tod eintreten. Das Bild des verkommenen Drogenteufels, das oft für Opiatbenutzer gebraucht wird, paßt  eher zum Kokainsüchtigen. Einige Personen können es jedoch lange Zeit genießen, ohne daß sich die toxischen Symptome entwickeln, während andere nach einer einzigen Verabreichung daran leiden. Zwar ist heute ein zunehmender Gebrauch von Kokain in der westlichen Kultur zu verzeichnen, spielt jedoch noch eine verhältnismäßig geringe Rolle in der gegenwärtigen Drogenepidemie der westlichen Länder. Wir wollen zuerst die Möglichkeiten zur Behandlung des Alkoholmißbrauches untersuchen (da er am meisten verbreitet ist) und dann weiterfahren mit den Möglichkeiten zur Behandlung des Mißbrauchs von Opiaten, Amphetaminen, Tranquilizern, Barbituraten und schließlich der psychedelischen Drogen. 

4. Pharmakologische Möglichkeiten zur Behandlung der Epidemie des Drogen-Mißbrauches 

a) Entwöhnung von Opiaten – Methadon-Ersatz

Methadon ist ein synthetisches Opiat, das ähnliche analgetische Eigenschaften aufweist wie Morphin und Heroin. Es ist suchtbildend, aber weniger als Heroin. Es kann auch geschluckt werden, was gegenüber Morphin und Heroin ein Vorteil ist, da diese parenteral oder intravascular eingeführt werden müssen. Entzugssymptome treten bei Methadon eher später auf als bei Heroin- oder Morphinentzug. Bei Methadon-Abhängigkeit kann u. U. 48-72 Stunden nach der letzten Dosis noch kein Entzugssymptom auftreten. Bei schwerer Abhängigkeit von anderen Opiaten treten die Entzugssymptome gewöhnlich innerhalb von 36 Stunden nach der letzten Dosis auf.

Die Entzugssymptome – den Süchtigen als «cold turkey» bekannt – werden unter den Opiat-Konsumenten sehr gefürchtet. Sie werden fast alles unternehmen, um einen «Fix» oder eine neue Dosis des erforderlichen Opiats zu erhalten, um die Symptome am Erscheinen zu hindern oder sie loszuwerden. Diese Gier nach einer neuen Dosis treibt den Süchtigen zu Verbrechen und Gewalttat, wenn er versucht, das nötige Geld zu erlangen, um für eine Dosis Opiat zu bezahlen. Der Süchtige braucht die Droge eher dazu, die Entzugssymptome zu unterdrücken oder loszuwerden als zum Erlangen der Euphorie, die er in den früheren Tagen seiner Opiaterfahrung so hoch schätzte.

Es ist nun von vielen, die sich mit Opiatabhängigkeit befaßten, herausgefunden worden, daß die Entzugssymptome, die durch Vorenthalten von Heroin bei einem Heroinsüchtigen entstehen, durch Methadon unterdrückt werden können. Das gleiche trifft bei Morphin- und Opiumsucht unter den natürlichen Opiaten (Heroin ist das Azetylderivat von Morphin und ist deshalb ein semisynthetisches Opiat) und bei Abhängigkeit von Meperidin und anderen synthetischen Opiaten zu. Der Morphin- oder Heroinentzug bei Süchtigen ist, im Gegensatz zum Barbituratentzug, selten tödlich. Aber er ist außerordentlich unbequem, und der Patient leidet im Verfahren Todesqualen. So fand man heraus, daß beim Ersetzen des Heroin oder Morphin durch Methadon die Entzugssymtome, die so unerwünscht sind, unterdrückt werden können. Noch ein weiterer Punkt wurde bei der Arbeit mit Methadonentzug festgestellt. Der Heroinsüchtige wird, wenn er mit Methadon behandelt wird, angeblich unfähig, mittels Heroin oder Morphin ein «High» zu erreichen.

Tatsächlich hat man gesagt, daß Heroin Euphorie hervorruft, Methadon dagegen nicht. Auf den ersten Blick sah es wenigstens in früheren Arbeiten so aus, als ob Methadon eine Droge sei, die Heroin-, Morphin- und andere Opiat-Euphorie blockieren würde, ohne die unerwünschten Nebenerscheinungen natürlicher Opiate aufzuweisen. Aber ist das wirklich der Fall? Heute besteht eine rapid wachsende Überzeugung unter den Experten, daß Methadon nur eine legale Sorte der Herointyp-Droge ist, die jedoch per os (durch den Mund) wirksam ist, aber langsamer wirkt. Es besitzt weniger Aktivität (gemessen nach dem Gewicht) als Heroin oder Morphin.

Die folgenden Tatsachen treten heute zutage und untergraben ernstlich das Vertrauen der Experten hinsichtlich der Brauchbarkeit von Methadon, um Heroin- und Morphinsucht zu «blockieren»: Erstens wird man die Ansicht, daß Heroin Euphorie erzeuge, während Methadon dies nicht tue, modifizieren müssen. In Wahrheit sind, pharmakologisch gesehen, Heroin und Methadon sehr ähnliche Drogen. Wenn eins von beiden dem Körper auf oralem Weg zugeführt wird, ist die Absorption langsamer als bei intravenöser Injektion. Das Ergebnis ist: Der Körper kann mit beiden Drogen leichter fertig werden, wenn sie per os verabreicht werden, weil in beiden Fällen die Blutkonzentration langsam steigt. Auf diese Weise erzeugt weder Heroin noch Methadon einen Ansturm von Euphorie, wenn durch den Mund eingenommen. Jedoch rufen beide Euphorie hervor, wenn rasch intravenös injiziert wird. Es stimmt, daß Methadon als schwächere Droge weniger wirksam ist, aber wirksam ist es.

Zweitens ruft der Gebrauch beider Drogen im Laufe der Zeit Toleranz hervor. Der Körper lernt sie zu metabolisieren (abzubauen), so daß von jeder Droge immer mehr erforderlich ist, um eine bestimmte euphorische Wirkung zu erzeugen. Sobald einmal Toleranz gegenüber einem von beiden eingetreten ist, ist es schwierig, Euphorie überhaupt hervorzurufen, es sei denn sehr flüchtig durch sehr schnelle Injektion hoher Dosen. Das heißt, daß die Behauptung, Methadon erzeuge keine Euphorie, daher kommen mag, daß weder Heroin noch Methadon in der schon toleranten Person leicht Euphorie herstellen wird. Die meisten Leute, die mit Methadon gegen Heroinsucht behandelt werden, sind natürlich schon tolerant – und daher tolerant gegenüber beiden, Methadon und Heroin. Es besteht Kreuztoleranz zwischen Methadon und Heroin – wenn man gegenüber der einen Droge tolerant ist, besteht ebenfalls eine Toleranz gegenüber der anderen.

Drittens ist der «Blockierungseffekt», durch den man angeblich unter der Methadonbehandlung mit Heroin kein «High» erreichen kann, leicht erklärbar. Die Dosis von Methadon, die für den Heroinsüchtigen zur Behandlung empfohlen wird, ist sehr hoch – viel höher als die Dosis, die früher bei der Methadonbehandlung gegen die Schmerzen von Krebspatienten angewendet wurde. Wenn der Körper von dieser riesigen Menge Methadon überschwemmt wird, reagiert er nicht auf kleinere Mengen Heroin und ist deshalb für Heroin und andere Opiate «blockiert».  . . .

Es wird oft behauptet, daß Methadon den Heroinsüchtigen im gleichen Maße normal hält wie Insulin den Diabetiker. Daß dies eine vollkommen falsche Analogie ist, beweist die Tatsache, daß viele Insulinpatienten allein durch Diät unter Kontrolle gehalten werden können, was man im Falle des Heroinsüchtigen kaum behaupten könnte! Weiterhin ist es eine Tatsache, daß Methadon die Schläfrigkeit der Opiate produziert, so daß man vom Patienten in Methadonbehandlung kaum sagen kann, daß er durch die Droge in einem normalen Zustand gehalten würde – wie im Falle von Insulin. In der Tat treten viele typische Heroin/Morphin-Nebenerscheinungen bei der Methadon-Behandlung auf. So leidet der Patient unter Verstopfung und schwitzt; sexuelle Impotenz kann besonders bei älteren Männern vorkommen, und seine Reflexreaktionen werden anormal. Bei Entzug von Methadon stellen sich gewöhnlich ernsthafte Muskelkrämpfe ein, so daß manchmal Hospitalisierung notwendig wird. Weil Methadon länger als Heroin wirkt, setzt Entzug langsamer ein und dauert länger. Viele Patienten, die oral mit Methadon behandelt werden, injizieren es in die Venen («mainline») und erleben ein «High», das dem des Heroins ähnlich ist. … Dazu beeinflußt Methadon einen Patienten sozial und psychologisch, so wie es alle Opiate tun. Es dämpft das Gefühl und die Reaktionsfähigkeit und schränkt den Bereich der menschlichen Erfahrung ein. Das bedeutet, daß die ganze Familie eines Methadon-Patienten, einschließlich seiner Kinder, dem Benutzer eines starken Narkotikums Tag und Nacht ausgeliefert ist – und das auf legale Weise.

Der weitverbreitete Gebrauch von Methadon, der gesetzlich vom U. S. Staat gefördert wird, bedeutet wirkungsmäßig die Legalisierung eines ebenso weit verbreiteten Heroin Verbrauchs. Will dies die Gesellschaft? Der einzig wirkliche Unterschied wird der sein, daß man Methadon in der Klinik erhalten kann, aber Heroin nicht. Das kommt dem sogenannten «Britischen System» nahe, unter dem der registrierte Süchtige seine (Unterhaltungsdosis) Opiat, von der er abhängig ist, für nur einen nominellen Betrag erhalten kann. Wenn das der Fall ist, dann gibt es überhaupt keinen Grund zur Behandlung mit Methadon. Praktisch ist es eine Form von Heroin oder Morphin. Man könnte also die Methadon-Behandlung gleich durch das britische System ersetzen und so den Patienten das nötige Heroin oder Morphin statt Methadon geben. Diese Methode gibt das Heroinproblem zu, unternimmt aber nichts zu seiner Lösung – sie legalisiert und stabilisiert das Problem.

Eines sollte jetzt klar sein: die Methadon-Behandlung sollte man unter keinen Umständen als «Kur» für Opiatabhängigkeit bezeichnen. Sie «blockiert» keine Opiate wie Heroin. Sie ist in Wirklichkeit ein Zugeständnis, daß
man der von Opiaten abhängigen Person ihre Opiatdroge geben muß, um ein relatives Wohlergehen zu gewährleisten, und daß es, pharmakologisch gesprochen, bis heute keine Heilung gibt. 

d) Heroin: Geschichte

1898 wurde Morphin erfolgreich azetyliert, um Diacetylmorphin herzustellen, sonst bekannt als Heroin. Die frühen klinischen Versuche zeigten, daß Heroin sowohl Morphiumsucht als auch Opiumsucht «heilte»!  Es entwickelte sich eine solche Begeisterung für die neue Droge, daß sie ihren Namen von dem englischen Wort «hero» (Held)  bekam,- es heilte die Opium- und Morphinplage! Die Methadon-Behandlung läuft pharmakologisch auf das gleiche hinaus. Es behandelt Opiatsüchtigkeit, indem es mehr Opiat verabreicht, mit all den bekannten Folgen. Die fortgesetzte Anwendung der Methode wird Gesetz und Ordnung unterminieren, da sie in der Tat eine Art von Opiatdroge legalisert, während das Opiat Heroin verboten ist. Warum sollte in diesem Fall Heroin ein «schlechtes» und Methadon ein «gutes» Opiat sein? Die Drogenkonsumenten (auch einige Pharmakologen) kommen zu dem Schluß, daß die Instanzen, die eine Droge legalisieren oder amtlich verbieten, nach willkürlichen Grundsätzen arbeiten – oder daß sie einfach die Tatsachen nicht kennen, weil sie ihre pharmakologischen und historischen Drogenhausaufgaben nicht gemacht haben. 

e) Verbrechen

Ein letzter Punkt muß erwähnt werden in bezug auf den Methadon-Versuch, das Opiatproblem zu lösen. Ein beträchtlicher Teil der Verbrechen, die mit Opiatgenuß verbunden sind, wird durch die finanzielle Notwendigkeit
hervorgerufen, die Droge zu erwerben, was auf dem Schwarzen Markt teuer ist. Aber nicht alle Verbrechen haben diesen finanziellen Ursprung. Das geht aus der Tatsache hervor, daß bei Gewalttätigkeitsverbrechen aufgrund von Alkohol die Geldfrage nicht an erster Stelle steht. Entweder ist es die Pharmakologie der Droge, die das Verbrechen auslöst, oder die Persönlichkeit des Kriminellen unter dem Drogeneinfluß ist der Grund dafür. Oder beide Faktoren mögen im gewalttätigen Verbrechen eine Rolle spielen. Man hat jedoch festgestellt, daß ein hoher Prozentsatz von Süchtigen, die wegen krimineller Handlungen festgenommen werden, auch schon vor ihrer Drogenabhängigkeit mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren. Eine wirkliche Ursache des kriminellen Verhaltens liegt also in der Persönlichkeit, die sich Drogen zuwendet. Die Kriminalität war da, ehe der Kriminelle sich den Drogen zuwandte, und wahrscheinlich wenigstens in einigen Fällen entscheidend, daß er drogensüchtig wurde. Man kommt wiederum zu der Schlußfolgerung, daß das Drogenproblem hauptsächlich ein menschliches Problem ist. In der Tat konnten in England etwa 34 % der Süchtigen, die wegen Verbrechen festgenommen waren, ihre Drogen legal und ohne Schwierigkeiten erhalten. Aber sie hatten sich nichtsdestoweniger kriminellen Tätigkeiten zugewandt. Wenn man daher Opiatdrogen leicht zugänglich macht (entweder Methadon oder Morphin), um den Schwarzen Markt zu vermeiden, löst man damit nicht das Drogen/Verbrechen-Problem. Wenn natürlich der Schwarze Markt dadurch unnötig wird, daß Opiate legal zugänglich sind, dann kann man die Drogenreinheit kontrollieren, was ein großer therapeutischer Vorteil wäre; denn wenn ein Patient eine unreine Droge mit unbekannten Bestandteilen zu sich genommen hat, wie kann ein Arzt wissen, auf welche Weise er ihn im Notfall behandeln soll? 

 

Kapitel III.

Drogen-Abhängigkeit und -Entzug  

 

1. Entzug von Amphetaminen (und Kokain)

Amphetamine werden im allgemeinen medizinisch als Diäthilfe gebraucht. Sie verringern den Appetit und setzen das Müdigkeitsempfinden herab. Gleichzeitig steigern sie die geistige Regsamkeit und verleihen ein Gefühl allgemeinen Wohlbefindens. Unter gewissen Umständen, wie Überdosierung, können sie Angst und Zittrigkeit hervorrufen. Letzteres kann verringert werden, indem man gleichzeitig Barbiturate gibt, was, wie wir noch sehen werden, eine gefährliche Handlungsweise sein kann. Man glaubt gewöhnlich, daß Barbiturate die Amphetamin-Euphorie verstärken. Tatsächlich ist die verstärkte Amphetamin-Euphorie bei gleichzeitiger Einnahme von Barbituraten wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß das Barbiturat die Stimulierung des Zentralnervensystems, verursacht durch das Amphetamin, neutralisiert und so die Angst und das Zittern vermindert. Dies wiederum läßt eine größere Dosis Amphetamin zu, ohne unangenehme ZNS-Stimulierung und wirkt sich in größerer Amphetamin-Euphorie aus.

Amphetaminsüchtige beschreiben ihre Euphorie fast mit den gleichen Ausdrücken wie Kokain-Konsumenten. Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, daß beide, Amphetamine und Kokain, das Zentralnervensystem stimulieren. Wie man es von seinen ZNS-stimulierenden Eigenschaften erwarten würde, erzeugt Kokain ebenfalls eine bemerksenswerte Appetitabnahme und den Verlust des Müdigkeitsempfindens. So haben Amphetamine und Kokain viele gemeinsame Eigenschaften. Sie verleihen beide ein übertriebenes Gefühl von Muskelstärke und geistiger Fähigkeit. Weder Amphetamin noch Kokain braucht eine gestörte Persönlichkeit, in der ihre Eigenschaften zur Geltung kommen. Vollkommen normale Menschen erfahren die Wirkung beider Drogen. Kokain besitzt allerdings starke lokalanästhetische Eigenschaften, die die Amphetamine nicht aufweisen.

Die Standardtextbücher stellen fest, daß Amphetaminabhängigkeit nicht übermäßig häufig vorkommt, daß sie tatsächlich relativ ungewöhnlich ist. Während dies zweifellos in England und den Vereinigten Staaten der Fall ist, hat Skandinavien, besonders Schweden ernsthaften Preludin (Phenmatrazin)-Mißbrauch erlebt. Preludin ist eine Appetitdämpfende Droge, die eine chemikalisch verstellte Art von Amphetamin ist. Man sagt, daß seine stimulierenden Eigenschaften geringer seien als die von gewöhnlichem Amphetamin, daß aber die appetiteinschränkende Wirkung größer sei. Auf alle Fälle besitzt Phenmetrazin viele Eigenschaften von Dextroamphetamin. Medizinisch benutzt man den Amphetamin-Drogentyp zur Behandlung von Fettleibigkeit, um während langer Arbeitszeiten geistig wach zu bleiben, zur Behandlung von Narkolepsie (unkontrollierbarer, anfallartiger Schlaf) und manchmal für nächtliches Bettnässen (Enuresis) bei Kindern. Die Amphetamine werden oft von «Gangs» von Jugendlichen mißbraucht, die ein ganzes Wochenende auf den Füßen bleiben wollen, ohne die Notwendigkeit ein Hotelschlafzimmer mieten oder Schlafengehen zu müssen. Auf diese Art eingenommen – im Gegensatz zum medizinischen Gebrauch – erzeugen Am-
phetamine psychische Biegsamkeit und eine Mentalität des «Gang»-Herdentriebs.

2. Entzugssymptome (Amphetamine)

Nach Amphetamin-Entzug gibt es eine hohe Rückfallsrate. Das Vorkommen von Selbstmord und Psychose ist viel
höher nach dem Entzug als im Bevölkerungsdurchschnitt. Das zeigt, daß Psychose und Selbstmord eine Folge von Amphetamin-Entzug sein können. Einige Süchtige scheinen imstande zu sein, sich selbst auf einer festgesetzten Unterhaltungsdosis zu stabilisieren. Die Mehrzahl der Süchtigen weist Entartung der Persönlichkeit auf, die mit ihrem Amphetamin-Mißbrauch parallel läuft. Solche Patienten befinden sich häufig im Krankenhaus zur Behandlung von toxischer Psychose.

Es entwickelt sich Toleranz gegenüber der stimulierenden Wirkung der Amphetamine. Der Süchtige reagiert auf diese Toleranz durch Erhöhung der Dosis, die er auf mehrere hundert mgs täglich oder sogar mehr erhöhen kann. Wenn sich Toleranz gegen ein Amphetamin entwickelt, besteht eine Kreuztoleranz gegenüber allen Amphetaminen. Obgleich jedoch Toleranz gegenüber der stimulierenden Wirkung gebildet wird, entsteht keine Toleranz gegenüber den rein toxischen Wirkungen auf das Zentralnervensystem. Daraus ergibt sich, daß, indem die Toleranz gegenüber Stimulierung gebildet und die Dosis dementsprechend erhöht wird, die toxische Grenze schnell erreicht wird, die Psychose hervorruft. Dies kann wenige Wochen oder Monate nach Mißbrauchbeginn eintreten.

Amphetamin-Psychose wird oft von Halluzinationen des Gehörs und der Sicht begleitet. Die paranoiden (wahnsinnig) Symptome ähneln denen der Schizophrenie. Die psychotischen Symptome erscheinen langsamer als bei Kokain, obgleich sie nach großen Dosen von Amphetamin nach 2-3 Tagen erscheinen können. Da große Dosen Dextroamphetamin (und Amphetamine im allgemeinen) langsam im Verlauf von ungefähr einer Woche ausgeschieden werden, besteht die Gefahr einer Kumulierung (Häufung).

Das langsame Auftreten von Psychosen mag auf die langsame Häufung zurückzuführen sein. Aus dem gleichen Grunde (langsame Ausscheidung) verschwinden Amphetamin-Psychosen gewöhnlich langsam, selbst wenn keine Droge mehr zugeführt wird.

Man glaubte lange Zeit, Amphetamine zeigten keine wahren Entzugssymptome außer Müdigkeit, Heißhunger auf die Droge und Depression. Jedoch werden die EEG-Profile nach plötzlichem Entzug ganz deutlich verändert. Sie normalisieren sich erst, wenn man die erforderliche Unterhaltungsdosis verabreicht. Das wird so ausgelegt, daß das veränderte EEG ein wirkliches Entzugssymptom darstellt. Obwohl Müdigkeit, Depression und starkes Verlangen, wie oben beschrieben, auftreten, gibt es beim plötzlichen Entzug von Amphetaminen nichts, was mit den Opiat-Entzugssymptomen zu vergleichen wäre. Deshalb ist im Fall von Abhängigkeit die beste Methode, Amphetamine zu entziehen, der totale und abrupte Entzug unter angemessener medizinischer Pflege, falls es sich um hohe Dosen handelt. Die dem Entzug folgende Depression sollte sorgfältig beobachtet werden, falls Neigungen zu Selbstmord auftreten.

4. Energie Verhältnisse beim Amphetamingebrauch

Viele Amphetamin-Konsumenten, mit denen ich sprach, scheinen nicht zu begreifen, daß die Droge selbst dem Körper weder Energie noch Kalorien zuführt. Die Dosen des genossenen Amphetamins sind milligrammweise viel zu klein, um dem Treibstoffvorrat des Körpers etwas beizusteuern. Die Überaktivität, hervorgerufen durch die Amphetamine, wird eindeutig nicht durch Verbrennung von Amphetaminmolekülen unterhalten. Die Amphetamine wirken nicht auf die gleiche Weise wie z. B. Zucker oder Fette im Körper, die im Organismus verbrannt werden und Energie freigeben. Amphetamine wirken, indem sie die Schwelle, bei welcher der Organismus auf Reize von außen reagiert, herabsetzen.

Jeder Organismus enthält ein unsichtbares Reservoir von verfügbarer Energie, die freigegeben wird, um auf äußeren Reiz zu reagieren. Das Tier und der Mensch besitzen sozusagen einen «Energietank», von dem der Körper gemäß seinen Bedürfnissen sorgfältig Energie austeilt. Unter normalen Umständen achtet jeder Organismus darauf, daß er immer genügend Energie in Reserve hat, um seinen vorhersehbaren Energieanforderungen nachzukommen. Er hält, sozusagen, den Energiereservetank ziemlich voll, damit er auf Notfälle reagieren kann. Deshalb verschwendet ein Tier normalerweise keine Energie durch Reaktionen auf unbedeutende Reize, sondern reagiert nur auf lebenswichtige Stimuli. Würde es weniger gut haushalten mit seiner Energie, wäre der Energietank bald erschöpft und das Tier würde «physiologisch bankrott» gehen. Amphetamine senken die Schwelle, bei der ein Tier auf einen Stimulus reagiert. Unter ihrem Einfluß fängt das Tier an, auf jeden geringen Reiz zu reagieren, so daß der Organismus schnell ohne Kraftreserven ist. Das Tier wird bei der geringsten Herausforderung rennen und springen. Ein Mensch wird lachen, kichern, reagieren, ruhelos herumwandern und ganz allgemein seine Energie verausgaben, bis er erschöpft ist und mit einem Energiebankrott endet. Er mag dann einen Schlaganfall, Halluzinationen oder Konvulsionen bekommen, an denen er schließlich sterben kann.

Bei dieser Art Tod endet der Mensch oder das Tier sofort in rigor mortis (Todesstarre). Die Tatsache, daß das Tier oder der Mensch fast sofort nach dem Tod in Todesstarre fällt, zeigt, daß sie erschöpft waren, als der Tod eintrat; denn die Abbauprodukte des Metabolismus wurden nicht schnell genug aus den überarbeiteten Muskeln herausgewaschen, ehe die Zirkulation aufhörte. Diese durch Überaktivität hervorgerufenen Abbauprodukte veranlassen die Muskelproteine sofort beim Tod zu gerinnen, so wie Eiproteine erhärten, wenn man sie in kochendes Wasser legt. . . .

Der Enzymmechanismus der Zelle, der äußerst empfindlich ist, wird bei der Überstimulierung durch die Amphetamine beschädigt. Versorgung der Zelle mit mehr Kraftstoff, mehr Zucker oder Fett, wird der Zelle nicht helfen, sich von den Wirkungen des Energiebankrottes zu erholen, der durch Amphetamin-Stimulierung erzeugt wurde. Der Energiebankrott unter dem Einfluß von Amphetaminen rührt in Wirklichkeit von dem Schaden her, der dem Zellmotor zugefügt wurde. Dieser hat Mühe, den zu seiner Verfügung übriggelassenen Kraftstoff zu verbrennen, damit mehr Energie frei wird. Die beste Hoffnung auf Erholung nach Amphetamin-Erschöpfung ist Ruhe und Schlaf.  

5. Entzug von Tranquilizern

Unter den sogenannten Haupttranquilizern gehören die Phenothiazine wohl zu den wichtigsten. Das älteste Phenothiazin ist Thorazin (Chlorpromazin, Largactil, etc.). Es ist immer noch eine sehr nützliche Droge. Der Phenothiazingruppe der Tranquilizer fehlt der Euphorie erzeugende Faktor in ihrer Pharmakologie. Aus diesem Grund
hält man im allgemeinen die Gruppe nicht für suchtbildend. Diese Tatsache unterscheidet die Tranquilizer von
anderen Substanzen wie Alkohol und Barbiturate, die beide schwach, «beruhigende» Eigenschaften aufweisen, jedoch suchtbildend sind. Obwohl in der Phenothiazin Klasse der Transquilizer keine Euphorie-erzeugenden Eigenschaften vorhanden sind, kann dennoch in gewissen Fällen eine besondere Art von physikalischer Abhängigkeit entstehen. Demgemäß kann plötzlicher Entzug von Thorazin eine Verschlimmerung der psychotischen Zustände, zu deren Behandlung die Droge verabreicht wird, eintreten. Außerdem berichtet man von Muskelschmerzen und Schlaflosigkeit während einiger Tage nach plötzlichem Entzug. Dies geschieht sogar trotz der Tatsache, daß Thorazin nur langsam durch die Nieren vom Körper ausgeschieden wird, so daß der Blutspiegel nur allmählich fällt, wenn keine Droge mehr zugeführt wird.

Bei Psychiatrie-Patienten, die lange mit Thorazin behandelt werden, entwickelt sich eine Toleranz gegenüber seinen beruhigenden Eigenschaften. So mögen sich Patienten unter Thorazin-Behandlung zuerst schläfrig fühlen, aber im Laufe der Zeit überwinden sie die sedative Wirkung der Droge. Neben seiner Verwendung als Tranquilizer gebraucht man Thorazin manchmal, um unter Generalanästhesie Schlucken zu beseitigen . . .

Nebenreaktionen von Thorazin sind Parkinsonismus, Dyskinesia (Schwierigkeit beim Bewegen), Akathisia (Drang, sich ständig zu bewegen), Mattigkeit, Herzklopfen, Verstopfung der Nase, trockener Mund, Obstipation (Verstopfung), Kältegefühl, Schläfrigkeit, orthostatische Hypotension (Schwarzwerden vor den Augen beim Aufstehen) mit manchmal darauf folgender Ohnmacht. Ein wichtiger Punkt muß betont werden – er scheint häufig beim Verschreiben der Droge außer acht gelassen zu werden -, nämlich, daß alle bedeutenden Tranquilizer die Reaktionszeit der gelernten Reflexe verlängern und deshalb für Personen, die von Reaktionszeiten der bedingten Reflexe abhängig sind, möglicherweise gefährlich sind. Aus dem Grunde sollten Patienten, die Auto fahren oder Maschinen handhaben, die von gelernten Reflexen abhängig sind, vor dem Einfluß der Droge auf ihre veränderte Reaktionszeit hingewiesen werden. Man glaubt, daß jährlich viele Autounfälle dadurch verursacht werden, daß man es vernachlässigt hat, den Patienten diese Information zu geben. Vom Standpunkt des Drogen-Mißbrauches aus sollte bedacht werden, daß Thorazin, zusammen mit den meisten Phenothiazin-Tranquilizern, die Wirkung von Alkohol, Barbituraten und Opiaten verstärkt. In der heutigen Drogenkultur sind viele Todesfälle dadurch verursacht worden, daß man ein Glas Alkohol trank, nachdem vorher ein Barbiturat geschluckt wurde. Vor einiger Zeit verlor ein Leiter einer Pop-Gruppe sein Leben in seinem Schwimmbecken aufgrund der potenzierenden Wirkungsweise von Barbituraten auf Alkohol. . . . Man findet es sehr oft, daß chronische Drogenmißbraucher alkohol-, morphin- und barbituratsüchtig sind, und zwar aus dem Grunde, weil sie jede Droge gebrauchen, die sie nur finden können, um die Wirkung ihres verdünnten Heroins oder Morphins «aufzumöbeln».

Aus dem Vorhergehenden wird klar, daß in der Regel keine direkte Abhängigkeit von Thorazin entsteht, da es keinen Euphorie-erzeugenden Faktor in seiner Pharmakologie gibt. Jedoch wird die Droge oft zusammen mit suchtbildenden Drogen verwendet, so daß der Entzug gewöhnlich zur gleichen Zeit Abhängigkeit von einer Anzahl anderer Drogen (darunter oft Thorazin) in sich schließt. Zwangsgebrauch von Thorazin allein bildet sich nicht, jedoch ist sein Gebrauch mit dem Zwangsmißbrauch anderer Drogen verbunden. Deshalb muß man beim Entziehen von Thorazin die potenzierende Wirkung von Thorazin auf die Entzugssymptome der zweiten oder dritten zur gleichen Zeit mißbrauchten Droge in Rechnung stellen. Zweitens wird Thorazin angewandt, um Patienten zu helfen, die unter dem Entzug von suchtbildenden Drogen leiden. Vor einigen Jahren gab man Patienten, die von Alkohol und Babituraten entwöhnt wurden, Thorazin. Jedoch bezweifeln heute viele die Nützlichkeit dieser Prozedur.

 

Kapitel IV

Tranquilizer und die moderne mechanisierte Gesellschaft 

1. Tranquilizer und gelernte Geschicklichkeit

Wir erwähnten schon oben, daß die Tranquilizer (Beruhigungsmittel) die Reaktionszeit, die bedingte Reflexe erfordern, verlängern. Diese Tatsache ist so wichtig, daß sie einen Extraabschnitt rechtfertigt. Das folgende Beispiel will das illustrieren, was man über die gewöhnliche Wirkung der Beruhigungsmittel wissen muß.

Wenn ein Hund so trainiert ist, daß er jedes Mal, wenn eine Glocke geläutet wird, ein Rumpsteak erwartet (wie Pawlow es vor Jahren als möglich bewies), dann wird in seinem Munde auch das Wasser zusammenlaufen, wenn die Glocke geläutet wird, jedoch kein Steak angeboten wird. Ein bedingter Reflex – Speichelbildung beim Läuten einer Glocke – hat sich gebildet. Wenn nun ein Hund, der darauf abgerichtet ist, sobald er das Läuten der Glocke hört, Speichel zu bilden, mit einem Hauptranquilizer (wie Reserpin oder einem Tranquilizer der Phenothiazin-Gruppe wie Thorazin [Chlorpromazin]) oder Diazepam [Valium] behandelt wird, dann wird der Hund nur schwach oder überhaupt keinen Speichel bilden, wenn er das Glockenläuten hört. Das bedeutet, daß ein Tranquilizer einen gebildeten bedingten Reflex löscht oder schwächt. Dies geschieht sowohl bei Tieren als auch bei Menschen.

Wir wollen jetzt den Versuch andersherum durchführen. Wenn ein nicht abgerichteter Hund mit einem Haupt-Tranquilizer wie Thorazin oder Reserpin zuerst behandelt und darauf dem Glockenläuten mit folgender Fütterung ausgesetzt wird, dann wird der Hund viel langsamer dazu abgerichtet werden, das Glockenläuten mit dem Füttern zu verbinden, als ein normaler, unbehandelter Hund. Er wird wahrscheinlich die bedingten (angelernten) Reflexe überhaupt nicht erlernen, wenn die Dosis des Tranquilizers hoch genug ist. Das heißt, das Erlernen bedingter Reflexe (erlernte Geschicklichkeit) wird viel schwieriger oder tatsächlich unmöglich nach der Behandlung mit Tranquilizern.

Zusammenfassend: Haupt-Tranquilizer neigen dazu, schon gebildete bedingte Reflexe (erlernte Geschicklichkeit) auszulöschen und zu verhindern, daß man solche überhaupt erlernt. Diese Herabsetzung der «Kraft» von gelernten Reflexen betrifft Geschicklichkeiten und Reflexe, die wir täglich lernen und anwenden. Sie schließt die Geschicklichkeit des Autofahrens als auch andere Handfertigkeiten ein, die nötig sind, um mit Maschinen umzugehen. Sie alle werden verringert oder gehen durch die Therapie mit Haupt-Tranquilizern verloren.

In alldem liegt eine verborgene praktische Gefahr. Der Patient selbst hat nicht die geringste Ahnung davon, daß der Tranquilizer seine erlernte Geschicklichkeit und seine erworbenen Reflexe hemmt. Der Autofahrer mag wirklich ein sehr geschickter Mann gewesen sein – ehe er jene kleine weiße oder rosa Pille, den Tranquilizer, einnahm.  Aber nachdem er sie geschluckt hat, könnte man genau so gut einen Mann hinter das Steuerrad setzen, der kaum das Fahren erlernt hat. Der gleiche Mann jedoch bemerkt vor und nach der Pille kaum einen Unterschied. Er ist nicht im geringsten berauscht, sein Gang ist vollkommen gleichmäßig und normal. Er taumelt ganz und gar nicht. Es ist wahr, er mag sich nur ein wenig müde fühlen und die Neigung haben, einzuschlummern, wenn man ihn eine Weile ungestört läßt. Aber er ist unter keinen Umständen «von Drogen benommen» – er kann sofort von jedem kleinen Schläfchen wieder aufwachen, dem er sich hingegeben hat. Und das ist vollkommen normal für jeden, der schwer gearbeitet und zu wenig geschlafen hat. Er ist sich absolut nicht der Tatsache bewußt, daß seine erlernte Fahrgeschicklichkeit oder andere Handfertigkeiten durch die kleine weiße oder rosa Beruhigungspille, vermindert oder gar ausgelöscht sind. Wir wollen dieses bemerkenswerte Phänomen ein wenig eingehender betrachten. Eine kleine Dosis Alkohol – etwa ein oder zwei große Gläser Bier – kann zwischen 0,1- 0,5% Alkohol im Blut des Trinkers erzeugen und macht niemanden betrunken oder gar unstet in seinem Gang.

Solch eine Person ist gewiß nach dem Trinken nicht berauscht. Sein Atem ist nicht schwer von Alkoholdunst, noch ist seine Rede schwerfällig oder seine Zunge «gelöst». Er mag sich nur ein wenig entspannt und «bequem» fühlen, weiter nichts. Seine gewöhnlichen unbedingten (ungelernten) Reflexe (Gleichgewichtsreflexe) sind gewiß deswegen nicht ausgelöscht oder nur abgeschwächt.

Man hat jedoch festgestellt, daß bei den erwähnten tiefen Blut-Alkohol-Konzentrationen geringe Dosen alkoholischer Getränke (Konzentrationen, die ungenügend sind, zu berauschen und betrunken zu machen) eine tranquilisierende Wirkung erzeugen. Das heißt, diese tiefen Alkoholkonzentrationen im Blut schwächen die bedingten Reflexe in einer ähnlichen Weise wie die Hauptranquilizer, obwohl in geringerem Grade. Die Folge dieser Tatsache ist, daß selbst sehr tiefe Konzentrationen von Alkohol im Blut die Fähigkeit, Auto zu fahren, Maschinen zu bedienen und andere angelernte Reflexe herabsetzen, sowie alle Substanzen, die tranquilisierende Eigenschaften besitzen. Das bedeutet, daß selbst die kleinste Alkoholkonzentration im Blut die Neigung zu Unfällen verstärkt, in dem sie tranquilisiert und dadurch angelernte Geschicklichkeit mindert, ohne daß die betreffende Person sich dieser Tatsache bewußt ist. Die Konsequenz ist, daß sie ihre Fähigkeiten überschätzt und anfälliger für Unfälle ist. Aus diesem Grunde – die tranquilisierende Wirkung selbst niedriger Alkoholkonzentrationen im Blut – liegt das Glas Bier vor dem Heimfahren vielen Autounfällen zugrunde. Diese Unfälle rühren nicht von der berauschenden Wirkung des Alkohols her. Die Rauschwirkung macht sich erst bemerkbar nach der tranquilisierenden Wirkung des Alkohols. Die erste Wirkung geringer Dosen Alkohols ist Tranquilisierung, die die angelernten Fähigkeiten oder Reflexe zerschlägt, ohne daß der Alkoholtrinker dies weiß oder vermutet. Diese tranquilisierende Wirkung wird dann später überschwemmt, wenn die Blut-Alkohol-Konzentration weiter ansteigt und durch die anästhesierende oder berauschende Wirkung höherer Konzentrationen ersetzt. Diese spätere Wirkung verursacht den unsteten Gang, die verschwommene Sprache und die unkoordinierten Bewegungen.

Es ist in der Tat sehr wichtig, die zwei vollkommen unterschiedlichen pharmakologischen Wirkungen des Alkohols zu beachten, die tranquilisierende und die anästhesierende Wirkung, die «Trunkenheit» hervorruft. Es sind zwei verschiedene Wirkungen, obgleich sie natürlich ineinander überlaufen.

Die tranquilisierende Wirkung hat die Neigung, die bedingten Reflexe auszulöschen, während die anästhesierende Wirkung («Berauschtsein») sowohl die bedingten als auch die unbedingten oder ungelernten Reflexe auslöscht. Die letzte Wirkung erzeugt die schwerfällige, verschwommene Rede, den unsteten Gang und schließlich den totalen körperlichen Zusammenbruch – die Trunkenheit.

Ein Tranquilizer wird aus den obigen Gründen in den Textbüchern als eine Substanz definiert, die dazu neigt, die bedingten Reflexe allein auszulöschen und zur gleichen Zeit die unbedingten Reflexe unberührt zu lassen.
Anästhetische Substanzen (einschließlich Alkohol, der sowohl ein Tranquilizer ist – in niedriger Dosis – als auch Anästhetikum – in hoher Dosis) unterdrücken beide Reflexarten.

Da wir uns mit der Pharmakologie der bedingten Reflexe, sowie dem Werk Pawlows, Skinners, Eysenks und Hulls beschäftigen, sollte vielleicht erwähnt werden, daß Männer wie Sir Karl Popper lehren, daß es gar keinen bedingten Reflex gibt. Die unwahre Lerntheorie betont die Notwendigkeit der Repetition im Lernprozeß.

Aufgrund der Tatsache, daß die Pawlowschen Hunde dem wiederholten Läuten der Klingel mit anschließendem Steakgenuß unterzogen worden waren und stets erwartungsgemäß reagiert hatten, nahm man an, dies würde ein Beweis dafür sein, daß die Basis der modernen Lerntheorie, nämlich «Lernen durch Repetieren», gut war. Professor Karl Popper wendet sich gegen diese Ansicht und die dahinterstehende Theorie: Lernen allein durch Wiederholen. Er führt aus, daß, auch wenn man mir immer wieder weiße Schwäne zeigen würde, ich daraus niemals schließen kann, daß alle Schwäne weiß sein müssen.

Bei einer Reise nach Australien würde sich mir sehr wahrscheinlich die Gelegenheit bieten, schwarze Schwäne zu sehen – somit wäre meine Theorie von den weißen Schwänen zerstört.

Die Sache ist die, daß meine Denkprozesse angesichts der vielen, mir gezeigten weißen Schwäne daraus folgern, daß Schwäne schlechthin weiß sein müssen, was jedoch gar nicht der Fall ist. Auf ähnliche Art und Weise folgert der Hund – wenn es ständig wiederholt wird – daß auf den Gongschlag immer das Steak serviert wird. Gongschlag und Steak sind für ihn durch ein unveränderbares Naturgesetz miteinander verbunden – was sie natürlich gar nicht sind. Sie sind jedoch nicht Ausdruck eines Gesetzes, sondern lediglich willkürliche Abfolgen, die sich der Mensch für einen zeitlich begrenzten experimentellen Zweck geschaffen hat. Bloßes Wiederholen bewirkt keinen wirklichen Lernprozeß. Der Mensch tendiert dazu, Dingen Glauben zu schenken, wenn sie nur oft genug wiederholt wurden, und Dr. Josef Goebbels nützte diese Schwäche des menschlichen Geistes aus, um die nationalsozialistische Propagandamaschine ins Rollen zu bringen. Tranquilizers scheinen die Abstraktionsfähigkeit der Denkprozesse herabzusetzen, so daß die Gefahr besteht, daß die sogenannten Reflexe (Theorien) zur Entstehung voreilig geformter Ideen führen. Es ist wichtig, bei diesem Stadium zu erkennen, daß die meisten Drogen Wirkungen, einschließlich der tranquilisierenden Wirkung, ohne Verwendung von Drogen erzeugt werden können, wenn man weiß, wie. Dies bezieht sich sowohl auf Tranquilizer als auch auf andere Drogen.

2. Andere Tranquilizer   (Valium, Librium, Meprobamat etc.)

Man nahm allgemein an, daß Tranquilizer nützliche und ungefährliche Substanzen seien. Ein hoher Prozentsatz
von Menschen konsultiert den Arzt wegen Störungen, die mit Angstzuständen oder psychosomatischen Krankheiten verbunden sind, wie Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüre durch zu viel Streß. Auf diesem Gebiet haben sich die Tranquilizer als unübertrefflich erwiesen. Sie werden heute in riesigen Mengen verschrieben. Neben der Anwendung bei geringeren psychosomatischen Störungen wurden und werden die Tranquilizer bei schweren Geistesstörungen wie Schizophrenie gebraucht. Man kann sicher sagen, daß der Tranquilizer die Türe der Gummizelle öffnete und viele Gefangene aus den Nervenheilanstalten frei setzte.

Trotzdem wird der Tranquilizer heute, neben all den gerechtfertigten Anwendungen, in einer Art verschrieben, die man nur mit Mißbrauch bezeichnen kann. Wir wollen einige Beispiele betrachten, denn dadurch werden wir Einsicht in die Vorbedingungen für gewisse Aspekte der Drogenepidemie gewinnen. In den letzten Jahren ist im Westen der Glaube gewachsen, daß es für jede Krankheit eine Pille gibt – angefangen beim Kopfweh bis hin zur Schizophrenie. Kürzlich unterhielt ich mich mit Eltern über ihr überaktives Kind. Er war ein derartiger «Zappelpeter», daß er nicht viel in der Schule lernte. Er mußte immer mit irgend etwas herumspielen, anstatt auf das, was der Lehrer sagte, aufzupassen. Der Arzt hatte dem Jungen einen mittelstarken Tranquilizer verschrieben: «… nur, um ihm beim Lernen zu helfen!» Nun, das war gut gemeint, aber pharmakologisch war es der reinste Unsinn. Der Arzt hoffte, das überaktive Kind durch den Tranquilizer zu beruhigen. Das gelang ihm auch, denn das Kind wurde charakterlich so verändert (lethargisch, faul), daß die Eltern über die Veränderung beunruhigt waren. Aber gleichzeitig verhinderte der Arzt, daß das Kind irgendwelche gelernten Reflexe oder erworbenen Fähigkeiten beibehielt, und auf alle Fälle hielt er es davon ab, überhaupt etwas Neues zu lernen. Teilweise sind die Patienten selbst dafür verantwortlich, wenn der Arzt ihnen zu viele Drogen verschreibt; denn wenn der Arzt ihnen vorschlägt, lieber ihre Uneinigkeit im Ehe- oder Familienleben zu lösen als eine Pille für jedes Kopfweh und Malheur zu erwarten, dann werden jene Patienten mit ihrem Arzt unzufrieden. Wenn er ihnen eine Pille gibt – manchmal sogar ein Zucker-Placebo -, sind sie oft erfreut über ihren so verständigen Arzt. Die Menschen wünschen, daß man ihnen durch Pillen hilft.

Warum verwundern wir uns dann über die Drogenepidemie? Die psychedelische Drogenepidemie beweist nur, daß junge Menschen sogar ihr transzendentes religiöses Erlebnis durch eine Pille vermittelt haben wollen, statt durch Beten und In-Ordnung-Kommen mit Gott und ihrem Nachbarn. Wir werden mehr darüber später an einer  geeigneten Stelle sagen. Das Resultat dieses «drogenorientierten Klimas» in unserer Gesellschaft ist, daß heutzutage Librium, Valium, Meprobamat, Thorazin, Haloperidol und bedauerlicherweise sogar einige Barbiturate mit tranquilisierender und anästhesierender Wirkung durch Verschreiben in riesigem Ausmaß mißbraucht werden. Als Tranquilizer reduzieren oder löschen sie bedingte Reflexe und angelernte Fähigkeiten, während die unbedingten, nicht erlernten Reflexeverhältnismäßig unversehrt bleiben. Diese Sachlage trifft sowohl auf das unglückliche überaktive Kind zu, das in der Schule sitzt und angestrengt versucht, Geschicklichkeit in Mathematik, Geschichte und Handfertigkeit zu erwerben, als auch auf die fortwährend belästigte Mutter, am Ende mit ihren Nerven, die ein gutes Abendessen für die erwarteten Gäste zu kochen versucht. Sie zerschlägt Geschirr, verbrennt sich an der Kochplatte und verliert ihre hausfrauliche Geschicklichkeit – dank dieser schönen Tranquilizer.

Vor einigen Jahren traf ich einen alten Freund in der Eisenbahn in Chicago. Er war von Kopf bis zum Fuß verbunden. Ich fragte ihn, unter welcher Droge er sich befände, worauf er ärgerlich wurde. Er entgegnete mir, daß er sich unter keinerlei Drogeneinfluß befände. Er dachte nämlich, ich deute darauf hin, daß er zu tief ins Glas geguckt hätte. Es stellte sich heraus, daß seine Frau ihn und die kleinen Kinder verlassen hatte. Er selbst war ein tüchtiger Geschäftsmann. Als er nun versucht hatte, sowohl sein Geschäft als auch den Haushalt zu führen, war es zu viel geworden, und er hatte einen ernsthaften Nervenzusammenbruch erlitten. Daraufhin hatte ihm der Arzt einige Medikamente verordnet, die ihn genug beruhigt hatten, so daß er weiter arbeiten konnte. «Unglücklicherweise» und «zufällig» hatte er im gleichen Jahr drei neue Autos zusammengefahren, was seine Sorgen noch vergrößerte. Er führte alles auf den Zusammenbruch seiner Ehe zurück. Nach seiner Ansicht waren die Autounfälle nur das Resultat seiner Sorgen. So taktvoll wie möglich fragte ich ihn, ob er mir wohl das Rezept seines Arztes zeigen würde. Nein, er habe das Rezept nicht bei sich, aber er zog eine kleine Flasche hervor, die gut und deutlich als Thorazin etikettiert war, ein Haupt-Tranquilizer. Daraufhin fragte ich ihn, ob sein Arzt zur Vorsicht gewarnt hätte. Er nahm täglich drei recht hohe Dosen ein. Nein, sein Arzt hätte ihm gesagt, er könnte sich am Anfang der Therapie etwas müde fühlen, aber das würde vorübergehen, sobald er gegenüber der hypnotischen Wirkung der Droge tolerant würde. Ich klärte ihn dann über die Sachlage auf. Ohne Zweifel hatte ihm seine gebrochene Ehe Schlaf geraubt und ihn somit für Unfälle anfälliger gemacht. Dies würde die drei neuen, zusammengefahrenen Autos zu erklären helfen. Aber die Hauptursache seiner Unfälle läge eindeutig in dem Haupt-Tranquilizer Thorazin, das er täglich in hoch wirksamen therapeutischen Dosen einnähme. Er solle sich wenigstens einen Monat lang, nachdem er die letzte Dosis genommen habe, hinter kein Steuerrad setzen, da die Substanz bekanntlich langsam aus dem Körper ausgeschieden würde. Sie bliebe deshalb eine sehr lange Zeit im Blutstrom und setze seine gelernten Reflexe, d. h. seine Autofahr- und andere Fähigkeiten herab. Ich fand nie heraus, wie viele Menschen er verletzt hatte als Ergebnis davon, daß man ihn nicht vor der vollkommen eindeutigen pharmakologischen Wirkungsweise eines jeden Tranquilizers gewarnt hatte.  

3. Barbiturat-Entzug (allgemein)

Seit dem Auftreten von Tranquilizern sind die Barbiturate zweitrangig geworden. Aber deren allgemeine Pharmakologie ähnelt in vielerlei Hinsicht der von Alkohol, obgleich ihre Stärke, Wirkungsdauer und andere spezifische Faktoren voneinander abweichen. In der Bemühung, Barbiturat-Mißbrauch zu vermeiden, werden weithin, wenigstens in Europa, noch Chloralhydrat oder dessen Derivate gebraucht. Trotzdem ist der Mißbrauch von Barbituraten, Glutethimid und anderen Schlafmitteln in Europa noch weit verbreitet. Wie im Falle von Thorazin und den Amphetaminen werden Barbiturate in Verbindung mit anderen Drogen gebraucht, um deren Wirkung zu verstärken oder abzuändern. So ist Barbituratabhängigkeit oft begleitet von gleichzeitiger Abhängigkeit von anderen Drogen.

4. Abhängigkeit und Toxizität

Wiederholter Gebrauch von Barbituraten und/oder anderen Zentraldämpfern kann physiologische und psychologische Abhängigkeit erzeugen. Kleine Dosen von Phénobarbital können jedoch in einigen Fällen fast unbeschränkt eingenommen werden, ohne Abhängigkeit hervorzurufen. Psychologische Abhängigkeit oder Gewöhnung ergeben sich daraus, daß der Mensch die durch die Droge erfolgte Wirkung als notwendig empfindet, um einen Zustand des Wohlbefindens aufrechtzuerhalten. Dies kann zu Drogen-Zwangsgebrauch führen.

Zwangsgebrauch einer Droge ist oft, jedoch nicht immer, mit Toleranz und physikalischer Abhängigkeit verbunden. Größere Dosen werden erforderlich, um die gleiche (oder sogar geringere) Drogen Wirkung zu erzielen. Toleranz gegenüber einer Droge rührt teilweise von der Aktivierung der drogenabbauenden Enzymsysteme in der Leber durch die Droge her. Die Gegenwart der Droge veranlaßt die Zerstörer der Droge, in der Zerstörung aktiver zu werden. Deshalb wird, je öfter die Droge gegeben wird, diese desto schneller zerstört. Dies wiederum bedeutet, daß mehr von der Droge erforderlich wird, um die gleiche Drogen Wirkung im Körper zu erzielen. Immer mehr Barbiturat wird erforderlich, um die gleiche Zeit an Schlaf zu erzeugen. Man vergißt oft, die Folgen dieser Sachlage zu bedenken.

8. Entzugssymptome

Die Entzugs- oder Enthaltungssymptome sind in allen gewöhnlichen Dämpfern des Barbiturat- und verwandten Drogentypes ähnlich. In frühen, milden Fällen sind die einzigen Zeichen anfallartige EEG-Abnormitäten. Später, wenn größere Abhängigkeit vorhanden ist, erfolgen Zittern, Angstzustände, Schwäche und Insomnia (Schlaflosigkeit). In schweren Fällen können Grandmal-Anfälle (Epilepsie) und Delirium die Folge sein. Bei Entzug von kurzwirkenden Barbituraten treten die Entzugssymptome – Unterleibskrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Ohnmacht aufgrund von orthostatischer Hypotension (Verlust des Blutdruckes beim Aufstehen), Schwäche etc., – gewöhnlich innerhalb von ein oder zwei Tagen auf. Während dieser Periode können Konvulsionen (Krämpfe) vorkommen. Wo es sich um länger wirkende Barbiturate handelt, wie Phénobarbital und Chlordiazepoxid (Librium), setzen die Entzugssymptome langsamer ein. Sobald einmal Delirium einsetzt, kann dieses nicht leicht abgewendet werden, auch wenn man noch stärkere Dosen der suchtbildenden Droge verabreicht. Wenn Entzug der Phenobarbital-Droge durchgeführt werden soll, darf dieser Prozeß nie plötzlich durchgeführt werden. Wenn der Entzug plötzlich vorgenommen wird, können Hirn-Anfälle oder sogar epileptische Zustände (status epilepticus) folgen. Wenn Morphin oder irgendein anderes Opiat zusammen mit einem Barbiturat genommen wurde – viele Morphinsüchtige nehmen Barbiturate oder jede andere zugängliche Droge, wenn sie ihr «Fix» oder Opiat nicht erhalten können -, dann sind beide Drogen notwendig, um das Auftreten der Entzugssymptome zu verhindern. Alkohol und Barbiturate werden in ähnlicher Weise oft zusammen gebraucht. In der Tat geben Alkoholiker manchmal sogar ihren Alkohol auf, nur weil sie mit der Zeit das Barbiturat lieber mögen als Alkohol.

Wenn Abhängigkeit sowohl gegenüber Alkohol als auch gegenüber dem Barbiturat eingetreten ist, dann mögen beide Drogen erforderlich sein, um Entzugssymptome in einigen Fällen zu verhindern. Bei dem psychoneurotischen Patienten beginnt die Barbituratabhängigkeit gewöhnlich mit dem Rezept eines Arztes. Der Patient fährt fort, die Droge einzunehmen, um seiner Schlaflosigkeit und Angst entgegenzuwirken. Andererseits wird der Morphinsüchtige nur selten durch das Rezept eines Arztes mit den Opiaten bekannt – obwohl im Fall des medizinischen Personals oder Hilfspersonals der Kontakt mit den Opiaten oft bei der Ausübung ihrer Pflichten zustande kommt. Der konstitutionelle Psychopath wird gewöhnlich durch seine Freunde in die Barbiturate eingeführt. Er sehnt sich nicht so sehr nach Erleichterung von Spannung als nach dem starken Rausch. Deshalb nimmt er oft innerhalb der ersten wenigen Wochen,
in denen er seine Drogenerfahrungen anfängt, sehr hohe Dosen. Dieser Menschentyp lernt seine hohen Dosen von
dämpfenden Barbituraten mit stimulierenden Amphetaminen zu neutralisieren. … Aus obigem wird erkennbar, daß der Entzug von allgemeinen Dämpfern wie Barbituraten nicht ohne Gefahr ist.

9. Geistige Veränderungen unter Barbituraten

Unter dem Einfluß allgemeiner Dämpfer wie Barbituraten entstehen Veränderungen, die geistige und körperliche
Tätigkeit, langsames Reden und Verstehen, schlechtes Gedächtnis, Schwächung der Aufmerksamkeit, Übertreibung persönlicher Charakterzüge, emotionelle Labilität, Gereiztheit, Schlampigkeit und paranoide (wahnsinnig) Ideen mit Neigung zu Selbstmord einschließen. Unreifes und kindisches Verhalten können ein solches Stadium erreichen, daß der Süchtige unfähig wird, sich selbst zu versorgen. Manchmal entwickeln sich toxische Psychosen, die in visuellen Halluzinationen enden können. Sehstörungen und Schwierigkeiten mit visueller Akkomodierung (Anpassung des Auges an die Brennweite) sind nicht selten. Ohnmacht aufgrund orthostatischer Hypotension (Senkung des Blutdruckes beim Aufstehen) wurde schon erwähnt. …

Wie schon erwähnt, ist plötzlicher Entzug von allgemeinen Dämpfern wie Barbituraten in Fällen starker Abhängigkeit gefährlich. In weniger starken Fällen mögen nur Schwäche und Angstzustände auftreten. Schon während des ersten Tages, je nachdem, ob kurz- oder langwirkende Drogen mißbraucht wurden, kann eine Besserung festgestellt werden. Dieser Besserung können Angstzustände, Schwäche, Zittern mit folgender Schlaflosigkeit, Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen und schneller Gewichtsverlust folgen. Gewöhnlich fühlt sich der Patient so schwach, daß er im Bett bleibt und um Erleichterung und sein Barbiturat bittet. Unkontrollierbares Gliederschütteln kann vorkommen und epileptischen Grandmal-Anfällen vorausgehen, die manchmal 2-7 Tage nach Drogenentzug folgen. Besonders ältere oder erschöpfte Patienten sind während des Entzuges in Todesgefahr. Aber normalerweise kann die Entwöhnung in mehreren Wochen beendet sein. Halluzinationen können nach dem Entzug bis zu zwei Monaten nach Beendigung fortdauern.

10. Entzug und Behandlung

Es ist allgemein anerkannt, daß zwei Hauptpunkte während des Entzugs von Zentraldämpfern wie Barbituraten
beachtet werden müssen: Man darf Zentraldämpfer nie plötzlich entziehen. Der Patient muß während der Behandlung und während des Entzuges im Krankenhaus sein. Am Anfang der Behandlung und des Entzuges wird eine minimale Unterhaltungsdosis eines kurzwirkenden Barbiturates festgesetzt, die den Patienten im Zustand eines milden Rausches hält, frei von Gereiztheit, Schlaflosigkeit, Zittern und Angst. Sobald der Patient darauf eingestellt ist, wird er täglich mit 0,1 g weniger Barbiturat behandelt, bis die Hälfte der ursprünglichen Dosis erreicht ist. Diese Halbdosis wird 2-3 Tage lang unverändert eingehalten. Danach wird die Dosis wieder allmählich um 0,1 g täglich herabgesetzt, bis ein Viertel der ursprünglichen Dosis erreicht ist. Wiederum wird eine Pause eingeschaltet, in der die Dosis auf ein Viertel des Ursprünglichen 2 oder 3 Tage gehalten wird oder bis alle Entzugssymptome verschwunden sind.

Totaler Entzug kann in manchen Fällen schon nach 2-4 Wochen erreicht werden. Krankenhauspflege mit freundlicher Betreuung sind in dieser Art Behandlung wesentlich. Vorsicht, um jegliches Schmuggeln von Drogen zu verhindern, ist natürlich oberstes Gebot, da Süchtige alles versuchen werden, um ihre Droge zu erhalten. Jegliches Einnehmen von zusätzlichen Drogendosen während der Entwöhnung macht den ganzen Prozeß zunichte. Nach dem beendeten Entzug ist eine gute Therapie wichtig. Ohne diese muß man mit einem Rückfall rechnen. Sogar mit guter psychiatrischer Therapie kommen oft Rückfälle trotz sorgfältigster physikalischer Entwöhnung vor. Die gleichen Bemerkungen über einen Rückfall treffen auf Alkohol- und Opiat-Entzug zu, obgleich in den beiden letzteren Fällen viele den plötzlichen und totalen Entzug der ganzen Droge empfehlen. Bei Alkohol und Opiaten ist der Entzug von weniger wirklicher Gefahr begleitet. Die Störungen, die Abhängigkeit der oben besprochenen Art begleiten, liegen im tiefen Grunde der Psyche des Patienten, der eine gründliche und völlige Remotivierung braucht, wenn dem körperlichen Entzug der Droge nicht ein Rückfall folgen soll. Diese Seite der Behandlung von Drogen-Abusus wird in einem folgenden Kapitel besprochen werden.

Kapitel V

Einige Grundfaktoren, die Drogenwirkungsweise und Bewußtseinszustände steuern: Setting und Set

1. Allgemeine Überlegungen

Es kommen mindestens fünf Grundfaktoren in Betracht, die die Wirkungsweise jeder Droge in jeglichem Organismus bestimmen. Je nach der Sicht, von der man Drogenwirkung betrachtet, gibt es auch noch mehr. Aber für unsere gegenwärtigen Zwecke werden die folgenden sechs genügen:

a) Die Beschaffenheit der betreffenden Droge

Ihre Chemie und ihre physikalischen Eigenschaften sind alle von höchster Wichtigkeit – sind es Doppelbindungen
(Kohlenstoff zu Kohlenstoff), Benzolkerne, lange aliphatische Seitenketten, Amidgruppen, gewisse heterozyklische
Ringe, Stickstoff, Phosphoratome etc., die die rein chemische Stabilität beeinflussen. Alle diese Faktoren spielen eine Rolle. Zu diesen Faktoren gesellen sich noch die der Stereochemie: die Form der Moleküle, ob sie rechtsdrehend oder linksdrehend (optisch aktiv) und ob das Molekül in Kontakt mit biologischen Flüssigkeiten leicht ionisiert wird oder nicht. Außerdem muß die Stabilität der Moleküle in Gegenwart von Körperenzymen in Betracht gezogen werden. Die bloße Größe des Drogenmoleküls ist ebenfalls wichtig. Dazu kommen noch physikalische Eigenschaften wie Löslichkeit, Dampfdruck und Oberflächenspannung, um die angeführte Liste zu vervollständigen.

b) Das Setting:

– Die Umstände, unter denen sich ein Organismus oder eine Person befinden, wenn diese unter dem Einfluß der Droge stehen –

Dieser Faktor wird manchmal das «Setting» genannt und ist besonders wichtig, wenn es sich um psychoaktive und psychedelische Drogen handelt. Wenn z. B. eine Person LSD oder eine Cannabis-Droge wie eine Marihuana-Zigarette in angenehmer architektonischer und gesellschaftlicher Umgebung zu sich nimmt, besteht für sie eine geringere Chance, einen schlechten Trip zu erleben, als wenn das «Setting» unangenehm ist und sie von Angst geplagt wird. Leidet eine Person an heftigem Zahnweh, dann ist ihre Reaktion auf das Barbiturat anders, als wenn sie keine
Zahnschmerzen hätte. Gibt man Barbiturate bei Schmerzen, so verursacht die Droge oft Halluzination und Stimulation anstatt Dämpfung mit darauffolgendem Schlaf. Morphin, bei Schmerzen verabreicht, erzeugt Euphorie und Behaglichkeit. In der Abwesenheit von Schmerz kann es Dysphoric und Erbrechen hervorrufen. Tatsächlich ist das physiologische Gegengift zu Morphin Schmerz. Raucht man Haschisch in angenehmer Gesellschaft, ohne
Besorgnis, kann es Euphorie erzeugen. Raucht man es in der Einsamkeit, ist es fast eine andere Droge. Daher wird
Marihuana gewöhnlich in Gesellschaft geraucht, wie wir alle wissen.

c) Das Set

Der vierte Faktor, der die Wirkung der Droge beeinflußt, ist die Einstellung der Person, die die Droge einnimmt, der Drogenerfahrung gegenüber. Eines Menschen Einstellung zum Drogenerlebnis ist auch mit der genetischen Beschaffenheit verbunden ist, Veranlagung zu Depressionen etc. Eine furchtsame und niedergedrückte Einstellung beim Beginn eines LSD-Trips kann selbst für eine Person, die normalerweise (wenn fröhlich) nur gute Trips erlebt hat, verheerende Folgen haben.

d) Körperlicher Zustand
Der körperliche Zustand, in dem sich ein Mensch zur Zeit der Drogenerfahrung befindet, kann die Drogenwirkung
beträchtlich verändern. Wenn die Leberfunktion geschwächt ist und das Enzymsystem nicht durch normalen chemischen Abbau die Drogen detoxifiziert, wird pro Minute vom Körper weniger Droge ausgeschieden als bei einer Person, deren Leberfunktion gut ist. Das bedeutet, daß die Droge länger als gewöhnlich im Körper bleibt. Je länger eine Droge im Körper bleibt, desto mehr Zeit hat sie, pharmakologisch und toxikologisch zu wirken. All das trägt dazu bei, daß eine Droge, wenn das Reinigungs- und Ausscheidungssystem des Körpers nicht auf der Höhe ist, in dieser Person stärker wirken und gleichzeitig toxischer sein wird. Somit muß die Dosis der für pharmakologische und toxikologische Wirkungen erforderlichen Droge herabgesetzt werden, wenn das Enzymsystem in Leber oder Niere durch Krankheit, schlechte Ernährung, hohes oder geringes Alter, gedämpft ist. Nur kleinere Dosen als die normalen sind für solche Organismen erträglich. 

e) Zeit
Die Länge der Zeit, die einer Droge zur Verfügung steht, um auf den Körper einzuwirken, ist ein weiterer Faktor. So mag es zB zwanzig Jahre Zigarettenrauchen benötigen, ehe in einem Menschen Lungenkrebs erzeugt wird. Kürzere Perioden von Zigarettenrauchen rufen vielleicht überhaupt keine sichtbare Wirkung hervor. Der Zeitfaktor ist also von entscheidender Bedeutung im Blick auf die Entwicklung toxischer Wirkungen auf den Organismus. Ein Junge, der mit 10 Jahren anfängt zu rauchen und 30 Jahre lang täglich 10 Zigaretten raucht, wird eher Lungenkrebs entwickeln, als wenn er mit 60 Jahren angefangen und dies bis zu seinem 75. Lebensjahr – indem er dann vielleicht an Nierenversagen gestorben wäre – fortgesetzt hätte.

Je früher ein Organismus der Droge ausgesetzt ist, um so gefährlicher ist es; denn dann wird dem Organismus die längste Zeit zum Entwickeln der Toxizität angeboten. Darüber hinaus ist der Organismus im Frühstadium für Drogentoxizität empfindlicher. Deshalb sind die ersten drei Monate nach der Empfängnis für den werdenden Organismus (Menschen) von großer Wichtigkeit.

Das synthetische weibliche Geschlechtshormon, bekannt als Diethylstilboestrol, wird von einem recht hohen Prozentsatz der Ärzte für ihre weiblichen Patienten als «morgens nach der vorhergehenden Nacht»-Contraceptiv angewandt. Wenn eine Frau empfängnisverhütende Maßnahmen unterlassen hat, fürchtet sie oft eine Schwangerschaft und bittet um ein Mittel, das rückwirkend funktioniert. Wenn sie gewisse Ärzte konsultiert, bekommt sie eine starke Dosis Diethylstilboestrol, das in einem ziemlich hohen Prozentsatz von Fällen zur Verhütung einer Schwangerschaft wirksam ist.

In einigen Fällen wird jedoch die Schwangerschaft trotz des synthetischen weiblichen Geschlechtshormones fortgesetzt. Wenn dies der Fall und das Baby weiblich ist, hat es sich erwiesen, daß ein hoher Prozentsatz dieser Babys, die nach Verabreichung von hohen Dosen Diethylstilboestrol nach der Empfängnis geboren wurden, 20 oder 25 Jahre später Vaginalkrebs entwickelten. Das heißt, das kleine Mädchen, das Diethylstilboestrol ausgesetzt wurde, als es kaum mehr als ein befruchtetes Ei in seiner Mutter war, «vergißt» nie diesen chemischen «Eingriff». Und 20 Jahre oder mehr danach kann es Vaginalkrebs entwickeln. Diese Tatsache illustriert die überaus große Wichtigkeit, die jungen Menschen vor Drogen und toxischen Chemikalien zu schützen; denn wenn der Organismus so früh Drogen ausgesetzt wird, stehen den die langen Zeitspannen zur Verfügung, die sie manchmal brauchen, um ihre toxischen Wirkungen zu produzieren. Dies trifft selbst dann zu, wenn die jungen Menschen danach nie wieder neuen Drogen ausgesetzt werden. Das gleiche Prinzip trifft auf Frauen zu, die während der Schwangerschaft rauchen oder Drogen nehmen. Sie setzen ihre ungeborenen Babys durch ihren eigenen Blutstrom den toxischen Drogen aus, gegenüber denen das ungeborene Kind viel empfindlicher ist als die Mutter. Da das ungeborene Kind viel jünger ist als die Mutter, hat die Droge mehr Zeit, im Baby zu wirken. Das gleiche Prinzip trifft nicht nur auf Nikotin, sondern auch auf unzählige andere Drogen und toxische Chemikalien zu, denen wir uns aussetzen können. Vor einiger Zeit veröffentlichte eine der führenden britischen medizinischen Zeitschriften einen Artikel, der ein Experiment beschrieb, das Londoner Ärzte durchgeführt hatten. Man hatte mehrere tausend werdende Mütter in zwei Gruppen eingeteilt, nämlich in Raucher und Nichtraucher. Die Lebensgeschichte der Babys, die von diesen Müttern geboren wurden, wurde dann eine Reihe von Jahren verfolgt. Die Babys der Mütter, die geraucht hatten, wogen weniger und waren mehr Kinderkrankheiten unterworfen als die Kinder der Mütter, die sich vollkommen des Rauchens enthalten hatten. Hier tritt die langfristige Toxizität des Tabakrauchens auf eine recht auffällige Weise zu Tage. Dies stellt die Notwendigkeit heraus, daß Frauen während der Zeit, in der sie Kinder haben können, sehr vorsichtig sein sollen mit Drogen. Die Thalidomid-(Contergan-)Katastrophe in England und Deutschland unterstreicht die Notwendigkeit besonderer Vorsicht in diesem Alter. Thalidomid ist für den Erwachsenen eine anscheinend untoxische Droge und zudem nützlich für die Behandlung von Schwangerschafts-Übelkeit, die so oft in den ersten 3 Monaten vorkommt.

Jedoch hatte niemand die Toxizität von Thalidomid (Contergan) für den menschlichen Fötus (Leibesfrucht) während der ersten drei Monate des Lebens in utero (in der Gebärmutter) getestet. Thalidomid, so stellte sich heraus, zeigte eine besondere Affinität (Anziehungskraft) für entwickelnde Gliederknospen und verhindert oder hemmt ihre Entwicklung. Das Resultat dieser Eigenschaft war, daß Tausende von Kindern geboren wurden, die unter- oder gar nicht entwickelte Arme und/oder Beine aufwiesen.

Einige Fachleute befürchten, daß der chronische Gebrauch gewisser psychedelischer Drogen wie LSD dem Vererbungsmechanismus der Zelle ernsthaften Schaden zufügen könnte. In-vitro-Tests zeigten, daß in gewissen Fällen, unter dem Einfluß hoher Drogenkonzentrationen, Chromosom-Bruch vorkommen kann. Es ist nicht erwiesen, daß die Droge bei normalen «therapeutischen» Dosierungen in vivo diese Wirkung erzeugen kann. Soweit man heute weiß, wird LSD, das von einer schwangeren Frau genommen wird, durch die Nabelschnur zu ihrem Fötus weitergeleitet. Aber ob bei den gewöhnlich eingenommenen Dosen Schaden entsteht, weiß man nicht genau. Chronische Verbraucher von LSD und Haschisch behaupten, daß Kinder gezeugt und aufgezogen wurden, die beiden Drogen ausgesetzt waren, ohne daß dem Kind dadurch Schaden zugefügt wurde. Timothy Leary behauptet dies in seinem Buch «The Politics of Ecstasy» (Die Politik der Ekstase). Wenn man die Wirkung des chronischen Gebrauchs der Cannabis-Droge aus der Erfahrung in Ländern wie Ägypten kennt, wo sie von großen Teilen der Bevölkerung regelmäßig gebraucht wird, dann kann man nicht anders, als die Aussage Learys bezweifeln. Da LSD eine viel kräftigere Droge ist als Cannabis, würde man erwarten, daß seine Wirkung, besonders auf junge Menschen, viel schwerwiegender ist als die, die durch Cannabis hervorgerufen wird.

Mit diesen fünf Faktoren vor Augen, sind wir in der Lage, zu einer Betrachtung der Wirkungsweisen von psychedelischen Drogen im allgemeinen vorzugehen.

2. Wirkungsweisen der psychedelischen Drogen

Während der folgenden Betrachtung müssen wir uns auf die Wirkungen der psychedelischen Drogen (bewußtseinserweiternde Drogen) beschränken und die Wirkung anderer psychoaktiver Drogen auslassen. So schlage ich hier vor, auf die Drogenwirkung von LSD, Meskalin, Psilocybin, Tetrahydrocannabinol und Adenochrom einzugehen, während wir die Wirkung von psychoaktiven Drogen wie die allgemeinen Anästhetika, Hypnotika, Tranquilizern, Opiaten (wie Morphin, Heroin etc.) und Zentralstimulanten wie Amphetamine, Kokain und ähnliche Substanzen ausklammern.

Einige Eigenschaften der psychedelischen Drogen überschneiden sich mit denen anderer Kategorien. Zum Beispiel ruft Alkohol unter manchen Umständen Halluzinationen hervor, die denen ähneln, die durch Amphetamin und Psychedelika in Erscheinung treten. Die Träumerei, die sich oft nach Genuß von LSD einstellt, kann ähnlich sein wie die durch Thorazin erzeugte Tranquilisierung. Wenn man daher irgendeine dieser Drogen-Kategorien betrachtet, muß man das Gesamtbild betrachten und nicht irgendein einzelnes Symptom. Alkohol verursacht, wie erwähnt, unter gewissen Umständen Halluzinationen (wie im Delirium tremens), obgleich er im allgemeinen nicht als halluzinationerzeugende Stubstanz klassifiziert werden würde. In geringen Dosen unterdrückt Alkohol die bedingten Reflexe und läßt die unbedingten Reflexe unberührt. In diesen Dosierungen wirkt also Alkohol wie ein Tranquilizer.

In höheren Dosen wirkt er wie ein gutes Anästhetikum und dämpft sowohl bedingte als auch unbedingte Reflexe. Wiederum durch Hinderung hemmender Prozesse kann Alkohol als Stimulans anstelle eines Dämpfers wirken. Die
verabreichte Dosis, die genetische Beschaffenheit des Organismus, der die Dosis aufnimmt, zusammen mit Set und
Setting – all diese Faktoren können etwas dazu beitragen, um die Klasse zu verändern, in die wir eine Droge und ihre
Pharmakologie einordnen.

Wir wollen nun zu dem psychedelischen Drogentyp zurückkehren. Er ist dafür bekannt, daß er das Bewußtsein erweitert oder ausdehnt, obgleich es Menschen gibt, die gegen diese Beschreibung Widerspruch erheben. Unter der psychedelischen Drogenwirkung erfährt die Seele des mit der Droge Experimentierenden zumindest, was man einen veränderten Zustand des Bewußtseins nennt (wenn nicht einen erweiterten). Unter Umständen kann man dies eine Halluzination des veränderten Bewußtseinszustandes nennen, so daß wir uns dem Mechanismus und der Funktion der Halluzination und der halluzinatorischen Wirkung zuwenden müssen. 

3. Halluzination

Halluzination kann als Nebenwirkung vieler Drogen auftreten. Gewisse physiologische Zustände werden oft ohne
Drogeneinwirkung von Halluzinationen begleitet. Tatsächlich erzeugt der Zustand, der als «sensory deprivation» (Entbehrung von Sinneseindrücken) bekannt ist, halluzinatorische Wirkungen. Wir kommen noch darauf zu sprechen. Amphetamine können in gewissen Stadien ihrer Wirkungsweise Halluzinationen hervorrufen. Gewisse Krankheiten, darunter besonders Fieber, können mit Halluzinationen verbunden sein. Streß und/oder Hunger und Durst können das gleiche auslösen. Im Laufe dieses Abschnittes werden wir den Mechanismus verschiedener Halluzinationsarten erwähnen. Jeder gesunde und normale Mensch erlebt regelmäßig Halluzinationen in Gestalt von Träumen (manchmal auch durch Tagträume). Wenn die nächtlichen Traumphasen unterbrochen werden, stellen sich bald Angstzustände ein.
Um unsere normale geistige Gesundheit aufrechtzuerhalten, halluzinieren wir die meisten Nächte in unseren Träumen. In Wirklichkeit werden wir in unseren Träumen «wahnsinnig», damit wir tagsüber geistig gesund bleiben können! Man kann Halluzinationen als ein Phantasieren des Bewußtseins oder eine subjektive Erfahrung von etwas beschreiben, das in der materiellen Wirklichkeit nicht existiert. Oder man kann es als einen veränderten Zustand des Bewußtseins bezeichnen; einen, in dem das Bild der dreidimensionalen Wirklichkeit im Psycho-Raum (Raum der Psyche) verzerrt wird. Um den veränderten Zustand des Bewußtseins zu verstehen, muß man zuerst verstehen, wie das normale Bewußtsein erfahren wird. Danach können wir zeigen, wie Abirrungen des Bewußtseins, sowohl mit als auch ohne Zuhilfenahme von Drogen, zustande kommen.

4. Der Mechanismus des Bewußtseins

Wir wollen gleich am Anfang betonen, daß das Bewußtsein selbst, seine Beschaffenheit, letztlich noch nicht erklärt werden kann. Ich bin auf die neuere Forschung auf diesem Gebiet in meinem Buch «The Drug Users» eingegangen.

Dagegen kann man den Mechanismus, durch den die Außenwelt in unseren «Psycho-Raum» (Innenwelt) übertragen wird, indem Nervenimpulse die Wurzel des Gehirns erreichen, um dort entschlüsselt zu werden, schon besser verstehen. Das heißt, von der Beschaffenheit des Bewußtseins weiß man noch wenig, obgleich der Mechanismus, durch den die Nervensignale das Gehirn und damit das Bewußtsein von unseren Nervenendungen erreichen, besser bekannt ist. Das Wissen über diesen Mechanismus wird uns in unserer Betrachtung des veränderten Zustandes des Bewußtseins und der Halluzinationen genügen.

Wir wollen uns zunächst die Frage stellen, wie wir z.B. das Licht um uns herum bewußt aufnehmen. In der Retina (Netzhaut) des Auges sind unzählige photoempfindliche Zellen eingebettet, die als Stäbchen und Zäpfchen bekannt sind. Wenn Licht auf sie fällt, senden sie elektrische Impulse durch den optischen Nerv in das Entschlüsselungszentrum unter dem Gehirn, wo die Impulse so entschlüsselt werden, daß das Gehirn oder das Bewußtsein einen Lichtblitz «sieht». Viele organisierte Lichtblitze bilden ein vollkommenes optisches Bild der Wirklichkeit um uns herum, in der Form einer simulierten (nachgemachten) Lichtwirklichkeit im Psycho-Raum (oder im «Geist»). Irgendwie besitzt unser Bewußtsein innerhalb des Gehirnes dann die Fähigkeit, ein Simulationsbild (nachgemachtes Bild) der Wirklichkeit außerhalb des Körpers in seinem eigenen Psycho-Raum «anzusehen».

Jedes Quantum Licht (Photon), das auf eine lichtempfindliche Zelle der Retina fällt, produziert die gleiche Art elektrische Entladung, die dann als Lichtblitz interpretiert wird. So ist das Licht, welches das Bewußtsein «sieht», nicht das wirkliche Licht, das auf die Retina des Auges fiel, sondern eher eine Interpretion, eine elektrische Interpretation desselben. Man merkt, daß dies so ist, wenn ein Schlag auf das Auge so registriert wird, daß man «Sterne sieht» oder «Lichtblitze wahrnimmt». Es gab keine wirklichen Lichtblitze, die in diesem Zusammenhang auf das Auge fielen. Der Reiz des Schlages (Druck) auf die lichtempfindlichen Zellen der Retina wurde als Licht registriert, weil jeglicher Stimulus der lichtempfindlichen Zellen sowohl durch Licht als auch durch Druck (oder andere Mittel) die gleiche elektrische Reaktion auslöst, die dann im Psycho-Raum als Lichtblitz registriert wird.

Das gleiche Prinzip gilt nicht nur beim Sehen, sondern auch bei den vier anderen Hauptsinnen, durch die wir unsere Umgebung wahrnehmen (Propriozeption). Es gibt gewisse Nervenendungen, die das Gefühl der «Kälte» registrieren. Wenn man diese Endungen durch Anrühren stimuliert, registrieren sie «Kälte» und nicht «Berührung». Der Grund ist, daß diese Zelle immer die gleiche Art von elektrischer Reaktion erzeugen, ganz gleich, ob sie durch Temperaturwechsel oder Berührung stimuliert werden. So registriert das Entschlüsselungszentrum unter dem Gehirn jede Botschaft, die von solchen Zellen ausgesandt wird, als «Kälte». . . .

Das Nervensystem des Körpers, das unserem Bewußtseinszentrum die Geschehnisse in der Welt um uns herum mitteilt, tut dies, indem es all die Impulse, die die Wirklichkeit an uns abgibt, stückweise in elektrische Standardimpulse umwandelt. Diese werden im Gehirn so entschlüsselt, daß sie die Wirklichkeit um uns herum in einem Bild nachahmen, das in den Psycho-Raum projiziert wird. Man kann den Körper mit einer Kamera vergleichen, die auf die Wirklichkeit um uns herum ausschaut und diesen Ausblick der äußeren Wirklichkeit in die «Dunkelheit» ihres eigenen Inneren in Form eines Bildes projiziert. Unser eigenes inneres Bewußtsein liest dann diesen Augenblick ab und erfährt auf diese Weise, was um den Körper herum geschieht, so daß es auf die Wirklichkeit in angemessener Weise reagieren kann. Wir wollen zunächst auf einige Folgen der Übermittlung der äußeren Wirklichkeit in den inneren Psychoraum eingehen.

5. Alle fünf Sinne stehen miteinander im Wettstreit

Die fünf Sinne, mit denen wir uns beschäftigen, senden ihre Impulse alle zu dem gleichen Entschlüsselungszentrum unter dem Gehirn. Dies bringt mit sich, daß ein Wettstreit entsteht, der, wie wir gleich sehen werden, von höchster Wichtigkeit ist.

Zuerst wollen wir ein Beispiel anführen als Beweis, daß ein Wettstreit zwischen den fünf Sinnen existiert. Wenn jemand einen schlimmen Abszeß unter einem Backenzahn hat, muß, während der Zahnarzt entweder eine Wurzelbehandlung durchführt oder der Zahn gezogen wird, etwas gegen die Schmerzen unternommen werden. Nehmen wir an, der Zahnarzt entschließt sich, den Zahn zu ziehen. Gewöhnlich blockiert er das System, das den Schmerz vom Zahn zum Entschlüsselungszentrum unter dem Gehirn weiterleitet, durch eine von zwei Methoden. Er kann einen Nervenblock durchführen, indem er ein Lokalanästhetikum in den Nerv injiziert, der vom Zahn zum Gehirn läuft. Auf diese Weise verhindert er, daß die Schmerzimpulse hinter die blockierte Strecke des Nervs gelangen. Obgleich der Schmerz unter dem Zahn noch da ist, weiß das Gehirn und sein Bewußtsein nun nichts davon. Gewöhnlich anästhesiert der Zahnarzt ebenfalls die Gewebeoberfläche um den Zahn herum, damit auch dort keine Impulse zum Bewußtseinszentrum auf anderen Routen durchsickern.

Eine ähnliche Gesamtwirkung kann dadurch erreicht werden, daß man ein General-Anästhetikum verabreicht, damit die Impulsrouten im Gehirn, die zum Bewußtsein der Schmerzimpulse führen, blockiert werden. Bei beiden Methoden ist der Schmerz in unverminderter Form und Intensität vorhanden, aber die Wege der simulierten Impulse sind entweder unterwegs zum Gehirn (Lokalanästhetikum) oder im Gehirn selbst (General-Anästhetikum) blockiert.

Theoretisch gibt es nun noch eine andere Methode, den Schmerz zu blockieren. Diese Methode bedient sich nicht einer blockierenden Substanz wie eines Lokal- oder Generalanästhetikums. Sie stützt sich auf das Prinzip, das wir erklären möchten, nämlich auf den Wettstreit zwischen den fünf Sinnen der Propriozeption (Selbstwahrnehmung). Dieses Prinzip ist wesentlich für das Verhältnis halluzinatorischer Drogen. Wie funktioniert es?

Die Schmerzimpulse vom Abszeß unter dem Zahn können so intensiv sein, daß sie den größten Teil des zur Verfügung stehenden Raumes im Entschlüsselungszentrum des Gehirns einnehmen – der Schmerz kann so stark sein, daß das ganze Bewußtsein des Patienten mit Schmerz ausgefüllt ist. Er kann kaum etwas anderes wahrnehmen und wird durch den Schmerz von allem anderen abgelenkt. Kann man diesen Zustand beenden, ohne ein Anästhetikum zu verwenden? Der Zahnarzt könnte folgendes Experiment durchführen (ich rate dringend davon ab, denn Lokalanästhesie ist viel bequemer): Er legt ein Paar Kopfhörer an die Ohren des Patienten und verbindet sie mit einem Verstärker, der sie mit Lärm oder Musik speist. Er rät nun seinem Patienten, sobald er den Zahn zu ziehen beginnt und die Schmerzen zunehmen, die Lautstärke am Verstärker höher zu drehen. Je mehr es schmerzt, desto höher soll der Patient die Lautstärke der Kopfhörer einstellen. So wird er schließlich nicht spüren, daß der Zahn gezogen wird. Der Lärm anästhesiert ihn. Diese Methode wäre in der Praxis angewandt gefährlich, da großer Lärm permanente Taubheit hervorrufen kann. Wie würde das vor sich gehen? Die Schmerzimpulse liefen vom Zahnabszeß hinauf zum Entschlüsselungszentrum unter dem Gehirn und nahmen dort einen beträchtlichen Teil des zur Verfügung stehenden Entschlüsselungsraums ein. Diese Schmerzimpulse waren so stark, daß man kaum irgendwelche anderen Sinnesimpulse wahrnehmen konnte. Die anderen Sinnesimpulse wurden durch die Schmerzimpulse verdrängt, so daß die «Leitung» zum Gehirn mit Schmerzbotschaften «besetzt» war.

Wenn man nun die Ohren gewaltsam mit so viel Lärm oder lauter Musik speist, daß der Hörnerv mit lärmerzeugenden Impulsen so überflutet und das Entschlüsselungszentrum mit ihren Botschaften überschwemmt wird, dann gibt es dort keinen Raum für die Schmerzimpulse. Die Linie wird dermaßen von Geräuschimpulsen vom Gehörnerv in Anspruch genommen, daß sie sich mit keiner anderen Beschäftigung abgeben kann – nicht einmal mit dem Schmerz vom Zahn. Die Schmerzbotschaften trafen ordnungsgemäß beim Entschlüsselungszentrum ein, aber das Organ konnte mit ihnen nicht fertig werden, weil es mit Impulsen vom Ohrnerv überfordert war. Deshalb mußte es die Schmerzbotschaften unentschlüsselt lassen. Dies ist eine andere Art zu sagen, daß das Bewußtsein durch Geräusch gegenüber Schmerz anästhesiert war. Natürlich empfehlen wir diese Betäubungsmethode nicht.

Das obige ist tatsächlich eine Erfahrung, die wir alle Tage machen, obgleich wir sie oft nicht als solche erkennen. Ich spielte einmal in einem Rugby-Match, wobei ich mich im «Serum» (Gedränge) befand. Einer meiner Mannschaftskameraden hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, in diesem Match ein Tor zu erzielen, komme, was da wolle. Er spielte mit Leib und Seele. Auch er befand sich im «Serum». Im Eifer des Gefechtes verfing sich sein Ohrläppchen in der Gürtelschnalle eines Jungen vor ihm. Dabei wurde ein Teil seines Ohrläppchens eingerissen. Aber er spielte mit all seinen Kräften weiter und spürte den Schmerz und das Blut nicht einmal. Seine fünf Sinne waren so in Anspruch genommen mit seiner Position im Spiel, mit der Stellung der Spieler des Gegenteams, mit der Flugrichtung des Balles, sie waren so beschäftigt, über die Hitze des Kampfes zu «berichten», daß sein Entschlüsselungszentrum viel zu beschäftigt war, um die Schmerzimpulse vom Ohr entschlüsseln zu können. Das Laufen, das Ausweichen und die allgemeine Hitze des «Kampfes» überfluteten das Entschlüsselungszentrum, so daß es einfach nicht imstande war, mit den Schmerzimpulsen seines Ohrläppchens fertigzuwerden. So blieben diese unregistriert.

«Kampf» anästhesierte ihn gegenüber Schmerz. Sobald jedoch der Spieler zu der Marklinie gebracht wurde und außer Gefecht war, hörte dies Überfluten des Entschlüsselungszentrums plötzlich auf, der Betrieb im Entschlüsselungszentrum verringerte sich beträchtlich, woraus folgte, daß die Schmerzimpulse, die die ganze Zeit dagewesen waren, jetzt vom Entschlüsselungszentrum behandelt werden konnten. Das Ergebnis war: Der Junge fiel sofort vor Schmerz in Ohnmacht, und man mußte ihm ein Opiat verabreichen, um die Schmerzen zu lindern.

Ein Soldat, wenn er um sein Leben kämpft, kann ernsthaft verwundet werden. Er kann eine Zehe oder einen Finger verlieren. Aber im Gefecht bemerkt er es kaum. Sein Entschlüsselungszentrum ist so beschäftigt, mit all den eingehenden Impulsen der Wirklichkeit um ihn herum fertigzuwerden, daß er sich nicht mit den Schmerzen von Finger oder Zehe befassen kann. Aber sobald man den Soldaten aus der Schlacht herausnimmt, braucht er Morphin, um mit dem Schmerz fertigzuwerden, der dann sofort empfunden wird, wenn die Überladung des Entschlüsselungszentrums (verursacht durch den Kampf) aufhört.

Ich sprach kürzlich mit einer Dame, die auf einer vereisten Straße ausgerutscht war und ein Bein gebrochen hatte. Es war ein mehrfacher Bruch, und sie mußte sich eine Anzahl Schrauben anbringen lassen, bis der Knochen wieder zusammengewachsen war. Sie erzählte mir, daß sie während des Tages keine Schmerzen empfinde. Nachts fange dann das Übel an. Der Grund dafür ist, daß ihr «Telefonamt» unter dem Gehirn nachts viel weniger überladen ist – am Tage humpelt sie herum und arbeitet im Haus, wo sie nur kann. Nachts ist das «Telefonamt» nicht beschäftigt und hat mehr Zeit, die Botschaften von ihrem gebrochenen Bein bis ins kleinste zu analysieren und aufzunehmen. «Immer beschäftigt zu sein» anästhesiert sie wirkungsvoll gegenüber dem Schmerz. Starke Beschäftigung kann selbst starke Schmerzen betäuben, und schwache Betätigung kann schwache Schmerzimpulse anästhesieren. Sie leidet während des Tages an Schmerzen, aber registriert diese nicht. Sie ist zu beschäftigt dazu!

Wir alle haben das gleiche Phänomen persönlich erlebt, obwohl es uns vielleicht nicht bewußt war. Beim Einschlagen eines Nagels in die Wand trifft man mit dem Hammer den Daumen und nicht den Nagel. Man krümmt sich, man schreit und windet sich und schimpft. Auf diese Weise schafft man sich auf ganz hervorragende, logische, physiologische Weise Erleichterung; denn das Winden, das Schimpfen und Schütteln, alle speisen Impulse in die fünf Sinne. Diese überfluten das Dekodierungszentrum, das dann weniger Platz für die Dekodierung der Schmerzimpulse bietet.

So verringert man durch natürliche Reaktionen das Schmerzempfinden! So stehen die fünf Sinne miteinander im Wettstreit. Das Gleichgewicht unter ihnen allen ist dynamisch, und die Botschaften gelangen auf der Basis von Umsatz und Priorität zum Entschlüsselungszentrum. Dieses Prinzip ist wesentlich zum Verständnis der psychedelischen und anderer Drogenwirkung.  

6. ESP (=außersinnliche Wahrnehmung) 

Ein Mensch, der einem Sinnesentzug unterworfen wird, halluziniert oft. Ein Zustand, in dem er es tut, ist dann erreicht, wenn er sich in einem simulierten Raumschiff befindet, in dem durch warmes Wasser, Abschirmung von Licht und Schall, sowie die nicht gegebene Möglichkeit, Geruch oder Geschmack wahrzunehmen, ein Weltraummilieu in Schwerelosigkeit simuliert wird, wie in Kapitel VI (Trips, Flash Backes und Halluzinationen) noch ausgeführt wird. Der Schwerkraft in warmem Wasser entzogen, schwebt er wie in schwerelosem Raum. Er sieht und hört nichts, so daß seine fünf Sinne fast gar nichts mehr zu übermitteln haben – was also einen Sinnesentzug darstellt.  . . .

Erfahrungen dieser Art scheinen das Entschlüsselungszentrum auf dem Wege eines, sagen wir «sechsten Sinnes», bzw. eines zusätzlichen Sinneswahrnehmungsorgans oder -kanals zu erreichen. Wir müssen aber beachten, daß es sich hierbei lediglich um ein «Modell» handelt, um gewisse Geschehnisse besser verstehen zu können. Versiegt also der Fluß von den fünf Sinnen, so wird dann der Fluß von einem «sechsten Sinn» (ESP oder ASW) zum Entschlüsselungszentrum als Halluzination, bzw. «außersinnliche Wahrnehmung» erfaßt und interpretiert. Der Wettlauf zwischen den Impulsen (eigentlich: Impulsbündel) von Augen, Ohren, Nase, Mund sowie Propriozeption auf der einen und den postulierten schwächeren Impulsen eines «sechsten Sinnes» auf der anderen Seite scheint der Grund hierfür zu sein: Das Versiegen des Informationsflusses von den fünf Sinnen scheint den Fluß des «sechsten Sinnes» freizugeben. Dieser nimmt dann sogar den Platz der fünf Sinne bei der Fütterung des Interpretativen Entschlüsselungssystems ein und der den Sinnesentzug durchmachende Mensch erfährt sogenannte außersinnliche Wahrnehmungen. 

Dieser Sachverhalt führte die Forscher zu dem Schluß, daß durch Sinnesentzug bedingte Halluzinationen (Typ II) das Resultat eines ähnlichen Wettlaufs sind, wie er unter den fünf Sinnen gleichfalls stattfindet, was an der Konkurrenz zwischen Aug- und Ohrimpulsen um Raum im Entschlüsselungszentrum ersichtlich ist. In unserem Fall konkurriert der sechste Sinn (ESP oder ASW) gegen alle 5 Sinne als Gesamte. Allgemein kann also festgehalten werden, daß ein System (Sinneswahrnehmung) gegen ein anderes (außersinnliche Wahrnehmung) um Raum im Engpaß, d.h. im Entschlüsselungssystem kämpft.

Die Konsequenz davon ist, daß die fünf Sinne bei Reizüberflutung den besagten Engpaß sperren, bzw. ganz in Anspruch nehmen, so daß die schwächeren ESP-Impulse das Bewußtsein auf dem Wege des Entschlüsselungszentrums nicht erreichen. Nach dieser Ansicht werden dauernd stark beschäftigte Menschen dazu neigen, ihr außersinnliches System (ESP) zu ignorieren. Sie stellen den Typus des «gestandenen Materialisten» dar, der für ESP oder vergleichbare, ins Religiöse reichende Erfahrungen nicht viel übrig hat. Unterzieht sich aber jemand einem freiwilligen oder auch nur teilweisen Sinnesentzug, etwa dadurch, daß er sich «in sein Kämmerlein» zurückzieht, dann ist er in die Lage versetzt, seinen Horizont in bezug auf die unsichtbare Welt zu erweitern. Dies ist aber auch schon dann der Fall, wenn er lediglich das Radio abstellt und die Augen schließt, um zu beten. Er wird Transzendenz vermehrt und tiefer wahrnehmen. Besser «still sein» wird er auch können, wenn er seinen Nahrungsmittelkonsum freiwillig vorübergehend einschränkt (Fasten), wodurch einige Körperfunktionen gleichfalls vorübergehend reduziert werden. Das Prinzip der gegenseitig sich konkurrierenden Sinne (5 Sinne vs. ESP) erklärt also, was zur Erfahrung des modernen Menschen gehört.

Stimmt dies alles bis zu diesem Punkt ausgeführte, dann müssen weitere Konsequenzen gezogen werden. Wenn der sechste Sinn (ESP) in unserem Modell lediglich ein Kanal für Impulse ist, ähnlich der Gehörs- und Sehnerven, dann ist dieser Kanal wie alle Kanäle schlechthin neutral in moralischem Sinn. Augen, Ohren oder jeder beliebige der 5 Sinne stehen einer moralisch guten oder bösen Verwendung offen, als Kanäle sind sie neutral. Dasselbe würde natürlich auch auf unser Modellbild vom ESP-Kanal (sechster Sinn) zutreffen, der für gute oder böse Zwecke, d.h. für göttliche oder okkulte Zwecke verfügt werden kann, wobei die Wirklichkeit, die über das Modell hinausgeht, differenzierter ist und man nicht mehr von einem, neutralen Kanal sprechen kann.

Für unser Modell würde es aber heißen: Ein Auge kann für Pornographie mißbraucht werden oder es kann seinem Inhaber einen atemberaubenden Blick von einem Hochplateau vermitteln, genauso wie der an sich neutrale ESP-Kanal von seinem Inhaber dazu mißbraucht werden kann, um sich von okkulten Phänomenen knechten zu lassen oder sich an göttlichen Dingen zu erfreuen.

Es scheint, daß diese Sicht auch von der Bibel geteilt wird, und zwar auch bezüglich des Gebrauchs von Drogen zur Erlangung von religiösen, hier pseudoreligiösen Erfahrungen. Drogen, wie z.B. LSD, können in bestimmten Stadien in ihrem Metabolismus eine drogeninitiierte Art des Zustandes des Sinnesentzuges herbeiführen, was wiederum die Belebung des sechsten Sinnes (bei gleichzeitigem Auftritt der Halluzination des Typs I) nach sich zieht. Nimmt also jemand psychedelische Drogen, um religiöse Erfahrungen zu machen, erreicht er zwar den Kontakt mit der unsichtbaren Welt, kontaktiert aber dabei nie den allmächtigen Gott (der die Herbeiführung von solchen Erlebnissen durch Drogen verbietet), sondern die unsichtbare Welt des «Gegenspielers», des «Diabolos», und zum andern wäre dieser Mensch moralisch in keiner Weise auf eine Begegnung mit dem heiligen Gott vorbereitet. Dem Menschen fehlen Sündenvergebung und die damit verbundene Reinigung von seinen Sünden durch Christi Leiden und Sterben am Kreuz. Ohne aber im moralischen Sinn gereinigt zu sein, würde er sich in eine religiöse Erfahrung (in diesem Fall in eine pseudoreligiöse Erfahrung) stürzen, die er nicht verkraften könnte.

Wenn wir beispielsweise in die Gegenwart eines Monarchen treten wollen, dann müssen wir uns auf dieses Ereignis hin geschult und vorbereitet haben. So ist es auch, wenn wir eine Audienz mit dem Transzendenten, mit Gott wünschen. Vorbereitung und Reinigung sind unerläßlich, um sich nicht in einen zum Scheitern verurteilten Versuch einer «himmlischen» Erfahrung in einem schlechten moralischen Zustand zu stürzen. Und Vergebung der Sünden durch die Erfahrung eines neuen Lebens in Christus sind von entscheidender Bedeutung, bevor die Tür zur Gemeinschaft mit Gott geöffnet wird. Erst jetzt ist es möglich den«Kanal des sechsten Sinnes» «sauber» und auf Gott hin zu benützen. Andernfalls gelangt man automatisch zur dämonischen außersinnlichen Welt.

Psychedelische Drogen ermöglichen einem Menschen den Zugang zu diesem Bereich mit keiner besseren Vorbereitung als der unter drogenkonsumierenden Kreisen üblichen. Kann es sein, daß in Gal. 5,20 das Herbeiführen von religiösen Pseudoerfahrungen mit Hilfe von Drogen in einem Zug mit Ehebruch, Unzucht, Unreinigkeit, Ausschweifung usw. wegen der soeben angeführten Gründe in der Bibel genannt wird? Das in dieser Bibelstelle gebrauchte Wort «pharmakeia» ist nicht umsonst in den deutsche Bibeln mit dem Begriff «Zauberei» übersetzt, was die Herbeiführung von transzendenten Erfahrungen und Trips durch die Benützung von Drogen umschreibt. Dies also ist die Vergangenheit und die richtige biblische Zuordnung der heutigen Subkulturen, in denen sich so viele Jugendliche verstricken.

Noch einen weiteren Punkt müssen wir in diesem Stadium erwähnen. Wenn das Bild der Wirklichkeit um uns her getreulich in unserem inneren Psycho-Raum wiedergegeben werden soll, damit unser Bewußtsein es ablesen kann, muß jeder Impuls, der zurückgegeben wird, auf eine Standardweise entschlüsselt werden. Ist das nicht der Fall, dann wird ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit in unserem Psycho-Raum abgelesen werden. Solche Verzerrung ist mit dem Phänomen der Halluzination verbunden, das wir ein wenig eingehender untersuchen müssen.

7. Verzerrung der Wirklichkeit (Halluzination Typ I)

Da unser Bewußtsein bezüglich der Außenwelt von den Mitteilungen und Entschlüsselungssystemen, die wir oben besprachen, abhängt, werden offensichtlich Verzerrungen darin zu einer verzerrten Schau der Wirklichkeit durch das
Bewußtsein führen. Wenn nun alle Systeme der fünf Sinne aufhören, ihre Botschaften zum Entschlüsselungszentrum
durchzugeben, dann werden keine Impulse aus der Wirklichkeit zum Bewußtseinszentrum im Psycho-Raum
durchdringen. Das heißt: das Bewußtsein liest ab, daß nichts in der Wirklichkeit um uns herum geschieht – daß keine Wirklichkeit da ist – wenn alle fünf Sinne anästhesiert werden. Dies geschieht in tiefer Vollnarkose. Der Zustand ist eine Verzerrung der Wirklichkeit insofern, daß keine Wirklichkeit mehr zum Bewußtsein durchdringt. Meist findet weniger als die eben beschriebene totale Anästhesie statt.

Es ist notwendig, einen weiteren wesentlichen Faktor in der Übermittlung von Nervenimpulsen zu betrachten, ehe das Verständnis gewisser Halluzinationsvorgänge möglich wird. Die Geschwindigkeit der Nervenimpulse, die die Nervenfibern des Körpers entlang zum Gehirn hin und vom Gehirn weg laufen, ist nicht die gleiche, wie die Übermittlungsgeschwindigkeit von Elektrizität in einem Kupfer- oder anderen Metalldraht. In einem Draht ist die Übermittlungsgeschwindigkeit des Stromes die gleiche wie die Geschwindigkeit des Lichtes. Im biologischen Nerv ist die Geschwindigkeit der Impulsübermittlung viel langsamer und ändert sich von Tier zu Tier.  . . .

Wir haben gesehen, wie die Verzerrung des Wirklichkeitsbildes durch Verzerrung von Impulsen entlang den Nervenfibern hervorgerufen wird. Wenn man auf eine unregelmäßige Weise die Durchgangsgeschwindigkeit elektrischer Impulse über die verschiedenen Synapsen verändern kann, dann wird die Botschaft, die sie tragen, auf parallele Weise verzerrt werden. Dies ist die Ursache einiger Arten von Halluzinationen. Psychoaktive Drogen wie Haschisch (Tetrahydrocannabinol und einige seiner Derivate), LSD, Psilocybin, Meskalin, Adenochrom und andere, die die gleichen Eigenschaften zeigen, verdanken wenigstens einige ihrer halluzinatorischen Eigenschaften dem obigen Mechanismus. Sie dringen in die Synapsen vor und unterdrücken zuerst die Diffusion der Ionen über die Membranen mit dem Ergebnis, daß alle Botschaften und Impulse der Wirklichkeit unterdrückt werden. Die erste Wirkung einer etwa 100-300 Mikrogramm starken Dosis LSD ist das Hervorrufen einer «Träumerei».

Der LSD-Erfahrene zieht sich von der Wirklichkeit zurück, sitzt still in irgendeiner Ecke und findet, daß die Wirklichkeit von ihm abgeschnitten ist. Seine afferenten (eingehenden) Impulse von den fünf Sinnen, die ihn mit der Wirklichkeit verbinden, werden dadurch anästhesiert, so daß die Übermittlung der Nervenimpulse durch die psychedelische Droge gedämpft wird.  . . .

Aber, so mögen wir uns fragen, wie kommt es, daß die «Highs» und die Halluzinationen, die etwa durch LSD hervorgerufen werden, auch ohne den Gebrauch der Droge erreicht werden können? Das heißt, wie trägt solch ein Mechanismus dem sogenannten «Recall-Syndrom» oder dem «Flash-back» (Drogenerfahrung ohne Droge) Rechnung? 

 

 8. Das «Recall-Syndrom» oder das «Flash-back»

 

Wenn eine Person psychedelische Drogen wie LSD oder Cannabis zu sich nimmt, läuft sie unter gewissen Umständen Gefahr, ohne Einnahme von weiteren Drogen doch «Highs» zu erleben. Diese spontane Wiederholung der Drogenerfahrung kann auch noch mehr als 3 bis 5 Jahre nach der letzten Einnahme der Droge auftreten. Kombinationen psychedelischer Drogen, wie LSD und Haschisch zusammen, sind kräftiger im Hervorrufen des «Flash-backs», als wenn man die Drogen einzeln nimmt. Dies ist auf die potenzierende Wirkung einer psychedelischen Droge auf die andere zurückzuführen. Fügt man zu der Verbindung von LSD und Cannabis-Rauchen noch Drogen wie Amphetamin («Speed») oder Reserpin hinzu, so vergrößert dies die Möglichkeit, daß «Flash-backs» vorkommen.

Vor einigen Jahren sprach ich mit einem jungen Mann, der ungefähr 6 Monate lang regelmäßig LSD geschluckt und Haschisch geraucht hatte. Als er kein LSD mehr auftreiben konnte, wechselte er zu «Speed» und Haschisch über, jedoch mit verhängnisvollem Ergebnis. Er erlebte täglich über 200 «Flash-backs» und war dadurch so zerstreut, daß er vor dem Nervenzusammenbruch stand. Die «Flash-backs» nahmen alle Arten von Gestalten an.

Manchmal zeigten sie sich als kleine blaue Lichtblitze, die über das Schriftstück huschten, an dem er arbeitete. Manchmal erlebte er richtige «Highs», ohne eine Droge zu sich genommen zu haben. Alle «Flash-backs» waren auf
irgendeine Art mit Streß verbunden.

Es besteht kein Zweifel: diese «Flash-backs» sind nicht auf Drogenrückstände im Körper zurückzuführen, denn sie treten auf, lange nachdem die gesamte Droge inaktiviert und ausgeschieden wurde. Vielleicht ist der folgende Mechanismus für das halluzinatorische Drogenerlebnis ohne Beisein der Droge verantwortlich. Das «Flash-back» erscheint gewöhnlich, wenn die betreffende Person einem Streß irgendwelcher Art ausgesetzt ist. Ich kenne einen Studenten, bei dem die Erfahrung von «Flash-backs» unter folgenden Umständen gemacht wurde: Der junge Mann hatte etwa ein Jahr lang Marihuana geraucht und LSD geschluckt. Dann hatte er es aufgegeben, um durch seine Examen zu kommen. Er badete gewöhnlich sehr heiß. Als er eines Abends in sein sehr heißes Bad stieg, erlebte er plötzlich ein «Flash-back», das sich dahin auswirkte, daß er alles Maß für Zeit verlor – ein typisches Zeichen des psychedelischen Trips – und nicht mehr wußte, wie lange er im Bad gesessen hatte.

Er war über diese Erfahrung ernsthaft beunruhigt und kam deswegen zu mir und fragte mich um Rat. In diesem Fall war das heiße Wasser die Ursache seines Stresses gewesen.

Noch ein anderer Fall von «Flash-backs» unter Studenten ist mir bekannt. Einige Studenten hatten regelmäßig Marihuana geraucht und LSD geschluckt. Sie gaben es einige Monate vor ihren Examina auf. Eines Abends fuhren sie auf der Autobahn von Chicago nach De Kalb, als ihnen eine Autokolonne von der anderen Richtung entgegenkam. Einige dieser Autos blendeten ihre Scheinwerfer nicht ab, so daß der Fahrer unseres Studentenautos (der zu Abendvorlesungen nach De Kalb fuhr) von den näherkommenden hellen Lichtern geblendet wurde. Der Streß der starken Lichter, die in seine Augen schienen, war genug, eine «Flash-back»-Reaktion auszulösen, und er halluzinierte. Er sah Hunderte von herannahenden Lichtern überall neben den wirklichen Lichtern. Er hielt das Auto auf der Autobahn an (glücklicherweise) und floh. Man muß bedenken, daß LSD-Halluzinationen und «Highs» vorwiegend visuell sind, so daß Sehstreß von Scheinwerfern besonders geeignet ist, visuelle «Flash-back»-Reaktionen auszulösen. Die Polizei dachte, er sei betrunken, aber der Alkoholtest war negativ. Man fand keine Drogen weder bei den Studenten noch im Auto, sie waren alle schon seit Monaten sauber. Es gab kein Gesetz, um den Fahrer wegen eines Flash-backs von Drogen, die er monatelang nicht berührt hatte, zu belangen … es sei denn für das falsche Parken seines Autos.

Dies bringt uns zu der Frage: Wie kann eine Drogenwirkung ohne Beisein einer Droge erzeugt werden – wie im Falle eines «Flash-backs»? Pharmakologen sind in ihren Anschauungen oft sehr materialistisch. Sie glauben nicht an eine Drogenwirkung ohne Droge – und sie haben recht. Wie es sich herausstellte, besteht keine Notwendigkeit, paranormale Vorfälle heraufzubeschwören, um das Flashback zu erklären. 

9. Der Mechanismus des «Flash-backs»  

Der Mechanismus, den wir zur Erklärung des «Flashbacks» vorschlagen wollen, scheint einer Anzahl Pharmakologen einleuchtend zu sein. Der erste Hinweis auf den möglichen Mechanismus der «Flash-back»-Erzeugung ist, daß dieser oft unter offenbarem Streß vorkommt. Der Streß mag groß oder klein sein, aber Streß ist gewöhnlich in irgendeinder Form da. Es kann Seh-, Hör- oder sogar Temperaturstreß sein. Wenn Streß erwähnt wird, denkt der Pharmakologe sofort an die Adrenalin-(Epinephrin-) Erzeugung aus den Nebennieren direkt über den Nieren. Jedesmal, wenn der Körper eines Säugetieres unter Streß steht, schütten die Nebennieren aus ihren aufgespeicherten Adrenalin-Vorstufen Adrenalin in das Blut. Das Adrenalin erzeugt Vasokonstriktion (die Blutkapillargefäße werden zusammengezogen), so daß das Durchgehen des Blutes durch diese Kapillaren schwieriger wird, und der Blutdruck steigt. Durch dieses Zusammenziehen der Blutgefäße wird das Blut aus dem Gewebe herausgedrückt, das daraufhin blaß wird. Wenn eine Person erschreckt wird, erbleicht sie. Ihr Herz schlägt schneller, ihre Verdauung wird langsamer, und sie ist nun bereit, dem Streß des Schrecks aufgrund dieser Adrenalin-Freigabe zu begegnen.

Aber dieser Bereitschaftszustand, einem Schock zu begegnen, darf nicht unbegrenzt andauern. Das Gewebe würde – wenn das Zusammenziehen der Kapillaren zu lange fortdauert – unter dem Mangel der Blut- und Sauerstoffversorgung Schaden leiden. Deshalb gibt es einen Mechanismus, durch den die hohe Adrenalinkonzentration im Blut schnell abgebaut wird. Dies geschieht durch die Tätigkeit gewisser Enzyme, bekannt als Aminoxidasen, die das Streßhormon (Adrenalin) abbauen. Wenn dies geschehen ist, kehrt die Farbe in die Wangen zurück, der Blutdruck fällt und die Verdauung fängt wieder normal zu funktionieren an.

Vor einiger Zeit bemerkte man, daß Substanzen, wie der Haupt-Tranquilizer Reserpin (Serpasil), die Wirkung von LSD potenziert. Reserpin gibt große Mengen Adrenalin in das Blut frei – es ruft «künstlichen chemischen Schock» hervor. Wenn man eine kleine Dosis LSD gleichzeitig mit einer Dosis Reserpin einnimmt, werden die Wirkungen einer hohen Dosis LSD registriert. Deshalb folgert man, daß LSD und Adrenalin-Substanzen im Gehirn zusammenwirken, um den LSD-Effekt hervorzurufen.  . . .

Wenn man eine Person ohne LSD-Erfahrung in gleichem Maße unter Streß setzt, so würde diese die gleiche
Menge halluzinatorisches Adenochrom produzieren, doch würde diese gleiche Konzentration von Adenochrom keine Autohalluzination hervorrufen. Die Reaktionsschwelle wäre trotz des Adenochroms im Blut zu hoch, um einen
Trip bei dieser Person auszulösen. Wenn die Reaktionsschwelle gegenüber psychedelischen Drogen auf diese Weise genügend herabgesetzt worden ist, erreicht man schließlich den Zustand, bei dem man auf seine eigenen, normalerweise erzeugten halluzinatorischen Substanzen anspricht: Man autohalluziniert oder erfährt «Flash-backs» unter Streß.  . . .

Ich würde nicht gern in der Hand irgendeines Menschen sein, der die Neigung hat, unter Streß ein «High» zu erleben, er könnte drei Landungsstreifen sehen oder in solch einem Zustand Anweisungen vom Kontrollturm falsch hören. Der Mann, der unter Streß ruhig bleibt, reagiert besser als derjenige, der es nicht bleibt. Er ist besser trainiert. Wir können deshalb schließen, daß die psychedelische Erfahrung stark dazu neigt, einen Menschen unter Streß für «Flash-backs» anfällig zu machen, d. h. für Trips, sobald Streß entsteht, und zwar ohne das Einnehmen von psychedelischen Drogen.

Diese Anfälligkeit für «Flash-backs» unter Streß kann bis zu mehr als fünf Jahren nach Einnahme der letzten Drogendosis anhalten. Kurz gesagt, die psychedelische Erfahrung macht einen Menschen unter Streß leicht unbeständig. Unter normalen Verhältnissen bemerkt er gewöhnlich nach einer psychedelischen Erfahrung durchaus nichts. Die Veränderung zeigt sich nur unter Druck, unter Streß. Die psychedelische Erfahrung ist ganz gewiß die letzte Erfahrung, die ein Mann oder eine Frau haben sollte, wenn er oder sie Verantwortung in Industrie, Wissenschaft oder Gesellschaft trägt. Jeder Arbeitgeber, der Menschen für wichtige streßerfüllte Stellungen aussucht, schaut auf Beständigkeit des Charakters selbst bei schwerem Streß. Flash-backs unter Streß lassen selbst eine Ausbildung, die darauf gerichtet ist, solche Situationen zu meistern, hinfällig werden. Wenn ein Mensch gerade so durchs Leben kommen und so wenig Verantwortung wie möglich übernehmen will, dann mag er die «Flash-back»-Gefahr riskieren. Andere, mit höheren Zielen, werden nicht diese Unbeständigkeit des Charakters unter Streß riskieren wollen. Natürlich muß man jederzeit mit dem Risiko einer irreversiblen Psychose nach einem Mißbrauch psychedelischer Drogen rechnen.

 

3 Kapitel VI

 Trips, Flash-backs und Halluzinationen 

 

Wir sind jetzt in der Lage, manches über den Wirkungsmechanismus psychedelischer Drogen zu verstehen. Wir
müssen aber noch einen Blick auf die Hauptarten von Halluzinationen werfen, die bei der menschlichen Psyche
in Erscheinung treten. Wir haben bereits eine Art kurz erörtert. Jetzt müssen wir auf das sogenannte natürliche
«High» oder den natürlichen «Trip» eingehen.

1. Arten von Halluzination (Vision, Trance oder Trip)

a) Halluzination Typ I

 Es gibt zwei Hauptarten von Halluzinationen, die uns in diesem Stadium unserer Erörterung interessieren. Die erste Art von Halluzination (Typ I) kann als Erfahrung eines veränderten Bewußtseins bezeichnet werden, die die Verzerrung des Bewußtseins der dreidimensionalen Wirklichkeit in sich schließt. Dies hat nichts mit der «Vision» eines «Sehers» oder «Propheten» zu tun, die es auch im «Sofortmystizismus» gibt. Typ I schließt, streng genommen, nur Verzerrungen solcher Dinge wie Küchentassen, elektrische Birnen, Menschengesichter und Teppichmuster ein. Unter ihrem Einfluß können sich z. B. die Körperglieder so leicht anfühlen, daß man sicher ist, man könnte vom obersten Stockwerk eines Gebäudes ohne Hilfe hinunterfliegen und sicher auf dem Boden landen.

In diesen Fällen liegt eine Verzerrung normaler Proportionen durch die fünf Sinne vor. Wirkliche Gesichter können Teufelsmasken, wirkliche Körper verzerrt werden, Lächeln wird zum Grinsen und normale Stimmen hört man als unheimliche Schreie. Einfaches Wasser schmeckt vielleicht wie Nektar – oder wie Gift. Kurz gesagt, das Bild der
materiellen Wirklichkeit ist in dem Augenblick, in dem es das Bewußtseinszentrum erreicht, verzerrt.

Diese erste Art von Halluzinationen ist auf Tricks im «Fernsehstudio» der fünf Sinne zurückzuführen, durch das die Eindrücke der dreidimensionalen Wirklichkeit an unser Bewußtseinszentrum weitergeleitet werden. Wie bereits beschrieben, werden die Impulse von den fünf Sinnen, die über die Wirklichkeit um uns her berichten, verdreht. Das führt dazu, daß das Bild der dreidimensionalen Wirklichkeit bei der Wiedergabe in dem Psycho-Raum auch verdreht wird. Solche Halluzinationen kann man als Halluzination Typ I einstufen. Sie sind nicht transzendent und haben wenig mit Instantmystizismus zu tun.

b) Halluzination Typ II («Instantmystizismus»)

Jedoch nicht alle Halluzinationen, natürlich oder durch Drogen veranlaßt, können in die Typ-I-Klasse eingestuft werden, denn einige Halluzinationen haben wenig gemein mit der materiellen Wirklichkeit. Es gibt Beweise, daß diese Art von Halluzination nicht notwendigerweise aus der dreidimensionalen Wirklichkeit stammt, sondern etwas mehr darstellt. Wie aber soll man Halluzinationen, die offensichtlich wenig mit der dreidimensionalen Wirklichkeit zu tun haben, interpretieren und einstufen? Solche Halluzinationen ereignen sich sowohl mit als auch ohne den Gebrauch von psychedelischen Drogen.

Aldous Huxley glaubte, daß die Erklärung der Halluzinationen vom Typ II in der folgenden Überlegung zu finden ist. Das menschliche Gehirn ist vielleicht nicht so sehr ein Gedankenerzeuger als ein Empfänger und Filter von Gedanken. Hinter der Ordnung des lebenden und nichtlebenden Universums, glaubt man, sei ein «universeller Denktank» oder eine «universelle Denkbank» in irgendeinem Sektor der Wirklichkeit jenseits der drei Dimensionen. Dieser «Denktank», so stellt man sich vor, durchdringt die ganze dreidimensionale Wirklichkeit um uns herum. Stoff und Leben sind dann nicht so sehr Erzeuger von Denken als das Ergebnis von Denken. Das Gehirn empfängt wenigstens einen Teil der Gedanken von der universellen «Denkbank». Dies war zumindest A. Huxleys Meinung.

Theoretisch, so glaubte Huxley, könnte sich das menschliche Gehirn aller Geschehnisse innerhalb und außerhalb des Dreidimensionalen im gesamten Universum bewußt sein. Wenn sich jedoch das Gehirn wirklich so vieler Ereignisse und Gedanken im Universum bewußt würde, wäre es in unserer feindlich gesonnenen Umgebung nicht überlebensfähig. Aus dem Grunde betrachtet man das Gehirn als Empfänger und Filter hinsichtlich gedanklicher Ereignisse im Universum. Es filtriert das, was es in unserer dreidimensionalen Wirklichkeit nicht zum Überleben braucht, aus. Es filtriert ebenfalls die Gedankenwelt des Trans-Dreidimensionalen, d. i. Gedankentranszendenz. Es muß auf diese Art als Gedankenfilter tätig sein, sonst würde es überladen werden und wäre nicht imstande zu überleben.

Diese Gedankenvorstellung erinnert an die biblische Auffassung, daß wir, wenn Gott in unser Bewußtsein eindringen würde, – wenn wir ihn «sähen» -, zugrunde gehen müßten. Solch ein ungeheures, über unsere Dimensionen hinausgehendes Gedankenereignis würde unser Bewußtseinsinstrument überladen und zerstören.

Es ist klar, daß psychedelische Drogen zuerst auf die Kanäle der fünf Sinne eine einschränkende Wirkung haben. Sie «anästhesieren» diese derart, daß der Drogengenießer in eine synthetische Sinneseinschränkung, in eine Träumerei gelangt, die in einer Entzugshalluzination endet. Teilweise und unregelmäßige Anästhesie der fünf Sinne durch Psychedelika resultiert in Halluzinationen vom Typ I. Die Entfernung dieser Art von Anästhesie (sobald die Droge durch den Blutkreislauf aus dem Nervengewebe herausgewaschen wird) ergibt ein Zunehmen an Sinnesempfindung (das Gegenteil von Anästhesie), das eine intensive Wahrnehmung und pulsierende Farben erzeugt, die so charakteristisch für einige Trips sind.

Hierüber muß noch mehr gesagt werden, wenn wir die verschiedenen Arten psychedelischer Trips behandeln. Diese Phänomene resultieren bloß aus einer Wirkung auf die fünf Sinne. Eine psychedelische Droge kann die Kanäle der fünf Sinne «öffnen» oder «schließen» (Halluzination Typ I). Beim Öffnen sprechen wir von Hyperästhesie. Die fünf Sinne nehmen mit größerer Intensität auf. Beim Schließen haben wir es mit Anästhesie zu tun. Die Wahrnehmung ist reduziert (Sinnesentzug).

Genauso verhält es sich auch im Falle von Halluzination Typ II, die den sechsten Sinn einbezieht. Psychedelische Drogen können eine dialektische Wirkung haben, entweder öffnen sie den sechsten Sinn oder schließen ihn. Zusammenfassung: Psychedelika können die Kanäle, durch welche die fünf Sinne mit dem Bewußtseinszentrum in Verbindung stehen, sowohl öffnen als auch schließen. Dies bewirkt teilweise oder völlige Anästhesie oder Hyperästhesie auf diesem Gebiet, wobei der Betreffende die materielle Wirklichkeit wie nie zuvor erlebt.

Aber die Psychedelika können ebenso die Kanäle zum sechsten oder mystischen Sinn (ASW oder ESP) schließen oder öffnen. Wenn sie den Kanal zum sechsten Sinn schließen, dringt wenig oder nichts zum Bewußtsein von der unsichtbaren Welt durch. Wenn dagegen die Psychedelika den ESP-Kanal zur Transzendenz öffnen, wird die Typ-II-Halluzination («Sofortmystizismus») eintreten. So setzten Huxley und andere voraus, daß Psychedelika die Kanäle
vom Gehirn zum Denktank des Weltalls öffnen und einen Menschen gegenüber dem (hier dämonischen) Transzendenten empfänglicher machen können, während gleichzeitig das Bewußtsein eines Menschen gegenüber der dreidimensionalen Wirklichkeit reduziert und statt dessen eine Träumerei erzeugt wird.

Andererseits vermögen Psychedelika auch diese Fähigkeit, mit dem Denktank des Universums in Kontakt zu treten, einschränken, indem sie die Kanäle zum sechsten Sinn schließen während sie die Kanäle der fünf Sinne zur dreidimensionalen Wirklichkeit öffnen. Das Entschlüsselungszentrum im Gehirn wird dabei mit Impulsen von den drei Dimensionen überschwemmt.

Bei allem will ich stets unmißverständlich betonen: Die Bibel verbietet diese Art von transzendenter Öffnung und
erläutert, daß dadurch nur Kontakte mit
ungöttlichen Mächten hergestellt werden können. Man kann die recht schwierigen Voraussetzungen zu oben Gesagtem noch anders formulieren. Das biologische Gehirn kann mit dem «universellen Denktank» mittels des in unserem Modell sogenannten sechsten Sinnes (ESP) in Verbindung kommen. Die fünf Sinne berichten unserem Bewußtsein über Geschehnisse, die in der dreidimensionalen Wirklichkeit um
uns herum stattfinden. Mit ihnen erkennen wir, daß die Rose rot ist und die Kartoffeln auf den Feldern gut gedeihen. Andererseits berichtet der sechste Sinn unserem Bewußtsein über
paranormale (oder mystische) ESP-Ereignisse, die in der Transzendenz vor sich gehen.

Es scheint heute wenig Zweifel zu bestehen, daß das biologische Gehirn einen Zugang – wenngleich einen oft verschütteten – zum mystischen Paranormalen und zum Transzendenten ebenso wie zum Immanenten besitzt. Ich habe einige dieser paranormalen Ereignisse in meinem Buch «The Drug Users» erwähnt. Wenn das der Fall ist, dann sollte man erwarten, daß der sechste Sinn genau so mit den fünf Sinnen im Wettstreit steht wie die fünf Sinne untereinander. Die fünf Sinne und der sechste werden miteinander um die Beanspruchung des Entschlüsselungszentrums für das Bewußtsein konkurrieren müssen. Normalerweise sendet der sechste Sinn sehr schwache Impulse zum Entschlüsselungszentrum. Die meisten Menschen finden sie so schwach, daß sie ihr wirkliches Vorhandensein bezweifeln. Wenn diese Impulse des sechsten Sinnes tatsächlich schwach sind, werden sie offenbar leicht durch die stärkeren Impulse, die durch die fünf Sinne in unser Bewußtseinszentrum eingeleitet werden, unterdrückt.

In der simulierten Raumkapsel ist die Verbindung der Ohren und Augen zu der dreidimensionalen Wirklichkeit abgeschnitten, so daß in der Dunkelheit und der Stille der Kapsel nur wenige Impulse von den Augen oder Ohren zu dem Entschlüsselungszentrum gesandt werden. Der optische Nerv ist ein sehr starker Nerv und trägt normalerweise eine schwere Belastung von Impulsen. In der pechschwarzen Dunkelheit der Kapsel werden keine optischen Impulse mehr übermittelt. Das gleiche trifft auf das Ohr zu. Dieser Zustand von geringer Belastung des Entschlüsselungszentrums ist als «Sinnesentzug» bekannt. Ein Ergebnis dieser Entlastung ist das Freiwerden des Zentrums zur Bearbeitung der schwächeren Botschaften vom sechsten Sinn. So fangen zum ersten Mal Botschaften vom sechsten Sinn an, das Bewußtseinsgebiet des Gehirns zu erreichen.

Der Astronaut in der simulierten Raumkapsel erlebt den Entzug der fünf Sinne und erfährt als Ergebnis eine Halluzination Typ II. Dies hat nichts zu tun mit den Typ-I-Halluzinationen, bei denen es sich um die dreidimensionale Wirklichkeit in verzerrter Form handelt. In der Typ-II-Halluzination mag der Astronaut Teile der transzendenten Welt sehen. Diese Art Erfahrung ist regelmäßig ohne Hilfe von Drogen vorgekommen. Sie ist eine Art von Halluzination, die durch bloßen Sinnesentzug zustande kommt. Unser Astronaut beginnt, die mystische Welt des sechsten Sinnes zu erfahren, von der er in den Tagen, da sein geschäftiges Leben das Entschlüsselungszentrum mit schwerem dreidimensionalem «Überlebungs-Betrieb» durch die fünf Sinne überfüllte, nichts wußte.

Dieses mystische Erlebnis ist also eine Folge der Konkurrenz zwischen den fünf Sinnen untereinander und mit dem sechsten Sinn. Man kann das ziemlich leicht demonstrieren: Sobald man die Augen und Ohren des halluzinierenden Astronauten den Bildern und Tönen von Radio und Fernsehen aussetzt, werden diese Halluzinationen verschwinden. Wenn man das laue Wasser, in dem er umhertreibt, abläßt und dadurch die Rückführung der Millionen von Impulsen bewirkt, die zur Wiedergewinnung seines Gleichgewichtes nötig sind, dann wird sein Entschlüsselungszentrum wiederum durch den Verkehr der fünf Sinne so besetzt, daß die schwachen Botschaften der Transzendenz überschwemmt werden und die halluzinatorische Erfahrung sofort aufhört.

Man kann diese Konkurrenz zwischen den fünf Sinnen und dem sechsten Sinn in der Typ-II-Halluzination nicht
nur in Fällen von «Highs» durch natürlichen Sinnesentzug zeigen – wie im Falle unseres halluzinierenden Astronauten-, sondern oft auch im Fall von einigen Arten von LSD und psychedelischen Drogenhalluzinationen. Wenn zum
Beispiel eine Person aufgrund von LSD einen schlechten Trip erlebt, kann man sie manchmal aus diesem Trip «herausreden» (=«Talking a person down»).

Dies geschieht, indem jemand, der die Situation gründlich versteht, mitfühlend, aber autoritativ zum Betreffenden redet. So wird eine Ladung Impulse in des Patienten Ohr – vielleicht auch in seine Augen – eingeführt, die zur Entschlüsselung unter das Gehirn geleitet werden. Diese Impulse «streiten» mit den halluzinatorischen Impulsen in solcher Weise um den Entschlüsselungsraum, daß die Impulse des halluzinatorischen sechsten Sinnes, sofern die Therapie des «Herausredens» erfolgreich ist, übertönt werden. Wenn dieser Wettstreit zwischen den zwei konkurrierenden Impulsreihen beendet ist und die halluzinatorischen Impulse durch das autoritative Reden» übertönt worden sind, ist der Patient von seinem schlechten Trip befreit. Der Erfolg dieser Methode ist natürlich keineswegs sicher. Zumindest die Logik dieser konkurrierenden Beziehung zwischen den fünf Sinnen und dem sechsten Sinn im Gehirn ist keine neue Entdeckung. Jesus Christus lehrte seine Jünger in ihre Kammer zu gehen, die Tür hinter sich zu schließen und daraufhin zu ihrem Vater zu beten, der im Verborgenen sähe. In seine Kammer zu gehen und die Tür hinter sich zu schließen, bedeutet milder Entzug der fünf Sinne, denn die Augen sehen weniger und die Ohren hören weniger unter solchen Umständen. So wird das transzendente Zusammentreffen mit dem Vater erleichtert durch den milden Entzug der fünf Sinne. (Auch hier nie die Voraussetzungen zur Gemeinschaft mit Gott vergessen: Vergebung + Erneuerung durch Christus.)

Die Alten wußten viel mehr von dieser einfachen psychologischen und physiologischen Weisheit als wir Modernen; denn sie gingen auch hinauf auf die Berge, um allein in der Stille zu beten. Sie zogen sich eine Zeitlang von der
Gesellschaft zurück, um die Impulse ihrer fünf Sinne einzuschränken. Daraufhin konnte Gott sie öffentlich belohnen … sie waren oft psychologisch weit ausgeglichener als die psychologischen Wracks, die die moderne Gesellschaft mit ihrem endlosen Getriebe und Lärm (= Überfluten der fünf Sinne, Plethora) hervorbringt.

Sie wußten, daß zeitweises Abschließen der fünf Sinne gegenüber den Impulsen der materiellen Welt es dem «Einfluß des sechsten Sinnes» erlaubte, sie gesund und ausgeglichen werden zu lassen, auch hier vorausgesetzt natürlich, der Kontakt mit Gott wird infolge persönlicher Umkehr, Hingabe und Sündenvergebung durch das Vertrauen auf das Kreuzesopfer Jesu gesucht.

Man liest heute eine Kritik nach der anderen über die Neigung des modernen westlichen Menschen, sich östlichen Religionen und Yoga zuzuwenden. Viele dieser Kulte schließen Meditation, Entzug und rhythmische Übungen der transzendenten Meditation ein. Aber diese Neigung zu den östlichen Religionen, Entzug und Meditation ist zumindest im Lichte der obigen Ausführungen verständlich (obgleich man nicht damit einverstanden sein kann, da das Ziel und der «Heilsweg» völlig an der uns von Gott in seinem Sohn dargebotenen Möglichkeit vorbeigeht). Denn die fünf Sinne des modernen Menschen sind nun drei Generationen lang hoffnungslos überladen worden. Wir brauchen nur an die Überbelastung durch den modernen Mißbrauch des Radios, des Fernsehens und der Presse zu denken. Alle diese Impulse stürmen auf das Entschlüsselungszentrum des Gehirns mittels der fünf Sinne ein und überschwemmen es. Ein Organismus mit einem verkümmerten Sinn kann aber nur ein kranker Organismus sein.

Es ist deshalb ebenfalls nicht erstaunlich, wenn unsere kranke Gesellschaft ein Mittel sucht, um die Atrophie (Verkümmerung) des Sinnes für das Transzendente mit allen auffindbaren Mitteln zu verbessern. Unsere kranke Gesellschaft leidet an chronischer Überarbeitung der fünf Sinne, verschlimmert durch fast totale Vernachlässigung des sechsten. Psychedelische Drogen kehren, wie wir gesehen haben, dieses Verhältnis um, indem sie (eine Zeitlang) die fünf Sinne anästhesieren und den Kanal zum sechsten öffnen. Obwohl dieser Vorgang keine Lösung darstellt und nicht ohne Gefahr ist, versucht er doch, die Lage zu korrigieren. All dies ist offensichtlich ein Anzeichen für die Tatsache, daß die westliche Kultur wenig vom wahren Transzendenten weiß, das sie aber zu ihrer Gesundung die Gemeinschaft mit Gott braucht. Da sie diese nicht hat, ist sie folglich krank. Eine Lösung gibt es aber nur, wenn der Mensch sich nicht durch dämonischen transzendenten Kontakt (Drogen, östl. Meditation) heilen will, sondern durch den Kontakt mit dem Erlöser Jesus Christus. Unter Christen gibt es viele, die nur allzu selten das ausüben, was ihr Meister in bezug auf Sinnesentzug durchführte; er ging u.a. nämlich allein auf den Berg, um zu beten. Und wenn er sich nicht in die Berge zurückzog, begab er sich in die Wüste. In den alten Kulturen gab es immer Gelegenheit, sich in die Stille zurückzuziehen, um in der Einsamkeit denken und beten zu können und somit den Sinn für die Gegenwart der Transzendenz zu pflegen.

Dieses Bedürfnis wird in der modernen westlichen Kultur selten befriedigt. Dies bedeutet, daß die wichtige Fähigkeit des sechsten Sinnes in der westlichen menschlichen Seele brach liegt, was zur gleichen Zeit die Qualität des Lebens im Westen mindert. Auch die Puritaner übten diese Art Sinnesentbehrung, indem sie ihre Gebetszeiten und Zeiten der Stille einhielten. Aber in der heutigen Gesellschaft wird dieser Aspekt des geistlichen Lebens wenig betont. Die Folge ist, daß die jüngere Generation spontan zu psychedelischen Drogen greift und sich aus der Gesellschaft zurückzieht, um das zu erhalten, was ihre Eltern ihnen durch natürliche Mittel (ohne Drogen) nicht vermitteln konnten. Es genügt hier zu sagen, daß selbst der Brauch, die Augen während des Gebetes zu schließen, uns eine Methode bietet, milde optische Sinnesentbehrung hervorzurufen und gleichzeitig den Sinn für die Wirklichkeit des Transzendenten zu verstärken; denn die Augenimpulse belasten das Entschlüsselungszentrum des Gehirnes beträchtlich. Diese visuelle Belastung wird beim Augenschließen entfernt.

Das obige soll auf keine Weise so ausgelegt werden, als ob das transzendente Erleben, das so durch Sinnesentbehrung sich öffnet, immer göttlich sei. Es ist die Überzeugung des Autors, daß die Erfahrung der Transzendenz entweder «himmlisch», neutral oder «höllisch» sein kann, abhängig von der Person, die diese Erfahrung macht und abhängig vom Ziel und von der Art und Weise der Praktiken. Für jeden Leser, der die Bibel ernst nimmt, wird es eindeutig sein, daß das Transzendente entweder als «Hölle» oder als «Himmel» erlebt werden kann. In der Bibel wird Krieg im Himmel beschrieben, und Satan hatte selbst Zugang zur transzendenten Gegenwart Gottes. Der Maßstab zur Beurteilung kann alleine Gottes Wort, die Bibel, sein. 

2. Psychedelika und Halluzination Typ II

Wir haben bereits bemerkt, daß Psychedelika wie LSD und Haschisch Halluzination Typ I hervorrufen (Verzerrung der dreidimensionalen Wirklichkeit). Wir wollen jetzt etwas genauer auf die Erzeugung von Halluzinationen Typ II durch Psychedelika eingehen.

Es wird vielerorts angenommen, daß LSD und andere Psychedelika eine echte Halluzination vom Typ II erzeugen. Die Erfahrung des psychedelischen Höhepunktes stellt ohne Zweifel wenigstens in einigen Fällen eine echte Erfahrung des Transzendenten dar. Damit wird wiederum nicht gesagt, daß solch eine Erfahrung vom «Himmel» oder von der «Hölle» oder etwa beides sei.

Was uns hier beschäftigt, ist die Frage, aufgrund welcher physiologischer Mittel die psychedelische Droge imstande ist, eine Halluzination Typ II hervorzurufen. Man meint, daß diese Wirkung im wesentlichen durch den gleichen Mechanismus hervorgerufen wird, durch den die körperliche Sinnesentbehrung («Astronauten»-Entbehrung) die gleiche Wirkung erzeugt. Man nimmt an, daß es nicht wichtig ist, ob die zur Erzeugung einer Halluzination Typ II erforderliche Sinnesentbehrung rein physikalischen Ursprungs ist (wie in der Raumkapsel) oder nichtphysikalischen Drogenursprungs. Wichtig ist die Sinnesentbehrung an sich, wodurch sie auch immer hervorgerufen sein mag.

Es ist also die Entbehrung der fünf Sinne selbst, die den sechsten Sinn zu aktivieren vermag. Es muß nicht irgendeine besondere Drogenwirkung sein. Im allgemeinen kann man also sagen, daß jegliches Mittel, das das Verkehrsvolumen der fünf Sinne herabsetzt, wahrscheinlich Halluzinationen Typ II hervorrufen wird. Es gibt aber eine leichte Abänderung dieser These, die von Bedeutung ist. Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, daß LSD und andere Psychedelika zusätzlich zu der genannten Wirkung den zur Transzendenz führenden «Kanal» erweitern, so daß eine Person nach psychedelischer Erfahrung leichter «zu halluzinieren lernt».

 

3. Der Mechanismus der Halluzination Typ II

Auf welche Weise erzeugt die psychedelische Droge die Verminderung der afferenten (eingehenden) Sinnesimpulse, die zu Sinnesentbehrung führt? Wenn der Drogenkonsument seine 300 ug LSD schluckt, verfällt er in eine Träumerei und scheint den Kontakt mit der Umwelt zu verlieren. Er schläft nicht, wie etwa unter Barbituraten. Er kann z. B. herumlaufen. Aber er befindet sich in einer Art Trance. Die Wirklichkeit um ihn herum berührt ihn wenig. Auf eine besondere Weise dringt das LSD in sein Selbst- Wahrnehmungssystem ein und vermindert (zunächst) den Empfang der Impulse von der Außenwelt. Er reagiert nun auf die Impulse dieser Außenwelt ganz anders als vorher.

Dieser  Träumerei-Zustand stellt eine Art Sinnesentzug dar, die das Entschlüsselungszentrum unter dem Gehirn von einem beträchtlichen Teil Routineverkehr der fünf Sinne befreit, und zwar auf recht ähnliche Weise wie die Raumkapselwände und das warme Wasser. Jedoch in diesem Fall wird der Sinnesentzug durch ein inneres Blockieren der Nerven, die über die Entdeckungen der fünf Sinne berichten, hervorgerufen und nicht durch eine Entlastung der Nervenendungen in den Augen, Ohren und im Gefühlssinn mittels physikalischer Einschränkungen. Aber das Endresultat beider Arten von Sinnesentzug ist ungefähr das gleiche – es wickelt sich weniger Betrieb im Entschlüsselungszentrum unter dem Gehirn ab. Das bedeutet: die schwachen Botschaften durch den sechsten Sinn können nun hindurchgelangen, um für das Bewußtseinszentrum verarbeitet zu werden.

Es ist natürlich nicht ganz richtig zu sagen, daß die Drogenmethode zur Erzeugung von Sinnesentzug der physischen Raumkapselmethode völlig gleich ist. Drogen können Toxizität mit sich bringen, was die physische Methode
ausschließt. Die vielleicht durch die Drogenmethode verursachte Toxizität kann permanent oder auch nur vorübergehend auftreten und ändert sich mit der Person und den Umständen. Wir müssen noch eine andere Folge des Aktivieren des sechsten Sinnes mittels Drogen (nicht mittels natürlicher Sinnesentbehrung) betrachten. Nach der anfänglichen Träumerei, die auf das Einnehmen von LSD oder einer anderen psychedelischen Substanz folgt, wird die Droge allmählich aus dem Nervengewebe und den Synapsen abgebaut. Aber die Droge diffundiert (ein- und ausdringen) gewöhnlich nicht gleichmäßig aus all ihren Positionen im Nervensystem. Sie diffundiert aus dem einen Nervengewebe schneller, aus dem anderen langsamer. Die Diffusion ist vom Fettgehalt in der Nervenscheide abhängig. … Das bedeutet, daß das natürliche «High», das durch Sinnesentzug rein physischer Natur entsteht (Kammer- oder Raumkapselwände), nicht von den toxischen Nebenerscheinungen und Verzerrungen begleitet wird, denen man oft in den durch Drogen erzeugten psychedelischen Erfahrungen begegnet.

4. Arten natürlichen «Highs» (Satori)

Es gibt viele Arten von natürlichen «Highs».

Östliche Gruppen haben diese ausgiebig beschrieben und sie unter Begriffen von Bewußtseinsebenen oder Safari eingestuft. John Lilly, der für «Psychology Today» schreibt, erwähnt, daß die Satori-Ebene 48 als normaler, vernünftiger Bewußtseinszustand angesehen wird.

Ebene 24 bezeichnet den Bewußtseinszustand der freudigen Verfassung, in der man eine bestimmte Tätigkeit ohne Konflikt ausübt.

Satori-Ebene 12 ist ein Zustand der Glückseligkeit. Diese kann normalerweise unter gewöhnlichen Umständen auf dieser Welt nicht erreicht werden, weil man sich noch im körperlichen Zustand mit all den damit verbundenen Konflikten befindet. Ebene 12 stellt die erste Ebene eines guten LSD-Trips dar. Es ist in diesem Zustand oft schwer, von Glückseligkeit zu sprechen. Manchmal erreicht man diese Ebene bei geschlechtlichem Verkehr. Zen spricht von diesem Satori und deutet darauf hin, daß der Körper oft nicht erfahren wird.

Ebene 3 ist die höchste Satori-Ebene, die man erreichen und von der ein Mensch zum normalen Bewußtseinszustand zurückkehren kann. Man betrachtet diese als eine Art Verschmelzung des menschlichen Geistes mit dem Universalgeist oder Gott. Das Gefühl des eigenen Ego geht in diesem Zustand fast vollkommen verloren, aber eine Erinnerung des Satoris bleibt, nachdem der Trip vorüber ist. Es ist hier nicht unsere Absicht, auf die verschiedenen Lehren über Bewußtseinsebenen einzugehen. In jedem Textbuch über dieses Thema kann man darüber nachlesen. «Psychology Today» berichtet regelmäßig über Entwicklungen auf diesem Gebiet. Daß es sich dabei ferner um antichristliche Bemühungen der Selbsterlösung handelt, dürfte inzwischen ja auch klar sein und braucht nicht weiter erwähnt zu werden. – Im folgenden Abschnitt beabsichtigen wir zwei Hauptteile zu behandeln, die man in natürlichen Halluzinationen oder verändertem Bewußtseinszustand unterscheiden kann: Natürliche Halluzination durch Sinnesentzug und natürliche Halluzination durch Streß  

 

5. Natürliche Halluzination durch Sinnesentzug

 

Wie schon bemerkt, neigt jede Person, die teilweise oder völlig von der eigenen Selbstwahrnehmung abgeschnitten
wird, dazu, ein natürliches «High» oder eine Halluzination Typ II zu erfahren. Sie wird wahrscheinlich keine Halluzination Typ I erfahren, weil ihr propriozeptives Meldesystem nicht verzerrt wird, während es physisch von der
Reaktion auf ihre natürliche Umgebung abgeschnitten ist – wie etwa in einer Raumkapsel. Bei dieser natürlichen Art von Sinnesentzug werden die Impulse der fünf Sinne gleich- und regelmäßig verhindert, was Verzerrungen und somit Halluzinationen Typ I ausschließt. Deshalb sollte die eintretende Typ-II-Halluzination verhältnismäßig «rein» sein, d. h. nicht vermischt mit Verzerrungen der dreidimensionalen Wirklichkeit. Man meint auch, daß die Visionen etwa von Sehern und Einsiedlern etwas mit dieser natürlichen Form der Sinnesentbehrung (Sinnesentzug) zu tun haben. Sie alle gelangen mit der unsichtbaren Welt in Verbindung, indem sie sich Zeit nahmen, um von der Geschäftigkeit des Lebens loszukommen, ihre Augen und Ohren zu schließen und Sinnesentzug zu üben. Wenn man außerbiblische Literatur studiert, kommt man zu dem Schluß, daß nicht nur der geheiligte Christ Freude durch den sechsten Sinn erreichen kann, sondern daß der Rebell und der vom Paradies Flüchtende ebenso den «Tiefpunkt» einer abgrundtiefen Erfahrung erreichen kann – durch die gleichen Mittel. Mit anderen Worten: Bei unserem Modell kann ein und dasselbe physiologische Mittel oder ein und derselbe Mechanismus für das Gute und das Böse gebraucht werden, wie das ja nicht nur bei biologischen Mechanismen der Fall ist. Wir sollten jedoch noch einmal einen Blick auf die zweite Art des natürlichen «High» richten. Man kann es als «Streß-High» bezeichnen.

 

6. Das «Streß-High» oder Halluzination aufgrund von Streß

 

Wenn man einen Menschen zu Tode quält – wenn man ihn z. B. lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrennt, ihn langsam in Öl kocht, ihn verstümmelt, bis er stirbt oder ihn sogar kreuzigt, wie es oft in den Annalen der Menschheit vorgekommen ist -, erlebt man zuweilen ein bemerkenswertes physiologisches oder psychologisches Phänomen.
In der äußersten Agonie, ehe das Bewußtsein endgültig durch den Tod verschleiert wird, kann der Leidende unter
dem gewaltigen Streß, dem er unterworfen ist, halluzinieren. Christliche Märtyrer erleben so Visionen vom Himmel und von Glückseligkeit gerade unter solchen Umständen. Sie vergessen mehr oder weniger die «Hölle», in der
sie sich befinden, und werden im Geist in die glückselige Vision des Himmels «versetzt». Wir wollen ein bestimmtes Beispiel dieser Art anführen, um die Sache zu verdeutlichen.

Bischof Cranmer wurde in Oxford wegen seines Glaubens und seiner Weigerung, zu widerrufen, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Er hatte jedoch in einer früheren Periode unter Zwang ein Dokument unterzeichnet, in dem das, was ihm das Liebste war, verleugnet wurde. Später bedauerte er dies sehr. Nachdem er erneut den Widerstand gegen seine Unterdrücker aufgenommen hatte, wurde er auf den Scheiterhaufen gelegt, um lebendig verbrannt zu werden. Vor dem Scheiterhaufen bat er seine Scharfrichter um eine Gunst. Er wollte, daß man ihm erlaube, seine rechte Hand, mit der er damals das schmachvolle Dokument unterzeichnet hatte, zuerst zu verbrennen. Seine Bitte, so erzählt die Geschichte, wurde genehmigt. Cranmer soll zuerst seine rechte Hand ausgestreckt und in die lodernde Flamme gehalten haben. Unbewegt überließ er dem Feuer seine rechte Hand, ehe er selbst den Flammen übergeben wurde. Als wir in der Schule englische Geschichte lernten, erzählte man uns, daß ein Lächeln seine Lippen umspielte, während das Feuer seine rechte Hand verzehrte. So können Märtyrer in der größten Todesqual eine transzendente Veränderung ihres Bewußtseins erleben. Wir sagen keineswegs, daß dies allgemein der Fall ist, sondern daß es in einigen Fällen geschehen ist.

Wie kommt es, daß diese Art Visionen von der Herrlichkeit des Paradieses, der Transzendenz oder des Himmels (es kommt hier wirklich nicht auf die Bezeichnung an, denn wir gehen mit Phänomenen um, die Sprache, Zeit und Raum überschreiten) so stark sein können, daß sie den äußersten Streß des Märtyrerleidens durchdringen? An diesem Punkt müssen wir noch einmal zu dem Streßmechanismus zurückkehren, denn er kann uns bei diesem Thema behilflich sein.

Wir werden uns erinnern, daß unter Streß Adrenalin, das Streß-Hormon, von den Nebennieren in die Blutbahn freigegeben wird, um dem Körper zu helfen, dem Streß zu begegnen. Unter dem äußersten Streß des Märtyrertums werden enorme Mengen von Adrenalin freigegeben, um den gewaltigen Streß zu regulieren. Der Körper baut die Streß-Hormone, die im Blut bleiben, ab, nachdem sie ihre Arbeit mittels Enzymen, die als Amin-Oxydasen bekannt sind, getan haben. Wenn jedoch das Adrenalin in riesigen Mengen in den Blutstrom freigegeben wird, sind die Amin-Oxydase-Systeme möglicherweise nicht imstande, mit dem Abbau übermäßigen Adrenalins schnell genug fertigzuwerden. Sie sind, sozusagen, überhäuft mit der Aufräumungsarbeit der übermäßigen Streß-Hormone.
Unter diesen Umständen kann die Adrenalinkonzentration im Blut recht hoch steigen. Eine Folge dieser Anhäufung kann die sein, daß das Adrenalin in Adenochrom umgewandelt wird. Unter diesen Bedingungen können verhältnismäßig große Konzentrationen von Adenochrom gebildet und im Blut angehäuft werden.

Wir hatten bereits darauf hingewiesen, daß Adenochrom in seiner Struktur und seinen Eigenschaften Ähnlichkeit mit der gut bekannten psychedelischen Substanz Meskalin (von dem «heiligen» Pilz Peyote) aufweist und genau wie LSD funktioniert, obgleich es vergleichsweise weniger aktiv ist. Als Ergebnis werden die propriozeptiven Impulse verringert und eine Art von Anästhesie (Träumerei) hervorgerufen. Auf diese Weise kann man gegenüber Schmerz und gegenüber den Umwelteinflüssen weniger empfindsam werden.

In der darauffolgenden Sinnesentbehrung kann Halluzination Typ II eintreten, worin dem leidenden Märtyrer die Transzendenz geöffnet wird. Er «vergißt» in gewissem Maße seine schreckliche Situation und wird sich zur gleichen Zeit des völlig geöffneten Himmels bewußt, der ihn in die Transzendenz aufnehmen wird, sobald die Qual beendet ist.

 

7. Die Schärfe des Leidens und das Abstumpfen

Das obige stellt die erste Methode oder den ersten Mechanismus dar, wodurch der Schöpfer manchmal in seiner
Güte den Schrecken der menschlichen Unmenschlichkeit gegenüber Menschen mildert. Der Märtyrer wird in seiner
äußersten Agonie teilweise durch das plötzliche Hinzukommen einer selbstsynthetisierten halluzinatorischen
Substanz von der Wirklichkeit des Schreckens abgeschnitten. Diese Substanz erzeugt er unter Streß aus den Streßhormonen selbst. Der gewöhnliche Mensch, der nicht unter Streß steht, synthetisiert nicht genug Adenochrom, um
eine halluzinatorische Wirkung hervorzurufen.

Der Drogenanhänger jedoch hat den zum sechsten Sinn und zum dämonischen Transzendenten hinleitenden Kanal durch den chronischen Gebrauch von LSD derart «erweitert», daß selbst leichter Streß geringe Konzentrationen von Adenochrom erzeugt, die in seinem empfindungsfähigen Zustand genügen, ihn beim geringsten Anlaß zum Halluzinieren zu bringen. Hier tritt der gleiche Mechanismus in Kraft wie beim Märtyrer unter stärkstem Streß.

Nun kommen wir zu dem zweiten Mechanismus, durch den Streß einen veränderten Bewußtseinszustand bewirken kann. Man nimmt an, daß der Gebrauch von LSD, besonders zusammen mit anderen Psychedelika wie Haschisch, Meskalin oder Psilocybin – oder sogar mit Nicht- Psychedelika wie Amphetamin und/oder Reserpin – im Gehirn den Kanal zur Transzendenz «weitet». Viele psychedelisch Erfahrene behaupten, sie hätten genau so halluzinieren «lernen» müssen, wie man richtig schreiben und turnen lernen muß. Das heißt, durch Übung können sie beim Halluzinieren mit der gleichen Drogenmenge bessere Resultate erzielen. Wenn also eine Person Psychedelika als Lebensnorm anwendet, wird sie schließlich leichter halluzinieren können. Die geringste Konzentration des eigenen Adenochroms genügt, wenn sie geübt ist, einen veränderten Bewußtseinszustand bei ihr hervorzurufen. Sie wird bei dem geringsten Reiz oder Streß spontane «Flash-backs» erfahren.

Mit anderen Worten: Der regelmäßige Gebrauch der Psychedelika wird den Drogengenießer unter Streß leicht zu einem labileren Charakter machen, als er ohne Drogen gewesen wäre; denn er ist weniger imstande, Streß auszuhalten. Es mag für den Märtyrer gut sein, in seiner Todesqual den Himmel offen zu sehen. Aber es ist gewiß nicht gut, wenn ein Pilot halluziniert und den Himmel offen sieht, sobald er dem Streß eines blockierten Fahrgestells ausgesetzt wird und seine ganze Geistesgegenwart braucht, um den Handbetriebsmechanismus in Gang zu bringen!  

 

8. Die Legitimität des psychedelischen Drogengebrauches

 

Diese Überlegungen helfen zu verdeutlichen, weshalb die Heilige Schrift, obgleich sie die Wirksamkeit psychedelischer Drogen zur Erzeugung veränderter Bewußtseinszustände anerkennt, deren Gebrauch unter allen Umständen
streng verbietet.

Der Apostel Paulus geht in seinem Schreiben an die Christen in Galatien recht ausführlich darauf ein. Er weist auf gewisse Bräuche hin wie Ehebruch, Hurerei, Unreinheit, Lüsternheit, Götzendienst und Hexerei (unter anderen) und sagt, daß diejenigen, die solches ausüben, nicht das Reich Gottes erben werden. Wir müssen jedoch genau das Wort betrachten, das in der deutschen Übersetzung gewöhnlich mit «Hexerei» oder «Zauberei» übersetzt wird. Heute erregt das Wort «Hexerei» weithin Heiterkeit – obwohl es für Eingeweihte keineswegs belustigend ist. Es gibt auch in unseren Tagen einen immer weiter um sich greifenden Hexenkult.

Tatsächlich heißt das griechische Wort, das im Text mit «Hexerei» oder «Zauberei» übersetzt wird, «pharmakeia», was «einen Zauber ausüben oder Trancezustände, Visionen oder Halluzinationen mittels Drogen bewirken» heißt. Heutzutage würden wir dieses Ausüben von «Pharmakeia» mit «Hervorrufen eines Trips (oder Trancezustandes) mittels psychedelischer Drogen» übersetzen. Das aktive Prinzip gewisser Pilze (z.B. die Gattung Psilocybe, die unter den mexikanischen Indianern als «Teonanacatl» [=Gottesfleisch] bekannt ist. Sie betrachten sie als den Verbindungsschlüssel zu ihrer Gottheit. Sie enthält zwei aktive psychedelische Prinzipien, bekannt als Psilocybin und Psilocin. Der kleine Kaktus namens Lophophora williamsie oder Peyote «Knöpfe» enthält Meskalin und wird von den Indianern ebenfalls für religiöse Riten benutzt) war den Alten wohlbekannt und wurde als heiliges Kommunikationsmittel mit der Gottheit verehrt.

Es ist also eine sehr alte Tatsache, daß gewisse chemische Pflanzensubstanzen dazu verwandt werden können, den Bewußtseinszustand zu verändern, d. h. «Zauber» auszuüben und religiöse Trancezustände zu erzeugen. Dies verführte offensichtlich zur Ausübung von Zauberei. Die Bibel hinterläßt gewiß nicht den Eindruck, als ob sie das Hervorrufen von Trancezuständen mittels Chemikalien als leeren Unsinn betrachtet. Die Ausübung derselben wird in der Heiligen Schrift so ernsthaft verboten, daß wir uns nur fragen müssen, warum. Es muß etwas dahinter sein, das diese Schärfe mehr verdient, als das bloße Herumexperimentieren mit psychoaktiven Drogen es einen erwarten lassen würde. Was ist es denn, das dieses Hervorrufen von mystischen Trancezuständen (pharmakeia) mittels psychedelischer Drogen so gefährlich macht, daß die Bibel es als vergleichbar an Bosheit mit den schlimmsten Sünden des Fleisches einstuft?

Könnte die Antwort auf diese Frage in den folgenden Überlegungen liegen? Seit dem Sündenfall der Menschheit, dessen Ereignis die Verweisung Adams und Evas, der ersten menschlichen Wesen, aus dem Paradies war, hat Gott die Tore der paradiesischen Erfahrung und der Transzendenz vor dem allgemeinen menschlichen Gesichtskreis gehütet. 1.Mose 3, 23-24 berichtet, daß der Mensch nach dem Fall aus dem Garten, dem Paradies, ausgeschlossen wurde und daß der Weg zum Baum des Lebens in jenem Garten von da an durch ein Schwert blockiert war, so daß der Mensch in seinem elenden, gefallenen Zustand nicht ins Paradies zurückkehren und ewig leben konnte. In seinem gefallenen Elend würde er das Paradies einer Hölle gleich gemacht haben. Das Maßgebende hier ist, daß der Weg zurück zur transzendenten Erfahrung des Paradieses Gottes dem Menschen aufgrund seiner Sünde verschlossen war. Offenbar sollte das, was Gott fest verschlossen hat (zu unserem Wohl), nicht aufgebrochen werden – selbst nicht durch psychedelische Drogen, die unter gewissen Umständen den Weg zurück zur Transzendenz erzwingen können. Vielleicht enthielt die Frucht der Paradiesbäume gerade solch eine psychedelische Substanz! Die Frucht wäre für den Menschen gut gewesen und hätte ihn sicherlich in die Transzendenz versetzt – wenn er nicht gesündigt hätte.

Aus der Transzendenz hätte er wahrscheinlich gut und böse besser erkennen können! Aber in seinem Elend wären Transzendenz, Paradies und der Baum des Lebens ewig das Schlimmste, das ihm widerfahren konnte, denn sie hätten seinen verlorenen Zustand für immer fortgesetzt – hätten ihn als Sünder ewig, transzendent gemacht. Deshalb wurde der Weg zur ewigen Transzendenz nach dem Fall versperrt. Vor dem Fall war er offen – Adam verkehrte mit dem ewigen Gott im Paradies.

In der Tat konnte Adam vor dem Fall sozusagen zwischen der Transzendenz in Gottes ewiger Gegenwart und dem materiellen, zeitlichen, physikalischen Garten mühelos hin- und herpendeln. Nach dem Fall wurden Adam und Eva auf nur eine Sphäre eingeschränkt, auf die materielle, zeitliche, hier und jetzt. Sie wurden an sich gebunden, genau so wie wir es jetzt sind – und mußten im Schweiße ihres Angesichtes arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Es wird jetzt verständlicher sein, warum die Bibel den Gebrauch der Psychedelika für diejenigen, die in das Reich Gottes, das Neue Paradies eingehen wollen, als unbedingt verboten betrachtet. Der Grund ist, daß diese Drogen die Barriere zwischen der Erfahrung unserer gefallenen Welt und dem transzendenten ewigen Paradies herunterreißt, die Gott aus dem sehr guten Grund errichtete, daß des Menschen Elend in seinem gefallenen Zustand, wenn es keine Barriere gäbe, sich für ewig fortsetzen würde. Die Barriere war also als ein Ergebnis des Sündenfalls errichtet worden und sollte deshalb nicht entfernt werden, bis die Ursache des Falles – nämlich die Sünde – entfernt worden ist. 

 

9. Die Märtyrervision

Dies führt uns zu der Frage, warum die Bibel Psychedelika und ihre Erfahrung von mystischen, transzendenten, veränderten Bewußtseinszuständen verbieten sollte, während sie es dem Märtyrer erlaubt, sich dieser Erfahrung zu erfreuen. Und dies vermutlich durch den gleichen Mechanismus wie bei dem Drogenkonsument. Wie kann man von außen her erzeugte psychedelische Erfahrungen (exogen hervorgerufen durch Einnehmen von Meskalin, LSD, Psilocybin, Haschisch) verbieten, während man endogen erzeugte psychedelische Erfahrung, die durch eines Menschen persönlich und endogen synthetisierte psychedelische Droge wie Adenochrom entsteht, erlaubt? Ist diese
Einstellung vernünftig?

Wir meinen ja, und zwar aus folgenden Gründen. Wir sahen, daß der Anlaß, warum dem menschlichen Geist die Erfahrung des Paradieses verboten wurde, das Hinzukommen des Falles, der Sünde und deren Elend waren. Das heißt, die Sünde erstellte die Barriere zwischen uns und der transzendenten Welt, für die wir erschaffen waren (genau so wie für unsere materielle Welt). Wenn die Sünde jetzt aus dem Wege geschafft werden könnte, dann wäre diese Barriere aufgehoben. Durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi ist diese Barriere prinzipiell entfernt worden, obgleich die Beseitigung für uns Menschen noch nicht allgemein wirksam geworden ist. Das wird später kommen. In Christus ist jedoch die Barriere zusammen mit ihrer Paradies-blockierenden Wirkung entfernt worden; denn Christus war nach der Auferstehung imstande, vor den Augen seiner Jünger zu erscheinen oder zu verschwinden. Er konnte tatsächlich zwischen der zeitlichen, materiellen und der ewigen, transzendenten Welt hin- und herpendeln – genau so wie es Adam offenbar vor dem Fall konnte. Für Christus gab es keine Barriere zwischen dem Materiellen und dem Transzendenten, nachdem er mit der Ursache für die Errichtung der Barriere fertig geworden war, nämlich mit der Sünde und deren Folgen.

Aber warum soll man einen Unterschied machen, indem man nur dem Märtyrer seine psychedelische Erfahrungen erlaubt? Der Apostel Petrus gibt uns auf diese Frage eine kurze Antwort: «… wer am Fleisch leidet, der hört von Sünden auf.» Ganz gewiß ist der Märtyrer für diese Beschreibung qualifiziert als einer, der mit der Sünde aufgehört hat! Erstens hat Christus am Kreuz das Problem seiner Sünde gelöst und die Sünde für immer beseitigt. Außerdem gehört der Märtyrer zu denen, die durch Leiden im Fleisch mit Sündigen aufgehört haben. Durch Jesus Christus wurde die Barriere der Sünde beseitigt; das Leben des Märtyrers wird aufgrund dieser Tatsache – und nun praktisch durch das Leiden im Fleisch und das Sterben um Christi willen – abgeschlossen, das Problem der Sünde ist praktisch gelöst. Der Drogenkonsument bricht jedoch durch eine von Gott errichtete Barriere hindurch zur Transzendenz, ohne zuerst die Frage der Sünde zu lösen. Er greift nach den Früchten des Paradiesbaumes, indem er über die Hecke, die um das Paradies herum ist, springt, anstatt durch «die Tür» (Jesus Christus) hineinzugehen. Doch die Hecke selbst ist durch Christus fortgeschafft worden – für diejenigen, die ihm nachfolgen.

 

Kapitel VII

Ursache und Behandlung der Drogenepidemie

 

In diesem Kapitel wollen wir unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die psychedelische Drogen-Szene richten (einschließlich Haschisch, LSD usw.), die nach dem Alkohol-Problem der wichtigste Teil der jetzigen Drogenepidemie ist. Damit will ich nicht andeuten, daß Alkohol, Heroin, Amphetamine und Barbiturate nicht wichtig seien. Sie sind es. Aber wenn einmal ein Mensch eine suchtbildende Droge wie Heroin genommen hat, ist es wahrscheinlich, daß er jegliche Droge verwenden wird, um sich selbst zur Verstärkung seines «Highs» und zur Herabsetzung seines Entzugssyndromes zu verhelfen. So sind Barbiturate und Alkohol manchmal austauschbar. Amphetamine werden oft mit Haschisch und LSD genommen. Ich erwähne dies, um zu betonen, daß, obwohl die psychedelische Drogenepidemie einschließlich der Haschischepidemie wichtig ist, sie fast immer mit anderen zugänglichen Drogen vermischt ist. Dies ist wahr, trotz der Tatsache, daß man nicht sagen kann, Haschisch würde immer zu Heroin führen. Da psychedelische Drogen auf besondere Weise mit veränderten Bewußtseinszuständen verbunden sind (wie alle psychoaktiven Drogen), wollen wir diesen Abschnitt mit einer sehr verallgemeinerten Analyse der Chemie des Denkens anfangen. Es soll kein detailliertes Studium sein. Ein bloßer Aufriß der Mechanismen, die Gedanken und Bewußtsein tragen, wird uns hier genügen.

1. Denken schafft Materie 

 

Wenn ich meiner Kalium-Ionen (Kartoffeln, Butter oder Fleisch) beraubt werde, kann ich in meiner gegenwärtigen körperlichen Verfassung weder singen, beten noch selbst denken. In all dem oben Gesagten haben wir keineswegs behauptet, daß Denken Chemie sei. Es gibt kein Beweismaterial dafür, daß Materie und Chemie Gedanken erschaffen können. Es gibt aber Beweise für die Annahme, daß Denken Materie und Chemie schafft. Wir wissen zur Genüge, daß die Materie und ihre chemischen Reaktionen Gedanken, Gebete und Lieder tragen können. Meine Gedanken, getragen von Materie, können neue Aggregate von Materie schaffen wie neue Drogen, die gegen altbekannte Krankheiten wirksam sind.
Materie kann sozusagen die Röhrenleitung sein, durch die der Gedanke, der schöpferische Gedanke, hindurchfließen kann. Aber es gibt ganz sicher keinen Beweis dafür, daß die Röhrenleitung, die das Wasser von den Bergen in unser
Haus leitet, das Wasser erzeugen kann. Ebenso gilt dies für die Nerven, die auch nicht die Gedanken erzeugen können.

Viele sind der Überzeugung, daß unser Nervensystem im Gehirn und im Körper etwa so Gedanken übermittelt wie die Metalleitungen das Wasser! Aber die Gedanken, so wie das Wasser, stammen von den Bergen über und jenseits von uns. Zerstört man die Nerven, die Leitungen, so gelangt kein Wasser oder Gedanke hindurch. Aber die Tatsache, daß kein Wasser oder Gedanke nach der Zerstörung der Leitung hindurchgelangt, ist durchaus kein Beweis dafür, daß die Leitung das Wasser oder den Gedanken erzeugt.

Und doch sind viele Menschen dieser falschen Vorstellung verfallen und meinen, daß das Nerven- und Gehirngewebe Gedanken erzeugt, nur weil es die Gedanken übermittelt und ohne Gewebe keine bekannten Nervenimpulse existieren. (Es gibt Beweise von Nervenübermittlung ohne differenzierte Nerven in einzelligen Organismen.)

Danach scheint es also, daß der Gedanke selbst vom Denkvorgang unterschieden werden sollte, genau wie das Wasser in den Röhren von der Erzeugung des Wassers durch den Regenguß in den Bergen mittels Sonnenenergie unterschieden werden muß.

Der Gedanke selbst ist sicher ein Ausdruck des «Logos». Gedanke (oder «Logos») kann durch Materie in Nerven geleitet werden, aber letzten Endes ist «Logos» selbst die Quelle von Materie, der Leitung für «Logos». Wenn Denken absolut an Materie gebunden wäre – wie es der Fall wäre, wenn Materie oder Nervengewebe die einzige Quelle von Gedanken wären -, dann könnte es nach dem Zerfall der Materie oder ihrer Aggregate keinen Gedanken mehr geben. Der Tod wäre in diesem Fall das Ende allen Denkvermögens. Jeder, der sich für psychische Phänomene interessiert oder der an die biblische Einstellung von Tod und Auferstehung gegenüber glaubt, wird nicht gewillt sein, die Anschauung zu vertreten, daß Materie der Erzeuger von Gedanken sei; denn wäre das der Fall, hätte kein Gedanke (Logos) bestehen können, ehe Materie zustande kam. Die christliche Einstellung ist, daß Denken und Logos vor der Materie und selbst dem biologischen Leben existierten – daß sie die Erschaffung der Materie verursachten, die dann Denken und Logos leiten und tragen konnte.

Wiederum ist es offensichtlich, daß Gedanken auf organischer, biologischer Materie «reiten» können, auf deren Chemie und deren Kalium-Ionen-Diffusions-Systemen. Offenbar kann Denken auf der Oxydation von Kartoffeln, Fetten und Fleisch «reiten». Aber, während wir diese Tatsache fest im Gedächtnis behalten, wollen wir auch daran denken, daß biologische, organische Materie heutzutage kein Monopol auf die Übermittlung von Gedanken besitzt. Organische Materie braucht nicht die Quelle des Denkens zu sein und braucht auch nicht der einzige Übermittler zu sein. Man muß eingedenk sein, daß Formen von anorganischer Materie (im Gegensatz zu organischer, biologischer Materie) imstande sind, die «Gedanken» intelligenter, denkender Maschinen und Computer zu tragen. Thermionische Röhren und Transistoren sind imstande, die Impulse zu übermitteln, die zu Hochgeschwindigkeitsrechenmaschinen führen. Die elektrische Impulsübermittlung in dieser anorganischen Materie geht viel schneller vor sich als in biologischer Materie. Sogar magnetische Bänder können genauso gut Denken übermitteln und speichern und sind gewiß nicht biologischer Natur.

So kann Denken chemisch und langsam übermittelt werden wie in der Biologie, oder es kann mit Lichtgeschwindigkeit übermittelt werden wie in anorganischer Materie bei Computern.

Es kann auch in verschlüsselter Form auf einem magnetischen Band oder in einem biologischen Gehirn gespeichert werden. Diese Überlegungen führen uns zu der Ansicht, daß Denken eine Wesenseinheit für sich ist. Es kann auf der Biologie im bequemen «Paßgang» oder «Trab» reiten. Oder es kann auf anorganischer Materie in einem «Galopp», bei Lichtgeschwindigkeit reiten. Es kann auf Nerven oder magnetischem Band gespeichert werden und somit «stationär» bleiben.

Mit diesen Tatsachen vor uns, können wir jetzt zum letzten Schritt in unserer Diskussion vorgehen. Denken (Logos) ist eine nichtmaterielle oder übermaterielle Wesenseinheit für sich. Es kann auf verschiedenartigen materiellen Medien (Substraten) «reiten», wie organischer, biologischer Materie und anorganischer Materie. Wenn Denken als eine übermaterielle Wesenseinheit (Logos) betrachtet werden kann, warum sollte es nicht für Gedanken möglich sein, auf anderen als materiellen Medien (Substraten) zu «reiten» – wenn es «übermaterielle» Medien gibt? Wenn nichtmaterieller Gedanke (Logos) Materie zum Entstehen brachte, wie könnte Denken hinsichtlich seines Ursprungs und seiner Übermittlung auf Materie beschränkt sein? Wenn es einen Begriff wie Dimensionen jenseits der drei (drei plus Zeit) von uns erfahrenen gibt, warum sollte dann nichtmaterieller Gedanke nicht sowohl auf Begriffen dieser Überdimensionen als auch auf materiellen Dimensionen «reiten»?

All dies braucht nicht so weit hergeholt zu sein, als manche denken mögen; denn gewisse paranormale Phänomene scheinen nicht von den gleichen Gesetzen wie die Materie beherrscht zu werden – sie wären sonst ja nicht paranormal. Phänomene wie Telepathie, Telekinese usw. scheinen heute eine zuverlässige Basis zu haben und sind mit Gedanke (Logos) irgendeiner Art verbunden.

Für diejenigen, die vor dem Okkulten Angst haben und es in allem sehen, was sie nicht verstehen (damit will ich nicht die Gefahr des Okkulten verringern – ich selbst sehe sie als sehr real an), wollen wir ein paranormales Phänomen betrachten, vor dem sich wenigstens Christen nicht fürchten. Es ist das paranormale Phänomen des Auferstehungsleibes Christi – eine Art Körper, die Christus jedem Gläubigen bei Seiner Wiederkunft versprochen hat. Diese Angelegenheit ist für jeden gläubigen Christen von persönlichem Interesse.

Der Auferstehungsleib Jesu Christi bestand aus wenigstens zwei «Materialien». Erstens war es eine uns bekannte Materie. Er konnte z. B. nach Kreuzigung, Tod und Auferstehung Fisch essen, atmen, laufen, seine Stimme gebrauchen und am Tisch das Dankgebet sprechen. Vermutlich funktionierten seine Muskeln wie unsere – d. h. aufgrund von Chemie und Kalorien. Maria erkannte den Ton seiner Stimme, als sie «Rabbuni» rief.

Jedoch wurde dieser materielle Körper, der auf der Basis von Chemie und Kalorien funktionierte, von einem übermateriellen, transzendenten Auferstehungsleib «durchdrungen», der zusätzliche Eigenschaften besaß. Er konnte z.B. nach Belieben erscheinen oder verschwinden. Er konnte durch verschlossene Türen gehen. Er hörte die ungläubigen Bemerkungen von Thomas, dem Jünger, als er, Jesus, beim Aussprechen dieser Worte nicht physisch zugegen war. Während seiner materiellen Anwesenheit in der Herberge an der Emmausstraße konnte er diesen materiellen Zustand vor den Augen seiner ungläubigen Jünger in einen nichtmateriellen, transzendenten Zustand auflösen. Hier, in Christus, haben wir wieder den ursprünglichen, paradiesischen Zustand: so wie Adam mit Gott im Transzendenten verkehrte und ebenso mit den Geschöpfen der Erde im materiellen Garten lebte, genauso konnte Christus das gleiche tun, weil das Sündenproblem, das Adam aus dem Paradiesgarten hinausgetrieben hatte, für immer am Kreuz gelöst worden war.  

2. Eine wesentliche Folge

Dies bringt eine sehr wichtige Folge mit sich, die vielfach übersehen wird. Die Veränderung des physischen Zustandes Christi – vom materiellen zum nichtmateriellen – bedeutet keinen Hiatus (Bruch) seiner persönlichen Identität noch in seiner Denkweise. Er war derselbe Jesus, ob er im Auferstehungsleib oder im materiellen menschlichen
Körper war. Sein Denken und seine Persönlichkeit blieben dieselben ungeachtet des Zustandes, in dem er sich
befand – ob seine Gedanken wie unsere getragen wurden von Kalium-Ionen und Kalorien … oder ob sie von übermateriellen Medien getragen wurden!

Seine Kontinuität im Wesen und deshalb im Denken und in der Psyche blieben trotz seines Wechsels vom materiellen in den transzendenten körperlichen Strukturzustand unversehrt, genauso wie mein Gedanke derselbe ist, ob er von meinen biologischen Nerven getragen oder von Telefondrähten übermittelt wird. Es wird auf Jesus hingewiesen als den, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit, d. h. derselbe, ob im menschlichen Leib oder außerhalb desselben. Daher können wir gewiß schließen, daß Denken auf Materie oder auf den Dimensionen jenseits der Materie, auf dem Transzendenten getragen werden kann. Dies hat bestimmt nichts mit dem Okkulten zu tun.

Wir haben so weit die Kontinuität vom Gedanken und seiner Identität festgelegt, ganz gleich, ob von Materie (organisch oder anorganisch) oder Transzendenz getragen. Offenbar gilt diese Beweisführung nicht nur für Christen, sondern auch für andere Menschen, und zwar ehe der erlösten Menschheit der Auferstehungsleib (der wie Christi Auferstehungsleib sein wird) gegeben wird. Nehmen wir den Apostel Paulus als Beispiel. Er erlebte einen Zustand, in dem er nicht wußte, ob er «im Körper» oder «außerhalb» desselben war.

In beiden Zuständen konnte er denken und seine Identität blieb unverändert. Paulus war «in das Paradies Gottes versetzt». Wichtig ist hier, daß in diesem transzendenten Zustand die Denkprozesse und die persönliche Identität des Apostels Paulus nicht unterbrochen wurden, ungeachtet der Frage, ob Materie oder die Transzendenz des Paradies als Träger seiner Persönlichkeit und seiner Gedanken verantwortlich waren. Ob er «außerhalb des Leibes» oder «in dem-
selben» war, machte hinsichtlich seiner Persönlichkeit keinen Unterschied. Natürlich erweiterte diese paradiesische Erfahrung, in der er sich «außerhalb des Leibes» befand, seinen erfahrungsmäßigen Gedankenhorizont, daß es dem Apostel unmöglich war, sich hinterher über dieses Erlebnis in der begrenzten menschlichen Sprache, die offenbar für solche Erfahrungen nicht bestimmt war, deutlich zu äußern.

Nichtsdestoweniger erweiterte seine Erfahrung «außerhalb des Leibes» gewiß die Qualität seines Lebens und Denkens «im» Leibe und ergänzte diese. So können Materie und ihre Chemie die Tiefe und Kraft transzendenter Gedanken und Erfahrungen nicht völlig tragen, wenn sie während solch einer Erfahrung und danach in sie hineinströmen, wie der Apostel zu beschreiben versucht. Dies wird erst vollkommen möglich sein, wenn der sterbliche Leib bei der ersten Auferstehung von der Unsterblichkeit überkleidet wird. Wichtig ist, daß in beiden Zuständen (materiell und transzendent) die wirkliche Identität der Persönlichkeit und des Denkens unverändert bleibt.

Das gleiche geschieht in geringerem Maße, wenn ein Mensch seine Intelligenz und seine Denkvorgänge auf einen Computer oder ein magnetisches Band überträgt. Der Gedankeninhalt bleibt der gleiche, ob er auf grauer Nervenmaterie im Gehirn, auf einem magnetischen Band oder auf einem künstlich-intelligenten Computer «reitet». Gewiß, der Gedankeninhalt mag weniger subtil und begrenzter sein. Aber an sich bleibt der Gedankeninhalt trotz des Substrat-Wechsels unverändert. So kann durch den Wechsel des Substrates Einschränkung der Gedankenweite vorkommen, aber kein Identitätswechsel. Die Bibel bestätigt diese Ansichten; denn sie sagt, daß das sterbliche Auge nicht gesehen und das sterbliche Ohr niemals gehört hat (beide sind Teile des chemischen Systems der Propriozeption), was Gott für diejenigen bereit hat, die ihn lieben.

Erfahrung und Denkvermögen werden im unsterblichen Zustand unermeßlich reicher und tiefer sein, wenn unsere Propriozeption nicht mehr von beschränkten Kalium-Ion- und Kalorie-Mechanismen abhängig ist. Doch die Prozeption beider Zustände wird zusammenhängend sein. Der große Wechsel wird kommen – aber ohne Kluft oder Identitätswechsel. Wenn die Sterblichkeit von der Unsterblichkeit überkleidet wird, werden wir eine vollkommene Erfahrung dessen haben, was wir jetzt sind und wissen. Es scheint demnach, daß unsere gegenwärtige Erfahrung, obwohl sie normal (d.h. nicht paranormal) ist, etwas mit der Erfahrung des Transzendenten gemeinsam hat. Obgleich die letztere unermeßlich reicher und tiefer sein wird, wird doch das Jetzt und Dann gemeinsame Faktoren aufweisen, die die beiden vereinen. Jetzt sind wir an den Punkt gelangt, wo wir die psychedelische Erfahrung weiter erörtern können.

3. Drogen und Visionen 

Es wird uns klar geworden sein, daß aufgrund von chemischen Mitteln Veränderung von Gedankenübermittlung möglich sein sollte, wenn die Denkprozesse unseres gegenwärtigen materiellen Zustandes eindeutig auf der Chemie basieren. Das heißt, die Art des Gedankens kann durch Veränderung der Qualität der Chemie verändert werden. Außerdem gilt der Hauptanteil der Nervenimpulse im Körper zweifellos der Propriozeption, d.h. er hat mit der Orientierung des Körpers in seiner rein materiellen Umgebung zu tun. Man würde demnach erwarten, daß die Veränderung dieser propriozeptiven chemischen Prozesse weitgehende Veränderungen – oder Verzerrungen – in unserer Wahrnehmung der materiellen Wirklichkeit um uns herum erzeugen würde. Anders ausgedrückt: Veränderungen in
der Chemie der Propriozeption werden Veränderungen in der Qualität der Propriozeption hervorrufen – also Halluzination Typ I.

Die Propriozeption (Wahrnehmung) kann verzerrt sein, woraus Halluzination erfolgt. Es ist demnach einsichtig, warum der Mißbrauch vieler psychoaktiver Drogen zu Verzerrungen in der Wahrnehmung der Wirklichkeit um uns herum führt. Zweifellos erzeugen Haschisch, LSD, Meskalin und Psilocybin einen großen Teil ihrer Wirkung auf diese Weise. Die fünf Sinne werden verzerrt. Doch, wie bereits erwähnt, gibt es Beweismaterial, daß Propriozeption mittels der fünf Sinne die Funktion des Gehirnes nicht erschöpft. Was wir vielleicht «Extrazeption» nennen können – die Wahrnehmung von Ereignissen außerhalb unserer Erfahrung der physikalischen Wirklichkeit, wie sie sich in der paranormalen Wahrnehmung kundtut – muß in Betracht gezogen werden. Doch auch die «Extrazeption» muß in das Gehirn eindringen und danach von diesem mittels der normalen Chemie der Nervenfunktion verarbeitet werden. Die Folge ist, daß selbst «Extrazeption» aufgrund der Chemie von psychedelischen Drogen modifiziert werden
wird.

So können wir auch auf diesem Gebiet der transzendenten mystischen Wahrnehmung Verzerrung und Halluzination erwarten. Psychedelische Drogen können gewiß die Nerven der fünf Sinne anästhesieren, so daß sie eine Person durch eine Träumerei vorübergehend von der Erfahrung der Wirklichkeit abschneiden.

Aber die gleiche Droge kann ebenso mittels des «Rebound»-Phänomens (entgegengesetzte Wirkung, Rückprall) die entgegengesetzte Wirkung zur «Anästhesierung» ausüben – sie kann Hyperästhesie oder Überempfindlichkeit gegenüber der materiellen Wirklichkeit erzeugen, so daß die Person, die die Droge einnimmt, die materielle Wirklichkeit in übertriebener Form erlebt. Die blaue Farbe des Himmels war nie so blau. Das Grün des Grases war nie so grün. Das Purpur des Samtkleides lebt und pulsiert. Einfaches Wasser schmeckt wie Nektar. Diese ganze, normale psychedelische Erfahrung (Erfahrene wissen, wovon ich spreche) ist in Wirklichkeit eine Verzerrung der materiellen Propriozeption (Wahrnehmung), genauso wie die anästhesierende Wirkung auch eine Verzerrung darstellt.

Wir haben dargelegt, wie Psychedelika durch Einwirkung aus der Chemie der Propriozeption die psychedelische Verzerrung der materiellen Wirklichkeit erzeugen können. Aber wie rufen sie den psychedelischen Höhepunkt, die «glückselige Vision» (Beatific Vision), hervor?

Die anästhesierende Wirkung der Psychedelika erzeugt einen gewöhnlich kurzen Entzug der fünf Sinne, der es dem
atrophierten (verkümmerten) Gedankeneingang (input) aus dem Transzendenten erlaubt, zur Verarbeitung mittels
gewöhnlicher chemischer Denkprozesse ins Gehirn zu gelangen. Danach sollten wir von einer psychedelischen Droge die Erzeugung zweier Haupt Wirkungen erwarten: erstens, Entzug der fünf Sinne, der zu den normalen Konsequenzen führt – Erfahrung der Transzendenz – und zweitens, Verzerrung selbst dieser «extrazeptiven» Erfahrung aufgrund von chemischen Veränderungen der Impulse aus der Transzendenz nach deren Empfang. Psychedelika werden also sowohl Propriozeption als auch «Extrazeption» verändern und verzerren können. Dies führt uns zu etwas Grundlegendem in bezug auf Nervenprozesse im allgemeinen und Denkprozesse im besonderen: Das Funktionieren der fünf Sinne ist notwendig, damit der Körper am Leben bleiben kann. Um Gefahr zu vermeiden und überleben zu können, muß man hören, sehen, fühlen und schmecken können. Man muß sich ernähren, muß rennen, laufen, Häuser bauen und arbeiten, um leben zu können. All das wird mit Hilfe der fünf Sinne getan, die deshalb als wertvoll zum Überleben beschrieben werden können. Man vergißt allerdings oft einen zweiten Aspekt der fünf Sinne: der hedonistische Aspekt.

Es ist nicht nur nützlich, die fünf Sinne zum Überleben zu gebrauchen. Durch ihren Gebrauch gewinnen wir gleichzeitig Freude (Hedonismus). Wir wollen jetzt die nützliche und die hedonistische (freudebezogene) Seite der fünf Sinne betrachten und von da auf den sechsten Sinn schließen, was uns direkt zu der Ursache der heutigen Drogenepidemie führen wird.

4. Die Sinne sind sowohl utilitaristisch als auch hedonistisch (nützlich und lustbezogen) 

 

Wenn wir an den Geschmackssinn denken, wird uns klar, daß dieser einem eindeutig nützlichen Zweck dient und
dafür sorgt, daß wir genug essen, um leben und unsere Gesundheit aufrecht erhalten zu können. Doch ist dieser
nützliche Aspekt stark mit einem hedonistischen gekoppelt. Es macht uns Freude, zu essen. Es macht mir Geschmacksfreude, eine Orange zu essen – wodurch dafür gesorgt wird, daß ich genug Kalium-Ionen in meinen Körper aufnehme, um, neben anderem, denken zu können.

Nützlichkeit ist eng gekoppelt mit Freude. Schlechter Geschmack kann uns vor Toxizität schützen. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der Sexualität. Das mit der Geschlechtlichkeit verbundene Empfinden wird zum großen Teil durch die fünf Sinne und die Hormonchemie vermittelt. Die Sinne des Sehens, Fühlens, des Gehörs und des Riechens, gekoppelt mit der Chemie der Hormone, dienen dem nützlichen Zweck, das Fortleben der Menschen zu gewährleisten. Aber die rein nützliche Seite der Sexualität ist verbunden mit einem Freudengewinn. Die Überbevölkerung unseres Planeten legt gewiß beredtes Zeugnis davon ab. Es ist zu bezweifeln, ob überhaupt viele Kinder geboren würden, wenn Sexualität nur
nützlich wäre!

Hier könnte man einwenden, der Sinn des Schmerzes – der ja nützlich ist, weil er oft verhindert, daß dem Körper Schaden zugefügt wird – habe gewiß keine hedonistische Seite. Dieser Einwand ist aus zwei Gründen nicht stichhaltig.
Der Schmerz des Kindergebärens hat manchmal eine euphorische Seite. Der Schmerz des Märtyrertums, den wir schon von einem anderen Gesichtspunkt aus erörtert haben, ebenfalls. Doch gibt es noch einen zweiten, tieferen Grund, warum diese Entgegnung oberflächlich ist: Die Empfindungen und Nervenendungen für Schmerz und Freude sind sehr eng miteinander verkoppelt.

Man stellte erst in letzter Zeit fest, daß die Nervenendungen in der weiblichen Klitoris hauptsächlich solche sind, die Schmerz wiedergeben. Eine Suche nach einer anderen Art, die das Freude-Genuß-Empfinden, das von diesem Organ übermittelt wird, weiterleitet, schlug fehl. Es gibt keine Nervenendungen für Freude in einem Lust vermittelnden Organ, sondern nur Endungen, bestimmt zur Wiedergabe von Schmerz. Dies schien zuerst bemerkenswert, denn es bedeutet, daß Freude (Genuß) mittels Schmerz-Nervenendungen übermittelt werden kann – Nützlichkeit gekoppelt mit Lustgewinn!

Es ist jedoch eine allgemeine Erfahrung, daß sich Genuß fast unmerklich in Schmerz verwandelt und umgekehrt. Die eine Erfahrung geht in die andere ohne klare Grenzen über. Weil dies der Fall ist, kommen wir zu dem Schluß, daß die sehr nützliche Schmerz-Erfahrung eng mit der lustbetonten (Genuß) Erfahrung gekoppelt ist.

Analysiert man alle fünf Sinne, so kann man gewöhnlich in allen diese zwei Seiten entdecken – die nützliche und die hedonistische. Diese Zweiteilung kann man auch in bezug auf den sechsten Sinn beobachten. Trotz der fieberhaften Arbeit auf diesem Gebiet (besonders in Rußland) weiß man leider noch nicht sehr viel über dieses Thema. Wir wollen kurz diese beiden Seiten des sechsten Sinnes betrachten.

5. Der sechste Sinn ist auch utilitaristisch und hedonistisch (nützlich und lustbezogen) 

Man könnte behaupten, der sechste Sinn sei insofern nützlich, als er – wie Huxley sagt – die menschliche Gesellschaft funktioneller macht. Ohne einen Sinn des Göttlichen und des Transzendenten neigt die menschliche Gesellschaft dazu, die Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebens zu verlieren – und gleichzeitig die Ehrfurcht vor dem Nachbarn. In der Tat wird sie «gottlos» im allgemeinen Sinn des Wortes.

Wenn man irgendwelche Zweifel an dieser Tatsache hegt, braucht man nur über die Geschichte der atheistisch-materialistischen Ideologien der letzten 100 Jahre und ihre «Ehrfurcht» gegenüber Nachbarn und Menschenrechten nachzudenken. Im Zweifelsfalle braucht man nur nach Berlin zu gehen und dort eine gewisse Zeit lang auf einer der Plattformen, die den Blick auf die Berliner Mauer freigeben, nachzusinnen.

Wer Christus durch die Wiedergeburt persönlich erfahren hat, weiß etwas von der Bewußtwerdung der Gegenwart Christi und der daraus erwachsenden Freude.

Bis jetzt haben wir in unserem Modell den Begriff «sechster Sinn» ganz allgemein gehalten. Unter keinen Umständen wollten wir seinen Gebrauch auf die Kommunikation mit dem Okkulten beschränken. Er wird natürlich in diesem okkulten Sinne hauptsächlich gebraucht. Wir wollen ihn jedoch in Verbindung mit jeglichem  Kommunikationsmittel zu dem Transzendenten gebrauchen.

Die unsichtbare Welt kann das Okkulte bedeuten, aber sie kann auch die Kommunikation mit «dem Vater des Lichtes» einschließen, denn das Transzendente ist gewiß nicht nur «schlecht» oder «gut» in der gewöhnlichen Bedeutung dieser Begriffe. Der Mensch wurde für zwei Hauptzwecke erschaffen. Gott hatte an den Menschen seine Freude, und diese Freude sollte gegenseitig sein.

Der erste war,«mit Gott Gemeinschaft zu haben und seinen Schöpfer und sich selbst zu erfreuen.» Gott hatte an den Menschen seine Freude, und sie sollten sich an Ihm freuen.

Der zweite Zweck war, daß der Mensch als Gottes Verwalterweise über die physikalische Schöpfung herrschen sollte. Der erste Zweck schloß das Transzendente und die Fähigkeit des Menschen, in dieser Sphäre zu leben, ein. Dazu war der Mensch zuerst transzendent geschaffen worden (und auch materiell). Der zweite Zweck schloß in sich, daß der Mensch imstande war, in unseren drei physikalischen Dimensionen und in der Zeit zu leben, zu arbeiten und Gemeinschaft zu pflegen. Das Endergebnis war, daß der Mensch eine Hybride zwischen«Geist» und «Fleisch und Blut» war. Er konnte zwischen beiden Sphären hin- und herpendeln.

Als der «Sündenfall» kam und der Mensch aus dem Transzendenten, dem Paradies, ausgewiesen wurde, verlor er eine seiner Tätigkeits-Sphären – die transzendente. Dieser Verlust bedeutete, daß sein «transzendentes propriozeptives System», seine Fähigkeit, Transzendenz zu empfinden und «sich darin zu bewegen», nicht mehr aktuell war und deshalb wenig gebraucht wurde. Wenn wir unsere fünf Sinne, die wir für die Wahrnehmung in den drei Dimensionen und der Zeit gebrauchen, nicht anwenden, dann verkümmern sie.

Wenn nun ein Sinn nicht gebraucht wird, leidet der Körper darunter, der diesen Sinn besitzt. Als wir in Chicago lebten, litten unsere Augen und unser Sehvermögen unter der schmutzigen grauen Stadt, den Slums und all dem Häßlichen. Wir sehnten uns wieder nach den Bergen, den grünen Feldern, den sauberen, klaren Gebirgsflüssen und
den kühlen, ruhigen Bergtälern. Die Sehnsucht nach der Befriedigung unseres Sehvermögens war so groß, daß wir
oft am Sonnabendnachmittag farbige Schweizer Gebirgskalender anschauten! Deshalb können wir folgern, daß ein
Sinn – ganz gleich, ob es der Sinn für das Sehen, Hören, Tasten, für den Geschmack oder den Geruch ist – nicht
nur nützlichen Überlebenszwecken dient. Er ist uns auch zur Freude gegeben. Wenn die fünf Sinne nicht völlig und regelmäßig befriedigt werden, empfinden wir ein Unbehagen – eine Malaise. Dies ist schwer zu beschreiben, aber wir alle kennen es. Ein junger Mann mag mit der Frau, die er liebt, keinen geschlechtlichen Verkehr gehabt haben. Aber er sehnt sich danach, obwohl er nicht weiß, was es ist. Die Sublimierung dieses Verlangens (Nostalgie) schenkte der Menschheit manche der schönsten Werke der Kunst, Poesie und Musik. Das heißt, daß das Bedürfnis, ja sogar die Notwendigkeit der Befriedigung der fünf Sinne in der Tat sehr stark ist und entweder direkt oder durch Sublimierung erfüllt werden muß. Wo diese Befriedigung nicht gegeben ist, entsteht Unbehagen (Malaise).

 

7. Hauptthese über die Ursachen der psychedelischen Drogenepidemie 

Der Mensch hat immer noch Spuren der Ewigkeit in seiner Psyche. Er sehnt sich noch nach dem Glück der Ewigkeit, dem Paradies, und verabscheut den Gedanken, daß sein Leben, seine Existenz mit dem Tode aufhört. Dies heißt unter keinen Umständen, daß der Mensch einen heiligen Gott sucht. Das tut er nicht. Im allgemeinen flieht der Mensch vor dem bloßen Erwähnen Gottes oder Christi, es sei denn, daß Gottes Geist in besonderer Weise an ihm arbeitet.

Und trotz seiner Flucht vor Gott und Christus kann der Mensch doch dem Zug der Ewigkeit und der Transzendenz nicht entfliehen, obgleich dieser Zug nur als allgemeine Nostalgie, als ein unbestimmtes Sehnen nach der Schönheit auf der «anderen Seite des Schleiers» beschrieben werden kann. Manchmal veranlaßt diese Sehnsucht den Menschen, Entlastung durch Arbeit und Betriebsamkeit zu suchen. Manchmal stellt sich das Verlangen stärker ein als zu anderen Zeiten. Wenn wir in dieser Welt erfolgreich sind und die Sorgen unsere fünf Sinne mit Impulsen ausfüllen, können die schwachen Impulse des sechsten Sinnes und sein Sehnen nach dem Paradies jahrelang unbemerkt bleiben. Aber wenn Krankheit und die damit verbundene Abnahme von Aktivität einsetzen, dann kehrt das alte Verlangen zurück, und man beginnt darüber nachzudenken, was wohl der Sinn von Leben und Tod sein mag. Dem kann man nicht entfliehen.

Dasselbe Phänomen findet man in allen Kulturen und Religionen, obgleich es verschiedene Möglichkeiten gibt, dieses Verlangen zu befriedigen. Einige ziehen sich zurück und meditieren und finden bis zu einem gewissen Grad das, wonach sie suchten.

Andere ziehen sich von normaler Arbeit zurück und widmen sich guten Werken, in der Absicht, etwas für die Ewigkeit aufzubewahren. Wieder andere forschen nach der Ursache dieses Sehnens und wenden sich heiligen Büchern zu. Diejenigen, die die christliche Botschaft hören, erfahren, daß die Ursache dieses Verlangens in der Entfremdung von ihrem Schöpfer, Christus, liegt. Sie entdecken, daß die Vergebung der Sünde aufgrund des Todes Christi den Schleier zwischen ihnen und dem Transzendenten entfernt und ihnen so die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach Transzendenz gibt. Sie entdecken, daß Gemeinschaft mit Gott möglich ist!

Eines ist klar, und wir wollen es betonen. Frühere menschliche Kulturen hatten immer heilige Männer aufzuweisen, die mit dem Ewigen und dem Paradies in Verbindung standen und die Botschaft vom Transzendenten an das Volk weitergaben. Aber unsere moderne materialistische Gesellschaft ist derart von der Allgenügsamkeit der Materie erfüllt, daß sie für Gott, den Teufel, die Engel, das Transzendente und den «Heiligen» wenig Verständnis hat. Natürlich, man kann an Christus glauben und man kann sogar durch den Glauben die neue Geburt erfahren, aber viel weiter als das geht unsere westliche Kultur nicht. Wenn man nicht weitergeht, bleibt man ein durchaus normales, ehrbares Glied der Gesellschaft oder einer christlichen Kirche. Aber Erfahrungen, wie sie der Verfasser des Hebräerbriefes in Kapitel 6, der Apostel Paulus in 2.Kor.12 oder der Apostel Johannes in der Offenbarung beschreiben, um nur einige Beispiele anzuführen, werden in unserer westlichen materialistischen Gesellschaft – oder gar ihren Staatskirchen – einfach nicht erwähnt.

Unsere technologische, materialistische Gesellschaft hat die fünf Sinne des Sehens, Hörens, Schmeckens, Fühlens und Riechens bis zum Äußersten überladen. Wir werden überschüttet von Radio, Fernsehen und «Geschmacksfestmahlen», die Zigaretten- und Kaugummifabrikanten, Lieferanten von Brathähnchen und Getränken anbieten. Das Telefon plagt uns rücksichtslos Tag und Nacht. Reklame schreit uns überall an, bis man sich kaum mehr umzusehen wagt.

Und weil unsere Sinne anscheinend in einer Stadt nicht genug angeregt werden, bietet uns das Zeitalter des Düsenflugzeuges mehr Anregung durch mehr Eindrücke für die fünf Sinne in anderen Städten. Das Ergebnis ist der Verlust der Freudenerfahrung durch den sechsten Sinn. Und diese Entbehrung ist die Wurzel von so viel Not in unserer heutigen westlichen Gesellschaft.

Wir wurden zum Leben in Zeit und Ewigkeit erschaffen, aber wir leben weithin allein für die Zeit.

Die fünf Sinne werden überfüttert, so daß der sechste Sinn immer mehr verkümmert. Aber diese Verkümmerung des sechsten Sinnes macht sich heute immer mehr durch ein großes Unbehagen bemerkbar. Dieses Unbehagen ist schwer zu beschreiben, aber es ist da – und greift weiter um sich.

Die Reaktion auf diese Situation kann eine zweifache sein. Erstens: Die Überhäufung der fünf Sinne durch Impuls-Überflutung von Seiten der Wohlstandsgesellschaft führt zu der typischen Reaktion auf Überfütterung – man fühlt den Drang, sich zu übergeben! Die gegenwärtige Generation leidet an «Brechreiz». Sie hat die Überfülle der Wohlstandsgesellschaft satt und möchte sich zurückziehen und zu den Wäldern, Feldern und der Natur zurückkehren. Der «Drop-out» (Gammler) trägt keine Schuhe mehr, um der Natur wieder so nah wie möglich zu kommen und Plastik und Kunststoffen zu entfliehen. So verringert er die Überbelastung der fünf Sinne durch «Brechreiz». Er verwirft die Gesellschaft, die diese Überfülle erzeugt.

Die zweite Reaktion ist noch wichtiger als die erste. Die heutige Generation, die in einer materialistischen Wohlstandsgesellschaft erzogen wurde, leidet nicht nur an Überfülle der fünf Sinne. Sie leidet ebenfalls an Entzugssyndrom auf dem Gebiet des sechsten Sinnes. Sogar die westliche evangelikale Strömung hat die Erfahrung der Transzendenz weithin ausgeklammert. Man ist dankbar, daß noch das Heil durch Christi Opfertod gepredigt wird. Aber dabei bleibt man streng stehen. Die Erfahrung des Fastens und Betens, daß man durchaus erlaubtem Luxus absagt, damit man anderen mehr geben kann, praktische Formen von Sinnesentzug – diese Dinge sind nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis bekannt.

Die auf dieses Sich-Enthalten folgende Freude erlebt man deshalb auch selten. Die Erfahrung von der Entbehrung des sechsten Sinnes wirkt sich in einem Unbehagen aus – genauso wie der Entzug des Schönen für das Auge
als störend empfunden wird. So begegnet uns in der westlichen Gesellschaft wenig Freude und viel Unzufriedenheit.

Ein Grund für den Mangel an Erfahrung mit dem Transzendenten liegt in einer gerechtfertigten Furcht, die den sechsten Sinn mit dem Okkulten verbindet. Allerdings könnte man genausogut sagen, man wolle überhaupt kein Evangelium predigen wegen der Gefahr des Mißverstehens, die zur Sektiererei führen könnte. Alles, was man an «Gutem» sagen will, wird von irgend jemandem als «schlecht» ausgelegt werden.  . . .

In der westlichen Wohlstandsgesellschaft lebt heute eine ganze Generation, die wissentlich oder unwissentlich der
Erfahrung des sechsten Sinnes verlustig geht. Der Sinn für die Ewigkeit liegt in ihrem Herzen, aber sie haben ihn nie
gebraucht und sich nie daran erfreut. Die Folge ist, daß eine psychedelische Droge wie LSD oder Cannabis (Haschisch
oder Marihuana), sobald sie als Gesellschaftsdroge zugänglich ist, dem Bedürfnis dieser Generation so angepaßt
ist wie der Hungrige das Bedürfnis hat, eine Zigarette zu rauchen. Jeder ist dafür offen. Die Droge ist ein dürftiger
Ersatz für das Wirkliche, doch bietet sie die Möglichkeit eines psychedelischen Höhepunktes, einer transzendenten,
mystischen Erfahrung.  . . .

All diese Dinge sind in eine weithin unwissende westliche Generation hereingebrochen, eine Generation, die unwissend in bezug auf das Transzendente und hinsichtlich dieser Erfahrungen ausgehungert ist. Diese Generation wußte nicht einmal, daß die ältere Generation sie all dieser Schönheiten beraubte, nur weil die ältere Generation es vernachlässigt hatte, sie durch natürliche Mittel zu erhalten. Als die jüngere Generation diese Erfahrungen mittels der psychedelischen Droge entdeckte, gab sie ihre Entdeckungen mit missionarischem Eifer weiter an andere ihrer Generation – während sie die unwissende und schuldige ältere Generation ablehnte. Die Reaktion der älteren Generation war vorauszusehen. Sie reagierte mit Unglaube, Zorn und Furcht. Wäre die ältere Generation nicht so beschäftigt gewesen, auf Kosten ihrer eigenen Seele, nur ans Geldverdienen und an ihren Wohlstand zu denken, dann hätte sie vielleicht wirklich die transzendenten Schönheiten selbst erfahren und dann an ihre Kinder weitergeben können. Sie hätte diese Erfahrung ohne Drogen für sich selbst und für ihre Kinder gewinnen können, denn die meisten Wirkungen, die eine Droge erzeugt, können ohne Hilfe von Drogen erzielt werden, wenn man weiß, wie. Aber unsere Wohlstands- und Leistungsgesellschaft wußte nicht, wie man die Freude des mystischen Sinnes fand, und nahm sich auch nicht die Zeit, sie zu entdecken. Denn diese Generation beschäftigte sich so sehr mit den Sorgen dieser Welt und den Trügereien des Reichtums, daß sie das «transzendente Empfangsgerät» ihrer Seele beschädigte und weithin ausschaltete.   . . .
 

8. Die Behandlung der Drogenepidemie

Wir befassen uns hier hauptsächlich mit der psychedelischen Drogenepidemie. Menschen greifen zum Alkohol, um ihre Sorgen zu ertränken (sie anästhesieren sich) und werden dabei süchtig; denn Alkohol-Anästhesie macht einen gegenüber seiner Umgebung unter anderem empfindungslos oder weniger empfindsam. Zuerst nimmt Alkohol die Hemmungen weg, was zu Heiterkeit führt. Danach tritt eine allgemeine Hemmung ein, die Anästhesie. Narkotika wie Heroin haben die gleiche Wirkung. Sie lindern den Schmerz und beseitigen Hemmungen, was in einem anfänglichen «High» Stimulierung und Heiterkeit verursacht. Danach folgt die allgemeine Betäubung und die Anästhesie – das «Vor-sich-Hindämmern».

Diese beiden Methoden zur Erlangung von Drogen-«Highs» sind «negativ». Sie verringern die Erlebnisbreite auf die Dauer gesehen und werden deshalb von den psychedelisch Erfahrenen als «schlechte Technik» angesehen. Andererseits erweitern solche Drogen, wie Amphetamine, die Erfahrung. Wie schon erwähnt, funktionieren wahrscheinlich die Psychedelika im Körper mittels eines Mechanismus, der Amine von der Amphetamin- Gruppe (chemisch gesprochen solche wie Adrenalin) in sich schließt. Die Psychedelika gehören zu der Klasse der Drogen, die das «Denk- und Vorstellungsvermögen strecken» und die Erfahrung erweitern. Die Psychedelika erweitern besonders die Erfahrung des Transzendenten. Amphetamine erweitern die Erfahrung des Immanenten der 5 Sinne.

Die Behandlung der psychedelischen Drogenepidemie wird deshalb klar. Sie besteht nicht darin, daß man die Polizei holt – obgleich das auch notwendig sein kann. Wenn man die Haschisch-Versorgung stoppt, wendet sich der Genießer einem Ersatz zu. Jeder weiß das, obgleich es so scheint, daß wenige die nötigen Folgerungen gezogen haben.

Die Behandlung besteht darin, daß man das verborgene Begehren nach der transzendenten, ewigen, paradiesischen Erfahrung, die ein Teil unseres Menschseins ist, befriedigt; richtig befriedigt durch den uns von Gott dargebotenen Heilsweg in Jesus Christus. Kurzum, unsere ungleiche Menschheit braucht Erfüllung in ihrem Leben für unsere transzendente und immanente Menschheit. Der Opiatsüchtige versuchte seine Probleme durch ein «High» mit anschließender Anästhesie zu ersticken, genau wie der Alkoholiker. Der mit Psychedelika Vertraute versucht seinen Problemen in einem Schwall neuer psychedelischer Erfahrungen aus dem Weg zu gehen.

Natürlich ist es nutzlos, das Evangelium Christi nur deshalb zu predigen, um die Drogenepidemie zu heilen. Das wäre eine Prostituierung der Wahrheit zur Erlangung eines Zweckes. Und doch ist es wahr, daß die Verkündigung des
Evangeliums gleichsam als Nebenprodukt die Drogenepidemie heilen kann. Ich sah persönlich einen Heroinsüchtigen in Istanbul, der nach Jahren der Abhängigkeit von Heroin frei wurde – sogar ohne Entzugssyndrome -, als er der transzendenten Wahrheit Jesu Christi gegenübergestellt wurde und sie persönlich annahm.

Vor einiger Zeit sprach ich mit einigen Ärzten in Detroit, die mir eine Liste mit den Krankengeschichten von sechs Heroin- und anderen «harten» Drogen-Süchtigen vorlegten, die durch die Erfahrung des Evangeliums von ihrer Drogensucht völlig frei wurden.

Ich las einmal in einer Fachzeitschrift, daß in einem wissenschaftlich kontrollierten Test eine Anzahl von Drogensüchtigen, die an «harte» Drogen gebunden waren, jegliches Verlangen nach ihrer speziellen Droge ohne irgendwelche Schwierigkeiten verloren, nachdem man sie transzendente Meditation gelehrt hatte. Ihr Verlangen wurde durch ihre Erfahrung des Transzendenten ohne Drogen befriedigt (der Autor empfiehlt diese Praxis nicht, weil dem Menschen durch eine sündhafte, okkulte transzendente Beziehung in Wirklichkeit nicht geholfen wird – obwohl er dadurch von Drogen frei werden kann).

Gegenwärtig gibt es für die junge Generation fast keine andere Möglichkeit, ihr Verlangen nach Transzendenz zu befriedigen, als die psychedelischen Drogen. Ein Ersatz bietet sich heute in den östlichen Religionen mit ihrer Meditation und Zurückgezogenheit an. Auch der vor einigen Jahren erlebte große und spontane Erfolg der «Jesus People» im Blick auf die Drogenabhängigkeit weist auf die Verbindung zwischen einem Mangel an transzendenter Erfahrung und dem Drogenmißbrauch hin.

Viele der jüngeren Generation aber, die sich jetzt Christus zugewandt haben, waren früher Drogenverbraucher irgendwelcher Art gewesen – und sind davon frei geworden. Wenn echte transzendente Erfahrung einen Menschen überwältigt und befriedigt, dann gibt er die Ersatz-Transzendenz der Droge (und auch Ersatz-Religion) gerne auf.

9. Praktische Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogenepidemie 

Was kann man also ganz praktisch tun, um die westliche Drogenepidemie zu bekämpfen? Ist es zu naiv zu sagen, daß man ihre Ursachen beheben muß? Offenbar liegt aber gerade hier die Lösung des Problems! Doch welches sind die Hauptursachen? Eine Ursache ist gewiß die Zugänglichkeit der Droge. Aber das kann keine sehr zentrale Ursache sein, denn in vielen Ländern der Welt sind Opium und sogar Heroin neben vielen anderen gewohnheitsbildenden Drogen viel leichter für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich als hier – oft ohne Rezept. Und doch haben diese Länder kein Drogenproblem. Nehmen wir z.B. die Türkei. Opiumballen können sozusagen auf dem Küchentisch herumliegen – ganz zu schweigen von erstklassigem Haschisch. Amphetamine, die aus Gründen der Preisstabilität vom Staat subventioniert werden, kann man dort billig und in beliebigen Mengen in jeder Drogerie kaufen. Ich habe mich selbst davon überzeugt. Die Zugänglichkeit der Drogen ist also nur eine relativ geringe Ursache der gegenwärtigen Epidemie. Sie kann die Epidemie verschlimmern, wenn sie Fuß gefaßt hat. Eine viel wichtigere Ursache der Drogenepidemie ist die psychologische Zugänglichkeit der Menschen für die Droge. Die Menschen unserer westlichen Gesellschaft sind psychisch für Drogen zugänglich und empfänglich, die sie sich fast überall beschaffen können.

Die nächste Frage folgt von selbst: Welche Menschen sind denn vom psychologischen Gesichtspunkt aus für Drogen empfänglich, besonders für psychedelische Drogen? Wenn unsere These richtig ist, sind es Menschen, die eine radikale Veränderung ihres Bewußtseinszustandes brauchen. Unsere westliche Lebensweise hat offenbar einen Bewußtseinszustand erzeugt, der an irgendeinem schwer zu definierenden Mangel leidet und der für den
durchschnittlichen jungen Menschen äußerst unbefriedigend ist. Nach unseren Beobachtungen ist eine der Hauptursachen dieses weitverbreiteten Unbehagens im Westen das absolute Fehlen einer positiven transzendenten Erfahrung. Natürlich ist dies nicht der einzige Grund. Der Westmensch leidet außerdem daran, daß ihm das Gefühl fehlt, etwas erreicht zu haben. Früher mußte man hart arbeiten, um sein Brot zu verdienen. Aber das Brot war köstlich – nachdem man einen Tag dafür gearbeitet hatte!

Heutzutage hat jeder ein «Recht» auf sein Brot, man muß weithin sehr wenig dafür arbeiten. Die Folge ist, daß das Brot so widerlich schmeckt wie das Manna, das den Israeliten umsonst in der Wüste vom Himmel geschüttet wurde.

So fehlt nicht nur der Sinn für das Ewige, das Transzendente, in der gegenwärtigen Kultur des Westens. Außerdem ist ein «Brechreiz» aufgekommen, der dadurch entsteht, daß alles, was unsere fünf Sinne begehren, möglichst ohne Gegenleistung verfügbar ist. Die Folge ist: Es fehlt der Stolz und das Gefühl, etwas erreicht zu haben – was sich in einem unbefriedigten Bewußtseinszustand widerspiegelt. Ein Leben ohne Anforderungen schafft einen Bewußtseinszustand, der durch Ekel gekennzeichnet ist. Seit Generationen wurde das Aushungern des sechsten Sinnes, der uns die Bedeutung des Lebens verleiht, mit der Überfütterung der fünf Sinne, die das Bewußtsein bis zum Erbrechen überflutet, gekoppelt. Nie zuvor in der Geschichte hat die Mehrheit der westlichen Gesellschaft eine solche Überfülle an rein materiellem Luxus «genossen» wie die gegenwärtige Generation. Dank der medizinischen Fortschritte war der Gesundheitszustand der Gesellschaft im Westen nie besser als heute. Und doch hat es nie eine Kultur gegeben, die sich der Wahrnehmung der transzendenten Freude in einem Maße beraubt hätte wie die unsrige.

Aber statt darüber zu frohlocken, daß wir unser Los auf Erden so bequem gestalten können, sind viele so unzufrieden mit ihrem inneren Bewußtseinszustand, daß sie nur ein Ziel vor Augen haben – nämlich alles, was wir haben, zu zerstören («Kotzreaktion»), so daß sie schließlich die Genugtuung bekommen, etwas «erreicht» zu haben – und sei es reine Zerstörung. Dies hat seine Ursache in dem Ekelgefühl, verursacht durch den Mangel an Genugtuung (Befriedigung) durch erreichte Arbeit, unter dem unsere Gesellschaft leidet. Ganz offensichtlich sind wir für mehr als nur die Befriedigung der fünf Sinne geschaffen.

Ich möchte diese Wahrnehmungsebene der fünf Sinne keineswegs verächtlich machen. Ich bin dankbar dafür. Aber wenn man weiter nichts hat, kommt man in einen Zustand der Unausgewogenheit. Ein Ausgleich zwischen Erfahrung und Genuß der fünf – und des sechsten Sinnes – muß vorhanden sein, um gesund zu bleiben. Wir sind mit einem Sinn für paradiesische Freuden erschaffen. Das beweist schon das tiefe Sehnen der Menschheit, die Vordergründigkeit des Materialismus zu durchstoßen, um wahres Glück und Vergnügen zu erlangen. Wir haben die Freuden der fünf Sinne nötig – und zwar jede einzelne von ihnen -, doch brauchen wir diejenigen des sechsten Sinnes genau so. . . .

Unausgeglichenheit erzeugt Unbehagen, und die meisten Organismen versuchen automatisch (und oft unbewußt), diese Unausgeglichenheit zu korrigieren. Ist die gegenwärtige psychedelische Drogenepidemie nicht eine offensichtliche, wenn vielleicht auch unbewußte Anstrengung unserer jüngeren Generation, die Unausgeglichenheit zu korrigieren? . . .

Wir sollten einfach aufhören, ausschließlich für den Wohlstand und für die Macht der gegenwärtigen Verbraucher-Gesellschaft zu leben. Wir sollten damit anfangen, uns den Reichtum zu erschließen, der in einem von Gott gegebenen, veränderten Bewußtseinszustand liegt. Die Selbstwahrnehmungsfähigkeit der fünf Sinne wurde uns gegeben, damit wir uns mit deren Hilfe siebzig Jahre sicher in Raum und Zeit bewegen können. Aber unser Bewußtsein des Transzendenten wurde uns verliehen, damit wir uns in ewigen Dingen zurechtfinden können. Erfüllung unserer fünf Sinne ist notwendig und bringt Freude. Doch führt die Erfahrung und Erfüllung durch den Sinn für das Transzendente zur echten Freude; denn der Hauptzweck, für den der Mensch erschaffen wurde, ist «Gott zu kennen und sich seiner ewig zu freuen» (Schottischer Katechismus).

Die epidemische Beschaffenheit religiöser Bewegungen, wie die der «Jesus People» (ich gebrauche das Wort «epidemisch» in seinem rein wissenschaftlichen Sinn), beweist meine Ausführungen. Überall, wohin die «Jesus People» gingen und ihre transzendente Erfahrung mit Jesus vorlebten, gaben junge Menschen die Drogen auf, einschließlich Alkohol und Nikotin. Sie arbeiteten weithin in einer Drogen-orientierten Gesellschaft, und die Absage an die Drogen verschaffte ihnen bei der Gesellschaft Anerkennung. Durch ihre Erfahrung des Transzendenten (so kann man ihre religiöse Erfahrung gerecht beschreiben) entfernten sie die Unausgeglichenheit, die von der Wohlstandsgesellschaft hervorgerufen worden war. – Hierbei habe ich aber diese religiöse Bewegung keiner biblischen Beurteilung unterzogen!

Unser Sehnen nach dem Paradies und seinen Freuden hegt tief in uns, obgleich wir gleichzeitig versuchen, einem heiligen Gott zu entfliehen. Dieses Sehnen ist wie mein Empfinden für die Schönheit der Berge. Meine Augen sehnen sich danach, aber auf eine vollkommen undefinierbare, doch zugleich bestimmte Weise. Nehmen wir ein Beispiel, das sich auf einer anderen Ebene abspielt. Meine Geschmacksknospen verlangen ab und zu nach einem Wiener Schnitzel. Ich könnte dieses «Verlangen» nicht beschreiben! Das bedeutet aber nicht, daß dieses «Verlangen» nicht da ist. Das Sehnen nach der Ewigkeit, nach Schönheit, nach dem Unvergänglichen, nach der Reinheit, nach Schuldlosigkeit und Vergebung, all das sind verschiedene Arten von «Appetit» des sechsten Sinnes, der gestillt werden muß. Wenn dieser Hunger nicht gestillt wird, stellt sich Malaise ein. Dieses Unbehagen kann zu Drogen führen, selbst wenn Drogen nur eine vorübergehende und scheinbare Erleichterung bewirken.

Wiederum stellt sich die Frage: Was soll man tun? Jeder von uns sollte anfangen, sich Zeit für seinen Schöpfer zu nehmen (und ich selbst glaube an Christus, der der Schöpfer ist). Das heißt, man nimmt sich Zeit zum Beten, Überlegen und Nachsinnen über Gottes Wort. Es schließt in sich, daß man sich persönlich Zeit nimmt, um die Kranken zu besuchen, die weniger Glücklichen als wir. Es heißt, daß man gewissenhafter arbeitet, um etwas zu erreichen. Es hilft uns, indem es unseren Bewußtseinszustand bereichert, ihn nämlich zum Guten verändert – ohne Hilfe von Drogen. Es bedeutet, sich Zeit zu nehmen, um andere zu ermutigen, die sich für den gleichen Weg entschieden haben.

Wenn dies für mich und in mir geschehen ist, dann werde ich nicht mehr für Drogen gesellschaftlicher, psychedelischer oder anästhetischer Art empfänglich sein. Die Epidemie wird in mir persönlich fest überwunden worden sein. Und dies kann anderen dazu verhelfen, nach dem Grund meiner Befreiung zu fragen und selbst frei zu werden. 




Was kommen wird (Huntemann)

 Georg Huntemann

WAS KOMMEN WIRD

– Die Bibel über die Zukunft der Welt –

 

Rosigen Zeiten entgegen?
“In den nächstenzehn Jahren werden wir unseren Lebensstandard um 5 Prozent erhöhen … ” sagte Präsident Nixon 1973 in einer Botschaft an den Kongreß. In der Bundesrepublik Deutschland hat sich der Gesamtwert der in einem Jahr erzeugten Güter und Dienstleistungen von 1950 bis heute vervierfacht. Jeder vierte Bürger in unserem Lande hat ein Auto, fast jeder Haushalt hat Fernsehgerät und Kühlschrank. Waschvollautomat und Tiefkühltruhe werden bald in jeder Wohnung stehen. Die Arbeitszeiten werden kürzer, der Verdienst wird größer, der Konsum gewaltiger, die Lebenszeit immer länger: Heute schon ist die Lebenserwartung eines Mitteleuropäers um vierzig Jahre länger als um 1800. Die durchschnittliche Lebensdauer beträgt heute etwa 70 Jahre. …

Was kann dem Glück entgegenstehen?
Also durch Verstand und Wille rosigen Zeiten, vielleicht aus eigener Kraft dem Paradies entgegen?

Oder kommt die Katastrophe?
. . . In Amerika wird Energie knapp. Die Amerikaner, die als 6 Prozent der Weltbevölkerung ein Drittel des Energiebedarfs der Welt verbrauchen, müssen erkennen, daß die Ausbeutung der Welt ihre Grenze und die Erschließung neuer Energiequellen bedrohliche Folgen für die Zerstörung der Umwelt hat. . . . .

Heute sehen die Forscher Möglichkeiten, die man in der Sprache der Bibel als apokalyptisch bezeichnet. Sinn des Wortes Apokalypse ist, daß das Verborgene offenbar wird. Ganz allgemein ausgedrückt bedeutet das für unsere Situation: Wir gehen einem Punkt entgegen, an dem wir mit einer Wirklichkeit und Wahrheit konfrontiert werden, an der wir Jahrhunderte lang vorbeigelebt haben.
Wird offenbar, was die Bibel voraussagt: Untergang der Welt? Wiederkunft Christi durch eine Katastrophe hindurch? Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, nachdem die alte Welt untergegangen ist?

Wie sieht es der Christ?
Im Jahre 1973 stritten deutsche Fernsehgewaltige darüber, ob ein Film ‑ in den Kellern St. Paulis in Hamburg aufgenommen ‑ die brutale, satanische Praxis einer heute schon nicht mehr außergewöhnlichen Christentumsfeindschaft im Fernsehen demonstrieren darf. In einem Hamburger Untergrundlokal wurde das Christentum verhöhnt. Vor dem Hintergrund eines bis zur Decke reichenden Kruzifixus wurde eine Abendmahlsfeier als Vereinigung mit dem teuflischen Leibe zelebriert. Von einem in Talar gekleideten Teufelsdiener wurde ein Knabe vom Tode auferweckt: Verhöhnung einer Heilandstat Christi ‑ die Auferweckung eines toten jungen Menschen zu neuem Leben wurde zur Show vom wiedererweckten Lustknaben umstilisiert. Dann präsentierten Hexentänze und Obszönitäten rauschhafte Gotteslästerung.

Sicherlich nur ein Beispiel, aber eines von vielen anderen, die den Gipfel eines Eisbergs massiver Christentumsfeindschaft auf der ganzen Welt anzeigen. Die Gebote werden verneint, die Ordnungen Gottes verächtlich gemacht, die Ehrfurcht vor dem Heiligen verhöhnt. Die christliche Wahrheit in der Offenbarung Christi wird zu einer Doktrin menschlicher Selbsterlösung umfunktioniert, während die Unterdrückung der Christen in der ganzen Welt zunimmt und dieses Jahrhundert bereits heute mehr christliche Märtyrer hat als irgendein anderes Jahrhundert in der Geschichte der Christenheit.

Christenmenschen sehen diese Zeichen. Sie verstehen sie als Hinweis auf eine Zeit, die ihre Zwiespältigkeit und Gefährdung nicht mehr verbergen kann. Ernsthaft fragen Christen: Kommt die Endzeit? Sie wissen, wenn keine Umkehr kommt, dann bewegt sich diese Gesellschaft zwangsläufig auf die Katastrophe zu, auf Untergang und Gericht. Christen aber wissen auch, daß durch diese Katastrophe hindurch Christus wiederkommt, um Gerechtigkeit, Wahrheit, Schönheit des ewigen Lebens in einem neuen Himmel und einer neuen Erde zu bringen.
Georg Huntemann, Bremen, 1973

 

INHALT

Die Zeit rast ‑ wohin?
Untergang der Welt ‑ Untergang des Abendlandes
Zukunft in Teufels Hand?
Vom Kommen des Antichristen
Was kommt nach dem Tod?
Auf welches Ziel hin leben?

 – Geringfügige Kürzungen wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Januar 2012 –

 

1. Kapitel
Die Zeit rast – wohin?

Tatsachen, die die Welt verändern
Je älter der Mensch wird, um so schneller vergeht die Zeit. Wenn eine Mutter ihr zweijähriges Kind zwei Stunden auf ein Bonbon warten läßt, dann ist diese Zeit für das Kind genausolang, als wenn die Mutter selbst zwölf Stunden auf eine Tasse Kaffee warten müßte.

Was für den einzelnen gilt, gilt für die ganze Menschheit. Je älter diese Menschheit wird, um so schneller lebt sie. Das 1784 in England eingesetzte Postkutschensystem bescherte den Reisenden eine Geschwindigkeit von 15 km die Stunde. 1825 brachte es die Dampflokomotive auf 20 km, schon 1880 gab es Lokomotiven, die 150 km schafften, 1938 konnte ein Flugzeug 600 km bewältigen, und heute bewegen wir uns mit Schall‑ und Überschallgeschwindigkeiten.

Als man die Eisenbahn in Preußen einführte, meinte der König, er könne es nicht verstehen, warum es so nötig wäre, eine Stunde früher oder später in Potsdam anzukommen. Nun ‑ es ist wichtig geworden. Wir fragen nicht, warum es so ist ‑ wir nehmen die Tatsache hin. Die Zeit überfällt uns schockartig mit immer neuen Tatsachen, ehe wir uns an die alten gewöhnt haben.

Es ist so: Die Zeit rast ‑ aber wohin rast sie? Was steht am Ende dieser Bewegung ‑ oder gibt es kein Ende, kein Ziel, keine Endstation?

Als Jesus von Nazareth gemäß der damaligen Ordnung in der Synagoge Israels einen Abschnitt aus dem Alten Testament vorlas und dann diesen Abschnitt erklärte, gab es Ärger. Die Zuhörer wollten ihn sogar steinigen. Was war geschehen? Jesus hatte eine Stelle aus dem Alten Testament vorgelesen, in der von der Zukunft die Rede war. Die Propheten des Alten Bundes glaubten daran, daß es ein Ende und ein Ziel der Zeit gibt. Für sie war Leben auf Zukunft nicht eine Reise in die Ziellosigkeit. Alles kommt von Gott, und alles führt zu Gott. Am Ende steht das Reich Gottes, dann werden die zerstoßenen Herzen geheilt, die Gefangenen werden frei, die Blinden werden sehen, und die Zerschlagenen und Zerschundenen sollen aufgerichtet werden.

Auf dieses Ende der alten und den Anfang einer neuen Welt wartete man in Israel. Und darüber wollte man nun von dem Jesus von Nazareth eine Predigt hören. Aber Jesus hielt keine Predigt. Er sprach nur einen einzigen Satz: “Heute ist diese Schrift erfüllt vor euren Ohren” (Luk. 4,21).

Das war also ganz schlicht die Behauptung: Das Ende ist schon da, das Ziel erreicht. Und es konnte auch kein Mißverständnis darüber geben, daß dieser Jesus aus Nazareth sich selbst als das Ziel der Menschheit vorstellte, also die Nähe des Reiches Gottes, die Erfüllung der Sehnsucht und Hoffnung solcher Menschen, die nicht ziellos leben können. Denn der Mensch ist ‑ wie der Philosoph Ernst Bloch einmal sagte – “undicht” , er fühlt sich immer in die Gegenwart eingesperrt, er will hinaussehen durch die undichten Stellen der Gegenwart in eine bessere Zukunft, die den Sinn seines Lebens erfüllt.

Diese Zukunft ist erreicht ‑ das war die Aussage des Jesus in der Synagoge von Nazareth. Das Reich Gottes ist angebrochen. Seine Heilandstaten: die Heilung der Kranken, Auferweckung der Toten, seine vollmächtigen Worte sind die Anzeichen des Einbruchs des Gottesreiches in diese Welt.

Diese Rede erregte Ärgernis. So billig hatte man sich das nicht vorgestellt. Zwar hatte man damals keine klaren, allseits akzeptierten Vorstellungen davon, wie es denn nun sein würde, wenn die Uhren der alten Welt einmal abgelaufen sind, aber spektakuläre, gewaltige, triumphale, umstürzende Zeichen hatte man mit Sicherheit erwartet. Da gab es auch viele persönliche Wünsche: Freiheit von Armut, Krankheit und Sorge, glückliche Zeiten usw. Und davon spürte man damals nichts in der Synagoge von Nazareth. Und davon merkt man heute auch nichts in den Kirchen der Christenheit, denn ‑ so sagte man damals und heute: Es ist ja alles beim alten geblieben.

Aber es ist nicht alles beim alten geblieben, und es wird auch nicht alles beim alten bleiben.

Als Jesus in diese Welt kam, brachte er den Anfang ‑ nicht die Vollendung des Reiches Gottes. Sein Anfang des Reiches Gottes ist die Vergebung der Feindschaft gegen Gott, das Leben aus dem Gebet, das Leiden und Sterben in der Kraft Christi, die Überwindung des Todes im Sieg der Auferstehung Jesu.

Aber das ist nur der Anfang! Eindeutig ist das Zeugnis Jesu von seiner Wiederkunft, vom Untergang der alten Welt und vom Kommen einer neuen Welt, eines neuen Himmels und einer neuen Erde.

Aber: Das Neue kommt nur aus dem Untergang des Alten. Das Reich Gottes wird in Schmerzen, in “endzeitlichen Wehen” geboren.

Seit der Predigt in der Synagoge von Nazareth bricht sich das Reich Gottes seine Bahn, es wird gleichsam ausgebrütet, bis die Zeit erfüllt ist. Das neue Leben sprengt dann die zum Sterben verurteilten Formen der alten Welt. Die kosmische Struktur, die Ordnungen des Lebens dieser Welt werden sich auflösen, bis Christus triumphierend und sichtbar wiederkommt: “Denn wie der Blitz ausgeht vom Aufgang und leuchtet bis zum Niedergang, wird auch sein das Kommen des Menschensohnes” (Matth. 24,27).

Je schneller die Menschheit lebt, je mehr wir uns vom Tag der Predigt in der Synagoge zu Nazareth entfernen, um so schneller rast die Zeit der Wiederkunft entgegen, werden die Zeichen sich mehren, die den Niedergang der alten Welt bezeugen.

Und diese Zeichen melden sich heute in überstürzender Eindringlichkeit. Zerstörung der Umwelt, Bedrohung der planetarischen Struktur, Auflösung der Gesellschaftsordnung, Auflösung von Ehe und Familie, das “Erkalten” der Liebe (Matth. 24,12) (sprich: Das Wachsen von Aggression und Ehrfurchtslosigkeit) ‑ all das sind die Schatten des Endes, die auf unsere Zeit fallen.

Wir sind aufgerufen, diese Zeichen zu deuten: “Über des Himmels Aussehen könnt ihr urteilen; könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen dieser Zeit urteilen?” (Matth. 16,3.)

Wie stehen die Zeichen der Zeit?

Wo ist unser Platz in der Zeitspanne zwischen dem ersten Kommen Christi und seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten?

Können wir aus der Gegenwart ablesen, “was die Stunde geschlagen hat”?

Am 26. Juli 1972 hielt der heute in Paris lebende Dichter Eugène Ionesco zur Eröffnung der Salzburger Festspiele die Festrede. Diese Rede schockierte die Zuhörer. Was wurde gesagt?

Eugène Ionesco malte ein düsteres, unheimliches Bild vom Leben in unserer Zeit. Der Dichter sieht: Unsere Kultur ist brüchig geworden. Die Industrie führt zur Zerstörung von Erde und Atmosphäre. Eine kosmische Katastrophe bedroht uns. In der menschlichen Gesellschaft wachsen die Spannungen: “Wir leben im Zeitalter des Zorns. Nur der Zorn kann uns so unausweichlich in den Untergang führen. Unsere Zivilisation war auf der Suche nach dem Glück und hat nur Niederlagen, Unglück und Tod erlitten.”

In der Kunst unserer Tage sieht Ionesco nur einen Abstellraum unserer Verzweiflung. Linke wie rechte Gesellschaftsordnungen beurteilt der Dichter als “infernalisch”: “Die Dämonen, die wir gebannt glaubten, erheben sich in unserem Innern und peinigen uns. Unsere Wunden brechen auf, und wir werden lebendig aufgespießt.”

Einen Ausweg sieht Ionesco nicht, denn “die Religionen” ‑ so meint er ‑ sind machtlos, und das westliche Bürgertum ist weich geworden. Die Jugend sieht er orientierungslos zwischen dem Wunsch nach freier Entfaltung aller Begierden und der Bereitschaft nach bedingungsloser Unterwerfung unter eine diktatorische Ordnung hin und her schwanken. Technokraten und Diktatoren drohen unsere Gesellschaft in ihre herrschsüchtigen Hände zu nehmen.

Ionesco meint, daß die politischen Führer die Menschen nicht lieben, sondern nur Instrumente der Macht aus ihnen machen wollen. Der Mensch steht nur noch sich und seiner Apparatewelt gegenüber und (so der entscheidende Satz seiner Rede): “Wir können nicht mehr zum Himmel blicken!”

Die Sorgen angesichts der Tatsachen: Werden wir die Menschen ernähren können? Werden die in Riesenstädten kasernierten Menschen einander seelisch ertragen können? Oder werden die seelischen Spannungen den Grad der Unerträglichkeit erreichen, daß sie entweder diktatorisch gelenkt oder sich willkürlich in Explosionen des Hasses und der menschlichen Selbstzerfleischung entladen müssen? Oder wird zwangsläufig der Freiheitsraum so eingeengt werden, daß wir nur noch stumpfgeduldig dahinvegetieren? Die Visionen einer Großstadt des nächsten Jahrhunderts von dem Weltstararchitekten Constantinos Doxiadis ließen mich erschaudern!

Wenn alle Bewohner dieser Erde den Lebensstandard hätten, wie die Amerikaner ihn heute schon haben, gäbe es in vier Jahren kein Öl und in 25 Jahren keine Eisenerze mehr. Und die Amerikaner wollen noch besser leben, und die Armen dieser Erde wollen wie die Amerikaner leben. Wohin rast die Zeit?

Wird die Zukunft von selbst die Lösung der Probleme bringen? Werden wir neue Energiequellen nutzen etwa die Atomenergie? Forscher befürchten, daß neue Energieformen den Wärmehaushalt der Erde so durcheinander bringen, daß menschliches Leben entweder durch Hitze oder Kältetod bedroht werden wird.

Zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit werden wir im Blick auf die unmittelbare Zukunft mit Tatsachen konfrontiert, die eine biblische Dimension der Endzeitlichkeit haben. Das heißt: Die Aussagen der Bibel über das Ende der Welt, über die kosmische Katastrophe, Zerstörung von Erde und Atmosphäre können nicht mehr als märchenhafte Phantasiegespinste abgetan werden, sondern sind technisch möglich geworden.

Aber nicht nur die äußeren Bedingungen unseres Lebens sind im Laufschritt auf die Katastrophe hin. Auch die sogenannten Normen, die Moral, die Ansicht über Gut und Böse galoppieren auf totale Revolutionierung.

Nach dem Gesetz der speziellen Relativitätstheorie von Einstein sind Zeit und Raum relativiert. An einem Beispiel: Wer selbst auf dem Wagen der Moralrevolution sitzt und Tag für Tag, sei es auch nur auf dem Wege des Kompromisses, einen Abstrich nach dem anderen macht, merkt die Rasanz dieser Bewegung nicht. Anders stehen die Messungen, wenn wir das Rasen des Zeitgeistes von einem ruhenden Bezugspunkt aus betrachten, nämlich von den Geboten der Bibel. Wer die Kapitel der Bibel über Gebote, Recht, Heiligkeit und Gerechtigkeit liest, der muß fast davon überzeugt sein, daß bald das Gericht Gottes in diese Welt einbrechen wird, so wie es über Sodom und Gomorra, Assur und Babylon, Rom und Ägypten angebrochen war.

Wir sind am Nerv unseres Themas: Was immer diese Zeit bringt, was ihr Stil gibt, was auf den Weg von morgen zeigt das ist gut. Wir sind betrunken durch den Zeitgeist. Wir beten die Zeit an wie einen Gott. Wir sind Gefangene der Zeit bis zur Aufgabe unseres Selbst. Wir haben keine Maßstäbe mehr für das, was Gut oder Böse ist in der Zeit, weil die Zeit selbst zum Maßstab aller Maßstäbe wurde. Das ist alt” oder “das ist 19. Jahrhundert” genügt, um Argumente totzuschlagen. Wir sind “Zeittäter” geworden, weil wir tun, was die Zeit von uns getan haben will.

Wenn frühere Kulturen das Alter ehrten, dann lag darin die Erkenntnis, daß es Werte gibt, die über allen Zeiten stehen und daß es Maßstäbe gibt, die durch keine Mode abgelöst werden können. Heute dressieren die Kinder ihre Eltern. In ihrem Buch “Die dressierten Eltern” (1972) zeigt Monika Sperr, daß heute Eltern ihre Kinder als Vorbilder betrachten, daß Mütter sich wie Teenager und Väter sich wie Boys benehmen und kleiden. Warum? Weil man das Vertrauen in sich selbst verloren hat, weil Erwachsene pausenlos der Zeit nachjagen, weil wie sie meinen nur dem Jungsein die Zukunft gehört, weil die Zeit zum Gott wurde und weil mandiesen Gott nur anbeten kann, wenn man ihm seine Vergangenheit zum Opfer in den Rachen wirft.

Ist die Gemeinde Christi vor diesem Kult mit dem Zeitgeist bewahrt? Man spricht heute vom “Horizontalismus” in der Kirche und meint damit, daß alle Geschehnisse auch die Aussagen der Bibel so gesehen und angenommen werden sollen, als wenn es eine über alle Zeiten stehende Ewigkeit garnicht gäbe. Wiederkunft Christi bedeutet dann nicht die persönliche, für das Ende der Zeiten verheißene Wiederkunft Christi in Herrlichkeit. Man meint vielmehr, daß ein “christliches Prinzip” in dieser Zeit verwirklicht werden soll. Mit anderen Worten: Das Christentum ist nur gut für diese Zeit und für diese Gesellschaft ein Jenseits dieser Zeit, eine andere Zeit, die Ewigkeit, Himmel und Hölle das alles interessiert nicht mehr. Der Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, von Zeitalter zu Zeitalter, der eine, treue, in seiner Gerechtigkeit und Liebe unveränderliche Gott, wurde in den Herzen der Zeitgläubigen getötet. Deswegen fehlt die Achse der Zeit es fehlt die Mitte der Zeit, und die Stunde der Verwirrung ist gekommen.

Von dieser Verwirrung ist die Kirche Christi nicht ausgenommen. Das Schiff der Kirche schwankt im Sturm eines sich chaotisch gebärdenden Zeitozeans.

Christen wissen, daß sie am Rande eines endzeitlichen Dramas leben. Der Christ ist Realist, er sieht nicht aus Schadenfreude, so als ob nun bestätigt würde, daß es kommt, wie es geweissagt wurde, auf die bösen Zeichen unserer Zeit. Daß es so kommt, wie es geweissagt wurde, ist vielmehr Trost und Hilfe denn: Hinter dem Ziellosen des Chaotischen in unserer Zeit steht verborgen der Gang der Heilsgeschichte Gottes. Seitdem das Reich Gottes in Jesus von Nazareth angebrochen ist, leidet dieses Reich Gewalt, und Gewalttätige reißen es an sich (Matth. 11,12). Aber dadurch wird die Vollendung dieses Reiches mit der Wiederkunft Christi nicht aufgehalten: “Das Reich muß uns doch bleiben.” Der Christ weiß eben um den Sinn hinter dem anscheinend Sinnlosen.

Wann wird es geschehen?

Wir wissen weder Tag noch Stunde. Wer die Wiederkunft Christi berechnen will, der will Gott berechnen – das ist Sünde.

Als Jona in Ninive Buße und Gericht predigte, ärgerte er sich, als das Gericht nicht kam. Er hatte sich verrechnet, die Freiheit Gottes mißachtet: Wir sollten nicht in denselben Fehler verfallen. Wir sehen die Zeichen der Auflösung aber wenn Gott es gefällt, kann er noch einmal einen Aufschub schenken, und dann dürfen wir nicht verbittert sein wie Jona, der mit Gott haderte, weil er gnädig war.

Die Zeichen der Zeit sind so, daß Wachsamkeit geboten ist. Jahrhunderte hindurch stand die Lehre von der Endzeit am Rande christlicher Verkündigung. Heute ist die Stunde gekommen, von der Endzeit her unser Heute zu sehen. Und so geschieht es auch bei allen Christen, die in der Bibel den ruhenden und gültigen Bezugspunkt für die Geschehnisse der Zeit haben. Deswegen können sie durch nichts verängstigt werden, was auch immer geschehen mag, denn sie wissen um das Ziel.

Wer aus diesem ruhenden Bezugspunkt lebt, muß zweierlei bedenken: 1. Die quälenden Realitäten für Gegenwart und Zukunft. 2. Die Verheißung, daß alles in der Wiederkunft Christi überwunden wird.

Zeit, Zeitgeist und Herr der Zeit

Auf der Mittelmeerinsel Kreta so schildert es Alwin Toffler in seinem Buch “Zukunftsschock” (1970) leben in fast völliger Weltabgeschiedenheit um die fünfzig Amerikaner. Sie wohnen in Höhlen. Die Höhlenbewohner sind aus der Zeitrasanz ausgestiegen, weil sie die Zeit nicht mehr ertragen konnten.

Es sind aber nicht nur diese Amerikaner, die die Zeit nicht mehr ertragen können. Die Zahl derer, die im Zeitstreß zugrunde gehen, wird immer größer. Psychologen und Mediziner können davon ein Lied singen. Viele fühlen sich überfahren, insbesondere alte, kranke und schwache Menschen, die ängstlich im Gewirr unserer Zivilisation als Untertanen des Zeitgeistes vegetieren müssen wie die Sklaven oder Leibeigenen früherer Zeiten unter ihren Herren.

Viele sind ausgestiegen. Sie sind in die innere Emigration gegangen oder suchen die Betäubung: Gammler, Alkoholiker und Rauschgiftsüchtige fliehen vor der Zeit, weil sie Angst vor ihr haben. Warum?

Angst in der Zeit bedeutet Ohnmacht in der Zeit. Man fühlt sich allein, weil der Einbruch des Ewigen in die Zeit nicht mehr geglaubt und auch kaum noch verkündigt wird. Die von Gott verlassene Zeit wird unerträglich wie die Einsamkeit einer Wüste.

Im Johannesevangelium (1,45 ff.) gibt es die Geschichte von einem Mann, der (sein Name ist Nathanael) sich nicht vorstellen konnte, daß aus Nazareth etwas Gutes kommen könne. Er stand Jesus kritisch gegenüber. Als Jesus Nathanael sah, sagte er zu ihm: “Ein echter Israelit, in dem kein Falsch ist” (Joh. 1,47). Nathanael – immer noch kritisch fragt zurück, woher Jesus ihn überhaupt kenne. Da kommt die entscheidende Antwort Jesu: “… da du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.” Und Nathanael bekennt sofort: “. . . Du bist Gottes Sohn.”

Als Nathanael “unter dem Feigenbaum war”, war er allein. Er muß sehr allein gewesen sein in einer für ihn bedeutsamen Stunde, denn er erinnerte sich ja noch sehr genau daran. Jetzt wird ihm gesagt, daß er damals nicht allein war, daß Christus ihn sah! Also: Keine einsame, keine leere Zeit. Die Zeit ist unter den Augen Gottes.

Die Zeit ist unter der Führung Gottes; denn Nathanael erlebte die Führung in seinem Leben: Er begegnete Christus. Nathanael wurden die Augen geöffnet. Zwischen dem “Damals unter dem Feigenbaum” und dem Augenblick, da er Christus begegnete, gab es einen Zusammenhang: Leben ist Fügung !

Leben heißt also nicht, Zeit sinnlos verbrauchen. Leben heißt nicht, einer leeren Zeit gegenüberstehen. Die Stunden, Tage, Jahre und Jahrmillionen sammeln sich nicht zur Wüste der Zeit. Gott hat die Zeit geschaffen, hat ihr Anfang und Ende gesetzt – das gilt für die Welt wie für jeden einzelnen Menschen. Gott hat die Zeit in seinen Händen. Wer das weiß, für den ist die Welt offen deswegen konnte Christus zu Nathanael sagen: “Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen” (Joh. 1,51). Den Himmel offen sehen bedeutet: Gottes Fügung im eigenen Leben erkennen. Alle Geschehnisse sind Zeichen Gottes: in der Heimsuchung, in der Bewahrung, in der Züchtigung, im Sterben, im Leiden und dann in der Auferstehung.

Also vertraut der Christ dem Gang der Zeit, weil er den Herrn der Zeit kennt. Vertrauen macht bereit, etwas zu wagen und zu tun. Vertrauen setzt Kräfte frei gerade für die Zukunft. Wenn Christus sagt: “Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen” (Matth. 6,33), dann bedeutet das doch: Wenn wir die Zielvorstellung haben, daß die Zukunft für uns immer das Handeln Gottes bringt, dann haben wir auch Vertrauen für die Zukunft. Und wenn wir Vertrauen für die Zukunft Gottes haben, haben wir Kraft für die Zukunft, und dann werden wir unser Leben sinnvoll durch die Zeit führen.

Aber wer lebt so mit der Zeit? Wer ist wirklich Herr über die Zeit, weil er an den Herrn der Zeit glaubt? Wer entscheidet sich wirklich ernstlich für den Auszug aus der Gefangenschaft der Zeit, so wie einst Israel die Gefangenschaft der ägyptischen Götzenherrschaft verlassen hat?

Christen leben heute weitgehend entscheidungslos. Pastoren und Prediger klagen darüber. Man will gern zuhören und diskutieren aber wie selten ist man bereit, sich zu entscheiden, zu bekennen und Verantwortung zu übernehmen! Man macht nur “halb” mit. Man ist nicht bereit, sich ganz und gar mit der Botschaft zu identifizieren, die man gerade gehört hat. Und viele wollen lieber einen Vortrag über Gott hören, als an Gott glauben, und mancher möchte lieber einen Vortrag über den Himmel hören, als in den Himmel hineinkommen. Soziologen nennen diese Verhaltensweise einen “Beziehungsverlust”.

Was heißt Beziehungsverlust? Warum gibt es diesen Beziehungsverlust? Die Antwort ist einfach: Wir spielen zumeist nur Rollen, die uns vom Geist der Zeit diktiert werden ‑ Der eine spielt Revolutionär, der andere hat ein Motorrad und kraftstrotzt in Lederuniform, ein Mädchen macht auf “keep smiling”, weil sie sich auf den Traumberuf einer Stewardess einspielt ‑ man spielt Rollen, die die Zeit aufdrängt, die aber nicht im Einklang stehen mit dem wahren Ich. Es kommt dann dahin, daß wir eines Tages gar nicht mehr wissen, wer wir überhaupt sind. Psychologen nennen das die Identitätskrise. Das bedeutet: In dem, was wir tun, sind wir mit uns selbst nicht im Einklang; wir haben unsere Seele verloren. Die Zeit hat unser Ich zugeschüttet.

Die Zeit demontiert also gleichsam unser Ich. Sie zernagt aber auch unsere Erkenntnis Gottes. Man glaubt oft nur noch traditionell, aber nicht mehr ehrlich an Gott.

Im Blick auf die Endzeit schreibt der Apostel Paulus an Timotheus: “Menschen haben den Schein eines gottesfürchtigen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie …” Sie lernen pausenlos, aber kommen nicht zur Erkenntnis der Wahrheit. Das Ergebnis: “Menschen mit zerrütteten Sinnen, untüchtig zum Glauben … ” (2. Tim. 3,59.) Sogenannte theologische Diskussionen können heute den Vorgeschmack der Hölle geben. Eine entsetzliche Verwirrung gerade angesichts der entscheidenden Sinnfragen unseres Lebens greift um sich. Das alles geschieht, obgleich unser Wissen von Tag zu Tag immer neue gewaltige Steigerungsraten erreicht. Bis zum Jahre 1500 erschienen in Europa pro Jahr etwa 1000 neue Bücher 1950 waren es 120 000, und heute erscheinen in der ganzen Welt pro Jahr etwa 400 000 neue Bücher. Wir lernen und lernen aber finden wir die Wahrheit? Ein Informationsterror bricht auf uns ein. Wieviel Informationen, Meinungen, politische und wirtschaftliche Werbebilder schlucken wir täglich freiwillig oder unfreiwillig von der Morgenzeitung bis zum abendlichen Fernsehen!

Wenn politische Häftlinge durch Gehirnwäsche für ein Geständnis reif gemacht werden sollen, dann werden sie zunächst einmal mit Reizen überflutet: Licht und Geräuscheffekte, Kaskaden von Worten und Fragen schaffen eine totale Verunsicherung.

Mit diesem Verunsicherten kann man dann machen, was man will. Unsere Zeit selbst ist solch eine Gehirnwäsche – der Geist der Zeit verunsichert uns mehr von Tag zu Tag.

Die Verunsicherung angesichts der Zukunft wächst: Was wird nach dem Tode sein? Wie werden wir das Generationsproblem bewältigen? Welche Werte werden morgen noch gelten? Welche politische oder wirtschaftliche Ordnung wird für die Freiheit unseres Lebens morgen noch garantieren können?

Der Geist der Zeit ist nicht der Geist Gottes, der Zeitgeist ist nicht der Heilige Geist. Was “man glaubt und denkt”, ist nicht das, was Jesus uns zu glauben und denken lehrte. Wir werden die Geister prüfen: “Prüfet die Geister, ob sie von Gott sind” (l. Joh. 4,1), mahnt der Apostel Johannes.

Seit Christus auf diese Erde gekommen ist, bewegt sich die Zeit auf ihr Ende hin. Am Ende steht Christus als der Richter zwischen Glaube und Unglaube, Wahrheit und Lüge. Schon durch sein Kommen auf diese Erde vor zweitausend Jahren ist das Gericht angebrochen: “Jetzt geht das Gericht über die Welt”, sagt Christus (Joh. 15, 31); denn “das ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist” (Joh. 3,19). Das bedeutet: Durch Christus ist die Spannung in die Zeit gekommen.

Die Zeit steht in der Spannung, und auch der Christ lebt in der Spannung das Reich der Vergänglichkeit und Nichtigkeit und das Reich der Wahrheit bilden nicht nur das Schlachtfeld der Zeit, sondern auch den Kampfplatz in unserer eigenen Seele.

Genau das meint der Apostel Petrus, wenn er sagt: “Lasset euch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt, daß ihr versucht werdet. Meinet nicht, es widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, daß ihr mit Christus leidet … ” (1. Petr. 4,12.) Und der Apostel Paulus läßt darüber keinen Zweifel, daß die, die gottesfürchtig leben, wollen in Christus Jesus, Verfolgung leiden müssen« (2. Tim. 3,12). Denn auch darüber gab es für den Apostel Paulus keinen Zweifel, daß seit Christi erstem Kommen auf diese Welt “das Ende der Welt gekommen ist” (1. Kor. 10,11). Und der Apostel wußte auch, daß die Nacht ein Ende hat: “Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen” (Röm. 13,12).

Das Reich Gottes ist angebrochen. Das Reich Gottes umgreift die Gemeinde der Gläubigen.
Das Reich Gottes treibt diese Welt zum Untergang, weil es triumphieren will.
Das Reich Gottes provoziert die Mächte der Finsternis, schafft geistlichen Kampf in Verfolgung und Anfechtung.
Das Reich Gottes nimmt unsere Seele auf, wenn wir sterben.
Das Reich Gottes wird offenbar am Ende der Zeit, wenn Christus wiederkommt und ein neuer Himmel und eine neue Erde geschaffen werden.

 

2. Kapitel

Untergang der Welt  –  Untergang des Abendlandes ?

Geht die Welt kaputt ?

Vor seinem Tode sagte Jesus über die Zukunft des Kosmos (Matth. 24,29), daß Sonne und Mond den Schein verlieren, daß die Sterne vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels sich bewegen. Dies soll geschehen unmittelbar vor seiner Wiederkunft, die zu einem gewaltigen, allen dann lebenden Menschen sichtbaren Zeichen werden wird. Vor der Wiederkunft oder vielmehr in oder mit der Wiederkunft erfolgt die Auflösung der kosmischen Wirklichkeit. Christus sagt im Zusammenhang dieser endzeitlichen Vision: “Himmel und Erde werden vergehen” (Matth. 24,35).

Aussagen über das Ende von Raum und Zeit sprengen die menschliche Vorstellungskraft, die ja schließlich durch die herkömmlichen Inhalte von Raum und Zeit geprägt wird. Anders ausgedrückt: Da wir uns als Menschen dieser Welt nichts anderes als diese Welt vorstellen können, geht das Ende der Welt über unsere Vorstellungskraft hinaus.

Sinn der neutestamentlichen Aussagen: Das Bestehende vergeht. Ja, es wird sogar vernichtet. Der Apostel Petrus schreibt (2. Petr. 3,7): “Also auch der Himmel, der jetzt ist, und die Erde werden durch sein Wort aufbewahrt, daß sie zum Feuer behalten werden auf den Tag des Gerichtes. . .” Das will doch sagen: Es ist genau die Zeit vorgesehen, an dem dieser Kosmos sein Ende finden wird. DerKosmos muß sterben, so wie der Mensch sterben muß. Es gibt keine Ewigkeit des Weltalls.

Naturforscher wissen heute, daß der Gedanke der Ewigkeit der Materie keine haltbare naturwissenschaftliche These mehr ist. Im vorigen Jahrhundert hatten intellektualistische Atheisten die Ewigkeit Gottes einfach auf die Ewigkeit der Welt übertragen: Gott ist die Natur, die Natur ist Gott die Natur ist ewig. Dieser Glaubenssatz wurde absurd, als man ihn wissenschaftlich begründen wollte.

Heute waltet die Erkenntnis: Kosmische Systeme haben Anfang, Entfaltung, Altern und ein Ende. Damit ist natürlich nicht die biblische Lehre der Endzeit “bewiesen”. Man kann gar nicht beweisen, was Anfang oder Ende im Handeln Gottes bedeutet. Aber man kann sich andererseits auch nicht auf Naturwissenschaftlichkeit berufen, wenn man das Ende der Welt oder des Weltalls im Namen der Wissenschaft bestreiten will.

Diese Welt findet nach der Aussage der Bibel ihr Ende. Aber im Ende ist der Neuanfang: Es kommen ein neuer Himmel und eine neue Erde ‑ es wird alles neu gemacht. Das neue Leben kommt aus dem Sterben des alten Lebens. So, wie Christus starb und in einer neuen Leiblichkeit auferstand, so wird diese Welt sterben und zu einer neuen Herrlichkeit auferstehen.

Die Propheten des Alten Testamentes haben diese neue Schöpfung in vielen Bildern dargestellt: Berge triefen mit süßem Wein, Hügel fließen über mit Milch, ein Knabe wird mit der Schlange spielen, der Wolf wird bei den Lämmern wohnen (vgl. Jes. 11,6‑9, Joel 3 usw.).

Die neue Schöpfung wird also ohne Angst, Leid, Qual und Kampf ‑ sie wird ohne Zwiespältigkeit sein. Die neue Schöpfung ist nicht “geistige” oder “seelische” Ewigkeit. Es wird “Kreaturen” geben, es wird “Natur” geben ‑ aber alles im Lichte des Friedens und der ungestörten Schönheit, die für uns jetzt unvorstellbar ist. “Es hat kein Auge gesehen und kein Ohr gehört, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben” (1.Kor. 2,9). Also können wir nicht schildern, was einmal sein wird. Wir können nur gleichnishaft von einer Wirklichkeit sprechen, die zugleich Gegenstand menschlicher Sehnsucht und biblischer Verheißung ist.

Die Satten und die Reichen, denen diese Erde genug bietet, haben keine Hoffnung. Sie sind der Gegenwart und der Welt verfallen, die sie auf Kosten anderer genießen. Nur die Armen, Geschlagenen, Verachteten, Geschändeten, Hoffenden, nach Gerechtigkeit Hungernden wird die neue Welt werden. Wer keinen Hunger nach Gerechtigkeit hat, wird keine Gerechtigkeit bekommen. Wer den Frieden nicht will, wird ihn nicht erlangen, und wer nicht trauert über die Misere der Welt, kann nicht getröstet werden. Das ist der Sinn der Seligpreisungen in der Bergpredigt.

Daß die Welt anders und besser werden muß ‑ das steht nicht nur in der Bibel. Glaube an die bessere Zukunft gibt es seit je und eh. Aber welche Zukunft und welcher Weg in die Zukunft wird es sein? In einer seiner bildreichen Reden sagte einmal Ferdinand Lassalle, einer der großen Väter der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, daß der Fortschritt der Menschheit dem Aufgang der Sonne zu vergleichen sei. Wenn die Sonne aufgeht, dann können Ecken und Winkel der Täler noch im Schatten liegen, während die Höhen schon vom Sonnenlicht durchflutet werden. Und wie die höherstei­gende Sonne schließlich und endlich auch die letzten Ecken der Täler durchleuchtet, so ‑ meint Lassalle ‑ wird es auch mit dem Fortschritt der Menschheit sein. Wie die Sonne, einem Naturgesetz folgend, zwingt der Fortschritt schließlich jeden Bereich menschlichen Daseins in seine ihm eigene Helligkeit. Zwangsläufig ‑ so wie die Sonne dem Zwang des Naturgesetzes folgend höher steigt ‑ treibt der Fortschritt der Menschheit der glücklichen Zukunft entgegen.

Lassalle hat bei diesem Bild allerdings etwas Entscheidendes vergessen: Auf den Aufstieg der Sonne folgt der Sonnenuntergang, auf den Morgen folgt der Abend, auf den Tag die Nacht. Man könnte genau umgekehrt das Bild vom Sonnenuntergang zum Gleichnis zwangsläufigen Niedergangs kosmischer und menschlicher Höhepunkte machen.

Man kann es und man tat es. Oswald Spengler war nicht der erste, der von dem zwangsläufigen Untergang – zwar nicht der Welt, aber der menschlichen Kultur ‑ in seinem “Untergang des Abendlandes” schrieb. Ich meine, daß bis heute kein Mensch ein Gesetz entdeckt hat, nach dem der Untergang des Kosmos oder der Gesellschaft vorauszusagen wäre. Theorien und Hypothesen sind noch kein Gesetz. Aber es gibt heute Beobachtungen und Tatsachen, die genau das nahelegen, was die Bibel prophezeit: Das mögliche Ende unserer Welt und unserer Zivilisation.

Aber ‑ so wird man fragen ‑ gibt es nicht auch die Tatsachen, die einen Fortschritt der Menschheit schon jetzt bestätigen? Einige Beispiele: Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie im September 1972 wurde festgestellt, daß es zur Zeit 800 Kinder gibt, die künstlich gezeugt wurden meistens auf die Weise, daß der Same des eigenen oder eines fremden Mannes künstlich einer Frau eingegeben wurde. Also: man kann heute Wünsche erfüllen, an deren Verwirklichung man zur Zeit Ferdinand Lassalles nicht einmal träumend gedacht hätte.

Aber das ist ja nur e i n Beispiel. Mediziner bauen ihren Patienten heute schon künstliche Herzklappen, Arterien, Nieren, Hüftgelenke usw ein. Einpflanzbare Hörgeräte und künstliche Augen stehen praktisch vor dem Abschluß der technischen Entwicklung, und es kommt mit Sicherheit die Stunde, in der wir fragen, welches natürliche Organ nicht durch ein künstliches ersetzt werden könnte.   . . .

Man wird eines gar nicht mehr fernen Tages den menschlichen Körper als eine Maschine betrachten, in der jedes Teil austauschbar und verbesserungsfähig ist. Man plant heute bereits so etwas wie eine Neukonstruktion des Menschengeschlechtes überhaupt. Nach dem sogenannten Klon‑Verfahren (auf das wir hier nicht weiter eingehen können) meint man, sehr bald eine totale Umstrukturierung des menschlichen Erbgutes und damit auch die Züchtung völlig neuer Menschenwesen verwirklichen zu können.

Das alles ist möglich! Aber ist das Fortschritt? Ist das die Weiterentwicklung des Menschengeschlechts?

Kann man von einer Entwicklung oder von einem Fortschritt der Menschheit sprechen, wenn sich der Mensch selbst durch diesen Fortschritt aufhebt ?

Gibt es einen Fortschritt, wenn der Mensch, dem dieser Fortschritt dienen soll, am Ende gar nicht mehr existiert ‑ nämlich der Mensch, der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist ‑ der Mensch, der als Einheit von Leib und Seele bislang als unantastbar galt ‑ der Mensch, den Jesus durch seine Wundertaten geheilt, aber nie “umstrukturiert” hat?

Die Bibel sagt, daß der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Die Aussage des Schöpfungsberichtes erfassen wir erst heute: Der Mensch, so wie er von Gott geschaffen ist, ist unantastbar. Das Zueinander von Zeugen und Gebären, Kindern und Eltern, ist Ordnung Gottes, die so lange gilt, als es diese Erde gibt: “Bis daß Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis daß es alles geschieht” (Matth. 5,18), sagt Jesus in der Bergpredigt. Wenn wir aber nun dahin kommen, daß gegen diese Ordnung Gottes nicht nur gelebt wird, sondern daß die Ordnungen auf gehoben werden, dann fallen nach biblischer Sicht die Schatten der Endzeit auf die Welt. Denn diese Ordnungen sollen ja so lange existieren, wie diese Erde existiert.

Als nach der Sintflut Gott mit Noah den Bund machte, wurde diesem und damit dem Menschengeschlecht verheißen, daß die Ordnung der Schöpfung als Ordnung des Bundes zwischen Gott und dem Menschen so lange existieren soll, wie die Schöpfung sein wird. Wenn ein Mensch vom Menschen konstruiert wird, der nicht mehr der von Gott geschaffene Mensch ist, nicht mit dem ihm von Gott gegebenen Leib, nicht mit der ihm von Gott gegebenen Seele, wenn ein Mensch ’gemacht’ wird, der als Menschmaschine Gebote nicht mehr verstehen und die von Gott gesetzte Ordnung nicht mehr leben kann, wenn ein im Reagenzglas künstlich erzeugtes und in Brutflaschen manipuliertes oder durch Gene‑Chirurgie neu gezüchtetes Über‑ oder Unter‑Menschenwesen unfähig ist, eben menschlich zu lieben, Freud und Leid, Ehrfurcht und Sehnsucht zu haben dann ist das Ende der Zeit gekommen.

Daß wir an einem Wendepunkt der Geschichte der Menschheit angelangt sind, steht schon in den Zeitungen. Aber was ist das für ein Wendepunkt? Wohin wendet sich die Entwicklung? Wenn die Bibel vom Geist der Gesetzlosigkeit spricht, der das Ende der Zeiten bestimmen wird, dann meint sie damit nicht allein, daß die Unmoral zunehmen wird. Viel entscheidender ist, daß der Geist der Gesetzlosigkeit die Voraussetzung aller Gesetze zerstören wird.

Jedem Gesetz entspricht nämlich eine Ordnung: Dem Gesetz Du sollst Vater und Mutter ehren!” entspricht die Ordnung der Familie; dem Gesetz “Du sollst nicht ehebrechen!” entspricht die Ordnung der Ehe. Das Gesetz Du sollst nicht töten!” schützt das Leben, so wie es von Gott geschaffen wurde. Wenn wir jetzt planen, einen Menschen zu konstruieren, der keinen Leib mehr hat, sondern ein computer‑ähnliches Fahrgestell, oder wenn Hirn in einem Labor auf einer Durchblutungsmaschine “aufbewahrt” wird, und wenn wir zulassen, daß menschliches Leben nicht aus der natürlichen, von Gott vorgesehenen Begegnung zwischen Mann und Frau “entsteht”, ‑ dann wird die Ordnung Gottes vernichtet. Dann setzt die Zerstörung der Schöpfung ein mit den Wundern, die der Antichrist tun wird.

Der Antichrist pervertiert “Wunder” des Heilands. Er tut große Zeichen, aber nicht um den Menschen zu erhalten, sondern um ihn zu vernichten. Denn das Tier aus dem Abgrund verführt, die auf Erden wohnen, um der Zeichen willen, die ihm gegeben sind … (Offb. 13,14.)

In einfachen aber eindringlichen Bildern spricht die Offenbarung des Johannes von den endzeitlichen Qualen, jenen Bedrängnissen, denen die Menschheit vor der Wiederkunft Christi ausgeliefert ist. Es ist schwer, die in der Offenbarung des Johannes vorausgesagten Ereignisse in der zeitlichen Folge richtig einzuordnen. Unmittelbare Aufgaben stehen uns hier noch bevor. Die Offenbarung des Johannes ist das Buch der nächsten Jahre für die christliche Gemeinde. Aber dies kann schon jetzt gesagt werden: Aussagen dieses letzten Buches der Bibel, die noch im vorigen Jahrhundert als absurd, märchenhaft und phantastisch galten, stehen heute oft mit beklemmender Eindringlichkeit in den Realitäten unserer Zeit.

Der Mensch bedroht sich selbst, will sich selbst in teuflischer Weise manipulieren. Der Mensch bedroht sich selbst, weil er die Erde manipuliert und die Basis seines Lebens zerstört. Dazu nur ein Beispiel: Taylor bemerkt in seinem Buch, daß die Verwendung tiefer Bohrlöcher zur Ausfüllung gefährlicher Abfälle immer mehr zur notwendigen Regel wird. Über die Folgen dieser Praxis in Amerika schreibt er: “Es gibt heute mehr als 80 Substanzen, die man in 150 m tiefen Löchern in über neunzehn Staaten auf diese Weise beseitigt.” . . . Die Schlußfolgerung: Alle diese Unternehrnungen haben Erdbeben ausgelöst! lm Gebiet der Rocky Mountains, wo die US‑Army riesige Bohrlöcher für Abfallstoffe anlegte, kam es binnen kurzer Zeit zu 710 Erdbeben, während es in den 80 Jahren zuvor dort nur drei Beben gegeben hatte.

Die Erdkruste wird gleichsam in einen “Streß” gebracht; sie reagiert dementsprechend, und dem Zivilisationsmenschen wird klar, daß er auf einem Vulkan lebt.

Wir verzichten darauf, hier auf die Konsequenzen hinzuweisen, die sich aus der Anlage riesiger Stauseen und der geplanten Verlegung großer Flüsse ergeben. Die Erdkruste wird nervös ‑ die Basis gerät in Aufruhr. Jesus sagt, “… und es werden geschehen Erdbeben hin und wieder” (Luk. 21,11).

Der Zerstörung der Erde entspricht die Zerstörung der Atmosphäre. Über großen Städten ist die Temperatur höher als über dem Land rings umher. Industrie bringt Wärmeabfälle. Das geschieht schon jetzt. Wie unsere Atmosphäre die Wärmeabfälle der Atomenergie ohne die unsere Zivilisation morgen gar nicht existieren kann verkraften will, weiß man nicht. Veränderung des Wärmehaushaltes bedeutet Veränderung der Atmosphäre und damit unserer Lebensbedingungen in einer heute gar nicht vorzustellenden Weise. . . . “Und die Menschen wurden versengt von großer Hitze” (Offb.16,9): ist damit die Qual der Abfallwärme unserer Industrie gemeint oder die Katastrophe eines nuklearen Krieges?

“Die Sonne ward schwarz wie ein schwarzer Sack” (Offb. 6,12); “…werden Sonne und Mond den Schein verlieren” (Matth. 24,29): Ist damit die Verfinsterung der Atmosphäre durch den Staub der lndustriewelt gemeint, der jetzt schon auf die Schneefelder Norwegens fällt und wie ein Ring unseren Erdball umschließt? Oder ist damit das Aussehen des Himmels über uns nach einem Krieg gemeint, der nur die Katastrophe bringen kann?

Viele Futurologen meinen, daß die Basis unseres Lebens auf dieser Erde schon so weitgehend zerstört ist, daß eine Rettung gar nicht mehr in Aussicht steht. Es kommt ‑ ob solche Voraussagen übertrieben sind oder nicht ‑ so etwas in den Horizont unserer Vernunft, was man noch vor etwa einem viertel Jahrhundert, bevor die erste Atombombe explodierte, als Lästerung der Vernunft beurteilt hätte: Der Gedanke an das Ende. Das ist weder Panikmache noch Endzeitfanatismus der Christen.

Im Jahre 1968 schrieb der Vater der russischen Wasserstoffbombe, Andreij Sacharow, einen Aufsatz in der New York Times unter dem Titel “Fortschritt, Koexistenz und geistige Freiheit”. In diesem Artikel zeigt Sacharow vier Gefahren auf, die uns tödlich bedrohen.

1. Bedrohung durch Atomkrieg
2. Der Hunger
3. Die degenerierende Massenkultur
4. Der bürokratische Dogmatismus

Er stellt sich selbst die Frage, ob eine Rettung möglich sei. Seine Antwort: Die technisch entwickelten Nationen müßten während der nächsten Jahrzehnte mindestens 20 Prozent ihres Einkommens für die Rettung vor der Katastrophe aufbringen. Dazu bemerkt Taylor: “Das Stillschweigen, mit dem diese Empfehlung begrüßt wurde, konnte man rund um die Welt hören.”

Die Welt ‑ das ist doch die Situation ‑ ist bereit zu reden, sie ist nicht bereit zu handeln, sie ist vor allem nicht bereit, Opfer zu bringen. Noch triumphieren Illusionen, Machtdenken, Egoismus, ideologische Versessenheit und stumpfe Gleichgültigkeit! Aber was gibt uns denn die Garantie, daß die Menschheit ihre Gleichgültigkeit überwindet, daß sie ihre Menschenwürde wirklich verteidigt und endlich begreift, daß wir nicht alles machen dürfen, was wir machen können?

Diese Realitäten werden nicht deswegen in Erinnerung gebracht, um die Wiederkunft Christi nach dem Metermaß der Tatsachen auszurechnen. Wir zeigen auf diese Realitäten auch nicht, um in Pessimismus zu machen. Biblische Prophetie hat allerdings auch immer den Illusionismus bekämpft und sich den Tatsachen gestellt. Die wahren Propheten sagten die Wahrheit, die die Menschen nicht hören wollten. Die falschen Propheten beschwichtigten. Sie sagten: “Friede, Friede ‑ und ist doch nicht Frieden”, wie der Prophet Jeremia in einer scharfen Auseinandersetzung mit diesen Menschheitsberuhigern feststellen muß (Jer. 6,14). Die falsche Prophetie will die Gemeinde Christi einschläfern. Falsche Prophetie lähmt die Entscheidung und Wachsamkeit.

Zweifellos wird der Christ über diese endzeitlichen Zeichen erschrecken. Aber er wird darüber nicht verzweifeln. Denn er weiß: “Ein Weib, wenn sie gebiert, so hat sie Traurigkeit; denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt geboren ist” (Joh. 16,21). Aus den Schmerzen der vergehenden alten Welt wird eine neue Welt geboren. So ist der Christ durch ein doppeltes Wissen geleitet:

Im Realismus der Bibel erkennt er deutlicher als irgendein anderer die tödliche Bedrohung, die auf uns zukommt. Im Heilsdenken der Bibel weiß er aber auch um den Triumph Gottes über der Auflösung und dem Zerfall der alten Welt. Er verwirft Illusionen und Pessimismus und steht auf dem Felsen des heilsgläubigen Realismus.

Als die Sintflut kam, war Noah gerettet. Noah baute seine Arche, als sich die Welt in Sicherheit wiegte. Noah war Realist durch Gottes Offenbarung in einer illusionistischen Zeit. Der Realismus hat ihm das Leben gerettet. Und Jesus läßt keinen Zweifel (Matth. 24, 37‑42), daß viele Menschen so leben werden wie in den Tagen Noahs, wenn die Endzeit kommt: Sie werden dahinleben in tödlicher Gleichgültigkeit und die Stunde der Rettung verpassen. Noah überlebte in der Arche, der Christ überlebt in der Christengemeinde, die durch alle Katastrophen hindurch dem wiederkommenden Herrn entgegengehen wird.

Wird unsere Kultur bis zur Wiederkunft Christi Bestand haben?
Gibt es einen Untergang unserer Zivilisation noch vor dem Ende der Welt?
Wird der Untergang des Abendlandes mit dem Untergang der Welt zusammenfallen?
Wie steht es um unsere Zivilisation?

Vom Sterben der Zivilisation

In der Ausgabe der “Times” vom 12. 10. 1970 heißt es über Amerika: “Das Land, das mit einer Gottesherrschaft begann, ist dabei, in eine Dämonenherrschaft einzumünden.” Die Pilgerväter, die 1622 mit der Mayflower den Atlantik überquerten, meinten, ein verfaultes Europa hinter sich zu lassen und ein Land zu gewinnen, das ihnen die Möglichkeit bot, mit Gott im persönlichen wie im politischen Leben ganz ernst zu machen.

Puritanisches (d.h. reines) Christentum bedeutete für jene entschlossenen Menschen eben ein “reines”, das heißt aber auch entschiedenes Christentum. Geleitet durch diesen Glauben hat das Land Energie, Freiheit und Wohlstand entwickelt. Trotz aller Verkehrungen, Schwächen des Systems, sozialer Ungerechtigkeit blieb der Glaube an eine Mission im Volk lebendig, daß Gott dem Menschen eine Aufgabe gegeben hat, die man im Vertrauen auf ihn bewältigen kann.

Von dieser Mission spürt man heute nichts mehr, wenn man nach Amerika kommt. Der Europäer, der dieses Land zum erstenmal besucht, ist erschrocken. Resignation oder gar Pessimismus bei denen, die guten Willens sind. Geld‑ und Konsumgier, nackter Egoismus, Rauschgiftsüchtigkeit, Gruppenhaß und Rassendiskriminierung zerstören die größte und mächtigste ‑ einst in biblischer Glaubenswelt begründete ‑ Zivilisation dieser Erde.

Auch hier geht das Gespenst des Unterganges. 1971 erklärte Präsident Nixon:

“Ich denke daran, wie es Griechenland und Rom ergangen ist, wir sehen, was überdauert hat ‑ nur die Säulen. Als die großen Zivilisationen der Vergangenheit wohlhabend wurden, als sie den Willen, weiterzuleben und Fortschritte zu machen, verloren, verfielen sie der Auflösung, die letzten Endes die Kultur zerstörte. Die Vereinigten Staaten treten jetzt in diese Phase ein.”

Tritt nur Amerika in diese Phase ein? Steht nicht die ganze Welt in einer Phase der Auflösung?

In einem Brief an Timotheus schreibt der Apostel Paulus: “Das sollst du aber wissen, daß in den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen. Denn es werden die Menschen viel von sich halten, geldgierig sein, ruhmredig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, gottlos, lieblos, unversöhnlich, Verleumder, zuchtlos, wild, ungütig, Verräter, Frevler, aufgeblasen, die die Lüste mehr lieben als Gott” (2. Tim. 3,1‑5).

In unserer Sprache zusammengefaßt kann man als Symptome des Unterganges aus biblischer Sicht feststellen: Da ist zunächst einmal die Lustbetontheit der untergehenden Gesellschaft (das bedeutet nicht nur Sexualismus, Rauschgiftsucht, sondern meint auch Konsumgier). Unter Frechheit, Hoffart, Lästerer und Lieblosigkeit finden wir den Typ des schrankenlosen Egoismus, der das Wort Ehrfurcht nicht kennt, der zur Liebe unfähpg ist, weil auch der Mitmensch bestenfalls ein nützlicher Konsumartikel sein kann, den man nach Gebrauch fortwirft. “Lästerer” meint, daß die Welt des Glaubens zynische Verachtung findet.

Auf das Ganze gesehen: Der lustbetonte und anarchistische Mensch , der im Grunde seines Wesens auf Zerstörung aus ist, repräsentiert den Untergang der Kultur , ist der negative Mensch der Endzeit dieser Kultur. Diese Menschen der Zerstörung leben unter der breiten Masse der Gleichgültigen, Unentschiedenen und Furchtsamen wie Hechte im Karpfenteich.

In seinem zweibändigen Werk “Der Untergang des Abendlandes” (1923) meint Oswald Spengler, daß die sogenannte abendländische Kultur die letzte Kultur in der Geschichte der Menschheit sei. Außer dieser Kultur und ihrer Ableger gäbe es nur noch Trümmer vergangener und längst versunkener Kulturen. Wenn die abendländische Kultur untergegangen sei, dann ‑ so meint Spengler ‑ würde die Menschheit ohne jede Kultur nur noch so dahinvegetieren: Am Ende steht das primitive Leben im Fellachendasein, im Schatten des Sklavenmenschentums, das nichts mehr von den Geboten und dem Glanz eines freien Menschenlebens weiß.

Daß wir auf den Trümmern versunkener Kulturen stehen, meint allerdings nicht nur Spengler. Von den Urteilen anderer Kulturphilosophen einmal ganz abgesehen ist das auch die Meinung der Bibel. Die Propheten des Alten Testaments haben den Untergang vieler Kulturen, vorausgesagt. Als BabyIon noch Weltmacht war, die Stadt Babel als Mittelpunkt einer faszinierenden Zivilisation wie ein Weltwunder bestaunt wurde, sagte der Prophet Jesaja: “So soll Babel, das schönste unter den Königreichen, die herrliche Pracht der Chaldäer, zerstört werden von Gott wie Sodom und Gomorra, daß man hinfort nicht mehr da wohne noch jemand da bleibe für und für, daß auch Araber dort keine Zelte aufschlagen noch ihre Herden lagern lassen. Sondern Wüstentiere werden sich da lagern, und ihre Häuser werden voll Eulen sein; Strauße werden da wohnen, und Feldgeister werden da hüpfen, und wilde Hunde werden in ihren Palästen heulen und Schakale in den Schlössern der Lust. Ihre Zeit wird bald kommen, und ihre Tage werden nicht auf sich warten lassen.” (Jes. 13,19‑21.)

Als der deutsche Forscher Koldewey im März und April 1899 nach einigen Wochen harter Arbeit auf die Festungsmauern Babylons stieß und damit praktisch die größte Stadt des alten Orients ausgrub, von der die Bibel berichtet, fand er genau die Situation, die der Prophet Jesaja 150 Jahre vor der Zerstörung Babylons durch die Meder vorausgesagt hatte. Jesajas Zeit der Prophetie lag etwa in den Jahren 740‑680 v. Chr. Geburt, das sind mehr als zweieinhalbtausend Jahre, bevor die Ruinen Babylons, das damals vor Macht strotzte, von einem deutschen Gelehrten ausgegraben wurden! Die Ausgrabung bewies, daß Jesaja recht gehabt hatte, als er den Untergang einer Kultur zu einer Zeit prophezeite, in der man eine solche Prophetie für blanken Unsinn hielt.

Der Name Babylon wird in der Bibel wiederholt genannt. Er steht oft symbolisch für die Zivilisationen aller Zeiten, die durch Übermut zugrunde gehen. “Babylon” bedeutet Brutalität, Unterdrückung des Menschen durch den Menschen, Abgötterei, zügellose Sinnlichkeit, Grausamkeit, degenerierte Lustbetontheit einer sich auflösenden Kultur.

“Babylon” aber ist vor allem Abfall von Gott, Götzendienst, Inbegriff der Feindschaft gegen Gott und gegen seine Gemeinde auf der Erde. So überträgt die Bibel den Namen Babylon auch auf jene letzte Zivilisation am Ende der Zeiten, die die christliche Gemeinde verfolgt und in der der Mensch frevelhaft sich selbst und seine Macht anbetet und vergöttern läßt (vgl. Offb. 14,8; 17,5; 18,10 ff.).

Die Symptome untergehender Kulturen sind immer die gleichen. Das Beispiel des Unterganges der römisch‑griechischen Kultur zeigt das deutlich. In jedem guten Schulbuch kann man nachlesen, wie der Zerfall der Sitte, die Zerstörung der Familie, Rückgang der Geburtlichkeit, Inflation, Zerrüttung der Wirtschaft, Grausamkeit, Ungerechtigkeit, Unsicherheit, Klassenkampf und schließlich die Diktatur, die sich immer wiederholenden Phasen eines jeden Kulturzerfalls sind.

Warum gehen Kulturen unter? Ist es Schicksal? Gibt es zwangsläufige Gesetzmäßigkeiten? Handelt es sich um biologische Erschöpfung einer “Rasse”? Es gibt viele, einander widersprechende Theorien über den Untergang der großen Zivilisationen der alten Welt.

Es gibt auch viele Theorien über die Krisen unserer gegenwärtigen Zivilisation. Die Aussage der Bibel aber ist eindeutig: Untergang ist Schuld der Menschen. Untergang ist der Sturz in die Tiefe, nachdem man vorher in die Höhe, in den Himmel Gottes stürmen wollte. Aus der Prophetie Daniels (insbesondere Kap. 7) kann man herauslesen, daß alle Kulturen den Keim des Todes in sich tragen, weil sie den lebendigen Gott nicht verehren. So wird jede Kultur schließlich durch ihre Abgötter fixiert; sie muß untergehen.

Wohlgemerkt: Alle Völker der alten Welt sind untergegangen. Es gibt nur e i n Volk, das aus dem Altertum in unsere Zeit hineinlebt, obwohl man es vor zweitausend Jahren aus seiner Heimat verjagte ‑ es ist das jüdische Volk. Die Existenz dieses Volkes ist in sich ein Wunder  Gottes. Es ist das alttestamentliche Gottesvolk, dessen Propheten den Untergang aller Kulturen voraussagten, gleichzeitig aber das Überleben dieses Gottesvolkes bis zum Anbruch des messianischen Reiches immer wieder bezeugten ‑ und sie behielten recht!

Kulturen gehen an ihrem gottlosen Hochmut zugrunde. Hätte nicht die “christlich‑abendländische‑Zivilisation” eine Chance zu überleben? Der englisdie Historiker Arnold J. Toynbee meinte, das Abendland könne überleben, wenn es dem christlichen Glauben treu bleibt. Aber ist diese Voraussetzung Toynbees erfüllt? Es ist müßig, nach der Antwort lange zu suchen. Der Abfall von Gott ist das Zeichen in der sogenannten Zivilisation unserer Tage. Nicht diese abendländische Kultur wird überleben, sondern das Volk Gottes, die Gemeinde Jesu Christi.

Die christliche Gemeinde wird es in einem immer stärker werdenden Maße erfahren müssen, was es heißt, in einer Zivilisation zu leben, die von der Gottlosigkeit geradezu zerfressen wird.

Zum Zerfall der Gesellschaft gehört der Zerfall der Familie (“…den Eltern ungehorsam” 2. Tim. 3,2). Die Familie wird heute in der Gehirnwäsdie der Massenmedien direkt und frontal angegriffen oder als fragwürdige Institution lächerlich gemacht.

Der Artikel 6 des Grundgesetzes der Bundesrepublik, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen, ist für die familienfeindliche Massenpropaganda unserer Tage nur ein Papptiger. Kommune, Wohngemeinschaft, freie Partnerschaft werden als die neuen gemeinschaftsbejahenden Formen dargestellt, die den “Gruppenegoismus” der Familie und Ehe überwinden sollen.

Angst vor der Familie bedeutet für viele heute Angst vor Kindern. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Rückgang der Geburtlichkeit so stark, daß heute in diesem Land mehr Menschen sterben als geboren werden. Im Rückgang der Geburtlichkeit steht die Bundesrepublik an der Spitze.

Die Familie wird heute den Menschen gleichsam ausgeredet. Der ungeborgene Mensch, der Liebe in einer Familie nicht kennengelernt hat, wird zum aggressiven und rebellierenden Menschen. Es ist längst erkannt und erwiesen, daß jugendliche Kriminelle zumeist aus zerrütteten Familien kommen oder gar nicht in einer Familie aufgewachsen sind.

Von 1963‑1970 hat die Gewaltkriminalität junger Menschen in der Bundesrepublik um 82,4 Prozent zugenommen. Während der Debat­ten und Reden auf der Norddeutschen Kriminalistentagung im Oktober in Bremen wurde dazu sehr richtig vermerkt (Prof. Dr. Petersohn), daß eine Gesellschaft, die nur reines egoistisches Nützlichkeitsdenken kennt und in der alle Werte in Zweifel gezogen werden, jungen Menschen nicht nur nicht helfen kann, sondern sie gerade dazu herausfordert, die Generation der Väter zu verachten.

Der Apostel Paulus schreibt über den Menschen der zusammenbrechenden Kultur: “Mit den bösen Menschen aber und Betrügern wird es je länger je ärger: sie verführen und werden verführt.” (2. Tim. 3,13.)

Je komplizierter eine Zivilisation ist, um so leichter kann sie verletzt werden. Je moderner eine Zivilisation, um so empfindlicher ist sie: Zerstörung eines Elektrizitätswerkes, eines Öllagers, Lahmlegung des öffentlichen Verkehrsnetzes können einen Zivilisationsbereich schnell und tödlich bedrohen.

Gewalt, Aggressionen, Terror sind furchtbare Herausforderungen für unsere Kultur. Wenn es in einer solchen Zivilisation möglich ist, ein “Minihandbuch der Stadtguerillas” herauszugeben mit dem Untertitel. “Zerschlagt die Wohlstandsinseln der Dritten Welt”, mit genauen Anweisungen für die Praxis des Terrors, und wenn dann einige Gruppen bereits anfangen, diese Theorien in die Praxis umzusetzen ‑ dann ist das deswegen eine Bedrohung, weil heute in der Tat 5 Prozent entschlossener Terroristen mühelos 95 Prozent unentschlossener Zivilisationsmassenmenschen in den Ruin treiben können.

Ich bin fest davon überzeugt, daß alle heute in der Bundesrepublik verantwortlichen Politiker das Beste wollen. Was sich aber im Untergrund unserer Kultur abspielt, hängt schon lange nicht mehr von dem guten Willen der Staatsmänner ab. Hier spüren wir den Aufbruch einer das Chaos setzenden Macht, die endzeitliche Dimensionen hat.

Der Drache ist nicht nur im Alten Testament, sondern auch in fast allen anderen Religionen der Welt Zeichen des Chaos. Und wenn die Bibel in der Offenbarung des Johannes von der Gewalt des Drachens, also des Chaosungeheuers in der Endzeit spricht, dann meint sie damit nicht, daß Menschen am Himmel ein Ungeheuer herumfliegen sehen, sondern daß die Chaosmächte, die Elemente der Gottesfeindschaft und des Menschenhasses, die Zivilisation unterwandern und verderben. Man braucht nur einige Wochen in einer Stadt wie New York zu leben, um zu ahnen, was es bedeutet, wenn die Schatten des Drachens, der Chaosmacht, über eine Zivilisation fallen.

Die Gerichte über die Kulturen der vergangenen Jahrtausende, von denen uns die Bibel berichtet, sind nur ein Vorbild oder ein Abbild des letzten Gerichtes über die letzte Kultur. Und weil diese moderne Zivilisation sich eindeutig auf eine Weltzivilisation hinbewegt, die Lebens‑ und Denkweisen der Menschen in Chikago, Moskau, Tokio und Peking einander immer ähnlicher werden, die Menschen immer mehr in riesigen kollektiven Konzentrationen zusammengedrängt sind, die globale Technik diesen Lebensstil immer gleichförmiger machen wird, die allgemeine Not der Umweltzerstörung auch den Lebensstandard senken und für alle Gruppen auf diesem Planeten angleichen wird, erkennen wir schon jetzt immer mehr die Züge einer sich herausschälenden Weltzivilisation. Diese Weltzivilisation ist unterwegs, das große Babylon zu werden, von dem die Offenbarung des Johannes spricht. Sie ist unterwegs, auch das Gericht zu empfangen, das die Offenbarung des Johannes voraussieht.

In dem Maße, wie die Weltzivilisation neuheidnisch gegen Gott lebt, wird die Christengemeinde sich von dieser Weltzivilisation lösen. Sie kann nicht die Götter der Zeit anbeten. Christen gehen damit nicht in den Schmollwinkel. Sie sind anders als die Welt, aber sie sind in der Welt und leben die Ordnung in der Unordnung, die Wahrheit in der Lüge, Freiheit, Familie und Ehe in der kollektiven Uniformierung, Gerechtigkeit in der Ungerechtigkeit, Barmherzigkeit in der steigenden Aggressivität. Es wird in dieser endzeitlichen Gemeinde Christi nur entschiedene Christen geben: “Dann werden zwei auf dem Felde sein; einer wird angenommen und der andere wird verlassen werden. Zwei werden mahlen auf der Mühle; eine wird angenommen und die andere wird verlassen werden.” (Matth. 24,40.41.) Die Entscheidung wird Menschen zur Gemeinde zusammenführen, und sie wird unwahre Verbindungen auflösen. Nicht aus Tradition wird man beieinander sein, sondern um des Glaubens willen.

Und man wird sich finden, und man wird sich lösen ‑ so wie es die Stunde der Entscheidung gebietet. Diese Entscheidung wird jene Scheidung vorwegnehmen, die Christus als Gericht bei seiner Wiederkunft vollziehen wird.

 

3. Kapitel

Zukunft in Teufels Hand?

Ist der Teufel losgelassen?

Es gibt seit einiger Zeit eine Art “satanischer Erweckung”. Die Teufelsgestalt , von “zeitgemäßen” Normalpredigern meist schamhaft verschwiegen oder wegerklärt, ist eine aktuelle Person in Amerika. Im kalifornischen Mordprozeß gegen Charles Manson und seine Bande wurde zum erstenmal der öffentlichkeit klar, was Satanskult und “Neosatanismus” in Nordamerika bedeuten. Charles Manson wurde von den Mitgliedern seiner Bande als eine Inkarnation Satans verehrt. Blind folgte man seinen Befehlen, die jene entsetzlichen Mordtaten in Kalifornien verursachten.

“Die satanische Erweckung”, wie die merkwürdige und für unser modernes Europa zunächst kaum faßbare Erscheinung genannt wurde, begann in Amerika eigentlich erst 1967. Damals kam Ira Levins Buch “Rosemary’s Baby” mit Riesenauflagen auf den Büchermarkt. Dieses Buch bringt in gespenstisch‑romanhafter Form die Story eines Ehepaares, das sich mit “Devil worshippers” (Teufelsanbetern) einläßt. Die Ehefrau Rosemarie ‑ so der Roman ‑ wird vom Teufel schwanger und gebiert ein Kind mit tierähnlichem Gesicht und Körper. Im Satanskult der Gemeinde der Teufelsanbeter werden dann dieses Kind und seine Mutter angebetet. Die scheußliche Erzählung ist eine Verhöhnung der Geburtsgeschichte Christi aus dem Neuen Testament.

Dieser Roman hatte dann ein unheimliches Nachspiel: Der Regisseur, der das Buch verfilmen wollte und der selbst Beziehungen zur sogenannten “Schwarzen Magie” hatte, verlor seine schwangere Frau durch einen Mordüberfall eben jener Manson‑Bande, die selbst dem Satanskult verfallen war.

Der Neosatanismus in den USA versteht sich als neue radikale Form des Gotteshasses. Man will nicht wie im “klassischen Atheismus” Gott leugnen, sondern man will ihn durch eine Art Gegengift bekämpfen.

Satanische Kulte stehen oft im Banne der Rauschgiftsucht und als “Hexensabbate« auch im Sog der sogenannten sexuellen Revolution. Daß bereits Einflüsse auf Deutschland übergreifen, wurde am Anfang dieses Buches erwähnt.

Seit 1970 gibt es eine behördlich angemeldete und zugelassene Satanskirche : “The First Satanice Church” in San Franzisco.Haß gegen Gott und Haß gegen die von ihm gesetzte Ordnung, Haß gegen die Schöpfung und Verhöhnung der Christusoffenbarung sind das ’Lebenselement’ dieser Satanskulte. Auflösung und Zerstörung, Verachtung und Verspottung des Heiligen, Freude daran, das Böse symbolisch darzustellen, Aufstand gegen alles, was schön, gerecht, gut und lebenswert ist, kennzeichnen diese neosatanische “Erweckung” als eine nihilistische (Nihil: das Nichts) Bewegung, als einen Aufstand des Todestriebes und des Zerstörungswillens in unserer modernen Gesellschaft.

Allen Ernstes müssen wir uns heute fragen, ob uns die Zukunft eine Art satanischen Zerstörungstrieb bringt, geboren aus Lebensekel und Gotteshaß. Gibt es wirklich eine böse Macht? Oder fragen wir ganz einfach: Gibt es den Teufel?

Daß es eine böse, zerstörerische, sich gegen Gott und die Menschen richtende Macht gibt, ist eindeutige Aussage der Heiligen Schrift. Jesus sagt, daß der Satan ein Mörder von Anfang an (Joh. 8,44), also die Macht der Zerstörung des Lebens sei. Satanisch ist der Haß gegen Gott, weil das Seinwollen wie Gott im Verworfensein vor Gott endete, der Übermut durch die Erniedrigung bestraft wurde. Die satanische Macht fällt über Mensch und Kosmos und bringt alles Leben in die Zwiespältigkeit, in Krankheit, Lebenskampf, Lebensangst und Todesqual.

Diese Macht des Bösen geht über jede menschliche Vorstellungskraft hinaus. Man kann sich vom Bösen kein Bild oder Gleichnis machen. Alle Teufelsbilder sind letzten Endes nur gefährliche Verharmlosungen jener Macht, die man nur zu gern in die Welt von Sage, Märchen oder Mythos abschieben und damit als irreal abstempeln möchte.

Welche Bedeutung hat die böse Macht für die Zukunft?
Wird sich der Böse durch den Fortschritt überspielen lassen?
Wird das Böse am Ende siegen? Bewegen wir uns auf die Dämonisie­rung der Welt hin?

Die biblische Antwort auf die Frage ist: Durch Christus ist die Macht des Bösen besiegt worden. Auf seinem Weg zum Kreuz und zur Auferstehung sagt Christus: “Nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden” (Joh. 12,31), und der Apostel Johannes schreibt rückblickend auf die Heilstaten Christi: “… dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre” (1.Joh. 3,8).

Wodurch aber ist dieser Anspruch, Christus habe den Bösen überwältigt, gerechtfertigt? Hat sich die Welt durch Christi Kommen geändert? Ist nicht alles beim alten geblieben? Gibt es nicht immer noch, ja gerade wieder, Zeichen des Bösen auf dieser Welt?

Die Antwort innerhalb der christlichen Gemeinde auf diese Frage ist nicht ganz eindeutig und einheitlich. Viele Christen sagen, daß die Besiegung des Bösen eigentlich noch bevorstehe, wenn Christus wiederkommt, um auf dieser Erde sein Friedensreich zu gründen, bevor dann Himmel und Erde ganz neu geschaffen werden.

Die sogenannte offizielle Meinung der Kirche (römisch‑katholische, orthodoxe Kirche des Ostens, anglikanische, lutherische und reformierte Kirche) ist, daß dieses Friedensreich, das heißt die Zeit der Bindung und Überwindung des Bösen, schon durch das erste Kommen Christi angebrochen sei. Die Macht des Bösen sei durch Christus besiegt. Am Ende der Zeit allerdings, bevor Christus auf diese Erde zurückkommt, um sie zu erlösen, wird noch einmal die Macht des Bösen sich in ihrer Unheimlichkeit für eine kurze Zeit zeigen.

Ich selbst teile diese Auffassung und meine: Die Macht des Bösen ist besiegt und gefesselt, aber das Böse ist noch nicht vernichtet. Über seine eigenen Heilstaten auf dieser Welt sagt Christus: “Es kann niemand einem Starken in sein Haus dringen und seinen Hausrat rauben, es sei denn, daß er zuvor den Starken binde und alsdann sein Haus beraube” (Mark. 3,27).

Christus konnte heilen, vergeben, das ewige Leben schenken, weil er den Bösen besiegt, gebunden und damit seine Macht gebrochen hatte. Heute lebt die Christengemeinde in der Zeit, in der die Macht des Bösen gebunden ist. Das heißt nicht, daß es eine totale Ohnmacht des Bösen gibt. Der Theologe Karl Barth hat einmal gesagt, daß das Böse nunmehr an der Leine Gottes sei, daß es letztlich doch der christlichen Gemeinde dienen müsse. Aber das gefesselte Böse, die Macht an der Leine Gottes, ist und bleibt eine Realität.

Wir kämpfen mit einem “gebundenen Bösen”. So verstehen wir die Aussagen des Neuen Testamentes über die Kampfeshaltung des Christen gegenüber dem Bösen: “Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge” (l. Petr. 5,8). Aber dieser Warnung gegenüber gilt auch die andere Aussage: “Herr, es sind uns auch die Dämonen untertan in deinem Namen” (Luk. 10, 17). Paradox könnte man es so ausdrücken: Christen leben mit der bösen Macht in einem Kampf, der eigentlich schon durch einen Sieg entschieden ist.

Nur die Christen?
Wie steht es mit der Welt, mit dem Kosmos?
Wie steht es mit den anderen Menschen?

Der Kosmos leidet nach wie vor unter den Spuren satanischer Vernichtung: Lebenskampf, Leid, Krankheit gibt es nicht nur unter den Menschen, sondern unter den Kreaturen, die nach Erlösung seufzen (vgl. Röm. 8,19‑22). Menschen, die die Wahrheit der Bibel nicht kennen, leiden dumpf unter einer Macht, die sie weder durchschauen noch von der sie wissen, daß sie durch Christus besiegt ist.

Nun aber kommt die Frage: Kann man “modernem” Denken ernsthaft zumuten, an die Existenz einer persönlichen, bösen Macht zu glauben?

Die Frage beantwortet sich für den wissenschaftlichen Menschen ganz einfach damit, daß Teufelsglaube als Relikt des Aberglaubens abgelehnt wird. Heute meint man doch, die Ursache allen Geschehens in Natur und Gesellschaft “begriffen” zu haben. Und “begriffen” hat man keinen ‑ weder einen guten noch einen bösen ‑ “Geist”.

Was man früher dem Teufel oder den Hexen oder Kobolden ankreidete, gilt heute als naturgesetzlich gegeben oder als gesellschaftliches oder psychologisches Fehlverhalten. Ein kaputtes Auto hat keinen bösen Geist, wie Primitivvölker vielleicht heute noch meinen, sondern eine zu reparierende Funktionsstörung.

Und Besessene gibt es nicht, sondern es sind Menschen, die unter gestörter Gehirnfunktion leiden, die sicherlich in einigen Jahrzehnten heilbar ist.

Funktionsstörung und Reparatur statt Dämonie und Erlösung? Aber was verursacht die Zerstörung letztlich? Wer oder was wirft Schatten auf diese Welt? Sicherlich wird man Autos reparieren, Kranke operieren ‑ so wie es das Wissen gebietet! Aber ist damit die Ursache aller Zwiespältigkeiten auf dieser Welt begriffen?

Der Gegenwartsmensch lebt aus dem ihm selbst bombensicheren Bewußtsein, daß die Zeit der Geister und Dämonen als die Welt des Aberglaubens hinter ihm liegt. Er sieht die Welt als entdämonisiert und wissenschaftlich erklärbar an.

Der moderne Mensch “glaubt” also daran, daß er “das” Böse in seiner Hand hat. Er sagt bewußt nicht “der” Böse, sondern “das” Böse , weil er von der Voraussetzung ausgeht, es mit einer Sache zu tun zu haben, die er manipulieren kann, und nicht mit einer personalen Macht, die ihm gegenübersteht.

Aber der Einwand des Christen lautet: Ist denn nicht die Macht, mit der wir das Böse abschaffen wollen, selbst die Gefährdung unseres Lebens? Wird diese Macht nicht zum Instrument der Herrschaft des Menschen über den Menschen ‑ eben zu jener Macht, durch die der Mensch die Welt nach seinem Bilde schaffen will? Steht er letzten Endes nicht doch ‑ in abgründiger Hilflosigkeit ‑ dieser Macht gegenüber?

Aus biblischer Sicht ist das Böse wesentlich Wille zur Macht. Ein Wille zur Macht, der sich gegen Gott, gegen seine Ordnung und gegen seine Schöpfung richtet. Wer will bestreiten, daß diese Aggressivität wächst?

Wenn Christen nicht “das” Böse, sondern “der” Böse sagen, wenn sie von der gott‑ und menschenfeindlichen Macht dieser Welt reden, dann meinen sie damit die Personalität des Bösen. Das bedeutet nicht, daß sie sich diese “Person” des Bösen vorstellen oder daß man sie sich gar ausmalen kann. Was haben Maler (guten oder bösen Willens) nicht zuletzt in Bibelillustrationen oder Kinderbibeln durch ihre Phantasiegebilde für Schaden angerichtet! Wir können uns auch nicht vorstellen oder ausmalen, was es heißt, daß durch den Sieg Christi die Macht des Bösen gefesselt ist. Das bedeutet doch nicht, daß da einige leibhaftige Kobolde mit Ketten behangen in einem dunklen Loch liegen. Wo menschliche Vorstellungskraft gesprengt wird, spricht die Bibel gleichnishaft über Elemente unseres Daseins und unseres Verhältnisses zu Gott, als über Geschehnisse zwischen Himmel und Erde, die wir eben nicht begreifen oder uns vorstellen können.

Die Personalität des Bösen bedeutet­

1. Daß die böse Macht mit nichts auf dieser Erde identifiziert werden darf, weder mit einem Menschen einer Rasse, einer Klasse noch mit irgendeinem anderen Bereich der sichtbaren Schöpfung.

2. Daß die Macht des Bösen mit Ziel, Plan und Absicht ihr Zerstörungswerk betreibt. Und daß diese böse Macht nicht ein Produkt menschlicher Bosheit ist, sondern umgekehrt Ursache des Bösen auch in der Welt des Menschen setzt.

3. Daß die böse Macht kein Nebengott ist, nicht von Ewigkeit her war oder sein wird, sondern daß sie sich als ein von Gott ursprünglich gut geschaffenes Geistwesen gegen Gott erhoben hat. Satanische Macht ist im Wesen gegen Gott rebellierende Macht.

Böse ‑ das ist die Macht um ihrer selbst willen, um zu manipulieren und um zu zerstören. Es ist die Macht als Verwirrung, die Kombination von Überredung und Terror. Es ist die Macht, die sich darstellt im Rassismus, im Sexualismus, Militarismus, Ideologismus, im Kollektivismus ‑ es ist die Macht, die anklagt, erschreckt, lähmt, verwirrt, Gesellschaftsgebilde atomisiert und in christlichen Gemeinden den Geist der Sekten und Parteien “erweckt”.

Christen wissen, daß diese Macht “an der Leine Gottes” ist. “… das Wort bleibt bei euch, und ihr habt den Bösen überwunden”, schreibt der Apostel Johannes (1.Joh. 2,14). Natürlich: Der Christ ist von der Sünde frei, aber er ist nie ohne Sünden, er braucht immer die Vergebung. Genauso: Der Satan ist überwunden, kann nicht über den Christen herrschen, aber ihn dennoch zum Kampf und zur Auseinandersetzung zwingen.

Im Wissen darum, daß Christus den Bösen besiegt hat, kann der Christ in souveräner Gelassenheit der Macht des Bösen gegenüberstehen. Dafür ein Beispiel:

Luther hatte bis zu seinem Lebensende mit dem Teufel zu kämpfen. Für ihn war die Anfechtung ein Glaubenszeichen, denn der Christ muß den Teufel zum Feind haben. Luther warnt aber davor, den Bösen zu ernst zu nehmen und sich mit ihm in einen zermürbenden Kleinkrieg einzulassen. Vielmehr schlägt er vor, durch Nichtachtung an dem Bösen vorüberzugehen.

1530 schreibt er aus der Festung Coburg an Hieronymus Weller: “Denn das bedeutet nichts anderes als dem Teufel nachgeben und unterliegen. Ihr sollt euch vielmehr anstrengen mit aller Kraft, solche vom Teufel eingegebenen Gedanken zu verachten. Bei dieser Art von Anfechtung und Kampf ist Verachtung das beste und einfachste Mittel, den Teufel zu überwinden. “

Diese Verachtung des Bösen aus der Gewißheit des Sieges durch Christus gilt auch, wenn endzeitlich der Böse “losgelassen” wird. Die ungeheure Machtkonzentration von den Vernichtungswaffen bis zu den technischen Möglichkeiten der medizinischen, biologischen und chemischen Manipulation, Umstrukturierung und Zerstörung der Humanität und der menschlichen Umwelt sind noch “gefesselt”. Das heißt: Noch schreckt der Mensch vor den letzten Möglichkeiten der Anwendung seiner Macht zurück ‑ er schreckt deswegen davor zurück, weil die Macht noch irgendwie durch die Ehrfurcht vor Gott ‑ durch “Tabus” gebunden ist.

Die Anzeichen dafür aber, daß die Bindung dieser uns bedrohenden Energien aufhört, daß die Hemmungen, Mensch und Welt zu manipulieren, nachlassen, daß so genannte “Tabus” durch die pausenlose Gehirnwäsche unserer Massenmedien zertrümmert werden, daß der Todestrieb, der vielleicht auch vor der Anwendung von Massenvernichtungsmitteln nicht zurückschrecken wird, wächst ‑ diese Anzeichen melden die Entfesselung der bösen Gewalt. Sie aber wird die Gemeinde Christi nicht überwältigen ‑ sondern der Herr dieser Gemeinde, Christus selbst, wird durch seine Wiederkunft den göttlichen Sinn der Schöpfung erfüllen und das Böse für ewig überwinden und vernichten.

Vom Kommen des Antichristen

Die Synode des “Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR” hatte sich im Jahre 1972 mit einem besonderen Problem zu beschäftigen: Vom Kultusministerium der DDR wurden ‑ so mußte man auf der Synode feststellen ‑ Einwände gegen den Inhalt vieler theologischer Veröffentlichungen erhoben. Zu diesen Einwänden gehörte auch, daß in christlichen Büchern der Mensch als Sünder verstanden wird. Von der Ideologie der “Beanstander” aus geurteilt, wurde “Sünde” als “Verneinung der optimistischen Grundhaltung einer sozialistischen Gesellschaft” abqualifiziert.

Etwa zur selben Zeit wurden in einer Artikelserie der “Prawda” (diesmal nicht der Moskauer, sondern der Preßburger Prawda) die schädlichen Auswirkungen der Religion auf Gemüt und Geist des Menschen behandelt. “Christliche Religion” ‑ so konnte man in dieser Artikelserie lesen ‑ “verursacht Minderwertigkeitskomplexe, Magengeschwüre und Darmschäden”. Und im Januar 1973 schrieb die Moskowskaja Prawda unter der Überschrift “Kommunismus und Christentum sind unvereinbar” einen Artikel, in dem (lt. Übersetzung der “Frankfurter Allgemeinen” vom 27.1.1973) behauptet wird: “Der religiöse Glaube und die religiösen Vorstellungen sind unvereinbar mit den wissenschaftlichen Tatsachen, und die Wissenschaft widerlegt alle religiösen Dogmen.” Also: Christen werden angeklagt, gegen die “heiligsten Güter der Zeit” zu leben, gegen “Wissenschaft” und “Fortschrittsglaube”.

Es soll hier kein Überblick über die ideologische Herausforderung des Christentums in der jüngsten Vergangenheit und in der Gegenwa,rt gegeben werden. Wir beschränken uns zunächst auf die Feststellung, daß das 20. Jahrhundert die stärkste Herausforderung der christlichen Gemeinde gebracht hat und daß es in keinem Jahrhundert der Geschichte der Kirche so viele christliche Märtyrer gegeben hat wie im 20. Jahrhundert: Nationalismus, Rassismus, Liberalismus, Anarchismus und Kommunismus haben die christliche Gemeinde verfolgt, viele in ihrer Mitte getötet, ihre Kirchen zerstört und geschändet.

Um die Jahrhundertwende wurden (durch türkischen Nationalismus) im damaligen Osmanischen Reich etwa eine Million armenischer Christen durch Verfolgung, Verschleppung und andere Quälereien umgebracht, in Südamerika und Mexiko (dort 1925‑1935 Kirchenkampf: Ausweisung der Bischöfe, Schließung der Priesterseminare, atheistische Jugenderziehung: Zahl der Märtyrer etwa fünftausend) gerieten Christen in den Sturm liberalistischer und sozialistischer Kirchenverfolgung.

In Spanien (Zerstörung von ungefähr zweitausend Kirchen, Ermordung von etwa sechstausend Priestern und anderen aktiven Mitarbeitern des kirchlichen Lebens) wurden Christen zwischen den Fronten eines grausamen Bürgerkrieges zerrieben und mußten die Exzesse politischer Abenteurerbanden über sich ergehen lassen.

In Rußland sollen durch die Revolution 70 Prozent der Kirchen geschlossen und 85 Prozent der Priester vom Amt ausgeschlossen worden sein. 107 orthodoxe Bischöfe ‑ so wird angegeben ‑ wurden exekutiert und die Teilnahme von Jugendlichen unter achtzehn Jahren am Gemeindeleben untersagt.

Nicht die Geschichte der Christenverfolgung interessiert uns hier, sondern die Art und Weise der Herausforderung der Christen im 20. Jahrhundert: Alle Ideologen regen sich darüber auf, daß die Christen von der Sünde reden. Der Christ setzt seine Hoffnung nicht auf die Welt, die Menschen oder die menschliche Gesellschaft, sondern auf Gott selbst. Er lebt aus der Kraft Gottes.

Hier setzt das moderne Heidentum ein. Ich erinnere mich an viele Gespräche, die ich ‑­ damals noch nicht einmal konfirmiert ‑ mit nationalsozialistischen Neuheiden führte: Meistens kam das Gespräch zu dem Punkt, an dem behauptet wurde: Diese Demutshaltung, insbesondere das Gerede von der Sünde, ist unvereinbar mit dem Lebenswillen, Selbstvertrauen, der Stärke, Kraft und dem Heldentum der nordischen Rasse.

Die Ideologen des 20. Jahrhunderts proklamieren bei unterschiedlicher Argumentation im einzelnen die Selbstherrlichkeit des Menschen , sie bekämpfen die Demut der Christen vor der Heiligkeit des lebendigen Gottes. Anders ausgedrückt: Der Mensch soll ohne Gott sein, weil er sich selbst ein Gott ist. Genau das aber zu verkündigen, ist die Strategie des Antichristen.

Im ersten Briefe des Apostels Johannes heißt es: “Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns Selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns” (1.Joh.1,8). “Wer sagt”, fährt der Apostel Johannes fort, “wir haben nicht gesündigt, macht Gott zum Lügner” (1.Joh.1,10). Denn unter der Begegnung mit dem heiligen Gott erfahren wir unsere Unwürdigkeit und Verlorenheit ‑ eben jene Spannung, die nur dort gegeben sein kann, wo der Mensch aus sich selbst und seiner Ichverkrampfung herausgerufen wird.

In diesem Brief des Apostels Johannes ist nun auch die Rede von dem Antichrist. Der Apostel Johannes schreibt: “Und ein jeglicher Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichristen, von welchem ihr habt gehört, daß er kommen werde, und er ist jetzt schon in der Welt” (1.Joh.4,3).

Wer ist der Antichrist?

Wir stellen diese Frage zunächst zurück und fragen: Was will der Antichrist? Der Antichrist leugnet Christus, den Heiland der Welt, und er leugnet Gott. Er leugnet den Vater und den Sohn: “Das ist der Widerchrist, der den Vater und den Sohn leugnet” (1.Joh.2,22).

Der Antichrist oder der Mensch der Gesetzlosigkeit will sich über Gott selbst erheben, will selbst als Gott angebetet werden. Im zweiten Brief an die Thessalonicher (2.Thess.2,4) schreibt Paulus: “Es ist der Widersacher und überhebt sich über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, so daß er sich setzt in den Tempel Gottes und vorgibt, er sei Gott.”

Der Antichrist ist die Kraft der Verführung zur Ungerechtigkeit, der Aufhebung der Gebote; er betreibt die Auflösung der menschlichen Gesellschaft dadurch, daß er sie in das Chaos sittlicher Orientierungslosigkeit führt: “mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit bei denen, die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben … ” (2.Thess.2,10).

Der Antichrist wird gegen die Gemeinde Christi streiten, wird dabei nicht nur Gott lästern, sondern die Gemeinde mit Gewalt verfolgen. In der Offenbarung des Johannes lesen wir: “Und ihm ward gegeben zu streiten wider die Heiligen und sie zu überwinden … ” (Offb.13,7).

Der Antichrist will die Macht und bekommt die Macht. Er verwirklicht das satanische Prinzip der Machtgier, der gott‑ und menschenfeindlichen Lust, Menschen zu beherrschen: “… und ihm ward gegeben Macht über alle Geschlechter und Sprachen und Heiden”, schreibt der Apostel Johannes (Offb.13,7), und alle, die nicht an Christus glauben, die also nicht den geistlichen Beziehungspunkt ihres Lebens gefunden haben, werden durch Propaganda hinweggespült und gehen vor der Macht der Lüge in die Knie: “Und alle, die auf Erden wohnen, beten es an, deren Namen nicht geschrieben sind in dem Lebensbuch des Lammes” (Offb.13,8).

Wer ist der Antichrist? Der Zeitgeist, ein Weltdiktator, ein Politiker, ein irrlehrender Kirchenfürst, ein Sektenprediger?

Alles deutet darauf hin, daß der Antichrist, der “Mensch des Frevels”, eine wirkliche Person und nicht eine Idee ist. Der Antichrist lebt und wirkt als die sich gegen Gott erhebende, ihn lästernde und für sich Anbetung erheischende Übermenschlichkeit.

Vor hundert Jahren hatte man sich so etwas nur schwer ‑ wenn überhaupt ‑ vorstellen können. Heute ist das anders: Im Personenkult der großen politischen Führerund Pseudoheilande unseres Jahrhunderts erkennen wir vielleicht schon etwas von dem, was am Ende der Zeit auf uns zukommt. Im Antichrist wird sich die Gottesfeindschaft und der Christenhaß in einer Art Übermensch verwirklichen oder personifizieren; er wird ‑ umjubelt von einer gottesfeindlichen Menschenmasse ‑ sagen, was eben diese Masse will: Das Leben ohne Gott im Sein wie Gott. Die Menschheit wird ihn also gar nicht als ihren Feind erkennen, sondern sie wird ihn als Freund, Führer, Heilsbringer umjubeln und anbeten, wie einen Gott verehren.

Wann wird der Antichrist kommen?

Johannes schreibt: “So sind nun viele Antichristen geworden, daher erkennen wir, daß die letzte Stunde ist” (1.Joh.2,18), und etliche Verse später heißt es, daß “er kommen werde, und er ist schon jetzt in der Welt” (1.Joh.4,3).

Das hört sich merkwürdig an. Der Antichrist kommt ‑ und ist schon da, schreibt der Apostel Johannes. Der Sinn dieser sich zunächst paradox anhörenden Formulierung ist aber: Die antichristliche Macht hat es schon immer gegeben, seit Christus in die Welt gekommen ist. Sie wird sich aber in der Geschichte steigern und vor der Wiederkunft Christi ihre ganze Brutalität entfalten. Bevor der Teufel los wird, wird der Antichrist sich personifizieren ‑ sich in menschlicher Gestalt offenbaren und als eine Art Weltdiktator zum Idol einer gottlosen und gottfeindlichen Menschenmasse werden.

Auch der Apostel Paulus schreibt, daß der Antichrist in der Endzeit auftritt. Bevor Christus wiederkommt, muß der “Abfall kommen und offenbart werden der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens” (2.Thess.2,3). Dann wird Christus wiederkommen und ihn “Mit dem Geist seines Mundes” (2.Thess.2,8) vernichten.

Wie Johannes sieht auch Paulus die Spannung zwischen Zukunft und Gegenwart. Der Antichrist wird erst offenbar werden unmittelbar vor der Wiederkunft Christi, aber er ist schon jetzt da: “Es regt sich bereits das Geheimnis der Bosheit” (2.Thess.2,7), schreibt Paulus.

Es ist noch eine Macht da, die sein Auftauchen aufhält. Der Antichrist ist immer schon da, begleitet die Christenheit, steigert sich am Ende der Zeit, bis er vollends sichtbar wird und als der Mensch der Sünde “Führergestalt” der Menschheit wird. Wie Johannes sieht es auch der Apostel Paulus: Bevor das geschieht, wird sich der Antichrist langsam aufbauen und werden die Vorboten seines Kommens (“So sind schon viele Widerchristen geworden … 1.Joh.2,18) durch die Geschichte der Menschheit geistern.

Auch der Antichrist hat seine Vorläufer, von den Christenverfolgungen der alten Kirche bis zu den Machtmenschen unserer Tage, von den Tagen Neros bis heute. Sie alle sind nicht der Antichrist, sie tragen aber bereits die Züge des Antichristen, bilden ‑ noch unvollkommen ‑ das ab, was am Ende der Zeiten allen Christen deutlich sichtbar und erkennbar sein wird.

Wie oft ist im Namen des Christus gegen Christen gekämpft worden: heute aber scheint sich dieser Kampf gegen die christliche Gemeinde in einer doppelten Weise zu steigern. Einmal in der Intensivierung dieses Kampfes gegen die christliche Gemeinde und sodann in einer umfassenden, breite Volksmassen ergreifende antichristlichen Bewegung.

Im Blick auf das Kommen des Antichristen müssen wir noch ein entscheidendes Merkmal seines Unwesens bedenken ‑ es geht vor allem die Christen selber an: über den Antichrist schreibt der Apostel Johannes: “Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns” (1.Joh.2,19). Hier liegt eine entscheidende Erkenntnis: Der Antichrist gehört zwar nicht zur christlichen Gemeinde, aber er tritt im Namen der christlichen Gemeinde auf , “beschäftigt” sich mit der christlichen Gemeinde, versteht sich selbst als Christentum”, ahmt Christus selbst nach.

“Der Antichrist”, sagt Luther, “sitzt nicht in einem Teufelsstalle, in einem Schweinestalle oder unter dem Haufen der Ungläubigen, sondern an der edelsten und heiligsten Stätte, nämlich im Tempel Gottes.

Und an einer anderen Stelle meint er, daß sich der Antichrist, der die Gebote Gottes verachtet, verändert und schließlich aufhebt und die Gewissen freispricht vom Gehorsam gegen Gott, christlich tarnen, ja geradezu im Namen Christi oder Gottes sein Wesen treiben wird: “Vom Antichrist wird alles so eingerichtet, und er redet dem breiten Volk ein, daß alles, was er auch immer gegen die Frommen unternimmt, auf Befehl und im Namen Gottes geschehe.”

Jetzt verstehen wir auch, wenn Christus sagt, daß alle, die seine Gemeinde verfolgen, meinen, Gott damit einen Dienst zu erweisen (Joh.16,2).

W. Solowjow hat um die Jahrhundertwende in seiner fast prophetischen Vision vom Antichrist vorausgesagt, daß eine alle Konfessionen umfassende Einheitsbewegung die Zukunft der Christenheit prägen würde. Diese Einheitskirche mit zentraler Leitung aber antichristlicher Ideologie war seine Vision der Kirche des Amtichristen. Die Leugnung des Gottessohnes und die Anbetung des Menschen, der alleingelassen und vereinsamt nur noch zu sich selbst beten kann, sind die Kennzeichen des Antichristen, der ‑ so in der Vision Solowjows ‑ den Orthodoxen ihre Liturgie, den Römern ihr Kirchenrecht und den Protestanten ihre Bibelkritik überläßt. Nur das ist die Voraussetzung: Die Liturgie muß ohne wirkliches Gebet, das Kirchenrecht nur Selbstzweck sein und die Bibelkritik den Sohn Gottes am Schreibtisch töten. Liturgie als ritualistisches Playboytum, kirchliche Organisation um der Organisation willen und Bibelkritik, um Christus am Katheder zu morden ‑ das wäre der Antichrist in einer Einheitskirche, die uns die Zukunft vielleicht bald bringen wird, wenn der “Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte” ist (Matth.24,15).

Sind wir schon unmittelbar auf dem Wege dahin?

Als 1969 zweihundert Theologen ‑ zum Teil (wie der Spiegel« Nr. 14, 1969 schreibt) mit “Maos roter Bibel in der Tasche und Lenins Konterfei am Revers” ‑ in Bochum zusammenkamen, um die “Diskussion einer Revolutionsstrategie” zu betreiben, stand zur Debatte, ob man den kirchlichen Apparat von außen bekämpfen oder von innen aushöhlen solle. Die letztere Taktik fand am meisten Anklang.

Ich frage: Wie steht es heute? Wird unsere Kirche ausgehöhlt durch Irrlehre? Schon 1966 ergab eine Umfrage unter Mitgliedern des Nationalrates der Kirchen in den USA, daß jeder dritte Delegierte nicht an Gott glaubt!

Hier nur einige Beispiele, die mich ernst und quälend fragen, ob nicht schon heute der Antichrist “an heiliger Stätte” langsam aber sicher anfängt, sich zu zeigen, seine Maske fallen zu lassen, um dann morgen ‑ nachdem wir durch seine Vorspiele präpariert und an ihn gewöhnt wurden ‑ in seiner ureigensten Grimasse sich selbst sehen zu lassen: Während der Münchener Olympiade wurde durch das Fernsehen ein ökumenischer Gottesdienst aus dem Olympiadorf übertragen, in dem Christus als der “tanzende Christus” vorgestellt wurde: Von einem Tänzer im hautengen Trikot dargestellt.

Zeitungen berichteten später zu diesem Gottesdienst ergänzend: “Der Gottesdienst begann erst richtig, als er zu Ende war: jung und alt drehte sich mit wachsender Freude nach den Klängen der Dixieland‑Band Hot Dogs zu den rauchigen Liedern . . . ” (vgl. Fels Nr. 10, 1972). ‑ Bald wird sich wohl kein Mensch mehr über Ungeheuerlichkeiten der Schamlosigkeit in Kirchen wundern. Papst Paul sagte am 26. 9. 1972 im Petersdom: “Wir haben den Eindruck, daß der Rauch Satans durch irgendeinen Riß in den Tempel Gottes eingedrungen ist.” Antichrist heißt : Leugnung, daß Christus der ewige Gottessohn ist, die Verhöhnung der Anbetung des Christus, Zerstörung des Heiligen.

Der Apostel Johannes sieht voraus: Irregeleitete Menschen werden den Antichrist anbeten. Sie werden fragen: “Wer ist dem Tiere gleich, und wer kann mit ihm kriegen?” (Offb.13,4).

Wenn der Antichrist seine Herrschaft aufgerichtet hat, kann niemand kaufen oder verkaufen, ohne das “Abzeichen” des Antichristen zu tragen (Offb.13,17).

Der Mensch wird unter einer Diktatur leben, die jeden Freiheitsraum ausschließt. Er wird total kontrolliert und programmiert. Kurzum: Erst heute können wir uns vorstellen, wie sich die Macht des Antichristen realisieren wird.

Die Bereitschaft, eine Menschheit zu indoktrinieren, die Möglichkeit, daß totale Machtapparaturen über den Menschen herfallen, gewinnen von Tag zu Tag mehr und mehr an Form. In dem 1972 erschienenen Buch “Die neuen Totalitären” von Roland Huntford, dem Skandinavien‑Korrespondenten des Londoner “Observer”, wird am Beispiel Schwedens gezeigt, wie die Macht des Menschen über den Menschen sich immer mehr totalisiert, wie das Christentum dabei aber als “Hindernis” empfunden wird. Er zeigt auch, wie solch ein Hindernis ausgeräumt wird, und bringt dafür ein Beispiel­:

Im Zuge großer Stadtsanierungen in Stockholm mußte die einzige katholische Kirche der Stadt abgerissen werden. Als die Gemeinde das Geld für den Neubau der Kirche an einer anderen Stelle gesammelt hatte, mußte der Plan eines Neubaus fallengelassen werden, denn der schwedische Staat verlangt 25 Prozent Luxussteuer vom Baupreis.

Kirchen kommen auf die Liste der nicht notwendigen Gebäude und werden mit einer für die Gemeinde fast untragbaren Luxussteuer belegt. Steht dahinter die Absicht, den Bau neuer Kirchen zu verhindern? Diese Absicht ist schon deswegen schwerlich auszuschließen, wenn man die von Huntford zitierte Aussage der schwedischen Kirchenministerin über die Kirche hört: “Wir werden die Kirche Stück für Stück abbauen. Und wenn nötig, wenden wir wirtschaftliche Mittel an.”

Bringt die Zukunft Städte ohne Kirchen, ohne Glocken, ohne Anbetung ‑ Stätten, an denen der Mensch einsam sein wird, wo er nicht mehr beten kann ‑ Stätten, an denen er unruhig werden wird, weil ihm der Friede mit Gott genommen ist? Wird dies die Konsequenz sein: Die Kirchenfreundlichkeit der “abendländischen” Staaten wird zur Kirchengleichgültigkeit, die Kirchengleichgültigkeit schlägt um in Kirchenfeindschaft?

Als im Januar 1973 die Jungdemokraten des Landesverbandes Nordrhein‑Westfalen die Trennung von Staat und Kirche forderten, war nicht diese Forderung, sondern die Art und Weise der Argumentation ‑ besser die Art und Weise des Angriffs gegen das Christentum ‑ von gleichsam “antichristlicher Bedeutsamkeit”. In dem “Christentum und Liberalismus” betitelten Entschließungsantrag heißt es: “Liberalismus wendet sich dabei gegen die Ableitung menschlichen Handelns aus dogmatischen Wertsystemen, die den totalen Anspruch auf letzte Wahrheiten erheben”, denn ‑ so wird argumentiert ‑ “Grundvoraussetzung für die Errichtung einer liberalen Gemeinschaft ist deshalb die Überwindung von Religion, das heißt die Bindung des Menschen an letzte Grundwahrheiten” … denn “die Beziehung des unmündigen Kindes (Bruders) zum allwissenden Vater … schließt die Emanzipation der Kinder von dem Allmächtigen von vornherein aus.”

Also die Aufforderung: Emanzipiert den Menschen von Gott. Nämlich: Wer sich im Besitz der geoffenbarten Wahrheit glaubt, kann nicht tolerant sein! Folglich: Christen sind intolerant, autoritär – sie sind “lustfeindlich”, sie sind ‑ das müssen dann die letzten Konsequenzen dieses “papers” sein: Feinde des Menschengeschlechtes.

Der Christ, der in die Zukunft blickt, wird zunächst von Angst überfallen. Christus hat uns vorausgesagt, daß wir in der Welt Angst haben werden (Joh.16,33). Aber er hat diese Angst überwunden, und auch die christliche Gemeinde wird durch seine Kraft diese Angst überwinden. Sie wird durch alle Herausforderung hindurch stärker und unbeirrbarer der Wiederkunft entgegenleben; denn die Pforten der Hölle werden die Gemeinde nicht überwältigen (Matth.16,18), und den Christen vermag nichts zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus sichtbar geworden ist (Röm.8,39).

Deswegen geht die Gemeinde Christi in die Zukunft:

Realistisch ‑ ohne Illusionen,
demütig ‑ ohne Selbstsicherheit,
voll Vertrauen ‑ ohne Pessimismus,
in Gewißheit des Glaubens ‑ ohne Verzweiflung.
In der Kraft der Gerechtigkeit und der Liebe, als der Fels im Chaos des Untergangs.

 

4. Kapitel

Was tun?

Mit der Weltrevolution leben?

Auf jede Stunde unseres Glücks fallen die Schatten menschlichen Leides! Die Welt ist beladen mit verfolgten, gequälten, kranken, vor Hunger zugrunde gehenden, in erniedrigender Abhängigkeit lebenden und ausgebeuteten Menschen. Während sich Satte und Reiche in einigen Teilen der Welt mit Messer und Gabel zugrunde richten, an Konsumüberfluß fast ersticken, vegetiert die Mehrheit aller Menschen in Hunger und Armut dahin. Sollte jemand im Ernst annehmen, daß dieser Zustand durch alle Zeiten so hingenommen wird?

Ist daran zu zweifeln, daß der Aufstand der Armen gegen die Reichen kommen wird?

Uns Christen bewegt eine andere Frage ‑ oder besser gesagt, die “anderen” haben eine Frage an uns:

Schweigt Gott zu dieser Ungerechtigkeit? Welche Antwort gibt die christliche Gemeinde auf dieses Aufstöhnen gequälter Menschen von heute und gestern? Wir brauchen die Antworten nicht lange zu suchen. Sie liegt in der Bibel bereit; Christus selbst hat sie gegeben:

“Heil euch Armen, denn das Reich Gottes ist euer!”
“Heil euch, die ihr hier hungert, denn ihr sollt satt werden!”
“Heil euch, die ihr hier weint, denn ihr werdet lachen!”
“Wehe euch Reichen, denn ihr habt euren Trost dahin!”
“Wehe euch, die ihr voll seid, denn euch wird hungern!”
“Wehe euch, die ihr hier lacht, denn ihr werdet weinen und heulen!”

Diese Sätze stehen im 6. Kapitel des Lukas‑Evangeliums. Was sie voraussagen, ist eine Revolution, ein totaler Umsturz für die Zukunft ‑ anders kann man den Sinn dieser Worte nicht verstehen. Die Rufe Jesu gelten der neuen Ordnung im Reiche Gottes.

In Matthäus 25 offenbart Christus das kommende Gericht, vor dem alle Menschen versammelt werden. Zu etlichen wird er dann sagen:

“Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt. Ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich beherbergt. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen!” (Matth.25,34‑36.)

In jedem Menschen, der Ungerechtigkeit erleidet, leidet Christus selbst. Denn so sagt Jesus: “Was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!” (Matth.25,40.) Und umgekehrt gilt dieser Satz. “Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan” (Matth.25,45). Diese Worte bedeuten:

Erstens: Der Christ ist aufgerufen zum unbedingten Einsatz im Kampf gegen Armut, Not und Verzweiflung. Der Kampf  gegen Not, Armut und Elend in jeder Form wird in diesen Aussagen religiös vertieft als Dienst am Herrn der christlichen Gemeinde, am Herrn dieser Welt.

Zweitens: Christus verkündigt das Gericht über alle Völker. Was wäre die Geschichte der Menschheit ohne diese letzte, unbedingte Gerechtigkeit? Wer könnte denen Gerechtigkeit geben, die als Sklaven Unmenschliches erleiden, die als Erniedrigte, Ausgebeutete aller Jahrtausende die Hölle auf Erden erleben mußten, die in Konzentrations- und Straflagern gegequält und getötet wurden? Wie kann es für diese Elenden Gerechtigkeit geben, wenn es nicht die letzte, göttliche Gerechtigkeit gibt? Wie kann es für diese Menschen Erlösung geben, wenn es nicht die letzte göttliche Erlösung in einem kommenden Reiche Gottes gibt? Welches menschliche oder politische Ziel könnte die Leiden, Qualen und Opfer rechtfertigen, die durch die Jahrtausende der Menschheit hindurch gebracht wurden? Kein Revolutionär, auch wenn er wirklich ein Paradies auf Erden schaffen würde, könnte die Leiden vergangener Geschlechter nachträglich erlösen Nur die christliche Revolution, der neue Himmel und die neue Erde, können auch vergangene Opfer und Leiden ungezählter Menschen in die Erlösung führen.

Die christliche Revolution, das Reich Gottes, umfaßt die Lebenden und die Toten, die ihrem Herrn Jesus Christus im Glauben oder Schauen verbunden sind. Nur die Zukunft, die der christliche Glaube verheißt, ist Zukunft über die Vergänglichkeit dieser Welt hinaus in die Ewigkeit.

Was aber tut der Christ für die Zukunfl? Er tut alles für ein besseres Leben, für mehr Gerechtigkeit, Liebe, Wahrheit, Barmherzigkeit und Menschenliebe auf dieser Welt! Denn gerade die endzeitlieben Gleichnisse Christi verbinden das stärkste Engagement für die Gegenwart mit der lebendigen Hoffnung für die Zukunft! Das ist nicht Passivität im Sinne einer religiösen Haltung, die Gott einen guten Mann sein läßt und im übrigen die Dinge laufen läßt, wie sie laufen.

Der Christ weiß in seinem Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit, daß der Sieg ihm sicher ist. Er kennt keine Enttäuschung von Hoffnungen, die auf Menschen, Institutionen oder kurzatmige Zielvorstellungen gesetzt wurden. Der Christ ist gewiß, daß er auch im Verlieren der Sieger bleibt,_daß auch verlorene Einsätze zu den Geburtswehen einer neuen Welt werden, die Gott bereitet.

Der christliche Glaube stellt deswegen die stärkste Bewegung im Kampf für die Menschlichkeit dar, weil er eine Hoffnung hat, die niemals zuschanden werden kann. Es ist nicht so, daß der Christ die Erde über dem Himmel vergißt. Es ist aber so, daß man heute den Himmel über die Erde vergißt.

In diesem Sinne aber wird Revolution heute nicht verstanden. Die neuen Herren einer neuen Erde wollen die “Emanzipation von Gott”!

Daß der Mensch sein will wie Gott selbst, ist z. B. für den Philosophen Ernst Bloch nicht eine “Sünde”, sondern ein Aufruf, um wirklich frei und vollgültig Mensch zu werden. Was Christen “nur” von Gott erhoffen, das soll der Mensch aus sich selbst verwirklichen, schreibt er in seinem Buch “Atheismus im Christentum” (1968).

Christentum bedeutet für solche Atheisten leidensbereite Demut, die von den Reichen ausgenutzt wurde, um ihre Untertanen besser ausbeuten zu können. In seinem kürzlich erschienenen Buch (“Das Materialismusproblem”, 1972) spielt Blech den Materialismus gegen den Gottvater aus: Der von Gott befreite Mensch soll die Materie, “die Mutter” Natur, erlösen, der Mensch selbst soll die neue Erde und den neuen Himmel schaffen. Der Traum von der Zukunft wird zum Traum von der Freiheit des gottlosen Menschen. Für die Christen kommt die Abrechnung ‑ zunächst einmal aber die Anklage:

Die Christen hemmen den Fortschritt, der Glaube an Gott versperrt die Zukunft. Unter dem Vatergott kann der Mensch nur Sklave bleiben, und Gott muß getötet werden, wenn der Mensch eine Zukunft haben soll.

Der Vaterhaß geht durch unsere Zeit ! Nichts ist bezeichnender für unsere gegenwart als dieser Vaterhaß. Das Generationsproblem unserer Tage zeigt doch diese Lage: Söhne rebellieren gegen ihre Väter, die selbst Gott als den Vater in ihrem Herzen verloren oder getötet haben. Der Aufstand unserer jungen Generation, der zweifellos unsere Zukunft prägen wird, ist ein Aufstand gegen Väter, die keine Väter mehr sind, weil sie den Auftrag Gottes, Vater zu sein, zurückgegeben haben. Sie haben ihn zurückgegeben, weil sie nicht mehr an den Vater im Himmel glauben.

Die Konsequenz ist Anarchie. Anarchie im tiefsten Sinne des Wortesbedeutet:Aufstand gegen den Ursprung, Aufstand gegen Gott. In den letzten fünf Jahren sind allein in der englisch sprechenden Welt 6000 Bücher erschienen, die das Thema “Aggression” zum Gegenstand haben. Die Anarchie, der Aufstand gegen den Ursprung, wird begleitet von einem Haß gegen Gott, der aus dem Hader mit Gott entsprungen ist ‑ und der nun auch auf den Mitmenschen übertragen wird: Aggression gegen Gott, gegen den Mitmenschen ‑ und gegen sich selbst. In Frankreich gibt es hunderttausend alte und junge Leute, die mit Anarchisten sympathisieren. In Deutschland erlebten wir unlängst Terrorbewegungen, die ernstlich anfingen, unsere Lebensordnung zu bedrohen.

Wenn man diese Anarchisten fragt, wie sie sich die Zukunft vorstellen, sind die Antworten unbestimmt und nebelhaft. Ist der Motor ihrer Handlungen wirklich die Liebe zu einer neuen Welt mit mehr Menschlichkeit, oder nur der Haß gegen alles, was Gott, Vater und Autorität heißt?

Im spanischen Bürgerkrieg während der dreißiger Jahre kam es oft vor, daß Rotspanier an Kirchenkapellen oder Christusfiguren ein Plakat mit der Aufschrift befestigten: “Wenn du lebtest, wärest du mit uns.”

Auf welcher Seite steht Christus im Kampf für eine neue Zukunft ? Wenn wir diese Frage stellen, können wir allerdings nicht sagen: “Wenn du lebtest”; denn der Christ weiß ja, daß Christus lebt, weil er auferstanden ist von den Toten. Die Frage kann also nur lauten: Auf welcher Seite steht der lebendige Christus im Kampf für eine neue, menschenwürdige Zukunft?

Wir wollen diese Frage zunächst dahingehend beantworten, daß wir uns einmal die Frage stellen, wo der Christ sicherlich nicht steht. Er steht nicht auf der Seite jener, die um des persönlichen Vorteiles willen überkommene Zustände verteidigen, wenn sie ungerecht sind. Keiner kann sich auf Christus berufen, der Ungerechtigkeit, Gewalt und Ausbeutung praktiziert.

Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit. Es geht um diese Gerechtigkeit Gottes in seinen Ordnungen. Daran, nicht an politische Systeme bestimmter Prägung, sind Christen gebunden.

Christen sind orthodox, sie sind rechtgläubig ‑ aber Christen sind nicht reaktionär. Sie verteidigen kein vergangenes System des Systems wegen ‑ sie stürzen sich auch nicht in die Zukunft um einer Ideologie willen. Über allen Systemen und Ideologien steht für sie der Gott der Gerechtigkeit, steht der Christus der Barmherzigkeit, dem sie im Geiste der Gerechtigkeit und in der Wahrheit dienen.

Christen sagen nein zu Ideologie und Reaktion. Christen sagen ja zur Mitarbeit mit allen, die guten Willens sind, wenn es um das Wohl des Menschen geht. Sie sagen zur Zusammenarbeit auch dann ja, wenn dieser Wille in Weltanschauung oder Parteidoktrinen eingekleidet ist. Christen fragen ganz einfach : Was wird jetzt praktisch für den Menschen getan , was springt für ihn, für die Armen, die Kranken, die Verfolgten, die Elenden dabei heraus? Und Christen stehen auf der Seite derer, die den Armen helfen.

Der Christ wird fragen: Was wird getan für die Gerechtigkeit, für die Befreiung der Umwelt von ihrer Zerstörung und Vergiftung, was wird getan, um den Menschen vor dem Chaos zu bewahren, jetzt, heute und morgen? Christen leben mit der permanenten Revolution all derer, die guten Willens für den Menschen sind! Soweit es dabei um den Menschen geht und um seine Gerechtigkeit, werden sie mitarbeiten, wenn es um die Anbetung des Menschen durch den Menschen geht, dann werden sie Märtyrer werden.

Christen ‑ nur Jenseitsfanatiker

Im März 1972 fand in der Hauptkirche St. Nicolai zu Hamburg eine kirchliche Woche statt. An jedem Abend folgte der Evangelisation in der Kirche eine Aussprache, die sich in gleicher Weise durch Dramatik und Fairness auszeichnete. Ich denke an diese Woche gern zurück. Unvergeßlich aber blieb mir der “Diskussionsbeitrag” eines ernsthaft fragenden älteren Menschen. Er brachte ein Beispiel aus der eigenen Lebenserfahrung:

In den Jahren vor dem letzten Weltkrieg erkrankte in einer frommen Familie ein Kind lebensgefährlich an Diphtherie. Eines Tages schien die Lage für das Leben des Kindes hoffnungslos, und die Mutter wollte das Kind auf den Tod vorbereiten. Sie sagte sinngemäß, daß nach dem Tod das Leben nicht aufhört, sondern daß die Seele in den Himmel käme und dann bei Gott und bei Christus sein würde. Darauf antwortete das Kind ‑ nachdem es sich alles zunächst schweigend angehört hatte -: “Ich will aber nicht in den Himmel, Mutter, ich will bei dir bleiben!”

Diese wahre Geschichte wurde im Sinne einer Anklage vorgebracht: Was ist der Himmel, was ist das Jenseits im Vergleich zu diesem Leben schon anders als eine blasse Abstraktion? Wer will denn eigentlich schon gern in den Himmel hinein? Wer würde nicht lieber auch unter Opfern und Schmerzen auf dieser Erde bleiben?

Weil man mit dem Himmel nichts anfangen kann, fragt man um so nachhaltiger: Ist diese Erde nicht wichtiger als der Himmel? Sollten wir nicht alles tun, um hier auf dieser Erde ein glückliches Leben auszubauen, statt uns für ein verpaßtes Diesseits mit den Versprechungen für ein vages Jenseits trösten zu lassen?

Das ist die allgemeine Kritik der Fortschrittlichen am christlichen Glauben: Der Glaube an ein Jenseits hindert die Christen daran, hier auf dieser Erde wirklich ernsthaft mitzuarbeiten. “Irgendwie” sind sie doch falsche Brüder, sehen ihre Heimat im Jenseits und sind nicht ganz dabei, wenn es um die Probleme dieser Welt geht.

Ist diese Anklage berechtigt? Vergißt oder übersieht der Christ die Gegenwart, weil er angeblich alle Tröstungen und Hoffnungen auf den Himmel setzt und weil die Erde für ihn nur ein Jammertal bleibt?

In 2.Kor.5,17 schreibt der Apostel Paulus. “Darum, ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.”

Das sieht nicht nach Passivität oder bloßer Duldermentalität im Jammertal‑Warteraum für ein Jenseits aus!

Hier ist doch davon die Rede, daß das Neue schon geworden ist. Hier ist doch die Rede von einer neuen Kreatur, von einer neuen Schöpfung und Wirklichkeit.

Wo sehen wir dieses Neue? Wir sehen es in der Auferstehung Christi: Hier ist Sieg, hier ist Neuanfang und Überwindung, hier ist der Anfang des neuen Lebens.

Wenn der Apostel Paulus (Gal.2,20) schreibt: “Ich lebe, doch nun nicht ich als ich, sondern Christus in mir”, dann meint er damit, daß durch die Kraft der Auferstehung das Reich Gottes schon jetzt in uns lebendig ist.

Wir stellen die Gegenfrage an jene, die für sich den Himmel abgeschafft haben. Wer will wirklich von den modernen Problemen wie Umweltverschmutzung, Zunahme der Kriminalität, Rauschgiftsucht, Städtechaos, Bildungsnotstand, Generationsproblem usw. etwas wissen? Ist das alles nicht doch nur das Problem von fünf Prozent unserer Bevölkerung, während die anderen 95 Prozent sich mit ganz anderen Dingen beschäftigen? Wer stellt sich denn heute wirklich den Herausforderungen von morgen? Ist es nicht umgekehrt so, daß man vor der Zukunft ausweicht und in die Vergangenheit flüchtet, weil man vor der Zukunft Angst hat?

Heute träumt man sich zurück in die Vergangenheit ‑ das tun beileibe nicht die Christen, sondern jene, die Angst vor der Zukunft haben, weil sie das Vertrauen in den Gott, dem die Zukunft gehört, verloren haben. Alte Filmstars erleben gigantische Neuauflagen. Warum? Weil alte Stars an alte Zeiten erinnern! Man kauft alte Möbel. Trödlermärkte und Antiquitätengeschäfte haben reißenden Umsatz. Warum? Weil alte Sachen an gute alte Zeiten erinnern. Es ist die Zeit der Oldtimer: alles wird “auf alt gemacht”.

Diese Flucht in die Vergangenheit ist schon so charakteristisch und allgemein, daß man für sie einen Namen gefunden hat: Nostalgie. Mit Nostalgie ist die krankhafte Zuwendung zur Vergangenheit gemeint. Nostalgie ist die Krankheit unserer Gegenwart, die keine Zukunft mehr haben will.

Heute wird rückwärts geträumt, während eine kleine politisch‑ideologische Minderheit den babylonischen Turm in die Zukunft baut. Die Masse Mensch lebt jenseits der Probleme, sie betreibt nun wirklich Jenseitsfanatismus, Flucht vor der Wirklichkeit, die auf uns zukommt.

Wir halten fest: Nicht die Christen sind Jenseitsfanatiker, sondern die Millionenschar jener, die zu schwach, seelisch zu sehr im Ausverkauf ist, um der Zukunft ins Auge zu schauen.

Ob wir nun aber an die Zukunft denken oder ob wir nicht daran denken: Die Zukunft kommt! Vielleicht hat schon manch einer vor einem sogenannten Autofriedhof gestanden, jenen Halden von abgewrackten Karosserien. Man kann dort auch manchen Luxuswagen sehen und braucht nicht viel Phantasie zu haben, um sich vorzustellen, mit welchem Glanz einmal die Geschichte eines solchen Autos anfing, die da vor unseren Blicken im Rost endet.

Ist es eigentlich mit dem Menschenleben anders? Nagt die Zukunft nicht auch mit diesem Zahn der Zeit an unserem Leben? Man mag es wissen wollen oder nicht: Die Zukunft zerreibt und zerstört ‑ Zukunft baut ab. Auch wir werden ein Wrack ‑ auch wir kommen auf den Friedhof ‑ auch wir werden einmal irgendwo hingestellt, wenn wir alt geworden sind. Wir können nur gerettet werden durch eine Kraft, die dem Zerfall entgegenwirkt. Diese Kraft ist der auferstandene Christus in uns: “Christus in mir”, sagt der Apostel Paulus. Er meint damit auch: die Kraft, die die Zukunft als Todesmacht überwindet. Mag da auch der äußerliche Mensch vergehen, mag unser Leib altern und sterben.

Wir sind kein Auto, wir sind lebendige Seelen. Ein Auto kann sich nicht für die Ewigkeit entscheiden. Wir können es, weil wir schon jetzt “leben”. Heute muß der Tod überwunden werden. Glaube an die Ewigkeit ist nicht passiver Jenseitsfanatismus, sondern Dynamik für das hier und jetzt, weil nur so die Zukunft als Todesmacht und Vergänglichkeitsmacht überwunden wird. Der Glaube an die Auferstehung bedeutet doch die Auferstehung zu einem neuen Leben schon auf dieser Welt.

Das ist kein Jenseitsfanatismus, das ist Engagement für diese Welt, das ist die Kraft aus der Hoffnung, die der Zukunft Gottes lebt.

 

5. Kapitel

Am Ende nur langweilige Ewigkeit

Wie man heute stirbt

Einmal muß sich jeder Mensch darüber klar werden, daß er sterben wird. Eine bittere, harte Wahrheit ‑ meint der gesellschaftskritische Schriftsteller Max Frisch in seinem 1971 erschienenen zweibändigen Tagebuch.

Wer alt wird ‑ und das beginnt nach Max Frisch mit fünfzig Jahren ‑, ist schon ein vom beginnenden Zerfall “Gezeichneter”. Doch auch mit vierzig Jahren weiß man, daß der Höhepunkt des Lebens überschritten ist, daß die biologische Kraft ihren Gipfelpunkt erreicht hat, daß die beruflichen Erfolgschancen sich kaum noch steigern lassen. Deswegen nennt Max Frisch die Vierziger: die vom Tode “Vorgezeichneten”.

Altwerden und sterben ist im Urteil des modernen und gottfernen Menschen furchtbar. Albert Camus, neben Jean PaulSartre der bedeutendste französische Schriftsteller des Existentialismus, nennt den Tod einen Mörder, gegen den man revoltieren muß ‑ allerdings eine ausweglose Revolution, denn der Tod siegt dennoch!

Es ist ein unheimlich düsteres Bild, das Max Frisch in seinem Tagebuch vom A1tern entwirft: Die Möglichkeit unentrinnbarer Krebserkrankung wächst. Arteriosklerose lähmt das Leben. Die körperliche und geistige Hilflosigkeit schafft Abhängigkeit von fremden Menschen. Man wird abgeschoben, anderen eine harte Last: Leben im Alter wird zum überflüssigen Leben.

Wenn eine Gesellschaft nur Jugend, Vitalität und Leistungsprotzigkeit verehrt, dann wird Alter zu einer häßlichen und verabscheuungswürdigen Angelegenheit. Altsein wird zur Obszönität ‑ das heißt: Alt sein ist unanständig geworden. Die früher in einfach allen Kulturen dem Alter entgegengebrachte Ehrfurcht stirbt aus: Es wird schwerer, heute alt zu sein, als zu irgendeiner anderen Zeit in der Geschichte der Menschheit.

Angesichts dieser katastrophalen Zukunft im persönlichen Leben des einzelnen sieht Max Frisch nur zwei Möglichkeiten: Resignation oder Selbstmord. ‑ Das ist allerdings eine totale Bankrotterklärung des modernen, Gott entfremdeten Menschen gegenüber Tod und Leben; denn unser Leben ist ein Leben auf dem Weg zum Tod.

Wenn wir der Zukunft “Tod” nicht standhalten, dann können wir auch mit der Zukunft unserer Gesellschaft nicht “fertig” werden.

Auch Christen müssen den “Tod” überwinden, auch sie müssen sich mit dieser Zukunft auseinandersetzen ‑ und das ist nicht einfach, es fordert die letzte Bewährung unseres Lebens.

Der christliche Dichter George Bernanos (Verfasser von “Tagebuch eines Landpfarrers”, “Die begnadete Angst” u. a.) gibt zu, daß er vor der Macht von Tod und Alter zunächst während einer ganzen Phase seines Lebens furchtbar erschrocken gewesen ist. 1928 klagte er: “Das Alter bringt … gar keinen Frieden, sondern einzig eine grausame Hellsicht, Abglanz der Hölle … Ich weiß nicht, wieviele Teufel mich heimsuchen, aber sie werden mir keine Ruhe lassen, und Schaum wird mir vor dem Munde stehen, wenn der Tod mich ihren Händen entreißt.” Und schon 1905, als ganz junger Mensch, schrieb er an einen Pfarrer: “Die geringste Unpäßlichkeit erscheint mir als das Vorspiel jener letzten Krankheit, vor der ich so Angst habe. Und dann erfaßt mich unbesiegbare Schwermut … Als ich noch ganz klein war und an diese Dinge dachte, sagte ich mir, das Leben sei lang, und wenn man es mit allen möglichen Abenteuern, mit Ruhm, Ansehen oder Macht ausfülle, könne man so glücklich werden, daß ein bißchen Leiden am Schluß sich wohl lohnt … aber ich habe meine Meinung gründlich geändert.”

In diesen Sätzen spricht sich eine Erkenntnis und eine Erfahrung aus, die unüberbietbar ist: Als Christ weiß Bernanos um das Teuflische in der Macht des Todes. Der Tod ist nämlich nicht eine “natürliche Angelegenheit”, der Tod ist vielmehr eine gottfeindliche Macht. Der Tod ist der Sünde Sold. Auch die Furcht vor dem Tod (so lesen wir in Hebräer 2,15) macht aus uns in unserem ganzen Leben “Knechte”.

Der Tod ist die große Wand, das Ende, an dem all unsere Hoffnungen, Wünsche und Pläne zerbrechen. Im Tod wird offenbar, daß wir vom Ewigen, von Gott getrennt sind. Je mehr ein Mensch Hunger nach Leben, Sinn und Glück hat, um so unfaßbarer und quälender wird für ihn der Tod. Nur die Resignierten, am Leben schon Zerbrochenen,die als Lebende schon innerlich erstorben sind, stehen dem Tod gleichgültig gegenüber, weil sie auch dem Leben gleichgültig gegenüber stehen. Sartre meint allerdings das Gegenteil. In seinen Lebenserinnerungen “Die Wörter” (1968) schreibt er: “Ich wehre mich aus Leibeskräften gegen den Tod; nicht etwa, weil mir meine Existenz teuer gewesen wäre, sondern im Gegenteil, weil mir an ihr nichts lag; je absurder das Leben, um so weniger erträglich der Tod.”

Aber diese Behauptung widerspricht nur scheinbar meiner These. Ich verstehe diese Sätze von Jean Paul Sartre so: Ein absurdes Leben hofft darauf, daß es doch noch einen Sinn bekommen kann und gerade deswegen muß der Tod ‑ der das verhindert ‑ als eine Katastrophe empfunden werden.

1945 schrieb Bernanos in einem Artikel während seines langjährigen Aufenthaltes in Brasilien, daß es das Los des Menschen sei, mit dem Bewußtsein zu sterben, daß er seine Lebensaufgabe nicht erfüllt habe. Das Sterben ‑ so meint Bernanos ‑ bringe tiefste Zerrissenheit und Seelenqual, “ehe man die Schwelle überschreitet und im milden Mitleid Gottes wie in einer frischen, tiefen Morgenkühle erwacht”.

Ich habe oft selbst erlebt, wie Sterbende diesen vom Dichter dargestellten Weg gegangen sind. Auf eine Zeit des Haderns mit sich selbst und mit dem Mitmenschen, des ohnmächtigen Zorns und der Auflehnung und dann der abgrundtiefen Depression kann plötzlich der Friede einbrechen, das Gesicht des Sterbenden verzaubern und verklären, so daß dann unmittelbar vor dem Sterben nur noch Friede waltet.

Der Tod muß besiegt werden, denn der Tod ist eine gottfeindliche Macht. “Der Tod ist verschlungen in den Sieg”, schreibt der Apostel Paulus (1.Kor.15,55). Christus hat dem Tod die Macht genommen; er hat die Qual des Todes getragen; er hat sie für uns weggelitten, und in seiner Auferstehung hat er den Tod überwunden.

Tod ist also für den Christen die Begegnung mit dem wiederkommenden Christus. Wer stirbt, bevor Christus am Ende der Zeiten wiederkommt, der wird eben vor dem Ende der Welt bei ihm sein und in seinem persönlichen Geschick seine Wiederkunft erfahren. Seine Seele wird ‑ so die Aussage der Bibel ‑ bei Christus sein, bis der neue Himmel und die neue Erde geschaffen werden. “Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein”, sagt Christus zum Schächer am Kreuz (Luk.23,43). Und im Philipperbrief spricht der Apostel Paulus davon, daß er Lust hätte, sein Leben zu beenden, um bei Christus zu sein, daß er aber um der Gemeinde und seines Auftrages willen auf dieser Erde bleibt (Phil.1,23.24).

Diese und viele anderen Aussagen in der Bibel (z. B. die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus, Luk.16,19ff.) bezeugen eindeutig, daß die Seele des gläubigen Menschen durch den Tod hindurch in das ewige Leben eingeht.

Wer als Christ leidet, leidet mit Christus ‑ wissend, daß Christus sein eigenes Leid mitträgt und zur Erlösung führt. Wer stirbt, weiß, daß sein Tod von Christus mitgestorben wird und daß die Auferstehung Christi seine eigene Auferstehung sein wird.

Das Geschick der Welt wiederholt sich im Geschick des einzelnen Menschen. Die Welt wird durch ihr Ende in der Wiederkunft Christi zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde verwandelt werden. Der gläubige Christ wird in seinem Tod, also am Ende seines eigenen Lebens, die Wiederkunft Christi erleben und in sein ewiges Reich hinein verwandelt werden.

Am Ende der  Zeit, wenn alles Irdische gerichtet und wie durch Feuer hindurch verwandelt wird, wird sich die Seele des gläubigen Menschen mit einem neuen Leib, dem Leib der Auferstehung, vereinigen: “Wir aber wissen, wenn unser irdisch Haus, diese Hütte, zerbrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel” (2.Kor.5,1); denn “es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib” (1.Kor.15,44).

Aber wer glaubt heute daran, daß die Zukunft die Ankunft Gottes ist? Wer hat die Gewißheit, daß das Ende des alten der Anfang des neuen Menschen ist? Die Worte Tod und Sterben werden doch heute ängstlich vermieden. Genausowenig  wie man bereit ist, das Ende der Welt zu bedenken, genausowenig will man ‑ im Blick auf das Einzelschicksal ‑ die Wirklichkeit des Todes hinnehmen . Der Tod wird verdrängt bis zuletzt, er wird noch auf dem Krankenlager hinweggelogen.

Wo gibt es heute noch ein bewußtes Sterben?

Wie wird ein Sterbenskranker bis zuletzt belogen und mit Illusionen getröstet! Krankenhauspsychologen haben heute längst erkannt, daß viele Arzte und Schwestern eine Art Taktik entwickelt haben, um den Patienten von der Tödlichkeit seiner Krankheit abzulenken, um so etwas wie einen raffinierten Kurs zwischen “Ernst der Lage” und “doch noch Hoffnung” einzuschlagen. Man bewahrt Abstand von dem Problem Tod und vor dem Sterbenden selbst.

Wer kann im Leben dem Tod ins Auge sehen, den Tod überwinden, ja sich gerade durch die Auseinandersetzung mit dem Tod den Sinn des Lebens geben lassen und die frohe Botschaft der Ewigkeit hören? Um den Sterbenden liegt irgendwie eine Art “Bannmeile der Obszönität”. Wer heute in den “Sterbeverdacht” gerät, wird von den Angehörigen möglichst schnell in ein Krankenhaus gebracht oder in ein Pflegeheim abgeschoben. Dort bleibt dann der Sterbende ohne jegliche Sterbehilfe. Er muß zumeist einsam sterben ‑ zwar unter der Kontrolle der Mediziner und Schwestern, zwar mit schmerzstillenden und bewußtseinsdämpfenden Mitteln, aber ohne den Beistand der Mitmenschlichkeit. Man stirbt “abgeschoben”.

Später kommentiert der Arzt, der gar nicht dabei war: “Ruhig eingeschlafen.” In Krankenhäusern kann der Pfarrer von Schwestern und der Ärzteschaft immer wieder hören, daß selbst Angehörige den Sterbenden meiden, die Besuchszeiten gar nicht ausnutzen, weil sie eben Angst haben, Zeuge eines Sterbens werden zu müssen, auf das sie überhaupt nicht “eingestellt” sind.

Und wenn es dann “passiert ist”, wird dem Toten eine Laufkarte am Zeh befestigt. Heimlich wird das Bett aus dem Krankenzimmer über den Flur in den Fahrstuhl geschoben. In der gekachelten Totenaufbewahrungshalle wird der Leichnam in ein Kühlfach ein­gelegt, bis der nächste Dienstleistungsbetrieb, das Beerdigungsinstitut, den “weiteren Vorgang” ‑ möglichst ‘”diskret” und mit beruflicher Routine ‑ abwickelt.

Es gibt heute viele Möglichkeiten, das Sterben medikamentös zu überspielen. Spezialkliniken haben sich heute in einigen Großstädten auf den Tod “eingestellt: Der Sterbende wird durch wohldosiert dargereichte Rauschgiftmittel über den Schatten des Todes hinweggebracht. Das Bewußtsein, sterben zu müssen, wird “ausgeschaltet”. Aber ganz abgesehen von diesen extremen Fällen: Auch unsere allgemeinen Krankenhäuser sind zum guten Teil auch Sterbefabriken, in denen der Mensch verendet ‑ aber nicht stirbt. Der Tod soll betrogen werden ‑ man endet in der Lüge.

Sinn des Altwerdens ist nicht, das Altern zu verdrängen, so wie der Sinn des Sterbens nicht sein kann, den Tod wegzulügen. Der Christ sieht im Altern wie im Sterben Zeichen eines neuen Lebens. Mit dem Altern wächst für ihn die Gelassenheit und damit auch die Freiheit gegenüber der Welt. Was dann passiert, ist merkwürdig: Das Leben wird nicht “jämmerlicher”, sondern es wird (wie ein Herbst) leuchtender, weil es entkrampfter gelebt wird. Das Altern ist eine Segenszeit, eine Reife des Lebens, auf die nicht nur der einzelne für sich selbst, auf die nicht einmal eine ganze Kultur verzichten kann, wenn sie nicht vollends aus dem Gleichgewicht geraten soll. Vor dem Altern und vor dem Sterben hat der keine Angst, der darum weiß, daß jede Phase seines Lebens in, durch und zu Gott hin ist. Für den Christen gibt es den Sinn des Sterbens!

Christenmenschen sind deswegen immer ‑ es sei denn, daß sie von einem plötzlichen Tod im Krieg oder durch einen Unfall überfallen wurden ‑ wissend in den Tod gegangen. Als Martin Luther starb ‑ sein Mitstreiter Justus Jonas war bei ihm und hat seine Erlebnisse aufgezeichnet ‑, sprach er: “… so weiß ich doch gewiß, daß ich bei Dir ewig bleibe und aus Deinen Händen mich niemand reißen kann.” Und dann betete er mehrfach die Worte des Abendgebetes der Kirche: “In deine Hände befehle ich meinen Geist, du treuer Gott.” ‑ Gefragt, ob er bei seiner Lehre bleiben wolle, antwortete er mit einem klaren Ja. Der Tod selbst kam dann ohne Kampf, sanft und ruhig nahm er Abschied von dieser Welt.

Ein anderes Beispiel christlichen Sterbens gibt Dostojewski. Dostojewski starb im Januar 1881. In der Nacht des 25. Januar hatte Dostojewski einen Blutsturz gehabt, der aber nicht so gefährlich schien, daß man mit seinem Tode rechnete. Seine Frau blieb in der Nacht bei ihm im Schlafzimmer. Als sie gegen sieben Uhr erwachte, sah sie, daß Dostojewski bereits wach war und auf sie schaute. Auf die Frage, wie er sich fühle, antwortete er: “Ich bin jetzt schon ganze drei Stunden wach und habe die ganze Zeit nachgedacht, und es ist mir gerade klar geworden, daß ich heute sterben werde.” Dann bat er darum, Kerzen anzuzünden und ihm aus dem Neuen Testament vorzulesen. Um einhalb neun Uhr war dann Dostojewski tot.

Auch hier ging ein Christ wissend in den Tod ‑ ein Mann, der ganz als moderner Mensch durch alle Zweifel und Anfechtungen hindurchgegangen war. Er hatte “nachgedacht”, er war wissend in den Tod gegangen.

Man könnte jetzt noch die Zeugnisse der christlichen Märtyrer, insbesondere aus dem ersten Jahrhundert der Geschichte der christlichen Gemeinde, hören. Bedeutsam ist, daß das Sterben und die Bereitschaft zum Sterben gerade bei ihnen als Sieg über die Welt gelebt wurde. Hier wurde sichtbar, daß die satanische Macht gebunden ist, daß Christus dem Tode die Macht genommen hat. Nichts hat die Heiden der damaligen Welt mehr überzeugt als diese Kraft des Sterbens der Christen und ihr Glaube an die Überwindung des Todes.

Was kommt nach dem Tod?

Was kann man sich schon unter “Ewigkeit” vorstellen? Im Ernst meinen viele, daß die Ewigkeit langweilig sei, und sie möchten deswegen möglichst lange hier auf dieser Erde leben. Wer könnte nicht jenen Benediktinermönch verstehen, der als achtzigjähriger allabendlich betete, Gott möchte ihn doch noch einige Jahre auf dieser Erde belassen, im Himmel könne er den Allmächtigen dann ja immer noch in Ewigkeit sehen. So meinen viele: Da ist doch wenig Faszinierendes am Himmel der Christen, vor allem wenn man bedenkt, wie wenig sie selbst den Wunsch haben, “in die Ewigkeit einzugehen”. Viele Ahnungslose stellen sich die Ewigkeit als eine Art Schlafzimmer für alle Zeiten vor ‑ allerdings ohne einen Ausgang. Andere wieder als einen langweiligen Gottesdienst, der nie ein Ende hat. Da sagte mir einmal ein Konfirmand, der Gottesdienst hier sei ja schon langweilig genug, wenn man aber im Himmel Gott ewig anbeten und Halleluja rufen solle, dann wäre das doch wirklich nicht zum Aushalten.

Was ist schon “im Himmel los”? Wenn es dort keine Wälder, Berge, Seen, keine irdischen Freuden, keinen Kampf ums Dasein, keinen Wettbewerb, keine Liebe zwischen Mann und Frau, keine Familie, keine Arbeit, kein Fernsehen, keinen Sport, keine Diskussion und keine Diskotheken ‑ eben keine Schöpfung im Guten wie im Bösen geben wird?

Wie kann ich die Ewigkeit schon lieben ‑ so klagt mancher wenn die Menschen doch nach der Aussage Jesu dort wie die Engel leben? Was ist der Mensch ohne Leib? Leben wir im Himmel ohne unser Ich? Bringt die Zukunft im Tod den endgültigen Abschied von dem, was wir hier Schönheit nannten?

Zunächst einmal: Die Bibel weiß nichts von einem geistigen Himmel oder von lieblosen oder ichlosen Menschen, die in einen Kollektivhimmel eingesperrt oder in eine Kollektivseele eingesenktwerden. Ewigkeit (oder Reich Gottes) ist nicht das “abstrakte Nichts”, sondern das Gegenteil davon. Das Gegenteil von Nichts heißt Schöpfung und Leben. Christus hat den Kranken und Elenden nicht gesagt, daß sie sich leidend mit der Misere des Daseins abfinden sollten, weil das Leben ja doch keinen Sinn habe, sondern er hat sie für das Leben gesund gemacht.

Ewiges Leben bedeutet ja nicht Leben der Seele ohne Leib. Zwar wird der Mensch durch den Tod von seinem zwiespältigen, kranken, der Verwesung anheimfallenden Leib erlöst. (Röm.7,24: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?) Aber nicht so, daß die Seele leiblos weiterlebt. Der Christ wird nicht vom Leib erlöst, sondern der Leib selbst wird erlöst: “Wir warten auf unseres Leibes Erlösung” (Röm.8,23). Der Mensch wird nach der Auferstehung weiterleben in einer erlösten neuen Leiblichkeit. Es wird gesät ein verweslicher Leib in Schwachheit und Unvollkommenheit, aber es wird auferstehen ein neuer, ein geistlicher, ein von der schöpferischen Geisteskraft Gottes vollendeter Leib (vgl. 1.Kor.15,42ff.).

Aber ist das Problem “Tod” für den Menschen heute überhaupt noch ein Problem? Haben wir nicht gerade in diesem Jahrhundert Beispiele einer geradezu lähmenden und überwältigenden Todesverachtung? Ich sehe dabei jetzt einmal von den massenhaften Beispielen der Todesverachtung während der letzten beiden Weltkriege ab. Auch heute, mitten im Frieden unserer Wohlstandsgesellschaft, kann man immer wieder hören, daß der Tod als eine “natürliche Sache” hingenommen wird. Man will “kein Aufhebens” vom Tode machen. Man will den Tod gar nicht verdrängen, sondern ist bereit, ihn als eine “normale Tatsache” zu akzeptieren.

Ich kenne viele Ärzte und Krankenschwestern, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit Todkranken von der Todesgleichgültigkeit ihrer Patienten oft überrascht wurden. Der Sterbeforscher Dr. Lothar Witzel meint aufgrund langjähriger Untersuchungen festgestellt zu haben, daß der Kranke viel leichter stirbt, als der gesunde Mensch meint. Von 110 Sterbenden, die Dr. Witzel befragte, gaben nur zwei an, daß sie Angst vor dem Tode hätten. Alle anderen standen dem Tod mehr oder weniger gefaßt, wenn nicht sogar gleichgültig gegenüber. Woran liegt das?

Ich meine, daß diese Todesverachtung darin ihre Ursache hat, daß dem Menschen irgendwo das Leben gleichgültig geworden ist. Ich wiederhole: Je weniger Liebe zum Leben,um soweniger Angst vor dem Tod.

Die Liebe zum Leben kann so sehr erkalten, daß der Lebenswille in Lebensverachtung umschlägt. Wir müssen heute mit der Möglichkeit steigender Lebensverachtun,g, also mit einem aggressiven Nihilismus, für die Zukunft rechnen. Uneingestandener Todestrieb, Lust am Untergang und an der Zerstörung sind heute schon unübersehbare Elemente unseres Lebens.

In den Sprüchen Salomos finden wir diese Erkenntnisse so ausgesprochen: “Wer aber an mir sündigt, der verletzt seine Seele. Alle, die mich hassen, lieben den Tod” (Spr.8,36). Also: Wer von Gott, dem Urquell des Lebens, getrennt ist, wer den Sinn, die Freude und die Schönheit des Daseins nicht mehr sieht, der will den Tod und verachtet das Leben.

G. R. Taylor berichtet in seinem “Selbstmordprogramm” von einem Brief, den Sherwood Anderson seinem Freund W. Frank schrieb:

“Ich kann mich an Geschichten in meiner frühen Jugend erinnern, die meinen Glauben bestärkten, daß früher ein tiefer halbreligiöser Einfluß die Menschen formte . .. und ich kann mich an alte Genossen in meiner Heimatstadt erinnern, die gerührt von einem Abend erzählten, den sie in den großen weiten Ebenen verbracht hatten. Das machte ihre Stimme ganz sanft; sie hatten den Reiz der Stille kennengelernt.” Dazu bringt Taylor das Urteil von Stewart Udall: “Ein halbes Jahrhundert darnach haben wir den Reiz der Stille vergessen und vollkommen verloren.”

Wir sehen nicht mehr, daß über der Welt der Abglanz Gottes liegt. Wir haben vergessen, daß Leben auf dieser Welt Schöpfung ist und in der Verantwortung vor Gott steht. Wir haben die Umwelt nicht nur verstümmelt und dabei verdrängt, daß die Welt und das Leben Gottes sind. Wir haben die Schönheit verloren, die Ehrfurcht vor der Welt ‑ damit aber auch die Ehrfurcht vor unserem eigenen Leben. Deswegen ist uns das Leben ‑ auch unser eigenes ‑ gleichgültig geworden. Also ‑ es mag sich paradox anhören, aber es ist die Wahrheit: Weil Zeitgenossen das Leben nicht mehr lieben, ist ihnen der Tod gleichgültig geworden, weil sie die Ehrfurcht vor der Schöpfung verloren haben, sagt ihnen die Ewigkeit nichts.

Die tödliche Gefahr für die Menschheit der Zukunft besteht darin, daß sie aufhört, das Leben zu lieben.

Weil Christen die Schöpfung und das Leben in dieser Schöpfung ehren, deswegen ist ihnen die Ewigkeit kein Nichts. Die Zukunft wird offenbar machen, daß Christen ‑ aller antichristlichen Propaganda zum Trotz ‑ in der Zukunft die einzigen Menschen sein werden, die das Leben lieben und deswegen die Ewigkeit erwarten.

“Wenn aber Christus, unser Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit”, schreibt der Apostel Paulus an die Kolosser (3,4).

Das wahre Leben scheint durch diese Welt hindurch, denn diese Welt zeigt auf Gott.
Aber das wahre Leben wird auch durch diese Welt verdeckt: Das Leben steht im Schatten der Dämonie.

Das wahre Leben ist nicht offenbar. Aber es wird offenbar, wenn Christus wiederkommt am Ende der Zeit. Er selbst wird dann die Fülle des Lebens darstellen, die wir auf dieser Erde vergebens gesucht, die wir wohl geahnt, nach der wir uns gesehnt, aber die wir nicht gefunden haben.

Wenn Christus wiederkommt, wird offenbar  werden, was eigentlich unser eigenes Leben ist. Da wurden viele Ziele gesetzt, da wurden im Leben viele Türen aufgemacht, da wurden viele Lebensphasen durchschritten, viele Hoffnungen und Erwartungen gehegt ‑ aber jedesmal war das, was wir hinter den vielen Türen, die wir aufmachten, fanden, nicht das, was wir in unserem Herzen gesucht haben.

Wenn Christus wiederkommt, dann wird das wahre Leben offenbar. Dann wird aber auch ‑ und das ist der entscheidende Sinn dieser Worte des Apostels Paulus ‑ unser eigenes Leben offenbar, dann werden wir erkennen, wer wir eigentlich sind. Wir werden offenbar werden, wir werden nicht ausgelöscht, sondern wir werden uns selbst finden. Wir werden zu uns selbst befreit werden.

Ewigkeit ist dann nicht langweilige Ewigkeit, Auslöschung unseres Ichs, unserer Personalität ‑ im Gegenteil, die Ewigkeit bringt das eigentliche Leben, denn in Ihm ist der Weg und die Wahrheit und das Leben (Joh.14,6).

 

6. Kapitel

Der Glaube behält recht für die Zukunft

Auf welches Ziel hin leben?

Ein Forschungsteam der berühmten Yale‑Universität in Amerika hatte sich unter der Leitung des Star‑Psychologen Daniel Levinson mit einem heiklen, aber auch sehr praktischen Problem zu beschäftigen: Es ging um die Lebenskrise der Männer in den vierziger Jahren. Ausgangstatsache war und ist: Menschen geraten auf dem Höhepunkt ihres Lebens in eine Krise, die sie aus der Bahn werfen kann. Ungezählte Menschen um die vierzig schleppen eine Last mit sich herum: Diese Last heißt Sinnlosigkeit. Da gibt es keine Antwort auf die Frage: Warum eigentlich noch weiterleben?

Folgende Verhaltensweisen wurden bei Männern in den Vierzigern festgestellt, die mit den Krisenjahren ihres Lebens nicht fertig wurden, weil sie an der Sinnfrage zerbrachen: Sie wurden Alkoholiker, begingen Ehebruch, trugen sich öfter mit dem Gedanken des Selbstmordes, lebten in einer Art Ausbruchspanik, das heißt, sie wollten aus Familie und Beruf ausbrechen, sie neigten zu Depressionen und Antriebsschwäche, wurden rührselig, wenn sie an die Vergangenheit dachten, die sie zumeist in unrealistischer Weise verherrlichten. Die Angst vor Krankheit und Tod wuchs. Sie litten unter dem Bewußtsein der Grenze ihrer körperlichen Leistung, wobei sie sich allerdings ihre Leistungsschwäche oft mehr einredeten, als daß sie wirklich vorhanden war. Warum ist das so?

Mit Vierzig muß man einsehen, daß vieles von dem, was man einmal verwirklichen wollte, nicht erreicht wurde und auch nicht mehr erreicht werden kann. Auf dem Höhepunkt seines Lebens sieht man die Grenze seiner Möglichkeit.

Der Vierziger als Erfolgsmensch hat vielleicht nicht nur viele Zielvorstellungen, die er in seiner Jugend einmal hatte, erreicht, sondern sie sogar überboten. Aber dieses erreichte Ziel hat nicht das Glück gebracht, das er sich vorgestellt hatte. Was man erreicht undd erkämpft hatte, ist bedeutungslos geworden. Über den Mereedes 280 kann man sich nicht mehr freuen wie über den Motorroller, den man sich mit achtzehn angeschafft hatte. Wieder andere sehen, was andere erreicht haben, was sie selbst nicht schaffen konnten; sie werden neidisch, fühlen sich vom Schicksal übergangen, hadern mit Gott oder dem Schicksal und neigen zu Aggressionen gegenüber ihren Mitmenschen.

Wir sind heute in unserer westlichen Zivilisation bedroht von der Glaubens‑ und Vertrauenskrise einer großen Heerschar der Vierzigjährigen, die sich für nichts mehr engagieren, weil sie nichts mehr glauben. Hier liegt die Hauptursache für die Katastrophe des Generationsproblems: Die “Alten” haben der “Jugend” nichts mehr zu sagen, weil sie nicht wissen, was sie sich selbst sagen sollen.

Ich halte es nicht für nützlich, auf die Vorschläge des Yale‑Teams angesichts dieser Misere einzugehen. Was die Psychologen im einzelnen vorschlagen, ist letzten Endes eine Art Kindergarten‑Beschäftigungs‑Strategie für Erwachsene ‑ zweifellos in mancherlei Hinsicht nützlich und praktisch, aber letztlich nicht an die Wurzel des Problems heranreichend. Vom Standpunkt des christlichen Glaubens sehen wir den Kern des Probleras in der Sinnkrise, die nur aus der Wiedergeburt des Glaubens geheilt werden kann.

Dabei müßten wir vorab folgendes bedenken: Eigentlich lebt heute noch gar kein Mensch so richtig ohne den Glauben an Gott und damit ohne Hoffnung. Um es einmal ganz primitiv auszudrücken: Ein jeder Durchschnittsmensch meint doch, daß da noch “irgendwie etwas ist” und kommt, daß da “irgendwie ein göttliches Wesen regiert”, das noch irgendwie eine glückliche Überraschung bereithält.

Aber auch diese Glaubensreste verkümmern. Sie sind nur noch die letzten Strahlen einer bereits untergegangenen Sonne. Diese Halb‑Traditionen halten den Herausforderungen der Zukunft nicht mehr stand. Es kommt die Wüste. Der moderne Mensch wird zum Wüstenmenschen, der in der Sinnlehre herumirrt und kein Ziel mehr sieht.

Keine Kultur, keine Gesellschaft kann ohne ein Ziel leben. Kein Mensch kann ohne ein Ziel leben, wobei zunächst einmal ganz offen bleibt, ob das Ziel richtig oder falsch ist, ob es auf Täuschung beruht oder nicht. Wer ohne Ziel marschiert, wird müde. Für Menschen gilt, was für Kulturen auch gilt: Ziellos verrecken sie am Rande der Bahn des Lebens. Nur die, die gesund werden wollten, hat Christus geheilt. Nur die, die Gott suchen, werden ihn finden. Ziellosigkeit ist eine Krankheit.

Diese Krankheit der Ziellosigkeit nennt der Kommunist Martin Walser in seinem Roman nach dem Helden seines Erzählungsstoffes “die gallistische Krankheit” (1973). Die Zentralfigur dieses Romans ist ein Intellektueller, der an der Krankheit der Ziellosigkeit zugrunde zu gehen droht. Aber diese Krankheit ist nicht s e i n e Krankheit, sondern die Krankheit der ganzen Gesellschaft; er ist von ihr nur angesteckt. Es ist ‑ das will der Schriftsteller sagen ‑ ein System ohne Zukunft, in dem er lebt. Deswegen muß dieses System gesprengt und überwunden werden. Das geschieht dann durch die Partei ‑ die Kommunistische Partei, durch den Sprung in die Ideologie.

Viele junge Leute hören das gern. Die Zukunft wird die Suche nach dem Ziel wie eine Sucht aufbrechen1assen. Verführer aller Art werden es leicht haben, wenn sie nur ein Ziel anbieten können. Weil wir Gott nicht wollen, werden wir Abgötter verlangen­ so wie einst das Volk Israel auf der Wüstenwanderung von Aaron forderte: “Mache uns Götter, die vor uns hergehen!” (2.Mose32,1.) In unserer Sprache ‑ und es ist schon die Sprache der jungen Generation, die in Trotzkisten, Maoisten, Leninisten usw. nach Göttern sucht heißt es: Gebt uns Ideologien, die vor uns herziehen, denn wir wollen wissen, warum wir für die Zukunft leben!

Aber es gibt auch eine Ehrlichkeit, die bereit ist, hinter die Kulissen der Götter zu sehen. Vitezslav Gardavsky, ein tschechischer Kommunist, hat in seinem 1961 erschienenen Buch mit dem furchtbaren Titel “Gott ist nicht ganz tot ‑ ein Marxist über Religion und Atheismus“ zugegeben, daß Kommunismus auch nur ein “Glaube” ist: Es ist nicht sicher, ob er das “gegenwärtige Stadium eines fürchterlichen Provisoriums überleben wird; deshalb ist auch die Aussicht auf den Kommunismus nicht absolut sicher . . . Sicherheit schlechthin besitzen wir nicht”. – Es gibt keine Garantie, so meint er weiter, sondern nur die “Sehnsucht nach etwas, das dem Menschen die Möglichkeit gäbe, über sich hinauszugreifen … die Leidenschaft für ein überhöhtes Leben”.

Wir stehen als Christen mit dem Hut in der Hand vor allen, die für eine bessere Welt, “für ein erhöhtes Leben” kämpfen. Auch wir kämpfen für eine bessere Welt ‑ aber ohne von einer besseren Welt zu träumen. Wir gehen unseren Weg in die Zukunft ‑ aber wir folgen keinen Abgöttern.

Der entschiedene Christ und Philosoph Pascal, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts seine Bekehrung zu Christus erlebte, schrieb einmal, “daß uns nichts zu trösten vermag, wenn wir genau darüber nachdenken”. Damit meint er doch: Vor der Rückhaltlosigkeit unseres Nachdenkens lösen sich abgöttische Träumereien von der Zukunft in Nichts auf. Und deswegen fliehen wir vor dem Nachdenken in die Zerstreuung der Arbeit, in die politische oder religiöse Aktion, in die Zerstreuung des Vergnügens. “… So fand ich, daß alles Unglück der Menschen einem entstammt, nämlich, daß sie unfähig sind, in Ruhe in ihrem Zimmer zu bleiben.” ‑ Und wenn sie in Ruhe in ihrem Zimmer bleiben? Was geschieht dann? Pascal antwortet: “Dann spürt er ein Nichts, seine Verlassenheit, sein Ungenügen, seine Abhängigkeit, seine Unmacht, seine Leere und die Düsternis, die Trauer, den Verdruß, die Verzweiflung.”

Anders geht der Christ in die Zukunft. Er weiß, daß er hindurch muß durch Trübsal. Aber weil es Trübsal gibt, gibt es Erfahrung, weil es Erfahrung gibt, gibt es Hoffnung und Geduld. Das sind Tugenden, ohne die wir die Zukunft nicht durchstehen werden. Die Trübsale, Herausforderungen und Ängste können uns aber deswegen nicht erschrecken, weil wir im Blick auf Christus wissen, daß der Weg in die Zukunft durch Leid zur Auferstehung geht.

Nur der christliche Glaube kann beides miteinander verbinden: Den härtesten Realismus und das großartige Ziel der Erlösung. Deswegen kann der Apostel Paulus sagen: “Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert?” (Röm.8,35.) Er gibt die Antwort: “Wir überwinden durch den, der uns geliebt hat” (Röm.8,37).

Das Vertrauen in die Zukunft ist nicht abhängig von der Bestätigung durch Erfolge in dieser Welt, denn dieses Vertrauen, das der Christ zu Gott hat, überwindet die Welt und wirkt über die Welt hinaus, trägt die Christengemeinde durch den Untergang der Welt hindurch. Der Christ hat ein Ziel, das über diese Welt hinausgeht ‑ deswegen kann er durch die Welt nicht enttäuscht werden. Dieses Vertrauen in die Zukunft wirkt für die Welt, aber verliert sich nicht an die Welt, weil das Ziel dieses Vertrauens mehr ist als die Welt.

Auch im Glauben unterwegs bleiben

Von dem Mann Abraham sagt der Apostel Paulus im Brief an die Römer: “Und er hat geglaubt auf Hoffnung, da nichts zu hoffen war …” (4,18.) “Denn er zweifelte nicht durch Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern ward stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wußte aufs allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun” (4,20.21).

Wie stand es mit diesem Mann Abraham? Abraham war durch Gott in Bewegung gesetzt worden. Chaldäa hatte er verlassen, um in ein neues Land und in eine neue Zukunft zu gehen. Wenn man so will, kann man sagen, daß mit Abraham die Vorgeschichte der christlichen Gemeinde begann. In und mit Abraham wird das Gottesvolk ausgewählt.

Es war eine große Verheißung am Anfang.

Abraham ging seinen Weg. Aber eines Tages mußte er erkennen, daß er ohne Nachkommen bleiben würde. Es kam die Zeit des Alterns, des “Sterbens” seines Leibes, und es schien, als ob alle Hoffnung vergebens war. Es gab kein Zeichen dafür, daß das mit ihm Begonnene weitergehen würde. Ob Abraham damals in eine Krise seines Glaubens geriet, ob er sich wohl fragte, ob sein Vertrauen auf Gottes Zukunft berechtigt war?

Da kam ihm, dem alten Mann und seiner alten Frau, noch einmal die Verheißung, daß sie einen Sohn haben sollten. Es war ein unsinniges Versprechen, offensichtlich wider die Logik der Natur. Es wurde einem Hoffnung gemacht, “da doch nichts mehr zu hoffen war”. Aber Abraham glaubte an die Verheißung, und es wurde ihm ein Sohn geschenkt. Er bekam den Namen Isaak. Die Geschichte des Gottesvolkes konnte weitergehen.

Merkwürdig: Die Geschichte des Gottesvolkes hat Kurven. Da gibt es keine direkten Wege zum Triumpf. Im Gegenteil: Der Weg geht durch Herausforderung, Heimsuchung und Bewährung. Die Wege Gottes mit seiner Gemeinde sind nur zu oft ein Hohn für alles, was Vernünftigkeit heißt. Der Weg dieser Gemeinde wird nicht begriffen, sondern geglaubt. Daß Gott recht behält für die Zukunft, kann man eigentlich zu keiner Zeit beweisen, sondern ‑ wohlgemerkt im Blick auf die Zukunft ‑ nur glauben.

Abraham glaubte an die Zukunft.

Was nun, wenn sich dieser Glaube an die Zukunft, sagen wir: an die Ankunft Gottes ‑ nach unserer Meinung ‑ in unserem Leben nicht erfüllt?

Gibt es ein “ergebnisloses” Glauben und ein fruchtloses Hoffen? Kann der Glaube enttäuscht werden?

Auf dem Kirchentag 1969 in Stuttgart fiel mir ein etwa zwanzigjähriger Student auf, der bei den zahlreichen Debatten über Fragen des Glaubens manchmal in fast bösartiger Weise gegen den christlichen Glauben, insbesondere gegen die Positionen der sogenannten “rechtgläubigen Christen”, polemisierte. Aus der Begründung seiner Aussagen und einem kurzen persönlichen Zwischengespräch ergab sich folgendes Bild über die Vorgeschichte seiner in jenen Tagen offenbar werdenden Aggressivität:

Als Schüler war er ein gläubiger Christ. Er hatte sogar in einer kirchlichen Gemeinde die Jugendarbeit geleitet und dann einige Semester Theologie studiert. Sein Berufsziel war Pfarrer. Während des Studiums kam dann ‑ wen sollte es wundern ‑ der Zusammenbruch seines Glaubens. Dies geschah nicht nur ‑ wie er selbst immer wieder ausdrücklich versicherte ‑ wegen der an deutschen Fakultäten herrschenden Normaltheologie, die sich für gläubige Christen zumeist destruktiv auswirkt. Das alles hätte ihn “mehr oder weniger kalt gelassen”, meinte er. In ihm hatte sich etwas ganz anderes abgespielt. Als er eines Morgens aufwachte ‑ so schilderte er es selbst ‑ war sein Glaube plötzlich “wie weggeblasen”. Ganz unvermittelt, ohne Kampf oder “geistliches Ringen” war “alles weg”. Als er dann am Vormittag über dieses Ereignis nachdachte, war er weder traurig noch besonders erleichtert ‑ nur eines war ihm gewiß: Was er vorher als Christ geglaubt hatte, erschien ihm nachträglich als ein “Theater seiner Seele”.

Auf die Frage, warum das alles Krampf und Theater gewesen sei, antwortete er sinngemäß etwa so: Heute weiß ich, daß der Glaube mich nicht anders gemacht hat. Obwohl ich glaubte, blieb ich im Wesen der alte Mensch, der ich vorher auch war. Ich hatte gehofft und erwartet, ein neuer Mensch, also wiedergeboren, zu werden, aber davon ist in Wirklichkeit nie etwas geworden. Das neue Leben, von dem ich selbst zu anderen oft sprach, habe ich mir eigentlich immer nur vorgespielt ‑ in Wirklichkeit ist es nie bei mir angekommen. Auch Gebete, viele Gebete, haben sich nicht erfüllt. Dann habe ich mich mit meinen Brüdern und Schwestern “beschäftigt” und nur zu oft die Frage gestellt: Glauben die das wirklich? Leben die wirklich ihrem Glauben? Und dann sah ich hinter die Kulissen. Bei vielen Versammlungen, Diskussionen, Zusammenkünften und im privaten Beisammensein entdeckte ich so viel an abgründigem Egoismus, so viel “strategische Frömmigkeit”, daß ich mich immer wieder fragte: Wo ist eigentlich das “spezifisch Christliche” an diesen Menschen zu entdecken? Und manchmal ertappte ich mich dabei, daß ich viel lieber mit “heidnischen” als mit christlichen Studenten zusammen war.

Wie sollen wir diesen Vorgang in der Seele dieses jungen Menschen beurteilen? Der Glaube hatte diesen Mann offensichtlich enttäuscht. Aus dieser Enttäuschung wuchs nicht nur Bitterkeit seiner christlichen Vergangenheit gegenüber, sondern vor allem auch Hader mit Gott, der ihn ‑ wie er meinte ‑ enttäuscht hatte, und auch Hader mit denen, die an diesen Gott glaubten. Dieser Hader konnte zu einer Art Haß auflodern, wenn er ‑ wie er sich ausdrückte ‑ “Glaubensprotze” sah. Gerade hinter solchen Menschen vermutete er Heuchelei und Theaterspiel, das er um jeden Preis entlarven wollte.

Und so, als der große Entlarver, trat er auch auf bei diesem Kir­chentag. Und je mehr Geduld oder Liebe man ihm entgegenbrachte, um so wütender wurde er angesichts der “strategischen Theaterfrömmigkeit” der frommen Brüder.

Man kann nicht jedes Scheitern im Glauben darauf zurückführen, daß im Blick auf die christliche Verkündigung dieses oder jenes nicht recht verstanden ist. Viele sind auserwählt, aber wenige sind berufen. Das Nein zu der Christuswahrheit wird uns oft ein Rätsel bleiben. Dieses Rätsel wird nur Gott selbst deuten und erklären können.

Aber im Blick auf das Schicksal dieses jungen Mannes vom Kirchentag möchte ich doch meinen, daß man das Kernproblem erkennen kann. Hier hat ein Mensch eben nicht geglaubt und gehofft, wie Abraham geglaubt und gehofft hat. Er ist nicht wie Abraham in die Zukunft gegangen ohne Garantie, sein Glaube war nicht bedingungslos. Er war nicht bereit, auch im Glauben unterwegs zu bleiben; er war nicht bereit, die heilsgeschichtlichen Kurven zu nehmen, durch die Gott den Menschen auf seinem Glaubensweg hindurchführt. Er meinte, geradewegs auf das Ziel losmarschieren zu können, das er sich vorgestellt hatte. Aber solch einen Weg gibt der Glaube nicht. Glaube ist unterwegs, er ist unterwegs in der Bewährung, in der Geduld, in der Hoffnung, im Leiden, im Kreuz. Nur auf diesem Wege des Kreuzes gibt es die Auferstehung.

Das bedeutet, daß viele Wünsche und Hoffnungen, die wir gerade als Glaubende haben, für ganze Strecken unseres Lebens unerfüllt bleiben, ja daß sich vielleicht eine Hoffnung oder ein Wunsch nicht erfüllt, auch wenn wir meinen, daß er zu unserem Glaubensweg dazugehören müßte.

Wenn wir auf das Schicksal des Apostels Paulus sehen, dann können wir sagen, daß das Leben dieses Mannes sicherlich nicht ein Paradies ungestörter Gottseligkeit gewesen ist in dem Sinne, daß dieser Weg ohne Kurven, ohne Schwächen, ohne Versuchung, nur in der Kraftprotzigkeit “eines Glaubenshelden” verlaufen wäre.

Im 2. Brief an die Korinther läßt der Apostel Paulus in sein persönliches Leben hineinsehen. In diesem Brief spricht er auch von der Krankheit, die Gott, obwohl er ihn darum angefleht hatte, nicht von ihm nahm. Die Antwort, die der Apostel Paulus erhielt: “Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne” (2.Kor.12,9). Wer sich mit Gott einläßt, wird es lernen müssen, auf Ihn und nicht auf sich selbst zu vertrauen. Er wird es auch lernen müssen, viele Gedanken, Ideen und Pläne aufzugeben. Eines Tages wird er lernen müssen, daß es nichts gibt, dessen er sich rühmen könnte, weil es keine Krise und keine Schwachheit gibt, in der er nicht immer wieder seine Ohnmacht erlebt hätte und nur durch die Kraft Gottes vor dem Abgrund bewahrt worden wäre. Das ist auch der Sinn der Worte im Hebräerbrief: Es ist der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht” (Hebr.11,1).

Als Glaubende leben wir eben nicht im Schauen. Solange wir im Glauben auf dieser Erde leben, solange wir noch nicht eingegangen sind in die Herrlichkeit des Reiches Gottes, sind wir unterwegs und bleiben wir unterwegs. Niemals ist der Glaube ein sicherer Besitz, auf dem wir so ausruhen könnten, als wenn gar nichts mehr zwischen Gott und uns geschehen könnte. Ganz im Gegenteil: Der Glaube setzt uns auf einen Weg, auf dem sehr viel zwischen Gott und uns geschieht. Da gibt es immer neue Überraschungen, da gibt es immer neue Wendungen, Entdeckungen, Abgründe, Freuden, Schönheiten ‑ solange, bis wir durch den Tod hindurch zu Christus gekommen sind.

Immer wieder aber wird es auf diesem Wege des Glaubens darum gehen, daß wir wirklich aus Gott und nicht aus uns selbst leben. Wiedergeburt bedeutet, daß der alte sich selbst vertrauende Mensch stirbt und der neue, sich ganz Gott öffnende und von ihm lebende Mensch wiedergeboren wird.

“Leben ist die Anstrengung, auf Gott zu warten”, las ich unlängst in einem der wenigen lesbaren Andachtsbücher, die es gibt. In diesem Buch von Oswald Chambers (“Mein Außerstes für sein Höchstes”, 15. Aufl. 1968) heißt es dann weiter: “Gott nimmt die Heiligen wie einen Bogen, den er spannt; und wenn er einen gewissen Grad erreicht hat, sagen wir: Mehr kann ich nicht aushalten. Doch Gott fährt mit dem Spannen fort. Er richtet sich nicht nach unserem Maßstab, sondern nach dem seinigen. Die Heiligen müssen solange in der Geduld bestehen, bis er den Pfeil in gerader Richtung auf sein Ziel losfliegen läßt.”

Wir können gewiß sein: Der Bogen wird gespannt werden. Aber wir können auch gewiß sein, dass der Pfeil fliegen wird. Die Gemeinde Christi geht in die große Herausforderung, aber auch in die große Kraft. Es ist gewaltig, im Glauben zu erkennen, wie unbeirrbar Gott den Weg geht, den er durch die Propheten, durch Christus und die Apostel verheißen hat. Dieser Glaube an dieses Wort macht uns sehend, läßt uns die Zeichen der Zeit deuten, macht uns unbeirrbar, weil wir wissen, daß die Zukunft der Welt und die Zukunft unseres eigenen Lebens die Zukunft Gottes ist.

Nachwort

Dieses Buch möchte in allgemeinverständlicher Form die Wiederkunft Jesu Christi bezeugen. Es geht mir dabei einmal um Information über die wesentlichsten Aussagen der Bibel im Blick auf das Ende der Welt. Dann aber möchte ich seelsorgerlich jenen helfen, die mit dieser Botschaft noch nicht hinreichend vertraut sind und ihren Sinn noch nicht erfaßt haben. Da ich beim Schreiben dieses Buches auch an die Randsiedler, Angefochtenen und Suchenden dachte, habe ich auf jeden Fall allgemeinverständlich schreiben wollen und alle theologischen “Spezialprobleme” bewußt ausgelassen. Vor allen Dingen aber ging es mir auch darum, die endzeitlichen Aussagen der Bibel in eine Beziehung zu setzen zu dem, was sich heute in unserer Zeit abspielt und was wir mit Sicherheit für die Zukunft zu erwarten haben. Die christliche Gemeinde darf der Konfrontation mit der modernen Welt nicht ausweichen, damit sie gerüstet ist für die Herausforderung der Zukunft.

Georg Huntemann

 

Weitere Beiträge zu diesem Thema auf meiner Webseite:

Die Zerstörung der Person  – von Prof. Huntemann
Der Aufstand der Schamlosen – von Prof. Huntemann
Klassenkampf zwischen Mann und Frau? – von Prof. Huntemann
Umsturz der Werte – von Prof. Huntemann
Jugendkriminalität – von Prof. Huntemann
Der Tag X  –  von Pfr. Dr. Kurt E. Koch
Der Antichrist –  von Dr. Kurt E. Koch
Untergang des Abendlandes – Dr. Dr. J. W. Ouweneel
Die Welt des Antichristen – Pfr. W. Borowsky
Das antichristliche Weltsystem – Bibellehrer Erich Sauer
Die Wiederkunft Jesu Christi – Dr. Rene Pache, Frankreich

info@horst-koch.de

www.horst-koch.de

 

 

 

 




Die Harry-Potter-Manie (R.Franzke)

 

Die Harry-Potter-Manie

Harmlose Fantasie oder gefährliche Magie ?

(von Prof. Dr. Reinhard Franzke)

 

Die weltweit organisierte Harry-Potter-Manie hat längst auch Deutschland erfasst. Millionen Kinder lesen “Harry Potter”. Sie feiern “Harry-Potter-Parties”, tragen Zauberumhänge, kaufen Zauberstäbe und andere Zauberutensilien. Eine ehemals arbeitslose Lehrerin revolutioniert die zivilisierte westliche Welt mit Romanen um einen Internatsschüler namens Harry Potter und einer weltweiten Auflage von etlichen Millionen Exemplaren. Das Besondere: Das Internat ist eine Zauberschule und Harry ist ein Zauberlehrling, der in die magischen und dunklen Künste eingeweiht wird.

Wie die Kinder sind auch die Medien “begeistert”: Die Harry-Potter-Romane seien wunderschöne Märchen, sie würden die Fantasie wecken, sie seien (angeblich) spannend und lehrreich, sie würden zum Lesen animieren und das Selbstbewusstsein der Kinder fördern, die Kinder würden lernen, auf die eigenen Kräfte zu vertrauen und sich trotz widriger Umstände zu behaupten. Wissenschaftler und Pädagogen empfehlen die Harry-Potter-Lektüre, und die Autorin – inzwischen Mehrfachmillionärin – erhielt den Ehrendoktor für Literaturwissenschaften.

Nach einer Pressemitteilung hat der saarländische Kultusminister (CDU) angeordnet, dass die Harry-Potter-Romane im Englisch-Unterricht gelesen werden sollen. Das heißt, nun sollen unsere Kinder auch im Unterricht öffentlicher Pflichtschulen in die Welt des Harry Potter eingeführt werden. Was aber ist die Welt des Harry Potter, in die unsere Kinder eingeführt werden sollen ? Welche Fantasien und Gedanken sollen unsere Kinder beherrschen ?

 

Die Welt des Harry Potter

a) Die Welt der Magie und der übernatürlichen Phänomene

Die Welt des Harry Potter ist die Welt der Magie, Hexerei und Zauberei. Es gibt magische Gestalten, magische Gegenstände und Hilfsmittel, magische Rituale und magische Schulfächer. Die Welt des Harry Potter ist die Welt der magischen und über-natürlichen Phänomene: Dinge werden unsichtbar, Gegenstände und Personen können schweben, Personen verwandeln sich in andere Menschen oder Tiere und umgekehrt, Gegenstände können sprechen, Wände und Türen öffnen sich, Menschen sprechen mit Tieren bzw. Schlangen.

In der Welt des Harry Potter gibt es den Schwebe-, den Gedächtnis-, den Verwandlungs-, Entwaffnungs-, Erstarrungs- und den Heilungszauber. Zu den Zauberkünsten gehören das Aufblasen von Menschen (!), das Bannen und Verfluchen, die Einleitung der Trance, das Löschen von Erinnerungen (!), das Unsichtbarmachen, die körperliche Verwandlung, die Wahrsagerei, das Anfertigen von Zaubertränken, das Töten mit Hilfe nichtnachweisbarer Gifte, die “schwarze Magie”, die “Verteidigung gegen die dunklen Künste” und schließlich “die Entfesselung des Schreckens” (2. Band/158).

b) Die Welt der Ekeltiere und Horrorwesen

Gottes Schöpfung umfasst schöne und niedliche Tiere sowie Ekeltiere, sinnlich wahrnehmbare und unsichtbare Wesen. Die Welt des Harry Potter, in die unsere Kinder eingeführt werden sollen, ist die Welt der Ekeltiere und Horrorwesen: Zu den natürlichen Ekeltieren gehören Schlangen, Ratten, Fledermäuse, Blutegel, Kröten, Schnecken, Flubberwürmer usw. Zu den Horrorwesen gehören

Feen, Elfen, Gnome, Trolle, Kobolde, Zwerge, Wichtel
Vampire und Werwölfe
Geister, durchscheinende Geister, Wassergeister, Poltergeister
Drachen und Riesen-Monster
einbeinige Hinkepanke, Kappas, schuppige Affen, dreiköpfige Hunde, Riesenspinnen und Riesenschlangen
“monströse Geschöpfe” (2/258), “kleine Biester” (2/106), “hässliche Scheusale” (3. Band/125), “schreckliche Dementoren”, die die Seelen aus-saugen und Menschen in Zombies verwandeln (3/91,193,196), ”übelgrüne Kreaturen” (3/161), “widerwärtige Geschöpfe” (2//82), “Horrorgestalten” ( 3/212).

Die Welt des Harry Potter ist eine Welt der permanenten Angst vor Angriffen von Zauberern und Horrorwesen, und das Leben ist ein ständiger Abwehrkampf.

c) Die Welt des Schreckens, des Horrors, des Ekels und der Angst

Die Welt des Harry Potter ist die Welt des Horrors, des Schreckens, des Grauens und der Angst. In dieser Welt gibt es u.a. folgende Erlebnisse und “Vergnügungen”:

Schnecken werden erbrochen
Froschgehirne werden verspritzt
Ekel erregender Gestank
Innereien mit Maden
Katzen, die am Schwanz aufgenagelt sind
Eingeweide, die außen sind
das Zerstampfen von Blutegeln
Augen groß wie Teller
Nasen groß wie Melonen
Hexen mit vielen Armen, die aus den Kopf wachsen
Zaubertränke mit Schlamm, Rattenschwänzen, Haaren, Spinnen
getrocknete Kakerlaken usw.

d) Die Welt der Geisteskrankheit und des Wahnsinns

Die Welt des Harry Potter ist die Welt der Geisteskrankheit und des Wahnsinns. Die Erlebnisse des Harry Potter gleichen den Schilderungen von Psychiatriepatienten, die von Psychiatern als bloße “Halluzinationen” abgetan werden. Aus schamanischer (und biblischer) Sicht gibt es diese Welt der Horrorwesen tatsächlich. Schamanische Reisen in die Unterwelt sind fast immer Begegnungen mit Horrorwesen (vgl. Harner, Montal, Oertli, Castaneda, Eliade, Franzke). Wie die Schamanen und viele Psychiatriepatienten hört Harry Potter Stimmen von unsichtbaren Wesen, die ihn ängstigen und nachdrücklich zum Töten (vgl. 2/126, 143, 150, 152, 218, 356) auffordern. Genau dies hört man immer wieder von Amokläufern, Triebtätern und Geisteskranken.

 

Wesen und Gefahren der Harry-Potter-Pädagogik

1. Die verordnete Harry-Potter-Pädagogik ist eine erste Einführung in die real existierenden religiösen Wahnvorstellungen der Magie und des Satanismus, in deren Grundideen und Grundbegriffe, in deren Lehren und Praktiken. Sie will wissenschaftlich-rationales Denken durch magisches Denken ersetzen und den Kindern erste magische Fähigkeiten und Techniken vermitteln. Die Literatur der Hexen, Magier und Satanisten sowie die Berichte von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen machen deutlich: Magie und Hexerei sind nicht bloße Fantasie; Magie und Hexerei sind ein real existierendes religiöses Wahnsystem, das funktioniert und unendlich viel Leid verursachen kann, vor allem deshalb, weil immer auch Blut- oder gar Menschen-opfer dargebracht werden müssen und weil Magie und Hexerei äußerst gefährlich, unter Umständen sogar lebensgefährlich sind und früher oder später körperlich und geistig schwer krank machen können (vgl. u.a. Butler; Ulrich; Parker/Parker; Budapest; Malanowsky/Köhle; Das Hexenbuch; Graichen).

In weiten Teilen Schwarzafrikas haben deshalb Millionen von Menschen panische Angst, dass sich Familienangehörige in Magie und Hexerei verstricken, weil sie aus leidvoller Erfahrung wissen, dass Hexen, Medizinmänner sowie deren Patienten Blut- oder gar Menschenopfer als Gegenleistung für Heilungs- oder Schadenszauber bringen müssen. Außerdem wird (mir) immer wieder berichtet, dass in Schwarzafrika die meisten Familien Angehörige durch Zauberei und Hexerei verloren haben. Vor allem schöne Frauen sind dort ein gern gesehenes Opfer der Hexenzirkel.

Das Horror- und Ekeltraining der Harry-Potter- Pädagogik ist fester Bestandteil des Satanismus, zu dem auch der rituelle Missbrauch und der rituelle Mord von Kindern und Frauen gehört (vgl. u.a. Grandt/Grandt; Warnke; Hauskeller). Es ist zu befürchten, dass in weiteren Folgebänden unseren Kindern auch die Bedeutung des Blutopfers nahe-gebracht wird.

2. Die Harry-Potter-Pädagogik hat antichristlichen und okkulten Charakter. Sie verstößt gegen den christlichen Glauben und das Wort Gottes. Die Harry-Potter-Pädagogik soll das innere oder geistige Auge öffnen, so z.B. durch Konfrontation mit den Bildern und Fantasien von Horrorwesen sowie mit Hilfe von Entspannung und der Abschaltung des Denkens (3/110, 309 f). Aus biblischer Sicht öffnet sich die Tür zum Reich der Finsternis.

Aus biblischer Sicht operieren und kooperieren Hexen und Magier mit den unsichtbaren Mächten der Finsternis, mit den bösen Geistern und Dämonen, die jede mögliche Gestalt annehmen und sich selbst als “Engel des Lichts” tarnen können. Das Wort Gottes verbietet Magie: Im Alten Testament heißt es: “…Niemand soll wahrsagen, zaubern, Geister beschwören oder Magie treiben. Keiner darf mit Beschwörungen Unheil abwenden, Totengeister befragen, die Zukunft vorhersagen oder mit Verstorbenen Verbindung suchen. Wer so etwas tut, ist dem Herrn zuwider.” (5 Mose 18, 9ff). Und im Neuen Testament steht geschrieben: “Furchtbar aber wird es denen ergehen, die… okkulte Praktiken ausüben….. sie alle werden in den See aus Feuer und Schwefel geworfen. Das ist der zweite Tod, der für immer von Gott trennt” (Offb 21,8; 22,15).

3. Die Harry-Potter-Pädagogik ist eine verwerfliche Form religiöser Indoktrination. Die Harry-Potter-Pädagogik verherrlicht die religiösen Lehren und Praktiken der Magie, die Magier und die Welt der Magie (vgl. 3/15). Gleichzeitig diskriminiert sie die Nicht-Magiegläubigen, die sog. Muggel: Ablehnung der Magie und Hexerei wird als “mittelalterliche Auffassung” diskreditiert (vgl. 3/5 f), was den Weg für eine Verfolgung der ablehnenden Christenheit bereiten kann. Die Welt des Harry Potter ist die Welt der Magie und der Magier; die Welt der Nichtmagier ist die fremde, unbekannte Welt. Die Nichtmagiegläubigen sind – vertreten durch Onkel und Tante – “abgrundtief böse Menschen” (vgl. 2/7 ff). Die große Vision der Harry-Potter-Pädagogik ist die “Harmonie” zwischen Magiern und Nichtmagiern (2/105), d.h. die weltweite Verbreitung und Akzeptanz der Magie und Hexerei, die Umkehrung der mittelalterlichen Verhältnisse.

Die Harry-Potter-Pädagogik soll Deutschland in vorchristliche Zeiten bzw. zurück ins Mittelalter führen, in der Hexerei und Zauberei eine bedeutende Rolle gespielt haben – jedoch mit gravierenden Unterschieden: Im Mittelalter wurden Magie und Hexerei verurteilt; im “Neuen Zeitalter” (New Age) sollen Magie, Hexerei und Zauberei (auch bei den christlichen Kirchen) gesellschaftlich anerkannt sein. Im Mittelalter sowie in anderen Kulturen haben sich immer nur einige wenige geächtete Außenseiter der Gesellschaft mit Magie und Hexerei befasst, in Deutschland sollen nunmehr alle Kinder und Jugendlichen in die Geheimnisse der Magie und der Hexerei eingeführt werden. Zu dieser neuen Pädagogik gehören auch das beliebte Hexen-, Grusel- und Ekeltraining, die sog. Stilleübungen und Fantasiereisen sowie viele andere esoterische und okkulte Praktiken in den Grundschulen.

Schlimmer noch: Das angebrochene Zeitalter ist das Zeitalter der Magie. Im Zeitalter der Magie müssen alle Menschen in die Lehren und Praktiken der Magie eingeführt und eingeweiht werden, niemand darf sich der neuen Pädagogik entziehen. Da verstehen Lehrer und Behörden keinen Spaß, da endet jede Toleranz. Kinder, die die Lektüre von Harry Potter oder von “Krabat” von O. Preußler (ebenfalls eine Einführung in Magie und satanistische Praktiken) aus Glaubens- und Gewissensgründen verweigern, werden von den “modernen Lehrern” für seelisch krank und therapiebedürftig erklärt – und damit übel diskriminiert.

Kinder, die aus Ländern und Kulturen kommen, die die Magie konsequent ablehnen und in den letzten Jahrzehnten gerade erst durch das Wirken vieler Hundert christlicher Missionare und Evangelisten von der Magie zum Christentum bekehrt wurden, werden nunmehr im Unterricht deutscher Pflicht-schulen gezwungen, sich mit den Lehren und Praktiken der Magie und Hexerei zu befassen. In den meisten Ländern Schwarzafrikas würden Lehrer, die den Kindern Magie beibringen, von den Eltern aus den Schulen gejagt und/oder von den Behörden umgehend entlassen. In Deutschland werden dagegen die Kritiker dieser unheilvollen Entwicklung angegriffen und unter Druck gesetzt.

4. Die Harry-Potter-Pädagogik ist verfassungswidrig. Sie verstößt gegen die Pflicht des Staates zur weltanschaulich–religiösen Neutralität. Wenn schon der bloße Anblick des Kruzifixes und/oder des Kopftuches (einer Muslimin) gegen das Grundgesetz verstößt, dann erst Recht das intensive Studium magischer Lektüre im Unterricht staatlicher Pflichtschulen.

5. Die Harry-Potter-Pädagogik ist eine Einführung in die Psychologie des Bösen. Die Psychologie des Schreckens, des Grauens, des Ekels und der Angst ist die Psychologie des Teufels und der Teufels-anbeter. Das Ekeltraining sowie Schrecken und Grauen sind fester Bestandteil diverser magischer und okkulter Systeme, so z.B. des Satanismus (vgl. u.a. Grandt/Grandt; Warnke; Hauskeller; Lukas), des Nationalsozialismus und Neonazismus, des Kommunismus, Stalinismus und Maoismus, des tibetischen Tantrismus (vgl. Trimondi/Trimondi) sowie vieler anderer magischer und geheimer Kulte.

Gott hatte dem Menschen ein Paradies geschaffen, eine Welt ohne Leid, Krankheit, Alter, Not und Tod, eine Welt ohne Angst und Schrecken. Gottes Widersacher will das gerade Gegenteil: Er kommt nur, um zu stehlen, zu zerstören und zu töten (Joh. 10,10) – den (inneren) Frieden, die Gesundheit, die Freude, die Liebe usw. Die Welt des göttlichen Widersachers ist die Welt des Horrors und der Horrorwesen, deren bloßer Anblick fürchterliche Ängste und Qualen bereitet.

Die Konfrontation mit Ekeltieren, Horrorwesen und Horrorszenen ist eine brutale Misshandlung kindlicher Seelen. Die zahlreichen Horrorszenen verletzen und vergewaltigen die Seelen unserer Kinder; die Bilder des Schreckens, des Grauens und des Ekels quälen und ängstigen die normale menschliche Seele. Sie werden sensible Kinder seelisch krank machen und geistig verwirren, sie werden Depressionen und Alpträume verursachen und die Lern- und Leistungsfähigkeit unserer Schüler beeinträchtigen, und sie werden dazu beitragen, menschliche Regungen wie Mitleid und Mitgefühl und das menschliche Gewissen abzutöten und die Bereitschaft zu sadistischen Gewalttaten zu fördern.

Während die Politik Hass und Gewalt gegen Ausländer und Dunkelhäutige durch demonstrative Massenaufmärsche entgegentreten möchte, bewirkt die Harry-Potter-Lektüre das gerade Gegenteil: Sie ist geeignet, die kindliche Seele an das Böse, Ekelhafte und Grauenhafte zu gewöhnen und die Gewaltbereitschaft und den Hass zu fördern.

Die normale menschliche Reaktion auf Schrecken, Grauen und Ekel ist Ablehnung oder Flucht. Die Tatsache, dass Millionen von Kindern nach den Harry-Potter-Romanen geradezu süchtig sind, zeigt, wie weit verbreitet der Geist der Magie und Hexerei ist. Wenn die Medien, die Meinungsführer, die Wissenschaftler und die Pädagogen von “hübschen Märchen”, “herrlichen Fantasien”, “Hokuspokus” und harmlosen “Lachnummern” sprechen und die Kinder von der Lektüre “begeistert” sind, dann zeigt sich, wie kalt und wie abgestumpft die Seelen unserer Mitmenschen und Kinder bereits sind. Ich selbst musste mich bei der Lektüre mehrmals heftig erbrechen. Deshalb weigere ich mich, weitere Bände zu lesen, weitere Details zur Kenntnis zu nehmen oder wiederzugeben!

Von Bedeutung ist ohnehin nur noch die Frage, wieweit die Einführung in satanistische Praktiken getrieben wird und wie die “deutsche Kultur” und Pädagogik auf die Verbreitung und Verherrlichung der Magie und des Satanismus reagiert.

Die Harry-Potter-Romane werden in der Tat die Fantasie der Kinder anregen; sie werden den Kindern die Grundvorstellungen magischen Denkens sowie erste magische Fähigkeiten und Praktiken vermitteln. Die Harry-Potter-Manie wird Deutschland grundlegend verändern: Sie wird dazu bei-tragen, die letzten Reste und Werte des christlich geprägten Abendlandes – die Ablehnung der Magie – zu beseitigen und – in Verbindung mit vielen anderen Entwicklungen (so z.B. der Ausbreitung der Esoterik und des New Age) – das Zeitalter der Magie einzuleiten. In diesem Zeitalter wird es keine Toleranz für “Muggel” geben: “Muggel”, die die Magie ablehnen, sind “böse” und die Feinde der (herrschenden) Hexen und Magier.

Die Folgen für Deutschland werden verheerend sein: Christen, die die Magie ablehnen und vor ihrer Ausbreitung warnen, werden diskriminiert und verfolgt werden. Immer mehr Menschen werden seelisch krank und geistig verwirrt, die Zahl der Einweisungen in die Psychiatrie explodiert, die Beiträge zu den Krankenversicherungen werden weiter drastisch steigen müssen, die Zahl der “unerklärlichen” Morde, Selbstmorde und Amokläufe wird zunehmen. Die Liebe in den Herzen wird erkalten, und der Hass und die Gewaltbereitschaft werden wachsen. Die Abwendung vom biblisch bezeugten Gott und die gleichzeitige Hinwendung zur Magie und zur Hexerei wird auf Deutschland einen göttlichen Fluch legen und Deutschland (und die Länder, die das Gleiche tun) gerichtsreif machen; die Verbreitung magischer Praktiken wird den Wohlstand und das soziale Zusammenleben ruinieren (vgl. u.a. 5 Mose 28 ff).

Echte Christen müssen die Lektüre der Harry-Potter-Romane sowie aller vergleichbaren Bücher (wie z.B. die Romane eines O. Preußler) aus Glaubens- und Gewissensgründen entschieden ablehnen. Die verpflichtende Lektüre im Unterricht öffentlicher Schulen ist eine verwerfliche und grundgesetzwidrige Form der religiösen Indoktrination in die Lehren und Praktiken der Magie und der Hexerei. Magie und Hexerei sind nicht bloß Fantasie im Sinne von Einbildung, sondern ein real existierendes religiöses System (vgl. hierzu die einschlägige Hexenliteratur des deutschen und des englischen Sprachraumes). Magie und Hexerei verstoßen nicht nur gegen den christlichen Glauben und das Wort Gottes; sie sind auch äußerst schädlich für das körperliche, seelische und geistige Wohlbefinden. Im schlimmsten Fall kann die Verstrickung in Magie und Hexerei besessen machen und in den vorzeitigen Tod führen.

6. Die Medien (leider zum Teil auch “christliche” Medien) sind (wie immer) “begeistert” – über den Genre-Mix der Harry-Potter-Romane, ohne sich zu fragen wo, wann und wie die Autorin diese Fähigkeiten erworben hat. Ebenso wenig fragen sie danach, wie man in so kurzer Zeit so viele umfangreiche Romane schreiben und veröffentlichen kann. Unbeachtet bleibt auch der Hinweis, dass die Grundidee zu Harry Potter auf eine blitzartige Vision der Autorin während einer Bahn-fahrt zurückgeht (vgl. Reader` s Digest, Oktober 2000). In der Esoterik finden sich Hunderte von Büchern, die Lesern zeigen, wie sie im Wege der Intuition bildhafte Visionen und gedankliche Inspirationen von Geistwesen und Geistführern empfangen können. Verschwiegen wird auch, dass es sich bei den Harry-Potter-Romanen um äußerst schlechte und langweilige Literatur handelt, die ihren Erfolg einzig und allein dem weit verbreiteten “Geist der Magie” verdankt.

7. Die Ausbreitung von Magie, Hexerei und Zauberei ist kein Grund, Hexen, Magier und Zauberer zu verfolgen oder gar zu töten, wie dies im Mittelalter geschah. Zudem ist die Kirche des Mittelalters weit über das Ziel hinausgeschossen, indem Hunderttausende unschuldiger Frauen leichtfertig der Hexerei bezichtigt und auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Das alttestamentarische Tötungsgebot von Hexen (2. Mose 22,17) gilt nicht für die Zeit des Neuen Testaments (vgl. Bergpredigt). Die Verfolgung, Folterung und Verbrennung von (bekennenden) Hexen verstößt eindeutig gegen den christlichen Glauben und das Wort Gottes. Auf der anderen Seite verstößt aber auch das Einüben okkulter und magischer Praktiken eindeutig gegen den Willen Gottes (5 Mose 18,9 ff; Offb 21,8; 22,15).

Im Übrigen haben echte Gläubige, die wahren Kinder Gottes, magische Angriffe von dritter Seite nicht zu fürchten, weil sie unter dem Schutz Gottes stehen, während Ungläubige, die Zielscheibe magischer Angriffe sind, immer häufiger damit rechnen müssen, dass ihnen schlimmer Schaden zugefügt wird. Ihnen drohen “unerklärliche” Unglücke, Unfälle, Schicksalsschläge, Krankheiten und Todesfälle – das lehrt nicht nur die Harry-Potter-Lektüre! Ebenso schlimm ist der durch die Harry-Potter-Pädagogik geschürte Hass gegen Nichtmagier und die zu erwartende Diskriminierung und Verfolgung der gläubigen Christen.

8. Die Autorin, die in Interviews gewisse Sympathien für Magie und Satanismus andeutet, warnt davor, ihre Bücher Erst- oder Zweitklässlern zu geben, weil sie die dunklen Seiten der Zauberwelt noch nicht verkraften könnten. Deutsche Mütter sind dagegen weniger um ihre Kinder besorgt. Sie kaufen ihren Kindern die teuren Harry-Potter-Bücher und lesen sie ihnen auch noch vor, anstatt vor dieser Lektüre eindringlich zu warnen – aus christlich-biblischer Sicht ein krasser Verstoß gegen die Gebote Gottes, und zwar sowohl gegen das Gebot der Gottesliebe als auch gegen das Gebot der Nächstenliebe. Mütter, die ihre Kinder “liebevoll” in die Welt der Magie einführen, tun ihren Kindern nichts Gutes, sie fügen ihnen einen unkalkulierbaren Schaden zu. Christen aber sind aufgefordert, ihre Kinder zu lieben und vor Schaden zu bewahren!

Überflüssig zu erwähnen, dass Harry Potter und andere vergleichbare Bücher in keinen christlichen Haushalt und in keine christliche Buchhandlung gehören.

Gottes Wort warnt uns: “Seid nüchtern und wachsam; denn euer Gegenspieler, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann. Dem widersteht, indem ihr fest im Glauben an Jesus Christus gegründet seid!” (nach 1. Petrus 5,8).

Auszug aus:

Dr. Lothar Gassmann (Hrsg.), ESOTERIK ALS LEBENSHILFE? Die Wahrheit über Astrologie, Spiritismus, Magie und Zauberei, 94 Seiten, 4,90 Euro (erhältlich beim Herausgeber: Fax 07231-4244067, Email: LOGASS1@t-online.de, www.L-Gassmann.de )

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Glenn Becks falsche Ansichten (Mormonen)

 

Glenn Becks falsche Glaubensansichten

 

T.A. McMahon

Über Glenn Beck, Moderator von Fernseh- und Radiotalkshows, der für seine konservativen, politischen Ansichten wohlbekannt ist, würden wir normalerweise nicht in unserem Rundbrief schreiben. Unsere Sorgen betreffen üblicherweise Personen, Programme und Organisationen, die geistliche oder theologische Sichtweisen fördern, die dem Wort Gottes entgegenlaufen. Beck scheint sich in letzter Zeit in diesem Bereich zu tummeln und zieht viele bibelgläubige Christen an.

Sein Einfluss unter Evangelikalen ist eher seltsam und mag mehr über den Zustand des Evangelikalismus sagen als über Becks einnehmende Persönlichkeit. Seine Popularität ist Beweis, dass es nur geringes Unterscheidungsvermögen gibt, das darauf beruht, Dinge anhand der Schriften zu testen – teilweise eine Folge der Gemeindewachstumsbewegung. Marketingprinzipien sind zur Regel geworden und werden dazu benutzt, die Kirchen zu füllen. Biblische Lehren, die überführen, sind zugunsten von psychotherapeutischen Pseudopredigten beiseite gelegt worden – etwas, womit man die Leute mit guten Selbstwertgefühlen versieht und sie immer wieder kommen. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Trend das geistige Niveau in großen Teilen der Gemeinde gesenkt und in großem Ausmaß das Unterscheidungsvermögen beseitigt hat.

Jeder, der den Namen Jesu verkündet – selbst wenn sein Verständnis darüber, wer dieser ist, weit vom biblischen Jesus entfernt sein mag – wird dennoch als Bruder in Christus akzeptiert. Der Konservatismus, politisch oder anderweitig, wird als Leim geistlicher Gemeinschaft angesehen, und seine Charakteristika sind zu einem schriftgemäßen Status und einer Grundlage für Verwandtschaft geworden. Mir wurde gesagt, „Beck müsse ein Christ sein, weil bei ihm alles darum geht, unser Land zurück zu seinen christlichen Wurzeln zu bringen.“ Das ist in mindestens zwei Punkten falsch.

Erstens ist Glenn Beck Mitglied der Kirche von Jesus Christus der Heiligen der Letzten Tage. Er mag sich selbst als Christ bezeichnen, aber er ist bestimmt kein biblischer Christ. Der Unterschied ist so groß wie zwischen Hölle und Himmel: „Jeder, der abweicht und nicht in der Lehre des Christus bleibt, der hat Gott nicht“ (2 Johannes 1,9). Die mormonische Lehre ist „ein anderes Evangelium“, das „einen anderen Jesus“ verherrlicht. Beide falschen Glaubensansichten kamen aus dem getäuschten und täuschenden Kopf von Joseph Smith. Zweitens hat „unser Land“ keine „christlichen Wurzeln“, selbst wenn manche behaupten, unsere Gründungsväter seien echte Christen gewesen. Viele waren keine biblischen sondern nur Namenschristen, die dem Glauben des Deismus, der Freimaurerei und der Philosophie der Aufklärung folgten. Jeglicher frühe, biblische Einfluss in Amerikas Geschichte kam wahrscheinlich von den Pilgervätern und den Puritanern.

Da ich wenig Zeit am Fernsehen oder Radio verbringe, war ich mit Glenn Beck nicht vertraut, es sei denn dass ich ihn gelegentlich auf Fox News sehe. Ich fand seinen katholischen Hintergrund und seinen Übertritt zum Mormonentum ziemlich merkwürdig, wenn ich meine eigene katholische Erziehung und Jahre später meine Schreibarbeit für den Dokumentarfilm The God Makers betrachte. Da ich weiß, dass das Buch Mormon komplett erdichtet ist, musste ich staunen, warum seine Arbeit als konservativer, politischer Analyst Beck nicht die Fähigkeit verlieh, die offenkundig falschen Lehren, Praktiken und historischen Behauptungen des Mormonentums zu erkennen. Jedoch erst nachdem er zu einem Vortrag bei der Abschlussfeier 2010 der Liberty University(dem größten evangelikalen College in den USA) eingeladen wurde, ist mir das erste Mal sein wachsender Einfluss unter evangelikalen Christen bewusst worden.

Man sagte mir, die vernunftgemäße Erklärung, ihn zur Abschlussklasse sprechen zu lassen, war, dass seine konservative Sichtweise in Übereinstimmung mit der Philosophie der Schule war, und seine Botschaft in einer Zeit benötigt wurde, wo die Obama Regierung dieses Land auf dem Weg zum Sozialismus hinunter zu stoßen schien. Dass er ein Mormone ist rief keine Bedenken hervor, weil seine Ansprache politischer, nicht geistlicher Natur sein würde. Ich erfuhr nach dem Ereignis, dass er seine Rede kurz vor seinem Auftritt umschrieb, weil er sich genötigt sah, geistliche Streitfragen anzusprechen. Er sagte, seine Einladung zu sprechen sei keine Unterstützung seiner Religion durch die Universität. „[Aber obwohl wir] Unterschiede haben… müssen wir jene Dinge herausfinden, die uns verbinden.“ Seine Rede war erfüllt mit religiösen Begriffen, die scheinbar Leute zusammen bringen sollten – abgesehen davon, dass diese Begriffe für Mormonen und Evangelikale sehr verschiedene Bedeutungen haben. Er bezog sich häufig auf die Macht des Sühnopfers, Glauben, das Evangelium, den Heiligen Geist, auf persönliche Offenbarungen von Gott. Spielt es eine Rolle, dass ein Mormone ein vollständig anderes Verständnis vom Sühnopfer und vom Evangelium hat als das, was in der Bibel gelehrt wird?

Beck sagte, „Wende dich Gott zu und lebe“. Welcher Gott mag das sein? Der mormonische, der einen physischen Leib hat und auf einem Planeten in der Nähe des Sternes Kolob lebt? Oder der Eine, der Geist ist und außerhalb Seiner Schöpfung existiert?

Beck ermahnte seine Zuhörerschaft, die Wahrheit zu suchen. Aber welcher Gott ist wahr? Er schloss seine Rede mit der Herausforderung an die hauptsächlich evangelikalen Graduierten, „alles in Frage zu stellen einschließlich dessen, was ich ihnen gerade gesagt habe“ und „die Schriften jeden Tag zu lesen….“ Würde das die Schriften der Heiligen der Letzten Tage wie das Buch Mormon, The Doctrine & Covenants und The Pearl of Great Price einschließen? Was ist mit „Die Inspirierte Übersetzung der Bibel“, welche Joseph Smith schrieb, um sicher zu stellen, dass die Bibel „korrekt übersetzt“ war?

Becks letzte Worte wurden mit stehendem Applaus der Fakultät, der Graduierten und ihrer Familien und Freunde begrüßt: „Ich überlasse ihnen diese Dinge im Namen von Jesus Christus, unserem Herrn und Heiland, Amen.“ Jubelten sie wild für den biblischen Jesus… oder für den Jesus Christus des Mormonentums? Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein.

Wer von Glenn Beck sehr angetan und durch meine Bedenken über ihn bestürzt ist, für den gilt: greifen wir seine Herauforderung auf, seine Worte in Frage zu stellen. Viele der Gedanken in seiner Rede an der Liberty University können in seinem neuen Buch mit dem Titel The Seven Wonders That Will Change Your Life gefunden werden, das er zusammen mit dem Psychiater Keith Ablow verfasste. Darin stellt Beck sein Verständnis vom Mormonentum klar. Das ist wichtig, da ich viele Erklärungsversuche gehört habe – von er sei naiv hinsichtlich des Glaubens, der durch Joseph Smith zusammengeschustert wurde bis hin zu, er sei durch zahlreiche evangelikale Führer, die in seinen Fernseh- und Radioprogrammen aufgetreten sind, zur biblischen Errettung durch Glauben an Jesus Christus alleine geführt worden. Beck jedoch räumt mit jeglicher Spekulation auf: 

In seiner Rede an der Liberty University, die oft sehr emotional war, bezog er sich auf das alttestamentliche Buch Hesekiel und wie er (Beck) fühlte, dass der Ruf ein „Wächter“ zu sein, das heißt jemand, der Wache hält, um die Leute vor dem Bösen zu warnen, das sie überfallen könnte, etwas war, was Gott ihm aufs Herz gelegt hatte. Es war seine Berufung. Sollte Becks Buch irgendein Anzeichen seiner Kompetenz als „Wächter“ sein, ist er entweder auf seinem Posten eingeschlafen oder er ist desertiert. Jesaja legt das Kriterium für den Wächter Gottes fest: „Zum Gesetz und zum Zeugnis! [d.h. den Schriften] – wenn sie nicht so sprechen, gibt es für sie kein Morgenrot“ (Jesaja 8,20). Spricht Beck nach dem Wort Gottes? Sogar wenn man annimmt, dass er über den Gott der Bibel und nicht den Gott des Mormonentums oder das, was die Bibel verkündet, spricht, wird durch den Vergleich seiner Sichtweisen mit den Lehren der Bibel deutlich, dass er beide falsch verstanden hat.

Er und sein Mitautor, der Psychiater, verkünden in ihrem ganzen Buch, Gott sei in jedermann: „Wenn Gott alles und überall und in jedem ist, dann verließ ich mich darauf, Er musste auch in mir sein….“ Das ist die grundlegende Voraussetzung für das Meiste dessen, was Beck vorstellt. Es ist Pantheismus, der bei den Hindus und Östlichen Mystikern üblich ist, und populär bei New Agern.

Die Wahrheit ist, dass der Gott der Bibel nicht Teil Seiner Schöpfung ist. Er schuf Alles aus Nichts. Sollte Er untrennbar von Seiner Schöpfung sein, würde Er dem Tod und der Zerstörung unterworfen sein, welche das Universum durchmacht, Das würde Seine Perfektion in Abrede stellen.

Das Wort Gottes sagt, der wiedergeborene Gläubige würde vom Heiligen Geist bewohnt werden, und sein Leib sei der Tempel Gottes (Epheser 1,13; 1 Korinther 3,17). Das ist abhängig vom Glauben an den biblischen Jesus, und dabei nimmt Gott Seine Wohnung im Gläubigen ein. Gott ist nicht Teil der Menschheit, noch wird Er es je sein.

Wenn Gott Teil eines jeden und in der ganzen Ewigkeit innerhalb von jedem wäre (Beck &Ablow, Seven Wonders, p. 85), dann würde Er Teil der bösen Veranlagung jedes Menschen sein. Natürlich streiten Beck und Ablow eifrig ab, dass die Menschheit böse ist: „Die Leute sind inhärent gut. Unsere Seelen sind großartig und einer außerordentlichen Leistung fähig“ (S. 165). Dadurch mögen manche „ein gutes Selbstwertgefühl erhalten“, aber es steht im Gegensatz zu zahlreichen Schriftstellen, welche die Natur des Menschen ansprechen. Der Prophet Jeremia sagt uns, „Überaus trügerisch ist das Herz und bösartig; wer kann es ergründen?“ (17,9), und Jesus sagte in Markus 10,18, „Niemand ist gut als Gott allein!“

Diese Wahrheit der Bibel stellt für Psychiater und klinische Psychologen ein großes Problem dar, besonders für einen Freudschen Psychotherapeuten wie Keith Ablow. Wie das? Er arbeitet in einem Gewerbe, das eine Person dabei unterstützt, mit den beschwerlichen Lebensproblemen fertig zu werden, indem es ihr hilft, ihr „wahres Selbst zu finden, die wirklich liebenswerte und liebende Person, die sie im Kern ist…“ (Beck &Ablow, S. 185). Der Schlüssel, um das „wirkliche Ich“ zu entdecken“, so erklären Ablow und Beck, umfasse einen Prozess, bei dem man „schmerzliche Teile der Lebensgeschichte ausgraben muss…“ (S. 107).

Beinahe alle Psychotherapien stehen dafür ein, die Probleme der Menschheit würden durch schmerzliche Dinge verursacht, die von außen auf die Person einwirken, wie zum Beispiel emotionale Schocks, Missbrauch durch die Eltern, Umweltbedingungen, Tage, wo nichts mehr geht, usw. Ablow sagt uns, „Akzeptieren sie, dass die heutigen negativen Gefühls- und Verhaltensmuster beinahe sicher mit schmerzhaften Erinnerungen und nicht gelösten Konflikten in der Vergangenheit verknüpft sind“ (S. 131).

Wenn man jedoch anerkennen würde, dass die Wurzel des Problems das eigene Böse im Menschen ist (wie die Bibel erklärt, doch die Psychologie abstreitet), würden Ablow und seine Kollegen ihre Arbeit verlieren. Genauso wenig wie der Leopard seine Flecken ändern kann, kann der Praktiker für geistige Gesundheit etwas tun, um die Sündennatur einer Person zu ändern. Nur Gott kann das tun. Doch die Scharade des Strebens nach dem „höheren Selbst“, „menschlichem Potential“, „Entdeckung des Selbst“, und „dem von Gott gegebenen Reservoir persönlicher Macht in dir“, (S. 50) geht weiter, um die Massen zu verführen und zu täuschen.

Becks Beschreibung seiner „Lebensgeschichte“, besonders wie er in den Mormonenglauben geführt wurde, spiegelt das wider, worum es bei pseudochristlichen Kulten geht: im Wesentlichen geht es ums Subjektive und Experimentelle (zum Beispiel eine persönliche „Brennen-in-der-Brust“ Erfahrung von Gott). Er glaubt, dass Gott ihn durch eine Reihe von unerklärlichen Ereignissen in seinem Leben in den Glauben von Joseph Smith führte. Er sagt, dass von Gott verordnete „zufällige Zusammentreffen“, die er „Brotkrumen“ nennt, verfügbar sind, um jedem zu helfen, „seinen Weg zur Annahme der Wahrheit zu finden“ (S. 152). Er und Ablow erheben durch ihre Werbung für „Bauchgefühl“, „Intuition“, „das dritte Ohr“, und „die inner Stimme der Wahrheit in uns – die Stimme Gottes“ (S. 265) beständig das Subjektive und Experimentelle in seinem Rang. Sie schreiben, „Lernen sie, auf ihren Bauch zu hören…. Um dies zu tun, müssen sie auf innere Stimmen in ihnen hören“ (S. 274).

Wenn Unterscheidungsvermögen von Bauchgefühlen und inneren Stimmen abhängt, ist es ein Rezept für ein geistliches Desaster: „Und das ist nicht verwunderlich, denn der Satan selbst verkleidet sich als ein Engel des Lichts. Es ist also nichts Besonderes, wenn auch seine Diener sich verkleiden als Diener der Gerechtigkeit“ (2 Korinther 11,14-15). Die Bibel sagt uns, den subjektiven Erfahrungen nicht zu vertrauen, sondern nur Gottes geschriebenem Wort: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8,31-32). Das Gebet Jesus zu Seinem Vater bezeugt, wie die an Ihn Glaubenden Ihn und die Wahrheit Seiner Lehren kennen sollen: „Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit“ (Johannes 17,17).

Das Mormonentum ist voll von okkulten Ansichten und Praktiken, ob es die Rituale sind, die Freimaurerzeremonien entnommen wurden, bis zu angeblicher Kommunikation mit den Verstorbenen durch die Taufe für die Toten. Dies macht die Mormonen extrem anfällig für dämonische Täuschung. Doch Glenn Beck scheint ein bereits bizarres Glaubenssystem durch noch mehr falsche Lehre erweitert zu haben. Er preist die gnostische Häresie aus dem ersten Jahrhundert und gnostische Bücher wie „Das Thomasevangelium“; er billigt die Kommunikation durch stille Meditation („Treten Sie mit dem Wunder des Geistes in Verbindung, von Gott, der schon lange in ihnen gelebt hat, bevor sie geboren wurden. Sie werden belohnt werden…“ S. 85); und er und Ablow treten ein für die östliche, mystische Lehre der spirituellen Energie als einer „riesigen Kraft, die sie anzapfen können, um dramatisch ihr Dasein zu verbessern…. Sie ist nichts weniger als ihre Verbindung mit Gott“ (S. 113).

Damit niemand Einwendungen hat gegen das eine oder andere der religiösen oder psychologischen Konzepte, die Beck und Ablow vorsetzen, weichen die beiden zu ökumenischem Pragmatismus zurück: „Wie können sie damit anfangen? Manche Leute gehen zu einem Psychotherapeuten. Andere zu einem kirchlichen Seelsorger. Andere fangen an zu meditieren. Wieder andere fangen mit 12-Punkte Programmen wie Anonyme Alkoholiker an. Was immer bei ihnen funktioniert, sollten sie tun. Aber wir haben einen Vier-Schritte-Plan entwickelt, um ihnen beim Start zu helfen.“

Der Grund, warum ich den folgenden Vers vielleicht öfter als alle anderen in meinen letzten Artikeln zitiere, liegt darin, dass ich sehe, wie die Gemeinde und ihre Hirten mehr und mehr auf die Wege des Menschen anstatt auf das Wort Gottes schauen: „Mancher Weg erscheint dem Menschen richtig, aber zuletzt führt er ihn doch zum Tod“ (Sprüche 14,12). Glenn Beck hat für die wahren Leute Gottes keine Antworten. Dennoch bete ich, dass er zur Erkenntnis der Wahrheit kommen wird.

Ich bete auch für größeres Unterscheidungsvermögen bei jenen, die den Anspruch erheben, dem biblischen Jesus und dem Worte Gottes zu folgen. Jesus ermahnte Seine Jünger (und das betrifft alle Seine wahren Gläubigen): „Habt acht, dass euch niemand verführt“ (Matthäus 24,4). Er bezog sich spezifisch auf die letzten Tage, die Zeit gerade vor Seiner Wiederkunft. Sie würde durch eine massive, geistliche Täuschung charakterisiert sein. Seit mehr als drei Jahrzehnten haben Dave Hunt und ich die zahlreichen Elemente, die der Widersacher Gottes verwendet hat, um die Welt und die Gemeinde zu täuschen, angesprochen. Neuerdings erläuterten unsere TBC Artikel, wie die vereinigenden Glaubensansichten, die den verschiedenen religiösen (und antireligiösen!) Gruppen gemeinsam sind, sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit zusammenscharen. Ihre Mission ist auf die Erde fixiert, indem sie ohne es zu wissen daran mitarbeiten, das Reich des Antichristen und seiner abgefallenen Religion zu bauen. TBC

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Jerusalem (Marius Baar)

Marius Baar

JERUSALEM

 

Jerusalem, der Zankapfel

Der von Jimmy Carter diktierte Friede zwischen Israel und Ägypten hatte die ablehnende Stellungnahme der arabisch‑islamischen Welt zur Folge. Es wäre absurd zu glauben, die gegenwärtige Ölkrise sei reiner Zufall. Sie wurde nach der arabisch‑islamischen Konferenz eingeleitet, die im Mai 1979 in Marokko stattfand.

Das Hauptthema dieser Konferenz war die Befreiung Jerusalems. Es wurde ein Geheimplan aufgestellt, wonach das Öl als Waffe und Druckmittel zur Befreiung Jerusalems eingesetzt werden soll. Jerusalem, al Quds (die Heilige), darf nicht länger im Besitz der Ungläubigen bleiben, diese Stadt muß um jeden Preis erobert werden. Kein Opfer is zu hoch, forderten die Teilnehmer dieser Konferenz in Marokko, und als sie sich verabschiedeten, riefen sie sich zu: Nächstes Jahr in Jerusalem! Um zu zeigen, wie ernst es ihnen war, drohten sie unter anderem damit, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Kanada abzubrechen und Wirtschaftssanktionen zu verhängen, falls die Regierung in Ottawa ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen sollte. Dies würde natürlich für alle Länder gelten, die es wagten, durch solche Maßnahmen Jerusalem als die Hauptstadt Israels anzuerkennen.

Also war der Prophet Sacharja kein Schwarzmaler, als er vor etwa 2500 Jahren voraussagte, Jerusalem würde für alle Völker zum Taumelbecher werden. Die Völker um Jerusalem herum, also die arabische Welt, sind besonders betroffen (Sacharia 12, 2). Alle Völker werden versuchen, das Problem Jerusalem zu lösen; wer sich aber heranwagt, dem wird es zum eigenen Verderben werden (Sacharia 12, 3). Der Sohn nach dem Fleisch, Ismael, beansprucht also das Land und insbesondere Jerusalem…

Dazu einige Auszüge aus dem Heft »Muslime, unsere Nachbarn«, herausgegeben im Auftrag der Kommission Gemeindedienst für Weltmission und Ökumene des Deutschen Evangelischen Missionsrates.

Diese Zeilen zeigen uns den Anspruch der Mohammedaner auf Jerusalem. Da sie den Islam als die höchste und letzte Offenbarung Allahs ansehen, beanspruchen sie diese Stadt mit geistlicher Autorität.

Die meisten Christen sind überrascht, daß Jerusalem und Palästina den Mohammedanern ähnlich viel wie den Juden bedeutet (vgl. Sure 21, 71 und 17.1). Wenn Mohammedaner während der vorgeschriebenen Gebetszeit viele Male täglich die erste Sure beten, denken sie bewußt oder unbewußt an Jerusalem. Sie wissen zum Beispiel aus dem Koran, daß die Gebetsrichtung ursprünglich nach Jerusalem und nicht nach Mekka wies.

Im Mittelpunkt der ersten Sure steht die Erinnerung an den Tag des Gerichts. Er verbindet sich für manche Mohammedaner mit Jerusalem, denn nach einer alten Überlieferung wird Gott hier sein Endgericht halten. Manche frommen Moslems sehen die Kämpfe in Palästina heute als die Vorbereitung des Weltendes an. Überhaupt hat der Palästina‑Konflikt das Interesse aller, vor allem der arabischen Moslems, verstärkt auf Jerusalem gerichtet. Millionen von Arabern singen heute mit der libanesischen Sängerin Fairus ihr Jerusalem‑Lied:

Für dich, du Stadt des Gebetes ‑ bete ich.
Für dich, du Glanz der Wohnungen, du Blume der Städte.
O Jerusalem, du Stadt des Gebets…

Im letzten Vers des Liedes kommt dann aber auch die Mahnung an das Ende:

Der glühende Zorn kommt. Mit schrecklichen Rennrossen kommt er, und geschlagen wird werden das Antlitz der Gewalt.
Der Tempel gehört uns ‑ Jerusalem gehört uns.
Mit unseren Händen werden wir den Glanz Jerusalems zurückbringen.
Mit unseren Händen nach Jerusalem Frieden ‑ Frieden …

Was ist der Grund für diese starken Gefühle? Der Tempelplatz, von dem das Jerusalem‑Lied spricht, ist der Ort um den Felsen Morija, seit altersher eine Gedenkstätte, die an den Stammvater Abraham erinnert. An dieser Stelle wurde nach der Tradition der Sohn Abrahams vor der Opferung bewahrt. Für Moslems ist die Abraham‑Geschichte genauso wichtig wie für Juden; denn sie verstehen sich gleichfalls als Söhne Abrahams. Der Islam knüpft an die alttestamentliche Offenbarung an und sieht sich als Erbe der biblischen Verheißungen.

Diese enge Verbindung zur Bibel und damit zu Jerusalem kommt in einem zentralen Ereignis im Leben des Propheten Mohammed zum Ausdruck, das die Moslems nach Jerusalem verlegen. Sure 17 berichtet von der nächtlichen Entrückung und Himmelfahrt des Propheten. Mohammed wurde von Jerusalem aus entrückt, eben vom Felsen Morija.

Später entstanden an dieser Stelle zwei der ältesten und ehrwürdigsten Bauwerke des Islam: die Al‑Aqsa‑Moschee und der sogenannte Felsendom. Beide beherrschen bis heute die Silhouette Jerusalems. In allen Jahrhunderten kamen mohammedanische Pilger hierher. Der Tempelplatz ist der drittheiligste Ort des Islam neben Mekka und Medina. Jerusalem heißt auf arabisch »die Heilige«.

Schon früh wurde die Stadt dem »Haus des Islam« einverleibt: 638 besetzte sie der Kalif Omar ohne Blutvergießen oder Zerstörung. Seitdem gehört Jerusalem ‑ mit Aus­nahme der Zeit der Kreuzzüge ‑ zur arabisch‑islamischen Welt. Charakteristisch verschmelzen islamisch‑religiöse und arabisch‑weltliche Einflüsse: Islamische Mystiker und Theologen haben hier gewirkt: Handel und Wandel in der Altstadt sind bis heute typisch arabisch. Die große Mehrheit der Bewohner des ursprünglichen Jerusalem besteht aus Moslems. So setzen sich arabische Moslems aus nationalen Gründen, aber auch aus religiöser Überzeugung zusammen mit Mohammedanern in der ganzen Welt energisch für die Erhaltung des islamisch‑arabischen Jerusalem ein. Sie bestreiten nicht, daß Christen, vor allem auch arabische Christen, wie Juden eine intensive Beziehung zu dieser einmaligen Stadt besitzen. Die Moslems wehren sich jedoch dagegen, daß Jerusalem heute einseitig unter jüdischer Oberhoheit steht und zielstrebig israelisiert wird. Sie wollen, daß die Mehrheit der mohammedanischen Bewohner politische Selbstbestimmung erhält und Jerusalem für alle Moslems, auch für die, die heute nicht hinreisen können, zu einer offenen Stadt wird. Jerusalem soll zum Ort der Begegnung werden, wo Anhänger der drei Religionen zusammenleben…

Mit Jerusalem verknüpft sich für manche Mohammedaner auch die Erwartung des Weltendes. Nach einer Tradition wird am Weltende der große Irreführer auftreten, dessen Figur an den biblischen Antichristen erinnert. Aber Jesus wird vom Himmel herabkommen, um ihn zu töten. Nach der Eingliederung der Menschen in die mohammedanische Gemeinde erschallen zwei Trompetenstöße: der erste verkündet allen noch lebenden Wesen das Ende, der zweite weckt alle Toten auf. Dann kommt das große Endgericht, in dem Gott selbst jeden Menschen zur Rechenschaft ziehen wird. Alle Worte und Taten werden gewogen. Nur der kann vor Gott bestehen, der das Glaubensbekenntnis des Islam spricht. Die Glaubenden ziehen dann über das Höllenfeuer hinweg in das Paradies. Das Leben dort wird in prachtvollen Bildern geschildert: ein paradiesi­scher Zustand bis in alle Ewigkeit für die Gerechten, das ewige Höllenfeuer für die Ungerechten.

Es ist interessant, daß diese Broschüre nicht erwähnt, was in der Bibel über Jerusalem und Israel gesagt wird. Israel wurde aus der Geschichte ausgeklammert, sowohl das Volk wie das Land und auch der Segen. Das christliche Abendland und deren geistliche Führer begehen eine zweifache Sünde:

1. Sie haben das inspirierte Wort der Wahrheit verlassen. 2. Sie haben sich dadurch dem zugewandt, der in seinem eigenen Namen kommt. Sie werden verlorengehen, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, durch die sie hätten gerettet werden können. Darum sendet ihnen Gott kräftigen Irrtum, daß sie der Lüge glauben (2. Thessalonicher 2, 10‑11). Deshalb wird die Welt den, der in seinem eigenen Namen kommen wird, annehmen; denn er bringt ihnen das, was Jesus, der vom Vater kam, zu bringen sich weigerte, nämlich: Reichtum, Wohlstand, Brot und Spiele.

 

Jerusalem ‑ Taumelbecher und Laststein der Nationen

Siehe, ich mache Jerusalem zum Taumelbecher für alle Völker ringsum, und auch gegen Juda wird es gehen bei der Belagerung Jerusalems. Und es soll geschehen an jenem Tage, daß ich Jerusalem zum Laststein für alle Völker machen werde, ‑ alle, die ihn heben wollen, werden sich daran wundreiben. Und alle Nationen der Erde werden sich gegen sie versammeln (Sacharia 12, 2.3). Man darf nie vergessen: Jerusalem wird die letzte Hochburg sein, die dem Satan durch Vermittlung des Antichristen zufallen wird, darum sollten wir auf all das achten, was sich in dieser Stadt, und insbesondere an heiliger Stätte abspielt.

König Faisal fühlte sich bis zu seinem Tode im Jahre 1975 als Verteidiger aller heiligen Stätten der Moslems. Er wies immer wieder darauf hin, daß auch Jerusalem eine heilige Stadt des Islam ist und historisch mindestens so sehr Stadt der Araber wie der Juden sei. Sein Wunsch war, in der Al‑Aqsa‑Moschee beten zu können, die der Kalif Abdul Melik (685‑706) erbaute. Dieser schuf auch die Kubbet es Sachra, den Felsendom mit seiner Kuppel von 20 Metern Durchmesser und 30 Meter Höhe auf dem Tempelplatz in Jerusalem. Religionen werden heute unterschätzt. Aber längst sind religiöse Bindungen von sozialen nicht mehr zu trennen, und längst sind auch Religion und Politik unentwirrbar miteinander verstrickt. Die Moslems sind über die ganze Welt verstreut. Bekanntlich ist es mit den Juden genauso.

Auf dem Zionistenkongreß in Karlsbad sagte Nahun So­kolow 1922: Eines Tages werden wir Jerusalem zur Friedenshauptstadt der Welt machen! Und dem Jewisch Chronicle vom 16. Dezember 1949 zufolge, sagte der spätere Premierminister Israels, Ben Gurion: »Jerusalem ist nicht nur die Hauptstadt Israels und damit des Welt‑Judentums, es wird ein geistliches Zentrum für die ganze Welt werden«. ‑ Aus «Macht der Religion.«

(Anton Zischka, Europas bedrohte Hauptschlagader, Kümmerly + Frey, Bern)

Im Juni 1979 veröffentlichte »Die Welt« einen Artikel unter der Überschrift: »3000 Prinzen träumen vom Einzug in Jerusalem«. Peter M. Ranke, Dschidda, schrieb u. a.:

 … Nach dem stürmischen Frühjahr haben sich König Khaled und die Prinzen, einschließlich des Kronprinzen und seiner einflußreichen Brüder, nun in den letzten Wochen auf politische Grundsätze geeinigt, die dem Haus der Sauds und ihrem Reich eine nationale und religiöse Aufgabe zuweisen und als Kitt dem gesamten Prinzen‑Clan neuen Zusammenhalt verleihen sollen: Jerusalem als Schicksalsfrage der Araber. Wir werden keine Anstrengung scheuen, um die heiligen Ansprüche der arabisch‑islamischen Nation auf Jerusalem zu verwirklichen, erklärte Innenminister Prinz Naif in Tunis. Und vor ihm hatten König Khaled und der Kron­prinz geschworen: Wenn Jerusalem Märtyrer fordert ‑ wir sind bereit.

Eine begrenzte Abkehr von Amerika wird einkalkuliert, die Bedrohung durch die Sowjets gilt nicht mehr als so aktuell, alles wird dem neuerwachten Glaubenseifer unterstellt: Nur islamische Araber sollen über Jerusalem und Palästina herrschen. Nichts anderes heißt es, wenn die Saudis von umfassender und gerechter Friedenslösung einschließlich Jerusalems und der Rechte der Palästinenser sprechen.

Im Westen hat man diese Wendung, ja die Verschärfung der Entwicklung in Nahost durch das verstärkte Engagement der Saudis für den kämpferischen Islam noch gar nicht recht begriffen. Aus den alten Propheten‑Städten Mekka und Medina ziehen die Saudis wieder mit dem grünen Banner des Islams gegen Jerusalem ‑ zunächst nur mit Worten. Aber sollten wir nicht verstehen, daß sie es wirklich ernst meinen, dann sagen sie leise lächelnd, so wie zu mir ein Scheich in Dschidda: Wir haben das 01, ihr dürft bei uns arbeiten.  (SAD)

 

Morija – Tempelplatz

Und Salomo fing an, das Haus des Herrn zu bauen zu Jerusalem, auf dem Berge Morija, wo er seinem Vater David erschienen war, an dem Orte, welchen David bestimmt hatte, auf der Tenne Ornans, des Jebusiters (2. Chronika 3, 1).

An dieser Stelle wurden nach dem Gesetz Moses einige Jahrhunderte lang Opfer dargebracht, bis die Zeit erfüllt war und bis der Sohn Gottes sagte:

Opfer und Gaben hast du nicht gewollt,‑ einen Leib aber hast du mir zubereitet. Brandopfer und Sündopfer gefallen dir nicht. Siehe, ich komme, in der Buchrolle steht von mir geschrieben ‑ daß ich tue, o Gott, deinen Willen (Hebräer 7 0, 5‑7).

Da durch das einmalige Opfer Jesu der Glaubende in alle Ewigkeit geheiligt ist, hat der Tempel mit seinen Opfern seine Daseinsberechtigung verloren.

Und nach den zweiundsechzig Wochen wird der Gesalbte ausgerottet werden, so daß keiner mehr sein wird; die Stadt aber samt dem Heiligtum wird das Volk eines zukünftigen Fürsten verderben, und sie geht unter in der Überschwemmung, und der Krieg, der bestimmt ist zu ihrer Zerstörung, dauert bis ans Ende (Daniel 9, 26).

Doch am Ende der Zeit wird diese Stätte wieder Bedeutung erhalten, denn dort wird die Macht residieren, die in der letzten Jahrwoche herrschen wird (Daniel 8, 9). Der Felsen Morija war Zeuge vieler Opfer, die nach dem Gesetz dargebracht wurden, und die als Vorschatten auf das Kommen des Lammes Gottes, das der Welt Sünde trägt, hindeuteten. Hier erhebt sich jetzt eines der Weltwunder ‑ der Felsendom ‑ bewundert von Christen, (die ihre Schuhe ausziehen, bevor sie eintreten), Moslems und Juden. Auf dem Fries, der von der Kuppel überragt wird, kann man Koranverse in einer sehr schönen arabischen Schrift neben dem Glaubensbekenntnis des Islam lesen:

La illah illa Allah (Es ist kein Gott außer Allah)

Auch folgende Koranverse stehen auf dem Fries:

Gelobt sei Allah, der weder einen Sohn gezeugt, noch einen Gefährten im Regiment hat, noch einen Beschützer aus Schwäche. Rühme seine Größe! O Volk der Schrift, überschreitet nicht euren Glauben und sprechet von Allah nur die Wahrheit. Der Messias Jesus, der Sohn der Maria, ist der Gesandte Allahs, und sein Wort, das er in Maria legte, Geist von ihm. So glaubet an Allah und an seinen Gesandten und sprechet nicht: Drei! Stehet ab davon, gut ist es für euch. Allah ist nur ein einiger Gott. ‑ Preis ihm! Er hat keinen Sohn! Sein ist, was in den Himmeln und was auf Erden ist, und Allah genügt als Beschützer… (Koran 4, 169)

Der Felsendom in Jerusalem. ‑ Jeder, der den Felsendom betreten will, muß seine Schuhe ausziehen. Aber nicht etwa, um die Teppiche zu schonen, sondern um Allah seine Reverenz zu erweisen. Mancher christliche Tourist würde diesen Akt der Ehrerbietung wohl nur mit schlechtem Gewissen vollziehen, wenn er wüßte, was auf dem Fries rund um den Felsendom in arabischer Sprache geschrieben steht:

»Es ist kein Gott außer Allah! Gelobt sei Allah, der weder einen Sohn gezeugt noch einen Gefährten im Regiment hat noch einen Beschützer aus Schwäche. Rühme seine Größe… «

Und Friede auf den Tag meiner Geburt und den Tag, da ich sterbe, und den Tag, da ich erweckt werde zum Leben! Dies ist Jesus, der Sohn der Maria ‑ das Wort der Wahrheit, das sie bezweifeln. Nicht steht es Allah an, einen Sohn zu zeugen. Preis Ihm! Wenn er ein Ding beschließt, so spricht er nur zu ihm »Sei!« und es ist. Und siehe, Allah ist mein Herr und euer Herr,‑ so dient ihm; dies ist ein rechter Weg (Koran 19,34‑37).

Sollte uns diese Inschrift nicht zu denken geben? Ist das nicht das greuliche Reden dessen, der sich auflehnt gegen alles, was Gott gehört, und gegen den Gott aller Götter? (Daniel 11, 37 und 2. Thessalonicher 2, 4). Ist es nicht ein greuliches Reden, eine Lästerung Gottes? (Daniel 11, 36).

Machen diese Verse über dem Felsen Morija nicht Gott zum Lügner? Widersprechen sie nicht seinem inspirierten Wort und auch dem menschgewordenen Wort?

Dieses Gebäude ist eines der wichtigsten der islamischen Welt und ein ausdrückliches Zeugnis gegen die Dreieinheit Gottes.

 

Tempel Gottes oder Greuel der Verwüstung

Die satanischen Unternehmungen des kleinen Horns (Daniel 8, 9) werden sich in der Endzeit in Juda (Judäa) abspielen, denn dort befindet sich die heilige Stätte. Das Tier wird sie entweihen, nachdem (im Jahre 70 nach Christus) der Opferaltar und das Heiligtum zerstört wurden (Daniel 8, 11). Ein Greuel der Verwüstung wird ihre Stelle einnehmen. So lautete die Prophezeiung Daniels vor nahezu 2500 Jahren, die auch Jesus bestätigte (Matthäus 24, 15; Markus 13, 15).

Als Paulus um das Jahr 50 seinen Brief an die Thessalonicher schrieb, stand der Tempel noch, und Paulus hat gewiß nicht mit seiner Zerstörung gerechnet. Paulus sah prophetisch den Menschen der Sünde im Tempel (2. Thessalonicher 2,4). Der Apostel konnte aber nichts von einer Moschee wissen, da der Islam noch nicht existierte und Felsendom sowie Al‑Aqsa-Moschee erst ca. 600 Jahre nach der Prophezeiung des Paulus gebaut wurden. Paulus hat nur mit anderen Worten gesagt, was Daniel und Jesus Christus schon prophezeit hatten. Wichtig ist sicher nicht der Bau an sich, sondern der Geist, der in dieser Zeit an der heiligen Stätte herrschen wird.

Wir haben also keinen Grund zu der Annahme, daß Paulus anderer Ansicht ist als Daniel und Jesus Christus, die ja im Blick auf die Endzeit nicht vom Tempel, sondern vom Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte reden.

Die Zerstörung des Felsendoms und der Al‑Aqsa‑Moschee zu erwarten und zu hoffen, der Tempel würde dann aufgebaut werden, ist utopisch. Solange der Islam besteht, werden seine Anhänger den Tempelbau an dem für sie heiligen Platz nicht erlauben. Rechnen wir mit dem Wiederaufbau des Tempels, dann müssen wir mit der Vernichtung der heutigen Weltstruktur, einschließlich des Islam und der Ölmächte, und mit einer neu aufsteigenden Macht rechnen. Das aber würde die Endzeit in eine ziemlich weit entfernte Zukunft rücken.

Solange aber der Islam besteht, und besonders in seiner heutigen Kraft, wird keine Macht der Welt, auch nicht Israel, Ansprüche auf Jerusalem und den Tempelplatz verwirklichen können.

 

Der Tempel Israels

Der Tempel Israels, Jesus Christus, der in drei Tagen wiederaufgebaut wurde, ist durch ein Gebäude ersetzt, das vom Geist des Antichristen, von einer Macht beherrscht wird, die für eine Zeit die Welt und, wenn möglich, auch die Auserwählten verführt.

Wenn ihr sehen werdet… Wer das liest, der merke darauf! (Matthäus 24, 15)

Sehen wir es? Schon seit 400 Jahren hätte sich das christliche Abendland darauf einstellen können. Wenn es darauf gemerkt hätte, wäre es nicht in die Falle gelaufen.

Fünfmal am Tage erschallt über dem Felsen Morija der Ruf der Muezzin: Allah hu akbar, Allah hu akbar, das heißt: Allah ist der höchste Gott.

Dieser Kampf, der in der Endzeit um Jerusalem, und insbesondere um den Tempelplatz, ausgefochten wird, ist der Kampf gegen den Tempel, der zerstört und in drei Tagen wiederaufgebaut wurde, das heißt gegen den Sohn Gottes (Matthäus 26, 61 und 27, 40; Markus 4, 58 und 15, 29, Johannes 2, 19‑21). – Dieses Gebäude, an das man geschrieben hat, daß Allah der höchste Gott und über alle Götter erhaben ist, steht als Symbol gegen Jesus Christus und die Gemeinde, die sein Leib ist.

Hier liegen tiefe Wahrheiten verborgen, die wir um so bes­ser verstehen werden, je mehr wir am Wort Gottes festhalten. Alles wird sich materiell, geistig und geistlich um den Tempel des Herrn handeln. Das Sichtbare soll uns auf das Geistliche aufmerksam machen.

Er wird sich über alles erheben, was Gott oder Gegenstand der Verehrung heißt, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst als Gott erklärt (2. Thessalonicher 2, 4).

Es ist wichtig, daß wir den Sinn des Ausrufes der Moslems Al­lah hu akbar genau erkennen; ebenso aber auch den Inhalt des Glaubensbekenntnisses: Allah il Allah Mohammed rasul Al­lahi (Allah ist Gott und kein anderer, und Mohammed ist sein Gesandter).

Christus, der nach der Schrift der wahre Mittler zwischen Gott und den Menschen geworden ist und durch den wir den freien Zugang zu Gott haben, wird ausgeschaltet, und das an heiliger Stätte durch die Lehre des Koran.

Daniel schreibt über den Führer dieses Systems:

Und der König wird tun, was ihm beliebt, und wird sich erheben und großtun wider jeglichen Gott, und er wird gegen den Gott aller Götter unerhörte Worte ausstoßen, und es wird ihm gelingen, bis der Zorn vorüber ist,‑ denn was beschlossen ist, wird ausgeführt werden (Daniel 11, 36).

Der messianische Tempel aber wird vom Messias selbst erbaut:

Siehe, es ist ein Mann, dessen Name Sproß ist, denn er wird aus seinem Orte hervorsprossen und den Tempel des Herrn bauen. Ja, er wird den Tempel des Herrn bauen und königlichen Schmuck tragen und wird auf seinem Thron sitzen und herrschen (Sacharja 12‑13).

 

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