Paavo – Gottes Bote in Finnland
Burkard Krug
Paavo Ruotsalainen – Ein Zeuge der Erweckung in Finnland
Einbandtext:
PAAVO RUOTSALAINEN (1777 – 1852), ein schlichter finnischer Bauer, war von Gott dazu ausersehen, der gesegnete Träger einer Erweckungs-bewegung in seiner Heimat zu werden. Gleich nach seiner eigenen Bekehrung begann er seine Tätigkeit als Laienseelsorger, die nicht nur auf seine Heimatgemeinde beschränkt blieb. Auf ausgedehnten Reisen durchquerte er ganz Finnland mit der Botschaft des Evangeliums.
Bald erhob sich auch der Widerstand seitens der Pfarrerschaft und der Behörden gegen die sich ausbreitende Erweckungsbewegung. Paavo und seine Anhänger wurden in Kämpfe und Prozesse verwickelt, die aber den Siegeszug der Erweckung nicht aufhalten konnten. Als Paavo mit zunehmendem Alter selbst nicht mehr reisen konnte, betätigte er sich vornehmlich durch seelsorgerlichen Briefwechsel mit seinen Freunden und Mitarbeitern und vielen Ratsuchenden. Nach seinem Tode erlebte die Erweckungsbewegung zunächst mancherlei Rückschläge, wurde aber in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts neu belebt, so daß heute etwa ein Drittel der finnischen Pfarrerschaft und die Hälfte der Bischöfe zu den Erweckten gehören.
Der treue Dienst des „Rufers in der Wildmark“ Paavo Ruotsalainen ist nicht vergeblich gewesen.
Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im Herbst 2023
INHALT
Wenn Gottes Winde wehen
Paavos Jugend
Die Hochschule der „Kiefernfabrik“
Reisender im Auftrag Gottes
Mitarbeiter und Freunde
Kämpfe und Prozesse
Der große Seelsorger
Glaube und Humor
Wie es weiterging
Vorwort
Finnland, das Land der tausend Seen und der unermeßlichen Wälder, der Mitternachtssonne und des Nordlichts, hat in den letzten Jahren schon viele Reisende aus Deutschland angelockt. Aber nur wenige von ihnen wissen etwas über das Glaubensleben der finnischen Kirche und die in ihr so lebendige Erweckungsbewegung, die nun schon über 170 Jahre wirksam ist.
Um eine geistige Bewegung recht verstehen zu können, ist es nötig, auch etwas über ihren geographischen Hintergrund zu wissen. Darum sei dieser Arbeit ein Gedicht von dem finnischen Dichter Eino Leino über Finnland vorangestellt:
Finnland
Einst zog der Heiland auch nach Norden weit,
wo Finnland liegt in seiner Einsamkeit.
Nur zögernd folgte Petrus seinem Herrn;
Wacholderpfade wandelt er nicht gern.
„Ach Herr, in welches Land sind wir gelangt!
Welch Volk, das ohne Kraft und Willen schwankt!
Das Moor verhöhnt den Pflug, Schutt deckt die Felder,
Frucht tragen hierzulande nur die Wälder.“
Doch mild und leise redete Herr Christ:
„Daß dieses Land ein wenig ärmlich ist
und allzu karge Ernten trägt, macht Sorgen;
doch Zukunft ist in dieser Art verborgen.“
Es lächelte der Herr, indem er sprach.
Und sieh! Ein Schimmer überm Wasser lag,
der Urwald wich, der Frost ward endlich müde,
der Sumpf vertrocknete, die Wildmark blühte.
Der Herr und Petrus zogen ihren Weg.
Gehst du am Strande deinen Birkensteg
in unsrer Sommernacht, so siehst du weh’n
des Herren Lächeln um die stillen Seen.
Nachdem meine Doktorarbeit über Paavo Ruotsalainen und seine Rechtfertigungslehre schon seit einigen Jahren vergriffen ist, wurde ich wiederholt aufgefordert, doch einmal ein kurzes Lebensbild über diesen Zeugen Gottes im hohen Norden zu schreiben.
Bad Hersfeld, 1969, Burkard Krug
Wenn Gottes Winde wehen
Es war im Sommer des Jahres 1796, demselben Jahr, in dem der Bauernsohn Hans Nielsen Hauge, der Erwecker Norwegens, mit seiner segensreichen Tätigkeit begann. An einem schönen, heißen Julitag befanden sich viel Leute des Dorfes Savojärvi im Kirchspiel Iisalmi auf einer großen Wiese, um das Heu zu bergen.
Plötzlich wurden sie von einer unsichtbaren, übernatürlichen Kraft zu Boden geworfen. Ein wunderbares Gefühl bemächtigte sich ihrer. Einige sahen Gesichte, andere sprachen in Zungen, wieder andere hatten ein starkes Sündenbewußtsein und Schuldgefühl.
Dies war der Anfang der Erweckung in Nordsavo, einer Gegend Mittelfinnlands, die man wegen ihrer großen Wälder, ihrer vielen Seen und Sümpfe als „die Wildnis“ bezeichnet. Der erste Leiter der Erweckten Nordsavos war Johan Martikainen, der von Zeit zu Zeit in Ekstase versank und dann wie tot zu Boden stürzte. Er konnte gut predigen und eindringlich Gottes Gericht verkündigen. Aber es fehlte ihm das nötige Wissen und Können für eine Führerstellung.
So trat er bald die Leitung der Versammlungen an den Stellmacher Johan Puustijärvi ab, der seit seiner Soldatenzeit Lustig genannt wurde. Lustig stammte aus Ylitomio und kam 1787 mit siebzehn Jahren nach Nordsavo. Als die Erweckung begann, war er also etwa 26 Jahre alt. Er war in seiner Heimat, dem Torniotal nahe der schwedischen Grenze, Brüdern aus Herrnhut begegnet und auch mit anderen Erweckungskreisen in Berührung gekommen. Er war ein guter Redner und in der Bibel sehr bewandert.
1734 waren zum ersten Male drei Brüder aus Herrnhut nach Finnland gekommen. Ihr eigentliches Ziel war Lappland, wo sie missionieren sollten. Doch als sie sahen, daß die Arbeit dort zu schwer für sie war, blieben sie in Oulu und im Torniotal.
Lustig machte seinem Namen alle Ehre. Er dämpfte in keiner Weise die ekstatischen Elemente unter den Erweckten, sondern förderte sie vielmehr. Nach den Versammlungen spielte er auf seiner Violine zum Tanze auf, was er mit dem Psalmwort begründete:
„Lobet ihn mit Pauken und Reigen;
lobet ihn mit Saiten und Pfeifen !“ (Psalm 150, 4.)
Leider war daher auch Lustig nicht der richtige Führer für die Erweckten. Er wurde immer hochmütiger, während das geistliche Leben in vielen Erweckten erlosch.
Unter den Besuchern der Versammlungen fiel seit einiger Zeit ein junger Mann auf, der sich still und bescheiden in den Hintergrund setzte, aber den Worten Lustigs aufmerksam zuhörte. Es war Paavo Ruotsalainen, der wegen seiner vielen Grübeleien „verrückt“ oder „töricht“ genannt wurde.
Sein Vater, der Bauer Vilppu Ruotsalainen, sah es nicht gern, wenn sein Sohn zu den Versammlungen der Erweckten ging. Er rief ihm dann nach: „Na, beginnt der Wolf schon wieder zu laufen, nachdem seine Krallen einmal geschliffen sind?“
Eines Tages – es war im Jahre 1809 – trat dieser so still wirkende Paavo Ruotsalainen in einer Versammlung der Erweckten öffentlich auf und hielt eine gewaltige Ansprache gegen Lustigs Lehre, die mit den Worten schloß:
„Wenn wir nicht auf das schnellste zum Herrn zurückkehren, bringt uns Lustigs Lehre in die Hölle. Amen.“
Die Wirkung dieser Rede war groß. Alle Zuhörer, außer zwei Frauen, schlossen sich Paavo an und folgten seiner Lehre. Eine Einigung mit Lustig war nicht mehr möglich. Doch hielt auch Lustig weiterhin noch da und dort Versammlungen ab.
Wer war dieser Paavo, der so mit Vollmacht sprechen, eine Irrlehre erkennen und die Menschen an sich ziehen konnte?
Paavos Jugend
Paavo (Paulus) Ruotsalainen wurde am 9. Juli 1777 in Tölvänniemi im Kirchspiel Iisalmi geboren. Seine Eltern entstammten einfachen Bauernfamilien, wenn auch einige Vorfahren einmal der führenden Bevölkerungsschicht angehört hatten. Routsalainen heißt auf deutsch: „der Schwede“. Paavo war das älteste Kind einer großen Kinderschar, und so fiel ihm oft die Aufgabe zu, seine jüngeren Geschwister zu hüten.
Er war ein aufgeweckter Junge, der mit einem sehrguten Gedächtnis begabt war. Schon früh zeigte sich bei ihm eine tiefe Frömmigkeit. Einen unvergeßlichen Eindruck übte eine Karfreitagspredigt auf ihn aus, die er als Sechsjähriger hörte. Sein Onkel hatte ihn zum ersten Mal mit in die Kirche genommen. Als der Pfarrer über das Leiden und Sterben Christi sprach, fragte Paavo ganz laut und vernehmbar seinen Nachbarn in der Kirchenbank: „Wer ist ermordet worden?“
Sein Onkel, der seine Frömmigkeit und seinen Eifer bemerkte, brachte ihm das Lesen bei und schenkte dem Sechsjährigen eine Bibel, die 1776 gedruckt war. Diese Bibel kann noch heute auf der Insel Aholansaari, dem letzten Wohnort Paavos, eingesehen werden. Sie trägt die folgende Inschrift:
„Paavali Ruotsalainen von Tahkomäki im Kirchspiel Nilsiä ist der rechtmäßige Besitzer dieses Buches. In diesem Buch steht das ganze Geheimnis darin und der Inhalt des Weges zum Leben. Und dieses große und teure Geheimnis dürfen keine anderen wissen noch verstehen als die, deren Augen geöffnet wurden, ihre eigene Schlechtigkeit zu sehen, aber nicht die Guten, auch nicht die Weisen.
Ehe Paavo das sechzehnte Lebensjahr vollendete, hatte er seine Bibel schon dreimal durchgelesen. Welchen Eindruck der Konfirmandenunterricht auf ihn gemacht hat, ist leider unbekannt. Doch bat er den Pfarrer, seinen zweiten Taufnamen „Henrik“ (Heinrich) zu streichen. Er wollte nur Paavo heißen im Andenken an den großen Heidenapostel Paulus.
Das Lesen der geliebten Bibel brachte ihm aber keinen rechten Frieden, sondern führte ihn in mancherlei innere Nöte und Schwierigkeiten. Oft ging er für viele Stunden allein in den Wald, um dort in der Stille über Glaubensfragen nachzudenken.
„Eins aber fehlt dir!“
Da hörte er eines Tages von dem Schmied Jakob Högman in Jyväskylä, der als Laienseelsorger großes Ansehen und Vertrauen genoß. Häufig kamen Menschen zu ihm, um sich bei ihm seelsorgerlichen Rat zu holen. Sein Auftreten war ruhig und still. Er wollte nicht die Neugier der Menschen wecken, wohl aber ihr Sehnen nach ewigem Leben. Seine Lieblingslektüre war das Büchlein „Ein köstlicher Honigtropfen aus dem Felsen Christus“ von dem Puritaner Thomas Wilcox (geb.1522). Die Kunde von diesem begnadeten Schmied Högman drang auch an Paavos Ohr. So brach er im Winter 1799 ohne Wissen seiner Eltern auf, um nach Jyväskylä zu gehen. Diese lange Reise von über zweihundert Kilometern legte er zu Fuß und ohne genügend Wegzehrung zurück. Nur etwas Rindenbrot war in seinem Rucksack. So mußte er unterwegs oft betteln.
Der Schmied fuhr ihn zunächst hart und barsch an. Als er aber erfuhr, warum Paavo gekommen war, nahm er ihn freundlich auf, bewirtete ihn und sagte zu ihm die entscheidenden Worte: „Eins aber fehlt dir und mit diesem einen alles: Du hast Christus noch nicht in deinem Inneren erfahren.“ Högman wies ihn dann hin auf die Gnade Gottes in Christus, auf die er in aller Sündhaftigkeit vertrauen sollte. Er erinnerte an die Worte Jesu: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Matth. 11, 28) und „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6,37).
Auch sprach er zu Paavo über die enge Pforte, die Notwendigkeit der Bekehrung und der täglichen Buße. Als Lektüre empfahl er ihm neben der Bibel den „Köstlichen Honigtropfen“ von Thomas Wilcox. Wer heute nach Jyväskylä kommt, kann auf dem Friedhof der Landgemeinde einen Gedenkstein sehen, auf dem die Worte des Schmiedes verzeichnet sind: Eins aber fehlt dir und mit diesem einen alles: Du hast Christus noch nicht in deinem Inneren erfahren.
Befreit und froh machte sich Paavo auf den Heimweg. Ihm war die Sonne der Gnade aufgegangen. Selber sagte er später von diesem Ereignis: „ Als ich mich danach anschickte, das Wort Gottes zu lesen, da war alles wie eine neue Auflage. Auch brauchte ich von da ab niemanden mehr um Rat zu fragen, sondern habe selber dem einen und anderen einen Rat erteilt.“
Schon auf dem Rückweg wies er einen alten Bauern, in dessen Haus er übernachtete, auf den Heilsweg hin und begann damit seine Tätigkeit als Laienseelsorger.
Ehe es jedoch zu der oben erwähnten Auseinandersetzung mit Lustig kam, war er noch ein oder zweimal in Jyväskylä bei dem Schmied Jakob Högman, um sich Rat zu holen. Högman erkannte Paavos große Gaben und ermahnte ihn, die Erweckten in ihren geistlichen Fragen zu betreuen. Er machte ihm den Unterschied klar zwischen einem wahren und einem Scheinchristen und betonte, daß wir durch viel Trübsal und Kampf in das Reich Gottes eingehen müßten.
Die Hochschule der „Kiefernfabrik“
Wie schon erwähnt, lernte Paavo mit sechs Jahren von seinem Onkel das Lesen. Ob er jemals schreiben gelernt hat, wissen wir nicht genau. Seine vielen seelsorgerlichen Briefe, die er im Laufe seines Lebens schrieb, hat er in der Regel seinen Freunden und Mitarbeitern diktiert. Die einzige Hochschule, die er besucht hat, so pflegte er zu sagen, war die „Hochschule der Kiefernfabrik“.
In Zeiten der Hungersnot, wenn Hagel und Nachtfröste die Ernte vernichtet hatten, waren die Menschen gezwungen, Rinde ins Brot zu backen. Es war das eine gewisse Schicht der Kiefernrinde zwischen dem inneren Baumstamm und der äußeren Borkenrinde, die gemahlen wurde und dann ein feines, weißes Mehl ergab. Es hatte zwar keinen großen Nährwert, sättigte aber. Diese Notzeiten mit Rindenbrot meinte Paavo, wenn er von der „Hochschule der Kiefernfabrik“ sprach.
Der finnische Nationaldichter Johan Ludwig Runeberg hat darüber ein schönes Gedicht geschrieben, das vermutlich sogar Paavo selber meint, wenn auch sein Name in der deutschen Übersetzung nicht erwähnt wird. Im schwedischen Original lautet die Überschrift: „Bonden Paavo“ („Bauer Paavo“ ).
Die Prüfung
Hoch im Norden zwischen Finnlands Mooren
lag das Gütchen eines alten Bauern.
Fleißig brach sein Arm den kargen Boden.
Doch zum Himmel flehte er um Wachstum.
Gräben zog er, pflügte und besäte.
Als der Lenz vom Schnee das Feld befreite,
schwemmte er die Hälfte von der Saat mit.
Als der Sommer kam mit Hagelschauern,
lagen viele Halme auf dem Boden.
Als der Herbst kam, nahm den Rest die Kälte.
Und die Frau des Alten rief verzweifelt:
„O wir armen, ganz verlaßnen Menschen!
Not ist bitter, doch Verhungern schlimmer.“
Aber er nahm ihre Hand und sagte:
„Prüfen will der Herr uns, nicht verstoßen.
Misch zur Hälfte Rinde in das Brotmehl!
Ich will doppelt fleißig Gräben ziehen.
Doch zum Himmel flehe ich um Wachstum.“
Rinde buk die Frau ins Brot zur Hälfte.
Doppelt fleißig zog der Alte Gräben,
tauschte Schafe gegen Korn und säte. -
Als der Lenz das Feld vom Schnee befreite,
schwemmte diesmal nichts er von der Saat mit.
Als der Sommer kam mit Hagelschauern,
lag jedoch das halbe Feld zerschmettert.
Als der Herbst kam, nahm den Rest die Kälte.
Seine Frau schlug sich die Brust und klagte:
„O wir armen, ganz verlaßnen Menschen!
Laß uns sterben! Gott hat uns verstoßen.
Tod ist bitter, schwerer noch, zu leben!“
Doch er nahm der Hausfrau Hand und sagte:
„Prüfen will der Herr uns, nicht verstoßen.
Mische doppelt Rinde in das Brotmehl!
Ich will doppelt längre Gräben ziehen,
und zum Himmel will ich flehn um Wachstum.“
Rinde buk die Frau ins Brot nun doppelt,
doppelt längre Gräben grub der Alte.
Als der Lenz das Feld vom Schnee befreite,
schwemmte er auch diesmal keine Saat mit.
Als der Sommer kam mit Hagelschauern,
schlug er keinen einz’gen Halm zu Boden,
und im Herbst verschont‘ der Frost den Acker,
ließ ihn stehn in Gold bis auf die Ernte.
Da fiel er auf seine Knie und sagte:
„Prüfen wollte Gott uns, nicht verstoßen.“
Und die Frau sank auf die Knie und sagte:
„Prüfen wollte Gott uns, nicht verstoßen.“
Doch voll Freude bat sie dann den Alten:
„Ach, nun greife stark und froh zur Sense!
Frohe Tage sind nunmehr gekommen.
Jetzt ist’s Zeit, die Rinde wegzuwerfen
und das Brot aus reinem Korn zu backen.“
Da nahm er die Hand der Frau und mahnte:
„Weib, o Weib, nur die bestehn die Prüfung,
die den armen Bruder nicht vergessen!
Misch zur Hälfte Rinde in das Brotmehl!
Denn erfroren ist des Nachbarn Ernte.“
Runeberg schildert uns hier die Not eines Bauern Paavo, der sich eine Neusiedlerstelle angelegt hatte und dessen Felder besonders durch den Nachtfrost gefährdet wurden. Das alles hat Paavo Routsalainen zur Genüge kennengelernt.
Im Jahre 1800 heiratete er die Kleinbauerntochter Riitta Ollikainen, die ziemlich unduldsam und streitsüchtig war und seinen Bemühungen um die Erweckungsbewegung verständnislos gegenüberstand. Sein Vater verschaffte ihm eine Neubauernstelle in der Nähe seiner Heimat. Aber dieses Leben als Neusiedler war eben sehr hart und schwierig. Oft vernichtete der Frost die gesamte Ernte, und es mußte Rindenbrot gebacken werden. Seine Nachbarn waren häufig nicht gewillt, ihm mit Getreide auszuhelfen.
So ging Paavo wieder einmal zu einem reichen Nachbarn, um sich Weizen zu leihen. „Keinen Eimer voll für den Ketzer!“ antwortete dieser barsch. Doch Paavo setzte sich vor die Scheunentür und sagte: „Von hier gehe ich nicht fort, ohne Hilfe empfangen zu haben. Du hast immerhin die Mühe, meinen Körper beiseite zu schaffen.“ Dieses Mal öffnete sich der Weizenspeicher, und Paavo bekam das erbetene Brotgetreide.
Eines Tages verkaufte er die Neubauernstelle, die zu sehr der Frostgefahr ausgesetzt war. Dann versuchte er, den Hof des Schwiegervaters zu bewirtschaften. Aber auch das gelang nicht recht.
Die Familie wuchs und die Armut auch. Finanzielle Schwierigkeiten zwangen ihn, den Hof des Sd1wieger16vaters an seinen Schwager zu verkaufen. Schließlich unternahm Paavo eine Tat der Verzweiflung. Gerüchte besagten, daß in Polen für finnische Neusiedler kostenlos Land abgegeben werde. Paavo lud seine wenigen Sachen auf den Wagen und zog mit seiner Familie nach Süden. Doch in Viipuri (Wiborg) fand die Reise ihr schnelles Ende. Der Gouverneur gab den Auswanderern keinen Paß. Paavo selbst erkrankte schwer. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als nach Nordsavo zurückzukehren. Paavo kam sich vor wie vorzeiten der Prophet Jona, der sich auf die Flucht begeben hatte, auch ohne Befehl und Erlaubnis Gottes.
Zunächst bewohnte Paavo jetzt die Häuslerstelle Soukka im Kirchspiel Nilsiä. Seit 1820 bewirtschaftete er einen Teil des Hofes Tahkomäki im selben Kirchspiel. 1830 kaufte er mit seinem Schwiegersohn einen Hof auf der Insel Aholansaari im Syväri- See, wo er bis an sein Lebensende blieb. 1833 starb seine Frau. Einige Zeit später heiratete er Anna Lovisa Savolainen, eine Anhängerin der Erweckungsbewegung. Die zweite Ehe blieb ohne Kinder.
Reisender im Auftrag Gottes
Paavos Einfluß als Leiter der Erweckten blieb nicht auf seine Heimatgemeinde beschränkt. Bald rief man ihn in andere Gegenden. Gottes Winde begannen zuwehen über diese unfruchtbaren Einödsgemeinden. Von verschiedenen Seiten, sogar von Nordkarelien, kam ehe Kunde von Erweckungen.
So machte er 1816 seine erste längere Reise nach dem Osten Finnlands, nach Nordkarelien. Die Erweckung dort war etwas anderer Art. Der Bauer Paavo Kuosmanen aus der Gegend von Nurmes hatte, als er im See fischen wollte, die Vision eines Engels mit einem glühenden Span in der Hand. Der Engel, der am Ufer stand, ermahnte ihn, selbst Buße zu tun und dann auch anderen Umkehr von ihrem bösen Wege zu predigen. Diese verschiedenen Bewegungen lenkte nun Paavo Ruotsalainen durch seine vielen Reisen und Besuche in nüchterne und gesunde Bahnen. Paavo ist während seines ganzen Lebens sehr vielgereist: zu Fuß, zu Pferde, auf Skiern, im Schlitten und im Boot. Er hat dabei im ganzen etwa 40.000 Kilometer zurückgelegt, was bei den damaligen sehr schlechten Wegeverhältnissen in Finnland eine erstaunliche Leistung war. Der Heidenapostel Paulus – sein großes Vorbild – hat auf den drei Missionsreisen und der Fahrt als Gefangener nach Rom rund 20 000 Kilometer zurückgelegt.
Oft reiste Paavo nach Karelien, später auch nach Pohjanmaa in Westfinnland nahe dem Bottnischen Meerbusen, in die Gemeinden der beiden erweckten Pfarrer Jonas Lagus und Nils Gustav Malmberg. Dies geschah besonders nach dem Jahre 1834. Sogar nach Südfinnland fuhr er. Dreimal besuchte er die Hauptstadt Helsinki, um im Kreis der dortigen erweckten Studenten zu sprechen.
Überall, wohin Paavo als Gast und als Seelsorger kam, herrschte Feststimmung. Von weit her strömten die Erweckten herbei, um an der Versammlung teilzunehmen, ob alt oder jung, Mann oder Frau, reich oder arm. Schon Säuglinge sieht man unter ihnen, ebenso auch Greise. Als einmal gefragt wurde: „Warum nehmt ihr denn schon die kleinen Kinder mit in die Versammlung? Sie schlafen dort doch nur!“ antwortete ein Laienführer der Erweckten: „Nun, wenn sie schlafen, so schlafen sie nicht an einem schlechten Ort.“
Bei den Zusammenkünften wird aus dem Kirchengesangbuch und aus den „Zions-Gesängen“, dem Liederbuch der Erweckten, gesungen. Die „Zions-Gesänge“ enthielten in den ersten Auflagen auch viele Lieder von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Heute sind es fast ausschließlich typisch finnische geistliche Lieder. Zwischen den Liedern werden kurze Ansprachen gehalten, die nicht länger als fünf bis zehn Minuten dauern. So können bei einer Versammlung drei bis sechs Ansprachen gehalten werden, ohne daß sie länger als eine Stunde dauert. Die Versammlung findet auf dem Lande in der „tupa“, der sog. „Rauchstube“, dem größten Raum im finnischen Bauernhause, statt.
Einmal war Paavo wieder auf einer Reise durch Nordkarelien. Mitten in die Versammlung stürzte ein Mann hinein, der mitteilte, daß Paavos einziger Sohn Juhani von den Feinden der Erweckung im Walde ermordet wurde. Paavo hat dieses Ereignis später oft als Warnung für die Gläubigen erwähnt: „Hängt euer Herz nicht an die Welt! Ich tat es, aber Gott nahm mir meinen Sohn fort.“ Und noch etwas pflegte Paavo in diesem Zusammenhang zu sagen: „Gott hat mich Hund mein ganzes Leben lang mit Eisenpeitschen geschlagen, und das war notwendig für mich.“
Um Paavo die vielen Reisen zu erleichtern, schenkten ihm seine Freunde ein Pferd. Er nahm das Geschenk zwar gern und dankbar an, befürchtete aber, daß er dadurch hochmütig und stolz werden könnte. Wenn später einmal die Erweckten sich zu sehr mit ihren Heilserfahrungen brüsteten, dann sagte er zu ihnen: „ Nun, auch mein Wallach wiehert, wenn er Hafer bekommt.“
Als Paavo eines Sonntagmorgens mit seinem stattlichen schwarzen Hengst zur Kirche fuhr, ertappte er sich dabei, wie er dessen stolzen Lauf auf dem Eis des Syväri-Sees bewunderte. Daraufhin wendete ersein Pferd nach Hause zurück und rief bei seiner Ankunft seinen Familienmitgliedern zu: „Kommt nun Hausgenossen, um euch anzuschauen, wie mein Gott aus sieht! Ich habe meinen Gottesdienst schon auf dem Syväri-See gehalten.
Mitarbeiter und Freunde
Die Erweckten Finnlands waren sich bewußt, daß sie ihren Glaubenskampf nicht allein auf sich gestellt durchfechten konnten. Darum suchten sie die Gemeinschaft der Brüder. Deshalb strömten sie so zahlreich zu den Versammlungen. Hier war nie die Frage, wer mitgehen sollte. Alle wollten stets gern mit. Die Frage war höchstens, wer unbedingt zu Hause bleiben mußte, etwa wegen der Säuglinge oder des Viehs.
Auch Paavo konnte die Leitung der Erweckten nicht allein tragen. Gar bald gewann er Mitarbeiter und Freunde, die ihm dabei halfen.
Hier ist zunächst einmal Johan Niskanen (geb.1794) zu nennen, der zu den besten Freunden Paavos gehörte. Er hatte bereits als Kind die Bibel und einige Andachtsbücher gelesen. Im Jahre 1817 schloß er sich den Erweckten an, die damals noch unter der Leitung Lustigs standen. 1819 ging er dann zu Paavo über und begleitete ihn seit dieser Zeit oft auf seinen Reisen. Er schrieb auch seine Erinnerungen an Paavo und die Anfänge der Erweckungsbewegung auf unter dem Titel „Erinnerungsbuch über geistliche Angelegenheiten“ . Paavo selber war zwar gegen dieses Buch. Er sagte zu Niskanen: „Sollen denn die Erweckten von dem schimmeligen Manna leben, das du ihnen während der Verlobungszeit gesammelt hast?“ Paavo blieb mit Niskanen, den er wegen seiner vielen guten Eigenschaften sehr schätzte, bis an sein Lebensende in herzlicher Freundschaft verbunden.
Zu den Pfarrern, die mit Paavo befreundet waren, gehörte zunächst Nils Gustav Malmberg. Er war 1807 als Pfarrerssohn geboren. Sein Vater starb, als er zwei Jahre alt war. Mit zwanzig Jahren wurde er Student. Entscheidend für sein Leben wurde sein Aufenthalt in Petersburg im Jahre 1829. Der schwedische Pfarrer Ehrström von Petersburg hatte nämlich einen Theologiestudenten zu seiner Hilfe angefordert und Malmberg war dazu ausersehen worden. Er kam in Petersburg mit erweckten Deutschen zusammen, die zu dem Goßnerschen Kreis gehörten. Sie kümmerten sich viel um ihn und gaben ihm auch Bücher von Goßner, der 1820-1824 in Petersburg weilte, zu lesen. Hier in Petersburg erlebte Malmberg seine Bekehrung. Er predigte nicht nur in der Stadt selber, sondern auch in der Umgebung. Seine Predigten waren so gewaltig, daß sogar seine deutschen Freunde, die ja die Sprache nicht verstanden, beeindruck waren. Er erregte dadurch jedoch zu viel Aufsehen und mußte nach zehn Monaten Petersburg innerhalb 24 Stunden verlassen.
1830 wurde er ordiniert und kam zunächst nach Kalajoki in Pohjanmaa. 1833 wurde er nach Nivala versetzt, wo er Pfingsten 1834 zum ersten Mal mit Paavo zusammentraf.
Malmberg selber schilderte diese erste Begegnung ausführlich und schrieb u. a. folgendes darüber: „Als ich ihn sah, kam es mir vor, als ob Barnabas von Jerusalem herabgekommen sei, und ich fühlte mich wunderbar belebt allein durch seinen Anblick.“ 1838 wurde Malmberg nach Lapua in Südpohjanmaa versetzt, wo heute noch ein Mittelpunkt der Erweckungsbewegung zu finden ist. Auch in Lapua hinterließen Malmbergs Predigten einen tiefen Eindruck und trugen reiche Früchte. Die Kirchen waren, wenn er predigte, stets voll, und auch die sittlichen Zustände im Kirchspiel besserten sich. Malmberg starb 1858 nach einer längeren Krankheit.
Um einen kleinen Eindruck von der Predigtweise Malmbergs zu vermitteln, sei ein Stück einer Beichtansprache über Johannes 14, 6 zitiert, die er in der Kirche zu Nurmo gehalten hat: „Wenn, mein Freund, der Weg deines Lebens einmal sich ganz steil so erhebt, daß du nicht weißt, wohin du gehen sollst, von welchem Ende du vorwärts gelangen kannst, wenn der eine hierhin rät und der andere dorthin und du nicht weißt, welcher von beiden recht rät und welcher falsch – dann denke daran, daß es einen gibt, der da sagt: Ich bin der Weg! Und wenn allerlei verwirrende Gedanken deinen Sinn verfinstern und du nicht weißt, was wahr ist, was Lüge, und nur ungeduldig fragst: Was ist Wahrheit?, dann höre die Stimme des Herrn, der bezeugt: Ich bin die Wahrheit! Und wenn die Schrecken des Todes dich umgeben und du in deinem Herzen seine eisige Kälte spürst, wenn du nach Leben verlangst in dir selbst und in deiner Umgebung und nirgends etwas anderes als nur Tod findest, wenn dein Tag endet und der Abend naht und wenn du nichts vor dir siehst als Dunkelheit, ein stummes Grab – höre, mein Freund, auch dann lebt ER, der gesagt hat: Ich bin das Leben!“
Noch fünfzig Jahre nach seinem Tode erinnerten sich Gemeindeglieder an Teile aus seinen Predigten. Malmbergs Mitstreiter in Pohjanmaa war Jonas Lagus. Lagus war 1798 in Pohjanmaa geboren und wurde bereits mit vierzehn Jahren Student in Turku. Ein Auslandsstudium war ihm, wie auch den meisten anderen Erweckten, aus finanziellen Gründen nicht möglich. Sie studierten daher in Turku, das natürlich viele Einflüsse von Schweden erhielt. Nach dem Brand der dortigen Universität im Jahre 1828 mußten sie an die nach der Hauptstadt Helsinki verlegte Hochschule umziehen. Lagus hatte großes Interesse für Poesie und Philosophie und las viele deutsche, französische und englische Schriftsteller.
Mit neunzehn Jahren wurde er bereits ordiniert und kam als Hilfspfarrer nach Vöra. Entscheidend für seine Erweckung und Bekehrung wurde ein Krankenbesuch, zu dem er aus einer Gesellschaft herausgerufen wurde. Er machte sich aber nicht gleich auf den Weg. Als er dann endlich ins Krankenzimmer trat, war der Todkranke bereits verstorben. Ein älterer Mann sagte darauf zu ihm: „Verflucht sei der, der des Herrn Werk lässig tut!“ Lagus führte dann noch ein Gespräch mit dem gottesfürchtigen Bauern, der ihn zu dem Krankenbesuch geholt hatte
1828 wurde Jonas Lagus Pfarrer in Ylivieska. Hier begann seine eigentliche Prüfungszeit; denn er verlor seine Frau, seine Mutter und mehrere Kinder durch den Tod. Doch erlebte er auch manche Freude. In seiner Gemeinde brach 1831/32 die Erweckung aus, und er fand manche Amtsbrüder, die mit ihm den gleichen Weg gingen. Paavo gegenüber verhielt sich Lagus zunächst zurückhaltend. Doch als sie sich 1836 in Pyhäjärvi zum ersten Mal trafen, wurden sie Freunde und blieben es bis an ihr Lebensende. Die Freundschaft mit Paavo bedeutete für Lagus eine innere Erneuerung
1845 war Lagus zum Pfarrer von Pyhäjärvi gewählt worden, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1857 blieb. Auch in Pyhäjärvi mußte er durch eine schwere Leidensschule gehen. Seine zweite Frau und einige seiner Kinder starben ihm. Er selbst war auch oft recht krank. Zu diesen persönlichen Sorgen und Leiden kam die Sorge um das Fortbestehen der Erweckungsbewegung, die sich in verschiedene Richtungen zu spalten drohte. Eines seiner letzten Worte vor seinem Tode war folgendes: „Ich habe zwei leere Hände; aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich am Jüngsten Tag auferwecken.“
Zu dem Kreis der erweckten Studenten in Helsinki, den Paavo dreimal besuchte, gehörte auch Lars Stenbäck (geb. 1811). Sein Vater, der ebenfalls Pfarrer war, zog 1823 von Kuortane nach Vörä um. Dadurch kam die Familie Stenbäck in Berührung mit Jonas Lagus und der Erweckungsbewegung. Lars Stenbäck der sehr begabt war, wurde mit sechzehn Jahren Student. Drei Jahre studierte er an der Universität von Uppsala, die übrige Zeit in Finnland. Schon früh zeigte sich seine poetische Begabung. Entscheidend für seine innere Entwicklung war ein Ereignis an der Universität von Helsinki im Jahre 1834. Einige Studenten hatten nämlich bei einem Treffen u. a. gegen einen Universitätslehrer opponiert. Die Folge davon war, daß sechs Studenten, unter ihnen auch Lars Stenbäck, für ein halbes Jahr vom Studium ausgeschlossen wurden. In diesen Monaten der Stille erwachte einneues Leben in ihm.
Ganz verändert kehrte er 1835 nach Helsinki zurück. Er schloß sich jetzt der Erweckungsbewegung an und unterstützte sie. Als er einmal mit Paavo zusammenkam, sagte dieser ihm unter Bezugnahme auf 1. Joh. 2, 20: „Du hast die Salbung und weißt alles.“
Stenbäcks späterer Lebensweg war recht verwickelt. Sein Plan, Pfarrer in Helsinki zu werden, erfüllte sich nicht. Auch die erhoffte Professur erhielt er nicht.1848 bis 1852 war er Rektor in Vasa. Für kurze Zeit war er dann Professor für Pädagogik in Helsinki und zuletzt Pfarrer in Isokyrö, wo er 1870 starb. Er war der Dichter unter den Erweckten. Auch war er der einzige Dichter Finnlands, der die Natur nicht besungen hat, sondern fast ausschließlich geistliche Lieder und Gedichte geschaffen hat. Bekannt ist von ihm u. a. folgendes Kirchenlied:
Jesu Augen
Vor Jesu milde Augen
stell‘ ich in meiner Armut mich,
und meine Lasten trag‘ ich
vor Jesu milde Augen.
Vor Jesu milden Augen
drückt sich danieder Schuld und Tod.
Mit Sehnsucht seh‘ ich in der Not
in Jesu milde Augen.
Vor Jesu milden Augen
hab‘ ich verletzt Gottes Gebot.
Nun wart‘ ich, welches Urteil droht
vor Jesu milden Augen.
In Jesu milde Augen
seh‘ ich allezeit. Und will er mich
verstoßen, sinkend sehe ich
in Jesu milde Augen.
Zu dem Kreis der erweckten Studenten gehörte auch Carl Gustav von Essen (1815-1895). Die Sommer1831 und 1832 verbrachte er bei Jonas Lagus in Ylivieska, durch den er stark beeinflußt wurde. C. G. von Essen war sehr eifrig und wirkte wie ein zündender Funke der Erweckung, wohin er auch immer kam. Aufsehen erregte sein Auftreten im Herbst 1832 bei einer Hochzeit in Malax, wo er sich gegen das Tanzen aussprach und die Hochzeitsgäste ermahnte, „das einzig Notwendige“ zu suchen. 1840 wurde er ordiniert. 1849 wurde er zum Pfarrer von Ylihärmä ernannt und 1862 zum Pfarrer von Ilmajoki. Nachdem er 1864 promoviert hatte, wurde er 1867 Professor für praktische Theologie an der Universität in Helsinki.
Kämpfe und Prozesse
Überall, wo Gottes Geist am Wirken ist, ist auch der Feind auf dem Plan. Je mehr sich die Erweckungsbewegung ausbreitete, desto stärker wurden der Widerstand und die Verfolgungsmaßnahmen der Pfarrerschaft und der Behörden, obwohl Paavo und seine Anhänger sich treu zur Kirche hielten und die Gottesdienste eifrig besuchten.
Man wandte gegen sie vor allem das sog. Konventikelplakat an, das 1726 – noch unter schwedischer Herrschaft – erlassen worden war und alle privaten erbaulichen Versammlungen außer den Hausandachten verbot. Das Konventikelplakat blieb auch in Kraft, als Finnland nach 1809 ein Großfürstentum des zaristischen Rußlands wurde.
Wie sah das kirchliche Leben zu Beginn der Erweckungsbewegung aus? Die führenden Männer der Kirche und der Theologie vertraten in der Zeit von etwa1750 bis 1820 die Gedanken der Aufklärung, die vor allem über Schweden nach Finnland gekommen waren. So fand z. B. der große schwedische Naturforscher Linne in Finnland viele Anhänger. Typisch für diese Epoche ist u. a., daß drei Bischöfe von Turku ihre wissenschaftliche Laufbahn als Professor für Physik und Schüler Linnes an der Universität von Turku begannen.
Die Gedanken der Aufklärung verbreiteten sich durch die Universitäten auch unter der Pfarrer und Lehrerschaft des Landes. In den Predigten sprach man von „Vorsehung“ und dem „höchsten Wesen“. Man vertrat eine recht flache Moral und eine Tugendlehre, die vom Nützlichkeitsstandpunkt beherrscht war. Neologische Predigtsammlungen wurden von den Pfarrem eifrig benutzt und angewandt. Um die Seelsorge kümmerten sich die Pastoren weniger. Dagegen interessierte sie die praktische Arbeit, vor allem die Landwirtschaft.
Ein gutes Bild dieser Zeit gibt Juhani Aho in seinem historischen Roman „Frühling und Nachwinter“. Propst Martin, ein Vertreter der Neologie, schildert in einer Rede an seine Gäste, womit er sich in der Hauptsache beschäftigte: „Ich verwalte, so gut ich eben kann, mein Amt, ich besorge meine Landwirtschaft, pflüge meinen Acker und mache Sümpfe urbar- ich bitte um Entschuldigung, aber wes das Herz voll ist, des geht der Mund über -, ich kaufe und verkaufe auf dem Markt. So ist mein Leben.“
Das Hauptlaster jener Zeit war die Trunksucht. Der Branntweinverbrauch im Jahre 1815 betrug etwa24 Liter pro Person. Bis zu den zwanziger Jahren war noch eine weitere Steigerung zu beobachten. Die verderbliche Wirkung des Alkohols blieb nicht aus. Laster und Verbrechen nahmen zu. Sogar in die Kirche kamen die Menschen in betrunkenem Zustand. Der Sonntag wurde wenig geheiligt. Zwar ging man am Vormittag noch in die Kirche. Doch war die Aufmerksamkeit und Ruhe während des Gottesdienstes sehr schlecht. Nachmittags und abends wurde getanzt, mit Karten gespielt und getrunken. Daß es im Anschluß an solche Feste und Feiern oft zu Schlägereien kam, ist wohl verständlich.
Leider waren die meisten Pfarrer kein gutes Vorbild für ihre Gemeinden. Im Pfarrhaus herrschte oft dasselbe Treiben wie in den Häusern der Gemeindeglieder. Auch hiervon gibt Juhani Aho in seinem eben erwähnten Roman ein sehr anschauliches Bild: „Im ganzen Kirchspiel war das Mitsommerfest der Pfarrherrschaft berühmt und berüchtigt, dieses Fest, wo man sang und tanzte und wo jeder zu Leckereien und Trinkereien eingeladen wurde und wo man zum Schluß ein munteres Tänzchen machen konnte.“
Es ist erklärlich, daß Pfarrer dieser Art, wie Propst Martin, für die Erweckung wenig Verständnis aufbrachten und versuchten, sie zu bekämpfen. Schon wurde ein Anhänger Paavos, Heikki Martikainen aus Iisalmi, auf Grund des Konventikelplakats zu einer Geldstrafe verurteilt.
Da reiste Paavo mit seinem Freund Niskanen bis nach Petersburg, um die Sache der Erweckung vor den Zaren Alexander I. zu bringen, der ja der Erweckungsbewegung gegenüber wohlgesinnt war und eine liberale Religionspolitik ausübte. Paavo und Niskanen wurden auch vor Bischof Cygnaeus, den Bischof der lutherischen Gemeinden in Rußland, vorgelassen, der ihnen seine Hilfe versprach und die Angelegenheit dem Kaiser vortragen wollte. Die Strafe wurde dann zwar auch aus der kaiserlichen Kasse bezahlt, doch blieb eine durchgreifende Hilfe aus. Bischof Cygnaeus, selber ein Finne, zögerte, die Sache dem Kaiser darzulegen. Er war durch einen Brief des Pfarrers von Iisalmi beeinflußt worden. So kam es nicht zu einer offiziellen Anerkennung der Erweckten durch den kaiserlichen Hof.
Im Gegenteil, bereits im folgenden Jahr erschien ein amtliches Verbot, in dem das Abhalten von Andachten in den Häusern untersagt wurde. In einem Beschwerdebrief der Erweckten heißt es dazu: „ Wir haben die Absicht, eher den Geist aufzugeben, als von unserem lebendigen Glauben zu lassen, den der Herr unter uns gewirkt hat.“
Achtzehn Jahre später begann daher ein zweiter Prozeß, der weitaus größere Bedeutung gewann. Es war der Prozeß von Kalajoki (1838/39), bei dem fünf Pfarrer, unter ihnen Jonas Lagus und Nils Gustav Malmberg, sowie über sechzig Laien, unter ihnen auch Paavo, angeklagt und 144 Zeugen verhört wurden. Paavo war ja seit 1834 mit Nils Gustav Malmberg und seit 1836 mit Jonas Lagus befreundet und besuchte ihre Gemeinden öfter. Da nun in zwei Hauptgegenden Finnlands die Erweckungsbewegung besonders lebendig war, nannte sich Paavo im Scherz „Bischof zweier Bistümer“.
Gegen diese sich immer stärker ausdehnende Bewegung sollte mit dem Prozeß von Kalajoki ein Generalangriff geführt werden. Die politische Lage hatte sich gegenüber 1820 geändert. Der russische Zar Alexander I. war 1825 gestorben. Sein Nachfolger, Nikolaus I., führte ein strenges Regiment und setzte die liberale Religionspolitik seines Bruders nicht fort.
Als Anklagepunkt wurde nicht nur das Abhalten von unerlaubten Zusammenkünften erwähnt, sondern auch das Einsammeln von Geldern für die Heidenmission, was besonders Jonas Lagus mit großem Eifer betrieben hatte. Viele der angeklagten Laien wurden zum Teil zu recht hohen Geldstrafen verurteilt, die jedoch in der nächst höheren Instanz etwas abgemildert wurden. Die Pfarrer traf, außer einem, eine halbjährige Amtsenthebung.
Als am 31. August 1839 das letzte Verhör stattgefunden hatte, versammelten sich die Angeklagten mit ihren Freunden im Hof des Gerichtsgebäudes und stimmten Martin Luthers Schutz- und Trutzlied „Ein’ feste Burg ist unser Gott, ein’ gute Wehr und Waffen“ an. Dann fielen Paavo und seine Anhänger auf die Knie, und Paavo pries im Gebet die Gnade Gottes, die sie würdigte, für Christus zu leiden.
Auch literarisch ging man jetzt gegen die Erweckten vor. So veröffentlichte Finnlands Nationaldichter J. L. Runeberg, dessen Gedicht „Die Prüfung“ weiter vorne abgedruckt wurde, 1837 im „Helsingforser Morgenblatt“ eine Artikelserie unter der Überschrift „Brief des alten Gärtners“. Er schildert in diesen Briefen die Erweckung als eine düstere, freudlose und kulturfeindliche Erscheinung, die das gesunde Leben abtöte. Lars Stenbäck, der Dichter unter den Erweckten, blieb ihm aber die Antwort nicht schuldig. Er veröffentlichte entsprechende Gegenartikel mit dem Titel „Antwort an den alten Gärtner“.
Alle diese Angriffe konnten jedoch die Ausbreitung der Erweckungsbewegung nicht hindern. Im Gegenteil! Die Zahl der Anhänger wuchs ständig. Wegen des Konventikelplakats sah man freilich mehr und mehr von größeren Versammlungen ab. Dafür traf man sich bei Märkten, Hochzeiten, Beerdigungen, Pfarrereinführungen und anderen Gelegenheiten desto zahlreicher. Paavo selber riet sogar von größeren Versammlungen, außer bei solchen Anlässen, ab. Aber er ermahnte die Erweckten ständig, die Gottesdienste zu besuchen, auch wenn ein Pfarrer dort predigte, der tieferes geistliches Leben nicht verstand. Wenn jemand geringschätzig über die Predigt eines solchen Pfarrers sprach, sagte Paavo: „Iß den Kern und überlaß die Schale ihrem Schicksal!“
Im Winter 1842 machten die des Amtes enthobenen Pfarrer eine Reise zu ihrem Freund Paavo nach Aholansaari. Als die Gäste spät am Abend ankamen, war Paavo schon zur Ruhe gegangen, aber er erwachte durch das Klirren des Schlittens. Er erkannte sofort Pfarrer Malmbergs tiefe Stimme, rief aber doch sehr erzürnt: „Was für Zigeuner seid ihr, die ihr solch einen Lärm mitten in der Nacht verursacht?“„Des Amtes enthobene Pfarrer“, erwiderte Jonas Lagus. „Na, noch schlimmer als Zigeuner“, setzte Paavo seine kleine Seherzrede fort, „aber man muß euch wohl trotzdem ein Nachtlager bereiten.“ Mit glaubensfrohem Sinn verbrachten diese „Amtsbrüder“ ihre gemeinsamen unfreiwilligen „Urlaubstage“ dort im Herzen von Nordsavo.
Als Jonas Lagus nach seiner halbjährigen Amtsenthebung zum ersten Mal wieder auf der Kanzel stand, begann er seine Predigt mit den ergreifenden Worten: „Ich bin euer Bruder Joseph, den ihr nach Ägypten verkauft habt; lebt mein Vater noch? O ja, ER lebt, euer Vater, mein Vater und der Vater über alles, was im Himmel und auf Erden Vater genannt wird. Er lebt gerecht, barmherzig, geduldig und sehr gut. Und jetzt, da meine Zunge wieder losgebunden ist, darf ich zusammen mit euch ihm danken und ihn loben.“
Aber nicht nur bei diesen Prozessen spürte Paavo, daß das Glaubensleben ein Kampf sei. Seine ganze Verkündigung wurde von dem Gedanken des Glaubenskampfes beherrscht. Immer wieder ermahnt Paavo seine Hörer und Leser, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen (1. Tim. 6, 12). Sie sollen gute Streiter Jesu Christi sein (2. Tim. 2, 3). Gerade die Pastoralbriefe, aus denen die Worte vom Glaubenskampf und vom Streiter Christi stammen, wurden von Paavo viel gelesen und den Erweckten sehr empfohlen. Eine weitere Bibelstelle, die diesen Kampf des Christen ausdrückt, fand Paavo in Hiob 7, 1:
„Muß nicht der Mensch immer im Streit sein auf Erden, und sind seine Tage nicht wie eines Tagelöhners ?“
Das Leben des Christen ist also ein ständiger Kampf, ja sogar ein „geistlicher Krieg“. Darum fragten sich die Erweckten auch, wenn sie sich trafen, zuerst: „Wie ist es jetzt um deinen Krieg bestellt?“
In diesem Kämpfen und Ringen bleibt der Mensch sein Leben lang. Der Glaube ist in ständiger Bewegung. Er ist nie fertig. Er ist nie vollendet. Hierin aber liegt gerade die Gefahr für viele Erweckte. Sie wollen gleich Heilige werden. Sie möchten von einer Rechtfertigung, von einer täglichen Buße nichts wissen. Darum ermahnte sie Paavo:
„Das freiwillige Herantreten zum Gnadenthron, das unter Kampf und Streit geschieht, in beständiger Übung und unaufhörlicher Erneuerung, ist die tägliche Besserung, die alle, auch die liebsten Kinder Gottes, üben müssen, solange sie leben. „
Gerade auch nach der ersten Buße und Bekehrung schickt Gott den Erweckten in die Schule des Kreuzes und in das Trauerhaus. So sagte Paavo zu einem Leiter der nordkarelischen Erweckten:
„Mit Met und Honig bist du auf den Weg geführt worden; aber Pechöl und Teer wirst du als Wegzehrung mitbekommen.“
Das freilich gefällt den Erweckten oft nicht. Sie wollen ein angenehmes, herrschaftliches Leben führen, was Paavo sehr treffend schildert:
„Ihr Herren wollt nur auf dem Sofa sitzen und Leckerbissen essen; ich magerer Hund dagegen muß weite Strecken laufen und meinem Glück danken, wenn ich mit Mühe dann und wann nach vielen Meilen ein kleines, trockenes Brotstückchen bekomme.“
Paavo war im Blick auf seine eigenen Glaubenserfahrungen sehr bescheiden. So sagte er einmal: „ Mögen sich andere Gottes Gnade fertig wie vom Regal nehmen. Ich habe sie stets suchen müssen, wie man eine Nadel in einer Fußbodenritze sucht.“
Der große Seelsorger
Paavo Ruotsalainen war selber, wie bereits geschildert, über zweihundert Kilometer gewandert, um bei dem Schmied Jakob Högman Rat und Hilfe zu suchen. Dieser Schmied war ein begnadeter Laienseelsorger, und in seinem Sinne wollte auch Paavo wirken. So hatte er ja schon auf dem Rückweg von Jyväskylä in seine Heimat einem alten Bauern den Weg zum Heil gewiesen.
Für immer mehr Menschen wurde Paavo dann zum Seelsorger und Ratgeber. Paavo konnte die Menschen ganz persönlich beraten, weil er die Gabe Gottes besaß, die Menschen richtig zu erkennen und zu durchschauen. Er sah bis in die Tiefen des Herzens. Seine Seelsorge trug daher einen prophetischen Zug. Er besaß die Gnadengabe, die Geister zu unterscheiden (1. Kor. 12,10). Es gibt viele Beispiele dafür, wie Paavo – und auch andere Erweckte – durch eine göttliche Eingebung die Seele des anderen völlig durchschauten und dann den richtigen Rat geben konnten.
So kam eines Tages ein junger Mann in voller Verzweiflung und mit Selbstmordgedanken zu Paavo. Noch als er sich der Insel Aholansaari näherte, auf der Paavo ja zuletzt wohnte, sah er sich nach einem Baum um, an dem er sich hätte aufhängen können. Doch dann sagte er sich, daß er das ja noch auf dem Rückweg machen könnte, wenn er keine Hilfe fände. Als Paavo aus der Sauna kam und den Blick des jungen Mannes sah, setzte er sich auf seine Haustreppe, wandte dem Jungen den Rücken zu und sagte: „Wieviel Kiefernäste hast du dir, mein Freund, bei deinem Kommen angeschaut, an denen du dich hast aufhängen wollen?“ Nach dem er dann die Klagen und Sorgen des jungen Mannes gehört hatte, sagte er tiefgerührt : „Höre, mein Freund : Glaube an den Herrn Jesus, dann wirst du selig!“ Da war für den Jungen die Sache klar, und die schwere Last fiel von ihm ab.
Zu einem anderen jungen Mann dagegen, der bei einer Marktreise auf Paavos Schlittenkufe gesprungen war und von dort seine Klagen und Nöte vorbrachte, sagte er: „Bleibe, mein Junge, unter diesen Schmerzen ; denn in ihnen wird der neue Mensch geboren.“ Durch diese wenigen Worte wurde dem jungen Mann geholfen.
Hatte Paavo es mit angefochtenen und vom Gewissen gequälten Menschen zu tun, so forderte er sie auf, sich sogleich an Christus zu wenden und nur zu denken: „Ich bin ein Sünder, aber Christus ist der Retter der Sünder.“ In solchen Fällen stand die Botschaft vom Kreuz im Mittelpunkt seiner Ratschläge.
So erzählte er z. B. einmal, um seine angefochtenen und betrübten Gäste aufzurichten, folgenden Traum:
„Es war, als ob das Jüngste Gericht im Kommen war. Schwermütig, niedergeschlagen und traurig standen große Menschenmengen und warteten, daß etwas Großes geschähe. Da sagten einige aus meiner Umgebung : ,Hier fehlt doch irgend etwas !‘ Und in demselben Augenblick ragte inmitten der unzählbaren Menschenmenge ein Kreuz empor, das vor Helligkeit blendete. Die Menschen hoben ihre Häupter empor, wurden fröhlich, und die schwermütigen und niedergeschlagenen Sinne waren sogleich vergangen.“
Aber nicht immer ist es dem Seelsorger gegeben, dem Nächsten bis auf den Grund des Herzens zusehen. Er muß dann versuchen zu erfahren, wie es mit seinem Gegenüber steht. Zu diesem Zweck hat Paavo öfter die sog. „Examina“ angewandt. Diese Examina sind nicht nur eine Hilfe für den Seelsorger, sondern auch für den Hilfesuchenden, der dadurch seinen eigenen Zustand besser erkennen kann und dann leichter den Weg zum Heil findet. Oft gebrauchte Paavo hierbei recht scharfe Worte. Sehr bekannt ist etwa ein Examen, daß Paavo mit dem Pfarrer und Doktor der Theologie aus Koupio, Julius Immanuel Bergh, anstellte, das er mit den Worten abschloß: „In deinem Kopf befindet sich, was die Dinge der Buße betrifft, nicht so viel Verstand wie in diesem Pferd.“ Bergh aber spürte, was Paavo meinte, und sie wurden gute Freunde.
Solche „Examina“ begann Paavo häufig mit folgenden Fragen: „Glaubst du, daß du selig würdest, wenn du in diesem Augenblick stürbest?“ oder: „Bist du geboren aus dem Heiligen Geist, von heiligen Eltern oder von Adam?
Eine Frau, die öffentlich über ihre Sünden klagte, fragte Paavo einmal : „Hat die Last deiner Sünde das Gewicht jenes Hauses?“ Und als die Frau dann antwortete:
„Mit dieser Sache soll man nicht spaßen“, sagte Paavo: Man paßt nicht in die Hölle mit einer großen Last; denn dort sind die Löcher recht klein.“ Aber noch bei derselben Gelegenheit veränderte Paavo das benutzte Gleichnis ein wenig und sagte: Nun, du paßt schon hinein in die Hölle, die Löcher dort sind doch ziemlich weit.
Paavos Seelsorge konnte auch manchmal recht radikal und mit einer symbolischen Handlung verbunden sein. Klassisch dafür ist folgendes Beispiel: Ein Mann hatte ein Nüchternheitsgelübde abgelegt, das etwa so lautete:
„Wenn ich noch einmal saufe, dann soll mich der Teufel holen!“
Dennoch aber fiel er wieder in die alte Leidenschaft zurück und kam sehr bedrückt zu Paavo. Als dieser ihm nach dem Brauch der Zeit einen Trunk anbot, weigerte sich der Mann und erzählte von seinem Gelübde und seinem Fall. Da wurde Paavo eifrig, seine Augen funkelten, und er rief: „Jetzt kann man endlich einmal mit eigenen Augen sehen, wie der Teufel einen Menschen mit Haut und Haaren nimmt. Das sieht man nicht so oft.“ Dann brach Paavo in ein schallendes Gelächter aus und gab weiter keinen Rat. Schließlich wagte der Mann, den angebotenen Trunk zu nehmen. Paavo stand eine Weile, blickte ganz ernst drein und fragte schließlich:
Fährt er nicht schon ab? Fährt er nicht schon ab? Nein, er begibt sich gar nicht fort. Er müßte es doch schon längst tun.“ Auf diese merkwürdige Weise wurde dem Manne geholfen. Paavo handelte hier aus der Freiheit Christi heraus, der allein die Gebundenen wirklich befreien kann.
Bezeichnend für die Ratschläge, die Paavo bei solch einem „Examen“ oder bei einer anderen Gelegenheit gab, ist, daß es kurze und treffende Worte waren. Nur so blieben sie im Gedächtnis haften und konnten für den Hilfesuchenden zum Segen werden. Diese Worte waren oft recht scharf. Dennoch fehlte ihnen der Hinweis auf den lebendigen Christus und die Frohe Botschaft nicht. Paavo gab mit Absicht solche kurzen Ratschläge und ermahnte auch seine Schüler dazu: „Wenn du anders lehrst, so lehre nicht mit vielen und langen Reden!“ Paavos Seelsorge wurde so mehr und mehr zu einer Seelsorge an den Seelsorgern. Sie galt in erster Linie den Pfarrern und Laienführern der Erweckungsbewegung.
Für die Seelsorge Paavos und seiner Mitarbeiter gab es noch eine besondere Form, nämlich die „Kammergespräche“. Während die Versammlungen im allgemeinen im größten Raum des Hauses, in der sog. Rauchstube („tupa“), stattfanden, wurden die Kammergespräche in der Regel in einem kleineren Raum des Bauernhauses, in einer Kammer („kamari „) abgehalten. So ist die Bezeichnung „Kammergespräche“ von dem Ort her, wo sie stattfanden, entstanden. Doch sind sie nicht auf die Kammer beschränkt, sie können auch in der Rauchstube stattfinden oder im Freien, was besonders im Sommer öfter der Fall ist.
In der Regel werden die Kammergespräche im Anschluß an die Versammlungen abgehalten, doch können sie auch schon vor den Versammlungen beginnen. Zu diesen Kammergesprächen hat jeder freien Zutritt. Jeder, der in der Versammlung war und noch etwas auf dem Herzen hat oder sich noch weiter über Glaubensfragen unterhalten will, kann an ihnen teilnehmen. Keiner wird abgewiesen. Darum hat man die Seelsorge, die bei diesen Kammergesprächen geübt wird, eine „Seelsorge bei offenen Türen“ genannt. Gerade die Kammergespräche bieten den Erweckten Gelegenheit, das allgemeine Priestertum auszuüben.
Lars Stenbäck gibt eine gute Schilderung seiner ersten Eindrücke von den Kammergesprächen im Kreis der erweckten Studenten von Helsinki. Es heißt dort u.a.: „Selten und dann auch nur ausnahmsweise wurde ein Wort des Trostes einem ganz zerknirschten Gewissen geschenkt, aber auch dann folgten so strenge und ernste Ermahnungen, daß sie beinahe ganz die Wirkung des Trostes wegnahmen. Aber es strahlte doch so klar aus einer entlegenen, vielleicht unerreichbaren Feme die Hoffnung von einem Frieden und einer Seligkeit auf, die wir nicht einmal aus den kühnsten Träumen der Jugend heraus ahnen konnten und gegen die alle Pracht und Herrlichkeit der Erde einem wie lauter Staub und Elend vorkam.“
Der Trost wurde zwar nicht so häufig ausgesprochen, aber er fehlte doch nicht. Und gerade Paavoverstand es sehr gut, die angefochtenen Seelen zutrösten. Solche angefochtenen Menschen redete er etwa mit den Worten an: „Mein Junge“, „Liebes Kind“, „Lieber Freund“.
Gerade die Angefochtenen und die, die im Glaubenskampf schwach und müde zu werden drohten, blieben zu den Kammergesprächen. Sie hofften, daß so wie der von der Reise müde Christus sich dennoch mit der Samariterin am Brunnen von Sichar unterhalten hat, er auch zu ihnen kommen würde, um ihnen lebendiges Wasser zu bringen.
In den Kammergesprächen wurde viel über Sünden und Anfechtungen, über Nöte und Kämpfe gesprochen. Aber eine eigentliche Beichte und Absolution gab es dort nicht. Die Beichte spielte in der Seelsorge der Erweckten – im Gegensatz zu der Seelsorge der Laestadianer – keine so große Rolle. Doch war ja in gewisser Hinsicht alles, was in den Kammergesprächen gesagt wurde, eine Art Beichte.
Lars Stenbäck schrieb in seiner bereits eben zitierten Schilderung des erweckten Studentenkreises in Helsinki noch folgendes: „Schließlich ging man zu einer Art freiwilliger Beichte vor allen Kameraden über. Man legte einfach und, nach meiner vollen Überzeugung und Erfahrung, auch ganz aufrichtig seinen Seelenzustand von der Zeit an dar, die seit der letzten Zusammenkunft verflossen war. Man verglich seine geistliche Erfahrung mit der der Kameraden, gab und nahm Rat entgegen, wobei man sich genau daran erinnerte, daß, nach dem Wort des Apostels, nur der, der sich gern strafen läßt, Hoffnung hegen kann, schließlich eine wahre Besserung und Buße zu tun und das so innerlich ersehnte ,verborgene Leben in Gott‘ gewinnen zu können, das4 2ihnen allen so schön vorschwebte und nach dem sie alle so ernst strebten.“
Glaube und Humor
Paavos seelsorgerliche Ratschläge waren oft gewürzt mit Humor. Paavo war, wie auch unser Reformator D. Martin Luther, ein Mann des Humors. Die Landschaft Savo, seine Heimat, ist das gelobte Land des finnischen Volkshumors.
Während des Marktes in Kuopio gingen einmal zwei fromme Mädchen zusammen mit Paavo in die Stadt. Bei der einen von ihnen glaubte er heimlichen Stolz zu bemerken. Als ihnen einige junge Männer entgegen kamen, die mit Mädchen Arm in Arm gingen, rief Paavo ihnen zu: „Jungens, tauschen wir die Bräute!“ Das nahm ihm die eine der beiden Begleiterinnen sehr übel und lief davon. Die andere aber verstand den wahren Sinn der Worte Paavos.
Als Paavo einmal von zwei Frauen nach seiner Lehre gefragt wurde, klopfte er die Aschenreste aus seiner Pfeife in seine Hand, steckte die Pfeife hinter seine Backe und sagte: „So beschaffen ist meine Lehre“ Ihm kam es nicht so auf die Lehre an, die sich von der Lehre der lutherischen Staatskirche Finnlands nicht unterschied, sondern auf das Glaubensleben im Alltag.
Berühmt und bekannt wurde Paavos Antwort an den Philosophen Johan Wilhelm Snellman, als dieser auf Paavo mit seiner Hegelschen Philosophie einwirken wollte: „Ihr Philosophen behandelt die Bibel wie das Schwein das Kartoffelfeld.“ Der Grundsatz gesunder Natürlichkeit wird auch bei Paavos Einstellung zur Bekleidungsfrage sichtbar.
Nach seiner Ansicht soll jeder bei der seinem Standangemessenen Kleidung bleiben, ohne sich herauszuputzen. Die von den Erweckten noch heute bevorzugte Männerkleidung, der sog. „ Schoßrock“ mit hinten dreimal geschlitzten Schoß, ist ursprünglich eine altfinnische Bauerntracht. „ Was zum Teufel bist du denn für ein General?“ fuhr Paavo einmal einen Bauern aus seinem heimatlichen Kirchspiel an, der eines Winters im Pelz und mit einem eleganten roten Gürtel nach der Insel Aholansaari kam.
Paavos Humor spiegelte sich auch in dem wider, wie er über sich selber dachte. So sprach er einmal beim Schwimmen zu sich selber: „Soll vielleicht dieser nackte alte Knacker ein Tempel des Heiligen Geistes sein?“
Vor seinem Tode gab er seiner Tochter den Auftrag, auf seinem Grab einen Nadelbaum zu pflanzen. Er sagte: „Auf mein Grab muß man den allerstachligsten Baum setzen; denn ich bin der allerstachligste Mensch gewesen.“ Auch bei den Freunden und Mitarbeitern Paavos fand sich dieser Humor. So hatte sich der recht vermögende Bauer und Laienprediger Juho Malkamäki einen neuen Hof erbaut. Ein Gast aus Savo, der ihn besuchte, sagte: „Von solch einem stattlichen Hof kommt man sicher in die Hölle.“ Daraufhin antwortete Malkamäki: „Baue du einen Hof, von dem aus man direkt in den Himmel kommt, so will ich sofort meinen hier niederbrennen.“
Dieser Juho Malkamäki hat auch einmal zu einem Pfarrer gesagt: „Ich habe gedacht, daß wohl auch der Humor zwischendurch gut ist, wenn er zur rechten Zeit gesagt wird. Dann erfreut er das Gemüt und erquickt.“
Das Boot liegt am Ufer.
Im Jahre 1846 besuchte Paavo zum letzten Mal Pohjanmaa. Dort fand die Hochzeit zweier Pfarrer der Erweckten im Hause von Nils Gustav Malmberg in Lapua statt. Gottes Winde wehten jetzt in den weiten Ebenen von Süd-Pohjanmaa. Paavo hatte seinen Lebensabend erreicht. Das Boot, das so viele Reisen von Aholansaari aus gemacht hatte, wartete jetzt vergeblich auf den Reisenden. Doch kamen noch viele Besucher zur Insel, um bei Paavo Trost, Rat und Hilfe zu suchen.
Während so das Boot am Ufer lag, ruhte doch der Federhalter noch nicht. Paavo stand noch in regem Briefwechsel mit seinen Freunden und Mitarbeitern und vielen Ratsuchenden. Immer wieder diktierte er einem seiner Mitarbeiter, der gerade bei ihm auf der Insel Aholansaari weilte, eine Reihe von seelsorgerlichen Briefen.
Paavo dachte hierin genauso wie sein Mitstreiter Jonas Lagus, der im Jahre 1833 über den Sinn seines Briefwechsels mit den Amtsbrüdern an J. M. Topelius folgendes schrieb: „Wir sind noch dazu Diener bei demselben Herrn, und nichts soll uns lieber sein, als unsere geistlichen Erfahrungen in seinem Dienst einander mitteilen zu können und so wie Wächter in der dunklen Nacht einander zuzurufen, damit wir dadurch viele ermuntern, bis der Morgen anbricht. „
Mit den seelsorgerlichen Briefen von Paavo und Jonas Lagus ist uns ein großer Schatz geschenkt worden. Von Paavo sind uns dreiundachtzig solcher seelsorgerlichen Briefe erhalten. Dagegen hat sich Lagus ausdrücklich gegen eine Verbreitung seiner Zeilen gewandt: „Obwohl ich es für unbegründet halten will, möchte ich jedoch vor jeglicher Verbreitung meiner geringen Zeilen warnen.“ So ließ Lagus selbst vor seinem Tode eine große Sammlung Briefe, die er empfangen hatte, verbrennen und sagte, als es geschehen war: „Jetzt ist das Brandopfer verrichtet; jetzt muß das Dankopfer geschehen.“
Auch in den seelsorgerlichen Briefen der Erweckten wurde manches harte und ernste Wort geschrieben. Aber der Briefschreiber hat sich nie für besser gehalten als den Empfänger des Briefes. Auch die Briefschreiber waren sich dessen bewußt, daß sie arm und krank sind und der Hilfe desselben Herrn und Heilandes bedürfen wie die Empfänger. So schreibt Jonas46Lagus im Jahre 1853: „Nicht habe ich mehr, als Ihr habt, aber noch wandern wir draußen und müssen einander zurufen und warnen.“ Und Paavo schrieb einige Jahre vorher: „Ich bin ein listigerer Sünder, als Ihr jemals in Eurem Leben gesehen habt, aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt.“
Paavo wußte also, daß er in der gleichen Lage ist wie der Empfänger seines Briefes. Auch ihm fehlte oft der Glaube. So schrieb er einmal: „Ja, lieber Freund im Herrn, ich weiß, daß Euch oft der Glaube fehlt wie auch mir, den man doch für einen Glaubenshelden hält.“
Der Alte, der für Tausende geistlicher Lehrer und Vater sein durfte, geriet am Ende seines Lebens in große innere Anfechtungen. Er hatte viele Kämpfe und Versuchungen zu durchstehen. Oft verbrachte er schlaflose Nächte, weil er sich fragte, ob er denn den Menschen, die zu ihm kamen, eine richtige Antwort gegeben habe. Und gerade in den letzten Jahren seines Lebens wurde er von solchen Fragen gequält: „Was soll ich am Rechenschaftstage antworten, da ich so oft getröstet habe, wo ich hätte warnen sollen, und gewarnt habe, wo ich hätte trösten sollen?“
Die Anfechtung gehört in das Leben eines jeden Christen. Das erfuhr Paavo genauso wie einst Martin Luther. Je mehr Glauben der Christ hat, desto mehr Anfechtungen hat er auch. Die Gefahr der Anfechtung besteht darin, daß in ihr der Unglaube über den Glauben den Sieg erringt. So kann in der „Hitze des Unglaubens“ der Angefochtene leicht ermatten. Darum ermahnte Paavo die Angefochtenen: „Halte den Kopf hoch, wenn auch die Füße in der Hölle brennen!“
Das ist die einzige Hilfe, die es für den Angefochtenen gibt. Er muß aufblicken, und zwar aufblicken auf Christus. Auf dem schnellsten Wege soll er zu Christus eilen. Er soll im Neuen Testament von dem Schächer am Kreuz und dem verlorenen Sohn lesen. Dann wird er schon eine Antwort und die rechte Hilfe finden.
Das hat Paavo alles in den letzten Jahren seines Lebens ganz persönlich erfahren. Am 27. Januar 1852 erlöste ihn der Tod von aller Anfechtung und Krankheit. Eins seiner letzten Worte soll gewesen sein: „Ich habe dennoch gesiegt, alles ist verklärt. Jetzt darf ich heimgehen. Ich kann Gott nicht so danken, wie ich es gern möchte. Jesus Christus, sei du mein Dankopfer vor dem himmlischen Vater!“
Paavo Routsalainen wurde unter großer Anteilnahme seines Freundeskreises auf dem Friedhof in Nilsiä begraben, wo man heute noch sein Grab sehen kann. Auf dem Gedenkstein ist Paavos Lieblingslied verzeichnet, das er sich oft vor seinen Ansprachen in den Versammlungen als Eingangslied erbat. Es ist der Choral des Schweden Haquin Spegel mit Gedanken aus Psalm 71. In diesem Kirchenlied heißt es u.a.: „Deine Kraft möchte ich verkündigen und deiner Gnade danken, so daß auch Kindeskinder noch deine Ehre sehen mögen.“ Die Erweckungsbewegung, deren Begründer Paavo Ruotsalainen, der „Prophet der Wildnis“, sein durfte, hat tatsächlich dem finnischen Volk immer wieder lebendiges Wasser der Gnade Gottes dargereicht.
Wie es weiterging
Nach dem Tode von Paavo Ruotsalainen erlebte die Erweckungsbewegung mancherlei Rückschläge. Es kam zu Spaltungen und vergeblichen Einigungsversuchen. Schon zu Paavos Lebzeiten gab es einige Differenzen, und die Bildung verschiedener Richtungen bahnte sich an.
Als erstes ist hier die Bewegung der sog. „Beter“ zu nennen, deren Führer der Pfarrer Henrik Renqvist war. Renqvist war im Jahre 1817 als Pfarrer nach Liperi in Karelien gekommen, wo er seine Gemeindearbeit mit großem Eifer und Nachdruck betrieb. Erlegte besonderes Gewicht auf das Gebet in kniender Stellung, das wenigstens fünfmal am Tage verrichtet werden sollte. Seine Grundthese lautete: „Bete, dann erwachst du und bekommst Glauben.“ Ferner war er ein Kämpfer für die Nüchternheit. Er verbot jeglichen Alkoholgenuß. In seiner Verkündigung herrschte die Gesetzlichkeit vor.
Paavo reiste 1822 nach Liperi, um Henrik Renqvist und seine Arbeit persönlich kennenzulernen. Beiden Zusammenkünften und Andachtsstunden, die in Liperi gehalten wurden, wunderte sich Paavo sehr darüber, daß alle Teilnehmer von Zeit zu Zeit auf die Knie fielen, um zu beten, was sie sogar in der Kirchewährend des Gottesdienstes taten. Paavo, der hierin die Gefahr einer Werkgerechtigkeit sah, hielt eine eindrucksvolle Rede über die Rechtfertigung des Menschen durch den Glauben ohne des Gesetzes Werke (nach Röm. 3, 23-31). So kam es zu einem Bruch zwischen Renqvist, der die Gefahr der Gesetzlichkeit nicht einsehen wollte, und Paavo, die nun gegenseitig die Arbeit und Lehre des andern verwarfen.
Alle Vermittlungsversuche, die später noch gemacht wurden – so traf man sich im Jahre 1824 in Kuopio und 1838 in der Hauptstadt Helsinki scheiterten. Eine Einigung dieser beiden Richtungen gelang leider nicht.
Von noch größerer Bedeutung als der Bruch mit Renqvist war die Spaltung, die 1844 eintrat. Im Jahre 1836 hatte sich nämlich der Pfarrer Fredrik Gabriel Hedberg den Erweckten angeschlossen. Hedberg hatte in Turku und Helsinki studiert und kam 1834 als Hilfspfarrer nach Lohja. Hier kam er mit den Erweckten und besonders mit Jonas Lagus in Berührung. Als seine pietistischen Bestrebungen der Kirchenleitung bekannt wurden, versetzte man ihn 1840 als Gefängnisprediger nach Oulu.
Als er im Jahre 1842 zum ersten Mal mit Paavo zusammen traf, war er zunächst ganz von ihm eingenommen. Er schrieb darüber folgendes: „Gott ließ mich unter dem gebrechlichen Äußeren eine Tiefe der geistlichen Erfahrung und wahres Glaubensleben sehen, das nicht nur mich mit Seele und Herz dem Alten ergeben machte, sondern mir auch ein neues Licht öffnete auf dem verborgenen Weg des Glaubens.“
Aber bald regte sich bei ihm auch die Kritik an der Lehre, die von den „Vätern der Erweckungsbewegung“ vorgetragen wurde. In seinem Briefwechsel mit Jonas Lagus und anderen Erweckten brachte er manchmal seine Bedenken vor, etwa gegen die Lehre von der täglichen Reue und Buße. Doch billigten die Erweckten im allgemeinen noch seine Anschauungen. Sein erstes Buch „Glaubenslehre zur Seligkeit“ wurde von Jonas Lagus und Paavo Ruotsalainen voll und ganz anerkannt. Erst nach dem Bruch im Jahre 1844 wurde es von ihnen verworfen.
Zu diesem Bruch kam es durch folgende Ereignisse. Zu einem Pietistentreffen anläßlich einer Doppelhochzeit in Esbo im Jahre 1843 war auch der Reichsschwede C.O. Rosenius eingeladen worden, der in Schweden für die Erweckung arbeitete. Paavo aber verstand es nicht recht, mit Rosenius zu verhandeln. Er stieß diesen durch seine vielen Fragen so vor den Kopf, daß er bald wieder enttäuscht nach Schweden abreiste. Hedberg dagegen trat bald darauf mit Rosenius in engere Verbindung.
Im Juni 1843 fand ferner die Einführung von Hedberg in der Gemeinde Pöytis statt, zu der viele erweckte Pfarrer kamen. Am Abend vorher sprach man über den Weg zur Seligkeit. Da legte Hedberg seine Gedanken dar von dem Verdienst Christi und der Rechtfertigung durch den Glauben. Er schrieb darüber später folgendes: „So ging mir deutlich das Licht des Wortes Gottes auf, daß alles dieses mir schon vollkommen von Christus erworben war und daß ich nichts anderes dazu brauchte, als allein im Glauben das Wort des Evangeliums zu umfassen, das Gnade und Rechtfertigung predigt.
Noch zwei weitere Ereignisse führten dann zu dem endgültigen Bruch zwischen Paavo und Hedberg. Leider versuchte Hedberg nicht, die Sache persönlich mit Paavo im Gespräch zu klären. Er reiste nicht selber zu Paavo, sondern schickte nur zwei seiner Anhänger zu ihm nach Nilsiä. Dieses Treffen wurde aber zu einem großen Fiasko und besiegelte dann den endgültigen Bruch.
Paavo schickte an Hedberg eine offizielle „Bannbulle“, in der er ihn als einen Philosophen, Judas Ischarioth und Ananias bezeichnete. Ebenso schrieben Lagus und Malmberg harte Briefe an ihn. Die Antworten Hedbergs darauf sind dann auch nicht gerade milde gehalten. So gingen ihre Wege auseinander.
Hedberg wurde der Führer der „ Evangelischen Bewegung“, die sich 1873 in der „Lutherischen Evangeliumsvereinigung in Finnland“ zusammenschloß. Ihr Ziel war es, das Evangelium von Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, lauter und rein zu verkündigen. Das Schwergewicht ihrer Arbeit legten sie darum auf den Gottesdienst und auf die Austeilung der Sakramente. Seelsorge wird bei ihnen weniger geübt. Beim Gebet benutzen sie meistens formulierte Gebete, weniger das freie Gebet.
Als dritte Bewegung seien hier noch die Laestadianer erwähnt. Sie gehen zurück auf den reichsschwedischen Pastor Lars Levi Laestadius (1800-1861). Er war ein sehr begabter Mensch, der auch als Botaniker über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt wurde. Im Jahre 1843 wurde er Propst und Visitator der Lappmarksgemeinden. Bei der Visitation in Asele im Januar 1844 fand er durch das einfache Lappenmädchen Maria eine neue Einsicht in die Heilsordnung.
Er selber schildert dieses einschneidende Ereignis seines Lebens sehr anschaulich: „Und jetzt erst dachte ich, jetzt sehe ich den Weg, der zum Leben führt; er ist verborgen gewesen, bis daß ich mit Maria sprechen durfte. Ihr einfältiger Bericht über ihre Wanderungen und Erfahrungen machten so einen tiefen Eindruck auf mein Herz, daß es auch für mich aufleuchtete. Ich durfte an diesem Abend, den ich zusammen mit Maria verbrachte, einen Vorgeschmack der himmlischen Freude spüren.“
Seit dieser Zeit hielt Laestadius gewaltige Bußpredigten und setzte sich mit allen Kräften für eine Erweckung Lapplands ein. Auf sittlichem Gebiet bekämpfte er hauptsächlich die Trunksucht, die dort im hohen Norden sehr verbreitet war. Bald fand er eine Reihe Anhänger – unter ihnen der finnische Lehrer Johan Raattamaa -, die in Lappland umherzogen und seine Lehre verbreiteten. Eine Erweckung, die besonders am Anfang stark ekstatische Züge trug, brach auf und drang auch nach Norwegen und Finnland. Heute gibt es auch in Nordamerika Laestadianer, aber die meisten von ihnen leben in Finnland. Hier ist es eine rein finnischsprachige Bewegung.
Paavo und Laestadius standen zunächst in freundschaftlichem Briefwechsel. Später aber kam es zu einer Auseinandersetzung und Trennung, da Laestadius – ebenso wie Henrik Renqvist – jeglichen Alkoholgenuß verbot. Im Jahre 1854 sagte Laestadius in einer Predigt: „Die Trinker dürfen in der Hölle mehr Feuer und Schwefel trinken, als durch die Gurgel geht “ Paavo dagegen kritisierte Laestadius als einen Gesetzesprediger, dessen Lehre zum Papsttum führe. Leider haben sich beide persönlich nie kennengelernt. Auch Jonas Lagus äußerte sich scharf gegen die Laestadianer. 1855 schrieb er an einen Freund: „Mit den Verrückten des Laestadius laß dich nicht ein! Sie mögen nun rasen, solange sie können!“
Mit diesen Spaltungen und dem Sterben der Führer der Erweckungsbewegung in den fünfziger Jahren:
1852 Paavo Ruotsalainen,
1857 Jonas Lagus und
1858 Nils Gustav Malmberg
begann für die finnische Erweckungsbewegung die sog. „Zeit der Greise“. Die Leitung der Bewegung lag jetzt in den Händen von älteren Laien.
Jonas Lagus hatte etwas von dem Niedergang der Bewegung in den fünfziger Jahren geahnt. Er sagte wenige Stunden vor seinem Tode u. a. folgendes: „Mit mir stirbt diese Lehre; noch ist der Schatten eine Zeitlang da, aber dann verschwindet auch er.“ Doch Lagus sollte nicht recht behalten.
Neues Leben erhielt die Erweckungsbewegung, als in den achtziger Jahren Wilhelm Malmivaara (1854 bis 1921), der Sohn Nils Gustav Malmbergs, die Leitung übernahm. Während er in Kiuruvesi als Pfarrer tätig war, brach dort eine neue Erweckung auf. Von Wilhelmi Malmivaara (Malmivaara ist der finnische Name für Malmberg) stammen viele Lieder in den „Zions-Gesängen“, dem Liederbuch der Erweckten Finnlands. In den ersten Auflagen fanden sich dort auch viele Lieder von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Heute sind es jedoch fast ausschließlich finnische Lieder.
Eines der schönsten geistlichen Lieder von Wilhelmi Malmivaara in den „Zions-Gesängen“ ist die Nr. 167, ein Pilgerlied, das übersetzt etwa so lautet:
Ach, Herr, wenn wir am Ende der Erdenreise dich
sehen könnten! Ach, wenn wir einmal den Herrn
in seiner Königsherrlichkeit schauen dürften!
Nach dir sehnt sich mein Herz;
nach dir schreit mein Geist.
Ich bin allein hier in Trauer und Tränen.
Alles andere vergeht, nur du nicht.
Hilfe bekommt mein Herz allein von dir.
Du zählst auch meine Tränen.
Hilf mir, Herr, ich glaube nur,
auch wenn kein Glaube mehr wäre.
Ich laß dich nicht, du segnest mich denn!
Ach, Herr, gewähre mir deine Gnade
und Kraft für die Erdenreise!
Vergib mir, trage mich und führe mich ans Ziel!
Ach, käme im mit der Schar der Erlösten,
auch mit meinen Freunden und Verwandten
einst bei dir droben an, o Herr!
Wenn es doch geschähe!
Um die Predigtweise Malmivaaras zu kennzeichnen, seien einige Sätze aus einer Ansprache zitiert, in der er von einem Kranken berichtet, der sagte, daß er noch am Ende seiner Lebensreise und seines Kampfes am selben Punkte sei wie am Anfang. Malmivaara fuhr dann fort :
„Ach, nach meiner Meinung war auch dieser Kranke in den zwanzig Jahren unerhört vorwärtsgekommen und hatte viel gelernt, war in eine hohe Schule gegangen, obwohl es ihm selbst unbewußt war, und auf eine Weise, die ihm verborgen war! Wenn er nicht diese zwanzig Jahre gekämpft hätte, so hätte er nicht gelernt, daß er am selben Punkt stand, von wo aus er angefangen hatte. Und wenn wir vor dem Herrn meinen, daß wir nicht einen Schritt vorwärtsgekommen sind, wo haben wir wohl dieses gelernt? Das ist keine Aufgabe zum Auswendiglernen, keiner kann es für einen anderen garantieren. Das lernt man in keinem Buch, sondern nur in der Schule des Heiligen Geistes.“
Seit 1888 erscheint die „Geistliche Monatszeitschrift“, die ein Organ der Erweckten Finnlands ist. Dazu erscheinen heute auch noch eine Jugendzeitschrift und andere Blätter.
Mit der „Geistlichen Monatszeitschrift“ war ein lang gehegter Wunsch der Erweckten in Erfüllung gegangen. Schon Johan Fredrik Bergh und Henrik Renqvist hatten den Plan der Herausgabe einer christlichen Zeitschrift gehabt.
Jonas Lagus schrieb dazu im Jahre 1834 an seinen Freund J. F. Bergh: „ Dieser Gedanke ist Euch von Gott eingegeben. Von einer solchen Zeitung erwarte ich die gesegnetsten Früchte. In den Gemeinden, in denen das Wort nicht lebendig verkündigt wird, würde dadurch helles Licht verbreitet werden. Viele unkundige und schlafende Lehrer könnten durch Gottes Gnade zur Sorge um ihr Heil erweckt werden. Der liebreiche Erlöser mache uns zu reinen und demütigen Gefäßen, in die er seine Gnade und seinen Geist gießen kann! Will er, ruft er, sendet er uns, so sollen wir durch seine Kraft gegen das Heer der Finsternis kämpfen. Vielleicht wird etwas Saat in gute Erde fallen und Frucht zum ewigen Leben bringen.“
Als Voraussetzung für diesen Zeitungsplan schrieb Lagus in demselben Brief über den geistlichen Zustand im damaligen Finnland folgendes:
„Die Wächter auf den Mauem Zions schlafen; sie sind zum Schweigen gebracht von Weltliebe und Menschenfurcht; Dunkel bedeckt das Volk; das Evangelium wird zur Sicherheit gepredigt ; Jesus ist unbekannt. Gottes Heiliger Geist wird als unwirksam angesehen, und wo er auftritt in Kraft und Stärke, wird er als Hirngespinst, als das Spiel einer entflammten Phantasie angesehen. So ist der allgemeine Zustand in unserem christlichen Finnland. Aber der Teufel weicht nicht vor einer kraftlosen Klage; mit Jammerrufen wird Gottes Tempel nicht erbaut. Laßt uns darum in Jesu Namen und im Vertrauen auf seinen Beistand mit gemeinsamen Kräften ins Feld ziehen gegen die Mächte der Finsternis, die in uns und um uns sind! Laßt uns unser anvertrautes Pfand nichtvergraben, damit wir es mit Zuwachs vorbringen können zu dem Herrn Jesus Christus am Tage seiner großen Ankunft!“
In diesem Sinne trieb Jonas Lagus die Sache eifrig voran, nachdem auch Nils Gustav Malmberg seine Mithilfe zugesagt hatte. J. F. Berg übernahm mit seinem Bruder hauptsächlich die praktischen und technischen Seiten. Im Juli 1 83 5 erhielten sie die Genehmigung des Senats und die des Domkapitels von Porvoo (Borgä) .
Ab 1836 erschien die Zeitschrift unter dem Titel „Zeitung für geistliche Themen“. Die Zensur war jedoch streng, und die Herausgabe der Zeitung brachte mancherlei Schwierigkeiten mit sich. Auch waren die Einnahmen aus dem Verkauf der Zeitung gering. Die finnische Ausgabe erschien bis Mitte 1839 und wurde dann wegen Lesermangels eingestellt. Die schwedische Ausgabe erschien mit verändertem Programm und unter dem Titel „ Evangelisches Wochenblatt“ noch bis 1841. Auch Zeitungspläne von Lars Stenbäck aus dem Jahre 1846 gingen nicht in Erfüllung.
1912 wurde die „Erweckungsvereinigung“ gegründet, die ihren Sitz in Lapua in Pohjanmaa hat. Dort befindet sich auch der Verlag und die Buchhandlung der Erweckten.
Seit 1893 wird alljährlich in der ersten vollen Juliwoche ein großes Sommerfest der Erweckten abgehalten, an dem etwa 25 000 bis 30 000 Menschen aus fast allen Teilen Finnlands teilnehmen. So fand z.B.1968 das Sommerfest der Erweckten in dem Kirchspiel Ylistaro statt und stand unter dem Gesamtthema aus Jes. 52,12b: „Denn der Herr wird vor euch herziehen.“
Im Jahre 1 965 fand das Sommerfest in dem Städtchen Iisalmi statt unter der Losung aus Psalm 30, 11 : „ Herr, höre und sei mir gnädig ! “ 1962 wurde das Fest in der Stadt Pori in Westfinnland abgehalten.
Einen besonderen Wert legt man auf die Erziehung der Jugend. So wurde 1914 die erste Heimvolkshochschule nach dänischem Vorbild (Pastor N. F. S. Grundtvig) in der Gemeinde Lapua eingeweiht. Es wurden später noch weitere Heimvolkshochschulen gegründet. Die letzte wurde nach dem zweiten Weltkrieg in Valkeala-Selänpää erbaut. Im ganzen gehören den Erweckten heute acht Heimvolkshochschulen, die jeweils von einem Pfarrer geleitet werden.
Etwa ein Drittel der finnischen Pfarrerschaft und die Hälfte der finnischen Bischöfe gehören zu den Erweckten. Die übrigen Pfarrer stehen der Erweckungsbewegung auch wohlwollend gegenüber.
Viele Diakonissen kommen aus erweckten Familien, und so wurde Finnland das Land, in dem es keinen Mangel an Diakonissen und Krankenschwestern gibt. Auch ist die evangelischtheologische Fakultät der Universität von Helsinki die größte der Welt mit übertausend Theologiestudenten, von denen viele aus den erweckten Kreisen stammen.
Möge etwas von dem Geist der finnischen Erweckung auch bei uns in Deutschland lebendig werden!
Anhang
Außer den vielen seelsorgerlichen Briefen (etwa 83), die Paavo Ruotsalainen hinterlassen hat, besitzen wir von ihm nur eine kleine Schrift, die nachfolgend aus ihrer schwedischen Fassung übersetzt und wiedergegeben wird:
Warum werden nicht alle Erweckten selig?
Von einem Finnen, Piteä.
Gedruckt bei Nygren und Johansson, 1847.
Hier folgt eine kurze Ansprache an den geehrten Bauernstand: Was ist die Ursache dafür, daß nicht alle vom Herrn Erweckten selig werden? Diese Ursachen sind nun schon vorher beschrieben und gedruckt worden; aber ihr seid ein hartherziges Volk, ihr meine Mitbrüder! Ihr habt noch nicht die Liebe zur Wahrheit angenommen, wie es in der Bibel geschrieben steht.
Jetzt habe ich in großer Schwachheit in dieser kleinen Schrift zu erkennen gegeben eure, der Bauern, Sorglosigkeit und listige Ränke. Die Betrügereien der Bauern versteht kein anderer besser als ich, der ich der Listigste von allen bin. Aus diesem Grunde schrieb ich einige Zeilen im Namen des Herrn, damit ihr euch nicht verirrt.
Und nun inzwischen, der Herr sei Richter und Zeuge : Wenn diese wenigen Zeilen unrecht geschrieben sind, so bezeugt, daß es unrecht ist und verzeiht meine Beschuldigung ; wenn es aber wahr ist, so tutschnelle Besserung, ehe Gott in seinen gerechten Gerichten euch unter das Gericht der Verhärtung schlägt!
Nun, leb wohl, geliebte Gemeinde, in der Fürsorge des Herrn, der am Kreuze ausrief: „Jetzt ist alles vollbracht!“ Was ist vollbracht? Der allergrößte Sünder, der zu dem Heiland kommt, der am Kreuze hing, soll volle Vergebung für seine Sünden haben. Mit diesen Worten, unser geringer Stand, leb wohl!
Ich komme zu dir, du Bauernstand mit einer kurzen Frage: Was ist die Ursache dafür, daß nicht alle Erweckten selig werden? Im glaube aber wohl, daß die Hauptursache dafür darin liegt, daß sie – obwohl sie gerade erweckt sind -, nicht sofort durch die enge Pforte gegangen sind, die gleich am Anfang des Weges zum Leben liegt.
Jetzt folgt sogleich wieder die nächste Frage :Warum sind sie nicht durch die enge Pforte gekommen, obwohl sie vom Herrn erweckt sind? Die Ursache dafür ist folgende: Dieses Volk ist ein halsstarriges Volk. Es geht ihm so wie dem Volk zur Zeit des Mose, das gegen Gottes Verbot begann, ins Land Kanaan zu ziehen, ohne die Führung des Herrn. Der Bauernstand hat zur Zeit die gleiche Gesinnung.
Jetzt bleibt noch die Frage : Wie mag das wohl unter ihnen zugehen? Es geht dort auf folgende Weise zu : Wenn sie erweckt sind von der Finsternis zum Licht, nämlich zur Erkenntnis ihrer Sünden, so sind sie demütig und bußfertig, so wie Bunyan von ihnen folgendermaßen schreibt : „Wenn die Flammen der Hölle ihnen um die Ohren schlagen, dann sind sie bußfertig.“
Nun ist die nochmalige Frage: Was ist die Ursache dafür, daß es so geht, obwohl sie von Gott erweckt sind? Die Hauptsache liegt darin : Wenn das Gericht des Gesetzes im Gewissen nachläßt, so nehmen sie an – wie es ein jeder gerade braucht -, auf dem Lebensweg der Gerechtigkeit zu sein, der jetzt ihrem eingebildeten Glauben folgen sollte. Aber da nun die Gerechtigkeit des Lebens keinen Fortschritt zeigt nach der Erleuchtung des Gewissens, so fällt ein Teil dieser Menschen in knechtische Furcht, die wiederum Unglauben gebiert. Ein anderer Teil dieser Menschen, die eine weisere Vernunft haben, sind betrübt unter Anfechtungen und Bestrafungen, aber während ihres täglichen Lebens sind sie dennoch leichtsinnig und sicher. Fragst du: Warum sind sie so? Darum, weil sie nicht durch die enge Pforte hineingekommen sind, die am Anfang des Lebensweges liegt, von der Bunyan viel berichtet und von der auch Christus selbst sagt:„ Viele suchen hineinzukommen durch die enge Pforte und werden es nicht können.“
Die Ursache dazu liegt in dem vorher Genannten, daß sie vorzeitig von der Sorge der Buße zu heiligen Übungen übergehen ; und ein Teil mit Gesang, andere mit Gebeten und ähnlichen Mitteln ersticken diese Sorgen nach Gottes Sinn, obwohl sie ihren Taufbundgebrochen haben. Und durch diese Mittel geht nun bei ihnen die rechte Sündenerkenntnis verloren, die Gott in ihnen zu wirken begann.
Nun, es gibt doch jetzt in Finnland erweckte Pfarrer: Können diese sie nicht zum Rechten führen? Nein, die können sie keineswegs zum Rechten führen; denn sie betrügen die Pfarrer und kommen zum Pfarrer wie das Volk, das bereits die Rechtfertigung erlangt hat. Diese fordern vom Pfarrer freudeweckende Seelennahrung.
Der erweckte Pfarrer wiederum ist von Herzen mitleidig. Er bietet sich an, sie aus ihrer knechtischen Betrübnis mit der Milch des Evangeliums zu nähren und zu heilen; was aber nicht auf die Dauer ausreicht. Aus welchem Grunde nicht? Darum, weil sie nicht durch die enge Pforte auf den Weg des Lebens gekommen sind.
Jetzt kommt wieder eine neue Frage : Welches ist die enge Pforte, von der die Schrift so viel spricht? Ist dieses nicht die enge Pforte: Weil der Sünder Gottes Zorn auf sich ruhen sieht und er ein Übertreter des Taufbundes ist, sollte er darum nicht hier gern vordem Herrn stehenbleiben unter allen Bestrafungen, die sich im Gewissen vollziehen, stille stehen vor dem Herrn so lange, bis er inwendig erfahren darf, daß er die fühlbare Gnade rühmen kann?
Nun, warum geben die erweckten Pfarrer ihnen nicht diesen Rat? Die Ursache dazu liegt darin, daß die philosophischen Lehren sie daran hindern. Diese wissen selbst, wie eine große Mühe es kostet, s ich auf dem Weg des Kreuzes zu erniedrigen, welches ja die Beschaffenheit des Reiches Christi so erfordert. Aber mein Ziel ist es nicht, zu Philosophen oder Gelehrten zu reden. Sie wissen am besten selbst, ob ihr Weg gerade oder krumm ist.
Aber jetzt ist hier schon wieder eine neue Frage: Haben diese denn gar keine Gnade mehr, die in die eben erwähnten Irrungen geraten sind? Hierauf mußgeantwortet werden : Sie haben die große Gnade nach der eigenen Verheißung des Herrn, wenn sie sich von ganzem Herzen zum Herrn bekehren. So bezeugt es ja der Herr selbst: An welchem Tag der größte Sünder zu ihm kommt, soll seiner Übertretungen nicht mehr gedacht werden; so wie auch der Heiland selbst seine Güte erwies dem Schächer am Kreuz in letzter Stunde und dem verlorenen Sohn; alle wurden errettet als ein ermutigendes Beispiel.
Jetzt möchtest du gern die einfältige Ordnung zur Seligkeit wissen, du Bauernstand ! Aber ich antworte dir in Kürze: Du mußt in dieser Zeit des großen Lichtes dir eine rechte Kenntnis von Gottes Wort zulegen, in welcher Ordnung Gott auch den allergrößten Sünder gerechtsprechen will. Du mußt erkennen lernen die Ursache der Erlösung Christi; obwohl die Pfarrer viel Aufhebens von dieser Erlösung machen, so sagen sie doch nur selten den rechten Anfang davon für den einfältigen Bauernstand. Nun, wenn wir uns einerechte Kenntnis davon verschaffen wollen, dann müssen wir uns zur Geschichte der Heiligen Schrift wenden, wo das Wort lautet: „Welches Tages du von der Frucht des verbotenen Baumes issest, wirst du des Todes sterben.“ Nun, wie ging es? Der Menschbrach das Gebot und fürchtete nicht den berechtigten Zorn Gottes.
Nun, du willst jetzt wiederum von Gott wissen, da geschrieben steht: Er ist barmherzig, konnte er nicht in diesem Zusammenhang Adams Übertretung verzeihen? Nein, das konnte er auf keine Weise, ohne seine eigene Heiligkeit aufzuheben. Aber jetzt erbarmte sich der Herr über Adam, er gab die Verheißung von Christus, der vor dem gerechten Gott Adams Verbrechen bezahlte. Jetzt bleibt noch die Frage: Wie ist denn dieser Christus? Das, lieber Freund, hast du doch schon gewußt von deiner Kindheit an und vom Konfirmandenunterricht. Der allmächtige Gott ließ einen Teil seines Geistes als Mensch geboren werden, der leiden und sterben sollte.
Da taucht jetzt die Frage auf: Warum konnte nicht auch ein heiliger Mensch dieses ausrichten? Die Schuld war zu groß, als das ein bloßer Mensch deren Bezahlung vollbringen konnte, was du ja aus dem Katechismus weißt. Hierin liegt nun die Ursache, warum unsere Gerechtigkeit vor dem Herrn nichts taugt. Da ein bloßer Mensch nicht dazu taugte, Adams Schuld zu bezahlen, so taugt noch viel weniger unsere Gerechtigkeit zu irgend etwas, es sei denn zur Wiedergeburt. Aber diese Kunst siehst du gering an, obwohl die Pfarrer so viel davon predigen und poltern.
Nun, möchtest du wiederum gern wissen wollen, was die neue Geburt ist. Der erste Schritt zur neuen Geburt ist folgendermaßen: Sobald du in deinem Gewissen in größerem oder geringerem Maße spürst, ich kann nicht glückselig werden in diesem Zustand, so wisse, daß dieses Gottes Ruf ist! So gib auch dem Ruf die Ehre! Aber auf welche Weise kannst du ihm Ehre geben, wenn du doch geistlich tot bist? Hier folgt ein kurzer Rat: Stell‘ Gottes Allwissenheit vor die Augen deines Verstandes! Du kennst ihn nicht, aber er kennt dich. Und wenn du nicht beten kannst, wie das Wort es fordert, so sehne dich danach, daß der Herr in Gnaden dich ansehen möge ! Wackle hierbei nicht hierin und dorthin, wenn du keine Antwort bekommst! Halte so lange vor dem Herrn aus mit deinem Sehnen, bis du innerlich erfahren kannst: „Jetzt wage ich es, Christus innerlich als meinen Helfer anzueignen, auch wenn ich ein noch so großer Sünder bin.“
Das ist nun das, was in der Heiligen Schrift als Kindschaft bezeichnet wird. Und wenn der Herr es dann für gut befinden sollte, dich länger im „Trauerhaus“ bleiben zu lassen, so ist das für dich heilsam und nützlich, damit du schon am Anfang dein Verderben gründlich kennenlernst, wovon der Heiland schon sagt, gerade in bezug auf diese Trübsale. „Selig sind die Trauernden, selig sind die geistlich Armen.“
Aber warum bist du trotzdem so ungeduldig? Wenn du nicht nach deinem Sinn Trost und Erquickung bekommst, so fällst du schnell in sklavische Furcht, die dann in dir Unglauben erzeugt. Und in diesem Zustand läufst du, um Hilfe bei Menschen zusuchen und nicht in aller Einfalt beim Erlöser, obwohl du schon von Anfang an den einfältigen Weg kennengelernt hast.
Doch wie kann es zugehen, daß du Hilfe bei Menschen suchst? Das geschieht auf diese Weise: Du zählst den Gelehrten auf alle Gewissensübertretungen und betrüglichen Ränke in der Absicht, daß du auf diese Weise Seelenruhe und Frieden bekommen würdest. Aber diese brauchen nur dem allwissenden Erlöser und nicht den Menschen aufgezählt zu werden.
Aber ihr habt entgegen Gottes Warnung euer betrügerisches Herz zu einem Abgott für euch selber gemacht. Wie geht das zu? Das geht auf diese Weise zu: Wenn von euren Herzen gute Gedanken aufsteigen sollten, da setzt ihr euer Vertrauen auf den Heiland. Aber wenn daraus böse Gedanken aufkommen, weil das Herz die Wohnung alles Bösen ist, so versteckt ihr euch in diesem Zustand vor dem Herrn wie Adam im Paradiese. In diesem Zustand sucht ihr mehr Hilfe von Menschen als von Gott, wie eben gesagt.
Nun, gewiß raten euch auch die Gelehrten, zu Christus zu gehen . Aber warum hilft dieser Rat euch nicht? Der Rat hilft nicht, und der Grund dafür ist dieser: Wenn du dir Sorgen machst, im Sinne Gottes, zum Unglauben, so erquickt das dich keineswegs, auch wenn Hunderte von Erlösern sich mit dir verloben würden. Lies die Schriften der Apostel, in welchen folgendes geschrieben steht: „Daß ihr betrübt seid nach Gottes Sinn, welche Sorge hat das in euch hervorgerufen! „Und solange du ungeduldig bist über die göttliche Sorge, so bist du gehorsam deinem eigenen betrüglichen Herzen, das allezeit nur aus dir heraus Furcht vor Gott und vollen Unglauben gebiert.
Jetzt wende ich mich, liebe Freunde, in großer Schwachheit an euch. Ich bin von all diesen Versuchungen auch geplagt, die ich euch hier vorhalte, aber ich habe mich nicht als Sklave unter diese Versuchungen begeben. Ich habe auf das Beispiel de alten Heiligen gesetzt, die der Herr züchtigen mußte bis zum Sterben des Fleisches, die sich im Glauben an Gott gerühmt haben : „Wenn auch der Herr töten sollte“ ; das ist ihr Zeugnis.
Ich gönne euch Besseres, meine Freunde, daß ihr solltet lieber öffentlich zu der Welt übergehen, nachdem ihr nicht mit dem Weg des Kreuzes zufrieden seid. Und dieses, liebe Freunde, diese wenigen Zeilenhabe ich nicht auf irgendeine Weise euch zur Verärge68rung schreiben wollen, sondern um euch eure angeborene Trägheit zu zeigen, wie wenig ihr geistliche Bücher lieben wollt, aus denen für uns alle der einfaltige Weg vorgeschrieben ist, so wie in den Schriften des verstorbenen Fresenius sich alles findet, was ein Christ braucht.
Und jetzt sage ich zum Schluß zu euch:
„Demütigt euch unter die allmächtige Hand Gottes, daß er euch auch erhöhe zu seiner Zeit“, wie er versprochen hat. Lebt nun wohl, liebe Mitbrüder, im Namen des Herrn, der euch erweckt hat!
PAAVO RUOTSALAINEN (1777 – 1852), ein schlichter finnischer Bauer, war von Gott dazu ausersehen, der gesegnete Träger einer Erweckungsbewegung in seiner Heimat zu werden. Gleich noch seiner eigenen Bekehrung begann er seine Tätigkeit als Laienseelsorger, die nicht nur auf seine Heimatgemeinde beschränkt blieb. Auf ausgedehnten Reisen durchquerte er ganz Finnland mit der Botschaft des Evangeliums. Bald erhob sich auch der Widerstand seitens der Pfarrerschaft und der Behörden gegen die sich ausbreitende Erweckungsbewegung. Paavo und seine Anhänger wurden in Kämpfe und Prozesse verwickelt, die aber den Siegeszug der Erweckung nicht aufhalten konnten. Als Paavo mit zunehmendem Alter selbst nicht mehr reisen konnte, betätigte er sich vornehmlich durch seelsorgerlichen Briefwechsel mit seinen Freunden und Mitarbeitern und vielen Ratsuchenden. Noch seinem Tode erlebte die Erweckungsbewegung zunächst mancherlei Rückschläge, wurde aber in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts neu belebt, so daß heute etwa ein Drittel der finnischen Pfarrerschaft und die Hälfte der Bischöfe zu den Erweckten gehören. Der treue Dienst des „Rufers in der Wildmark“ Paavo Ruotsalainen ist nicht vergeblich gewesen.