Kulturniedergang? (Willem J. Ouweneel)
Willem Johannes Ouweneel
Erleben wir den Kulturniedergang?
2. Timotheus 3,13-4,5:
Böse Menschen aber und Betrüger werden zu Schlimmerem fortschreiten, indem sie verführen und verführt werden. Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist, da du weißt, von wem du gelernt hast, und weil du von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die imstande sind, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist. Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig geschickt.
Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christus Jesus, der da richten wird Lebendige und Tote, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich: Predige das Wort, darauf zu gelegener und ungelegener Zeit; überführe, weise ernstlich zurecht, ermahne mit aller Langmut und Lehre. Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen werden, sondern nach ihren eigenen Begierden sich selbst Lehrer aufhäufen werden, indem es ihnen in den Ohren kitzelt; und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren, sich aber zu den Fabeln hinwenden. Du aber sei nüchtern in allem, leide Trübsal, tu das Werk eines Evangelisten, vollführe deinen Dienst.
Veränderung des Denkens
Wir haben bereits zusammen über das Schöpfungsmodell und das Evolutionsmodell gesprochen, besonders in Verbindung mit der Abstammung des Menschen; und wir haben etliche biologische und geologische Aspekte dieser Fragen zusammen besprochen. Nun wollen wir etwas weitergehen und zusammen untersuchen, was hinter dieser Entwicklung steckt, hinter dieser Umwandlung im Denken in unserem Abendland in den vergangenen Jahrhunderten.
Fragen der Jugend
Vielleicht gibt es hier viele, die das Vorrecht haben, aus einer christlichen Familie zu kommen. In einer christlichen Familie aufgewachsen zu sein, schützt vor vielem, was es in dieser Welt gibt. Ich hoffe, daß Sie heute Abend keine Dinge hören, durch die Sie befleckt werden könnten. Auf der anderen Seite würde ich sagen, daß wir es uns als Christen nicht länger erlauben können, unsere Augen vor dem zu verschließen, was sich heute in dieser Welt abspielt. Wir können es uns nicht erlauben, weil unsere Kinder die Schulen in dieser Welt besuchen und dem Denken der modernen Welt ausgesetzt sind. Und auch wenn wir keine Kinder haben, haben wir in den Glaubenskreisen, in denen wir uns befinden, mit unserer Jugend zu tun. Und wir müssen dieser Jugend Antworten geben können. Die Fragen, die sie stellen werden, werden nicht ganz neu sein. Wir werden sehen, daß es im Wesentlichen immer dieselben Fragen sind, die die Jugend zu vielen Zeiten gestellt hat und auch in unserer Zeit stellt. Und trotzdem ist es für unsere Jugend viel schwieriger als in vergangenen Jahrhunderten, sowohl für die nichtchristliche Jugend, das heißt aus einem nichtchristlichen Hintergrund, als auch leider für unsere christliche Jugend, sie auf viele Weisen mit dieser nichtchristlichen und heute auch antichristlichen Welt in Berührung kommt.
Warum ist es viel schwieriger? Als man früher auf diese Fragen der Jugend die Antworten gab, befanden wir uns hier im Abendland in einer Gesellschaft, die weitgehend vom Christentum geprägt war. Das heißt nicht, daß ganz Europa christlich war, wohl aber, daß die Gesetze und Regierungen in Europa eingehend vom Christentum und von der Bibel geprägt waren. In Europa herrschte ein geistliches Klima, in dem die Jugend daran gewöhnt war, klare und absolute Antworten auf ihre großen Lebensfragen zu hören:
Wer bin ich? Wohin gehe ich? Was ist der Mensch? Wozu bin ich hergekommen? Wodurch bin ich hergekommen? Zu welchem Zweck? Was ist der Sinn des Lebens?
Das sind ehrliche und wichtige Fragen. Früher war die Jugend daran gewöhnt, daß sie in der Kirche klare Antworten auf diese Fragen erhielt. Die Kirche hatte damals großen Einfluß. Heutzutage scheint es, als ob die Kirche größeren Einfluß hat als jemals zuvor. Wenn man die vielen Menschen vor dem Sankt-Peters-Dom in Rom sieht und die Bedeutung des Weltkirchenrates und der Ökumene betrachtet, dann scheint es, als ob die Kirche größeren Einfluß hat als jemals zuvor. Wenn man heute sieht, welchen Einfluß die Christenheit auszuüben scheint, würde man meinen, daß das Christentum mehr Einfluß hat als je zuvor. Das ist aber ein Irrtum. Denn in dieser Welt, in der wir leben, hören wir immer mehr, daß es keine absoluten Antworten auf diese Fragen gibt: daß wir nicht ohne Weiteres sagen können, wer der Mensch ist, woher er kommt und wohin er geht.
Und das Schreckliche ist, daß diese Christenheit, über die ich jetzt im Großen und Ganzen spreche, oder zum Beispiel der Weltkirchenrat wesentlich dieselben Antworten gibt nicht nur wie der Liberalismus, sondern ganz besonders auch wie der Materialismus, die beide Freundschaft mit dem Kommunismus pflegen. Darum ist in Wirklichkeit die Kirche in unseren Tagen tot. Und das ist eine schreckliche Entdeckung.
Was ist heute anders als früher in Bezug auf die Fragen des Lebens?
Wir leben, wie Francis Schaeffer gesagt hat – und ich glaube, er hat Recht -, in einem nachchristlichen Zeitalter. Das heißt, daß wir nach fast zweitausend Jahren sagen müssen, daß das Christentum heutzutage nicht mehr diese Prägung und die zentrale Bedeutung in Europa hat, sondern daß es vielmehr nichtchristliche Theorien und Lehrsätze sind, die Einfluß auf die Menschen ausüben.
Wenn wir den Okkultismus und den östlichen Mystizismus betrachten, die eingehend und tief den europäischen und amerikanischen Menschen beeinflussen, werden wir das leider noch viel stärker sehen. Früher hatte man absolute Antworten in der Kirche, weil man an eine absolute göttliche Wortoffenbarung glaubte. So war das auch in den Familien. Dort sah man, wie die jüngeren Generationen in den Werten und Wahrheiten der älteren Generation erzogen wurden. Heute sehen wir im Gegenteil, daß die Familien Schlachtfelder geworden sind. Wo man einander nicht mehr versteht, spricht man von „Generationslücken“. Heute spricht die Jugend in vielen Fällen eine völlig andere Sprache als die Eltern zu Hause. Eltern sind ganz erstaunt, daß sie ihre eigenen Kinder nicht mehr verstehen, weil diese in der Welt und in den Schulen diese ganz andere Sprache lernen. Wenn sie vielleicht auch dieselben alten Ausdrücke gebrauchen, die uns vertraut sind, haben die Worte jedoch eine ganz andere Bedeutung bekommen. In dieser Lage befinden sich heute viele, besonders viele Jugendliche. Von Unsicherheit wollen sie überall hören und daß es keine absolute göttliche Offenbarung geben kann, daß die Bibel gerade das sicher nicht ist, sondern nur ein interessantes Buch für Meditation und religiöse Gefühle, das aber keine klare und offenbarte Antworten auf die großen Fragen des Lebens geben kann.
Darwin gibt eine Antwort auf die Frage nach dem „Woher“
Wenn ich das alles in Verbindung mit dem bringe, was ich am Anfang gesagt habe, in Verbindung mit der Evolutionslehre, dann könnte leicht der Gedanke aufkommen, daß ich damit sagen möchte, daß der Evolutionismus an diesem allem schuld ist. So einfach ist das jedoch nun auch wieder nicht. Darwin mit seiner Evolutionslehre ist nicht schuld daran. Darwin selbst ist nur ein Symptom einer viel weiteren, viel größeren, viel umfangreicheren Entwicklung. Vor ihm hatte es andere Evolutionisten gegeben, die ebenfalls, wie Lamarck und wie sein Großvater Erasmus Darwin, Evolutionslehre gepredigt hatten. Aber damals war die Zeit in Europa noch nicht reif für diese Lehren. Und sie hatten nicht die Bedeutung und den Einfluß, den die Evolutionslehre von Darwin hatte, als er 1859 sein Buch über den Ursprung der Arten durch natürliche Zuchtwahl veröffentlichte.
Die Zeit war reif für seine Lehre. Darwin war nur ein Symptom, aber ein
äußerst wichtiges Symptom. Manche haben gesagt, daß mit seinem Buch eigentlich die neue Entwicklung, die wir heute sehen, eingesetzt hat. In mancher Hinsicht ist das richtig, solange man nicht absolut ihn als Ursprung alles Elendes betrachtet. Aber darauf kommen wir noch zurück.
Warum war das so wichtig, was Darwin uns gelehrt hat? Darwin hat uns eine Antwort auf die Frage: „Wer ist der Mensch?“ gegeben. Wir hatten schon Antworten auf diese Frage, nämlich die Antwort der Heiligen Schrift. Aber Darwin gab eine ganz andere Antwort, obwohl er Pfarrer war. Niemals hat er ein anderes Diplom als ein theologisches erworben. Er war Theologe und grundsätzlich sehr interessiert an der Naturwissenschaft, aber er kam zu einer ganz anderen Antwort. Und diese Antwort war, daß der Mensch nicht eine Sonderschöpfung Gottes ist – nach dem Bild und Gleichnis Gottes erschaffen – , sondern aus dem Tierreich hervorgekommen und grundsätzlich ein „veredeltes Tier“ war. In seinem Buch über die Abstammung des Menschen (1879) hat Darwin das noch viel klarer beschrieben. Was er schrieb, war sehr wichtig.
Einfluß der Evolutionstheorie auf die Psychologie
Warum war das so wichtig? Nun, diese Gedanken aus Darwins Buch haben seit mehr als 130 Jahren nicht nur starken Einfluß auf die Naturwissenschaften, die Biologie und die Geologie, ausgeübt, sondern auch auf viele andere Fachgebiete. Besonders In der Psychologie und der Soziologie konnte man diese Einflüsse von Darwin beobachten. Die Psychologie war bis dahin nur eine rein philosophische Psychologie, die noch nicht mit experimentellen Tatsachen arbeitete. Mitte des 19. Jahrhunderts aber entwickelte sich die Psychologie sehr gründlich
unter dem Einfluß der Gedanken Darwins, auch unter Mitarbeit von
Friedrich Nietzsche. Dieser gehört zu den wenigen wichtigen Philosophen des 19. Jahrhunderts, die das Denken des 20. Jahrhunderts eingehend geprägt haben – so wie auch KarI Marx und Sören Kierkegaard.
Nietzsche einerseits hat sich gegen die darwinistische Lehre empört, aber andererseits haben andere, wie Konrad Zirkel, festgestellt, daß Nietzsche eingehend vom Darwinismus geprägt und sein Denken wesentlich darwinisch war. Diese Männer begründeten die Psychologie. Die Psychologie war nun nicht länger eine Lehre, mit der man die Seele und das Bewußtsein des Menschen zu verstehen suchte, das sich so ganz von den Tieren unterschied. Weil der Mensch nun ein „veredeltes Tier“ geworden war, bedeutete es , daß die Psychologie sich jetzt beschäftigte, diese tiefen Triebe und Instinkte, die aus dem Tierreich hervorgekommen waren, im Menschen zu analysieren und zu studieren.
Einfluß der Evolutionstheorie auf die Soziologie
So war das auch in der Soziologie. Im 19. Jahrhundert hatte sich unter dem Einfluß des Darwinismus und auch der Nachfolger und Verteidiger von Darwin, wie die Naturwissenschaftler Herbert Spencer in Amerika und Ernst Haeckel in Deutschland sowie Karl Marx, die moderne Soziologie entwickelt. Auch in der Soziologie, der Gesellschaftslehre, wurde es wie ein großer Auftrag, nun die soziologischen Strukturen und gesellschaftlichen Strukturen auf Gesellschaftsstrukturen zurückzuführen, wie wir sie im Tierreich finden. Jetzt hat sich das wohl ein wenig gebessert, weil man schon bald rein empirisch merkte, daß das nicht alles ging, aber sehr lange haben diese Auffassungen die Entwicklung dieser „Menschwissenschaften“ und Gesellschaftswissenschaften geprägt. In den letzten hundert Jahren hat der Darwinismus die ganze heutige Wissenschaft eingehend beeinflusst, ebenso die Theologie, die „Menschwissenschaften“ und die Naturwissenschaften, eigentlich die ganze Wissenschaft. Darum ist es auch nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß die Universität nun „die heilige Halle der Evolution“ ist; in jeder Hinsicht und nicht nur in Biologie und Geologie.
Aristoteles – einer der ersten Evolutionisten
Darwin war nicht der erste Evolutionist. Bereits bei den alten Griechen sehen wir evolutionistisches Denken. Sobald der Mensch In Europa anfing, hartnäckig, kritisch und systematisch zu denken – diese westabendländische Philosophie kam bei den Griechen auf -, sehen wir unmittelbar darauf den evolutionistischen Einfluß in ihrem Denken. Dieses Gedankengut entwickelte sich aus dem Vielgötzendienst der Griechen, wobei ein Mann wie Aristoteles meinte, daß wir uns eine Art theistischen Evolutionismus vorstellen könnten: also eine Abstammungslehre, nach der sich die lebendigen Organismen unter göttlichem
Einfluß entwickelt haben. Der Begriff „Gott“ bedeutete bei den Griechen nicht das, was er heute bedeutet, aber trotzdem eine Entwicklung, sozusagen durch göttliche Kräfte. Aristoteles‘ Denken und auch die Aussagen anderer griechischer Philosophen zu kennen, ist deshalb wichtig, weil wir mit diesen alten Griechen immer noch weiter zu tun haben. Das Traurige ist, daß sich in unserem Abendland ab dem 2. Jahrhundert das christliche Denken mit dem griechischen Denken sehr schnell intensiv vermischt hat. Im 1. Jahrhundert waren die Philosophen noch ganz dagegen, im 2. Jahrhundert sehen wir den Einfluß des griechischen Denkens [d.h. des vorchristlichen Denkens der griechischen Philosophen] bei Clemens von Alexandria und bei Origenes usw. aufkommen.
Augustinus
Und auch bei dem größten Licht des 4. und 5. Jahrhunderts, Augustinus, sehen wir leider diese tiefen griechischen Einflüsse. Damals bildete sich langsam eine Spaltung im Denken aus, obwohl sie bei Augustinus noch nicht so sehr ausgeprägt war. Er war in mancher Hinsicht noch sehr bibeltreu, aber wir sehen allmählich diesen Einfluß größer werden. Einerseits schrieb er auf geistlichem Gebiet der Bibel völlige Autorität zu, aber auf der anderen Seite vertraute er völlig den Griechen, wenn es um die Entwicklung der lebendigen Organismen ging. Und so konnte er am Sonntag die Schöpfungslehre predigen und unter der Woche gleichsam an der griechischen Evolutionslehre festheften. Hier entstand allmählich die Spaltung, die wir auch heute überall erleben in jeder Diskussion mit Studenten, mit Biologen, Geologen, Wissenschaftlern im Allgemeinen: die Spaltung zwischen Glaube und Wissenschaft, zwischen dem religiösen Denken des Menschen und dem verständlichen, dem rationalen Denken des Menschen.
Thomas von Aquin und die Scholastik
Das hat sich weiterentwickelt in der langen Periode der Scholastik, wie wir das in der Philosophie nennen. Scholastik ist die Synthese von Christentum und griechischer Philosophie. Diese Entwicklung erreichte bei Thomas von Aquin ihren Höhepunkt. Er war kein großer originaler Denker, aber sehr intelligent und faßte diese lange Entwicklung von vielen Hunderten Jahren zusammen. Bei ihm sehen wir, daß, praktisch gesehen – obwohl er das nicht direkt so sagen würde -, die Bibel auf ein geistliches Buch reduziert wurde, das wohl Antworten auf geistliche Fragen geben darf, während wir uns für die großen Grundfragen zuerst an die Philosophie, das heißt auch an die Wissenschaft, wenden sollten. Philosophie und Wissenschaft waren zur damaligen Zeit noch etwa dieselbe Sache. Der Unterschied war noch nicht entstanden. So konnte man also glauben – das meinte er auch -, daß es so etwas wie eine neutrale Wissenschaft gebe, das heißt eine Wissenschaft, die nicht von unserer Weltanschauung geprägt ist und die Christen und Nichtchristen auf ähnliche Weise zusammenführen könnte. Durch diese Wissenschaft würde man dann beweisen können, daß es einen Gott gäbe, so daß man die Wissenschaftler rein verstandesmäßig darauf vorbereiten könnte, daß das Christentum verständlich und akzeptabel sein könnte. Wenn man dann zum geistlichen Bereich käme, dann erst könnte die Bibel uns die geistlichen Antworten geben. Wir nennen diese Spaltung das „Natur-Gnade-Schema“ oder die „Natur- Gnade-Unterscheidung“ bei Thomas von Aquin. Diese Spaltung, die schon bei Aristoteles entstanden war – die Entwicklung der Materie durch göttlichem Einfluß -, setzte sich hier im Christentum durch. Diese Philosophie des Thomas von Aquin ist heute noch die offizielle Philosophie der römisch-katholischen Kirche, seit dem 19. Jahrhundert offiziell dazu erklärt. Diese Trennung bedeutet, daß wir im unteren Bereich mit Natur, mit der Schöpfung zu tun haben, mit den irdischen, den sichtbaren Dingen, mit den Dingen des menschlichen Körpers. Die Wissenschaft kann uns über das, was zur Natur, zur sichtbaren und tastbaren Wirklichkeit gehört, informieren. Darüber habe eine neutrale Wissenschaft absolute Autorität, die auch die Grundlagen dafür legen sollte, daß geistliche Dinge akzeptiert werden können.
Wenn wir in den oberen Bereich kommen, hat die Wissenschaft nichts zu sagen. Hier geht es um den Schöpfer, nicht um Geschöpfe, um himmlische Dinge, nicht um irdische, um unsichtbare Dinge, nicht um sichtbare, um die seelischen, nicht um die körperlichen Dinge. Da könne uns die Bibel mit göttlicher Autorität sagen, wie die Dinge im oberen unsichtbaren Bereich der Gnade oder im Übernatürlichen aussehen. So wurde praktisch, besonders bei seinen Nachfolgern, die Bibel „wegpromoviert“, so wie es heutzutage für Millionen Menschen gilt. Auch wenn sie sich Christen nennen, hat für sie die Bibel nur noch in den religiösen Momenten des Lebens Autorität, jedoch keine völlige und absolute Autorität über jedes Gebiet des menschlichen Denkens und Daseins und Lebens. Diese Trennung setzte sich allmählich durch.
Die Renaissance
Was damals geschah, hatte große Folgen. Denn einige Jahrhunderte später entstand die Renaissance, eine „Wiedergeburt“ [wörtliche Bedeutung] in Europa, eine Rückkehr zu den Griechen, aber natürlich auf eine ganz neue, europäische Weise, wobei man sich von alten Dogmen, alten Autoritäten, auch von der Bibel freimachen wollte. Das bedeutete, daß der obere Bereich der Gnade, der geistlichen Dinge, immer weiter von den Idealen der Renaissance ersetzt wurde, nämlich von den Freiheitsidealen des Menschen. Im unteren Bereich, wo wir die Wissenschaft haben (und das war besonders bei den Rationalisten dieser Zeit die Mathematik), da bleibt vom Menschen letzten Endes nicht viel mehr übrig als – wie wir heute sagen würden – ein Hauch von Molekülen und Atomen, ein Computer, eine mathematische Maschine.
Im oberen Bereich jedoch hatte der Renaissance-Mensch jetzt sein Freiheitsideal. Der Mensch war das Höchste in unserer ganzen Wirklichkeit. Das war das Ideal der Humanisten, das Ideal der Renaissance-Menschen.
Nun eroberte ganze säkulare Denken des Menschen immer mehr das Gebiet der Gnade und ließ diese verschwinden. Wenn man früher eine Madonna gemalt hatte, war das ein religiöses oder geistliches Symbol. Ich spreche dabei nicht über Madonnas als solche mit dem katholischen Hintergrund. Ich spreche darüber, wie man eine Madonna malen würde: nämlich mit Ehrfurcht als ein geistliches Symbol, das auch gar nicht natürlich aussah, weil es zum höheren Gebiet der Gnade, zum Übernatürlichen, zum Geistlichen gehörte.
Aber in der Renaissance ist zu sehen, wie allmählich auch solche Symbole, besonders in der Malerei, immer mehr den Idealen der weltlichen Menschen entsprachen und wie sehr man sich damit von der Bibel befreite. Und wenn zum Beispiel etwa Jean Fouquet 1450 in Frankreich eine Madonna malte, dann wußte jeder, der sich dieses Gemälde anschaute, daß sie in Wirklichkeit Agnes Sorel war, die Mätresse des französischen Königs. Jeder sah, wer sie in Wirklichkeit war und auch wie sie aussah. Fouquet malte seine Madonna mit entblößter Brust – jedoch nicht, um das Kind zu ernähren. In gewisser Hinsicht war sie das erste Sexsymbol. Sie entsprach viel mehr dem Freiheitsideal des Renaissance-Menschen. Im dunklen 15. Jahrhundert verschwand das Geistliche immer mehr und mehr.
Leonardo da Vinci
Es gab jedoch mindestens einen Menschen, der wußte, in welche Richtung diese Entwicklung ging, weil er genial und äußerst begabt war: Leonardo da Vinci. Er begriff, daß – wenn sich die Wissenschaft in diesem unteren Bereich immer so weiterentwickeln würde – vom Menschen tatsächlich nichts anderes übrigbleiben würde als eine Maschine (er war auch ein großer Mathematiker), ein Haufen von Molekülen und Atomen. Er wußte, daß der Mensch mehr war, aber was konnte die Renaissance da bieten?
Was war der Mensch mehr? Wer ist der Mensch wirklich?
Leonardo da Vinci war verzweifelt, daß seine Mitmenschen nicht verstanden, wohin diese Entwicklung gehen würde: nämlich daß sie schließlich nicht nur Gott verleugnen würde, sondern auch den Menschen und daß sie letztendlich auch vom Menschen nichts übriglassen würde. Und er hat gemalt und gemalt. Wir bewundern jetzt die Ergebnisse, obwohl da Vinci sehr oft mit seinen Resultaten gar nicht zufrieden war. Er versuchte, in seinen Gemälden dem Inneren des Menschen Ausdruck zu geben. Und wie wunderbar hat er das getan! Aber er ist 1519 in Verzweiflung gestorben, weil seine Generation offensichtlich nicht verstand, was er sagen wollte.
Die Reformation
Zwei Jahre danach entstand die Reformation. Das bekannte internationale Reformationsdenkmal in Genf legt Zeugnis davon ab. Die Reformation war natürlich eine ganz neue Entwicklung in dieser besonderen Zeit, als nach der mittelalterlichen Theologie und Philosophie die Renaissance und die Reformation aufkamen. Was war nun die Antwort der Reformatoren auf das Natur- Gnade-Schema des Themas von Aquin? Was würden sie mit dieser Zweiteilung tun? Die Antwort ist ganz einfach: Sie hatten das Problem nicht, denn sie glaubten nicht an diese Zweiteilung. Sie sahen, daß diese Zweiteilung aus dem griechischen verdorbenen Denken kam, und sie haben Folgendes wieder anerkannt:
1. SoIa Scriptura (nur die Schrift): Das heißt, die Bibel sprach mit göttlicher Autorität über das ganze Leben, nicht nur über die religiösen Augenblicke des Lebens, sondern auch über das tägliche Leben: über die Ehe, über das Familienleben, das Berufsleben, das wissenschaftliche Leben, über alle Bereiche des menschlichen Daseins. Sie hatten eine Bibel mit göttlicher Autorität über das ganze Leben des Menschen.
2. Sola Fide (nur durch Glauben): Themas von Aquin lehrte, dass der Mensch, da er im unteren Stock die Bibel noch nicht nötig hatte, dort noch gute Werke tun konnte, die auch zu seiner Seligkeit beitragen konnten. Aber die Reformatoren lehrten „Sola Fide“ aufgrund der Schrift: „nur durch Glauben“. Sie lehrten aufgrund der Schrift, dass der Mensch völlig verdorben ist und deshalb auch eine völlige Erlösung braucht, die nicht von seinen guten Werken abhängig, sondern vollkommen von der Gnade und Güte Gottes abhängig ist, so wie Er sie in dem Herrn Jesus Christus und in seiner Hingabe am Kreuz auf Golgatha bewiesen hat. Das war ihre Entdeckung. Erstaunlich zu sehen, dass es im 16. Jahrhundert in Europa ein solches Licht gab.
Die Reformation als Grundlage für die moderne Wissenschaft
Es ist merkwürdig, dass sich gerade in dieser Atmosphäre die moderne Wissenschaft entwickeln konnte. Im Mittelalter gab es noch keinen Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft. Obwohl die Menschen des 16. Jahrhunderts von der Natur kaum mehr wußten als zweitausend Jahre vorher – der Zeit von Platon und Aristoteles -, hatte sich in dieser langen Zeit niemals eine Naturwissenschaft entwickelt, weil der Mensch meinte, durch seinen Verstand, der ja nicht von der Sünde verdorben war – wie die Griechen, Thomas von Aquin und die mittelalterlichen Philosophen meinten -, könnte man vornherein sagen, wie die Schöpfung aussehen soll. Sie gaben sich gar nicht die Mühe, sich einmal ganz bescheiden an die Wissenschaft, an die Natur zu wenden, um sich zu fragen, wie die Natur aussehe, und dadurch aufgrund von Experimenten eine Wissenschaft aufzubauen.
Aber ich behaupte, dass sich in dieser Atmosphäre der Reformation, teilweise auch unter Einfluß der Renaissance, die moderne Naturwissenschaft entwickelte. Das haben verschiedene Philosophen und Untersuchungen klargemacht, auch Nichtchristen wie Robert Oppenheimer und Alfred Whitehead und andere. Auch christliche Philosophen haben das ganz deutlich nachgewiesen. In dieser Atmosphäre der Entdeckung der Bibel und ihrer göttlichen Autorität entstand die Naturwissenschaft.
Die großen Naturwissenschaftler des 16. und 17. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Sir Isaak Newton, waren bibeltreue Christen, die mindestens so viel Zeit dem Bibelstudium widmeten wie ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit. Aber der Humanismus und die Renaissance waren auch entstanden, und diese Linie ging auch weiter. Die berühmten holländischen Maler des 17. Jahrhunderts wie Rembrandt und viele andere malten in dieser reformatorischen Tradition. Sie sahen die Schöpfung, die Natur, als Werke Gottes. Ihre Gemälde waren Loblieder auf diese Schöpfung Gottes. Aber es gibt auch humanistische Maler, wie Nicolas Poussin in Frankreich, in denen sich die humanistische Tradition mit ihren Idealen eines Paradieses hier auf dieser Erde fortsetzte, obwohl es kein vollkommenes Paradies sein könnte, usw.
Die Aufklärung
Diese beiden Linien setzten sich nebeneinander fort bis in das 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung. In Wirklichkeit war es eine Zeit der Verfinsterung, aber wir können den Namen leider nicht ändern; es war also die Zeit der sogenannten Aufklärung. Diese Aufklärung kam aus England nach Frankreich. Voltaire, Roussel und viele andere kamen dann nach Deutschland. Es war eine Zeit von großem Optimismus. Eigentlich wollte sich der Mensch jetzt endgültig von allen Dogmen befreien: Er sollte vollkommen frei sein.
Immanuel Kant stand schon am Ende dieser Periode der Aufklärung und war auch ein viel tieferer Denker als die anderen optimistischen Philosophen der Aufklärung. Er sagte, dass der Slogan der Aufklärung war, dass der Mensch den Mut haben sollte, seinen Verstand zu gebrauchen und sich nur durch seinen eigenen Verstand eine klare Vorstellung von der Wirklichkeit verschaffen sollte. Nun, wissen Sie, was das heißt? Das heißt ganz einfach, dass, wenn ein Mensch zum Beispiel über die Ursprünge unserer Welt und unserer Wirklichkeit spricht, jede Erklärung gut ist, solange es nicht die biblische Erklärung ist. Denn die biblische Erklärung stammt aus einer alten religiösen Tradition, und der Mensch der Freiheit, der Aufklärung, hat sich von diesen alten religiösen Dogmen und Voreingenommenheiten befreit. Darum sehen wir zum Beispiel bei Kant, dass er eine Theorie über die Entstehung des Sonnensystems entwickelte, die „Gas-Nebel- Hypothese“. Das Sonnensystem sollte sich aus einer Gas-Nebel-Mischung entwickelt haben, die sich umwälzte und in der sich die Sonne und auch die verschiedenen Planeten usw. zusammengepackt haben. Er hatte gar keine empirischen, experimentellen Hinweise dafür, es war nur reine Spekulation. Seitdem wissen wir schon längst, dass aus vielen Gründen diese Theorie unmöglich ist, ebenso wie auch andere Theorien, die auf irgendeine Weise versuchten, das Sonnensystem zu erklären, gescheitert sind.
Man strebte jetzt also danach, andere Erklärungen für die Ursprünge unserer Wirklichkeit zu suchen, weil der Mensch der Aufklärung sich von sogenannten „religiösen Voreingenommenheiten“, die aus der Bibel kommen, befreien sollte. Und das ist das Ernste, das wir beobachten. Bei Kant sehen wir auch das Ende einer Entwicklung, die entstand, als die griechische Philosophie sich in das Christentum hineinschlich. Ihren Gipfel hatte sie bei Thomas von Aquin und ihr Ende fand sie bei Immanuel Kant. Denn Kant wollte eben „netterweise“ das Religiöse retten, weil er sah, dass alle Religion verschwinden würde, wenn diese Wissenschaft der Aufklärung etwas weitergehen würde. Und das war nun auch wieder schade. Daher hat Kant die Religion für immer scharf vom wissenschaftlichen Bereich unterschieden. Gott und andere religiöse Angelegenheiten sind für immer außerhalb des Bereiches der Erfahrung des Verstandes und allem, was zum Menschen gehört. Kant wollte wohl an Gott glauben, nicht weil es irgendwelche Hinweise auf Gott gab, sondern weil es einfach vernünftiger war, an Gott zu glauben, als nicht an Gott zu glauben. Es war auch praktischer. Voltaire hatte es ebenso ausgedrückt: „Natürlich besteht Gott. Und wenn er nicht bestünde, dann sollten wir ihn erfinden.“ Auf diese Weise sprachen diese Philosophen über Gott und die geistlichen Dinge.
Das Christentum hat für diese Männer und für viele ihrer Nachfolger, auch in der Theologie, nie mehr etwas mit den Tatsachen der Geschichte und der Natur zu tun. Niemals könnten Historiker oder Naturwissenschaftler zur Richtigkeit irgendeiner biblischen Vorstellung eine Aussage machen. Das waren die Folgen dieser Entwicklung.
Die Evolutionstheorie
Nun sehen wir, wie sich das im 19. Jahrhundert fortgesetzt hat, z.B. bei Charles LyellLyell, der 1830 den ersten Teil einer Reihe von drei Büchern veröffentlichte. In den Principals of Geology (Grundsätze der Geologie) versucht er, als Nachfolger von James Hutton, fortan die Entstehung der Erdschichten nicht mehr durch Katastrophen zu erklären. Bis zum 19. Jahrhundert glaubten alle Geologen, dass diese Erdschichten durch Katastrophen, besonders durch die biblische Sintflut, entstanden waren. Das gab es nun nicht mehr. Jede andere Erklärung war besser als diese, weil der Mensch sich von solchen alten religiösen Dogmen, wie zum Beispiel dem Glauben an eine biblische Sintflut, befreien wollte.
Und obwohl Charles Lyell schon zu seinen Lebzeiten sah, dass es eine Eiszeit gegeben haben muss, was aus den heutigen Umständen und Prozessen gar nicht zu verstehen ist, wollte er doch gar nichts mit katastrophalen Umständen zu tun haben. Das bedeutete, dass die Erde sehr viel länger bestehen müsste, als wir je geglaubt hatten. Dieser Gedanke gefiel einem anderen sehr gut – Charles Darwin, der als junger Mann das Buch von Lyell las, denn er brauchte diese Millionen von Jahren für seine Theorien über die biologische Abstammung aller lebendigen Organismen. So sehen wir bei diesen beiden, Charles Lyell und Darwin, biologische und geologische Grundlagen für die Evolutionslehre.
Der Marxismus
Wir sehen nun unmittelbar (ich spreche jetzt nicht über die naturwissenschaftlichen Aspekte, das habe ich schon früher getan) die Auswirkungen im Denken. Am Anfang habe ich über die „Menschwissenschaften“ gesprochen. Nun wollen wir im ganzen Denkbereich, in der ganzen philosophischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts etwas weitergehen. Damals gab es auch eine andere Evolutionslinie. Kant und Hegel hatten ebenfalls eine Art Evolution gelehrt, nicht die biologische, sondern eine Entwicklung des Geistes.
Feuerbach als Materialist hatte das abgelehnt, aber doch die Dialektik von Hegel übernommen. Nun sehen wir, was auch Karl Marx stark beeinflusste. Er war wie Feuerbach ebenfalls Materialist, übernahm aber diese Dialektik Hegels und wandte sie jetzt auf die Geschichte des Menschen an, auf den Klassenkampf. Aus diesem sollte sich dann die klassenlose Gesellschaft entwickeln usw., die die entscheidenden Faktoren, die Produktionsfaktoren, innehatte. Aus diesem entstand das, was wir jetzt Marxismus oder Kommunismus nennen, der in vielen Ländern angewandt wird.
Die Theorien von Karl Marx haben enormen Einfluss in der heutigen Welt. Wenn wir bedenken, in wie vielen Ländern der Marxismus herrscht, dann können wir fast sagen, dass es heute in unserer Welt, die nur noch eine Welt ist, nur noch unsere abendländische Zivilisation gibt, wenn es denn überhaupt eine gibt. Wir haben nur eine Welt. Es ist nicht mehr wie früher. Wenn eine Zivilisation „den Bach hinunterging“, dann gab es noch eine andere, eine „Reserve“-Zivilisation. Die gibt es heute nicht mehr. Heutzutage ist fast die Hälfte der Jugend in unserer Welt vom Marxismus beeinflusst. Es ist die große Frage, ob der Marxismus solch einen Einfluss gehabt hätte, wenn es keinen Darwinismus gegeben hätte. Denn als Karl Marx das Buch von Darwin las, war er ganz begeistert, weil er meinte, dass Darwin durch seine Theorien die Beweise für die Richtigkeit der Theorie von Marx selbst gab, nämlich die naturwissen-schaftlichen Beweise durch die Lehre der natürlichen Auslese, nach der die Schwächeren verschwinden müssen und die Stärkeren übrigbleiben und sich weiter vermehren können usw. Marx meinte also nun, dass ihm das die naturwissenschaftlichen Beweise für seine Theorie gebe. Noch immer glauben dies die Kommunisten in Osteuropa, die sich für ihre Theorien immer wieder auf den Darwinismus als naturwissenschaftliche Grundlage berufen. Der Einfluss von Marx und seiner Lehre ist zum Beispiel sichtbar, wenn man die Kinderarmeen in China betrachtet, wo wir schon eine Milliarde Menschen haben und wo die Jugend vom Marxismus geprägt ist, ganz zu schweigen von den übrigen Teilen unserer Welt. Der Darwinismus hatte großen Einfluss im geistlichen Bereich.
Der Darwinismus und seine Anhänger
Woher hatte Darwin seine Ideen? War es so, dass die Gedanken der natürlichen Auslese der Erfolg seiner naturwissenschaftlichen Untersuchungen war? Nein. Er hatte den Gedanken der natürlichen Auslese einem Büchlein von Thomas Malthus entnommen. Malthus hatte geschrieben, dass Hungersnöte, Epidemien und Kriege nötig wären, damit die Schwächeren verschwinden würden und die Stärkeren übrigblieben, was eine natürliche Auslese bilden würde. Das war sehr einleuchtend für Charles Darwin.
Auf diesen Gedanken stützte er seine Theorie und sammelte seit diesem Augenblick in zwanzig Jahren viele Tatsachen, die diese Theorie bestätigen sollten. Seine Theorie verkündete er zusammen mit einem anderen, der ungefähr zur gleichen Zeit diesen Gedanken der natürlichen Auslese entdeckt hatte, Russel Wallace, der ein großer Spiritist war. Diese Verbindung zwischen Evolutionslehre und Okkultismus, die wir hier sehen, ist sehr wichtig und sehr interessant. Ich spreche jetzt nur noch über Thomas Huxley, der auch sehr wichtig ist, weil er einer der größten Verteidiger des Darwinismus war. Darwin selbst war gar nicht so sehr ein Prediger seiner Lehre, sondern Ernst Haeckel in Deutschland und Thomas Huxley in England.
Thomas Huxley erfuhr die Entdeckung des Darwinismus wirklich wie eine Bekehrung. Er beschreibt das auch als eine Bekehrung: wie er im Dunklen umherging, weil er die Ursprünge der Menschen und der lebendigen Organismen nicht verstand, bis er das Buch von Darwin las, was ihn zu seiner „Bekehrung“ führte. Plötzlich schien das Licht hell auf seinen Pfad, und er sah alles deutlich, was die Bedeutung und die Herkunft und auch die Zukunft des Menschen war. Dies predigte er auch wirklich als Evangelium in dieser Welt. Er war kaum an wissenschaftlichen Untersuchungen interessiert, er hatte dafür gar keine Zeit. Er nannte sich „Darwins Buldogge“, weil er seine Zeit auch dafür verwandte, wie eine Bulldogge nach den Theologen zu bellen und zu beißen. Das waren die großen Prediger dieses Evolutionismus in unserer Welt, eine Welt, die durch die Aufklärung ganz allmählich dafür vorbereitet war; denn sonst könnten wir nicht verstehen, dass die großen Massen in Deutschland, in England, in Europa im Allgemeinen, auch in Amerika besonders durch Herbert Spencer dafür reif waren und sich unmittelbar diesem Evolutionismus auslieferten. So wurde das 19. Jahrhundert eine Zeit des Optimismus, in der man meinte, die ganze Wirklichkeit beherrschen zu können. Ernst Haeckel, der große Darwinist, schrieb 1899 ein Buch, Die Welträtsel, in dem er behauptete, dass fast alle Rätsel der Welt jetzt gelöst seien und das letzte Rätsel, das siebte oder achte, auch bald gelöst sein würde. Das war der Optimismus dieser Zeit. Sie konnten alles und sie wussten alles.
Sören Kierkegaard
Dieser Optimismus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gründlich vernichtet, und zwar durch ganz neue Entwicklungen in der Physik, durch die die ganze Physik zerstört wurde. Gleichzeitig wurde die Biologie durch die Vererbungslehre umgewälzt. Es gab nicht nur große wissenschaftliche Revolutionen, sondern auch politische Revolutionen: in Frankreich und anderen Teilen der Welt, besonders aber Anfang des 20. Jahrhunderts natürlich in Russland. Aber auch der Erste Weltkrieg veränderte die Atmosphäre in Europa völlig und ersetzte den Optimismus durch Pessimismus.
Jetzt leben wir in einer ganz anderen Atmosphäre: nicht Kulturoptimismus, sondern Kulturpessimismus, nicht Rationalismus, sondern Irrationalismus, nicht der Verstand, sondern das Gefühl sind bestimmend. Aber auch in dieser Entwicklung gab es Menschen, die schon sehr viel früher spürten, was geschehen würde, so wie Leonardo da Vinci schon längst vor anderen das gespürt hatte, sogar vor Sören Kierkegaard.
Kierkegaard war wohl ein wirklicher, wiedergeborener Christ. Aber die Gefahr, die in diesem Optimismus lag war, man hasste ihn und kämpfte gegen ihn an; er kämpfte also gegen die Philosophien seiner Zeit, Studierzimmerphilosophien, die die ganze Wirklichkeit zu beherrschen meinten. Er kämpfte und schimpfte zu Recht dagegen.
Aber was stellte er dem gegenüber? Er setzte den Verstand gar zur Seite und meinte, dass Glaube jetzt nur noch ein Sprung ins Dunkle sei, ohne dass man wusste, was geschehen würde, ohne irgendeine Verbindung mit dem Verstand; also rein mystisch und eine Gefühlssache; äußerst gefährlich. Darum sehen wir, dass die Trennung doch noch immer beibehalten wurde. Kierkegaard war sich dessen bewusst, dass wir „unten“ noch immer die Wissenschaft haben, Vernunft und Logik. Rein rationell gesehen herrscht dort nur Pessimismus. In den Tagen von Kierkegaard sah und wusste das niemand. Jetzt wissen Millionen von Menschen, dass der Grund für den Pessimismus darin begründet ist, dass unsere Technik bald unsere ganze Erde zersprengen könnte. Wir wissen, dass der Mensch selbst imstande ist, seine eigene Kultur zu zerstören. Es gibt nur noch Grund für Pessimismus, was die nahe Zukunft betrifft, weil wir wissen, dass wir alles haben, was Gott uns auf dieser Erde gegeben hatte: unsere Quellen und Vorräte; nichts bleibt mehr übrig. Unsere Energie ist bald erschöpft. Wir haben nur Grund für Pessimismus.
Aber im 19. Jahrhundert war es nur ein Genie wie Kierkegaard, das sich dessen bewusst war. Er war sich dessen bewusst, dass die Wissenschaft schließlich dazu führen würde, dass der Mensch tot ist. So wie Gott in mancherlei Theologie tot ist, so ist der Mensch tot. Er ist nur noch eine Maschine von Molekülen und Atomen; ein Computer ohne Zweck und ohne Ziel, ohne Sinn im leben. So geht die Wissenschaft weiter. Im Modernismus des 19. Jahrhunderts zeigte man, dass die Bibel voller Fehler und unwissenschaftlich sei. Man zerriss jede Seite der Bibel, bis schließlich nur noch die erste und letzte Seite übriggeblieben war. Alles verschwand. Auch Gott war tot. Die alten Begriffe wie Gott hatten gar keine Bedeutung mehr.
Jetzt weiß das jedermann. Aber Kierkegaard wusste es damals schon. Und er sagte: „Was wir brauchen, ist Glaube.“ Doch der Glaube hier ist nicht der Glaube der Bibel. Der Glaube der Bibel ist die eine Seite, er sucht nicht alles beweisen zu können, bevor man es glauben will – das wäre Thomas von Aquin: zuerst beweisen, zuerst verständlich überzeugen und dann erst glauben. Aber das Gegenteil ist es auch nicht. Der Mensch, der Christ, sollte sich nicht immer zwischen diesen Extremen hin- und herwerfen lassen, sondern sich auf die Wahrheit der Schrift stützen. Und das heißt, dass wir das andere Extrem auch nicht wollen: einen Glauben, der gar nichts mit dem Verstand zu tun hat, einen Glauben, der nur ein blinder Optimismus ist, ein Sprung ins Dunkle, von dem man nicht weiß, wohin man kommt, wo man meint, dass jede rationelle Überführung Blödsinn wäre. Paulus hatte auf diese Weise bestimmt nicht argumentiert, als jemand fragte, welche Beweise wir haben, dass Jesus Christus auferstanden sei. Da sagt Paulus nicht: „Das musst du innerlich fühlen oder du musst mystische Erfahrungen haben, das zu erleben.“ Nein, er gibt Beweise und sagt: „Fünfhundert Menschen haben Ihn gleichzeitig gesehen, und viele von diesen Brüdern leben noch. Geh einmal mal zu ihnen, dann kannst du rationelle Argumente von solchen bekommen, die wissen, dass diese Dinge wahr sind.“ Nicht Verstand ohne Glaube, aber auch nicht Glaube ohne Verstand. Nicht Glaube nur für einen Teil des Menschen, für sein Gefühl: Das ist der Schrecken dieses Jahrhunderts.
Gefühlsbewegungen und Bibelkritik
Das erklärt, dass wir nur noch mit Gefühlsreligionen zu tun haben, und zeigt die Einflüsse charismatischer Bewegungen und anderer Gefühlsbewegungen, Gefühlsreligionen. Das ist nur ein Beispiel. Es zeigt auch die große Empfindsamkeit für östliche Mystik und anderes, was zum Gefühl des Menschen redet. Hier einige dieser Erfahrungen:
• “existentielle Erfahrungen“, das sagen uns die Existentialisten heute,
• „mystische Erfahrungen“, das sagen uns viele falsche christliche Leiter, das sagen uns die östlichen Missionare, die uns diese Mystik bringen,
• „Sexualität oder Pornographie als Grund für mystische Erfahrungen, wo der Mensch etwas von seiner Natur, von seiner Wirklichkeit, von seinem Menschsein entdecken kann“,
• „Drogen, durch die der Mensch aus dieser bösen und pessimistischen Welt vielleicht in einer höheren Welt Zuflucht finden und etwas von dem Sinn und der Bedeutung des Lebens entdecken kann. Aber nur irrational, ohne Verstand, mystisch blind.“
Das ist die Verzweiflung des modernen Menschen. Auch dieser moderne Mensch ist nicht areligiös, es gibt noch immer christliche Theologen. Sie sind auch nicht mehr Modernisten wie die des 19. Jahrhunderts, als die ganze Bibel zerrissen wurde. Nein, sie sprechen wieder über eine Begegnung mit Jesus. Rein rational erzählen sie uns, dass Jesus schon 1900 Jahre in einem Grab liegt, dass Er tot ist, dass man nicht zu Ihm beten, aber doch eine mystische Begegnung mit ihm haben könne, und was es dergleichen noch an „schönen“ mystischen Theorien auf dem Gebiet des Horizontalismus gibt. Da spricht man doch über Gott, über Jesus und über das Kreuz. Ja, dorthin gehen die großen Mengen und hören sich solche Prediger an und merken oft gar nicht, obwohl sie die alten Laute und Ausdrücke hören, dass diese Ausdrücke ganz andere Bedeutungen bekommen haben, als sie in früheren Zeiten besaßen. Es ist erschreckend, wie massiv die Menschen sich betrügen lassen. Oft sind es solche, die wirklich nach dem Wort Gottes leben möchten, die es bemerken und wissen, was da geschieht. Sie sind beunruhigt und haben auch keine Antwort auf diese Entwicklung: auf der einen Seite die Bibelkritik und auf der anderen Seite Gefühlsreligionen, die mit bereits genannten Bewegungen in dieser Hinsicht Hand in Hand gehen. Das sehen wir in der heutigen Zeit ganz deutlich.
Pablo Picasso
Anfang des 19. Jahrhundert, ich habe schon von verschiedenen Revolutionen und Entwicklungen gesprochen, sehen wir etwas Neues in der Malerei. Im Jahr 1906 und 1907 malte Picasso, wahrscheinlich der größte Maler unserer Zeit, das Gemälde Les Demoiselles d’Avignon, in dem er zeigt, wie er über den Menschen denkt Ich muss Ihnen das ganz klarmachen. Es gibt viele Christen, die verstehen das nicht und fragen: „Warum macht der Mann nicht Gemälde, wie zum Beispiel Rembrandt das tat?“ Picasso war ein sehr begabter Maler und er wäre bestimmt imstande gewesen sein so zu malen. Aber hätte er das getan, wäre er nicht ehrlich gewesen, denn er hatte nicht die Weltanschauung Rembrandts.
Er lebte in einer anderen Zeit mit einem anderen Glauben. Rembrandt malte den Menschen so, wie er glaubte, dass der Mensch war: ein Geschöpf Gottes, sündig, mit Fehlern, aber wie ein Geschöpf Gottes. Picasso jedoch malte den Menschen so, wie er den Menschen sah: Der Mensch ist nur noch eine Maschine, ohne Zweck und ohne Sinn; der Mensch ist tot. Das Einzige, was noch menschlich scheint – wir sehen das bei den Masken in seinen Bildern -, sind die hochgehobenen Arme, die hochgehoben sind aus lauter Verzweiflung. Das ist das Bild. Diese Entwicklung war sehr ergreifend, die Menschen waren sehr entsetzt, als sie das sahen. Heutzutage ist keiner mehr entsetzt, wenn er das sieht, denn das ist wirklich die Auffassung von Hunderten, Tausenden, Millionen heute in unserer Zeit. Das ist der Mensch.
Marcel Duchamp
Und manche haben auch wirklich buchstäblich den Menschen als eine Maschine gemalt, wie beispielsweise Marcel Duchamp, der sich „Hoherpriester der Vernichtung“ nannte und auch wirklich bei seinen Gemälden die Vernichtung des Menschen zum Ausdruck brachte. Das sehen wir in dieser Entwicklung.
Jackson Pollock
Schlimmer noch wurde das bei Jackson Pollock zum Ausdruck gebracht, der wusste, dass rein rational, also rein durch den Verstand, im Leben kein Sinn zu entdecken war. Er hoffte ganz blind, ganz irrational, vielleicht sogar durch den Zufall, etwas vom Sinn und der Bedeutung des Lebens zu entdecken. Christen, die in einer geschützten Umgebung aufgewachsen sind, können das gar nicht verstehen und denken, dass das nur Spielerei ist. Aber das ist ein großer Irrtum. Sie lächeln darüber, wenn sie sich in Museen solche Dinge anschauen. Ich kann darüber gar nicht lachen. Der Mensch sollte darüber weinen, wenn er sieht, was dahinter steckt und wie ehrlich die Leute in gewisser Hinsicht gemalt haben.
Wenn wir glauben müssten, dass alles in dieser Welt durch Zufall entstanden ist, dass der Mensch selbst nur ein Zufallsprodukt ist, dann müsste doch tatsächlich der Mensch seinen Sinn und seine Bedeutung dem Zufall entnehmen. Dann kann er nicht verstehen, dass Jackson Pollock seine Leinwände nur auf den Boden legte und durch Zufall die Tinte auf das Tuch brachte und dadurch versuchte, noch irgendetwas von der wahren Wirklichkeit zu entdecken. Pollock nahm das sehr ernst und war so darin vertieft, tat das so mit seinem ganzen Wesen, dass er verzweifelt war, als er auch hier nichts von einer wahren und höheren Wirklichkeit entdecken konnte. Als Ergebnis dieser Verzweiflung beging er Selbstmord. Und das Schreckliche sehen wir bei vielen unserer Zeit. Nicht nur an Gemälden natürlich.
Samuel Beckett
Samuel Beckett schrieb ein Bühnenstück, Warten auf Godot, das in Wirklichkeit nichts anders als Warten auf Gott heißt. Da sieht man auf der Bühne nur zwei Leute, zwei Männer, die den ganzen Abend miteinander sprechen und warten; warten auf eine Person, die niemals zum Vorschein tritt, denn sie ist nicht da. Der Mensch wartet vergeblich auf Gott. Samuel Beckett bekam den Nobelpreis dafür. Ich kann das verstehen, denn er brachte auf ganz geniale Weise die Not des modernen, verzweifelten Menschen zum Ausdruck.
Gefahren der Jugendkultur
Musik
Welche dämonischen Mächte stecken in dieser ganzen Welt der Popmusik; mit welcher Welt haben wir es da zu tun! Das sehen wir zum Beispiel besonders bei Jimi Hendrix, der wahrscheinlich Selbstmord beging, und auch auf seine eigene Weise bei Elvis Presley. Menschen, die aus dieser Welt zum Glauben kommen, können uns die Gefahren der Popmusik bezeugen. Da kann man nur weinen über junge christliche Leute, die aus einer geschützten Umgebung kommen, gar nichts davon ahnen, oft kaum das Englisch verstehen, das gesungen wird, und meinen, dass das unschuldige Sachen sind, denen sie sich einfach aussetzen könnten. Das ist die Wirklichkeit! Wir können uns einfach nicht länger erlauben, diese Dinge nicht zu kennen und nicht zu wissen, was los ist, sondern müssen unsere jungen Leute davor warnen können, was da geschieht. Es gibt vier Säulen in der modernen Jugendkultur:
1. die sexuelle Revolution,
2. die Popmusik,
3. die Drogen,
4. die indische Mystik wie Yoga usw. Drogen
Leute wie Aldous Huxley nahmen LSD so ernst, dass sie meinten, es der Jugend empfehlen zu müssen, so dass diese durch LSD-Trips etwas von der höheren Wirklichkeit entdecken könnte. Wenn man durch Drogen, also rein irrational, rein durch Halluzinationen und durch ähnliche Erfahrungen, Sinn und Bedeutung im Leben suchen müsste, können Sie sich vorstellen, wie groß die Verzweiflung des modernen Menschen sein muss, dass er das ernst nimmt?
Es gibt Millionen von jungen Menschen, die das wirklich ernst nehmen und auch wissen, was die Folgen sind und dass sie sich in einigen Jahren zugrunde richten. Erst vor wenigen Tagen habe ich mit jemandem gesprochen, der Drogen nehmen wollte, um dadurch innerhalb von zwei Jahren langfristigen Selbstmord zu begehen. So geht das oft bei harten Drogen, da genügen zwei Jahre, um das zu erreichen. In den Sechzigerjahren waren die Drogen eine Ideologie. Jetzt ist das nicht mehr so. Heute sind die Drogen viel schlimmer als in den Sechzigern. Sie sind eine Ausflucht, nicht mehr so sehr eine Ideologie, wie sie das in den Sechzigern waren. In der satanischen Entwicklung waren sie eine Art Zwischenstufe für die nächste Stufe, dem
Mystizismus und Okkultismus.
Die Drogen waren also im satanischen Programm nur eine Vorbereitung, um das Interesse von europäischen Jugendlichen für übernatürliche, mystische Erfahrungen zu wecken. In der weiteren Entwicklung kamen die mystischen Missionare mit ihrer transzendenten Meditation, Yoga und vielen anderen solchen Entwicklungen hierher in den Westen. Alle diese Dinge hängen zusammen: die Beatles mit ihrem freien Sex und ihrem Interesse für Yoga, ihr Interesse für Maharishi Mahesh Yogi mit seiner transzendentalen Meditation, ihr Interesse für die Drogen. Das alles hängt in dieser modernen Jugendkultur zusammen.
Es ist nicht zu viel gewagt, zu behaupten, dass die Jugend noch niemals so mystisch war wie in unserer Zeit. Viele meinen, dass wir in einer Zeit des Rationalismus leben. Das ist gar nicht wahr. Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter des Rationalismus. Wir leben heute in einer Zeit des Irrationalismus, in der das Gefühl und nicht der Verstand auf dem Thron ist, wo sich viele, auch solche, die sich unter der Woche mit der Wissenschaft beschäftigen, in ihrer Freizeit diesen Gefühlserfahrungen aussetzen. In Wirklichkeit bedeutet das jedoch, dass man sich besonders bei den östlichen Religionen mit deren Götzen auseinandersetzt, hinter denen in Wirklichkeit massive dämonische Mächte stecken. Wir wissen das aus der Praxis der Seelsorge; aus vielen Erfahrungen mit solchen, die in diese Bewegungen geraten sind und nur mit größter Mühe wieder daraus befreit werden können, weil das keine unschuldigen Dinge sind. Besonders ein Christ kann sich nicht einfach erlauben, sich auch nur irgendwie mit diesen Dingen zu beschäftigen. Leben wir nicht in einer entgegengesetzten Welt, wenn wir daran denken, dass so viele Leute in ihrer Freizeit sich mit diesen Dingen beschäftigen?
Sinnlosigkeit und Pessimismus
Ein Designer bei Boeing könnte in der Fabrik eine Flugmaschine in jeder Einzelheit entwerfen, so dass nichts dem Zufall überlassen ist. Warum? Weil so unsere Wirklichkeit ist. Unsere Wirklichkeit ist nicht durch Zufall zusammengesetzt. Alles hat Sinn und Zweck. Und auch in der Technik wissen wir das, weil wir nur solche Dinge zusammensetzen können, die nützlich sind und wirken, wie zum Beispiel eine Flugmaschine; wenn tatsächlich alles Sinn und Zweck und Bedeutung hat und nützlich ist und auf die richtige rationale Weise zusammenhängt. Aber wenn dieser Mann nach Hause geht, dann malt er vielleicht wie Jackson Pollock oder hört sich Musik an wie die, die John Cage komponiert hat durch reinen Zufall. Der Mensch ist ja ein „Zufallsprodukt“. Hat die Wissenschaft uns nicht bewiesen, dass der Mensch ein Zufallsprodukt ist?
Wenn der Mensch sich nicht mit der Schönheit unserer Schöpfung beschäftigt, ist er tatsächlich bereit, solche Dinge zu glauben, dass der Mensch durch Zufall, durch natürliche Auslese zufälliger Mutationen und solcher Dinge entstanden sei. Er ist wirklich bereit zu glauben, dass aus Unordnung spontan Ordnung entstehen kann, als ob wir nicht in Wirklichkeit sehen würden, dass jedes System, das sich selbst überlassen bleibt, in Unordnung übergeht. Das sind die Folgen des Sündenfalls in dieser Welt, in der wir sehen, dass schließlich alles im Tod und Verderben endet. Das ist ja eben auch der Pessimismus unserer Zeit: dass mit dem Tod alles aus ist, nicht nur für jeden einzelnen Menschen, sondern dass bald auch unsere Kultur zu Ende sein wird.
Sind die Christen Pessimisten?
Es sind nicht nur manche Christen, die ganz pessimistisch über den Kulturniedergang und das Ende unserer Zivilisation reden. Wir sind ja gar keine Pessimisten. Ich bin kein Pessimist. Ich bin ein großer Optimist. Und ich habe Grund, optimistisch zu sein. Nein, die Kulturpessimisten, das ist die große Masse um uns herum. Sprechen Sie mit den Leuten und sagen Sie: „Wir haben jetzt so viele Atomwaffen, dass wir vierzigmal unsere eigene Erde
zersprengen könnten. Was meinen Sie, wie lange werden diese Dinge noch bleiben, ohne dass sie von Terroristen berührt werden? Wie lange wird es noch halten können, dass die Großmächte diese nicht gegeneinander benutzen werden?“
Da werden Sie bald merken, dass jeder Mensch, der keinen festen Glauben an Gott und an sein Wort hat, ein Kulturpessimist ist. Wir sind nicht die Kulturpessimisten, nicht die Leute, die nur Untergang und das Ende unserer Welt predigen. Ich predige nicht das Ende unserer Welt. Wir haben noch eine wunderbare Zeit für diese zu erwarten, aber erst nachdem die Gerichte gekommen sind. Jesaja 26 sagt uns, dass die Erde endlich erfahren wird, wenn die Gerichte Gottes auf diese Erde kommen. Solange das nicht geschieht, werden Lüge und Unglaube weitergehen.
Die Menschen werden, wie wir in 2. Timotheus 4 gelesen haben, „den Fabeln glauben“, das heißt buchstäblich „den Mythen glauben“. Manche moderne Theologen möchten die Bibel entmythologisieren. Da muss der Teufel wohl lachen, wenn er sieht, dass so viele dieser Theologen, so viele der modernen Menschen gerade heute lieber an die Mythen glauben. Viele kehren zurück zu den Götzendiensten unserer germanischen Vorfahren hier in Europa, zu den Fabeln. Wissen Sie, was so ein Mythos ist?
Solch ein Mythos ist, dass unsere Menschlichkeit, unsere Persönlichkeit nichts anderes ist als nur ein tierischer Instinkt. Sie wollen uns sagen, dass Mutterliebe nichts anderes ist als ein tierischer Instinkt. Nun, das kann man glauben, wenn man noch niemals verliebt war. Man kann glauben, dass Liebe nichts anderes ist als ein hormoneller Prozess. Man kann natürlich glauben, dass menschliches Leben nichts anderes ist als ein physisch- chemischer Prozess, bis ein Mensch entdeckt, was es wirklich bedeutet, einander zu lieben und zu wissen, dass Liebe mehr ist als Sexualität, mehr ist als Hormone, Atome und Moleküle. Aber was kann es mehr sein, wenn der Mensch ein „veredeltes Tier“ ist, was kann Liebe mehr sein als Liebe zwischen Tieren?
Das ist das Schreckliche. Nicht nur „Gott ist tot“ nach den Auffassungen vieler. Der Mensch ist tot. Er hat sich seines eigenen Menschseins beraubt. Sogar seine Menschlichkeit hat er verloren. Das ist nicht meine Auffassung. Ich habe die Auffassung der Reformatoren. Sie glaubten an eine wörtlich inspirierte Gottesoffenbarung. Sie glaubten nicht wie Jackson Pollack, dass irgendwie in dem Chaos und in dem Zufall Gott ist, vielleicht ein mystischer Gott, der aus einer höheren Welt in die Wirklichkeit treten würde.
Gott ist Realität
Ich glaube, dass Gott ganz deutlich und ganz nüchtern und klar zu uns gesprochen hat. Glauben Sie nicht, dass Gott Hebräisch und Griechisch sprechen kann? Dass Gott uns seine Gedanken erklären könnte? Glauben Sie nicht, dass Gott mächtig sein würde, die Schreiber der Bibel mit seinem Wort vollkommen zu inspirieren? Glauben Sie nicht, dass Gott imstande sein würde, uns klarzumachen, wie der Mensch in Wirklichkeit entstanden ist? Nicht als ein Tier, sondern wie Michelangelo es so schön zum Ausdruck gebracht hat: als ein Geschöpf Gottes aus der Hand Gottes hervorgekommen. Die Hände berühren sich noch immer.
Gott hat den Menschen nicht erschaffen, um ihn weiterhin seinem Schicksal zu überlassen, sondern die Hand ist noch immer da. Und diese Hand ist auch noch immer da, nachdem der Mensch in Sünde gefallen ist. Die Hand ist noch immer ausgestreckt zu den Menschen. Viele sagen heute: Ja, wo ist denn diese Hand? Wo ist denn Gott? Wo ist denn seine Liebe? Warum spricht Gott nicht?
Als ob Gott nicht schon längst gesprochen hätte. Als ob Gott nicht schon alles, was Er zu sagen hatte, gesagt hätte. Er hat es gesagt in seinem Sohn Jesus Christus. Gott hat gesprochen. Wir haben mit einem sprechenden Gott zu tun. Gott hat geredet in seinem Sohn, in dem Herrn Jesus Christus an dem Kreuz auf Golgatha. Leute reden über die Liebe Gottes und vergessen, dass Gott seine Liebe schon längst bewiesen hat, nicht indem Er Hunger und Krankheit und Krieg wegnimmt; das wird Er auch noch einmal tun im Kommen des Herrn Jesus Christus. Aber Gott hat Seine Liebe schon darin bewiesen, dass Er Seinen Sohn am Kreuz auf Golgatha gegeben hat, damit jeder, der an Ihn glauben würde, ewiges Leben hat, Vergebung seiner Sünde; dass jeder, der aufrichtig einmal zu Gott gehen wird, um seine Sünden Gott gegenüber zu bekennen oder einmal ehrlich zu Ihm zu sagen, wer er wirklich ist, dass die Sünde die zentrale Not in seinem Leben ist, und Gott einmal aufrichtig zu bekennen, dass er den Tod und das Gericht verdient hat. Dann wird er die Liebe Gottes erfahren, die zu solchen Menschen sagt: „Für solche Menschen wie dich habe ich meinen Sohn am Kreuz auf Golgatha gegeben.“ Er ist Mensch geworden, damit wir Söhne Gottes werden würden. Der Sohn Gottes wurde Mensch, damit Menschen Söhne Gottes würden. Darum sind wir Optimisten. Was die Welt betrifft, so sind wir pessimistisch. Das Gericht über diese Welt steht fest. Aber wir sind optimistisch betreffs der Zukunft, weil wir wissen, dass die Zukunft auf unserer Seite steht. Weil wir wissen, dass Gott auf unserer Seite steht.
Wie ist es mit Ihnen?
Und wenn ich sage „unserer“, können Sie schon sagen, dass Gott auf Ihrer Seite steht? Ich bin ein Christ, weil ich dadurch weiß, was es heißt, Sinn und Bedeutung und Zweck im Leben zu kennen. Denn es gibt einen Gott, der mich zu sich gezogen hat durch den Glauben an den Herrn Jesus, durch die Kraft seines Geistes; der einen Plan mit meinem Leben hat; der mich durch die Kraft seines Geistes zum Ziel hinführen und zur Verherrlichung seines Namens. Das ist das Großartige, hier in dieser dunklen Welt, in diesem Kulturniedergang, in diesem allgemeinen Kulturpessimismus ein Christ zu sein und an einen Gott der Liebe und der Heiligkeit und der Gerechtigkeit zu glauben. Wir wünschen uns und beten, dass ein jeder Leser diesen Gott der Liebe und Gnade kennt. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn kennen zu lernen. Die Sünden machen eine Trennung zwischen Ihnen und Gott, aber Bekenntnis und Vergebung nehmen die Trennung weg:
Bekenntnis Ihrer Sünden, Vergebung durch das Blut des Herrn Jesus Christus durch Glauben an Ihn. Das ist es, was wir hoffen.
PS. Dieser Vortrag stammt aus dem Jahre 1989, als der Marxismus noch nicht in der heutigen Form zusammengebrochen war.
Die Textbetonungen sind von mir. Horst Koch, Herborn, im Juli 2024
info@horst-koch.de