Kriegsweihnacht 1943

Kurt Schein

Der Betrachter erinnert sich an eine Kriegsweihnacht


24. Dezember 1943 im Hinterland der Ostfront: ein Ausbildungslager, fern der Heimat im fremden Land.

Spät am Nachmittag wurde die Kompanie in die Gemeinschaftsbaracke kommandiert, ab Mittag schon dienstfrei, es war eben Weihnachtszeit. Briefpost und Päckchen sind längst verteilt. Weihnachten? Gab es so etwas noch?
Dienstfrei hatten wir ‑ und gebangt, geträumt, gehofft wie alle Tage.
Einen Urlaub hatten wir noch zu erwarten: Abstellungsurlaub gab es, bevor wir abrückten ins Schlachtengetümmel. Urlaub, das war unser Traum, unsere Hoffnung, das allein hielt uns hoch.

Heiliger Abend, Weihnachten. ‑ Es war, als wenn Kommendes, Befehle diesmal gedämpfter klangen, nicht ganz so wuchtig, nicht ganz so brutal.
Der Raum war bescheiden ausgestaltet: Ein mittelgroßer Weihnachtsbaum, Lametta, hin und wieder einige Lichter. Vor uns ein Teller mit trockenem, hartem Gebäck. Das war viel, mehr hatten wir nicht erwartet.

Weihnachtszeit ‑ Heiliger Abend. Die Kompanie war vollzählig. Der Spieß meldete, der etwa 24 jährige Leutnant F. begrüßte uns.
Das große Licht wurde gelöscht, bevor die Ansprache begann. Heiliger Abend ‑Weihnachtszeit: «Kameraden! Zum fünften Male feiert die deutsche Nation Kriegsweihnachten . . . Wir, die wir nicht bei den Lieben daheim sind, wissen um die Bedeutung dieser Stunde . . . Noch immer hält der Ansturm der asiatischen Horden, der Ansturm des Bolschewismus an. Der Krieg im Osten ist in eine entscheidende Phase getreten . . . Unsere Gedanken sind bei unseren Kameraden, die jetzt und heute im unmittelbaren Einsatz stehen . . . »

Leutnant F. war kein brutaler Typ. Sein schmaler Kopf mit dem blonden Schopf und den wasserblauen Augen wirkte eher sympathisch.
«  . . . deutscher Geist ist auch immer Soldatengeist gewesen . . . im festen Glauben an den Führer und im Vertrauen darauf, für die besten Soldaten auch die besten Waffen zu haben, sehen wir den kommenden Monaten entgegen  . . . »

Leutnant F. sprach auch nicht im Pathos. Er wirkte selbst jetzt noch natürlich, männlich, bestimmt.
« . . . Unsere germanischen Vorfahren feierten das Fest der Sonnenwende, den Umbruch von der Finsternis zum Licht. Auch wir werden diesen Umbruch erleben . . . »
Er war kein Rekrutenschinder, dieser junge Offizier. Das Rumbrüllen besorgten die anderen, es gab genug davon. Immerhin, er wirkte sympathisch, auch auf uns, die wir um Jahre jünger waren.

«. . . Wir feiern Weihnachten, weil sich die Welt erneuert, wie ein neugeborenes Kind . . . » Irgendwie war wohl alter preußischer Soldatengeist und nazistischer Ungeist in ihm zusammengeschmolzen. Er war ein Opfer geworden, wie viele. Diese Feierstunde hat er nur drei Monate überlebt.

«. . . Und so feiern wir als gottgläubige Menschen Weihnachten nicht wie in der Kirche, sondern als deutsche Soldaten, die um die Größe ihrer Aufgabe wissen. Dieser Jesus Christus der Bibel, der Kirche, hat uns nichts zu sagen. Wir können seine Sanftmut, seine Barmherzigkeit nicht gebrauchen, wenn wir diesen unbarmherzigen Kampf um das Sein oder Nichtsein unseres Volkes führen. Wir brauchen für unsere Stoßtruppenführer, Stukaflieger und U‑Boot‑ Kommandeure, für alle die, die in der unmittelbaren Auseinandersetzung stehen, einen anderen, einen kämpferischen Geist.»

Es war nicht das erste Mal, daß wir solche Reden hörten. Und nun war «Heilige Nacht». Noch immer brannten die Kerzen. Feierlich war es. Zusammen mit einem Schifferklavier erklangen nun aus unseren Kehlen die alten und neuen Weihnachtslieder: «O Tannenbaum . . . », «Leise rieselt der Schnee . . . », «Hohe Nacht der klaren Sterne . . . »

Und nun brach es doch noch durch: «Stille Nacht, heilige Nacht».
Leutnant F. sah etwas betreten zur Seite. Die «Geschichte» hatte sich als stärker erwiesen, stärker als alle demagogischen Verwirrungen. «Stille Nacht! ‑ Christ der Retter ist da.»
Wer verstand das noch? «Christ der Retter ist da.» Die Ahnung, die Sehnsucht nach irgend etwas, was verlorengegangen war, hier wurde es stärker als die Bitterkeit dieser Stunde, als die Dunkelheit, als die Kälte der Nacht.

Dies ist ein Auszug aus dem Buch IDEE AUS DER FINSTERNIS – A. HITLER. Eine besondere Bedeutung hat diese Betrachtung für mich deswegen, weil auch mein Vater viele Kriegsweihnachten im fernen Rußland verbracht hat, einschliesslich Weihnachten 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft in Ufa/Ural.

Das zitierte Buch befindet sich auf meiner Webseite. Siehe unten.

https://horst-koch.de/hitler-idee-aus-der-finsternis/

Horst Koch, Herborn, den 24. 12. 2009