Luise – Königin von Preußen (Biographie)
Harald Harden
Luise – Lebensbild einer Königin
Gekürzt eingestellt von Horst Koch, Herborn. Im Mai 2025. Auch die Textbetonungen sind von mir vorgenommen.
Anmerkung: Diese Biographie zeigt, daß es im 19. Jahrhundert im östlichen Adel ein erfreulichen Einfluss durch ein gesundes Christenum gab… Viele vorbildliche und dauerhafte Sozialreformen waren u.a. die Folge…
I.
Über eine der vielen Bohlenbrücken, die über den Wassergraben in die alte Reichs- und Kaiserstadt Frankfurt führten, rollte eine sechsspannige Karosse. Sie wurde, wie jeder andere Wagen von der Wache angehalten, damit der Torschreiber auf seinem Meldezettel pflichtgemäß registrieren konnte, wer passierte. Doch diesmal erübrigte sich die Frage an den Diener, der hinten auf der Reisekarosse saß, an seiner blau-roten Livree erkannte der Torschreiber, wenn er vor sich hatte:
Ach, de Darmstädter Herrschafte!
Ein neugieriger, schneller Blick ins Innere des Wagens informierte ihn, dass diesmal die alte Landgräfin Georg und die beiden Engels-Köpfe, nämlich die Prinzessinnen Luise und Friederike, nach dem schönen und geliebten Frankfurt kamen.
Sofort zog die Wache auf und präsentierte. Es waren Soldaten vom preußischen Garde Regiment. Vier preußische Bataillon waren Ende des Jahres 1792 aus Potsdam nach Frankfurt marschiert, um in der Umgebung ihres Königs im Frankfurter Hauptquartier zu sein und seine Sicherung zu übernehmen.
Angehörige der traditionsreichen Regimenter des großen Preußen- Königs waren es, Männer, deren Ruhm weit über die Grenzen der deutschen Sprachgebiete hinausgrdrungen war und deren Taten im Buch der Geschichte einen Platz einnahmen, die auch eine spätere Zeit niemals mehr zu löschen vermochte.
Ob diese 17-jährige Prinzessin Luise beim Anblick dieser vorbildlichen Soldaten wohl ahnte, dass sie einst einen Offizier dieses Regiment heiraten würde? Ob der Wachhabender später einmal erfuhr, dass er vor der künftigen Königin präsentieren ließ?
Die alte Landgräfin Georg jedenfalls hatte die Preußen wohlwollend betrachtet und ihnen freundlich grüßend gedankt. Das war durchaus verständlich, denn sie fuhr heute mit ihren beiden Enkelinnen, den mecklenburgischen Prinzessinnen, zur Audienz beim König von Preußen. Es war ein offenes Geheimnis, das Friedrich Wilhelm II., für seine beiden Söhne, den Kronprinzen, Friedrich Wilhelm und den Prinzen Ludwig, würdige junge Frauen suchte, und es war ebenso verständlich, dass man an vielen deutschen Fürstenhöfen eine Verbindung der Töchter mit dem erfolgreichen Hohenzollernhaus durchaus wohlwollend gegenüberstand.
Warum also sollte, so dachte der alte Landgräfin Georg, der Preußenkönig nicht an einer ihrer Enkelinnen Gefallen finden? Sie wusste, dass der preußische Hof für süddeutsche Frauen durchaus aufgeschlossen war, denn auch die regierende preußische Königin stammte aus dem Darmstädter Geschlecht. Man musste zwar zugeben, dass ihre augenblickliche Rolle am Königshof nicht gerade erfreulich war, da der König in Madame Rietz, einer jetzigen Gräfin Lichtenau, seinen persönlichen Wünschen Erfüllung schenkte. Aber musste das immer so ausgehen?
Die Prinzessen, Luise und Friederike, Töchter des späteren Herzogs von Mecklenburg, waren unter den Augen ihrer pfälzischen Großmutter aufgewachsen. Sie waren nicht verwöhnt und anspruchsvoll, sondern in einem zärtlich verbundenen Familienkreis schlicht und bescheiden großgeworden. Sie hatten im Südwesten Deutschlands miterlebt, wie in das bunte, aber machtlose Leben der Kleinstaaten deutscher Fürstentümer, deren zusammenhangsloser Bund zwar das Reich hieß, aber an Bedeutung arm war, die Truppen der französischen Revolution störend eingebrochen waren.
Sie hatten mit dem Hof fliehen müssen und waren zurückgekehrt in die alte, geliebte Heimat, als der preußische König im Verein mit Österreich, deutsche Fürsten zur letzten gemeinsamen kriegerischen Aktion des alten Reiches zusammen gefasst und die alte Kaiserstadt Frankfurt befreit hat. Nun stand er in einem prächtigen Heerlager vor Frankfurt bereit, um die noch immer von den Franzosen besetzte Stadt Mainz zu entsetzen.
Bei Preußen liegt Deutschlands Zukunft. Mehr als einmal hatte die Großmutter- Landgräfin den beiden jungen Prinzessin diese gläubigen Worte erklärt. Es bestand kein Zweifel daran, dass ihre Enkelinnen diese Überzeugung auch zu der ihren machten.
Für sie war die heutige Audienz beim König nicht mehr als ein Besuch, einzig sich-kennen-lernen. Weder Luise noch Friederike dachten daran, dass ihre Reise nach Frankfurt diesmal von der Großmutter mit besonderen Wünschen begleitet wurde.
Das Haus Hessen – Darmstadt besaß auf der Zeil in Frankfurt seit Jahren ein Palais. Dort nahmen die Reisenden auch diesmal wieder Quartier. Durch Landgraf Ludwig X., den Schwiegersohn der Prinzessin Georg, war der Besuch beim preußischen König vorbereitet und eingeleitet worden.
Der König bewohnte mitten im Leben und Treiben der Reichsstadt das so genannte Rote Haus in der Zeil. Vor dem großen Portal dieses Gebäudes hielt um die zweite Nachmittagstunde die sechsspännige Darmstädter Karosse, der die Landgräfin und ihre Enkelinnen entstiegen.
Die Wache präsentierte vor den Fürstlichkeiten, die von dem General von Bischofswerder zum Audienzraum des Königs geleitet wurden. Wenige Minuten später standen die drei Damen vor der imposanten Persönlichkeit des Preußenkönig. Man sah ihm seine schwere Krankheit an der ungesunden Blässe des Gesichts wohl an, konnte aber auch erkennen, dass er früher einer der schönsten Männer seines Landes gewesen sein musste.
Der jetzt 49-jährige machte auf die beiden Prinzessinnen einen hervorragenden Eindruck. Die hellen blauen Augen leuchten ihnen liebenswürdig entgegen, seine Stimme klang herzlich, und die vollendete Beherrschung der gesellschaftlichen Formen imponierte den jungen Damen, ganz besonders. Eine wahrhaft königliche Gestalt, eine ritterliche Erscheinung, die den beiden Prinzessin umso mehr gefiel, weil nichts an ihr affektiert oder unecht wirkte.
König Friedrich Wilhelm II. gab sich natürlich und ungezwungen, sprach mit ihnen wie ein guter alter Bekannter und tauschte mit ihnen scherzhafte Worte. …
Die beiden frischen Herzogstöchter gefielen ihm. Ihre Art, sich zu geben, frei zu reden, ohne die alberne Geziertheit mancher Höfe nachzuahmen, das wohlüberlegte Beantworten von Fragen, und die Sicherheit des persönlichen Auftretens ließen ihn erkennen, dass vor ihm Prinzessinen standen, die durchaus würdig waren, von einem preußischen Kronprinzen heimgeführt zu werden.
Mit großer Genugtuung beobachtete die alte Landgräfin den Eindruck, den ihre Enkelinnen auf den König machten. Man sprach von Verwandten, von der Eroberung Frankreichs durch die preußische Armee… In heiterer Laune, in Einfachheit und Herzlichkeit endete die Audienz. Man bedauerte nur, dass der Kronprinz und Prinz Ludwig nicht anwesend waren. Ich hoffe, Sie heute Abend in der Komödie wiederzusehen, sagte der König. Auch meine beiden Söhne werden sicher gerne die Bekanntschaft der beiden charmanten Prinzessinnen machen. …
Wir fahren noch bei Frau Rat Goethe vorbei, erklärte die Großmutter, ihr müsst sie wieder einmal besuchen. Zu Frau Rat Goethe?
Die Frau Rat Goethe war allerdings einer der wenigen Menschen, die auch aus einem falschen Klang den richtigen Ton hörten und immer hilfsbereit waren, wenn man ihrer bedurfte. …
Vor zwei Jahren hatten sie dort gewohnt… als die Krönungsfeierlichkeiten für Kaiser Leopold II. stattfanden und die Mutter des bekannten Dichters, ihre Darmstädter Prinzesschers unbedingt im ersten Stock, oder wie sie sagte, im Logement unterbringen wollte.
Sie hatte die Prinzessinen in einem ihrer schönsten Kleider im großen Flur des Hauses am Hirschgraben empfangen…
Die Frau Rat selbst hatte sich für diese Zeit in der zweiten Etage einquartiert, die neben dem Zimmer, in dem einst ihr berühmter Sohn Wolfgang gewohnt und gedichtet hatte. …
Später war Luise mit ihrem Bruder Georg noch einmal in Frankfurt gewesen, zur Krönung des letzten Römischen Kaisers Deutscher Nation, Franz I., dem Nachfolger des früh verstorbenen Kaisers Joseph II. Damals hatten sie ihr Abendbrot bei Frau Rat eingenommen, Pannkuche mit Speck, die Luise und ihr Bruder begeistert genossen. …
Landgräfin Georg verehrte den König von Preußen seit langem. Preußen – das war Deutschlands Hort für Sicherheit und Zuverlässigkeit. Denn gab es etwas Besseres als Sicherheit und Zuverlässigkeit?
Seit dem Siebenjährigen Krieg hatte das Reich keinen Krieg mehr zu spüren bekommen. …
In die Zeit der Ausgeglichenheit war plötzlich laut und grell die Rufe: Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! erklungen.
Sie hatten über die Vogesen hinweg in das stille Land des Odenwaldes, bis ins gemütliche Darmstadt Unruhe gebracht.
Wie alle Deutschen hatte auch die Landgräfin mit zitterndem Herzen die Hiobsbotschaften verfolgt, hatte mit Entsetzen vernommen, daß sich in Frankreich die Hölle aufgetan hatte…
Mit der Französischen Revolution hatte der Mord begonnen, die Stunde zu regieren, und die Guillotine zum Gott der ungezügelten Rache gemacht. Aus einem gesegneten Land war über Nacht eine Mördergrube geworden. Wie leicht konnte die dort aufgegangene Saat des Hasses vom Sturmwind auch über die Grenzen in deutsches Land getragen werden.
Mit Unmut und Entrüstung hatten die deutschen Fürsten die Vorgänge in Frankreich beobachtet…
Berauscht vom Erfolg war die französische Armee vorgestoßen, hatte Mainz erobert und war dann nach Frankfurt marschiert und hatte am 23. Oktober auch diese alte Kaiserstadt zum Entsetzten aller Deutschen eingenommen.
Preußen muss helfen, hatte es nun wieder geheißen, und das Anrücken der preußischen Armee war von allen begrüßt worden. Am 2. Dezember hatten die Preußen Frankfurt befreit. …
Durch die Befreiung Frankfurts war der Druck von allen Hessen genommen worden. Niemand zweifelte daran, dass auch die belagerte Festung Mainz bald wieder frei sein würde. …
Mit der Zunahme des Ansehens Preußens war auch das der königlichen Familie gestiegen. Denn die jetzige Königin Friederike von Preußen war eine darmstädtische Prinzessin, Mutter von Friedrich Wilhelm und des Prinzen Ludwig…
Und könnte nicht einer der Prinzen Gefallen an ihren schönen Enkelinnen finden?
Während die alte Landgräfin nach Hause fuhr, waren Friederike und Luise bei Frau Rat Goethe… Sie erzählten von der Begegnung mit dem König, welch imposante Erscheinung er sei, mit Geist und Herzenswärme…
Frau Rat freute sich mit ihnen, aber sie verschwieg den jungen Prinzessinnen, wie sehr sie selbst über das Aussehen des Monarchen erschrocken gewesen war. Sie sagte ihnen nichts von den schweren asthmatischen Anfällen des Königs…
Der Sechsspänner kam, um sie abzuholen, und Frau Rat sagte still vor sich hin: Mei Prinzesscher…
II.
„Ja, sagte sein Bruder Ludwig, ich habe mich verliebt. In Friederike“. Erleichtert war nun der Kronprinz, denn er hatte sich auch verliebt: in Luise. Die Brüder lachten und umarmten sich. „wir haben beide Fortuna am Rockzipfel gefasst, und sollten nicht mehr loslassen“, sagte Ludwig …
„Heiraten“, sagte Ludwig, und der Kronprinz antwortete: das will auch ich…
Viele Jahre später, als aus dem Kronprinzen der König Friedrich Wilhelm III. geworden war, berichtete er seinem Biographen, Bischof Eylert, über seine erste Begegnung mit Luise:
„Als ich sie zum ersten Male sah, schien es, als ob die Kerzen im Saale plötzlich heller geleuchtet hätten, und ein neuer Glanz in mein Leben gekommen wäre. Eine innere Stimme sagte mir: Die ist es, oder keine auf der Erde… Ich las einmal treffend in Schillers Gedicht, wie mir und meiner seligen Luise zumute war…
Jemand schickte im das Gedicht von Schiller, Die Braut von Messina, und las vor, was Don César von Beatrice sagte:
Woher sie kam, und wie sie sich zu mir
gefunden, dieses frage nicht – als ich
die Augen wandte, stand sie mir zur Seite,
und dunkel, mächtig, wunderbar ergriff
im tiefsten Innersten mich ihre Nähe.
Nicht ihres Wesens schöner Außenschein,
nicht ihres Lächelns holder Zauber war’s,
die Reize nicht, die auf der Wange schweben,
selbst nicht der Glanz der göttlichen Gestalt –
Es war ihr tiefstes und geheimstes Leben,
was mich ergriff, mit heiliger Gewalt;
Wie Zaubers Kräfte unbegreiflich weben –
Die Seelen schienen ohne Worteslaut
sich, ohne Mittel, geistig zu berühren. …
Und klar auf einmal fühlt‘ ich‘s in mir werden:
die ist es oder keine sonst auf Erden!
Das ist der liebe heil‘ger Götterstrahl,
der in die Seele schlägt und trifft und zündet;
Wenn sich Verwandtes zu Verwandtem findet,
da ist kein Widerstand und keine Wahl!
Es löst der Mensch nicht, was der Himmel bindet.
Die Begegnung mit der 17jährigen Prinzessin Luise aus dem Hause Mecklenburg-Strelitz war für den jungen Preußenprinz ein so beglückendes Erlebnis, dass es noch lange nach ihrem Tode unverändert vor seinem geistigen Auge stand, schöner und herrlicher als ein Denkmal aus Marmor oder Erz. …
>Soeben hat sich der König von Preußen bei uns anmelden lassen…<, sagte die Landgräfin …
>Als ich die beiden Engel gestern sah< sagte der König zu der glücklichen Landgräfin, >war ich so frappiert von ihrer Schönheit, dass ich wünschte, auch meine Söhne möchten sie so sehen und ihre Herzen gewinnen<.
Die Landgräfin verneigte sich, ergriffen von dem Lob und der Huld des verehrten Königs. …
Sie versprach dem König, dass sie Luise und Friederike die erstaunliche Nachricht übermitteln würde, aber die Antwort müssten sie selbst geben.
Kronprinz Friedrich Wilhelm und sein Bruder zögerten nicht lange. Prinz Carl empfing die Söhne des Preußenkönigs im Salon des Palais, … und die Verlobung wurde auf den 24. April 1793 festgelegt…
Noch immer saßen die Franzosen in Mainz, und es wurde Zeit, auch diese deutsche Stadt zu befreien. Mit Hörnerklang und Trompeter zogen preußische und hessische Truppen wieder ins Feld. Auch Friedrich Wilhelm und Ludwig ritten mit den Soldaten. Nur schweren Herzens hatten sie sich von ihren jungen Bräuten trennen können. „Ich hasse den Krieg“, gestand der Kronprinz seinem Bruder. „Aber ich bin Soldat. Ich werde meine Pflicht erfüllen als Preuße und als Kronprinz“.
Zu Kampfhandlungen ist es um Mainz zum Glück nicht gekommen. So saß der Kronprinz in einem Zelt am Brettertisch und schrieb einen Brief an seine Großtante, Elisabeth- Christine, die Witwe Friedrich des Großen, an der sein Herz sehr hing.
„Teure, hochverehrte Großtante, … mir hat der Himmel ein Geschenk zugeworfen, für welches ich ihm alle Tage auf den Knien danke ,… Ich habe ein Wesen gefunden, welches Gott der Herr für mich geschaffen und bestimmt hat. Luise heißt dieses Wesen, der Inbegriff aller weiblichen Schöne, aller menschlichen Vollkommenheit… Sonst ist es doch so: je näher man einem Menschen tritt, je tiefere Blicke man in sein Herz tut, desto mehr verblasst der Heiligenschein. Bei meiner Luise ist es gerade umgekehrt: je länger ich in dieses Menschenherz schaue, desto tiefere Tiefen erschließen sich, desto reichere Goldadern blitzen auf, desto schöner und herrlicher erscheint sie mir, desto reiner und heiliger wird sie, als hätte an diesem Menschengebild die Sünde keine Macht… Ach, teuerste Großtante, was ist es doch um die Liebe für ein großes Ding. Sie ist in Wahrheit eine Himmelstochter, und ich verstehe jetzt erst recht, was der Apostel Paulus mit der himmlischen Gesinnung meint. Möge diese Sonne meines Lebens niemals ihren Schein verlieren, sondern mir den Pfad beleuchten, bis an mein letztes Ende…“
Ober-Ingelheim, den 2. April 1793
Friedrich Wilhelm
Von irgendwoher klang heftiger Kanondonner. Ein Feuerduell zwischen preußischen und französischen Rohren, eine Kanonade, die weder Sieg noch Niederlage bringen konnte. Ein paar zerstörte Häuser in Mainz, Tote und Verletzte auf beiden Seiten, Tag für Tag, Woche für Woche. Es wurde gekämpft, es starben Menschen, aber für Heldentaten war kein Platz vor Mainz.
III.
Ganz Darmstadt war auf den Beinen, heute, am 20. April… Das landgräfliche Schloß war festlich hergerichtet, man erwartete die beiden jungen Brautpaare… Alles war in bester Ordnung, als unter dem Jubel aller Bürger, die drei Wagen, jeder von vier schwarzen Rossen gezogen, durch die Stadt fuhren, oft anhaltend, dann ins Residenz – Schloss einfuhren.
Viele hohe Gäster kamen, wie der Pfalzgraf von Zweibrücken, der spätere König Max Josef I. von Bayern, ein Prinz von Nassau-Siegen, zwei Fürsten von Reuss, die Grafen von Erbach und noch viele weitere…
Landgraf Ludwig X. hatte zum Empfang seines königlichen Gastes und Schwagers Vorbereitungen treffen lassen, die alles bisher in Darmstadt Gewohnte weit in den Schatten stellte. …
Die Auswahl der Weine übernahm der Landgraf in eigener Person. Er verstand sich darauf hervorragend, denn er besaß ein reiches Lager in seinen großen Kellereien,… noch aus der Zeit, in denen das Haus Hessen-Darmstadt Weinzehnte von den besten Weinbergen am Rhein beziehen konnte, Rüdesheimer, Hochheimer, Johannesberger, nebst Bordeaux und Champagner…
Landgraf Ludwig war ein Verehrer des preußischen Königstums. Er sah in Preußen, genau wie sein Vater, den berufenen Hort und Schützer des Reiches. Dazu kam natürlich, dass er ein geborener Preuße war, da seine Mutter, die große Landgräfin, ihn in Prenzlau zur Welt gebracht hatte…
Der Tag der Verlobung war nun da.
Friedrich Wilhelm II. stand als Vater und König vor den vier jungen Menschen und war zutiefst ergriffen, als er den Bräuten die Ringe an die Finger steckte. Er legte die Hände der Paare ineinander und erteilte den vor ihm Niedergeknieten seinen Segen.
Noch zwei Tage blieb der König bei seinem Schwager, dann kehrte er nach Frankfurt in sein Feldlager zurück.
Für die Frischverlobten hieß es, Abschied nehmen. Die Prinzen mussten zur Truppe ins Feldlager vor Mainz zurück. … Grau und eintönig vergingen die Tage im Lager. Übungen, Paraden, wieder, Übungen, wieder Paraden. Tag für Tag.
Eines Tages wurde das monotone Lagereinerlei unterbrochen. Der König, der am Glück seiner Söhne ehrlichen Anteil nahm, hatte erlaubt, dass die Verlobten, ihre Großmutter Landgräfin und andere Mitglieder der Familie für kurze Zeit das Feldlager aufsuchen und besichtigen durften.
Seine Einladung, sprach sich schnell herum. Alle freuten sich auf den hohen Besuch, der für das Lager ein Festtag werden sollte…
Johann Wolfgang von Goethe, der sich damals bei den Truppen seines Freundes, des Herzogs von Sachsen-Weimar, befand, schrieb unter dem Datum vom 29. Mai 1793 in sein Tagebuch:
>Gegen Abend war uns ein liebenswürdiges Schauspiel bereitet. Die Prinzessinen von Mecklenburg hatten im Hauptquartier zu Bodenheim bei Seiner Majestät dem König gespeist und besuchten nach der Tafel das Lager. Ich heftelte mich in mein Zelt ein und durfte so die hohen Herrschaften, welche unmittelbar davor, ganz vertraulich auf und nieder gingen, auf das genaueste beobachten. Und wirklich konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals verlöschen wird“.
Goethe war damals bereits 45 Jahre alt, seine Worte waren also nicht etwa aus der Gefühlsüberschwänglichkeit der Wertherzeit niedergeschrieben. Er war ein reifer und erfolgreicher Mensch, der die Prinzessinnen gerne kennengelernt und gesprochen hätte, zumal sie sich seiner Mutter sehr verbunden fühlten und auch so manches seiner dichterischen Werke kannten. …
Nach dem Fall von Mainz wurden die Franzosen in Landau eingeschlossen, der König übertrug dem Kronprinzen den Befehl über die Belagerungsruppen. Und sein Sohn wusste ihm Dank dafür, denn er erkannte, dass sein königlicher Vater ihm diese Gelegenheit gab, um sich als Soldat auszuzeichnen.
Der junge Bräutigam und Kronprinz erfüllte alle in ihn gesetzten Erwartungen. An der Spitze des Regiments von Borck erstürmte er am 3. Mai, die Verschanzungen von Lestheim, eroberte viele feindliche Kanonen und machte eine große Zahl Gefangene.
In unseren Tagen klingen diese Berichte manchmal wie Märchen einer nie wiederkehrenden Zeit. Aber sie waren für die Menschen jener Zeit Krieg, Vernichtung, Leid, Elend und Tod. Auch damals starben Menschen, auch damals trauerten Mütter und Frauen um ihre Söhne und Männer.
Die militärische Bravour des Kronprinzen erfüllte den königlichen Vater mit Stolz, die junge Braut in Darmstadt aber sah in ihrem Bräutigam einen echten Helden.
Ganz erfüllt von dem Gedanken, bald die Seine zu werden, wurde sie nur dann von banger Unruhe befallen, wenn sie an Berlin, die Stadt ihrer Trauung und ihre neue Heimat dachte. Ihr graute vor dieser Stadt. …
Als der König vom Kriegsschauplatz im Südwesten nach Berlin zurückgekehrt war, hatte er sofort den Tag der Vermählung festgesetzt. Anfang Dezember folgten ihm seine beiden ältesten Söhne. Zwischen Berlin und Darmstadt wurde vereinbart, dass der Einzug der beiden bräutlichen Prinzessinen in die Hauptstadt am 22. Dezember stattfinden sollte. Die Vermählung des Kronprinzen wurde auf den Weihnachtsabend festgelegt und die des Prinzen Ludwig auf den 27. Dezember. …
IV.
Berlin hatte, als die junge Braut ihren Einzug hielt, bereits als moderne, architektonisch vorbildlich gestaltete Stadt einen guten Ruf unter den Metropolen Europas. Friedrich der Große war von dem Ehrgeiz erfüllt gewesen, seinem aufstrebende Staate eine Hauptstadt zu geben, die ihren Namen mit Recht tragen konnte und sich dennoch unterschied von den anderen Städten. Die meisten Wohnhäuser waren zwar nur zwei Stockwerke hoch, hatten aber manchmal eine Front von 20 Fenstern.
Die vornehmste Straße war in jenen Tagen die Wilhelmstraße, die durch ihre außerordentliche Breite auffiel und deshalb an stillen Tagen einen fast verödeten Eindruck machte. Als Prinzessin Luise sie das erste Mal sah, war davon nichts zu bemerken, denn von allen Seiten und aus allen Stadtvierteln waren die Berliner herbeigeströmt, um ihr zu huldigen und ihre Neugierde nach der schönen Luise zu befriedigen.
Mit dem altgewohnten Darmstadt verglichen, musste die Prinzessin von der Pracht und dem schönen Anblick der großen Stadt begeistert sein. Und sie war es denn auch. Gerade war nach drei Jahren Bauzeit, das Brandenburger Tor vollendet worden. Es wurde das spätere Symbol Berlins mit seinen sechs dorischen Säulen und dem von dem Bildhauer Schadow geschaffenen Viergespanns mit der Siegesgöttin.
In den Mittagstunden des 23. Dezember hielten die königlichen Kutschen durch das Potsdamer Tor ihren Einzug nach Berlin. Der Oberbürgermeister hieß die jungen Bräute im Namen der Stadt willkommen… Tausende von Zuschauern säumten die Straßen, standen an den Fenstern und jubelten dem königlichen Brautpaar zu.
Die Berliner Bevölkerung hatte dem kronprinzlichen Brautpaar ein herzliches Willkommen geboten. Die Stadt war geschmückt mit Tannengrün und unzähligen Fahnen… Endlich kam der erwartete Zug.
Der Staatswagen fuhr am Triumphtor vor. Ein kleiner Knabe sprach für eine Gruppe von Jungens, die aus einem Waisenhaus kamen, einen französischen Willkommensgruß. Es war kein außergewöhnliches Ereignis, dass die Braut des Kronprinzen in der Hauptstadt Preußens zuerst in französischen Sprache willkommen geheißen wurde. Es war die dankbare Stimme eines Nachkommen der durch Ludwig XIV. verbannten Hugenotten, die Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst von Brandenburg, damals freundlich aufgenommen und versorgt und ihn Heimat und neues Vaterland geboten hatte.
Mit Blumen grüßten die kleinen Preußen die holde Fürstin, wünschten ihr Glück und versprachen, ihr auch in Zukunft treue Diener zu sein.
Freundlich winkte Luisen den Jungen zu. Als dann aber eine kleine Bürgerstochter mit ein paar deutschen Versen ihr eine blühende Myrtenkrone überreichte und dies so unbefangen tat, als stände sie nicht vor der Braut des Kronprinzen, sondern vor einer lieben Verwandten, da konnte sich die junge Luise nicht beherrschen und gab dem Drang ihres bewegten Herzens nach. Sie bückte sich und küsste das Kind, während sie ihm die Blumen aus der Hand nahm.
Chefin Voss, die alte, sechzigjährige Oberhofmeisterin, verlor über diesen Verstoß gegen die höfischen Bräuche fast die Besinnung. >Mon dieu! rief sie entsetzt aus. Was haben Eure Hoheit getan? Das ist gegen jede Etikette.<
Luise aber richtete sich plötzlich steil auf, ein wenig Rot stieg ihr in die frischen Wangen, denn sie verspürte deutlich den Vorwurf, wehrte ihn aber ab mit den Worten: Warum darf ich das nicht tun? …
Die Braut des Kronprinzen hatte im Nu die Herzen der Berliner erobert…
Unter eine Ehrenpforte am Opernplatz hat sich die israelitische Gemeinde versammelt. Die Ältesten der Berliner jüdischen Kultusgemeinde warteten dort mit 14 Mädchen, die in weiß und himmelsblau, den Farben von Unschuld und Treue, gekleidet waren. Auch diesen Menschen hatte Preußen Zuflucht gewährt und eine neue Heimat geboten, darum waren auch sie gekommen, der künftigen Frau ihres Kronprinzen zu huldigen.
Einer der Ältesten trat vor die Staatskutsche: >Königliche und gnädige Herrin, sprach er, wir aus dem zerstreuten und oft verachteten Volksstamm sind hier, um dich willkommen zu halten. Wir sind hier, weil der viel geliebte Monarch Friedrich Wilhelm, den wir mit Ehrfurcht nennen, uns wie sein eigenes Volk behandelt, und wir daher seines Volkes wie seine eigene Freude teilen. Du bist auserwählt worden, eine jener Stützen zu sein, auf welchen Preußens Thron ruht, und wir stehen hier, um den Söhnen und Töchtern des Königs unsere Huldigung und unsere Segenswünsche darzubringen.<
Zwei junge Mädchen überraschen den bräutlichen Schwestern Körbe voller exotischer Blumen.
Wieder dankten die Prinzessinnen. Langsam setzt sich dann der feierliche Zug in Bewegung dem königlichen Schlosse zu. Die kommenden Hochzeitsfeier hatten die Berliner nämlich keinesfalls veranlasst, auf ihren traditionellen Weihnachtsmarkt und alle damit verbundenen Weihnachtsfreuden zu verzichten. Wie sonst waren die Buden auf dem Schlossplatz aufgebaut. Ist das nicht beinahe wie bei uns daheim in Darmstadt auf dem Marktplatz? sagte Luise zu ihrer Schwester. …
Endlich war der Hochzeitstag angebrochen. Friedrich Wilhelm und Luise gingen ihm mit glücklichen, stillen Herzen entgegen. Prinz Ludwig und Prinzessin Friederike schienen hineinzustürmen wie junge Füllen …
Nicht nur der Hof, das Militär und die Beamten nahmen Anteil an der prinzlichen Hochzeit, nein, ganz Berlin war auf dem Beinen, um zu sehen und dem Brautpaar Glück zu wünschen.
Bis zum Beginn der Feierlichkeiten verging der erste Teil des Tages in vorbereitender Stille. Die fürstlichen Herrschaften speisten auf ihren Zimmern. …
Der König hatte jeder Braut eine kostbare Brilliantbrosche als Hochzeitsgeschenk überreicht. Es häufen sich die Hochzeitsgeschenke von Mitgliedern der Verwandtschaft. Fremde fürstliche Gäste waren nicht wie üblich am Hofe. Nur die beidseitigen Familien sollten Zeugen der Eheschließung sein. …
Um 5:30 Uhr begann die Auffahrt vor dem königlichen Schloss. …
Prinz Carl von Mecklenburg-Strelitz führte seine bräutliche Tochter den Bräutigam zu. Luises edle hohe Gestalt umfloss ein Gewand von Silberstoff. Das brillantene Brautgeschenk des königlichen Schwiegervaters schmückte die jungfräuliche Brust. Den Ausschnitt des Kleides zierte eine Reihe großer Diamantrosetten, den Hals das große Große Kroncollier im Wert von einer halben Million Taler. … Die diamantene Krone der Prinzessinnen von Preußen senkte sich aus der Hand der Königin auf ihr Haupt – als eine stolze Würde, aber doch auch schon als eine Bürde. …
Der Kronprinz führte seine Braut. Er hatte die Uniform seines Regimentes angelegt, den blauen preußischen Rock mit pfirsischblütenfarbenen Revers und Aufschlägen. Dazu trug er helle Hosen und weißseidene Strümpfe. Über dem blauen Soldatenrock lag das Orangeband des Schwarzen Adlerordens als einziges Abzeichen seiner fürstlichen Würde. Der Stern des Ordens prangte auf der linken Brustseite. Hofdamen der Königin trugen die Schleppe der Braut.
Das zweite Paar bildeten König Friedrich Wilhelm II. und die Witwe Friedrichs des Großen. Die greise Königin schritt, wie von der Last ihrer Jahre gedrückt, neben dem Regenten. Ihre abgeklärten Züge waren durch das Alter veredelt und vergeistigt. Sie hatte sich nach der Mode ihrer Zeit gekleidet, eine Frau, deren Leben und Liebe einem Mann galt, der beides nicht besitzen wollte.
Die regierende Königin Friederike wurde von ihrem zwölfjährigen, Sohn, dem Prinzen Heinrich, geführt, den nach der höfischen Sitte bereits die Uniform des ersten Bataillons der Leibgarde schmückte.
Langsam bewegte sich der Hochzeitszug durch den großen Konzertsaal der Königin-Mutter Saal … bis zum Audienzsaal … In Marmorgestalten standen hier rings um die Kurfürsten das Hauses, vom ersten Friedrich bis zum letzten, auch die vier Kaiser Konstantin der Große, Karl der Große, Rudolf II. und Justinian. An den Wänden hingen die Bilder des großen Kurfürsten und seiner Gemahlin, König Georg I. von England mit Gemahlin, der Königin Mutter Sophie Dorothea, König Friedrich Wilhelm I. und der Königin Sophie Charlotte und des ersten Königs von Preußen. …
Das Brautpaar nahm vor dem Schemel Aufstellung, die Verwandten schlossen sich im Halbkreis an.
Vor dem Altartisch stand der Oberkonsistorialrat und Oberhofprediger Dr. David Gottfried Sack, einer der berühmtesten Theologen seiner Zeit.
Der Oberhofprediger Sack hatte schon den Prinzen Friedrich Wilhelm, der nun als Bräutigam vor ihm stand, getauft und den festen Kern des Glaubens in dessen Seele gelegt. Nun sprach er zu den beiden Verlobten in dieser weihevollen Feierstunde ernste Worte christlicher Verantwortung.
>Herr und Vater der Menschen. Auch diesen Tag der Freude hast du dem König und seinem Haus bereitet. Dank und Anbetung sei dir, denn deine Güte ist groß über uns. Nimm gnädig an das Gelübde, das dies königliche Paar vor deinem Thron niederlegen will. Amen…<
>Gnädiger Prinz! Gnädigste Prinzessin! Eure Königlichen Hoheiten kennen den Anbetungswürdigen, der aller Menschen Gebieter, Wohltäter und Vater ist. Er ist es, da Sie ein Herz, würdig des Ihrigen, hat finden lassen. Ihn werden Eure Königliche Hoheit auch bei dieser wichtigen Verbindung mit den Gesinnungen ehren, die allen erhabenen Eigenschaften ihren wahren Wert geben.
Duchlauchtigste Prinzessin. Dieses Herz, das ihnen jetzt seine Liebe und Treue am Altar der Religion weit, dieses Herz verehrt Gott, und es liebt redlich Gerechtigkeit und Tugend. Sie sind von der Vorsehung auserwählt, es zu beglücken, und ihr schönster Beruf ist es, in demselben die sanfte Flamme zärtlicher Empfindungen zu unterhalten, die das Furchtbare der Heldentugenden mildert. Von Eurer königlichen Hoheit erwartet der Prinz, für den Sie zu leben, angeloben, was Würde und Macht ihm nicht geben können – das heilige Glück der Freundschaft. …
So seien sie dann, als Gesegnete des Herrn, zu dem Bunde, der von nun an wie Ihre Herzen, so auch Ihre Schicksale vereinigt, unter den Freudentränen, die dieses Fest verschönern, eingeweiht. Mögen alle Tage Ihres künftigen Lebens mit neuen Huldbeweisungen Gottes bezeichnet sein, und sich unsere Kindeskinder noch ihre Glückseligkeit erfreuen. …<
Nach der Ansprache des Hofpredigers kniete das junge Paar auf dem Schemel nieder, der Geistliche wechselte die Ringe und sprach das Brautpaar zusammen:
>Gütigster Gott und Vater. Wie du seit Jahrhunderten über unsere Beherrscher mit Gnade gewaltet hast, so verherrliche Deine wohltuende Güte auch an diesem königlichen Paar, dass es zu allen Zeiten sich Deines Wohlgefallens erfreue. Lass durch dasselbe den Glanz des Preußischen Hauses vermehrt und auch für die künftigen Geschlechter eine Quelle neuer Segnungen eröffnet werden. Erhöre uns durch Jesum Christum, unseren Herrn Amen!. …<
Nach einem zeitgenössischen Bericht hieß es über die Trauung: >Die durchlauchtigste Braut gab auch hier wieder einen Beweis ihres schönen weichen Herzen, da sie während der Rede fast unaufhörlich weinte. Ihre Majestät, die regierende Königin zeigte sich während der Zeremonie als die vortreffliche Mutter, die ihr glückliches Volk schon lange in ihr verehrte und liebte. Sie weinte mit zärtlicher Mutterfreude über die glückliche Wahl ihres geliebten Sohnes, der ihr sowieso des ganzen Volkes Lust und Stolz ist<.
Luise und Friedrich Wilhelm waren nun Frau und Mann vor Gott und der Welt für alle Ewigkeit miteinander verbunden.
Über die Hochzeit des jungen Paares schrieb ein Berichterstatter: >Am Nachmittag des 24. war ein großes Gedränge vor dem Schloss. Ich war Augenzeuge, wie sich die königliche Familie in feierlichem Aufzug durch die Galerie nach dem weißen Saal begab. … Die Braut sah bezaubernd aus und schien voll Anmut und Güte. Indem sie sich nach allen Seiten verneigte, überflogen ihr klares, verständiges Auge die Menge mit lieblichem Lächeln und ruhte mit dem Ausdruck vertrauensvoller Liebe auf ihrem Verlobten. …
Der Kronprinz sah sehr heiter aus, und der König schien auch ganz glücklich. Die Königin war schmerzlich erregt, und hielt sich beständig ihren Fächer empor, um ihre Tränen zu verbergen<.
Am folgenden Donnerstag, dem 27. Dezember 1793, fand die Vermählung des Prinzen Ludwig statt. …
V.
Luises Flitterwochen glichen einem bunten Traum. Bälle, Maskeraden, Konzerte, festlicher Karneval – überall stand die junge Frau im Mittelpunkt. Sie lachte, scherzte, tanzte und war ausgelassen wie nie zuvor im Leben. Sie fühlte sich jetzt in Berlin daheim. Alle frühere Furcht vor dieser als kalt und nüchtern verschschrienen Stadt war dahin. Längst hatte sie erkannt, dass die Berliner gutmütig und gastfreundlich, großzügig und duldsam waren.
Schon nach ein paar Tagen begrüßt man sie in allen Salons wie den liebsten Freund des Hauses. Sie bezauberte alle Herzen, die Jungen und die alten.
>Die Ankunft der engelschönen Fürstin verbreitete über jene Tage einen erhabenen Lichtglanz. Alle Herzen flogen ihr entgegen, und ihre Anmut und Herzensgüte ließen keinen unbeglückt…<, schrieb ein in Berlin lebender Bonvivant, der Franzose Fouquet, bekannt als Frauenkenner und Abenteurer. Auch ihn hatte Luises Charm besiegt.
Begeisterung und Vergötterung umgaben Luise, deren Herz mit Stolz und Glück erfüllt war. Sie gab sich in jugendlicher Lebenslust der Freude hin, konnte stundenlang ohne Ermüdung tanzen. Der Kronprinz sah meist nur zu. Ihm war das Tanzen verhasst, nur Luise zuliebe ließ er sich hin und wieder dazu bewegen.
Er verachtete das lockere Treiben der Hofgesellschaft seines königlichen Vaters … und es freute ihn, dass auch Luise die übertriebene Eleganz und das fast sittenlose gesellschaftliche Leben am Hofe ablehnte. Die Ehe des prinzlichen Paares stand im bewussten Gegensatz zu dem höfischen Prunk. Friedrich Wilhelm II. bedauerte diese Haltung manchmal. Er war, wie eine Hofdamen in ihren Memoiren schrieb, von seinen Schwiegertöchtern entzückt, … und in der Karnevalszeit ließ er jeden Mittwoch tanzen und die ganze Hofgesellschaft war eingeladen… und von der Ankunft der Prinzessinnen am Berline Hof datierte eine neue Epoche der Eleganz. …
In dem Maße, wie der Luxus wuchs, schrieb die Dame weiter, suchte der Kronprinz alles, was sich auf äußere Repräsentation bezog, zu vereinfachen…
So fuhr er in ganz bürgerlicher Weise mit zwei Pferden in ein und demselben Wagen mit seiner Frau, anstatt mit sechs Pferden und Pagen auszufahren, wie es bis jetzt am Hofe Brauch war. … Darin war der Kronprinz recht streng, und Luise vergoss manche Träne, die aber alle zu ihrem Heile waren. Sie hat es selbst gesagt und tausendmal wiederholt, dass sie dem klaren und verständigen Sinne ihres Gatten die Dauer ihres Glücks verdanke und ein so schönes und reines Dasein.
Die Festtage gingen schnell vorüber. … Der Alltag begann. Prinzessin Luise musste sich in ein neues Leben, in das der Gattin und Hausfrau, hineinfinden. Sie musste sich unterordnen, aber nicht nur daheim. Da waren noch der König und die Königin, da war die strenge Hofdame, Frau von Voss. Manchmal kam sich Luise in ihrem Palais wie in einem goldenen Käfig vor. Manches drückte sie nieder, verwirrte sie. Sie war doch erst siebzehn Jahre alt – siebzehn Lenze.
Die Begeisterung, mit der man der Kronprinzessin aus allen Schichten der Bevölkerung entgegen kam, die Liebe, mit welcher man in allen Ständen des Volkes von ihr sprach, war kein flüchtiges Aufwallen, sondern hatte viel tiefere Ursachen.
Man sah in ihr eine Art Engelsgestalt, die das königliche Haus von allem Unschönen befreien und einen Hauch von Sauberkeit und Reinheit in das vermoderte, teilweise sittenlose Hofleben bringen würde.
Friedrich Wilhelm II. war seinem großen Vorgänger, dem Alten Fritz, nicht ebenbürtig. Der Große König, wie auch sein Bruder Heinrich, hatten keine Kinder hinterlassen. Der zweite Bruder August Wilhelm besaß nur einen Sohn. Den Prinzen von Preußen und späteren König Wilhelm Friedrich II., eben dem Vater des jetzigen Kronprinzen.
Friedrich der Große hatte von seinem Nachfolger nicht viel gehalten und ihn fast von allen Staatsgeschäften ferngehalten. …
Schon als Prinz hatte sich Friedrich Wilhelm II. zu sehr im Genuss der Freuden des Lebens verloren. Als er König wurde, waren seine wertvollsten Kräfte erschöpft. Die Missachtung des Familienlebens, die durch sein Verhältnis zur Gräfin Lichtenau auch nach außen dokumentiert, war ein unübersehbares Zeichen des Zerfalls.
Ein großer Teil der führenden Gesellschaft Preußen ging nach dem Tod des großen Königs auch dieser zersetzen Auflösung entgegen. Nicht umsonst hatte der Philosoph von Sanssouci zu seinem Minister Hertzberg das erschütternde Wort gesagt: Schaff er mir wieder Religion ins Land.
Es war jedoch schon zu spät, um Einhalt zu gebieten. Als der große König starb und Friedrich Wilhelm II. sein Nachfolger wurde, lockerten sich die Auffassungen von Sitte und Moral noch mehr. …
Kronprinz Friedrich Wilhelm stand diesem Treiben mit deutlicher Ablehnung gegenüber. Seine natürliche Reaktion hatte ihn zu einer tiefen Religiosität geführt. Ein stiller und reiner Charakter wandte sich gegen das Zusammenleben seines Vaters mit der Gräfin. In ihr sah er mit Recht die Zerstörerin des kröniglichen Familienlebens.
Deshalb zog sich das kronprinzliche Paar nach Möglichkeit vom Hofleben zurück.
Die gegenseitige herzliche Liebe der jungen Eheleute wurde bei Hofe nicht geachtet, sondern höchstens belächelt. Andererseits fühlten der Kronprinz und Luise selbst, wie gering ihre Macht war, für eine Besserung der Sitten in der Gesellschaft einzutreten. Allerdings unterschätzten sie dabei den großen Einfluss, den ihr vorbildliches Leben dennoch auf manchen ihrer Zeitgenossen ausübte. Der berühmte Bildhauer Schadow, der in jenen Jahren viel am Hof war, sagte einmal darüber:
Zur Zeit Friedrich Wilhelm II. herrschte die größte Liederlichkeit. Man kann sich jetzt gar nicht mehr vorstellen, wie wohltätig das Beispiel Friedrich Wilhelms III. auf jene Üppigkeit wirkte, die stille Häuslichkeit, die Schönheit und die Bravheit der Königin.
Preußen stand in jener Zeit äußerlich groß und mächtig da. Unter der Regierung seines Königs hatte sich die Bevölkerung um 5 Millionen vermehrt… Diesen Zuwachs verdankte sein Nachfolger auch der zweimaligen Teilung Polens, die im Verein mit Russland und Österreich erfolgte. Ein Erfolg allerdings, der nur äußerlich war. Klar denkende Köpfe bezeichneten schon damals die zweite Teilung Polens als einen großen politischen Fehler. …
So stand es um Preußen, als die siebzehnjährige Luise als Kronprinzessin am Hof erschien.
Auf dem kronprinzlichen Schloss wehte die schwarz-weiße Fahne. Zum ersten Male war sie für die junge Frau das Kronprinzen aufgezogen worden. Heute, am 10. März, feierte Luise ihren ersten Geburtstag in Berlin.
>Ich bin so glücklich bei dir, gestand sie zu ihrem Mann, der mit ihr vor den reich geschmückten Geburtstagstisch trat. Wir sehen uns so selten als Eheleute. Immer dieses Hofzeremoniell, immer diese Hinweise auf der guten Voss auf Etikette und Hofsitten…<
Lächelnd hörte ihr der Kronprinz zu. Er konnte seine junge Frau verstehen…
Muss die Dinge nicht so schwernehmen, tröstete er seine Luise, sie meint es gut, die Vossin. …
Zärtlich ergriff er Luises schlanke Hände. Sie verstand gut, wie er es meinte. Sonst musste sie Kronprinzessin sein, stolz, unnahbar, an den Fäden der Etikette… Daheim fühlte sie sich wohl, >und wenn es nach mir ginge, finden alle Hoffeste ohne uns statt. Um das Königs willen muss ich mitmachen. Und du auch. Liebe Luise. Niemand aber kann uns zwingen, gut zu heißen, was wir verachten<, sagte der Kronprinz.
Luise lächelte still. Die Worte ihres Mannes waren ihr aus dem Herzen gesprochen… >Wenn wir keine frische Luft in diese Gesellschaft bringen, dann tut es niemand<, sagte er ihr …
Arm in Arm betrat das Paar den für die Geburtstagscour gerichteten Nebenraum. Das überlieferte Zeremoniell begann wieder zu regieren. Luise gab sich alle Mühe, keinen Fehler zu begehen und der Madame Etikette keinen Anlass zu neuen Entsetzensblicken zu geben.
Bald füllten sich die Zimmer mit königlichen Gästen und höchsten Hofbeamten. Glückwunsch auf Glückwunsch wurde ausgesprochen. Ergriffen von soviel freundlichen Worten meinte Luise: >Wenn nur die Hälfte von allem in Erfüllung gehen soll, muss ich mindestens zweihundert Jahre alt werden <.
Mit verschmitztem Lachen trat der König dem Kronprinzenpaar entgegen. Er empfand für Luise die stärksten Gefühle und schätzte sie wie seine leibhaftige Tochter.
Galant wie immer bot er ihr den Arm und führte sie in einen Nebenraum vor einen Gabentisch mit wertvollen Geschenken.
>Der Prinzessin aller Prinzessinnen<, sagte er und freute sich, dass Luise mit blitzenden Augen und in froher Dankbarkeit die herrlichen Geschenke betrachtete. … Auf einen Wink des Königs kamen einige Kammerdiener…, einer hatte ein blauseidenes Kissen vor sich, auf dem ein silberner Schlüssel lag…
>Wir kommen aus Oranienburg, um Eurer Königlichen Hoheit zum heutigen Festtage auch ein Angebinde darzubringen… uns ist bekannt, welch tiefe Sympathie Königl. Hoheit gegenüber der Gemahlin des großen Kurfürsten verbindet, die Euren Namen trägt: Luise Henriette. …
Dieser Schlüssel hier öffnet Eurer Königlichen Hoheit das Schloss Oranienburg, das Hochdieselben von diesem Augenblick an als ihr erbliches Eigentum ansehen wollen<.
Verwirrt nahm Luise das wertvolle Geschenk des Königs entgegen. >Wie soll ich Ihnen danken< sagte sie. >Ihre zarte Aufmerksamkeit beschämt mich. Ein köstlicheres Geschenk könnte ich kaum erhalten. Es ist für mich ein nie erträumtes Glück, in den Gemächern der hohen Frau weilen zu dürfen. Zu ihr sehe ich als Ideal auf und bitte Gott, mich ihr ähnlich werden zu lassen<.
Auf des Königs Gesicht lag Zufriedenheit… >Kann ich dem Geburtstagskind noch irgendeinen Wunsch erfüllen?< , fragte er gütig.
>Mir? Nein, Euer Majestät, ich bin überglücklich<, antwortete Luise. >Aber ich möchte gern, dass auch andere glücklich werden. … Dürfte ich Majestät bitten, auch den Armen von Berlin eine Handvoll Gold zu schenken?<
Diese Wendung hatte der König nicht erwartet…, doch dann sagte er: >Und wie groß denkt sich das Geburtstagskind diese Handvoll?< erkundigte er sich.
>So groß wie das Herz des gütigsten Königs<, lautete Luise schlagfertige Erwiderung.
Da neigte der König sich zu Luise, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte die Erfüllung ihres Wunsches zu.
Achtzehn Jahre alt, das musste gefeiert werden, sie tanzte und tanzte und vergaß dennoch nicht hier und da mit den alten Damen des Hofes charmant zu plaudern. …
Luise liebte es durchaus nicht, mit Menschen zusammenzukommen, deren Lebenswandel zu berechtigten Vorwürfen Anlass gab, sie war aber auch nicht prüde, sondern bemühte sich, jeden zu verstehen.
Und beim Prinzen Louis Ferdinand schien es sich zu lohnen, denn soviel sie gehört hatte, war er ein Freund der Musik, beschäftigte sich viel mit philosophischen Fragen…
Auch Luise fand den Prinzen sympathisch und seine frische unbekümmerte Art gefiel ihr. Von der Leichtigkeit und Eleganz seines Tanzens war sie begeistert. Sie hatte ja schon mehrfach mit ihm getanzt. Als die Musiker schwiegen, setzte der Prinz sich an das Klavier, und spielend waren seine schlanken Finger über die Tasten geglitten, und plötzlich hatte er gesungen. Auch Luise hatte sich ihrem betörenden Einfluss nicht entziehen können.
Bei den nächsten Bällen umwarb er Luise wie ein Liebhaber, wusste aber wohl die Formen zu wahren.
Es war ein wunderschöner Abend, gestand Luise ihrer Schwester Friederike. Du bist verliebt, hatte Friederike mehrfach neidisch gesagt…
Mit nachsichtigem Lächeln lachte Luise über Friederikens Vermutung. Nein, verliebt war sie nicht, aber sie fand den Prinzen sehr charmant. Er gefiel ihr, weil er nett war und so viele Eigenschaften besaß, die so ganz anders waren als die nüchterne Lebensauffassung des Kronprinzen.
Aber sie war trotz ihrer Jugend Frau und Gattin genug, diese Gefahr zu erkennen und sich zu schützen. Sie setzte ihr Gegengift ein, das stärker war als jede Leidenschaft – die Gattenliebe, die vor Gott gelobte eheliche Treue.
Dennoch konnte Luise gegen den aufkommenden Klatsch hämischer Hofkreise nicht an. Mein Gewissen ist rein, lehnte Luise jeden Rat ab. Schmutzige Menschen schliessen von sich auf andere. Wer ist schon gegen Verleumdungen geschützt? Je höher ein Felsen, desto stärker die Wellen.
Eines Tages war es soweit. Der König, die Königin und einige Hofdamen gingen zum Kronprinzen, um dort ernste Bedenken gegen Luises Umgang mit dem Prinzen anzumelden.
Der Kronprinz, mit blassem Gesicht, hörte sie an, um dann zu antworten: Kenne meine Luise. Glaube an sie. Werde niemanden erlauben, ihre Ehre zu beschmutzen!
Nur durch Zufall erfuhr Luise von dieser Ritterlichkeit ihres Mannes. Sein Glaube an ihre Reinheit und Treue rührte sie zu Tränen. Sie war glücklich wie selten zuvor…
Ein paar Tage später riefen militärische Übungen ihn nach Potsdam. Ich werde dich begleiten, sagte Luise. Ich komme mit nach Potsdam, will niemanden mehr sehen, sondern nur bei dir sein.
Freue mich, nickte ihr der Kronprinz in seiner knappen Art zu, ich bin sehr froh darüber.
Schon am nächsten Morgen rollte die königliche Kutsche über Charlottenburg hinaus nach Potsdam.
In Potsdam fühlte Luise sich wohl. Hier gab es keine klatschsüchtigen Hofschranzen, keine übertriebene Etikette.
Die Oberhofmeisterin war zwar mit nach Potsdam gekommen. Sie verstand es aber vorzüglich, sich allen Dingen anzupassen, und hatte eingesehen, wie wenig gesellschaftliche Formen gegenüber anständiger Haltung bedeuten. Es war erstaunlich, aber plötzlich fand sie den richtigen Ausgleich zwischen Leben und starren überlieferten Bestimmungen. Luise hatte nun in ihr eine wirkliche Freundin gefunden.
Nein, in Potsdam war Luise nur eine Soldatenfrau. Sie nannte sich selbst so in einem Brief an ihren Bruder Georg und erklärte begeistert: Ich erlebe jetzt die schönsten Monate meines Lebens – ganz Sans-Gene und Etikette – ich bin einfach nur glücklich.
VI.
Potsdam mit seinen schönen Seen, Parks und dem Sanssouci des Großen Königs war für beide ein Hort des Friedens…, sie wohnten im Stadtschloss. …
Nur zwei Monate hielt dieses stille Eheglück an… In den Freudenwein fiel der bittere Wermutstropfen des Krieges. Der Kronprinz und sein Bruder Ludwig eilten zu den Waffen. Freundschaft, Liebe und Glück blieben allein in Potsdam zurück.
Plötzlich schien das Leben im alten Stadtschloss erloschen. Die schönen Stätten des Glücks ungemütlich, kalt und traurig. Der Abschied von Luise fiel dem Kronprinzen sehr schwer. Zwar liebte er das Soldatensein, aber er hasste den Krieg. Er war ein Mann, der Beständigkeit, der Treue und das besonnenen Handels.
Lange stand Luise am Fenster und sah hinaus auf die Allee. Sie starrte immer noch hinaus, wie viele andere Frauen und Mütter, deren Männer und Söhne zu den Fahnen gerufen worden.
Langsam, viel zu langsam vergingen Frühling und Sommer… Luise erfuhr aus dem Briefen ihres Mannes immer wieder, dass er weit vom Schuss sei, weil der König ihn nicht in die Gefahrenzone ließ.
Nun eilte Luise in den herbstlichen Garten, wo sie ihm ja schon gesagt hatte, dass sie sich als Mutter fühle. Luise liebte die laute Geselligkeit nicht mehr. Seit sie ein Kind unter dem Herzen trug, blieb sie gerne allein. Nur mit ihrer Schwester Friederike, die ebenfalls ein Kind erwartete, war sie gern und oft im sommerlich blühenden Park von Sanssouci spazieren gegangen. Ende September meldete der Kronprinz seine Rückkehr. Der polnische Aufstand war erfolgreich niedergeschlagen worden, der Krieg beendet. Die Prinzen durften zu ihren Frauen zurückkehren.
Singend und in ausgelassener Stimmung ging und tanzte Luise durch Sanssouci und es war so gut, zu wissen, dass der geliebte Mann in ihrer schweren Stunde bei ihr sein würde.
Sie müsse vorsichtiger sein, mahnte besorgt die Gräfin Voss, und ohne Widerrede folgte Luise ihren guten Ratschlägen, die sie schätzen gelernt hatte. Eine bessere und ergebener Freundin konnte sie, abgesehen von ihrer Schwester Ilka, kaum finden. Längst war das Starre und Konventionelle der alten Gräfin vom Scharm der lebensfrohen Luise überwunden worden, längst hatte die junge Frau, in der bejahrten Dame eine mütterliche Beraterin gefunden. Und beide waren glücklich.
Zum Empfang ihres Mannes siedelte Luise mit ihrem kleinen Hofstaat nach Berlin um. Sie wollte ihm eine herzliche Heimkehr bereiten. Und als er kam, brannten in allen Zimmern des Palais Kerzen, überall standen Blumengrüße, und als besondere Überraschung wartete ein nett eingerichtetes Kinderzimmer auf ihn, den Vater.
Die letzten Wartetage vergingen im Nu, dann lagen die jungen Eheleute sich glücklich in den Armen, und Luise hörte wieder selig die knappen Worte ihres Fritz: bin froh, bei dir zu sein.
Diese letzten Septembertage waren voller Sonne und Wärme. Frieden lag wieder über den Feldern, Wiesen und Wäldern. Ruhig gingen die Menschen im preußischen Land ihrer Arbeit nach, dankbar dem Schicksal, das ihnen große Opfer erspart hatte.
Kronprinz Friedrich Wilhelm fühlte sich jetzt noch mehr als zuvor dem Militär verbunden. So oft es möglich war, nahm er Truppenbesichtigungen vor und inspizierte Lager und Kasernen. Der soldatische Dienst erfüllte ihn schon vom frühen Morgen an.
Luise saß allein in ihrem Zimmer und las. Mitten im Lesen fiel der Kronprinzessin etwas Wichtiges ein, da sie mit der Gräfin Voss besprechen musste. Sollte sie einen Bediensteten rufen! Wozu? Es war doch viel einfacher, selbst zur Oberhofmeisterin zu gehen und sofort alles zu klären. Etwas schwerfällig erhob sich Luise und Schritt lautlos über die Teppiche, durch eine Reihe von halbdunklen Zimmern bis zu einer kleinen Treppe, die zu dem Stockwerk führte, in dem die Gräfin ihr Zimmer hatte. Wie aus dem Boden gewachsen, stand plötzlich eine massive Gestalt vor ihr, einem dunklen, bedrohlichen Schatten gleich.
Empfindlich durch ihren Zustand, wurde Luise von panischem Entsetzen gepackt. Gellend schrie sie auf und brach bewusstlos zusammen, wobei sie die Treppen hinunterstürzte.
Der Schrecken des harmlosen Schlossbesuches, eines Gelehrten aus der Provinz, war nicht geringer. Er hatte vom Hofmarschall die Erlaubnis bekommen, die Schloßbibliothek zu besichtigen, weil jener annahm, die Kronprinzessin sei mit ihrem Mann ausgefahren.
Auf die Hilferufe des Gelehrten stürzten Kammerfrauen herbei und trugen die ohnmächtige Luise davon.
Ahnungslos kehrte der Kronprinz aus Potsdam zurück. Im Palais herrschte eine Aufregung, die ihn das Schlimmste befürchten ließ. Mit bleichen, erschrockenen Gesichtern standen die Bediensteten auf dem Flur herum und flüsterten so leise, als befinden sie sich in einemTotenhause. Aus dem Munde der Gräfin Voss erfuhr er was geschehen war.
Zusammengebrochen saß er später am Tisch, das Gesicht in die Hände vergraben. Die Hoffnung auf den ersten Sohn waren dahin. Friedrich Wilhelm war verzweifelt und fürchtete sich davor, der geliebten Frau diese bittere Wahrheit gestehen zu müssen.
Lange lag Luise besinnungslos. Wie eine Tote ruhte sie auf ihrem Lager. Als sie nach Stunden wieder zu sich kam und vom Arzt ihr Unglück erfuhr, wurde sie noch blasser. Ihre Enttäuschung war so groß, dass sie nicht einmal weinen konnte.
Wieder einmal bewies sich die Größe der Oberhofmeisterin. Sie versuchte, mit zitternden Lippen die unglückliche Luise zu trösten, und fand Worte von so echter Herzenswärme, dass Luise sich bei ihr geborgen fühlte, wie im Schoß einer Mutter.
Oft saß Friedrich Wilhelm stumm auf dem Bettrand und streichelte die Hand seiner Luise. Nur selten fand er Worte, so litt er mit ihr. Was sollte er auch einem jungen Weibe sagen, dass ihr Erstgeborenes verloren hatte.
Aber Luise fühlte in seinem Streicheln die Zärtlichkeit, spürte seine Besorgnis, seine Angst und seine innigen Genesungswünsche.
Und für kurze Zeit wurden ihre Augen dann schön und klar, so, wie er sie kannte und liebkoste.
Sorge dich nicht, flüsterte sie ihm einmal zu. Ich bleibe bei dir. Gott wird uns nicht trennen.
Es waren Tage des Bangens. Das Leben der Kranken hing nur an einem dünnen Faden.
Jeden Morgen sammelten sich vor dem Palais schweigend die Menschen und harrten in besorgter Stille der Meldung des Kronprinzen, die ein Kammerherr verlas.
Nach einigen Tagen endlich trat der Leibarzt selbst auf den Balkon und verkündete, dass die größte Gefahr vorüber sei.
Ein Aufatmen ging durch die Stadt, die voller Angst und Furcht gewesen war, einen unersetzlichen Verlust zu erleiden. Zum ersten Mal aber erlebte der Kronprinz, wie er seine Luise vom Volk geliebt und verehrt wurde.
Die Kronprinzessin gesundete, aber brauchte noch lange Zeit, ehe die tiefe Wunde heilte, die ihr der Tod des Kindes geschlagen hatte. Noch oft erwähnte sie das tote Kind in ihren Briefen.
In einem Brief an ihren Bruder Georg schrieb sie. Ich murre nicht. Ich trage mit Ergebung den Willen Gottes, der in allen seinen Fügungen unser Glück und unser Bestes vor Augen hat. Auch sind Tränen kein Murren, sondern Empfindungen der Wehmut, deren sich ein mütterliches Herz nicht erwehren kann.
Dabei litt sie nach den Berichten der Oberhofmeisterin unbeschreiblich: Aber auch in den größten Schmerzen war sie den Ärzten so gehorsam und geduldig, dass es dadurch gelang, ihre Gesundheit vor jeder üblen Folge dieses Unglücks zu bewahren.
Ein Jahr später am 15. Oktober 1795, wurde auf dem kronprinzlichen Palast die Flagge aufgezogen. 72 Kanonenschüsse verkünden dem Volk, dass dem Kronprinz ein Sohn geboren worden war. Beglückt stand der junge Vater am Bett der Wöchnerin. Ich liebe dich, sagt er mit rauher, gehemmter Stimme. Ich liebe dich, Luise.
Im Tagebuch der Gräfin Voss wurde eingetragen. Durch diese Geburt erreichte das Glück unserer geliebten, jungen Herrschaften die schönste Vollendung, und friedvoll und heiter wurde das Leben aller um sie her…
Der Mann und das Kind – darin sah Luise in jenen Tagen die Erfüllung ihres Lebens, nichts anderes interessierte sie.
Das Lustschloss Oranienburg, war für das Kronprinzenpaar ein wertvolles Geschenk des Königs, aber es dünkte ihnen zu stattlich und zu königlich, um dort Zuflucht zu finden vor dem Glanz des Berliner Hoflebens. Alles in Oranienburg war zu groß, seine Räume zu prächtig, zu unbehaglich…
Das Kronprinzenpaar wünschte sich einen eigenen und kleinen Landsitz. … Friedrich Wilhelm wollte mit seiner Luise möglichst in der Nähe Potsdams leben. Dort war er geboren, dort hatte er seine Jugend verbracht. In dieser alten, preußischen Garnisonsstadt hing er mit inniger Liebe. Die Wahl fiel auf das kleine Gut Paretz, das fernab vom Getriebe alles höfischen Lebens lag und zu dem nicht einmal eine Landstraße führte.
Das schlichte Gut, inmitten der ruhigen, einfachen Havellandschaft, deren einziger Schmuck das volle Saftgrün der Wiesen war, gefiel dem jungen Paar, und entsprach seinen Ansprüchen vollauf.
Hier wollen wir leben, hier werden wir glücklich sein!, sagte der Kronprinz und blickte mit frohen Augen zu den bewaldeten Höhen von Phöben und Töplitz und über die stahlblaue Havel hinüber nach Werder, der kleinen Insel inmitten der Havel.
Ein Herrenhaus im einfachen Geschmack der Zeit entstand, nur zwei Stockwerke hoch mit sechzehn Fenstern in der Front, ohne jede Ornamentik. Denken Sie immer daran, hatte der Kronprinz voller Ernst zu dem Oberbaurat Gilly gesagt, dass sie für einen armen Gutsherrn bauen.
Über den Havelseen flogen die weißen Möwen, und die herbstliche Sonne spiegelt sich im himmlischen Blau des Wassers. Friedrich Wilhelm und Luise standen glücklich Hand in Hand vor ihrem neuen Landhaus, dem sie den Namen Still im Land gegeben hatten.
Die Schlichtheit des ländlichen Heimes wurde von Hofleuten zwar verächtlich mit Schmucklosigkeit bezeichnet, die bedürfnislose Einfachheit sahen ihre Augen als Bürgerlichkeit an. Sie verstanden nicht, dass ein Kronprinz auf allen Komfort verzichtete, konnten nicht glauben, dass die lebenslustige Luise sich in diesen bescheidenen Rahmen fügen würde.
Nun bist du die gnädige Frau von Paretz lachte der Kronprinz. Ich aber bin der Schulze von Paretz, meinen Anordnungen ist Folge zu leisten, verstanden?
Mit tiefem Hofknicks quittierte Luise übermütig seine Worte. Werden da Herr Schulze gelegentlich geruhen, einen lieben Kuss von der gnädigen Frau von Paretz in Empfang zu nehmen?
Mit einem Seitenblick zur Gräfin Voss, antwortete Friedrich schmunzelnd. Habe nichts gegen volkstümliche Bräuche, verlange sofort einen Kuss, …
Wieder einmal stand Weihnachten vor der Tür. Die Straßen Berlins lagen tief im Schnee eingepackt, und nur die Spuren der Karossen und Schlitten ließen das Grau des Pflasters hier und da an die Oberfläche dringen. Während in den Häusern die Kerzen der Weihnachtstannen angezündet wurden, während jubelnde Kinderstimmen frohe Lieder sangen, brannte in den Palästen des königlichen Prinzen kein festliches Licht. Dunkel, wie ausgestorben lagen die Paläste in der Heiligen Nacht.
Prinz Ludwig, der Gatte Friederikes, lag seit Tagen mit einer schweren Erkrankung darnieder. Kein Trost, keine Hoffnung. …
Statt weihnachtlichen Kerzenschimmer, statt froher Augen und freudiger Stimmung brannte neben dem Krankenbett flackernd ein trübes Öllicht. Die Ärzte befürchten das Schlimmste. …
Am 18. Dezember starb der 23-jährige… Wenige Tage später wurde er in aller Stille im Dom beigesetzt. …
Luise nahm die durch ihren schmerzlichen Verlust fassungslose Schwester zu sich, umhüllte die zarte Ilka mit hingebender Liebe, die Trost und Mitleid zugleich war.
Als am Neujahrstag 1797 das kronprinzliche Paar dem König die üblichen Glückwünsche bringen wollte, fühlte sich plötzlich auch der Kronprinz unwohl. Dein Gesicht verlor jede Farbe, die Augen wurden ausdruckslos. Fieber überfiel ihn, er brach wortlos zusammen. Man musste ihn ins Bett tragen.
Zum Entsetzen Luises stellte der Arzt eine lebensgefährliche Luftröhrenentzündung fest.
Soll ich denn aller meiner Söhne beraubt werden?, stöhnte der König auf. Seine Worte trafen Luise tief ins Herz. Schwebte das Leben ihres Mannes so in Gefahr? Sollte auch ihr kaum begonnenes Ehe- und Familienglück ein jähes Ende finden?
Schwere Tage kamen. Luise litt unsagbar. Der geliebte Mann raste in Fieberfantasien, die Schwester jammerte über den Tod des Prinzen, Ludwig, dem König stand die nackte Angst im Gesicht, er wollte fast verzweifeln und brauchte tröstende Worte, um nicht selbst zusammenzubrechen.
Immer mehr erkenne ich den Wert des Edelsteins, schrieb die Gräfin Voss an eine Freundin, in der Nacht der Trübsal leuchtet er am schönsten.
In jenen Tagen der Krankheit wich die Kronprinzessin nicht eine Minute vom Bett ihres geliebten Mannes. Klopfenden Herzens belauschte sie seine Atemzüge. Meinen Mann in Gefahr zu sehen, ihn leiden zu sehen, das ist furchtbar und niemals werde ich diese Zeit des Unglücks vergessen. So notiert sie, ohne zu ahnen, dass er vom Schicksal noch viel Schweres aufgebürdet werden würde.
Der Kronprinz gesundete dank der aufopfernden Pflege und dank seiner kräftigen Natur.
Dennoch kam neue Trauer über den königlichen Hof. Die Witwe Friedrich des Großen, Königin Elisabeth Christine, starb wenige Wochen nach dem Prinzen Ludwig.
Das Jahr 1796 begann mit Wintertagen voller Eis und Schnee, voller Tränen und voll Jammerns. Zwei Jahre erst waren Luise und Friedrich Wilhelm verheiratet, und schon lag der Schatten eines harten, unerbittlichen Schicksals über ihrer jungen Ehe.
Doch auch die Totenklage verstummte, das Leben forderte wieder sein Recht. Es schien sogar, als seit dem jungen Paar neues Glück bestimmt, um alles Leid besser überwinden zu können.
Am 22. März schenkte Luise ihrem Mann und dem ganzen Land einen zweiten Prinzen, der auf den Namen Friedrich Wilhelm Ludwig getauft wurde.
In ihren Kindern fand Luise hinreichenden Trost für alles, was sie in letzter Zeit erlitten hatte und noch erleiden musste. Preußens kranker König trug den Keim des Todes in sich. Bei der Beisetzung der Witwe des alten Fritz hatte er vorausahnend gesagt: Der nächste bin ich. …
Als der Herbst ins Land kam, zog sich der König nach Potsdam in das Marmorpalais im neuen Garten zurück. Eins hatte er diesen Garten anlegen lassen, um abgeschlossen vom Lärm und Trubel, des Alltags dort still und friedlich leben zu können. Jetzt spürte er seine letzte Stunde nahen. …
Dem Kronprinz empfahl er Land und Untertanen und segnete ihn…
Zwei Tage später schlossen sich mittags um ein Uhr plötzlich die fünf Flügel des Brandenburger Tores. …
König Friedrich Wilhelm II. war gestorben. Noch am gleichen Tage schwor die Garnison den Eid der Treue auf Friedrich Wilhelm III.
Ein neuer Lebensabschnitt begann. Nie hatte das Kronprinzenpaar Verlangen nach dem Thron verspürt. Das war ein offenes Geheimnis, und die Oberhofmeisterin Voss schrieb es nieder. Meine Königin ist ganz betäubt und ergriffen, und der König ist es ebenfalls. Beide sind in Wahrheit sehr traurig, und der junge König hätte in seiner edlen Denkungsart gerne noch die Krone entbehrt, um seinen Vater länger zu haben.
VII.
Wie friedlich ruhte das Dörflein Paretz in der lieblichen Havellandschaft. …
Mit verhaltenen Tränen in den Augen blickte Luise noch einmal aus dem Fenster hinaus auf das weite Land, nahm stillen Abschied vom gegenüberliegenden Gotteshaus, grüsste noch einmal die lieb gewonnenen Ortschaften in der Ferne. Lebe wohl, du liebes und stilles Paretz. Lebe wohl, du schöner Garten, du Dorf mit deinen einfachen, ehrlichen Bauern und Knechten.
Die Schulzin von Paretz legte jetzt ihre Erntekrone aus Feldblumen ab.
Sie musste hinaus aus dieser Welt des Glückes und eine neue schwere Krone auf ihr junges Haupt setzen lassen. Ihrem neuen Pflichtenkreis ging sie mit den Worten entgegen: Ich bin Königin, und was mich dabei freut, ist die Hoffnung, dass ich nun meine Wohltaten nicht mehr so ängstlich werde zu zählen brauchen.
Auch Friedrich Wilhelm III. trennte sich nur schweren Herzens vom geliebten Paretz. Sorge vor der Zukunft erfüllte ihn, und er wusste, dass er kein leichtes Erbe antrat.
Viele Ereignisse der Vergangenheit belasteten das Schicksal Preußens. Der Baseler Friedensschluss und die letzte Teilung Polens mussten von jedem weiterblickenden Deutschen als Fehler angesehen werden. Preußen und der größte Teil der deutschen Länder erkauften den Frieden durch Aufgabe aller auf dem linken Rheinufer liegenden Provinzen.
Der durch die Teilung Polens erhaltene Landgewinn konnte diesen Verlust nicht annähernd ausgleichen.
Unter Friedrich Wilhelm II. Regentschaft schob sich die französische Grenze bis zum Rhein vor, die preußische bis zur Weichsel. So übernahm Friedrich Wilhelm III. Land, Verwaltung und Armee.
Die Kassen Kassen leer. Die 70 Millionen Taler, von Friedrich dem Großen einst als Staatsschatz hinterlassen, waren aufgebraucht.
Am Todestag seines Vaters rief Friedrich Wilhelm die Staatsminister zu sich. Sie haben ihren besten Freund verloren, sagte er bescheiden. Wollen Sie mich dafür nehmen?.
Natürlichkeit und Einfachheit kennzeichneten das junge Königspaar. … Sie spazierten Hand in Hand mitten unter den Bürgern Berlins durch den Tiergarten. Sie fühlten sich wohl dabei, ihre Aufgeschlossenheit, ihre ehrliche Einfachheit und die ganze Art ihres Sichgebens eroberten ihnen im Nu die Herzen der Berliner und des ganzen Volkes. … …
Als Mensch mit königlichen Rechten trat Friedrich Wilhelm III. die Thronfolge an. Nur böswillige Zeitgenossen erkannten den guten Willen und seine edlen Vorsätze nicht an.
Friedrich Wilhelm III. hatte nun den Thron bestiegen, und auf ein verschwenderisches und sittenloses Regiment folgte das der strengen Rechtlichkeit, Sparsamkeit und Sittlichkeit, auf jesuitische und illuminatische Umtriebe das Walten der echtesten und ungefärbtesten Frömmigkeit, auf die Mätressenwirtschaft die musterhafteste Ehe, die vielleicht je auf dem Thron gesehen ward, und auf das glänzende Schauspiel des kostspieligsten Hoflebens der wohltuende Anblick eines fast bürgerlich einfachen Haushalts.
>Die Sympathie zwischen den häuslichen Verhältnissen und der königlichen Familie und denen des geringsten Bürgers wahr es wohl, die von Hause aus das feste Band zwischen dem neuen Königspaare und seinem Volk knüpfte und den Grund zu der vorbildlichen Liebe legte, die so viele Jahre hindurch die stille Tugend auf dem Thron in begeisterten Zungen feierte und das Königspaar durch Gute und böse Tage auf so festen und treuen Händen trug.<
So urteilt Baronin von Romberg in ihren Erinnerungen.
In der Hoffnung, den leeren Staatssäckel wieder füllen zu können und durch Sparsamkeit hereinzuholen, was vor ihm leichtsinnig verschwendet wurde, bestimmte Friedrich Wilhelm III.: Auch ein König muss von den Einkünften des Kronprinzen leben können.
An diesem Entschluss hielt er fest und blieb aus diesen Gründen auch in seinem Palais wohnen. …
Glück, Frieden und Wohlstand wollte Friedrich Wilhelm III. seinem preußischen Volk bringen.
Glück, Frieden und Wohlstand, das waren auch die Gedanken, mit denen sich Königin Luise für das Land beschäftigte.
Doch das Donnern der Geschütze brachte alle guten Vorsätze zum Schweigen. Frankreich, ihren übermütig in seiner revolutionären Gesinnung, entzündete die Kriegsfackel.
Europa war in Gefahr. Russland, England und Österreich schlossen ein Bündnis gegen Frankreich. In gemeinsamer Abwehr wollten sie Europa gegen die Herrschaftsansprüche der vom Größenwahn befallenen Französischen Revolution verteidigen.
Mit allen diplomatischen Mitteln versuchte man auch Friedrich Wilhelm III. in diese Koalition zu bekommen, doch er zögerte. Er wollte sein Volk nicht in den Krieg führen, wollte Frieden halten, solange es nur möglich war.
Gott wird das Erbe Friedrichs des Großen vor Unglück bewahren, sagte er, und der Hof teilte seine Ansicht.
In schicksalsschwerer Stunde hatte der König den Thron seiner Väter bestiegen. Noch war nicht abzusehen, welche schweren Prüfungen ihm in seiner Regentschaft zubestimmt waren.
Wo du hingehst, da will auch ich hingehen, gelobte ihm Luise in tiefer Gläubigkeit. Ich bin deine Frau und habe bisher Glück und Freude mit dir geteilt.
Dankbar küsste der König sie. Wir werden in nächster Zeit viel reisen müssen, erklärte er. …
An ihren Bruder Georg schrieb Luise:
Ich werde reisen. Wohin, warum, wann, das sind Fragen, die ich Dir gerne beantworten will. Ich reise also mit meinem Mann zu der Huldigung nach Ostpreußen. Warum reise ich? Dieses lässt sich leicht verraten, weil mein Mann es wünscht. …
VIII.
Ende Mai, sechs Monate nach dem Tod seines Vaters, unternahm Friedrich Wilhelm III. die geplante Reise in die östlichen Provinzen des Landes. …
Seit Menschengedenken hatte man im Land keine Königin gesehen. Und nun kam diese junge, schöne Luise, deren stolze Erscheinung alle begeisterten und des Königs Anordnung missachten ließ. Schon vom ersten Tag wurde die Königin Luise umjubelt. Die Reise war ein einziger Triumphzug.
Freienwalde, Stargard, Köslin, Zoppot und Danzig, überall huldigten Landleute, dem königlichen Paar, überall begrüßte man sie mit frohen Rufen, Blumen, Volksliedern und Ansprachen. …
Als wir in Danzig einfuhren, donnerten die Kanonen, und die Schiffe hatten alle geflaggt, die im Hafen lagen. Die Stadt ist groß und reinlich, in den Straßen, wogte eine dicht gedrängte Menschenmenge, die die Königin mit Jubelrufen empfing. … …
Der Abschied von Danzig fiel der Königin schwer. Sie hatte die uralte Weichselstadt in ihr Herz geschlossen. …
Unerbittlich drängte das festgelegte Programm… Das nächste Ziel war Königsberg, die Hauptstadt Preußens. Von hier aus war die Größe der preußischen Monarchie ausgegangen. …
Sicher, die Ordensburg der deutschen Ritter ließ sich nicht vergleichen mit dem romantischen Heidelberger Schloss, auch nicht mit dem prunkvollen Hradschin in Prag, aber es zeichnete sich aus durch seine hohe, die Stadt beherrschende Lage, seine Größe und seinen herrlichen Moskowitersaal aus …
Am 3. Juni glänzte der Moskowitersaal im Licht von tausend Kerzen. Der König hatte zu einem Ball eingeladen.
Luise war der Mittelpunkt des Festes. Man war von ihrem Anblick hingerissen…, und dem König bereitete dies eine stille Freude. Sein Herz schlug vor Glück, eine so anmutige und von wahrer königlicher Hoheit erfüllte Frau zu haben. …
Schnell gingen die festlichen Tage vorüber.
Heiß brannte die Sonne vom Himmel, als die Königin die Reisekutsche bestieg, um nach Warschau zu fahren. … Neben der ermüdeten Luise saß die Gräfin Voss. …
Als Friedrich Wilhelm III. in Warschau einzog, hatten die Zünfte und Bürger freiwillig Spalier gebildet. Wieder empfing man das Königspaar mit jubelnden Zurufen und flatternden Fahnen, obwohl die Bevölkerung erst seit ein paar Jahren unter preußischem Regime stand. Fünf Tage Warschau waren ausgefüllte Tage …
Die Fahrt ging dann weiter durch die reiche und stark bevölkerte, von Friedrich dem Großen gewonnene Provinz Schlesien. Die arbeitsamen Schlesier empfingen ihre hohen Gäste mit so echte Herzlichkeit, dass Luise bewegt ausrief: Ich werde die guten Schlesier nie vergessen!
Ende Juni kehrte sie über Frankfurt/Oder nach Charlottenburg zurück… Von dort aus wollten sie am 6. Juli in Berlin einziehen, um die Huldigung der Hauptstadt als Krönung ihrer großen Reise entgegenzunehmen. …
Am Tage der Huldigung begab sich die königliche Familie in den Dom. Der König hatte den Text für Hofprediger Sack selbst ausgesucht: Durch Gerechtigkeit wird der Thron gefestigt (Sprüche Salomon, 16,12). … …
Zum dritten Male war Luise Mutter geworden. Am 13. Juli hatte sie im Charlottenburger Schloss einem Mädchen das Leben geschenkt, das auf den Namen Friederike Luise Charlotte getauft wurde. Der König liebte seine Kinder sehr…
Mitte September zog die Familie wieder einmal nach Peretz, in diese dörfliche Stille ihres Gutes. …
Oft wanderten Luise und Friedrich Wilhelm Hand in Hand über die Wiesen des reizvollen Havellandes…
Oft nahmen sie an den Volksfesten im Dorf teil, tanzten mitten unter den Bürgern, Bauern, Knechten und Mägden. Die Herren und Hofdamen des Gefolges machten mit.
General von Köckeritz hielt in einem Brief fest:
Ich habe mit unserer gnädigen Herrschaft auf dem Landgut Paretz frohe Tage verlebt. … Die guten Menschen genossen mit reinen heiteren Herzen so ganz das Einfache der Natur; entfernt von allem Zwange nahmen sie herzlichen Anteil an den schlichten Äußerungen der Freude des Landvolkes, besonders bei dem fröhlichen Erntefeste. Sobald die königliche Familie sich von der Tafel erhoben hatte, trat sie hinaus zu den Schnittern, die ans Gut gekommen waren und im Halbkreis den Erntekranz umstanden. Der König und die Königin traten mit den Kindern unter die Landleute und unterhielten sich mit ihren.
Als die Dorfmusik zum Tanz aufspielte mischte sich die königliche Familie unter die lustigen Tänzer… Hier war im eigentlichen, aber besten Verstande, Freiheit und Gleichheit. Ich selbst vergaß, dass ich 55 Jahre alt war und tanzte gleichfalls mit, ebenso die Frau Hofmeisterin Voss… Oh, wie waren wir so glücklich.
An diesen dörflichen Festen erschien die Königin immer mit Hofstaat, eine Achtung der bäuerlichen Bevölkerung, die alle hoch erfreute.
IX.
Am politischen Horizont der Welt zogen sich drohend die ersten Wetterwolken zusammen. Wenn auch durch den Basler Frieden Preußen unbehelligt blieb, …, so konnte Friedrich Wilhelm III. doch nicht die Augen verschließen vor dem, was um ihn herum geschah.
General Bonaparte war mit seinen Truppen in Ägypten gelandet, und marschierte weiter nach Palästina und Syrien. Viele Tote säumten den Weg…Aber wer fragte schon nach ihnen. … Und Bonaparte marschierte rücksichtslos seinen Weg … Auch seine Niederlage bei St. Jean d‘Acre, wo ihm die Engländer blutigen Halt geboten, änderte nur wenig daran. …
Dieser Napoleon ist gefährlich!, erklärte Preußens Königin Luise im vertrauten Kreise. Ich fühle es, dass von ihm Unheil droht.
Es war vor allem ihr mütterlicher Instinkt, der sie vor dem Tyrannen warnte… In einen Brief an ihren Vater sagt sie ganz offen, dass sie es für ihre Pflicht halte, sich um politische Dinge zu kümmern, weil in die wechselnde Geschicke des Staates die Zukunft … auch ihrer Kinder verflochten war. … Oft, wenn sie mit dem König Arm in Arm durch die Alleen Charlottenburgs ging…, versuchte sie sich in den politischen Dingen ein klares Bild zu schaffen. Doch nur ungern ließ Friedrich Wilhelm sich ihr gegenüber zu den Geschehnissen aus. Politik ist Männersache, sagt er ihr. Lass Napoleon träumen. Jugendliche Feldherren leiden meist an Selbstüberschätzung…
Du lenkst ab, entgegnete Luise, du weißt ganz genau, dass diesem Mann die Zukunft Frankreichs gehören wird. Und ich meine, das wird auch uns als Preußen und Deutsche angehen.
Darauf schwieg der König, denn er wusste sie im Recht. …
Luise aber betrachtete das Bild des Eroberers mit schmerzender Abneigung. …
Lange war das Kriegsglück den Franzosen treu, doch 1798 schien es sie verlassen zu haben. … 1799 glaubte England, Österreich und Russland eine Chance zu haben, das verhasste revolutionäre Frankreich niederwerfen zu können. Und dafür drängten sie den preußischen König, sich ihrer Koalition anzuschließen und mit einem Heere von 60.000 Mann, vereint mit Hessen, Sachsen und Hannover, die Franzosen am Rhein und in Holland anzugreifen, um sie zu zwingen, das linke Rheinufer und Holland freizugeben…
Der englische Unterhändler, Sir Thomas Granville, und auch ein Gesandter des Zaren, ersuchten Friedrich Wilhelm III. um den Koaltionsbeitritt im Kampfe gegen Frankreich…
Den Unterhändlern sagte er weder ja noch nein.
Am 25. Mai trat die königliche Familie eine Reise über Magdeburg und Hannover zur Porta Westfalica an. In Hannover traf sie auf die Schwester Friedrich des Großen. In der ehrwürdigen Gestalt der Greisin begegneten sich das scheidende Jahrhundert mit dem neuen. …
Aufmerksamen Beobachtern entging es nicht, dass im Gefolge des Königs mit dem Herzog von Braunschweig ein erfahrener Diplomat zu sehen war. … Und so stand das Thema Krieg unausweichlich zur ständigen Debatte. Man erwog, ob es sich vermeiden ließe, sich aus den geplanten kriegerischen Maßnahmen gegen die französische Republik herauszuhalten.
England, Österreich und Russland warteten auf die Zustimmung Preußens. …
Sie wollen den Krieg, stöhnte Friedrich Wilhelm, als er abends mit seiner Luise alleine war. Er war verzweifelt, denn er hasste den Krieg und wünschte für sein Volk nur Ruhe und Frieden.
England, Österreich und Russland drängen mich, sie drohen mir, Preußen wird alleine sein, wenn es sich für die Neutralität entscheidet.
Luise schwieg. Noch fühlte sie sich nicht stark genug, um dem geliebten Manne raten zu können. Noch dachte sie an Peretz und das friedvolle Havelland…
Aber es gab auch ein anderes Erlebnis. In Porta Westfalica besuchte sie ein Manöver. Dort hatte sie das beruhigende Gefühl der Sicherheit gehabt, und mit Stolz empfunden, wie geschützt ein Volk sich vorkommen musste, dessen Soldaten so vortrefflich ausgerüstet und ausgebildet waren. …
Kurz darauf wurde sie Zeugin, als der Oberpräsident der westfälischen Kammern, Freiherr vom Stein, dem König einen sehr jungen Mann als Landrat vorstellte.
Erstaunt hatte der König gerufen: Macht man denn hierzulande Kinder zu Landräten?
Worauf vom Stein antwortete: Ja, Majestät, wenn sie an Weisheit Greise sind!
Dieser junge Landrat hatte das Interesse der Königin erweckt. Sie hatte die Gelegenheit benutzt, sich später mit ihm, er war ein Freiherr von Vincke, zu unterhalten…
Ihnen wurde ein herrliches Stück Land zur Verwaltung anvertraut, hatte sie gesagt. Es scheint mir nicht nur reich an fettem Boden, sondern vor allen Dingen auch an Biederkeit und Ehrenhaftigkeit seiner Bewohner. Ich bedaure, dass ich das ungünstige Wetter mir den Anblick der Porta Westfalica versagt, … wo die Weser durch das Gebirge bricht. Man sagte mir, es sei der herrlichste Blick Westfalens.
Da hatte sich Freiherr von Vincke ehrerbietig verneigt und erklärt: Wenn ich Euer Majestät damit dienen dürfte, Ihnen ein solches Bild übersenden zu lassen.
Ich würde es mit Freude empfangen, hatte sie darauf geantwortet.
In diesem Augenblick sprengte ein Regiment Garde Dragoner an ihnen vorbei. Mit begeisterten Augen war die Königin den kräftigen Gestalten gefolgt:
Sehen sie nur, das sind die Soldaten des Großen Friedrich. Mit solchen Männern hat er seine unsterblichen Siegestaten vollbracht.
Doch der Landrat hatte geschwiegen. War er mit seinen Gedanken bei den letzten Erfahrungen in Frankreich gewesen?
Ich weiß, sagte sie, die trübe Erinnerung an die letzte Kampagne in Frankreich bedrückt Sie. Aber gegen Naturgewalten kann auch die heldenmütigste Tapferkeit nicht an.
Zögernd sagte von Vincke:
Möge uns Gott vor einem neuen Waffengang mit Frankreich behüten.
Entsetzt hatte Luise ihn angeschaut: Wollen sie damit sagen, dass Sie der Armee Friedrich des Großen nicht mehr trauen?
Wieder war der Landrat ausgewichen… Doch Luise ließ nicht locker. … Wahrheit ist Klarheit, sagte sie ihm. … Reden Sie, Freiherr von Vincke!
Er sagte, dass zwar die Armee des Großen Friedrich paradiere, … aber leider fehlt der Geist des Alten Fritz, jenes Geniale, das die Siege von Roßbach, Leuthen und Zorndorf erzwang. …
Schuld an kommenden Niederlagen wird der Geist sein, der die tüchtigen Kräfte lähmt. Das herrschende Junkertum wird durch seine Unfähigkeit die Lorbeeren des großen Preußenkönigs vertun…, sagte der Freiherr . ….
Ich glaube an keinen Krieg, sagte Luise. Ich bin der Meinung, dass man in Frankreich genug mit sich selbst zu tun hat. …Vielleicht hat der junge Korse die geschichtliche Aufgabe, die bösen Geister in Frankreich zu bannen.
Das glaube ich nicht, hatte der Freiherr widersprochen. Ich befürchte, dieser junge Mann ist gefährlicher als die ganze Revolution. Er ist ein Abenteurer mit genialem Kopf und sein Herz gleicht einem Vulkan. Ich fürchte, seine Flammen werden auch bald bis zu herüberleuchten. Nicht umsonst hat der alte Seneca von ihnen gesagt: (Prima est ulcisci; altera vivere raptu; Tertia: mentiri; quarta: negare deos)
Die Königin sagte: Ich kann nicht Latein… Er übersetzte ihr:
Bei den Korsen ist das
erste Lebensgesetz: die Rache.
das zweite: der Raub,
das dritte, die Lüge,
das vierte: die Gottesleugnung.
Ja, das ist Napoleon wie er leibt und lebt. Wir werden es leider erfahren müssen, denn dieser Mann kennt keinen Halt. Meinen Euer Majestät, dass ein vom Korporal zum General Emporgestiegener den Begriff des sich Bescheidens kennt? Nein, die abgöttische Schwärmerei der Franzosen wird ihn weiter vorwärtstreiben, seine Waffenerfolge werden ihm die Sinne vernebeln…, und Deutschland? Wo ist dieses Deutschland? Die Fürsten sind den tollkühnen Plänen nur Wegbereiter. Wie gut hat Bonaparte es verstanden, Österreich und Preußen zu entzweien. Er hat damit einen zweiten österreichisch – preußischen Einmarsch in Frankreich unmöglich gemacht. … wie ungeniert hat er im Frieden von Campo Formio die linksrheinischen deutschen Länder mit Beschlag belegt, mit welcher Frechheit ist er über den Rhein gegangen und hat die Feste Ehrenbreitstein, diesen unbezwingbaren Felsen, einfach ausgehungert und dann geschleift? Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation? , sieht zu, wie Bonaparte Stück für Stück vom großen deutschen Kuchen abschneidet.
Zur Zeit ist der Korse in Ägypten, hatte die Königin darauf nur sagen können.
Er kommt zurück, war des Freiherrn Antwort gewesen, zurück mit neuen Ruhmeslorbeeren, dann wird er über Europa die Hölle bringen.
Hatte Freiherr von Vincke recht? Auf jeden Fall stimmten seine Worte die Königin sehr nachdenklich. Sie sah daraus, wie wichtig es auch für sie war, sich um politische Dinge zu kümmern. Ihr Herz füllte sich mit tiefer Sorge. Und sie war glücklich, dass der König sich gegen Krieg und für den Frieden ausgesprochen hatte. Sie glaubte, so einer Niederlage der preußischen Armee ausgewichen zu sein. Aber sie ahnte nicht, dass diese betonte Neutralität Preußens Schicksal in eine dunkle und schmerzensreiche Zukunft trieben.
X.
Anfang Juli war das Königspaar wieder in Berlin…
Oft ging der König traurig und tief in Gedanken versunken durch den Schlosspark. So fand ihn Luise, die ihm leise gefolgt war uns sagte: Du darfst nicht immer so traurig sein, Fritz!
Ist nicht leicht, Erbe eines großen Königs zu sein, … will doch das Erbe wahren und nicht durch Krieg aufs Spiel setzen.
Mein verehrter Großonkel war stärker und klüger als ich, sagte Friedrich Wilhelm, und Luise antwortete ihm:
Hast du mir nicht erzählt, dass der Große König dir viel Vertrauen schenkte?
Ja, er gab sich viel Mühe mit mir, sagte Friedrich Wilhelm, und mit ihm musste ich in französischer Sprache reden, und unvergessen sind seine Lebensweisheiten. Einmal sagte er mir:
Lieber Fritz, nur immer aufrichtig und ehrlich. Und wolle nie scheinen, was du nicht bist. Sei stets mehr, als du scheinst. …
Luise hörte aufmerksam zu. Es war selten, dass ihr Fritz vom Großonkel erzählte…
Einmal sagte mir der Großonkel: Fritz, es wartet Großes auf dich. Ich bin am Ende meiner Karriere, mein Tagwerk ist bald getan. Ich fürchte, nach meinem Tode wird es ein großes Durcheinander geben. Überall liegen die Gärungsstoffe, und leider nähren sie die regierenden Herren, vorzüglich in Frankreich. Die Masse fängt schon an, von unten auf zu drängen, und wenn die zum Ausbruch kommt, ist der Teufel los. Ich fürchte, du wirst mal einen schweren, bösen Stand haben. Rüste dich; sei wachsam; wache über unsere Ehre. Begehe keine Ungerechtigkeit, dulde aber auch keine!
Unter solchen Äußerungen waren wir in Sanssouci bis zum Ausgang gekommen, wo der Obelisk steht: Sieh ihn an, sprach er zu mir, schlank, aufstrebend, hoch und doch fest im Sturm und Ungewitter. Die Pyramide spricht zu mir: Ma force est ma droiture (Meine Rechtlichkeit ist meine Stärke). … Aber sie trägt nicht, sondern wird getragen von allem, was unter ihr liegt, vom tief unterbauten Fundament. Das tragende Fundament ist das Volk in seiner Einheit. Halte es stets mit ihm, dass es dich liebe und dir vertraue…
Fritz, lieber Fritz, sagte sie. Ist es nicht ein herrliches Gefühl für dich, durch die Worte des Großen Königs daran erinnert zu werden, dass deine Stärke im Vertrauen und in der Liebe des Volkes liegen. … …
Napoleons entscheidender Sieg über die Österreicher bei Marengo hatte 1801 zum Frieden von Lunéville geführt. England, Holland und Spanien führten den Krieg weiter. Preußen hielt sich strikt an seine Neutralität.
Mit dem Beginn des Jahres 1801 wurde das erste Jahrhundert des Königreiches Preußen gefeiert. … Viele fürstliche Besucher kamen nach Berlin… Alles schien voller Hoffnung und guten Glaubens…
Da schreckte Ende März eine entsetzliche Nachricht aus Petersburg die Welt auf. Kaiser Paul war im Michaelspalast von Verschwörern ermordet worden. Russische Adlige hatten diesen Anschlag vorbereitet…
Was wird nun aus Russland?, fragte Luise ihren Gatten. …
Warum nur musst du dich um all diese Fragen kümmern, sagte Friedrich Wilhelm zu Luise.
Weil ich wissen muss, was in der Welt geschieht, antwortete Luise.
Das Entsetzen packt mich, wenn ich nur an die Ermordung des Zaren Paul denke. … was wird geschehen, wird sein Nachfolger den Krieg liebt?
Friedrich Wilhelm zuckte zusammen. … Der neue Zar, Alexander I., wird klug genug sein, seine Regentschaft nicht mit Krieg zu belasten. …
Aufmerksam hörte Luise zu und dachte daran, welche große Hoffnungen ihre Freundin, die Fürstin Helene, auf ihren Bruder Alexander setzte. …
In knappen Sätzen antworte der König Luise:
Spannung England- Frankreich scheint nachzulassen. Friedensschluss Österreich – Frankreich war gutes Vorzeichen. Napoleon war zu Preußen immer großzügig, hat durchblicken lassen, dass er Bündnis wünscht, hat mir sogar das Kurfürstentum Hannover angeboten, habe natürlich abgelehnt. Moralisch nicht möglich.
Über Luises Gesicht glitt ein Schatten. Sie empfand jede Handlung Napoleons instinktiv als Drohung. …
Wenn ich etwas sagen darf, sagte sie, die Vorstellung, mit Napoleon befreundet zu sein, erfüllt mich mit geheimem Grauen. … Ich fürchte, er hat jedes Maß verloren und wird nach den Sternen greifen.
Betroffen sah Friedrich Wilhelm sie an.
Napoleon ist nun mal da. Kann ihn nicht übersehen, muss zufrieden sein, dass er Preußens Freundschaft will. … Ich will Frieden, bleibe neutral, Gott wird Preußen helfen.
Im Jahre 1801 wurde Luise zum dritten Male Mutter eines Sohnes. Friedrich Karl Alexander, später wurde er Prinz Karl genannt…
Mit ihrer gelehrten Freundin, Frau Marie von Kleist, sprach Luise häufig über die schwierige Situation ihrer Lage…
Wir fahren in zwei Wochen über Königsberg nach Memel, um dort Zar Alexander zu treffen, sagte Luise zu Frau von Kleist. …
War er für Europa das Licht, das aus dem Osten kam? Auf jeden Fall war eine gute Nachbarschaft zu Preußen sehr wertvoll, zumal im Zaren Alexander der Widerpart Napoleons entstehen könnte. …
Memel, die nördlichste Stadt Preußens, vor den Toren des russischen Reiches, war durch seinen Seehafen und seinen Handel mit Russland bedeutend. …
Friedrich Wilhelm ritt dem Zaren entgegen, und als sie sich trafen, verließ der junge Zar sofort den bequemen Wagen, bestieg ein Pferd, um so an der Seite des Königs in Memel einzureiten …
Der Zar war, wie die Oberhofmeisterin damals vom ersten Eindruck schrieb, ein schöner Mann, blond, mit einer frappierenden Physiognomie. Sie beobachtete, dass in den Augen des jungen Zaren ein großes Staunen stand, als er die Königin zum ersten Mal sah. …
Großfürstin Helene hatte recht, als sie voraussagte, daß der russische Zar und der preußische König gute Freunde werden würden. …
Der nüchterne, in seinen Ausdrücken sehr sparsame Friedrich Wilhelm, sagte abends zu Luise: Die Russen haben nie einen Zaren wie diesen gehabt.
Dies zeigt, wie beeindruckt der König war.
Auch Luise fand den Zaren geistreich, elegant, schön und einfach bewundernswert. So hielt sie es in ihrem Tagebuch fest. …
Gräfin Voss schrieb in ihr Tagebuch: Der Arme ist ganz begeistert und bezaubert von der Königin.
Das königliche Paar verlebte mit dem Zaren unvergessliche Stunden auf Spazierritten, Paraden, Bällen und anderen Zerstreuungen.
Acht Tage verbrachten Zar und König zusammen in Memel.
Den festlichen Tagen folgten der rauhe Alltag. Arbeit und Pflicht riefen. …
Reicher Kindersegen umgab das königliche Paar. Von sieben Kindern, welche Luise bis jetzt geboren hatte, waren fünf am Leben geblieben. Zu Beginn des Jahres 1803 war noch ein Prinzesschen hinzugekommen, das auf den Namen Alexandrine getauf wurde.
XI.
Im Jahre 1804 heiratete der Bruder des Königs, Prinz Wilhelm. Seine erwählte Braut war die Prizessin Marianne von Hessen-Homburg. Von Natur aus zurückhaltend und ernst, voller Herzensgüte und Tapferkeit, wurde sie der Königin eine echte Freundin.
Einen solchen Menschen brauchte Luise, denn es kamen Zeiten, in denen sie viel Schweres zu ertragen hatte. …
Eines Morgens ließ sich der neuernannte Minister von Hardenberg erregt beim König melden.
Was ist los, rief er dem Eintretenden zu und fühlte, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste.
Der Herzog von Enghien wurde am 15. März in Ettenheim in Baden durch französische Dragoner geraubt und später erschossen.
Baden? Das ist doch neutrales Gebiet, wiederholte der König.
Hardenberg sagte, dass Bonaparte den Herzog für einen Verschwörer hielt.
Ich ahnte es immer, Napoleon ist ein Untier, sagt Luise, als sie von Friedrich Wilhelm davon erfuhr.
Ettenheim steht unter preußischem Schutz, erklärte der König. Es wird ihn nicht stören, resignierte die Königin.
Der deutsche Reichstag in Regensburg blieb ebenso tatenlos. Vergeblich richtete der russische Zar an den Reichstag den Mahnruf, sich des gebrochenen Völkerrechts anzunehmen. In Regensburg schwieg man. Der junge Zar begriff das nicht. …
Überall in deutschen Landen ballten die Patrioten die Fäuste, aber in der Tasche, denn es war niemand da, der den Mut besaß, für die deutschen Rechte einzutreten.
Das Gesetz des Handelns lag bei Napoleon, der Europa kurze Zeit später vor die Tatsache stellte: Die Republik ist tot. Er selbst, Napoleon, aber setzte sich als Kaiser auf den Thron von Frankreich und behauptete, das Erbe Karls des Großen angetreten zu haben.
Allen einsichtigen Menschen war nun klar: Napoleon – das ist der Krieg!
Am 2. Dezember 1804 stand Napoleon vor dem Altar von Note Dame in Paris. Wie einst Karl der Große trug er Krone, Mantel und Zepter. … Die Kaiserkrone nahm Napoleon selbst vom Altar und setzte sie auf, weil er durch keine andere Macht als die eigene gekrönt werden wollte.
Die Welt nun in ständiger Unruhe. Der Zar hatte sich geweigert, Napoleons neuen Titel anzuerkennen. Napoleon ahnte, dass es zu einem Bruch mit Russland kommen würde. Er strebte darum mit Eifer eine Waffenbrüderschaft mit Preußen an, war aber auch mit Preußens Neutralität zufrieden. Mit viel Geschick verstand es Napoleon, den König und die Minister Preußens in seine Netze zu verstricken und die Zusage zu erhalten, dass keine russischen Truppen durch preußisches Gebiet marschieren dürfen. …
Aber der friedliebende Preußenkönig konnte sich des Gefühls nicht erwehren, auf einem Pulverfass zu sitzen. … Man hielt seine Friedensliebe für Feigheit, seine Zurückhaltung für Dummheit.
Auch Napoleon dachte kaum anders.
Was ist mit dir, Fritz?, erkundigte sich Luise. Der König blickte düster auf.
Der Himmel ist voller dunkler Wolken. Bin ratlos. Auch im Kabinett keine Hilfe. Haugwitz will Anschluss an Frankreich. Meint, Frankreich-Feindschaft sei gefährlich. Marschall Möllendorf zitiert großen König: Preußen muss in gutem Einvernehmen mit Russland, kalt gegen Österreich, und warm befreundet sein mit Frankreich.
Auch die Generäle Kalckreuth und Zastrow sind für Haugwitz. Nur der Baron von Hardenberg redet mit aller Energie dagegen. Er ist für ein Bündnis mit England und Russland, steht also auf der Gegenseite.
Und du? Was wirst du tun? – Bin nach wie vor für Neutralität, antwortete der König Luise.
Höre auf Hardenberg, sagte da fest und entschlossen die Königin.
Nun bist auch du gegen mich?
Da reichte ihm Luise beide Hände. Wie kannst du so etwas sagen, Fritz?
Elf Jahre sind wir verheiratet, elf Jahre stehe ich dir treu zur Seite, und du glaubst, ich sei gegen dich? … Manchmal ist es gut, sich auf das Gefühl der Vorahnung zu verlassen. Du weißt, ich habe ein Grauen vor Napoleon, ich ahne seit langem, dass er eine Art Antichrist ist, und darum bin ich gegen ihn. Was erwartest du von diesem Franzosen?
An einem der nächsten Tage saß die Königin mit dem Baron von Hardenberg zusammen. Sie sprachen über die politischen Fragen des Tages und sie fand in ihm einen aufrichtigen Berater.
Mir schien die Friedenspolitik des Königs natürlich, erklärte Luise, das Fernbleiben unseres Staates aus dem Koalitionskrieg dünkte mich eine kluge Haltung. … und wie der König, so war auch ich als Frau und Mutter für alle Mütter unseres Landes erfüllt von dem Gedanken, unserem Land den Frieden zu erhalten. Dieses konnte jedoch, so dachte ich, nur durch unser gutes Verhältnis mit Frankreich garantiert werden. …
Sinnend blickte Luise aus dem Fenster, sie sprach, als wäre sie allein im Raum.
Als Napoleon zum ersten Male die preußische Neutralität missachtete, als er durch sein Handeln den anständig denkenden König zutiefst verletzte…, entschloss ich mich, als Königin des beleidigten Landes, stärker dem politischen Geschehen meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich erkannte, dass es jetzt Zeit geworden war, mit allen Kräften für eine Kampfstellung Preußens gegen Napoleon einzutreten.
Alle Patrioten werden Eurer Majestät dabei helfen, gelobte Minister Hardenberg. Wir haben seit langem darauf gewartet, dass Luise von Preußen Königin im wahrsten Sinne des Wortes wird.
Eine schwere Aufgabe, sagte Luise leise, ich habe etwas Angst davor. Gott möge mir Kraft geben. …
König bin ich, sagte Friedrich Wilhelm, wenn er mit Luise spazierenging…
Mit dem Säbel rasseln kann jeder. Krieg ist aber mehr als Waffengeklirr. Ich will das Werk Friedrichs des Großen durch friedlichen Aufbau erhalten.
Aber um uns herum ist überall Krieg, mahnte Luise, glaubst du, dich immer heraushalten zu können?
Gott gebe es! nickte der König. Preußens Schicksal liegt in seiner Hand.
Dann müsste Gott mit Napoleon sein, entgegnete die Königin leise, denn mit seinen Adlern zieht der Sieg. Jedes Unrecht, das er tut, bringt ihm Erfolg. Sein Plan, einen Rheinbund als Grenzbollwerk für Frankreich zu schaffen, scheint ebenfalls der Verwirklichung näherzukommen. Mit den kleinen deutschen Staaten auf dem rechten Rheinufer hat er jedenfalls ein Fundament dafür geschaffen.
Weiß ich, murmelte Friedrich Wilhelm. Napoleon ist stark. Man hat mir berichtet, dass er sich auf seine Soldaten verlassen kann. Sie haben gejubelt, als er im Lager von Boulogne erklärt hat, England erobern zu wollen. Die Briten zittern vor ihm. …
Der Despot in Paris hat ganz Europa gegen sich im Bunde, auch Zar Alexander entschied sich gegen ihn, meinte Luise nachdenklich. …
Unwillig wandte der König sich seiner Frau zu: was der Zar tut, dient Russland. Für Preußen bin ich verantwortlich. Ich will keinen Krieg.
Dafür weiß ich dir Dank, erwiderte Luise leise, auch die Menschen unseres Landes werden deine Entscheidung loben. Aber sei mir nicht böse, wenn ich mich frage, ob es in einer Welt des Kampfes ehrliche Neutralität geben kann? Sagen die letzten Depeschen nicht, dass Napoleon mit seinen Truppen in Eilmärschen über den Rhein nach Württemberg vorstoße?
Im gleichen Augenblick tauchte ein Wachtmeister auf, der dem König eine versiegelte Depesche übergab. Die Depesche teilte mit, dass Napoleon auf seinem Zug gegen Österreich gegen alles Völkerrecht mit Gewalt in preußisches Gebiet eingedrungen war.
Die Geduld hat jetzt ein Ende, stellte der König fest, werde jetzt den Russen Durchzug durch Schlesien erlauben, können sich damit mit Österreich vereinigen.
Du hattest recht, sagte er zur Königin, mit diesem Menschen gibt es kein Verstehen Ich will mit ihm nichts mehr zu tun haben!
Kurze Zeit drauf rief er seinen Minister Hardenberg zu sich und befahl ihm, sofort nach Berlin zu reiten und dort mit dem Herzog von Braunschweig, dem Feldmarschall Möllendorf und dem Staatsminister Schulenburg die nötigen Schritte zu beraten. Die Entscheidung war gefallen. Preußen musste jetzt Stellung beziehen, wenn es nicht von allen Völkern verachtet werden wollte.
Gott sei mit Ihnen! sagte die Königin, als Hardenberg sich verabschiedete. Möge er Ihnen helfen, den richtigen Weg zu finden.
Ein Schrei der Entrüstung über den neuen Gewaltakt der Franzosen ging durch Preußen. …
Am Morgen des 15. Oktober wurde der Kronprinz zu seinem Vater gerufen. Hier erhielt der Elfjährige zu seinem Geburtstag die Uniform der Leibgarde, dazu den Schwarzen Adlerorden am Orangeband verliehen. In seiner Fähnrichsuniform wurde der Elfjährige jüngster Offizier der Armee.
Ernst und mit Tränen betrachtete Luise ihren ältesten Sohn, den Erben der Krone.
Wenn du eines Tages von dieser Uniform Gebrauch machst, zeige dich der Uniform des großen Königs würdig!
Wieder schien es, als wäre Luise von Vorahnungen erfüllt, als spürte sie, dass Schweres für Preußen zu erwarten war.
Am Hofe fühlte man, daß die Königin in einer inneren Wandlung begriffen war. Aus der jungen, fröhlichen Gattin des Königs wurde die besorgte Landesmutter.
In diesen Tagen kündigte Zar Alexander seinen Besuch in Berlin an. … Alexanders Erscheinen geschah im Zeichen der großen und bedrohlichen Erfolge Napoleons. Dieser hatte inzwischen Ulm eingenommen und war auf dem Wege nach Wien…
In dieser gefahrdrohenden politischen Lage kam der Zar nach Berlin … Wenn auch der Zar unter dem Namen Comte du Nord reiste, um jedes Gepränge zu vermeiden, so zog ihm doch die Berliner Bevölkerung in hellen Scharen entgegen und bejubelte ihn. Er besaß das Vertrauen der Menschen, die hofften, dass er dem König Freund und Ratgeber in dieser unruhigen Zeit sein würde.
Der König und Luise waren froh, in Alexander nunmehr einen Verbündeten Preußens begrüßen zu können. … Drei Tage hatte er eingeplant, nun gab er noch sechs weitere hinzu. Nicht zuletzt, weil er sich aufs neue für Luise begeisterte, auch, wegen der politischen Verhandlungen mit dem König, Minister Hardenberg, Haugwitz und dem aus Wien herbeigeeilten Grafen Metternich. …
In Potsdam kam es am 3. November zum Abschluss jenes Vertrages, der Preußen zur Übernahme der bewaffneten Vermittlung zwischen Österreich, Russland und Frankreich verpflichtete. … Sollte Napoleon die Forderungen ablehnen, so wollte Preußen auf Seiten der Ostmächte am Kriege teilnehmen. …
Friedrich Wilhelm war damit für die antifranzösische Koalition gewonnen worden. Überall wurden er und der Zar als künftige Befreier Europas mit Jubel begrüßt.
Nach einem bewegenden Besuch in der Garnisionskirche, am Grabe Friedrichs des Großen, ging die Reise des Zaren über Weimar und Dresden nach Olmütz, zu Kaiser Franz II. Er ahnte noch nicht, dass es nach Austerlitz ging.
Zwei Tage später. Zu später Stunde kommt zu Minister Haugwitz der Kabinettsrat Lombard, ein französischstämmiger, der durch sein freundliches und aalglattes Wesen die Gunst des Königs erwarb. Man munkelte, dass Lombard einst von Napoleon bestochen wurde, … um den preußischen König immer wieder zur Nachgiebigkeit und Neutralität zu raten, weil dies Frankreich diente. …
Und ohne Zweifel erfuhr auf diesem Wege Napoleon auch von der ablehnenden Haltung der Königin…
Dieser Lombard stand nun vor Minister Haugwitz. Ich muss morgen in der Frühe verreisen, denn die feindlichen Heere rücken bereits aufeinander los, sagte Haugwitz.
Gerade deswegen komme ich noch zu nächtlicher Stunde, sagte Lombard. Sie dürfen keinesfalls reisen. Denn ich halte jede bewaffnete preußische Vermittlung für einen Fehler. Wir reizen dadurch nur Napoleon, mit dem wir auf gutem Fuße stehen sollten.
Der Premierminister würde nachdenklich. Und Lombard sprach weiter:
Neutralität ist unsere Parole und muß es auch bleiben. Ich wünschte, der Zar wäre nie nach Berlin gekommen. Dieses Bündnis ist für Preußen eine Gefahr. Wer es zerbricht, hat den Dank des Vaterlandes verdient.
Vielleicht haben Sie recht, zögerte Haugwitz. Er war, wie schon so oft, unsicher geworden.
Ja, ich habe recht. Wir müssen alles tun, um die angelaufenen Dinge rückgängig zu machen. …
Der Premierminister Haugwitz sagte: Sie gaben mir schon oft einen guten Rat, Lombard, und der einzigste Weg, das Schlimmste zu verhindern, scheint mir die Reise zu verzögern, einfach, zu spät zu kommen. Überlassen wir es Österreich und Russland, sich mit Napoleon herumzuschlagen…
Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, Graf, schmeichelte Lombard und verabschiedete sich.
Ist es wahr, dass Napoleon bei Austerlitz gesiegt hat? Aufgeregt fragte Luise ihren Mann.
Das Schlimmste war eingetreten, Napoleon hatte wieder gesiegt, hatte gleich zwei Kaiser geschlagen. Die Russen zogen sich in ihr Land zurück, und Napoleon diktierte den Frieden…
Lombard und Haugwitz hatten ihr verräterisches Spiel gewonnen.
Die Enttäuschung war grausam. Alle Hoffnungen auf Deutschlands Befreiung waren vernichtet.
Die erste Folge war der Schönbrunner Vertrag vom 15. Dezember 1805, durch den Preußen sich ein Verteidigungsbündnis mit Frankreich aufzwingen ließ, außerdem Ansbach, Kleve und Neuenburg abtrat…
Nein, ich verstehe dich nicht, gestand Luise dem König, Ansbach-Bayreuth ist Stammland der Hohenzollern – und du gibst es auf.
Es gibt keine andere Wahl, sagte Friedrich Wilhelm mit tränenerfüllten Augen seiner Frau.
Werde Haugwitz nach Paris schicken, soll sehen, ob es nicht zu ändern geht!
Man sprach am Hofe davon, dass die Königin sich nicht beruhigen konnte, man sprach von lauten Auseinandersetzungen zwischen den Majestäten…
XII.
Das Volk sah in Luise die Vertreterin des Gedankens eines Freiheitskampfes. Sie ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie Widerstand der Unterwerfung vorzog. Das herausfordernde Wesen Napoleons und seine verächtliche Haltung gegenüber Preußen kränkte sie. Die Prinzen Wilhelm und Heinrich, des Königs Brüder, auch Prinz Louis-Ferdinand, Freiherr vom Stein und General Rücher mit dem Offizierskorps stimmten ihr voll zu. …
Seit dem tragischen Oktober hatte die Herzschwäche der Königin bedrohlich zugenommen. Einen besonders harten Stoß bekam ihr Gesundheit, als am 1. April 1806 ihr erst knapp zweijähriges Söhnchen Ferdinand starb. Die Ärzte mahnten sie dringend zur lebenserhaltenden Kur nach Bad Pyrmont… wenn Eure Majestät nicht sofort reisen, sind Ihre Tage gezählt, sagten ihr die Ärzte.
So gab sie müde und ergeben ihre Zustimmung.
Kurz vor ihrer Abfahrt schrieb sie an Friedrich Wilhelm einen Brief, da dieser sich in Potsdam aufhielt:
Bester Freund! Die Ärzte wünschen mit Dir reden zu können, wegen meiner miserablen Gesundheit, die durch Seelenkummer unaufhörlich an meiner Gesundheit nagt… Du kennst meine Gesinnung, meine Liebe für Dich, … aber es ist besser so, denn wenn ich noch schwächer werden sollte, falle ich Dir schon bald zur Last. … Bin ich gestärkt, geheilt, so bin ich bald wieder die alte, Dir eine weitere Gesellschafterin und Freundin und unseren Kindern eine nützliche Hilfe …
Deine treue Luise.
Matt und gleichgültig, von Hustenanfällen geplagt, wie eine Tote, saß sie in der Reisekutsche. …
Aber Pyrmont tat ihr gut. Sie lebte auf, fühlte sich langsam gesunden, und freute sich wieder auf die Rückkehr nach Berlin.
Eine erfreuliche Nachricht aus Berlin war, als der König schrieb, er habe mit dem Zaren ein Waffenbündnis gegen Napoleon geschlossen. …
Luise war überglücklich … Es würde der Tag kommen, an dem Napoleon klein beigeben musste, so hoffte Luise. Der Glaube an eine kommende bessere Zeit erfüllte sie mit neuer Kraft. …
Als die Königin Ende Juli nach Berlin zurückkehrte, hatte sie sich gut erholt und schien gekräftigt.
Der König war nervös, wies oft die Königin zurecht, dass sie weinend wegging. Später tat es ihm leid…
Eines Tages schrieb ihm General Blücher einen Brief. Er bat den König zur Aufgabe der Neutralität. … Jeder Tag früher, wo wir Frankreich den Krieg erklären, ist ein Gewinn. … Nur eine glückselige Schlacht, … und wir werden die ehrenvollen Zeiten Friedrichs des Großen wieder empor blühen sehen… werden den Namen Preußen wieder geehrt sehen…
Hör auf ihn, sagte Luise. Napoleon ist die Inkarnation des Bösen, ein Krieg mit ihm wird sich kaum vermeiden lassen.
Zwei Wochen später sah sich der König gezwungen, die preußische Mobilmachung zu verkünden. Er bat den Zaren um Waffenhilfe. Napoleon, so teilte er ihm mit, ginge jetzt davon aus, Preußen niederzuwerfen. … Langsam zogen die Wolken des Unheils herauf. Jetzt kam es darauf an, wirklich gewappnet zu sein…
Die Partei der Patrioten verfasste eine Denkschrift, die sklavischen, kleinmütigen Minister wie Graf Haugwitz, Lombard, Böhme und andere zu ersetzen, durch vom Stein, Scharnhorst, Prinz August und andere…
Friedrich Wilhelm wurde blass vor Wut, dass man es wagte,sich in seine politischen Entscheidungen zu mischen.
Nie hatte Luise ihn so erzürnt gesehen. Nie hatte sie erlebt, dass ihn so die Beherrschung verließ.
Luise sah ihn fassungslos an. Er musste von Sinnen sein, so sehr schrie er…
Draußen im Vorzimmer warteten die Prinzen, gleich würden sie zum König gerufen werden. Was würde geschehen…? Luise wagte nicht daran zu denken. …
Der König verlangte, dass die Königin sich entfernen solle, diese Auseinandersetzungen ginge sie nichts an…, sie war wie erstarrt und verließ den Raum…
Mit besonderer Empörung war der König dem Prinzen Louis-Ferdinand gegenübergetreten. … Er hat ihm dann befohlen, umgehend Berlin zu verlassen und zu seinem Regiment zurückzukehren. Starr und unbeweglich hatte Prinz Louis-Ferdinand jede Beleidigung eingesteckt. …
Wenige Stunden später las Luise mit wundem Herzen das Abschiedsschreiben Louis-Ferdinands, das ihr Frau von Berg überbrachte.
Der Prinz schrieb der Königin, er halte die Lage Preußens für so gefährlich, dass er das Heil nur darin gesehen habe, dem König in jener Denkschrift Vorschläge zu unterbreiten, die nun über ihn und die anderen Prinzen Ungnade gebracht hätten. … Aber ich werde für mein Vaterland kämpfen, ohne zu hoffen, es zu retten.
Noch am gleichen Tag verliess sein Wagen Berlin.
Die Bedrohung Preußens durch Napoleon wurde Tag für Tag deutlicher. …
In fieberhafter Erwartung verbrauchten König und Königin ihre Zeit im Schloss, dem Hauptquartier der preußischen Armee. …
Der Tiefe Glaube an den Sieg erfüllte alle, der Haß auf die Franzosen unter Napoleon war groß. Niemand zweifelte daran, dass die Armee des großen Königs den Feind schlagen würde. Nach dem Siege würden sich Russen und Österreicher anschließen, um der Tyrannenherrschaft des Korsen ein für allemal ein Ende zu bereiten.
Selbst der König war davon überzeugt.
Doch Napoleon dachte nicht daran nachzugeben, er lehnte das Ultimatum ab. Der Krieg war da.
Bei Saalfeld konzentrierten sich große französische Truppenverbände. Die im preußischen Lager eintreffenden Meldungen besagten, dass der Feind zahlenmäßig haushoch überlegen sei. Allein konnte Preußen diesem Gegner nicht gerecht werden, aber Braunschweig hatte Verstärkung versprochen.
Endlos verging die Wartezeit. Doch die Verstärkungen blieben aus. Preußen stand allein, man hatte es im Stich gelassen.
Immer noch war man im Hauptquartier unentschlossen. Friedrich Wilhelm war zu bescheiden, um einen eigenen Kriegsplan durchzusetzen. Er vertraute den alten Generälen. Und er vertraute den politischen Ratgebern Haugwitz, Lombard und wie sie alle hießen, die ein Leben voller Genuss führten…
Die Königin wanderte mit Frau von Voss in der Herbstsonne, sie dachte an ihr heimatliches Darmstadt, sah den Rhein vor sich und konnte es nicht fassen, dass in jeder Stunde Krieg und Vernichtung über ein friedliches Land herfallen konnten.
Man muss Napoleon schlagen, sagte Luise.
Der Himmel wird uns gnädig sein, stimmte die alte Oberhofmeisterin zu.
Luise schwieg. Sie dachte an die Worte des jungen Freiherrn von Vincke: Möge uns Gott vor einem neuen Waffengang mit Frankreich behüten.
Heimgekehrt ins Schloss traf Luise auf große Erregung. Ganz außer Atem war eine Ordonanz aus Saalfeld eingetroffen. Der leichenblasse König stand am Fenster: Was ist, Friedrich? – Preußen blieb allein, antwortete er dumpf. Franzosen waren überlegen, schlechte Straßen, nur Regen, überall Franzosen. Marschall Lannes rückte gegen uns vor, Richtung Saalfeld.
Bei diesem Ortsnamen erschrak Luise, dort standen doch die sächsischen Husaren, unter Prinz Louis-Ferdinand.
Achttausend Preußen und Sachsen, der Feind war doppelt so stark, sagte Friedrich Wilhelm. Das Hohenlohesche Korps schlug sich tapfer. Es unterlag und wurde aufgerieben.
Die Königin war der Ohnmacht nahe.
Und Prinz Louis-Ferdinand?
Prinz Louis-Ferdinand, sagte er mit gebrochener Stimme, starb bei Saalfeld den Heldentod für sein Vaterland.
Prinz Louis-Ferdinand von Preußen, wiederholte Luise, starb für sein Vaterland, doch ohne Hoffnung, es retten zu können.
Sie wusste, dass er sterbend und verblutend ihren Namen geflüstert hatte…
Zum ersten Male hat Luise in das furchtbare Gesicht des Krieges gesehen…
Napoleons Bulletin vom 12. Oktober 1806 meldete:
>Marschall Lannes zog am 8. in Coburg ein, und ging am 9. nach Gräfenthal. Am 10. griff er bei Saalfeld den Vortrab des Prinzen Hohenlohe an, welchen Prinz Louis von Preußen, einer der Hauptführer der Kriegspartei, kommandierte. Die Kanonade dauerte nur zwei Stunden, nur die Hälfte der Division des Generals Suchet kam zum Gefechte. Die preußische Kavallerie wurde vom 20. Husarenregiment geworfen. Die preußische Infanterie zog sich in Unordnung zurück, sie wurde teils in einen Sumpf geworfen, teils in den Wäldern zerstreut. Man hat 1000 Gefangene gemacht, 600 sind auf dem Schlachtfeld geblieben, 30 Kanonen wurden erbeutet.<
Als der Prinz Louis von Preußen die Unordnung seiner Leute gewahr wurde, ließ er sich in ein persönliches Gefecht mit einem Quartiermeister des 10. Husarenregiments ein. >Ergeben sie sich, Oberst< rief dieser >oder Sie sind des Todes< Die Antwort des Prinzen war ein Säbelhieb; der Quartiermeister begegnete ihm mit einem Stich, und der Prinz fiel tot zur Erde. Zwei seiner Adjutanten sind an seiner Seite getötet worden. … Man kann sagen, dass die ersten Streiche des Krieges einem seiner Urheber galt. – Aus Napoleons Bulletin vom 12.10. 1806.
Der Feldherr Carl von Clausewitz schrie wenige Wochen nach dem Tode über den Prinzen:
Es gibt wenige Menschen, deren ganzem Wesen die Natur den Heldencharakter so deutlich aufgeprägt hätte… Eine unglaubliche Kühnheit, einer Verachtung aller Gefahr, sprach sich in seiner Lebensweise aus; wenige Offiziere der preußischen Armee durften sich so einer Herrschaft über unsere Gemüter bewusst sein, wie er sie genoss.
Sein Tod war übrigens gewiß sein eigenes Werk; denn er würde sich haben retten können, weil er erst blessiert wurde, nachdem alles aufgegeben werden mußte. Er wollte nicht ohne Sieg zurückkehren.
Saalfeld war nur der Auftakt für die anbrechende schwere Zeit Preußens. Die Franzosen stießen weiter siegreich vor, besetzten den Saale-Übergang. Blankenhain und das Hauptquartier gerieten in Gefahr
Die Generäle baten die Königin, Naumburg, die Armee und den König zu verlassen. Nur ungern trennte sich Friedrich Wilhelm von Luise. Er braucht sie und ihre tröstenden Worte. Doch konnte er sich den Gründen der Generäle nicht verschließen.
Im Morgengrauen des neuen Tages fuhr der eskortierte Wagen nach Weimar. Schon unterwegs kam die Nachricht: Naumburg ist gefallen.
Napoleon konnte jeden Augenblick zum großen Schlag ausholen. Was würde der Franzose tun?
Der Kaiser der Franzosen war in bester Stimmung. Was wollte er mehr? Der Kriegsgott war ihm günstig gesonnen. Das preußische Heer war von seinen Truppen umzingelt. Es würde sein Austerlitz erleben. Als Sieger konnte man sich eine großzügige Geste erlauben. So setzte sich Napoleon hin, um dem friedliebenden Manne der „schönen, kriegslüsternen Luise“ einen Brief zu schreiben.
Was halten Sie davon, wandte sich Napoleon an Talleyrand? Satz für Satz las der Minister.
Mein Herr Bruder, ich habe den Brief Eurer Majestät vom 26. September erst am 7. Oktober erhalten. Sie hat mir auf den achten ein Stelldichein gegeben. Als galanter Ritter habe ich ihr Wort gehalten: ich stehe in der Mitte von Sachsen. Eure Majestät darf mir glauben, meine Streitkräfte sind derart, dass all Ihre Kräfte meinen Sieg nicht lange aufhalten können. Aber warum soviel Blutvergiessen? Zu welchem Zweck? Ich werde zu Eurer Majestät derselben Art sprechen wie zwei Tage vor der Schlacht bei Austerlitz zu Kaiser Alexander…
Eure Majestät kann mit mir verhandeln, denn ehe ein Monat verhehlt, wird die Situation eine andere sein.
Ich habe Eurer Majestät keinerlei wirkliche Ursache zum Krieg gegeben. … sie werden in mir einen Mann finden, der nur Kriege führen wird, die für die Politik meiner Völker unumgänglich sind…, und in diesem Briefe nur meinen Wunsch finden, das Blut der Menschen und einer Nation zu ersparen.
Nunmehr bitte ich Gott, mein Herr Bruder, er möge Sie in eine heilige Obhut nehmen.
Euer Majestät, guter Bruder, Napoleon
Mit Lächeln gab Talleyrand den Brief an Napoleon zurück. Wie human, wie edel, sagte er. Sie fordern vom Gegner nur die Streckung der Waffen. Glauben Sie wirklich, Sire, dass die Preußen sich von Ihnen Friedenbedingungen diktieren lassen, ehe ihr Heer zum Entscheidungskampf gekommen ist?
Mein königlicher Bruder wird diesen Brief erst nach seinem Austerlitz erhalten, antwortete Napoleon ihm.
Die Niederlage bei Saalfeld, die Schlacht bei Naumburg – beides glich nur dem ersten Donnerrollen, dem Nahen eines heftigen Gewitters. Mit aller Gewalt brach es herein. Auch Erfurt fiel nach zweitägiger Belagerung. Fast ohne Kampf nahmen die Franzosen Festung für Festung ein.
In ungeordneten Haufen flohen die Soldaten der einst ruhmvollen preußischen Armee. Unter ihnen der König, unter ihnen die Generäle.
Nur noch einmal hatte Luise den König kurz gesehen und gesprochen. Es war ein Abschied, der keine Tränen duldete. Friedrich Wilhelm liebte kein „Theater“. Wortlos drückte er ihr die Hand. Sie schieden auf der Straße nach Auerstädt.
Im Morgengrauen des 14. Oktober, der eine Entscheidung herbeiführen sollte, verließ Luise das alte Weimar. In schlafloser Nacht hatte sie dem König noch ein paar Zeilen hinterlassen.
Gott segne Dich auf allen Deinen Wegen, teurer, lieber Freund. Es soll Dir gut gehen, denn Du bist der bravste Mann Deiner Zeit. … Morgen fahr ich über Langensalza und Braunschweig, dann Richtung Mühlhausen, Heiligenstadt, nach Berlin. So bitte ich Dich, mir doch zu schreiben… Ich darf Dich noch einmal bitten, nimm mehr zutrauen zu Dir selbst und führe das Ganze, es geht gewiß besser. Lebe wohl! Gottes Segen mit Dir!
Auf ewig Deine Luise
Die Reisekutsche mit der Königin ratterte über Stock und Stein durch Thüringen. Schneller, schneller, trieb man den Kutscher an. Die Königin wollte auf keinen Fall den Schergen Napoleons in die Hände fallen. Bis in die Nacht war am ersten Tag der Wagen auf aufgeweichten Strassen nach Braunschweig unterwegs. Unterwegs überholte sie ein Kurier, Er rief den Fliehenden zu, dass bei Jena eine Schlacht stattgefunden und die Preußen gesiegt hätten.
Im Braunschweiger Schloss herrschte große Trauer wegen Prinz Louis-Ferdinand… Nur wenige Stunden Schlaf, dann weiter, denn Luise zog es nach Berlin, zu ihren Kindern.
XIII.
Über der preußischen Hauptstadt lagerte eine dumpfe Schwüle, und die Ungewissheit über das, was geschehen war, bedrückte alle Gemüter. Noch immer wusste niemand etwas genaues, was am 14. Oktober geschehen war… Zwar meinten einige, dass die Schlacht zugunsten Preußens ausgegangen sei, ander sagten, dass dann doch längst Kuriere mit der Siegesbotschaft in Berlin eingetroffen wären…
Am 18. 10. standen Tausende vor dem Haus des Grafen von Schulenburg und forderten Auskunft…, dann zogen sie vor das Haus von Lombard, der auch nichts genaues wusste, da kam in rascher Fahrt der Sechsspänner mit der Königin durchs Brandenburger Tor. Großer Jubel brandete auf: Vivat die Königin! Alle riefen: Es lebe die Königin!
Am offenen Schlage erschien das verehrte Antlitz der preußischen Königin. Sie versuchte zu lächeln und grüsste freundlich nach allen Seiten, aber die Näherstehenden erkannten, dass die Königin elend und bleich aussah und ihre Augen voller Tränen standen. Schweigen erfasste die Menge, etliche sanken in die Knie und weinten. Weil sie im Gesicht ihrer Monarchin die Vorahnung des kommenden preußischen Schicksals erkannten.
Wie segnend hob Luise ihre Arme über die treuen Berliner. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf, und jeder spürte, wie sehr sie sich ihrem Volk verbunden fühlte.
Bitte weinen Sie nicht, Majestät, bat die neben ihr sitzende Frau von Berg.
Es geht nicht um mich. Mein Mann, meine Kinder, mein geliebtes Volk, wenn sie doch vom Unglück, vor dieser Demütigung verschont blieben, die dieser korsische Emporkömmling über sie bringen wird.
Frau von Berg schüttelte den Kopf: Wenn auch das Volk jetzt unterdrückt werden sollte, eines Tages wird es sich erheben und alle Schmach zu rächen wissen.
Gott gebe es, antwortete die Königin leise. Mögen Sie eine gute Prophetin sein…, auf diese Zeit will ich hoffen,für sie will ich beten, an sie will ich glauben.
Plötzlich wurden die Augen der Königin wieder heller: Ich will auch nicht mehr weinen, sondern daran denken, dass ich Mutter und Gattin bin. … Mit meinen Kindern, von denen ich mich nie wieder trennen werde, will ich zum König und Gemahl eilen, der in Küstrin auf mich wartet.
Zum erstenmal geschah es, dass die Equipage der Königin an ihrem Palais hielt, ohne dass die Herren und Damen ihres Hofes zur Begrüßung angetreten waren. Jeder dachte in diesen Tagen nur an sich, an seine Sicherung, an die Flucht vor dem Feinde. Nur ein paar Hofdamen kamen, die entsetzt waren, wie schlecht und elend die Königin aussah. … vergeblich hielt Luise Ausschau nach den königlichen Prinzen.
Wo sind meine Kinder?, rief sie angstvoll. Ernst verneigte sich der Haushofmeister.
Die Prinzen sind in Sicherheit.
Graf Schulenburg erklärte, dass er hier in Berlin nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren könne.
Luise sah die Hofmeisterin fassungslos an: Keine Sicherheit mehr in Berlin? Was soll das heißen?
Graf Schulenburg antwortete: Die Schlacht ist verloren…, aber das Schlimmste: Es gibt keine preußische Armee mehr, und die Franzosen marschieren auf Berlin zu.
Nein, schrie die Königin auf. Das kann nicht wahr sein.
Für kurze Zeit wurde sie bewusstlos und man brachte ihr einen Sessel.
Das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann, sagte sie, als sie wieder zu sich kam.
Wir müssen also weiterreisen, stellt die Königin sachlich fest, sie war plötzlich wie umgewandelt. Die Vorstellung, vielleicht in die Hände des triumphierenden Korsen zu fallen, gab ihr neue Kraft
Graf Schulenburg sagte: Darf ich Euer Majestät bitten, sich auf eine längere Zeit der Abwesenheit einzurichten.
Vor dem Schloß versammelten sich unzählige Mensch. Sie wollten von der Königin Rechenschaft.
Ich kann doch nichts dafür, schrie Luise gepeinigt auf. Verzweifelt schlug sie die Hände vors Gesicht.
Ich kann jetzt nicht auf dem Balkon erscheinen, ich würde wieder zusammenbrechen,
Graf Schulenburg gelang es mühsam, die Menge zu beruhigen und nach Hause zu schicken.
Während dieser Zeit geschah im Hause des Geheimrates Lombard folgendes. Lombard verließ durch einen Hinterausgang heimlich sein Haus und die Stadt und flüchtete so vor den aufgebrachten Bürgern, die vor seinem Hause protestierten. Er schickte seine Frau auf den Balkon, die sagen musste, dass Geheimrat Lombard nicht im Hause sei…
Auch der Gouverneur, Graf Schulenburg, versuchte zu fliehen. Er wurde erkannt und man hielt seine Kutsche auf.
>Nur ein Feigling lässt die Stadt in Stunden der Gefahr allein<, schrie man erbost. >Ein Lump wie Lombard< , schrien manche. >So sind die hohen Herrn. Wenn’s schief geht, türmen sie<.
Flüche und Drohungen umschwirrten den Wagen des Grafen. Nur sein Alter und ein Rest Respekt vor der vom König eingesetzten Obrigkeit retteten den Gouverneur… so ging der Graf nach vorne auf den Kutschbock und rief mit ausgebreiteten Armen.
Meine Freunde! Berliner! Warum macht Ihr mir Vorwürfe, wenn ich einem Befehl des Königs Folge leiste? Eine höhere Pflicht ruft mich, der Dienst des Königs. Glaubt mir, es fällt mir schwer, Euch in dieser Stunde allein zu lassen. Meinen Schwiegersohn, den Fürsten von Hatzfeld, habe ich nun als Gouverneur eingesetzt. Er wird seine ganze Kraft für Eure und Berlins Sicherheit einsetzen.
Nun waren viele beruhigt, und der Wagen fuhr in schnellem Galopp davon…
Wenige Tage danach. Der Leibarzt Dr. Hufeland sagte der Königin: Sie sehen völlig überanstrengt aus, Sie bedürfen dringender Ruhe, auch müssen Sie etwas essen…
Die Königin hörte nicht auf seine Worte. Es ist alles verloren! rief sie ihm mit verweinten Augen und voller Verzweiflung zu. Ich muss fliehen,ich muss zu meinen Kindern. Sie müssen mich begleiten.
Hufeland verneigte sich in Ehrfurcht. Er war seiner Königin treu ergeben und glücklich, ihr in dieser schweren Zeit hilfreich zur Seite stehen zu dürfen.
Die Enttäuschung war bei allen sehr groß, die nie eine Niederlage der preußischen Truppen für möglich gehalten hatten. Doch Hufeland hatte seine Niedergeschlagenheit überwunden in der klaren Erkenntnis, dass man dem Schicksal nur gewappnet gegenübertreten kann und sich mit allem Gegebenen abfinden muss, wenn man nicht völlig aufgerieben werden will.
Wenige Stunden später verließ die königliche Equipage die Stadt,der die Königin so viele unvergessliche Stunden verdankte, die sie so heiß liebte und von der sie wiedergeliebt wurde, wie nie eine Königin vor oder nachher.
Noch einmal sah sie sich um… Ich werde es wohl nie wiedersehen, klagte sie leise.
Es ging über Barnim, Neustadt und Angermünde zu dem Oderstädtchen Schwedt, wo sie ihre Kinder wiedersehen wollte.
Majestät müssen sich mehr schonen! riet der Leibarzt…
Mit gefalteten Händen und mit tränenüberströmtem Antlitz überließ sich die Königin ihrem Unglück und allen trüben Gedanken.
Majestät, Sie müssen tapfer sein. Was soll der König von Ihnen denken, wenn sie so ohne Hoffnung vor ihn treten? Wird es ihmnicht die letzte Lebensfreude nehmen, wenn er sieht, dass Euer Majestät jeden Glauben an die Zukunft verloren haben?
Sie haben recht, wiederholte Luise, er darf von meinen Tränen, von meiner Verzweiflung, von allem nichts wissen. Er soll immer eine tapfere Frau haben, wenn ich ihm begegne, will ich zu lächeln versuchen und meine Tränen nach innen weinen.
Noch ehe der Leibarzt etwas antworten konnte, lächelte die Königin ihn an. Sehen Sie, Hufeland, ich kann noch lächeln, und nachher will ich auch etwas essen, damit ich nicht ganz von Kräften komme. Sie haben recht, wenn Sie mich ein wenig schelten. Es ist gut, Sie um mich zu wissen. … und wenn es nur nach mir ginge, würde ich gerne ein stilles, bescheidenes Leben nur mit meinem Mann und den Kindern führen, aber ein König hat eine Krone, und damit Pflichten für sein Land und sein Volk übernommen, die er nicht ablegen darf. …
Die griechischen Mütter gaben ihren Söhnen einen Schild mit, wenn sie in den Kampf zogen und sagten: Mit ihm oder auf ihm.
Für die preußische Krone gilt ein ähnliches Wort:
Mit ihr oder unter ihr!
Sehen Sie Hufeland, deshalb muss ich weinen, denn ich sehe nur Jahre der Tränen, des Leides, der Not und des Blutes vor mir. Preußen darf mit diesem Tyrannen keinen Frieden schließen…, denn er ist unser erbitterter Feind, er will uns vernichten… Wir sind ja nicht nur Preußen, sondern stehen für das ganz Deutschland im Kampf. Das unterdrückte Europa sieht auf uns und vertraut uns…
Napoleon will alle deutschen Staaten unterjochen und zu einer französischen Provinz machen. …
Schweigend hörte der Leibarzt zu.
XIV.
Im Schwedter Schloss war schon Abend, und unentwegt schauten die Prinzen in die Ferne, ob eine Kutsche käme. Endlich…Jubelnd sprangen die Kinder zur Mutter. Erfüllt von tiefem Glück zog Luise ihre Kinder zu sich. Ich bin so glücklich, Euch wiederzusehen, aber versteht bitte, dass ich weine. Ich beweine das schwere Geschick, das uns alle betroffen hat. Der König hat sich in seiner Armee und ihren Führern getäuscht. Wie haben mehr als eine Schlacht verloren, wir sind unterlegen und müssen flüchten. Es gibt keinen preußischen Staat, keine preußische Armee, keinen Nationalruhm mehr. Auch ihr, meine geliebten Kinder, seid bereits in einem Alter, wo euer Verstand die großen Ereignisse fassen und fühlen kann. Ruft künftig, wenn eure Mutter nicht mehr lebt, diese unglückliche Stunde in euer Gedächtnis zurück.
Verängstigt sahen die Kleinsten ihre Mutter an, sie verstanden nichts von dem, was sie sagte, und waren nur verschreckt, dass ihre sonst so liebe und gütige Mutter so furchtbar ernst und traurig war. Stumm und mit Tränen in den Augen klammerten sie sich am Saum ihres Kleides fest. Luise strich ihnen sanft über die Köpfe und wandte sich zu ihren beiden älteren, elf und neun Jahre alten Söhnen, dem Kronprinzen und dem Prinzen Wilhelm.
Preußen ist verschwunden wie jener Nebel auf den Schlachtfeldern von Jena und Auerstädt. Vielleicht lässt Preußens Schutzgeist sich einst auf euch nieder. Dann befreit euer Volk aus der Erniedrigung! …
Lasst euch, meine Prinzen, nicht von der Entartung dieses Zeitalters hinreißen! Werdet Männer, Helden, würdig des Namens von Enkeln des Großen Friedrich…
Am Tage darauf traf Ministerpräsident Graf Hardenberg ein. Von ihm erhielt Luise erneut die Bestätigung, dass der König lebe undin Sicherheit sei. Fassungslos vernahm sie die ungeheuren Verluste an Mannschaften und Offizieren. Endlos war die Liste der Toten, von denen sie sehr viele persönlich kannte und deren Träger sie im Geiste noch lebend vor sich sah.
Oh Graf, warum muss es immer die Besten treffen? Warum musste Preußen unterliegen?
Gott allein weiß es, antwortete der Ministerpräsident, ich aber würde antworten, weil wir uns auf den Lorbeeren des Großen Friedrich ausgeruht haben und vergaßen, daß eine neue Zeit auch neue Mittel, neues Denken, neue Menschen, erfordert. Die militärische Führung ist überaltert, und alte Generäle sind ebenso gefährlich für einen Staat wie alte Politiker. Sie wissen alles besser, lassen sich nicht belehren und …
Bitte, hören Sie auf, Graf, unterbrach ihn die Königin.
Ich weiß, was Sie sagen wollen. Ähnliches hat einst Prinz Louis-Ferdinand gesagt. Auch ein Freiherr von Vincke hat vor Jahren bereits ein sehr hartes Urteil gefällt. Damals war ich erschüttert, aber der König liebte solche Worte nicht.
Ich weiß, verneigte sich der Graf. Aber vielleicht können Euer Majestät verstehen, wie einem preußischen Offizier zumute ist, wenner wider sein besseres Wissen in eine Schlacht gehen muss, deren Ausgang feststeht, bevor sie begonnen hat. Hauptmann Gneisenau ließ mir mitteilen, dass er bei Jena wie ein Wilder zu Pferde gefochten habe, und dann zu guter Letzt doch mit den anderen davon laufen musste. In guter Gesellschaft mit Prinzen und Fürsten. Ein Greuel, lieber sterben zu wollen, als so etwas noch einmal erleben zu müssen.
Graf Hardenberg sah die Königin bei diesen Worten unerschrocken an. Sie kannte ihn gut
Ich weiß, Graf Hardenberg, was Sie sagen wollen, aber es steht nicht in meiner Macht, diese Dinge zu ändern. … sie nannten Gneisenau, aber es wäre doch sicher sinnvoll, wenn dieser seine auf dem Schlachtfeld von Jena gewonnenen Erkenntnisse niederlegen würde.
Soviel ich weiß, hat er es schon getan, sagte Hardenberg.
Er ist jetzt auf dem Weg nach Königsberg. …
Nachdenklich wiederholte Luise: Königsberg! Ob wir in seinen Mauern wohl Zuflucht und Ruhe finden werden?
Gott gebe es, verneigte sich der Graf und fügte hinzu:
Ich bin froh, die Aufmerksamkeit Euer Majestät zu besitzen und weiß, dass Sie das Herz Preußens sind, auch wenn Sie Ihre große Mission noch nicht voll erkannt haben.
Damit verabschiedete er sich. Über seine Worte aber musste Luise noch lange nachdenken.
Am nächsten Tag, es war der 19. Oktober 1806, reiste die Königin mit ihrer Begleitung nach Stettin, dann nach Danzig, wo sie die Kinder wieder treffen wollte, und der ihr Zufluchtsort sein sollte.
Zu ihren Kindern sagte sie beim Abschied: Wo immer wir sind, da ist Preußen. Lebt wohl, meine Lieben, und denkt immer daran.
Wo wir sind, da ist Preußen! Immer wieder musste Luise auf der Fahrt an dieses anspruchsvolle Wort denken. Nicht sie hatte es geprägt, aber es war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Gewiss, es gab keine Hauptstadt Berlin mehr, auch von einer preußischen Staatsregierung konnte man nicht mehr reden – aber war deshalb Preußen tot?
Noch gab es einen König von Preußen, noch gab es eine Königin, die Luise hieß, ein fleißiges Volk und tapfere Soldaten, die dem Königshause treu ergeben waren… Doch was nutzte alles Grübeln…, denn auch sie war ja wehrlos dem Schicksal ausgeliefert…
Kurze Zeit darauf meldete sich ein russischer Kurier bei der Königin. Brachte er Nachricht von Zar Alexander? Kam endlich die Wende. Hastig riss die Königin die Depesche auf. Schon bei den ersten Zeilen erblasste sie. Endlich hatte sie Nachricht von dem Manne, dem sie vertraute. Endlich würde sie erfahren, was ihn abgehalten hatte, rechtzeitig mit seiner Armee einzugreifen und den schrecklichen Tag von Jena geschehen zu lassen. … Doch nun war sie zutiefst betroffen.
Der treue Freund begann mit Vorwürfen. Luises Herz erstarrte fast vor der Kälte seiner Worte. Alexander sprach von Verrat durch Preußen, warf dem König vor, dass die Berliner Depesche für sein Eintreten in der Schlacht bei Jena zwölf Tage zu spät gekommen sei, behauptete, man hätte ihn im Stich gelassen und dadurch gezwungen, mit Frankreich wegen eines Sonderfriedens zu verhandeln.
Schrieb so ein Freund? …
Die Königin liess die Depesche in ihren Schoß sinke…
Welch grausames Schicksal hatte hier wieder die Hand im Spiel? War es Verrat? War es Unfähigkeit? …
Wir müssen weiter. Der König erwartet mich in Küstrin! …
sagte sie zu Hufeland.
Die Königin war zwar krank und schwach, besonders die seelische Verfassung, sie war sehr niedergeschlagen… sie wollte unbedingt zum König, nach Küstrin… Plötzlich trat eine Hofdame ins Zimmer und meldete, dass sich eine größere Menschenmenge dem Hause nähere, und frage, ob die Königin irgendwelche Anordnungen geben wolle.
Ich werde mich den Stettinern zeigen, sagte sie, aber nur kurz, sagte sie zu Hufeland.
Mit lächelndem Gesicht trat sie ans Fenster, aber sie erschrak, denn die Menschenmenge war schon dicht vor dem Haus. Zu ihrem Entsetzen erkannte die Königin in der wildem Menge einen zitternden, bleichen Mann.
Sehen sie dort einmal hin! forderte sie Hufeland auf. Das ist doch der Geheime Rat Lombard, was will denn der hier in Stettin?, sagte dieser.
Was weiß ich?, sagte Luise. Sie hatte nie einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen diesen Menschen gemacht und hielt ihn für ihren Feind. Sie wusste, dass er die rechte Hand des Ministers Haugwitz war und über diesen den König häufig beeinflusste, zum Schaden Preußens.
Sie müssen ihn von dem Pöbel befreien, Euer Majestät, sagte die Hofdame.
Wir wollen erst einmal hören, was die Leute dort unten veranlasst, diesen Menschen zu bedrohen. Ich nehme an, er will sich unter meinen Schutz retten, sagte die Königin.
Lombard hatte irgendwelche Nachrichten für den Hof nach Stettin gebracht und wollte gerade mit seiner Kutsche nach Küstrin zum König weiterfahren, als er von den Stettinern entdeckt worden war.
Die Bürger schrien: Es ist Lombard, der Französling, dieser Verräter ist nur hier, um der Königin zu schaden. …
Sie schlagen ihn noch tot!, ängstigte sich die Hofdame. Euer Majestät müssen in diesen Tumul eingreifen, sagte Hufeland. Dazu war die Königin auch fest entschlossen, sie wollte verhindern, dass unter ihren Augen solch ein Unrecht geschähe. Sie wollte dagegen, dass er vor ein ordentliches Gericht komme.
Einmal hatte es eine Zeit gegeben, in der sie auch Lombard vertraut hatte. Doch bald erhielt sie von allen Seiten vorsichtige Hinweise vor ihm. So wurde sie vorsichtig und entzog ihm ihr Vertrauen, zumal sie selbst bald Beweise dafür erhielt, dass Lombard über Verhandlungen im Ministerrat des Königs nach Paris berichtet hatte. …
Gestoßen, gedrängt, beschimpft und bedroht wurde der Geheime Rat von der aufgebrachten Menge begleitet, bis er zur Königin ins Landhaus kam. Die Königin sagte zu ihrem Leibarzt: Neben Napoleon ist er mein gefährlichster Feind! Er hasst mich, weil ich ihn durchschaut habe, und weil ich dem König geraten hatte, ihn zu entlassen…
Der Leibarzt verneigte sich, legte seine Hand auf Herz und bat leise: Euer Königliche Hoheit werden sich doch nicht selbst aufgeben. Diesem Verräter gebührt natürlich Strafe, wenn alle die gegen ihn erhobenen Angriffe stimmen. Aber diese Strafe darf nicht die aufgeregte Menge dort draußen vollziehen. Das ist Sache eines ordentlichen Gerichtes.
Wie immer haben Sie recht, nickte Luise von Preußen ihm zu, es ist manchmal schwer, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten. … Ich werde den Befehl geben, ihn zu verhaften… und es wird dann bei ihm liegen, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften…
Als die Hofdame die Königin wecken wollte, fand sie Luise bereits auf. Sie faltete gerade einen langen Brief und versiegelte ihn. Es war ein Schreiben an den Zaren. Alles ist zusammengebrochen, hieß es in dem Brief.
Sollte uns die Wucht der Ereignisse zu Boden werfen? Friedrich Wilhelm ist auf dem Weg nach Küstrin. Es ist, als ob uns das Schicksal aufs äußerste prüfen will und darum das Gesetz des Handelns in die Hände Napoleons gelegt hat. …
Und dennoch, mein lieber Freund, Preußen ist da, es ist kein Phantom. Mögen auch die Eroberer darüber hinbrausen – es ist da. Wie auch Russland sich in Ihnen verkörpert, solange wir ungebeugt und mutig sind, ist unser Schicksal nur wie ein Reif, der über einen gesunden Baum fällt, damit er im nächsten Frühling umso schöner erblühen kann…
Sie musste dem Freund schreiben, denn es war ihr unerträglich, wenn er nicht an die Treue Preußens glaubte. …
Inzwischen war die Kutsche vorgefahren, und viele Stettiner Bürger brachen in laute Hochrufe aus: Stettin bleibt treu, riefen sie, und wünschen ihrer Königin eine gute Reise, baten, den König zu grüßen und Stettin nicht zu vergessen.
Wie könnte ich das? , lächelte Luise am offenen Fenster ihrer Equipage…
XV.
Ohne Aufenthalt rollte der königliche Wagen von Dorf zu Dorf, nur an den Poststationen wurden die Pferde gewechselt. Und wo immer die königliche Kutsche erkannt wurde, jubelte man ihnen zu. Meist mit den Worten: Wir bleiben treu!
Wie dankbar müssen wir diesen Menschen sein,
äußerte Luise zu Hufeland und Frau von Berg. Sie geloben uns Treue und sehen uns auf der Flucht. Sie wissen auch, dass ich eine Fürsprecherin des Krieges war. Sie können mich schuldig sprechen, weil sie ja nicht wissen, warum ich Preußen gegen Napoleon stellte. Sie kennen die großen Zusammenhänge nicht, hören nur von verlorenen Schlachten, von Toten, von brennenden Dörfern und flüchtenden Menschen. …
Preußens Hoffnungsstern ist noch nicht erloschen, antwortete Hufeland, möge Gott geben, dass Eier Majestät der Schmerz erspart bleibt. Mehr als einmal betete Hufeland für seine geliebte Königin, die er auf der Fahrt immer wieder in erquickenden Schlaf versunken sah.
Unterwegs begegnete der königlichen Equipage eine Postkutsche aus Danzig. Als der Insasse jedoch erfuhr, wer ihnen begegnete, stieg er aus und eilte zum Wagen der Königin, vor der er sich verneige .
Mein lieber Hardenberg, sagte die Königin, ich froh froh, Sie heute schon zu treffen. Steigen Sie ein, kommen Sie mit nach Küstrin, wo der König uns erwartet.
Alles wird besser werden, sagte die Königin ihm. Ich kann es nicht glauben, dass Preußen untergehen soll.
In tiefem Ernst antwortete ihr Hardenberg: Nein, Preußen wird nie untergehen, weil es nicht untergehen kann, denn Preußentum ist eine Haltung, die viel zu stark ist,um durch einen Tyrannen zerbrochen zu werden. Wir werden durch ein Meer von Leid und Blut gehen müssen, ehe der Staat und die Idee des großen Friedrich wieder die Geltung errungen haben, die ihnen vom Schicksal zubestimmt ist. Das Wort wird sich erfüllen: durch Nacht zum Licht, zum neuen Morgen!
Der große, breite Mann sprach ruhig und besonnen. Was er sagte, war ihm unerschütterliche Gewissheit, war sein politischer Glaube. Er sah besser voraus als manch einer, wie hart die kommende Zeit werden würde. Er wusste, dass Napoleon mit aller Macht versuchen würde, Preußen in Gestalt und Idee zu zerschlagen, weil er in ihm die einzige Macht sah, die seinem Plan der Weltherrschaft entgegenstand…
Napoleon sieht in Ihnen eine ihm unbegreifliche Macht, erklärte der Minister seiner Königin.
Er wird das Letzte versuchen, sie und Preußen auf die Knie zu zwingen. Und ich habe eine Bitte: bleiben Sie hart!
Was ich als Königin und Frau meines Mannes gegen Napoleon unternehmen kann, das werde ich tun. Sie aber, lieber Hardenberg, müssen mir dabei Hilfe und Stütze. Als Frau ist es nicht leicht, und ich brauche Männer wie Sie und vom Stein an meiner Seite.
Mein Leben gehört Preußen und Ihnen, gelobte Hardenberg. Dann fügte er hinzu: wir wissen nicht, was kommt, aber ich fürchte, dass Napoleon meine Abdankung vom König fordern wird. …
Trotz später Stunde herrschte im Schein weniger Öllampen reges Treiben, …, die Stadt war mit Flüchtlingen gefüllt und es war kaum ein Durchkommen…
König Friedrich Wilhelm wohnte in einem Privathaus am Markt. Er war erst letzte Nacht in Küstrin eingetroffen. Acht Tage hatten sie sich nicht gesehen. Nun stand der König mit bleichem und traurigem Gesicht vor ihr und streckte ihr beide Arme entgegen. Entgegen aller Etikette trug er seine Luise in den Armen ins Haus und ließ sie vorsichtig in einen Sessel niedergleiten.
Bin froh, dich wiederzuhaben. Dürfen uns nie mehr trennen, sagte er in seiner kurz angebundenen Art. Im Anfang fehlten beide die Worte, und so hielte sie sich wie Kinder an den Händen. Erst später erfuhr Luise von ihrem Mann, was seit Weimar hinter ihm lag. Er hatte an der Spitze des Regiments der Königin an der Schlacht von Auerstädt teilgenommen, hatte sich pflichtbewusst geschlagen, ein Pferd war unter ihm zusammengeschossen worden.
Alles war vergebens, berichtete der König, musste die Schlacht aufgeben. Blücher war immer neben mir. Er traf die weiteren Dispositionen, als es für mich wichtig wurde, mich durchzuschlagen und der Gefangenschaft zu entgehen.
Weiter erfuhr die Königin, dass des Königs Brüder – die Prinzen Heinrich und Wilhelm – verwundet worden waren und sich die Verluste kaum abschätzen ließen.
Scharen von Flüchtenden hatten ein heilloses Durcheinander verursacht, Infanterie, Kavallerie und Artillerie hatten sich zerstreut und planlos über die Felder in wilder Panik geflohen.
Hätte mir Blücher nicht eine ausgewählte Mannschaft seines Regiments zur Bedeckung auf dem Wege nach Sondershausen mitgegeben und wären jene tollkühnen Männer nicht wie die Teufel auf jeden Gegner losgegangen, stände ich jetzt nicht hier, sondern befände mich in den Händen der Franzosen.
In einer Priesterwohnung in Sömmerda hatte der König die erste Rast gemacht, hier war ihm zum ersten Male mit aller Wucht die niederschmetternde Tatsache der Niederlage zum Bewusstsein gekommen. Hier hatte ihn auch die Nachricht von der verlorenen Schlacht bei Jena erreicht.
Bis in die Morgenstunden brannte in des Königs Zimmer Licht. Es gab soviel zu berichten. Jetzt war es Luise, die dem verzweifelten König neue Hoffnung geben musste, was sie auch tat, vor allem mit den Worten Hardenbergs…
Ich hoffe, sagte Luise zu ihrem Mann, dass das Volk unser Unglück als göttliches Verhängnis erkennt und mit bußfertigem Herzen zu neuem Leben auferstehen wird.
Der König selbst fühlte sich zu nüchtern für solche Gedanken. Für ihn war klar, dass die Niederlage zuerst daran lag, dass die vier Korpsführer, der Herzog von Braunschweig, Marschall Möllendorf, die Generäle Schmettau und Rüchel durch Tod ausgefallen waren.
Nur Blücher und der Herzog von Weimar hatten ihre Truppen in gutem Zustand zurückführen können. Sie waren die einzigen, die von dem großen preußischen Heere übriggeblieben waren. …
Napoleon hatte mir vor der Eröffnung der Feindseligkeiten einen Brief geschrieben, sagte der König, der aber durch ein Versehen viel zu spät in meine Hände gelangte. Ich habe ihm im Pfarrhaus zu Sömmerda geantwortet. Bisher traf keine Nachricht von dem Kaiser der Franzosen ein.
Kaiser? wiederholte Luise, niemals wird dieser korsische Emporkömmling ein Kaiser. Er ist ein Empereur, aber kein Kaiser,
Dann sah Luise ihn ganz ernst an: Und ich sage, jeder Versuch, mit diesem Tyrannen zur Einigung zu kommen, ist eine Selbstaufgabe. Wer dem Teufel den kleinen Finger reicht, wird von ihm ganz verschlungen. …
Höre bitte auf Männer wie Hardenberg, nicht auf solche wie Lombard. Den ich übrigens in Stettin verhaften ließ.
Um Gottes Willen, Luise, was hast du getan, dazu hattest du doch gar kein Recht.
Es ist Krieg, Fritz, entgegnete Luise, der Krieg hat eigene Gesetze, und ich bin Königin …
Hast du denn irgendwelche Beweise, die deinen Befehl rechtfertigen?, tadelte der König sie. Wer das Gesetz gebraucht, muss auch nach dem Gesetz handeln…
Beweise? empörte sich Luise. Genügt es nicht, was wir von ihm wissen? Ist es nicht Beweis genug, dass der Mann in Berlin seines Lebens nicht mehr sicher war und flüchtete? Ist es nicht bezeichnend…, wenn die Bevölkerung Stettins in fast erschlagen hätte?Meine Schutzhaft hat ihm das Leben gerettet. Du kennst doch das Urteil Steins über ihn; …
Missbilligend schüttelte der König den Kopf. Deine Gefühle haben Dir eine Streich gespielt. Das Gesetz muss aber nach Buchstaben richte. Ich darf Deine Handlung nicht anerkennen. Ich muss Befehl geben, den Verhafteten wieder frei zu geben!
Schweigend wandte sich Luise ab.
Am Tage darauf besichtigte das Königspaar in Begleitung des Kommandanten, Oberst von Ingersleben, die Festungswerke der Oderstadt. …
Küstrin ist eine natürliche Festung, erklärte der Oberst. Die Oder, die Warthe und die Moräste, die auf der anderen Seite sind, bilden einen vorbildlichen Schutz. Küstrin schützt sich durch seine Lage selbst.
Sollte Preußen untergehen? Was in Küstrins Straßen zu sehen war, musste erschüttern. … Küstrin wirkte wie ein Sinnbild der Auflösung des preußischen Staates.
Zwölf Tage hielt sich das Königspaar in der Oderfestung auf, dann ging es weiter nach Graudenz. … Kaum hatten sie Graudenz erreicht, als Kuriere mit neuen Hiobsbotschaften eintrafen.
Stettin hatte sich ohne Widerstand dem Handstreich einer Schwadron französischer Husaren ergeben. … Ein zweiter Bote meldete die Übergabe von Küstrin.
Die starke Festung war auf schmachvolle Weise in die Hände des Feindes geraten. Der Kommandant selbst hatte den Franzosen Kähne entgegengeschickt, damit sie ohne Schwierigkeiten über die Moräste in die Stadt gelangen konnten. Ohne einen Schuss Pulver war die Festung Küstrin gefallen…
Die Nachrichten überschlugen sich. Erfurt hatten die Franzosen bereits am 16. Oktober eingenommen, es folgten Spandau, Glogau, Hameln und Nienburg und viele andere. Auf allen preußischen Festungen wehte die weiße Fahne. … Die Wucht der vordringenden französischen Truppen hatte die bejahrten Kommandanten in Furcht versetzt und oft zur Übergabe ohne Widerstand veranlasst…
Du hattest recht Luise, sagte der König, mit Napoleon könne es kein verhandeln geben.
Der Kaiser hatte in einer Depesche jeden Waffenstillstand abgelehnt. Er sprach von Friedensverhandlungen, aber nur nach seinen Bedingungen.
Sie hießen: Der preußische König tritt alle Besitzungen auf dem rechten Ufer der Elbe ab mit Ausnahme Magdeburgs und der Altmark. Ferner forderte Napoleon eine Kriegskontribution von 25 Millionen Talern.
Napoleon diktiert, sagte Luise. Und was wirst Du tun? Hast Du schon mit Hardenberg gesprochen?
Solchen Fragen wich der König aus, … und so hielt er sich an die andere Seite, die ihn bisher beraten hatte: Köckeritz, Beyme und Lucchesi, der ihm die Forderungen des Franzosenkaisers überbracht hatte.
Dennoch gab Friedrich Wilhelm jetzt Luise recht, er wusste genau, wie hart die mit der Schwertfaust geschriebenen Bedingungen des großen Gegners waren. Aber er musste retten, was noch zu retten war, und somit seinen Hofleuten folgen. …
Vielleicht wäre es der Königin gelungen, dem korsischen Eroberer Einhalt in seiner Maßlosigkeit zu gebieten, wenn nicht die vielen Hiobsbotschaften den König davon überzeugt hätten, wie sinnlos es war, dem vorwärts stürmenden Sieger in den Weg zu treten.
Als selbst Blücher Lübeck aufgeben musste, als Scharnhorst in Gefangenschaft geriet und die Niederlage des Fürsten von Hohenlohe bei Prenzlau eintraf, da glaubte der König dem Rat der Herren von Köckeritz und von Zastrow folgen zu müssen, da sah er sich gezwungen, die Friedensbedingungen Napoleons anzunehmen und den General von Zastrow mit dieser Erklärung in das französische Hauptquartier zu entsenden – nach Berlin.
XVI.
Das nie Erwartete war geschehen. Napoleon, der General der blutigen Französischen Revolution, hatte das preußische Heer geschlagen, die Königsfamilie in die Flucht getrieben, und war als Triumphator in die Hauptstadt eingezogen. Er war am 24. Oktober in Potsdam eingezogen und bestimmte, dass das königliche Schloss ihn wie einen Souverän, wie den preußischen König selbst, zu empfangen habe.
Mit kaltem, ehernem Gesicht schritt Napoleon die mit Teppichen belegte Treppe hinauf, und sagte zu seinem Großmarschall Duroc: Ist das nicht ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass wir jetzt hier als Herren einziehen? Heute vor einem Jahr hat Kaiser Alexander von Rußland die schöne Königin Luise besucht, …
Ich will in denselben Zimmern wohnen, die vor einem Jahr Zar Alexander bewohnt hat, bestimmte Napoleon… Dann ging er mit soldatischem Schritt hin zum großen Saal, an dessen Wänden die Porträts der preußischen Herrscherfamilie hingen. Nachdenklich, aber auch mit Triumph, musterte er Bild für Bild.
Sie sind sich alle recht stolz vorgekommen, sagte er mit ernster Stimme. Sie glaubten, etwas Besseres und Höheres zu sein, weil sie hochgeboren waren und eine Königskrone trugen. Ich habe sie in den Staub gezwungen, diese Preußen. Ihr Friedrich Wilhelm III. wird auch der letzte sein. … Wir werden das Erbe derer antreten, die da glaubten, zur Herrschaft geboren zu sein.
Mit flammenden, stolzen Blicken sprach Napoleon diese Worte eines Siegers …
Wo ist das Bild der Königin Luise?, wollte Napoleon wissen.
Duroc führte den Kaiser hin: Ein wunderschönes Bild, sagte Duroc, man kann es nur bewundern!
Sie sind ein Träumer, knurrte Napoleon, ich weiß seit langem, dass sie in diese Königin von Preußen vernarrt sind.
Wütend wandte er dem Bild dein Rücken zu und blickte auf das nächste Bild.
Ah, der treue Gatte, höhnte der Sieger. Übrigens, ich habe immer gedacht, er wäre größer, dieser kleine Preußenkönig.
Er ist etwa so groß wie der Großherzog von Berg, erklärte Duroc.
Der von Berg, wiederholte Napoleon, der hat doch meine Figur.
Verzeihung, Sire, widersprach Großmaschall Duroc, er ist größer als Sie!
Länger, meinen Sie, knarrte der Kaiser zurück, ein Glück, dass Größe nicht gleichbedeutend mit Länge ist. Friedrich Wilhelm II. war viel kleiner als dieser Friedrich Wilhelm III., und doch war er viel größer.
Duroc verneigte sich zustimmend, die anderen taten desgleichen, als Napoleon sie ansah.
Ihr weiterer Weg führte durch eine lange Reihe von Sälen und Gemächern, und Napoleon bewunderte die prächtigen Räume.
Sie können schöne Schlösser bauen, diese Monarchen, aber sie sind zu dumm, sie auch zu erhalten. Ich baue lieber eine neue Welt auf, eine Welt, die Bestand haben wird, auch wenn ich längst gestorben bin.
Der Großmarschall schwieg bei diesen Worten.
Vor dem Bett, das extra für den Zaren errichtet worden war, blieb Napoleon stehen und sagte: Hier will ich heute Nacht schlafen… und außerdem, lieber Duroc, ich werde alle diese Throne umstürzen, alle legitimen Herrscher verjagen, und es soll kein anderer Thron mehr sein, als der meine. Dann werde ich der erste legitime Herrscher der neuen Weltordnung sein und Vater einer neuen Dynastie!
Mit versteinertem Gesicht hatte der Großmarschall zugehört. Es wäre schön, wenn das möglich wäre, Sire. Aber noch haben Euer Majestät keinen Sohn, der das legitime Erbe antreten könnte.
Ich werde einen Sohn haben, Duroc, verlassen Sie sich darauf!, entgegnete der Kaiser. Ich werde mir eine neue Kaiserin suchen, und dann wird mein Nachfolger nicht auf sich warten lassen.
Entsetzt blickte der Großmarschall seinen Herrscher an: Es ist doch unmöglich, Sire, dass Sie die Kaiserin Josephine verstoßen.
Mit starrem Blick antwortete Napoleon: Josephine ist edel und gut, aber ich muss an die Krone Frankreichs denken. Nie werde ich Josephine aus meinem Herzen verstoßen, sie ist die einzige Frau, die ich liebe. Es wird mir nicht leicht fallen, mich von ihr zu trennen.
Ihr wird es das Herz brechen, entgegnete Duroc leise.
Unsinn, widersprach Napoleon, sie wird es ebenso überleben wie ich, Frankreich geht vor, das muss sie einsehen. … Ich will einen Sohn, denn ich bin überzeugt, dass ich und meine Familie in der Zukunft alle Throne Europas beherrschen werden. …
Stumm verneigte sich der Hofmarschall. …
Als Napoleon Sanssouci besichtigte, war nur ein alter Kastellan, der ihm Auskunft geben konnte. Napoleon höhnte: Ah, Sie sind wohl noch eine Ruine aus der Zeit Friedrich des Zweiten?
Ja, Sire, antwortete er in geläufigem Französisch, ich hatte das große Glück, von Jugend auf den heiligen Wohnsitz des großen Königs zu bewachen.
Zeigen Sie mir jetzt das Zimmer Ihres Königs.
Sie meinen das Zimmer Seiner Majestät, des Königs Friedrich Wilhelm III., Sire, ?, fragte der greise Kastellan. Napoleon winkte ab: In Sanssouci gab es nur einen König, und das war Friedrich der Zweite. Keinen anderen lasse ich gelten.
Schweigend öffnete der Kastellan eine Seitentür des halbrunden Mamorsaales. … Was ist mit dem altersschwachen Lehnstuhl dort? erkundigte sich der Kaiser…
Sire, antwortete da der greise Kastellan feierlich, auf diesem Lehnstuhl ist der große König gestorben, sein Kopf lag auf diesem Kissen, und mit der Decke ist er zugedeckt worden. Mit gefalteten Händen stand der Greis, es war, als hätte er seinen gegenwärtigen Herren vergessen.
Das Sterbelager des großen Königs, wiederholte Napoleon, er starb nicht auf dem Schlachtfeld, wie er es als großer Feldherr verdient hätte. …
In tiefem Ernst wandte er sich an den Kastellan. Sie waren bei ihm in der Todesstunde?
Ja, Sire, damals war ich sein Kammerdiener.
Und welches waren seine letzten Worte?
Der kranke König sprach sehr leise, berichtete der Greis, vieles verstand ich nicht mehr. Aber an einige erinnere ich mich deutlich. Einmal sagte er recht deutlich: Gebt mir meine Soldaten wieder. Ich bin es müde, über Sklaven zu herrschen.
Ich bin es müde, über Sklaven zu herrschen!
Langsam sprach Napoleon diese Worte vor sich hin. Ich glaube, mit dem Manne hätte ich mich verstanden. …
Verzeihen Sie, Sire, wandte der alte Kastellan sich an den Kaiser. Seine Majestät, der große König, hat Sie zwar nicht gekannt, aber er hat von Ihnen geträumt.
Gerade wollte der Großmarschall den schwatzhaften Alten zurückweisen, als Napoleon hastig auf den Greis zutrat:
Was sagen Sie, der König hat von mir geträumt? Erzählen Sie! Wie war das? Was wissen Sie davon?
Ohne Scheu berichtete der Alte:
Einige Jahre nach dem Siebenjährigen Kriege war es. Ich war seit kurzem Kammerdiener und hatte in jener Nacht gerade Dienst beim König. Ich schlief im Vorzimmer Seiner Majestät, und sollte neben dem Wecken auch des nachts zur Verfügung stehen, wenn er mich rief. In jener Nacht hörte ich plötzlich den König laut rufen: Feuer! Feuer! Sofort stürzte ich in sein Schlafgemach, aber nirgendwo brannte es.
Ächzend und stöhnend lag der König auf seinem Lager, er schien von schlimmen Angstträumen gepeinigt und atmete schwer, wie ein Mensch, der im Sterben liegt.
Ich war äußerst besorgt und nahm mir die Freiheit, ihn zu rütteln und aus dem Schlaf zu holen.
Es ist gut, dass du mich geweckt hast, sagte er lobend, ich hatte einen furchtbaren und seltsamen Traum. Er sah mich sonderbar an und meinte dann: Du sollst ihn hören, damit du verstehst, warum dein König stöhnte. Dann bat er mich, alles genau aufzuschreiben:
Mir träumte, ich stand auf einer Terrasse von Sanssouci. Um mich herum sah ich mein Land und alle meine Schlösser. Ganz dicht beieinander lag alles, es war ein wunderschönes Bild des Friedens und des Aufbaues. Da plötzlich verfinsterte sich der Himmel, schwarze Wolken zogen auf und tiefe Nacht bedeckte die eben Gesehene schöne Welt. Es war wie ein Ächzen, Stöhnen und Jammern in der Luft, unheimlich und bedrückend. Da leuchtete mit einem Male mitten in den dunklen Wolken ein glänzendheller Stern auf. Für einen Augenblick blieb er am Himmel stehen, dann fiel er blitzschnell auf die Erde nieder, und so wie der Stern niederfiel, flammte die ganze Welt in Feuer und Brand auf. Das Feuer wuchs und wuchs, es frass um sich, erfasste alle meine Schlösser und verbrannte das ganze Land. Reiche zerfielen in Schutt und Asche, das Unheil hüllte alles in Flammen, die ganze Welt war eine riesige Brandfackel. Da schrie ich Feuer, denn mich erfüllten Angst und Grauen. Gottlob hast du mich noch zur rechten Zeit geweckt. –
Und als der König mit seiner Erzählung fertig war, meinte er, dass sein Traum sicher eine bestimmte Bedeutung hätte und gab mir den Befehl, dieses merkwürdige Geschehen der Nacht genau aufzuschreiben und mit Datum und Zahl zu versehen.
Der Kastellan hatte seinen Bericht beendet, schweigend wartete er, ob der Franzosenkaiser noch etwas fragen würde, doch er nickte ihm nur zu und schritt in das nächste Gemach.
Wie hieß das Datum, das niedergeschrieben wurde? erkundigte sich Duroc, der zu wissen glaubte, dass Napoleon später danach fragen würde.
Der König träumte diesen merkwürdigen Traum am 15. August 1769.
Fassungslos starrte der Großmarschall ihn an.
Das ist der Geburtstag Napoleons! sagte er.
Am 15. August 1769, nachts um drei Uhr! wiederholte der Kastellan, und Duroc stellte nur noch fest: Auch die Geburtsstunde stimmt!
Erzählen Sie diese dumme Geschichte nicht weiter! befahl er plötzlich sehr ernsthaft dem Greis. Der nickte nur und sagte:
Es war nicht mein Traum, ich berichtete nur wunschgemäß, was ich erfuhr. Ich werde nun zu schweigen wissen.
Duroc eilte seinem Kaiser nach. Stern vom Himmel, dachte er, Feuerbrand der Welt, Schlösser und Länder in Schutt und Asche. Wie seltsam doch solche Träume sind! Man musste unbedingt verhüten, dass sie weitererzählt wurden.
Am Morgen des 27. Oktober bot Berlin ein festliches, buntbewegtes Bild. Man sah dieser Stadt nicht an, wie viele Tränen geflossen, wie die Menschen unter diesem Schicksalsschlag litten.
Die Armee vernichtet, Preußens Soldaten besiegt, der König mit seinem Hof geflohen! Nie hätte man dies für möglich gehalten.
Die höheren Beamten hielten sich verborgen. Andere erklärten laut und ungefragt, sie seien bereit, auch dem Kaiser der Franzosen den Eid der Treue zu leisten und ihm zu dienen.
Das Volk von Berlin schwieg und biss die Zähne zusammen. Man durfte es nicht wagen, den Zorn des mächtigen Siegers herauszufordern. Überall horchten die Spitzel, Diener der französischen Polizei, herum. Manches Bier und mancher Schnaps wurden ausgegeben, um die rechte Stimmung zu erzeugen und die meist jungen Strassenpassanten zu Vive l’Empereur! Rufen zu veranlassen.
General Clarke, der neue Gouverneur von Berlin, verstand sein Handwerk. Er war mit seiner Organisation zufrieden, es waren genügend Menschen auf den Straßen, die den merkwürdigen Mann, der so viele Siege auf seine Fahnen schrieb, zu sehen…
Nein, es war dennoch kein freudiger Empfang. Es fehlte der freudige Lärm, die geschmückten Häuser, die bunte Kleidung. Viele Damen trugen bewusst schwarz, und oft genug wehten schwarze Schleier um ihr Haar…
Gegen vier Uhr nachmittags läuteten die Glocken von allen Türmen, Kanonen donnerten – Napoleon näherte sich von Charlottenburg her dem Brandenburger Tor.
Es war in der Tat ein welthistorischer Moment und jeder Berliner empfand ihn. Eine neue Welt trat ihm vor Augen.
Was dort durch das Brandenburger Tor kam, das waren keine Soldaten, wie man sie in Preußen gewohnt war…
Sie trugen weder Zöpfe noch Perücken, sondern bunte Turbane, schritten in roten Pluderhosen und dunklen Jacken einher, auch mit bärtigen Gesichtern und unter Bärenmützen und Schurzfellen sahen sie wie Riesen aus alter Zeit aus.
Ein farbenprächtiges Bild, unterstrichen von den Klängen der Marseillaise, Frankreichs neue Nationalhymne, dessen Melodie von einem alten elsässischen Kirchenlied stammte und nun ein ganzes Volk faszinierte. Die Melodie, mit der die Revolutionäre in den Kampf geschickt wurden…
Dort ist er! Napoleon! rief jemand laut… Er kam hoch zu Ross, an der Spitze, ein ernster, bleicher Mann, in einfacher grüner Uniform, ein kleiner dreieckiger Hut, mit versteinertem Gesicht saß er auf seinem herrlichen Schimmel…
Vive l‘Empereur, doch Napoleon schien diese Rufe kaum zu hören. Auch fiel ihm wohl kaum auf, dass Hunderte schweigend am Straßenrand stand… Des Kaisers Gefolge jedoch spürte diese eisige Ablehnung. Es war weniger Feindschaft als tiefe Trauer und schweigsamer Schmerz. Vielen der schwarz gekleideten Frauen in den Fenstern liefen die Tränen über die Wangen…
Die Glocken des Berliner Doms, in dem die feierlichen Trauungen der Könige und Prinzen stattgefunden hatten – diese Glocken begrüßten jetzt den siegreichen Feind. …
Eisige Stille empfing Napoleon im Weißen Saal, wo die Marmorstatuen der Hohenzollern standen… Den Franzosenkaiser erfüllte dies stumme Begrüßung mit Unmut, die er sich deutlich anmerken ließ.
Die Berliner Frauen, bellte Napoleon, und ihre Königin an der Spitze haben den Krieg gewollt. Jetzt bin ich hier – das ist das Resultat. Ich wollte den Krieg nicht. … Das Volk von Berlin ist nun der Leidtragende. Die Anstifter des Krieges sind geflohen. Ich aber werde diesen Hofadel so arm und so klein machen, dass er um sein Brot betteln muß.
Dann befahl der Kaiser, dass man ihm die versammelten Vertreter der Körperschaften und Behörden vorstellte… Als man die Herren der Justiz vorstellte, gab sich der Kaiser interessiert und sagte:
In Ihrer Rechtspflege scheint viel Gutes zu sein, sagte er nachdenklich, sie hat eine anerkennungswerte Grundlage der Gleichheit und scheint sich nicht willkürlich zu beugen oder deuteln zu lassen. Um so mehr muss ich mich wundern, dass Sie mit dem Gesetzbuch Friedrich des Zweiten in der Hand nicht allen denken das Handwerk legten, die aufrührerisch und aufhetzend hier in Berlin ihr Handwerk trieben. Preußen und Berlin ständen heute besser da, wenn man jene Leute rechtzeitig zum Schweigen gebracht hätte.
Wie konnten Sie tatenlos zuschauen, wenn von Frauen fanatisierte Journalisten immer neues Öl in das Feuer der Kriegshetze gossen?
Man hat mir berichtet, dass gerade in Berlin ein Journalist gegen alles Französische gewettert hat. Warum wurde ein solcher Mann nicht zur Rechenschaft gezogen?
Die Antwort verblüffte den Kaiser.
Sire, erklärte einer der Richter, die Gesetze unseres Landes gestatten es nicht, das freie Wort zu unterdrücken oder die Diskussion der öffentlichen Verhältnisse zu verbieten. … Ein jeder Staatsbürger darf öffentlich und frei seine Meinung sagen.
Ah, lachte Napoleon, Sie haben also eine freie Presse und gestatten jedem Unbefugten, über Dinge zu reden, von denen er nichts versteht? Das ist ein großer Fehler. Mit einer freien Presse kann man keine Monarchie aufrechterhalten und regieren. Jetzt haben Sie den besten Beweis dafür. Ihre Journalisten Krieg und immer wieder Krieg geschrien, sie haben das Volk aufgehetzt und Ihrem König eingeredet, Organ der allgemeinen öffentlichen Meinung zu sein. In Wirklichkeit aber waren sie das Sprachrohr für die Hasstimmen von Gardeoffiziere und fanatischen Frauenzimmern. Ihre Königin hat die Journale als Waffe benutzt, um den eigenen Mann zu beeinflussen. Luise von Preußen gleicht darin der Königin Marie Antoinette in Frankreich und Marie Caroline von Neapel. Wie diese Frauen ist sie zum Unheil ihres Landes geworden.
Ohne abzuwarten, ob man ihm antworten würde, ging er weiter und ließ sich die Geistlichkeit vorstellen.
Vermeiden Sie es, sich in die Politik zu mischen, riet er ihnen. Tun Sie, was Ihnen die Heilige Schrift aufgetragen hat: Geben Sie dem Kaiser, was des Kaisers ist.
Vor dem Konsistioralrat Ermann, dem Senior der Geistlichkeit der französischen Gemeinde, blieb er dann stehen und sagte:
Sie, mein Herr, sollten sich vor allen Dingen an diesen Spruch halten. Sie sind Franzose. Es ist Ihre Pflicht, wo immer Sie sich auch befinden, dem Vaterland treue und ergebene Untertanen zu erziehen. Sie hätten wahrhaftig in dieser Stadt viel Gutes tun können. Sie hätten wissen müssen, welches Unheil das fanatische Kriegsgeschrei Ihrer Herren Offiziere heraufbeschwören würde. Ich weiß auch, dass die Königin an der Spitze dieser Leute stand. Sie ist verantwortlich für das wüste Kriegsgeschrei und den tollen Übermut der Gardeoffiziere.
Seine Worte grollten laut durch den Saal, fast überschlug sich seine Stimme vor Zorn.
Der alter Kirchenrat sah dem Empörten furchtlos in das Gesicht:
Sire, sagte er ernst und jedes Wort wurde im Saal verstanden, Sire, Sie sagen, die Königin von Preußen sei schuld an allem Unglück unseres Landes. Sie sagen, die Königin habe zum Kriege gehetzt, habe die Offiziere fanatisiert – das ist nicht wahr. Die Königin ist ebenso edel wie tugendhaft.
Aller Blicke richteten sich auf den mutigen Mann, gingen dann hinüber zu Napoleon. Jeder hielt den Atem an, jeder hatte Angst vor dem Zorn des französischen Siegers. … Doch Napoleon schwieg. Er tat so, als hätte er nichts gehört, und ging weiter. …
Plötzlich erklang von der Tür her eine scharfe Stimme:
Herr Oberkonsistorialrat Erman!
Der Greis wandte sich ihr zu: Hier bin ich, was wünscht man von mir?
Ein Murmeln des Entsetzens setzte ein. Alle wussten, jetzt kam Napoleons Gegenschag!
In der Türe stand Duroc, der Großmarschall des Kaisers, und Schritt auf Erman zu, verneigte sich und sagte:
Seine Majestät, der Kaiser, hat mich beauftragt, den Herrn Oberkonsistorialrat Erman auf morgen Mittag zur kaiserlichen Tafel einzuladen. Seine Majestät wünscht die nähere Bekanntschaft eines Mannes zu machen, der ein so treuer und mutiger Diener der königlichen Familie ist, und Edelmut und Kühnheit besitzt, um die Abwesenden und Angeschuldigten zu verteidigen.
XVII.
Müde und abgespannt saß Napoleon am Schreibtisch seines Arbeitszimmers.
Ich werde diesen preußischen Adel in den Staub treten, wandte sich der Kaiser an seinen neben ihm stehenden Ersten Minister Talleyrand. …
Zuweilen wirkt Milde besser, erklärte der Minister. Warum strafen? Warum demütigen? Warum zum Widerstand aufreizen? Bei den Deutschen hat die Methode wenig Erfolg, im Gegenteil. Die Deutschen sind zäh und manchmal wie die Stiere. Gutmütig, arbeitsam und auch durch einen leichten Schlag zu dirigieren…!
Der Kaiser ging schweigend im Raum auf und ab…
Auch mit Stieren wird man fertig. Denken Sie an die Spanier, Talleyrand.
Euer Majestät haben entschieden, verneigte sich der Minister…
Ich werde diesen Stieren die Hörner abbrechen, erboste sich Napoleon erneut, diesem hochmütigen Adel und seinen journalistischen Kreaturen.
Sie meinen den „Telegraf“, Sire?
Soviel ich weiß, gehört der Redakteur dieses Blattes – ein gewisser Professor Lange – zu den Freunden der Königin!
Ja, schrie Napoleon höhnisch, sie hasst mich, und das soll sie büßen. Ich werde sie demütigen wie keinen Menschen zuvor.
Napoleon blie vor Talleyrand stehen: Wo ist dieser Lange? Wahrscheinlich geflohen wie die Königin selbst!
Nein, erklärt Talleyrand, er ist in Berlin und wurde heute verhaftet. Euer Majestät mögen bestimmen was mit ihm geschehen soll.
Erschießen, sagte Napoleon. Die Deutschen haben am Beispiel des Buchhändlers Palm nichts gelernt, mag ihnen der Skribent Lange eine zweite Warnung sein!
Euer Majestät wollen also noch einen neuen Märtyrer schaffen? fragte der Minister ungläubig. Ein Märtyrer schafft stets neue Märtyrer, denn er ist eine Art Freiheitssymbol. Wenn Sie einen treuen Anhänger der Königin erschießen lassen, werden andere auftauchen und auch Märtyrer für die schöne Preußenkönig werden wollen.
Ihre plötzliche Sanftmut gegenüber Preußen ist verwunderlich, höhnte der Kaiser, soll ich diesen Lange vielleicht begnadigen und weiterhetzen lassen?
Begnadigen? Talleyrand lächelte zynisch. Sie missverstehen mich Sire, Sie sollen ihn härter bestrafen. … Es lässt sich nicht leugnen, dass Lange mit seiner Feder gute Wirkungen erzielte. Mag er weiterhin Schmähartikel schreiben, aber nun für Euch und gegen statt für die Königin.
Und Sie sind der Meinung, dass der Lange dafür hergibt?
Talleyrand nickte. Sicher, wenn er die Wahl hat zwischen Tod und Leben.
Napoleon vernahm mit gerunzelter Stirn diese zynischen Worte.
Die Menschen sind eine elende Rasse. Man muss sie vernichten, um nicht selbst vernichtet zu werden! Also gut, kehren Sie diesen Lange um, Talleyrand. Machen wir aus einem Bewunderer einen Verächter und Ankläger. Stoßen wir diese Luise von ihrem hohen Sockel, auf den die preußische Verehrung sie gestellt hat! Zeigen wir der Bevölkerung, dass sie nur ein kokettes Weib ist, mit viel Liebesbedürfnis im Herzen, die manches galante Abenteuer hatte. Wenn dieser Monsieur Lange sich dazu bereit erklärt, möge er begnadigt werden. Erledigen Sie diese Dinge, Talleyrand, ich weiß sie bei Ihnen in besten Händen.
Eine Handbewegung Napoleons zeigte, dass für ihn das Thema erledigt war.
Sein Minister lächelte still vor sich hin. Wieder hatte er erreicht, was er wollte. …
Ein Kammerlakai trat ein und meldete einen Kurier mit Depeschen für den Kaiser.
Wo steht der Großherzog von Berg?, fragte Napoleon diesen.
In Prenzlau, Sire! – In Prenzlau, wiederholte Napoleon, die Stadt ist also unser!
Ja, Sire! – Geben Sie die Depeschen her und lassen Sie sich ein gutes Frühstücken machen, Sie haben es verdient!
Napoleon las intensiv alle Depeschen, und Talleyrand schaute aufmerksam zu. Am Gesicht des Kaisers konnte er die Inhalte erkennen. Es mussten heute gute Nachrichten sein…
Mit hörbarem Triumph wandte sich der Kaiser ihm zu:
Es beweist sich wieder einmal, wie recht ich hatte, als ich den Friedensvertrag möglichst lange hinauszögerte, um Preußen härtere Bedingungen stellen zu können. Die Depeschen des Großherzogs teilten mit, dass das Armeekorp des Fürsten Hohenlohe kapituliert hat. Eine preußische Armee existiert nicht mehr… Allein 10.000 Kriegsgefangene…, wie ist so etwas möglich? Wenn mir im Leben je eine solche Schmach angetan würde, ich wüsste, was ich täte.
Talleyrand sah den Erregten neugierig an.
Frieden würde ich machen mit meinen Feinden! schrie Napoleon.
Aber nur, um die Kriegsgefangenen wiederzuholen. Und die Offiziere, die da kapitulierten, würde ich erschießen lassen. Als Exempel für die ganze Armee.
Der Kaiser lachte: Die schöne Kriegsfurie Luise wird ihren Hass noch bitter bereuen müssen.
Vorsichtig, mit versteckter Bosheit, entgegnete Talleyrand, Wer weiß? Vielleicht ist inzwischen aus dem glühenden Hass der Königin Bewunderung für Euer Majestät geworden? Der Weg von der Liebe zum Hass ist nicht weit. Umgekehrt wird es nicht anders sein.
Wie ein Schatten überflog es da das Gesicht des Eroberers. Nie könnte mein Herz einer solchen Wandlung fähig sein! Nie! Sie hat mich zu sehr gekränkt, hat meine Pläne zerstört und hat Preußens König gegen mich aufgehetzt. … Warum blieb Preußen nicht mein Bundesgenosse? Vereint könnten wir jetzt ganz Europa beherrschen!
Wie immer, schritt Napoleon, die Hände auf dem Rücken, im Raum auf und ab. Aber diese Königin, diese Luise von Preußen, hat es nicht gewollt. Sie war zu hochmütig, einen Kaiser zum Bundesgenossen zu haben, der nicht unter dem Baldachin geboren wurde. Sie brachte Unglück, Elend und Schande über Preußen. Ja, diese Kapitulation ist eine Schande, nicht für mich, aber die Soldaten sind beschämt, da ein ganzer Militärstand entehrt ist…
Sie haben recht, Sire, verneigte sich Talleyrand.
Wir können jetzt den Preußen viel härtere Bedingungen stellen. Wenn Euer Majestät erlauben, werde ich sofort die Verhandlungen mit dem Grafen Lucchesini aufnehmen.
Das können Sie tun, bestätigte der Kaiser.
Sagen Sie ihm, dass jetzt die Stunde gekommen sei, da es sich räche, dass preußische Gardeoffiziere uns drohten…, Sagen Sie ihm auch, dass unter den zehntausend Soldaten und 350 Offizieren der hohenlohischen Armee sich auch der Bruder des Prinzen Louis Ferdinand befinde. Es wird kein schöner Anblick für Berlin sein, wenn die Gefangenen hier einmarschieren werden. Sagen Sie ihm auch, dass ich das Angebot des Preußenkönigs nicht annehme. Er bot mir Bayreuth statt der geforderten 100 Millionen Kontribution an. Ich will jetzt beides: Bayreuth und die Kontributionen.
Das wird der schönen Luise das kostbare Herzchen brechen! lachte Talleyrand zynisch auf.
Soll es auch, entgegnete Napoleon verbissen. Talleyrand verneigte sich und verließ das Kabinett des Kaisers. Draußen im Großen Saal traf er Duroc und informierte ihn kurz.
Der Kaiser will den preußischen Adel zerschlagen, er will ein paar sogar erschießen lassen. Als ersten wahrscheinlich den Fürsten Hatzfeld. Versuchen Sie, ihn davon abzubringen. Er schafft den Preußen nur Märtyrer und sich Feinde.
Ich will mein Bestes versuchen, versprach Duroc. Doch glaubte er selbst nicht an einen Erfolg, denn Napoleon war in solchen Fragen hart und unerbittlich.
Talleyrand begab sich sofort zur Polizei, um den inhaftierten Professor Lange zum Verrat an seiner Königin zu bringen. Er hatte den Schreiberling völlig richtig eingeschätzt. Die Furcht vor dem Erschossenwerden und die Aussicht auf eine glänzende Belohnung ließen den Redakteur Lange von einem Bewunderer der Königin Luise zu deren gekauftem Feind werden, machten aus dem Polemiker gegen den Korsen einen seiner glühendsten Bewunderer. Hatte er früher huldigende Lobgedichte auf die Königin geschrieben, so scheute er sich nicht, schon kurze Zeit später Schmähungen und Verleumdungen gegen sie im Telegraf zu veröffentlichen. Dass seine Zeitung über die Hälfte ihrer Abonnenten verlor, störte ihn nicht weiter. Er litt keine Not, denn das französische Gouvernement bezahlte ihn gut.
Trommeln wirbelten auf dem Hofe des Berliner Schlosses. Napoleon ritt ein. Er kam von einem Spazierritt und hatte auf der großen Straße Unter den Linden feststellen müssen, dass nur einzelne Stimmen ihm das Vive l’Empereur! zugerufen hatten und nur wenige Bürger ihn grüssten…
Wollen die Berliner revoltieren? schrie er den Großmarschall an. Duroc widersprach: Nein, Sire, das wollen sie bestimmt nicht !
Das würde ihnen auch schlecht bekommen, knurrte der Kaiser grimmig. …
Sie sollten Milde walten lassen, Sire, sagte der Großmarschall, und von den geplanten Strafen und Demütigungen des preußischen Adels absehen.
Meinen Sie, ich lasse mich von der Kanaille Berlin beeindrucken? Nein, die Urteile bleiben!
Hastig eilte Napoleon die Treppe hinauf, als plötzlich eine schluchzende Frau sich vor seine Füße warf. Es war die Fürstin von Hatzfeld. Schon wollte der Kaiser sie zur Seite schieben, als er entdeckte, dass die Fürstin ein Kind unter dem Herzen trug. Sofort änderte er seine Haltung und gewährte ihr eine Audienz. Kurze Zeit darauf stürzte die junge Adelige in seinem Zimmer ohnmächtig zusammen, Der Kaiser selbst holte einen Sessel herbei und bettete zusammen mit dem Großmarschall die Ohnmächtige darauf.
Euer Majestät haben die Fürstin vor Glück niedergeworfen!
Schon recht, winkte Napoleon unwillig ab. Lassen Sie die Dame hinaustragen, Ich will nicht, dass sie hier wach wird und mir womöglich dankt, weil ich ihrem Gatten die Freiheit gab. Ich bin viel zu duldsam gegenüber dem preußischen Adel.
Napoleon lächelte: Eine preußische Fürstin zu Füßen des verhassten Napoleon! Man soll sich beeilen, ein solches Bild zu machen, und die gute Stadt Berlin wird sagen, dass ich ein großer Mann bin und zu verzeihen weiß.
Talleyrand verzog keine Miene. Sire, sagte er nur, sie werden durch Ihre Großmut alle Herzen gewinnen. Ich werde dafür sorgen, dass der Telegraf Ihre menschliche Größe gebührend herausstellt.
Richtig, was ist mit diesem Journal? fragte der Kaiser. Der Minister meldete:
Professor Lange hielt, was ich Ihnen versprach, Sire. Todesfurcht und fünftausend Franken schienen ihm die Aufgabe von Ehre und Gewissen wert zu sein.
So haben Sie ihn also gewonnen, entgegnete Napoleon, wie recht hat man doch, wenn man die Menschen verachtet.
Sie haben gerade bewiesen, Sire, dass Sie anders denken und handeln, meinte der Minister lächelnd. Die rührende Szene mit der knienden Fürstin wird der Welt zeigen, wie hoch Sie die Würde des Menschen zu schätzen und zu schützen wissen.
Sie sind ein Fuchs, Talleyrand, drohte der Kaiser mit dem Finger. Sie schauen zu oft hinter die Kulissen. Das ist nicht immer gut.
Schweigend verneigte sich der Minister. …
Der Kaiser ging mit hastigen Schritten auf und ab. Was Friedrich der Zweite versäumte, werde ich nachholen, erklärte er.
Ich werde aus den vielen kleinen Kronen eine große schmelzen lassen. Mein Bruder Jérôme wird diese deutsche Königskrone tragen. …
Ich bringe Eurer Majestät zwei wichtige Nachrichten, sagte der Minister. Die erste ist eine Depesche des Preußenkönigs aus Graudenz. … Die zweite Meldung besagt, dass der Prinz August Wilhelm von Preußen als Kriegsgefangener unter Bewachung im Hause ist.
Ein Hohenzoller als Kriegsgefangener! Wenn das die preußische Heldenmutter Luise hört! Über des Kaisers Gesicht ging ein jugendhaftes Lachen.
Der Prinz, hat er sich tapferer geschlagen als sein König?
Duroc antwortete unerschrocken: Man sagt, Friedrich Wilhelm III. habe sich bei Jena würdig benommen. Als Soldat hat er nicht versagt, als König kann er Eurer Majestät nicht das Wasser reichen.
Lassen Sie das, sagte der Kaiser unwillig. Was ist mit dem Prinzen?
Der Obrist von Gérard berichtet, dass jedermann seinen Heldenmut bewundert habe. Man berichtet folgendes: der Prinz hatte sich mit einem Grenadier Batallon von der Hohenloheschen Armee getrennt. Er war mit seiner Truppe längs der Uckermark marschiert und wurde ständig von unseren Dragonern verfolgt. Er hat die Angriffe mehrfach erfolgreich abgewiesen und hätte sich und seine Grenadiere in Sicherheit bringen können, wenn er mit ihnen nicht in ein Moor geraten wäre. Die Pferde versanken im Sumpf, alle Reiter – auch der Prinz – mussten absteigen und zu Fuß weiterfliehen.
So gelang es unseren Grenadieren, sie einzufangen und gefangenzunehmen.
Der Großherzog von Berg lässt Eurer Majestät dies mitteilen, weil er weiß, dass Euer Majestät die Tapferkeit auch beim Feinde zu schätzen weiß.
Man führe den Prinzen vor, sagte Napoleon hastig.
Sire, entsetzte sich Duroc, das ist unmöglich, der Prinz kommt direkt schmutzig vom Schlachtfeld.
Unwillig winkte Napoleon ab. So soll er kommen. Mir sind Soldaten, die aus dem Kampf kommen nichts Ungewohntes.
Duroc eilte davon. Nach wenigen Minuten kehrte er mit dem hohen Gefangenenen zurück.
Sire, meldete er. Der Prinz August von Preußen!
Napoleon musterte die schlanke Gestalt des Prinzen und nickte zu der militärischen Begrüßung des Preußen nur mit dem Kopf.
Der Prinz bot keinen hoffähigen Anblick…Seine Uniform war zerrissen, seine Schuhe nur noch Fetzen, der rechte Arm in einem Notverband, über die Stirn ein breites Pflaster. Doch er schämte sich seiner Aufmachung nicht, und furchtlos begegnete sein Blick den düsteren Augen Napoleons.
Gleichgültig betrachtete der Prinz die untertänig neben dem Sessel Napoleons stehenden Talleyrand und Duroc. – Was wollte man eigentlich von ihm?
Sie sind ein Bruder des Prinzen Louis-Ferdinand, der mein schärfster Gegner war, und den die Gerechtigkeit bei Saalfelden fallen ließ?
Ja, der bin ich, klang die ernste Antwort, wenn Sie den Tod eines Soldaten als Strafe der Gerechtigkeit bezeichnen, so gehen unsere Meinungen auch hier auseinander.
So spricht ein Neffe Friedrich II.!, rief Napoleon Ein Neffe des großen Politikers und Helden, der in seiner ganzen Art Franzose war.
Verzeihung Sire, unterbrach ihn der Prinz. Man kann französische Dichter und Gelehrte lieben und verehren, Friedrich der Große wusste zu unterscheiden zwischen Freunden und Feinden. Sie haben Roßbach vergessen .
Roßbach wurde von mir in Jena und Auerstädt heimgezahlt. Die Siegessäule auf diesem Schlachtfeld wurde nach Frankreich gebracht…
Sire, sagte er und blickte dem Korsen furchtlos ins Gesicht, Sire, die Göttin der Geschichte verteilt die Karten des Glücks, wie es ihr passt, Sicher wird sie auch uns einmal wieder die Trumpfkarte ausspielen lassen.
Zornig sprang Napoleon aus dem Sessel auf. Duroc und Talleyrand starrten ihn erschrocken an. Würde er den Prinzen jetzt seine Macht spüren lassen? Würde er sich vergessen?
Sie sind in der Tat der Bruder dieses Louis-Ferdinand!! schrie er den Preußen an. Genauso arrogant, so übermütig, so dummstolz. Ihr Bruder hat seinen Übermut auf dem Schlachtfeld bezahlt. Und Sie? Sie stehen abgerissen und zerlumpt vor mir. Ein Kriegsgefangener in der eigenen Hauptstadt. Hat Sie das nicht zur Vernunft gebracht? Was muss denn eigentlich noch geschehen, damit die widerwärtige Kriegshetze Ihrer Königin Luise Ihnen nicht mehr den Kopf verdreht?
Ich bitte gegen zu dürfen, fiel ihm der junge Prinz ins Wort. Sie mögen Gefallen daran finden, mich zu verspotten…, aber unsere unglückliche Königin, die dürfen Sie nicht beleidigen. Sie hat es nicht nötig gehabt, uns aufzuhetzen. Sie hat von jeher unsere Treue besessen und kann sich in diesen schweren Tagen erst recht auf uns verlassen.
Wie auf den Professor Lange, was? höhnte Napoleon schäumend vor Wut.
Sire! mahnte Talleyrand leise im Hintergrund. Doch Napoleon war außer sich.
Ja, dieser königstreue Skribent hat seine Schuld eingesehen. Er schreibt jetzt die Wahrheit über seine Königin. Material genug gibt es ja über die schöne Luise.
Sire, antwortete der Prinz darauf nur kalt. Ich bedaure, Ihnen persönlich nicht mehr auf dem Schlachtfeld begegnen zu können.
Gleich darauf wandte er sich dem Großmarschall zu und bat Duroc, ihn zu den anderen Kriegsgefangenen zurückzuführen.
Ihr Hochmut wird Sie noch mehr ins Verderben führen, junger Mann! Wenn alle jungen preußischen Offiziere so denken wie Sie, werde ich ihnen jedem einzelnen Namen wie Jena, Auerstädt und Prenzlau beibringen müssen!
Napoleon war plötzlich ruhig geworden. Vielleicht bedauerte er im Stillen, sich vor dem jungen Hohenzollern so aufgeführt zu haben. Vielleicht aber fand er seine kalte Ruhe zurück, weil ihm eine neue Idee gekommen war, den Prinzen zu demütigen.
Was sollen Ihre stolzen Worte? sagte er. Wie kommt es, dass Sie mich herausfordern und den Wunsch äußern, mir mit der Waffe in der Hand zu begegnen – zur gleichen Stunde, in der Ihr König eingesehen hat, dass er im Unrecht ist?
Sie lügen!
Napoleon überhörte die beleidigenden Worte des empörten Prinzen.
Der König von Preußen, sagte er lächelnd und wies lässig auf seinen Arbeitstisch, hat mir geschrieben und sich unterworfen. Er fleht mich an, Frieden zu machen, sucht meine Freundschaft und erklärt, er freue sich, dass ich seine Schlösser bezogen habe.
Das ist nicht wahr! schrie der Prinz auf. …
Es ist wahr! Talleyrand, reichen Sie mir das Schreiben. Oder, nein, lesen Sie es vor, sagte Napoleon. …
Während der Minister das Schreiben langsam vorlas, hielt der Kaiser seinen Blick fest auf den Prinzen gerichtet, um zu beobachten, welche Wirkung der Brief auf ihn haben würde. … Es war ihm dabei nicht entgangen, wie die Stirn des stolzen Prinzen sich verfinsterte und seine Augen plötzlich den Ausdruck tiefer Verzweiflung und Trauer annahmen.
Noch so stolz, mein Prinz, fragte er, als der Minister schwieg.
Das Wort des Königs ist über mein Urteil erhaben, Sire! antwortete Prinz August.
Aber etwas anderes scheint mir wichtig: die Königin kennt diesen Brief nicht. Sie hätte niemals zu diesem Schreiben von Herrn Haugwitz ihre Zustimmung gegeben.
Verwundert blickte Napoleon. Wieso des Herrn von Haugwitz?
Nun, es ist wohl klar, sagte der Prinz ruhig, dieser Brief stammt von ihm, der König gab nur Siegel und Unterschrift.
Ah, richtete Napoleon sich entrüstet auf, Sie wollen damit sagen, dass die Königin mir nie so schreiben würde? Sie meinen, die Königin würde den Krieg weiterführen?
Prinz August antwortete nicht.
Ihre Königin hasst mich, ich weiß es, stellte der Kaiser fest, aber ihr Hass wird immer sinnloser. Ich werde diese Frau von ihrem hohen Thron stoßen, sie wird es bereuen.
Das glaube ich nicht, sagte der Prinz, man kann nur bereuen, wenn man etwas Falsches getan hat.
Napoleon wurde wieder laut. Sie werden Ihren verdammten Stolz auch noch ablegen, mein Prinz.
Ich bin Ihr Gefangener, Sire, antwortete Prinz August, wie können Sie einem Menschen der verwundet ist, der seit Tagen kaum etwas gegessen hat, dem der Schlaf fehlt, – wie können Sie mir, dem Besiegten, falschen Stolz vorwerfen?
Nichts gegessen, nicht geschlafen, verwundet?, Prinz, ich muss mich entschuldigen, sagte Napoleon. Sie waren ein guter Soldat. Ich entlasse Sie aus der Kriegsgefangenschaft gegen Ihr Ehrenwort, dass Sie keinen Versuch zur Flucht unternehmen.
Meinen Dank, Sire, verneigte sich der Hohenzoller. Sie haben mein Wort. Es fällt mir schwer, Ihnen zu danken, weil Ihre Großzügigkeit im Grunde genommen für mich eine Strafe ist.
Eine knappe Verbeugung, dann verließ der Prinz den Raum.
Napoleon sah nachdenklich hinter ihm her. Duroc und Talleyrand schwiegen, als er plötzlich sagte: Diese Preußen. Man müsste sie zu Freunden gewinnen können.
Wenige Minuten später trat ein Offizier mit der Meldung ein, dass der kaiserliche Befehl, den Siegeswagen mit der Victoria vom Brandenburger Tor abzumontieren und nach Paris zu senden, ausgeführt worden sei.
XIX.
November in Osterode. Grau und glanzlos war der Himmel. Alles schien so hoffnungslos in dieser neuen Stadt der Zuflucht. …
Unruhig lief Luise im Zimmer auf und ab. Sie erwartete den Besuch der Minister Stein und Hardenberg, zweier Männer, denen ihr volles Vertrauen galt und von denen sie wusste, dass sie für König und Vaterland alles zu tun bereit waren.
Wenig später meldete Frau von Berg die beiden Herren an.
Mit herzlichem Lächeln begrüßte die Königin die Getreuen.
Ihre Treue tut mir gut, sagte sie ihnen. Gerade jetzt, da überall Verrat, Feigheit, Treulosigkeit herrschen. Sie wissen selbst, wie unsere Festungen gefallen sind. Gestern erhielt ich die entsetzliche Nachricht, dass auch Magdeburg verlorenging. …
Hardenbergs Gesicht war düster.
Eine schlimme Nachricht, sagte er, wie hat der König sie aufgenommen?
Seinen stillen Mut kann ich nur bewundern, antwortete Luise leise, schlimm ist nur, dass die Ratgeber des Königs, die Herren von Haugwitz, Köckeritz, Kalkreuth und wie sie alle heißen, zwar ihm gegenüber tiefe Betrübnis heucheln, im Grunde aber sehr froh über diesen Fall Magdeburgs sind. Die neue Niederlage unterstützt ihren Plan, auf alle Fälle und unter allen Bedingungen Frieden mit Frankreich zu machen.
Stein und Hardenberg sahen die Königin entsetzt an. Und der König?
Ein wenig unsicher sagte Luise: Der König wird uns nicht enttäuschen. Es wird an uns liegen, ihn vom richtigen Weg zu überzeugen.
So Gott will, wir werden alles Menschenmögliche versuchen, erwiderte der Freiherr vom Stein.
Ich rief Sie, meine Herren, erklärte die Königin, weil ich das Gefühl habe, dass der heutige Tag für unser aller Schicksal von entscheidender Bedeutung ist. Ich will Ihnen sagen, warum: Heute kommt der Großmarschall Duroc, um die Unterschrift des Königs zu einem Friedensvertrag zu holen, den gestern der Obrist von Rauch dem König bereits überbrachte. Das Entsetzliche an dem Vertrag ist, dass er von den Herren Lucchesini und von Zastrow mit Talleyrand bereits abgeschlossen und von Napoleon schon unterzeichnet wurde. – Nun soll der König unterschreiben. Wenn er es tut, sind wir Bundesgenossen und Vasallen des Franzosen. Wir müssen die Waffen niederlegen oder aber sie auf Befehl Napoleons gegen unseren bisherigen Verbündeten, Russland, richten.
Luise trat ans Fenster. Was sollen wir tun? Was können wir tun? Raten sie mir, meine Herren. Soll der König unterschreiben?
Euer Majestät wissen, dass ich niemals einem Bündnis mit Frankreich meine Zustimmung geben kann, antwortete Hardenberg. Leider kenne ich den Vertrag von Charlottenburg nicht, kann ihn also nicht beurteilen. Leider hat Seine Majestät der König mich in letzter Zeit nicht mehr an Verhandlungen und Besprechungen teilnehmen lassen.
Uns Sie? Fragend blickte Luise zum Freiherrn vom Stein, der die Schultern zuckte und gestehen musste: Auch ich kenne ihn nicht. Aber allein die Tatsache, dass Lucchesini und von Zastrow ihren Namen dazu hergaben und mit dem Fuchs der Füchse, Talleyrand, zusammengesessen haben, ist mir Beweis genug für die Unannehmbarkeit dieser Vorschläge. Menschen die schwach, feige, treulos und hinterlistig und ohne jeden Ehrbegriff sind, können nur einen Friedensvertrag gutheißen, der Napoleon alle Möglichkeiten bietet, uns aber nur neue Demütigungen und Entwürdigungen bringt.
Wir müssen wissen, was in dem Vertrag steht, stellte Luise sachlich fest, fuhr aber dann erschrocken zusammen, als hinter ihr eine ernste Stimme sagte: Ich kann Ihnen alles sagen, was dieser Friedensvertrag enthält.
Der König, flüsterte Luise und eilte ihrem unvermutet eingetretenen Gatten entgegen.
Finde geheime Sitzungen ganz interessant, sagte Friedrich Wilhelm lächelnd und begrüßte seine Frau herzlich. Luise errötete, weil sie einen Vorwurf herauszuhören glaubte.
Wollte Dich wieder einmal sehen, sagte der König…, muss es loben, dass Du den Rat derer suchst, deren Treue und Ergebenheit Du sicher sein kannst! …
Ich wollte Sie wegen dieses Charlottenburger Vertrages sprechen, Herr Minister vom Stein. Sie sollten an der Beratung teilnehmen, deshalb ließ ich Sie kommen.
Es freut mich, wandte sich der König an Hardenberg, dass auch Sie in diesen schweren Stunden zur Stelle sind und es mir nicht nachtragen, wenn ich durch die Verhältnisse gezwungen war, Ihnen Unrecht zu tun.
Graf Hardenberg verneigte sich. Ein frohes Lächeln glitt über sein sonst so ernstes Gesicht.
Euer Majestät werden mich immer da finden, wo Preußen steht.
Der König nickte ihm zu. Ist mir bekannt, lieber Graf. Sie handeln nicht aus Eigennutz. Sie brauchen keine Beamtenstellung, sind reich genug. Reicher vielleicht, als Ihr König.
Majestät! bat Hardenberg und sah in das stille, ernste Gesicht seines Monarchen. Ihre Worte erfüllen mich mit Dank.
Nicht nötig, wehrte der König ab. Muss manchmal sagen, was ich denke. Freue mich, Sie und Stein hier zu treffen. Nehme an, dass meine Gegenwart bei dieser Geheimsitzung nicht gerade unerwünscht ist.
Mit leuchtenden Augen betrachtete Luise ihren Mann, stolz wandte sie sich an die beiden Minister: Sie hören, der König nimmt teil an unserem Gespräch. Von ihm werden wir jetzt erfahren, welche Bedingungen der Friedensvertrag enthält.
Sie sind hier als Gäste meiner Frau, das heißt, als gute Freunde des Hauses. Will Ihnen darum keinen Vortrag halten, sondern bitte Sie, sich ohne Förmlichkeit und Etikette zu setzen.
Er selbst nahm neben Luise auf dem Diwan Platz. Ohne große Umschweife gab er Napoleons Bedingungen bekannt.
Der Kaiser fordert das gesamte linksrheinische Ufer, ferner die Übergabe der Festungen Kolberg, Hameln, Nienburg, Glogau und Breslau. Er verlangt die Räumung Schlesiens, … und befiehlt, dass alle preußischen Truppen sich nach Königsberg und dessen Hinterland zurückziehen. …Wenn dies alles pünktlich geschehen ist, so ist er zu einem zehntägigen Waffenstillstand bereit, der von beiden Parteien nach Beendigung wieder die Möglichkeit neuer Feindseligkeiten offen lässt.
Mit steinernen Gesichtern hatten Hardenberg und vom Stein zugehört: Luise sprang voller Empörung auf.
Und was bietet er uns für die Erfüllung dieser unverschämten Forderungen?
Napoleon bietet uns die Aussicht, bald gegen Russland marschieren zu dürfen. Er ist der Ansicht, dass die von der Türkei an Russland abgetretenen Gebiete durch Preußens Verschulden verlorengingen. In Talleyrands Zusatzschrift heißt es wörtlich: Solange der Sultan in diesen Provinzen nicht die ihm rechtskräftig zustehende Souveränität wiedererlangt hat, wird der französische Kaiser kein Land freigeben, das er durch das Schicksal des Krieges gewonnen hat oder noch erobern wird.
Luise hatte sich wieder gesetzt. Ihr Zorn war in ohnmächtige Wut umgeschlagen. Gelassen klang ihre Stimme, aber jeder spürte die ungeheure Überwindung, mit der sie sich zur Ruhe zwang.
Wenn wir also Frieden schließen, sagte sie, dann nur, um dem Zaren die Treue zu brechen und gegen Russland in den Krieg einzutreten. So ist es doch wohl?
Ja, antwortete der König nüchtern, So ist es. Außerdem hat Talleyrand unserem Gesandten ein Dekret Napoleons mitgeteilt, das jeglichen Handel und Briefverkehr mit Großbritannien verbietet. Jeder Engländer soll in Zukunft als Kriegsgefangener betrachtet werden.
Der König trat ans Fenster und sagte: Jetzt wissen Sie Bescheid. So ist die Lage. Nun weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich bin am Ende meiner Weisheit. Ob Sie wohl einen Ausweg kennen?
Luise blickte auf ihren traurigen und niedergeschlagenen Mannn, dann sagte sie:
Sie haben es selbst gehört, meine Herren, der König wünscht Ihre Meinung zu hören. Bitte sagen Sie, was Sie zu sagen haben.
Hardenberg ergriff als erster das Wort. Niemand in der Welt wirdsagen können, daß dieser Krieg durch Preußens Schuld entstand. Jeder weiß, wie sehr der König sich gegen jede kriegerische Maßnahme wehrte und wie viele Male ihm Unrecht geschehen musste, bis er, dem Gebot der Ehre folgend, zum Schwert griff. Das Schicksal hat gegen Preußen entschieden, wir wurden besiegt. … Napoleon war in allen Bedingungen hart, er erkannte nicht einmal die große Friedensliebe unseres Königs an, … Napoleon verlor jeden Maßstab, dieser Entwurf beweist es erneut. Man will Preußen demütigen und zum Treuebruch gegenüber Russland zwingen. Wenn ich nach meiner Meinung gefragt werde: Es gibt keinen Frieden mit diesem Frankreich Napoleons.
Und Sie?, wandte sich Luise an Stein.
Ich bin nicht so ruhig und ausgeglichen wie Herr von Hardenberg. Vielleicht bin ich noch zu jung dazu, aber ich kann es nur immer wieder hinausschreien: Dieser Vertrag ist ehrlos, schmachvoll und entwürdigend. Wenn ich an Stelle von Lucchesini und Zastrow gewesen wäre, ich hätte nicht unterschrieben. Mag sein, dass diese Männer zu retten versuchten, was zu retten ist. Aber sie vergaßen, dass Napoleon jeden Vertrag nur als einen Fetzen Papier betrachtet, wenn er ihn nicht mehr braucht. Wir wissen, dass er die Polen zum Aufstand aufgewiegelt hat, um uns ohne militärische Maßnahmen neuen Schaden zuzufügen. Seine Forderung, den Zaren zu zwingen, seine Truppen zurückzuziehen und auch den gerechten Ansprüchen an die Türken zu entsagen, ist illusorisch. Der Zar wird sich niemals zwingen lassen. Am allerwenigsten von uns, seinem preußischen Bundesgenossen. Der Friedensvertrag würde uns mit Russland verfeinden und auch England auf den Plan rufen. Niemals darf dieser Vertrag angenommen werden. Ehre und Klugheit verbieten es.
Minister vom Stein verneigte sich vor der Königin.
Der König blickt zu Luise: Nun bist Du an der Reihe. Die Meinung Deiner Ratgeber kenne und achte ich.
Jeder dieser Männer ist eine Festung wert, erklärte die Königin, ihre Worte sind auch die meinen. Lieber möchte ich sterben, als dass wir einen Treuebruch begehen und ehrlos werden. Liebe mit einem Schild untergehen, als mit dem Teufel einen Pakt zu schließen und die Seele zu verkaufen.
Über das müde Gesicht des Königs glitt ein Schein des Unwillens. Wenn Worte Schwerter wären, könnten wir siegen, sagte er bitter. Wie kann ich meine Ehre verteidigen, wenn ich keine Soldaten, keine Armee besitze .
Er erhob sich von seinem Sitz und sagte: Ich muss Ihnen danken, Sie meinen es gut und ehrlich mit Preußen, aber helfen konnten auch Sie mir nicht.
Damit verließ er nach kurzem Gruß den Raum. Es ist gleich vier Uhr, sagte vom Stein, in wenigen Minuten beginnt die Konferenz der Minister und Generäle.
Als Luise allein im Zimmer war, hob sie Hände und Blicke zum Himmel. O Gott, flüsterte sie, leite die Entschlüsse des Königs, hilf ihm, bei seiner schweren Entscheidung.
Still setzte sie sich an das geöffnete Klavier und spielte den Choral Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn alle Zeit…
Eine Stunde war etwa vergangen, als der König aus der Ministerkonferenz zurückkehrte. Mit fragendem Blick sah ihm Luise entgegen.
Wir waren im ganzen zwölf, berichtete Friedrich Wilhelm, von Haugwitz, Prinz Wilhelm, die Minister, Generäle und Kabinettsräte. Sieben haben für die Annahme der Bedingungen gesprochen, vier dagegen. Die Majorität war also für Annahme.
In Luises Augen stand Erschrecken. Und wie hat mein Gatte, der König, entschieden? Sein Wort ist doch das wichtigste.
Dein Gatte hat gegen die Majorität entschieden.
Beglücktes Aufatmen dankte ihm. Gott hat meine Bitte erhört, sagte Luise, wir werden keinen Frieden mit dem Tyrannen machen…
Um des Königs Lippen war ein schmerzlicher Zug. Ja, wir werden den Charlottenburger Vertag ablehnen. wiederholte er, wir werden weiterkämpfen. Aber unsere Aussichten sind gering. Es ist möglich, dass wir unterliegen.
Es ist besser, unter den Trümmern des Thrones begraben zu werden, als mit dem Schandmal des Verrats und Treuebruchs zu leben, erklärte Luise. Was immer auch geschieht, ich will es mit Dir tragen. Selbst wenn wir Land und Krone verlieren, ich werde immer neben Dir bleiben!
Wie segnend legte er seine Hand auf ihr Haupt, und drückte seiner Frau einen Kuss auf die Stirn.
Vielen Dank, mein Herz. Nun will ich gehen und Herrn Duroc empfangen. Ich will ihm meinen Entschluss mitteilen.
Als er schon in der Tür stand, drehte er sich noch einmal um: Übrigens hat Graf Hauwitz aus Gesundheitsgründen um seinen Abschied gebeten. Ich habe ihn bewilligt. Als neuen Minister des Auswärtigen werde ich den Freiherrn vom Stein berufen. …
Gleich nachdem Friedrich Wilhelm dem Großmarschall Napoleons erklärt hatte, dass er den Charlottenburger Vertrag ablehne, bot er dem Freiherrn vom Stein das Ministerium des Auswärtigen an. Doch vom Stein sagte, er fühle sich der Aufgabe nicht gewachsen und lehnte die Berufung zum Minister ab. …
Schwarze Tage, traurige Tage folgten. Die Stimmung des Königs wurde zunehmend niedergedrückter. Sosehr sich Luise auch bemühte, ihrem Mann die Sorgen tragen zu helfen, so sehr spürte Friedrich Wilhelm, dass sie ihm nicht mehr in allen Dingen folgte, ja sogar manchmal an ihm zweifelte. …
Hätte nicht der Glaube an Gott Ihr Kraft gegeben, die Königin wäre längst zusammengebrochen. Es ist eine Prüfungszeit, schrieb sie ihrem Vater, aber der gerechte Gott wird bessere Tage schaffen.
Doch das Schicksal ließ sich durch Gebete nicht aufhalten, das Schicksal war böse und unerbittlich. Aus Königsberg kam die Nachricht von der Erkrankung der Kinder, des Prinzen Kart und der Prinzessin Alexandrine.
Wieder hieß es, die Reisekutsche besteigen, tagelang über holprige Strassen…
XX.
Durch die Straßen von Königsberg tobte der Dezembersturm…
Hufeland wachte bei der Königin, die ein schweres Nervenfieber niedergeworfen hatte. Unbeweglich und mit glühenden Wangen lag sie im Bett. … Der Leibarzt saß gebeugt auf dem Stuhl neben dem Bett, erfüllt mit banger Sorge um den Menschen und die Königin Luise. Als sorgende Mutter war sie zu ihren Kindern gereist, hatte Tag und Nacht bei ihnen gewacht und sie gesund gepflegt. Und dann war sie selbst erkrankt, gerade jetzt, wo Preußen ihre Stimme und ihr Herz brauchte.
Manchmal hat der König neben ihr gesessen, aber nur selten hat sie ihn erkannt und ihm zugelächelt. …
Und dann kam die Alarmmeldung: Die Franzosen nähern sich Königsberg. …
Nimm mich mit, bat Luise. Lieber will ich sterben, als in die Hände des Feindes fallen.
Besorgt sah der König seinen Leibarzt an, doch der nickte ihm zu. Unser Schicksal liegt in Gottes Hand, sagte er leise.
Es wird für die Königin besser sein, wenn Sie mit Ihnen reist, Majestät, Sie wird ruhiger sein und eher gesunden.
Gut, bestimmte Friedrich Wilhelm, wir fahren morgen sofort nach Sonnenaufgang. – Danke, lieber Fritz, flüsterte sie.
Hufeland sah sah ihm nach, und dachte mit Schrecken daran, was geschehen würde, wenn dieser einsame Mann auch noch das Liebste verlieren würde. …
Im Morgengrauen des nächsten Tages rollten wieder die Räder knirschend durch den Schnee. Luise lag in Decken gehüllt im Fond der Kutsche, der König saß neben ihr. In spätestens drei Tagen werden wir in Memel sein, tröstete er ein wenig unbeholfen.
Memel – dorthin also ging die Fahrt. Memel, vor fünf Jahren war sie dort dem Zaren begegnet. Schöne Erinnerungen tauchten in den Gedanken der Fiebernden auf…
Nur wenig Rast. Schneller, immer schneller ging die Flucht. Es folgte eine furchtbare Fahrt in die Nacht, eine Nacht des Grauens…
Selbst dem kräftigen Prinzenerzieher, Herrn Dellbrück, ging sie an die Nerven. In seinem Tagebuch vermerkt er:
Schmaler Erdstrich zwischen dem Haff und Ostsee. Letztere wurde unruhiger und unruhiger, die Nacht senkte sich. Das Toben und Brausen des Meeres, das Heulen des Sturmwindes, das Rasseln der Schlosser, die Finsternis des Himmels, welche den grauenvollen Aufruhr der Natur nur dem Ohre vernehmbar machte, und die langsame Bewegung der Wagen, langsam wie ein Leichenzug – welch ein fürchterliches Bild unserer gesamten Lage.
Drei Tage dauerte diese Folter, dann endlich war Memel erreicht.
Das Königspaar wohnte wieder im gleichen Haus… Fünf Jahre war das erst her…
Die Krankheit war gottlob nicht wiedergekommen, doch die Gesundheit ließ auf sich warten. …
Luises Gedanken wanderten viele Wege zurück. … Nur selten kamen Nachrichten aus Berlin, sie brachten nie Erfreuliches. Die Eroberer behandelten Land und Volk nach dem Recht des Stärkeren, die Sieger wurden zu Räubern. Aus den Schlössern in Berlin und Potsdam hatte man den Degen, die Uhr und andere Erinnerungen an den Großen Friedrich … und vom Brandenburger Tor die Victoria gestohlen und nach Paris gebracht. Besatzungskosten von fast unerschwinglicher Höhe waren den Staats- und Gemeindeverbänden auferlegt worden.
Lange hatte Luise nichts mehr vom Schicksal ihres Vaters gehört. Im November 1806 hatte sie erfahren, dass er sich auf sein Landgut Hohenzieritz zurückgezogen hatte, um dort abzuwarten, ob er aus dem Lande gejagt würde. Doch die Großmutter, Landgräfin In Darmstadt, hatte ihre Beziehungen spielen lassen, und erreicht, dass man das Land ihres Schwiegersohnes unter besonderen Schutz stellte…
Aus Memel schrieb Luise viele Briefe…
So schrieb sie an ihren Bruder: Memel, 6. April 1807, …Ich bin wieder hergestellt, aber noch ein wenig schwach und empfindlich… Draußen Eis und Schnee, kein Veilchen, doch es grünt in meinem Herzen, und meine Zuversicht zu Gott stirbt nicht…
Memel, 17. Juli 1807: …Glaube an uns, denn wir glauben an Gott und die Tugend. In ihr lebt und fühlt der edle Mensch, und so erhält er sich Friede in seiner Brust, wenn des Schicksals Stürme über ihm krachen, wenn Königreiche untergehen, wenn das Laster siegt. … Lieber Georg, wie ruhig ist es in mir! Der König tut seine Pflicht, er erhält die Ehre der Nation – die Nation ehrt ihn. Gibt es etwas Größeres im Unglück? Adieu! Ich küsse der guten Großmama die Hände, die mich segnen, die mich die Tugend lieben lehrte. Gott segne sie dafür! …
Doch immer noch hoffte Luise auf eine baldige Schicksalswendung. Noch hatte sie den furchtbaren Sturz des preußischen Staates nicht voll erfasst. Wie ein Sturmlied der Vernichtung war ihr die Flucht über die Kurische Nehrung gewesen und in den langen Nächten überfiel sie öfter die Angst. Doch immer wieder befahl sie ihre Seele dem Allmächtigen an, und jede schwere Stunde empfand sie als eine von Ihm auferlegte Prüfung, die sie zu tragen bereit war…
Einmal müssen diese Prüfungen durch das Schicksal vorübergehen, sagte sie zu Hufeland. …
Die Nachrichten aus Berlin unterrichteten die Königin zum ersten Male über die von der französischen Propaganda und ihren Helfershelfern ausgestreuten Verleumdungen. Diese wären allerdings kaum bis zur Königin vorgedrungen, wenn nicht der zur Haugwitz-Lombard-Gruppe gehörende Herr von Zastrow über seine Nichte, die Komtesse Truchsess, die Vorleserin der Königin war, diese böswilligen Berichte mit voller Absicht an Luise hatte gelangen lassen. Er hatte mit dem General Köckeritz abgesprochen, die vom Berliner Telegraf gebrachten Anschuldigungen gegen die Königin, die angebliche Liebschaft mit dem Zaren, in vorsichtiger Form servieren zu lassen, um zu erreichen, dass Luise alles tun würde, um sich nunmehr deutlich vom Zaren zu distanzieren.
Welchen Zweck soll das haben?, war Zastrows Frage an Köckeritz.
Wenn der König und die Königin die Ehre der Familie vor solchen Verdächtigungen schützen wollen, müssen sie sich vom Zaren mehr abschließen und werden wohl für das neue Friedenangebot Napoleons aufgeschlossener sein.
Mögen Sie Recht haben, lieber Köckeritz, ich werde mein Bestes tun.
Und so war es gekommen, dass Komtesse Truchsess als Werkzeug der beiden politischen Dilettanten und Intriganten der Königin von Verdächtigungen und Verleumdungen berichtete und ihr Broschüren und Zeitungen in die Hände spielte, die einer noch nicht ganz gesunden Frau schweres neues Leid bringen mussten.
Beim nächsten Vorlesen richtete es die Komtesse so ein, dass die Königin bemerken musste, was sie da verstecke…
Was verstecken Sie da, fragte Luise. Oh, nichts besonderes, Majestät. – Und warum soll ich das nicht sehen, worauf die Komtesse antwortete: Ich wollte Ihnen nur Arges ersparen! Dann aber reichte sie der Königin die Schriften und Zeitungen mit den Worten: Vielleicht hätte ich sie ganz verschweigen sollen. Euer Majestät werden sich furchtbar erregen, wenn Sie diese Verleumdungen lesen. Ich hoffe, dass diese Lügen der unwürdigen Blätter an Ihrer reinen Gesinnung wirkungslos abprallen.
Was soll das? erwiderte Luise unwillig, wer kann mir etwas Böses nachsagen?
Sie griff zuerst nach den Zeitungen. Oh, der Telegraf, sagte sie. Diese Zeitung ist mir treu. Professor Lange gehört zu den Besten, die wir in Berlin zurücklassen mussten.
Doch plötzlich überzog Blässe ihr Gesicht. Sie las einen Beitrag, der die Überschrift trug:
Freimütige Darlegung, weshalb die Königin ihren Gemahl wider seinen Willen zwang, eine Allianz mit Russland einzugehen und mit dem schönen Alexander ein Liebesbündnis schloss.
Wörtlich stand zu lesen: Die Königin Luise war es, welche das Bündnis mit Russland wollte, weil ihr Herz einen Bund mit dem schönen Kaiser geschlossen und am Grabe Friedrich des Großen gab sie sich in Gegenwart ihres Gemahls mit dem schönen Freund ihres Herzens ein letztes Rendezvous, dort erhielt das Herzensbündnis sein Siegel aufgedrückt durch den glühenden Kuss, den Alexander auf Luises brennende Lippen presste!
Fassungslos starrte die Königin auf die Zeilen. – Der Komtesse wurde himmelangst, und nun fragte sie sich, ob sie richtig getan hatte.
Welch eine Schmähung! rief Luise empört aus. Will man mir auch noch die Ehre nehmen?
Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich. Vergeblich versuchte die Komtesse sie zu trösten. … Da sagte Luise zu ihr: Was steht in den anderen Blättern?
Majestät, ich bitte…, wollte sie sich der unangenehmen Aufgabe entziehen.
Lesen Sie, befahl Luise, ich will alles wissen.
So blieb der Komtesse von Truchsess kein Ausweg. Sie las Artikel für Artikel vor. Alle brachten dieselben Anklagen und Verleumdungen… In allen Beiträgen hieß es, die Königin bestände auf einem Bündnis mit Russland, während der König durchaus bereit wäre, sich mit Frankreich zu verständigen. Und nur, weil die schöne Luise die Hosen an hätte, und vor allem, weil sie den schönen Alexander liebe, würde das Land immer tiefer ins Unglück gestürzt werden. Immer wieder tauchte das Wort vom zärtlichen Verhältnis mit dem Zaren auf.
Aufatmend legte die Komtesse das letzte Blatt aus der Hand. Ihr war unheimlich zumute, jeden Augenblick hatte sie erwartet, dass die kranke Königin in Ohnmacht fallen würde. Gottlob, es war nicht geschehen.
Das ist sein Werk, sagte sie, der Korse weiß, dass den König und mich nichts tiefer treffen kann. Nur ein Teufel kann solche schändlichen Lügen verbreiten.
Sie fand langsam wieder die Fassung, raffte die Broschüren und Zeitungen zusammen und schritt schnurstracks in das Büro des Königs. Dieser war erschrocken: Was ist geschehen? Warum hast Du geweint?
Luise reichte ihm wortlos den Packen Schmähschriften. Bitte lies das. Lies es, und sage mir, ob Du mir vertraust!
Der König warf nur einen flüchtigen Blick auf die Blätter. Ohne weitere Worte zog er dann die Schublade seines Schreibtisches auf und holte einen weiteren Packen Zeitungen hervor.
Sie liegen schon seit Tagen bei mir, sagte er, stand auf und küsste Luise auf die Stirn.
Ich wollte Dir diese Aufregung ersparen. Wer war so mitleidlos, Dir die Pamphlete zu geben? …
Äß
Kurze Zeit später erschien Minister von Zastrow mit dem französischen General Bertrand, der im Auftrag Napoleons einen versiegelten Brief überreichte.
Was hat Ihr Kaiser mir durch Sie zu sagen? fragte der König General Bettrand.
Seine Majestät der Kaiser wünscht, dass Sie wieder in Ihre Staaten zurückkehren.
Ja, als ein Vasall Napoleons?, fragte Friedrich Wilhelm.
Hat Ihr Kaiser die Bedingungen von Charlottenburg zu den Akten gelegt? … Deswegen kann ich auch Ihr heutiges Angebot nicht annehmen … Sie als Soldat werden es verstehen, dass ich als ein Nachfolger des Großen Friedrich keinen Frieden der Schmach annehmen kann.
Mit starrem Gesicht hörte Bertrand die Worte des Preußenkönigs.
Sire, antwortete er noch kurz, bedenken Sie, welch grimmigen Feind Sie sich mit dieser Ablehnung schaffen. Napoleon wird ein feindliches Preußen restlos vernichten. Wie wollen Sie ihm widerstehen? Schon jetzt sind die meisten Provinzen in unserer Hand, und fast alle Festungen haben sich ergeben…
Ihr Kaiser verlangt Unmögliches von mir, entgegnete der König. Der Zar ist mein Bundesgenosse und Freund. Ich habe ihm Treue geschworen, wie könnte ich dies brechen? Und sagen Sie Ihrem Kaiser, auch üble Verleumdungen können meine Auffassung von Treue und Ehre nicht ändern.
Mit einer ehrerbietigen Verbeugung verließ der General das Zimmer…
Der Minister von Zastrow war noch geblieben, und der König rief seine Luise. Dann sagte er zu von Zastrow: Sie sind für den Charlottenburger Vertrag, das ist Ihr gutes Recht. Respektiere das, aber ich bin sehr gegen Intrigen!
Empört wollte sich der Minister verteidigen…
Unnötig, lieber General und Minister, winkte der König ab. Sie haben versucht, über Ihre Nichte, die Komtesse von Truchsess, mit Zeitungsartikeln die Königin zu beeinflussen, gegen den Zaren Stellung zu nehmen. Sie haben das Ehrgefühl einer verletzten Frau benutzen wollen, um politisch querzutreiben. Ist das vielleicht keine Intrige?
Majestät, rief der Minister entsetzt, Ich tat es um der guten Sache willen. Ich bitte Sie auch jetzt noch inständig, den Vorschlag Napoleons anzunehmen.
Sie kennen meine Ansicht, entgegnete der König kurz.
Ohne ein Wort über Vergangenes zu sagen, wandte auch Luise sich an den General:
Wissen Sie nicht, dass des Zaren Truppen immer näher herankommen? Dass der Zar selbst auf dem Weg nach Memel ist. Er hält uns die Treue.
Hoffentlich!
Sie glauben nicht an die Freundschaft des Zaren? ereiferte sich Luise.
Freundschaft? sagte der Minister leise. Möge ein gütiges Schicksal Euer Majestät vor neuen großen Enttäuschungen bewahren. Eines aber glaube ich Ihnen sagen zu müssen, Majestät: In der Politik gibt es keine Freundschaften, sondern nur Realitäten und zweckmäßige Überlegungen. Alles andere gehört in die Kiste der Romantik und Phantasie. …
Zum Ende des Gesprächs bat von Zastrow um seine Entlassung. An seiner Stelle übernahm Graf Hardenberg das Ministerium für Verteidigung…
Die Königin war weiterhin davon überzeugt, dass Preußen nur im Bündnis mit Russland seine Zukunft sehen konnte.
Das neue Treffen mit Zar Alexander in Memel verstärkte ihr Vertrauen.
In einem Brief an ihre Schwester schrieb sie:
Du kannst Dir wohl vorstellen, was der König und ich bei dem Wiedersehen eines solchen Freundes empfinden mussten. Unser Retter, unsere Hoffnung, unsere Stütze. Er selbst war auch bewegt. Er sagte, er tue nur seine Pflicht.
Gemeinsames Vorgehen gegen Napoleon, kein Sonderfriede, so gelobten sich die Monarchen erneut.
An ihren Vater schrieb Luise: Die gute Jahreszeit, der Patriotismus, der sich mit der erwachenden der Natur in jedes Preußen Herz wieder einfindet, die Sendung des vortrefflichen Blücher nach Pommern, alle diese Reservebataillone, die teils schon gut gefochten haben, all dies belebt mit neuen Hoffnungen.
Zar Alexander hatte es verstanden, die Unruhe von Luise zu nehmen. Auch war ihm gelungen, den nüchtern denkenden König mit neuer Zuversicht zu erfüllen. …
Bei einer Truppenparade sagte der Zar zum König: Nicht wahr, keiner fällt von uns allein? Entweder beide zusammen, oder keiner von beiden.
Es waren Tage voller Hoffnung…, aber, es waren Tage trügerischer Hoffnungen.
Schon kurze Zeit darauf brachte ein Meldereiter die Nachricht, dass Danzig gefallen war.
Was soll nur aus uns werden, stöhnte die Königin verzagt. Wir müssen doch an den Sieg glauben, dürfen den Glauben niemals verlieren.
Noch eine Hiobsbotschaft: Die russisch-preußische Armee war bei Friedland vernichtend geschlagen worden.
Wir sind verloren! klagte man in der Umgebung des Königs.
Nun ergriff auch den König die Panik, und er wusste nicht mehr ein noch aus. …
Luise schrieb in einem Brief an ihren Vater: Glauben Sie nicht, lieber Vater, dass Kleinmut mein Haupt beugt. Zwei Trostgründe habe ich, der erste ist der Gedanke, wir sind kein Spiel des Schicksals, sondern stehen in Gottes Hand; der zweite, wir gehen in Ehren unter. Preußen will nicht freiwillig Sklavenketten tragen…
Wenig später kam ein Tag, der das Herz der Königin Luise zutiefst verwundete.
Mitte Juni kam die Greise Oberhofmeisterin Voss, um Luise zum von Hufeland dringend empfohlenen Spaziergang abzuholen. Als sie Luise Zimmer betrat, fand sie diese bewusstlos auf dem Diwan liegen. Zusammengebrochen, lag Luise wie eine Tote dort. Nur langsam war die Königin wieder zu sich gekommen, sprach aber kein Wort.
Hufeland meinte, sie muss etwas sehr schmerzliches erfahren haben. …
Alexander, der Freund, hatte seinen Schwur gebrochen und sich mit Napoleon in Tilsit getroffen. Dort hatten sie einen Separatfrieden geschlossen… Als sie sich zum ersten Male auf einem Schiff begegneten, sahen sie sich kurz prüfend an, doch dann lächelten beide, gingen aufeinander zu und umarmten Schlange. Von beiden Ufern erklangen Jubelrufe, auch die Nationalhymnen wurden gespielt. …
Warum bekriegen wir uns? begann Napoleon das Gespräch… Es war ein Irrtum Ihrer Großmut, den Bund mit Preußen und England als für Russland vorteilhaft anzusehen. Es ist ein Irrtum, undankbare und eifersüchtige Nachbarn, wie die Deutschen es sind, unterstützen zu wollen. …
Napoleon verstand es, den Zaren für sich zu gewinnen. Alexander war geblendet von der Gewalt seiner Sprache, von den leuchtenden Zielen, die Napoleon der gemeinsamen Zukunft aufzeigte. Der Schwur von Potsdam war vergessen…, er hatte sogar vergessen, dass draußen am Ufer und im Regen Friedrich Wilhelm stand und wartete, dass der Zar ihm eine Begegnung mit Napoleon vermitteln würde.
Nie hätte sich der König so erniedrigt, wenn nicht der Zar ihn im Namen der Freundschaft gebeten hätte, alles zu versuchen, um den Frieden zu erhalten.
Kurz vor dem Auseinandergehen sagte der Zar seinem neuen Freund Napoleon, dass sich der preußische König in seinem Hauptquartier befinde und bereit wäre, mit dem Kaiser der Franzosen zu sprechen.
Ich will nichts mit ihm zu tun haben, lehnte Napoleon ab, er kann mir weder nützen noch schaden. Seine Rolle in der Geschichte ist ausgespielt. Er mag sich bei seiner kriegslustigen Luise dafür bedanken.
Da hörte Alexander sich plötzlich sagen: Die Königin ist charmant. Sie würde auch Euer Majestät gefallen. Sie würden mich verstehen, wenn Sie die Königin einmal sehen würden…
Das ist möglich, gab Napoleon zu und erinnerte sich an das eindrucksvolle Gemälde in Potsdam.
Zum Abschied bat der Zar nochmals, doch den Preußenkönig zu empfangen…
Werde ich tun, aber sein Land gehört mir, antwortete Napoleon. …
Am nächsten Tage betrat der preußische König das Schiff. Unfreundlich, nahezu feindselig, empfing der Sieger den Besiegten. Friedrich Wilhelm aber ließ sich von seiner Art nicht imponieren. Er sah es als seine Pflicht gegenüber seinem Volke an, mit Napoleon zu verhandeln. An Luise schrieb er: Ich habe ihn gesehen, ich habe mit diesem von der Hölle ausgespienen Ungeheuer gesprochen. Sein Benehmen macht keinen Eindruck. Es hat etwas Gemeines in seiner Haltung.
Luise erfuhr später die harten Bedingungen, die der hasserfüllte Feind diktiert hatte. Es traf sie tief, auch dass Hardenberg abgesetzt werden sollte.
Täglich ritten Kuriere zwischen Memel und Piktuzönen hin und her, zwischen König und Königin war ein reger Austausch. Friedrich Wilhelm war es auch, der Luises Enttäuschung über das Verhalten Alexanders auf eine vernünftige Grundlage führte. …
Tag um Tag verging. Die Verhandlungen zogen sich hin. Napoleon schien mit seinen Partnern geschickt zu spielen. Beim Zaren tat er es mit Charme, den König demütigte er bei jeder Gelegenheit. … Friedrich Wilhelm war verzweifelt, und Luise wurde immer trauriger. Ihre Gesundheit war wieder in Gefahr. In großer Besorgnis musste Dr. Hufeland seine hohe Patientin vor Überanstrengung und Aufregung warnen. Aber er wusste, wie wenig er es verhindern konnte. Es war für ihn nahezu ein göttliches Wunder, dass die Königin in ihrer durch Krankheit und Seelennot überanstrengten Struktur die gefährlichen Tage der Flucht überstanden hatte. Nur ein mutiges, geduldiges Herz konnte so widerstandsfähig sein, nur ein unerschütterlicher Glaube an das Gute konnte ihr immer wieder neue Kraft geben. Jetzt aber, nach des Zaren Bekenntnis zu Napoleon schien alle Hoffnung gestorben zu sein. … In ihr festigte sich die Gewissheit, dass nunmehr Preußens schwerste Stunde gekommen war.
Mein Leben gebe ich hin, gestand Luise der Gräfin Voss, wenn ich unser Land dadurch retten könnte.
Sie ahnte nicht, wie schnell das Schicksal von ihr den Wahrheitsbeweis dieser Worte verlangen würde.
Jeder Tag in Tilsit war für Preußens König eine Demütigung, die er nur auf sich nahm, um Napoleon nicht unnötig zu erzürnen und mit ihm günstigere Friedensbedingungen für das geschlagene Land auszuhandeln.Zar Alexander bemühte sich aufrichtig, auszugleichen und zu vermitteln.
Wieder einmal saßen die drei Monarchen beim Mittagsmahl zusammen und plauderten dahin… Da sagte Napoleon: Lassen Sie uns trinken, erheben wir unsere Gläser auf das Wohl der schönen Königin Luise, auf ihre Gesundheit!
Friedrich Wilhelm spürte den leichten Zynismus des Korsen, er verzog jedoch keine Miene, sondern nahm die Worte des Gastgebers als selbstverständliches Kompliment hin.
Ein heißer Sommertag lag über Memel. Die Königin frühstückte im Freien, denn seit neues Leben unter ihrem Herzen wuchs, hat Dr. Hufeland ihr viel frische Luft verordnet. Die heutige Post enthielt die Nachricht des Königs, sie möchte nach Tilsit kommen, um zu versuchen, mit Napoleon bessere Bedingungen für Preußen auszuhandeln. Zuerst war Luise sehr erschrocken, ja fast erbost, doch langsam beruhigte sie sich. Sie erkannte ihre Bestimmung, dass sie dieser Begegnung mit Napoleon nicht aus dem Weg gehen konnte. Auch hatte sich der persönliche Groll etwas gelegt, da sie einsah, dass auch er ein Ausdruck seiner Zeit war, dass er alles einsetzte, um was zum Erfolg führte. Außerdem bat der König herzlich darum, auch, weil es ihre Pflicht sei, dem Volk zu dienen.
Das Schicksal Preußens stand auf dem Spiel. Friedrich Wilhelm schrieb ihr:
…die Augenblicke sind kostbar, und was für das Gute geschehen kann, muß schnell geschehen. Wappne Dich mit Mut, vergiss Vergangenes, denke an die jetzige Zwangslage in der Preußen sich befindet, nachdem Russland seinen Entschluss gefasst hat.
Luise vergaß alles Persönliche und stellte das Staatswohl über ihre Frauenehre. Als sie die Kutsche bestieg sagte sie zur Gräfin Voss, die sie begleitete: Eine schwache, kranke Frau soll erreichen, was den Geschützen und schlauen Diplomaten nicht gelang. Soweit ist es mit uns gekommen!
Am 6 Juli 1807 traf Luise in Tilsit ein… schon eine Stunde nach ihrer Ankunft ließ der Kaiser sich durch einen Abgesandten anmelden. Kurz darauf besuchte er sie, begleitet von Talleyrand. Luise trat dem Kaiser in einem weißen, reich mit Silber besticktem Kreppkleich entgegen, das Napoleon durch seine schlichte Linie und elegante Form gefiel.
Er küsste der Königin die Hand und sagte anerkennend: Ein zauberhaftes Kleid, ist es Krepp oder italienische Gaze?
Verwundert blickte die Königin auf. War das der Mann, vor dem die Welt zitterte?
Sollen wir in einem so wichtigen Augenblick von so unbedeutenden Dingen sprechen? fragte sie zurück.
Napoleon wusste im gleichen Augenblick, dass er einer Frau gegenüberstand, die in jeder Gebärde, in jedem Wort eine Königin war. In Gedanken verglich er sie mit Josefine, und in ihm wallte es auf, denn das Bild der französischen Kaiserin konnte nicht neben dem der preußischen Königin bestehen. Er wurde ein wenig unsicher, und Luise empfand es und fragte, ob das Klima Norddeutschlands denn seiner Gesundheit zuträglich sei.
Seine Antwort war etwas kurz: Der französische Soldat ist so abgehärtet, dass er jedes Klima ertragen kann.
Dann fragte Napoleon brüsk: Wie konnten Sie es wagen, mit mir, der ich schon mächtigere Nationen besiegt habe, Krieg anzufangen?
Gelassen sah Luise ihn an und antwortete würdevoll: Majestät, dem Ruhme Friedrich des Großen war es wohl erlaubt, über unsere Kräfte uns zu täuschen, wenn wir uns überhaupt getäuscht haben.
Nicht wie eine Besiegte, eher wie eine Gleichberechtigte hatte die Königin gesprochen. Napoleon antwortete:
Preußen hatte es nicht nötig, es soweit kommen zu lassen. Preußen hat meine mehrfachen Friedensangebote missachtend abgelehnt. Es hat sich die Folgen selbst zuzuschreiben.
Wollen Sie es einer Frau verargen, wenn sie sich in Zeiten tiefster Not an die Seite ihres Mannes stellt und versucht, ihm Kraft zu geben, ihm zu helfen?
Napoleon bewunderte ihre Worte, und verwies immer wieder auf die von ihm gemachten Friedensangebote.
Frieden?, antwortete Luise fragend. Frieden gibt es nur, wenn Preußen unter seinen Bedingungen auch wirklich leben kann und nicht durch Härte und Vergeltungsbedürfnis der Keim des Untergangs gelegt werden wird. Dass wir Opfer bringen müssen, weiß ich, sagte Luise weiter, aber man darf Preußen nicht von seinen Provinzen trennen, die ihm seit Jahrhunderten gehören. Man darf uns auch nicht Untertanen nehmen, die unsere Lieblingskinder sind. … Der Krieg ist für uns unglücklich verlaufen, aber das hat die Treue und Anhänglichkeit unserer Völker nicht vermindert. Sie wissen es selbst, Sire!
Natürlich wusste Napoleon, wovon sie sprach. Sie meinte die Altmark, meinte Magdeburg. Mit fast starrem Gesicht hörte er zu. Luise sagte noch, dass Standhaftigkeit im Unglück von einem großmütigen Sieger nicht als Unrecht ausgelegt werden dürfe.
Das war kühn gesprochen und Napoleon war ein wenig verblüfft. Luise hatte ihn in seiner Eigenliebe getroffen. Noch nie war ihm seit seinem Siegeszug durch die Länder Europas ein Mensch mit solcher Offenheit und Kühnheit, dabei dennoch voller Anmut und Würde, entgegengetreten.
Talleyrand glaubte zu bemerken, dass Napoleon schwankend wurde. Er glaubte sogar zu verstehen, warum die an das Herz und die edleren Gefühle des Kaisers gerichteten Worte scheinbar erfolgreich waren.
Echte Kühnheit gefiel dem Kaiser, sie war eine Seltenheit und musste aus dem Munde einer so schönen Frau doppelt wirksam sein.
Luises Stimme zitterte, als sie den Korsen beim Namen des Großen Königs beschwor, sein Werk nicht zu zerstören.
Ihre Augen waren voller Tränen bei der Bitte, wenigstens Magdeburg bei Preußen zu belassen.
Wir werden sehen, ich will daran denken, antwortete er vielversprechend. In diesem Augenblick trat der König ein, und das verheißungsvoll begonnene Gespräch wurde unterbrochen. Man sprach noch eine Weile über allgemeine Dinge, dann lud der Kaiser beide ein, bei ihm zu speisen. Nach einer offiziellen Verbeugung war die Zusammenkunft beendet. …
Talleyrand notierte in seinen Memoiren folgendes über den Ausgang der Begegnung in Tilsit: Glücklicherweise kam der Gemahl herein, und der Gesichtsausdruck der Königin bekundete ihren Ärger über den widrigen Zufall, und wirklich verdarb der König, indem er ein Wort in das Gespräch einzulegen versuchte, alles, und ich war von meiner Befürchtung befreit, der Kaiser werde zu nachgiebig.
Nun standen sie wieder zu zweit im Raum. Friedrich Wilhelm ging auf seine Frau zu, zögernd und verlegen: War sehr in Sorge. Wollte Dich nicht mehr allein lassen, sagte er zu ihr. Luise vernahm seine Worte, ohne sie zu verstehen. Sie dachte nur daran, dass er im unglücklichsten Moment eingetreten war. Ahnte er nicht, dass er dadurch alles wieder zerschlagen hatte? Spürte er wirklich nicht, wie unsinnig es war, sie ausgerechnet im letzten Augenblick zu unterbrechen? Wozu hatte er sie in seinen dringlichen Briefen herbeigerufen?
Wir werden uns auf einen harten Frieden gefasst machen müssen, sagte sie leise und ahnungsvoll. Ich glaube, Napoleon ist ein Mensch mit zwei Seelen. Vor allen Dingen aber ist er der Kaiser der Franzosen.
Wenn es um Frieden und Freiheit geht, erklärte der König, werden Gottes Wege nicht die seinen sein.
Luise neigte traurig ihr Haupt. Ihr war plötzlich klar, wie vergeblich die Unterredung war, und sie ahnte, wie wenig Wert auch kommende Stunden haben würden. Zwar klangen in ihr noch die verheißungsvollen Worte Napoleons. Noch hörte sie seine brüchige Stimme sagen: Wie werden sehen! Aber ließ das irgendwelche Hoffnungen zu?
Der Gegenbesuch des Königspaares fand am Abend statt. Napoleon empfing seine Gäste bereits am Eingang und hatte wieder ein Kompliment bereit für das zauberhafte Kleid aus roter Gaze , in dem sich Luise für ihn geschmückt hatte. Er gab sich lebhafter und bemühte sich sogar, den brüsken Ton des Abschieds am Vormittag durch liebenswürdige Worte wieder gutzumachen.
Nach dem Abendessen gestand er seinem neuen Freunde und Bundesgenossen Alexander, er wäre von der Art der Königin sehr betroffen gewesen, sie hätte Geist und Seelenadel gezeigt, den er bei ihr aufgrund früherer Informationen nie vermutet hätte. Die Königin von Preußen ist eine entzückende Frau, fügte er lächelnd hinzu. Ihre Seele entspricht ihrem Äußeren. Auf Ehre, anstatt ihre Krone zu nehmen, würde man versucht sein, eine andere zu ihren Füßen zu legen.
Es erfüllte Luise mit Stolz und Hoffnung, als ihr der Zar wenig später diese Sätze berichtete. Ihr Opfer schien also doch nicht umsonst gewesen zu sein. Napoleon würde Preußen, so hoffte sie von ganzem Herzen, nun wohl doch erträgliche Friedensbedingungen stellen.
Am nächsten Morgen, als das Königspaar beim Frühstück zusammen saß, ließ Graf von der Goltz, der Minister des Auswärtigen, Nachfolger von Graf Haugwitz, melden.
Er kam von Napoleon und brachte die vom Kaiser diktierten Friedensbedingungen.
Napoleon, so berichtete er, ließ mich zu sich kommen, und erklärte, dass binnen zwei Tagen seine Bedingungen unterschrieben sein müssten. Alle Unterhandlungen sähe er als beendet an und wäre nicht gewillt, auch nur im geringsten nachzugeben.
Vergeblich habe ich mich bemüht, an seinen Großmut zu appellieren, teilte der Graf weiterhin mit. Er schrie mich an. ‘In diesem Augenblick beseelte mich einzig und allein das Gefühl der Rache. Ich weiß, Ihr König wird nie die Vergangenheit vergessen. Darum gebietet mir die Rache die Vernichtung Preußens als Großmacht‘. Allen Gründen der Vernunft blieb er verschlossen. Achtundvierzig Stunden und keine Minute mehr billigte er uns zu.
Preußens Schicksal war entschieden. Napoleon hatte seine liebenswürdige Maske fallenlassen und sein wirkliches Gesicht enthüllt. Es war hart, grausam und rachsüchtig. Aber er versprach mir doch…, sagte Luise völlig fassungslos, er wollte doch…
Graf von Goltz wiederholte Napoleons Aussprüche: Alles, was ich der Königin gesagt habe, sind nur höfliche Redensarten gewesen, die mich zu nichts verpflichten. Ich bin fest entschlossen, dem König von Preußen die Elbe als westliche Grenze zuzuweisen. Ich habe alles heute bereits mit dem Kaiser Alexander abgesprochen. Der König von Preußen hat seine Stellung nur in der ritterlichen Anhänglichkeit dieses Monarchen zu danken. Ohne seine Fürsprache wäre mein Bruder Jérôme König von Preußen geworden und die jetzige Dynastie abgesetzt.
Welch ein Mensch, stöhnte Luise verbittert auf. Welch ein Unmensch!
Das große Opfer, das sie mit tiefem Schmerz und voll inneren Widerstrebens gebracht hatte, war umsonst gewesen. Vergeblich hatte sie sich vor diesem hochmütigen Eroberer und Triumphator gebeugt.
XXII.
Am 9. Juni 1807 wurde der Tilsiter Frieden zwischen Frankreich und Preußen unterzeichnet. Der König verlor alle seine Besitzungen jenseits der Elbe, die Altmark, Magdeburg, Hildesheim, Westfalen, Ostfriesland, Erfurt, das Eichsfeld und Bayreuth. Man nahm ihm außerdem noch ganz Südpreussen, einen Teil von Westpreußen, Thorn und Danzig, das zur Freien Reichsstadt erklärt wurde.
Durch den Friedensvertrag wurde Friedrich Wilhelm III. gezwungen, den Rheinbund anzuerkennen, ebenso musste er den Brüdern Napoleons als Königen von Holland und Westfalen seine Anerkennung geben und sich verpflichten, den Engländern seine Häfen zu verschließen.
Dabei ließ Napoleon den König noch schriftlich in der Friedenakte versichern, dass er diesen Frieden nur erhalten habe, aus Achtung für den Zaren und dem ausdrücklichen Wunsch, beide Nationen durch unauflösliche Bande des Vertrauens und der Freundschaft zu verbinden.
Preußen verlor die Hälfte seines Gebietes, von seinen zehn Millionen Untertanen blieben noch fünf.
Dem Reich des Zaren war bereits im Friedensvertrag vom Tage vorher ein Teil Ost-Preußens zugesprochen worden.
Er ist böse, dieser Korse, sagte Luise, er ist so.böse, wie ich immer befürchtete.Das Schicksal hat ihm die Rolle eines Zerstörers zubestimmt. Wir müssen uns beugen, und warten lernen.
Sie gab sich gefasst, aber innerlich war sie zu Tode traurig.
Traurig war die Rückkehr nach Memel, sie glich der Heimkehr von einer Beerdigung. Die Hoffnung auf die Rettung Preußens musste begraben werden.
Frieden – ja es war Frieden, aber das Land lag zerstückelt und verwüstet. Dörfer waren niedergebrannt, Gutshöfe zu Ruinen geworden, Städte gebrandschatzt… Alle Festungen und großen Städte hielten die Franzosen besetzt. …
Friedrich Wilhelm wurde noch verschlossener… wo wir sind, da ist Preußen, hatte in letzter Zeit mehr als einmal die Königin ihm ins Gewissen rufen müssen, wenn er völlig verzweifelt und niedergeschlagen war. … Sie hatte mit wachen Augen immer mehr die Schwächen ihres Mannes gesehen…, und so griff sie immer wieder in das politischen Geschehen ein. Schweigend hat Friedrich Wilhelm dies begrüßt…
Das furchtbare Erlebnis des Krieges und des Zusammenbruchs hatte Luise erkennen lassen, dass sie ins rein häusliche Leben nicht mehr zurückkehren können. Die Begegnung mit Napoleon war vor den Augen der Welt geschehen, und legte ihr nun die Verpflichtung auf, eine führende Rolle in dem vom Schicksal geschlagenen Vaterland zu übernehmen.
Sie war es, die dem König riet, sich einen neuen weisen Berater zur Seite zu nehmen. …
Wo gibt es solch einen Menschen, wie Hardenberg war…, fragte Friedrich Wilhelm.
Luise antwortete ihm: Freiherr vom und zum Stein. …
Ob er es mir verziehen hat, dass ich ihn einst entlassen habe?, fragte Friedrich Wilhelm unsicher.
Ich lege meine Hand ins Feuer. Wenn der König ruft, kommt er, sagte Luise. …
Der Brief des Königs erreichte den Freiherrn in seinem Familienbesitz in Nassau. …
Schon wenige Tage später war der Freiherr in Memel…
Stein war ein Mensch der Arbeit. Er ging mit verdoppelter Energie an seine schwere Aufgabe. Der kalte, unblutige Krieg, den die Franzosen nach dem Tilsiter Frieden gegen Preußen führten, war sicher noch grausamer und unerbittlicher als die frühere Sprache der Waffen.
Was sie von dem besiegten Land verlangten, war einfach Raub und Erpressung . Ihr Hunger nach Geld und anderen Kontributionen wuchs von Tag zu Tag. Über die im Friedensvertrag ausgemachten Zahlungen verlangten sie nun weitere 112 Millionen Franken, von denen er zwölf in barem Geld, den Rest in Wechseln und preußischen Staatsdomänen zwischen Elbe und Weichsel als Eigentum verlangte. Der übermütige Sieger hatte jeden Maßstab verloren.
Erneut erlebte die Königin die ganze Bitternis und den Schmerz eines zu Tode gekränkten Menschen. …
Sorgen, Unruhe, Ratlosigkeit, immer neue Forderungen, Geld, Geld und nochmals Geld – böse Tage brachen über Memel herein. Das Königshaus verkaufte alles was es an Wertsachen noch besaß, Perlen, Schmuck, Porzellan, Pelze, Pferde – alles ging weit unter seinem Wert davon. …
Mitte Januar 1808 siedelte das königliche Paar nach Königsberg über. … Das ehrwürdige Schloß war ohne Mobilar, aber die Königsberger Bürgen schenkte ihnen das Nötige, so auch ein Kinderbett, was Luise sehr freute. Als das Kind geboren war, ein Mädchen, nannten sie es Luise… Die Geburt des Kindes lenkte die Königin von all den traurigen Vorgängen ab…
Und die ersten Erfolge von vom Stein erfreuten Luise ebenso. Der erste Schritt seines Reformplanes war das Edikt über erleichterten Besitz des Grundeigentums, der die bisher unfreien Stände von drückenden Lasten und Fesseln befreite. Er wollte sie zu freien Staatsbürgern machen, wollte sie zum Denken heranbilden und in ihnen die Zukunft des Staates sichern.
Nun ist wohl auch bei uns Revolution?, sagte der alter General Köckeritz zu Luise.
Was wollen Sie damit sagen?, fragte sie.
Majestät, bellte er, ist es denn keine Revolution, wenn wenn aus der Hälfte der preußischen Untertanen, aus Kleinbauern, Kossäten und Söldnern plötzlich Herren werden sollen? Es kommt noch soweit, dass die Lausjungs dieser neuen Schicht den Anspruch stellen, Offizier werden zu können.
Gott gebe es! entgegnete die Königin und lehnte alle Argumente des Generals ab, der die Ansicht vertrat, dass die bedingte Hörigkeit der Untertanen eine gute Sache aus einer guten alten Zeit wäre…
Kein Wort mehr gegen Stein, befahl die Königin. Wir wollen dem Schöpfer danken, dass er uns diesen Mann gab. …
Viele neue Dinge geschahen, aber sie waren Reformen und keine Revolution… Denn für vom Stein war der Begriff Freiheit keine tönende Phrase, sondern er verstand darunter die gesetzlich geregelte Freiheit des preußischen Staatsbürgers…
Er schuf seine sozialpolitischen Maßnahmen im einträchtigen Zusammenwirken von Krone, Adel und Volk.
Es gab keine preußische Armee mehr, nur noch 40.000 Soldaten waren erlaubt. Der König machte Scharnhorst zum Generalmajor, der die allgemeine Wehrpflicht einführte. …
Viele neue Wege wurden gegangen. Die Not der Zeit wirkte wie ein Motor und steigerte die Arbeitskraft im ganzen Land. …
Viel Glück und frohe Stunden fand die Königin im Kreise ihrer Familie. Ihre ganze Liebe galt den Ihren. Das Unglück, welches uns getroffen hat, ist in unser häusliches Glück nicht eingebrochen, schrieb sie in ihr Tagebuch…
Plötzlich erschien in Königsberg ein unerwarteter Gast. Der Zar war auf der Rückreise von Erfurt, wo er mit Napoleon und über 70 Fürsten und Herrscher zum zweiten Jahrestag der Schlacht bei Jena zusammengekommen war.
Zum dritten Mal traf Luise mit dem Zaren zusammen. Aber welch ein Unterschied lag zwischen der ersten und dritten Begegnung.
Wo war das beglückende Bild meines aufrichtigen Freundes und Beschützers geblieben? Was war aus dem begeisterten Verehrer Preußens geworden, aus dem Monarchen, der ergriffen den Sarg Friedrich des Großen geküsst hatte? …
Warum war er gekommen? Wieder berief er sich auf Worte, die längst durch unerbittliche Taten überholt worden waren. Er versuchte zu zerstören, was der Freiherr von Stein mit viel Mühe angebahnt und vorbereitet hatte – das Bündnis mit Österreich.
Schweigend hörte Friedrich Wilhelm seine Einwendungen.
Luise aber widersprach Alexander: Österreich darf nicht verlassen werden. Ist Österreich erst überwältigt, dann ist die Knechtschaft Europas gewiss. Die Reihe wird dann an Russland kommen, und niemand wird klagen, wenn es unterliegt.
Ironisch lächelnd hörte sich Alexander diese Prophezeiung an. Er konnte nicht ahnen, wie schnell sie in Erfüllung gehen würde und war viel zu leichtsinnig und sorglos, um dieser Warnung irgendwelche Bedeutung beizumessen. Innerlich lachte er vielleicht über die nervöse Zauberfee von früher. Seine Verehrung der schönen Frau hatte keineswegs nachgelassen, aber ihren politischen Gedanken schenkte er keine Bedeutung. Er ließ sie nur reden, lächelte ein wenig und sprach dann eine Einladung nach Petersburg aus. …
Man konnte seine Bitte schlecht abschlagen und so kam es wirklich zu dieser Reise und zu einem märchenhaften Empfang. Für den König hatte der Zar große Paraden vorbereitet, die Königin glaubte er mit einem als Wintergarten umgebauten Haus voller kostbarer Blumen überraschen zu können.
Doch er hatte vergessen, dass diese Äußerlichkeiten auf die beiden Freunde vergangener Zeit nur noch wenig Eindruck machen konnten. Die Tage von Tilsit, Memel und Königsberg hatten dem preußischen Herrscherpaar die Augen für die Nichtigkeit und Vergänglichkeit allen Glanzes geöffnet. Mehrfach versuchte Luise den Zaren zu politischen Gesprächen zu bringen…, doch Alexander wich aus, machte der Königin Komplimente und behandelte sie nur als charmante und hübsche Frau…
Die Tage in Petersburg vergingen schnell. Besonders traf Luise die menschliche Feigheit des Zaren, der ihr kaum noch offen in die Augen sehen konnte… Beim Abschiednehmen umspielte ein schmerzliches Lächeln ihre Lippen. Was sollte all das feierliche Geleit, wozu diese brausende Militärmusik? Alles war nur Theater – wie jene hochgeschätzte Stunde am Grabe des Großen Friedrich in der Potsdamer Garnisionkirche.
Sie verließ Russland mit zerstörtem Glauben und einem gebrochenen Herzen. Wir haben einen Freund verloren, sagte Friedrich Wilhelm, und sie antwortete leise, der es nie von ganzem Herzen war.
Und plötzlich erinnerte sie sich an die Worte des alten Generals, der damals sagte: In der Politik gibt es keine Freundschaften, nur Realitäten.
Wieder gingen die Tage und Wochen einförmig und freudlos ins Land. Man feierte ihren Geburtstag mit einem großen Ball. Luise schrieb in ihr Tagebuch: Abends großes Fest, das die Stadt mir gab. Vorher großes Diner im Schloss. Nein, wie war das traurig. Das Herz war zerfleischt. Ich habe getanzt, ich habe gelacht und Konversation gemacht und vor allem Unglück nicht gewusst, wohin. Wem wird Preußen in einem Jahr gehören? Wo werden wir alle zerstreut sein? Allmächtiger Vater, erbarme dich unser!
Hatte Gott Erbarmen? Es schien, dass das Gebet der Königin den Trübnissen und Sorgen Einhalt gebieten konnte. Der preußische Gesandte brachte aus Paris günstige Nachrichten. Man hatte dort den guten Willen Preußens akzeptiert, war mit den Zahlungen der Kontributionen zufrieden und erwartete keinerlei politische Komplikationen. Alles sah denkbar günstig aus, günstig für eine Heimkehr des Königs nach Berlin.
Berlin – drei Jahre waren vergangen, seit Luise auf wilder Flucht die geliebte Hauptstadt verlassen hatte.
Berlin – sie sie hatte schon nicht mehr daran geglaubt, diese Stadt ihrer schönsten Lebensjahre noch einmal wiederzusehen. …
Schnell waren die Reisevorbereitungen getroffen… Sie fuhren durch Pommern. Die Stadt Stargard empfing das Königspaar. Der tapfere Verteidiger Kolbergs, Joachim von Nettelbeck, begrüßte sie mit warmen Worten und schloss: …Gott grüße auch Sie, meine gute Königin! Zum Troste meines Königs, ohne Sie wäre er vergangen in seinem Unglück!
So dachte das Volk, so sprach man überall, so sah man die Königin, und so liebte man sie.
Die Heimfahrt durch das Land war wieder eine Triumphfahrt, aber ohne äußeren Glanz. Dem Königspaar flogen in aufrichtiger Treue die Herzen der Menschen entgegen, dankten leuchtende. Augen, für alles, was in den letzten Monaten geschehen war, für alles, das der echte Patriot und deutsche Freiherr vom Stein im Namen des Königs angebahnt und verwirklicht hatte.
Im Berliner Schloss hatten die Franzosen so gehaust, dass man trotz aller Säuberungs- und Ordnungsarbeiten noch ihre Zerstörungen sah. Aber was tat es, sie waren wieder daheim.
An zwei Momente vor allem kann ich nicht denken, schrieb sie ihrem Bruder, ohne dass mir die Tränen in die Augen kommen, nämlich wenn ich zum ersten Male die Türme von Berlin wiedersehen werde, und dann, wenn der Wagen von der Brücke nach links biegen wird und ich fühle, wie ich die Rampe des Schlosses hinauffahre. …
Doch das Schicksal war erbarmungslos. Es hatte der Königin nur kurze Freuden gegönnt und ließ neue, bittere Leiden folgen. Luise wurde krank. Wieder stellten sich der quälende Husten und die Herzanfälle ein. Hufeland war voller Unruhe und äußerst besorgt. Er riet dringend zu einer Kur im Süden. Aber woher sollte man das Geld nehmen? Der König war verarmt wie selten ein Monarch, er musste immer wieder den unersättlichen Geldhunger der Franzosen stillen…
Eine Kur? Luise dachte nicht daran, den König in diesen Tagen zu verlassen. Sie wollte bei ihm sein in dieser schweren Zeit, wollte mit ihm und den Kindern vereint sein in der Hauptstadt ihres Landes.
Immer quälender wurde der Husten…, ihre Kräfte ließen nach, ihr Gesicht wurde durchsichtig, die Augen brannten in fiebrigem Glanz. Der Leibarzt war verzweifelt…
Er empfahl unbedingt eine Luftveränderung. Ihr Vater im Schloss Hohenzieritz in Neustrelitz nahm sie gerne auf. Wie gerne gehe ich dorthin, flüsterte sie dem König zu, der wieder einmal an ihrem Bettrand saß, wie schön wird es sein, wieder einmal die geliebte Heimat und alle nahestehenden Menschen zu sehen.
Tage später rollte der Wagen in Neustrelitz ein. Die achtzigjährige Landgräfin empfing sie herzlich, auch ihr Vater…, allen standen die Tränen in den Augen…
Neustrelitz tat der Kranken gut. Sie lebte sichtlich auf. Es war, als wären Sorgen und Leid von ihr abgefallen und jene schönen Jugendjahre wierauferstanden, die sie hier verbringen durfte.
Hufeland war in Berlin geblieben. Hier gab es den alten Hausarzt des Hofes, der Luise schon als Kind behandelt hatte und der sie jetzt voller Sorgen beobachtete. Er glaubte nicht an die Ehrlichkeit ihrer fröhlichen Stimmung und stellte mehr als einmal ein ungesundes Rot auf ihren Wangen fest. Auch ihr häufiges und sich steigerndes Husten ängstigte ihn. Ohne dass sie es wusste, folgte er ihr wie ein Schutzengel.Er wusste, was kommen würde, erwartete jeden Tag das Unheil.
Und eines Tages war es da. Alle anderen am Hofe traf es unerwartet, als die Königin nach einem Spaziergang völlig erschöpft heimkehrte und sich zu Bett legte, ohne am Abendbrottisch zu erscheinen.
Sie fiel in einen ohnmachtähnlichen Schlaf und fand, als sie wieder erwachte, alle Mitglieder des Hauses an ihrem Bett versammelt.
Es ist nichts Schlimmes! lächelte sie gezwungen. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.
Aber schon während sie diese Worte tröstend flüsterte, wurde sie von einem wilden Hustenanfall gepackt. …
Lungenentzündung! Stellte der Arzt fest. Die Königin hat Fieber. Ein Wunder, wie sie sich bisher beherrschen konnte.
Dann ließ der Arzt den König und Dr. Hufeland benachrichtigen …
In langer Ohnmacht der Erschöpfung lag die Kranke, der Arzt saß ständig an ihrem Bett…
Doktor, muss ich sterben? fragt sie. Soll ich dem König und den Kindern entrissen werden?
Der Arzt schwieg.
Mein Gott, das kann doch nicht sein, klagte Luise, ich bin noch so jung. Das Leben hat mir so viel versprochen, und bisher so wenig erfüllt.
Wieder überfiel sie der schmerzhafte Brustkrampf, wieder rief sie um Hilfe, bis sie erschöpft zurücksank. Ach, mir hilft nichts mehr als der Tod.
Es war die Nacht vom 18. zum 19. Juli, eine stürmische Gewitternacht. Der Tod ging um das Haus.
Am frühen Nächsten Morgen rollte ein Wagen in den Schlosshof… Luise Vater empfing den König…
Erschüttert sank der König neben dem Bett der Kranken in die Knie. Sie lag mit geschlossenen Augen, ohne Besinnung, vor ihm. Schon war ihr Gesicht vom Schatten des Todes gezeichnet. Der König stöhnte vor Schmerz auf.
War sie dadurch aus dem Schlaf gerissen worden?
Mühsam öffnete sie die Augen, blickte schweigend auf den knienden König und ihre beiden Jungen, die neben dem Vater knieten und leise weinten.
Ihre Lippen formten Worte, die nicht zu verstehen waren. Die blasse, wächserne Hand berührte wie segnend die Köpfe der Prinzen. Eine stumme Gebärde, ergreifender als jedes Wort. Tränenlos blickte der König zu ihr nieder. Die Qual ihres Todeskampfes war auch die seine.
Herr Jesus, mach es kurz mit mir! schrie sie noch einmal auf, ein letzter Schmerz, dann sank ihr Haupt in das Kissen zurück. Irgendwo im Hause schlug eine Uhr die neunte Stunde. Die Königin hatte ausgelitten. Luise, die große Märtyrerin, war nicht mehr.
Wenngleich die Nachwelt meinen Namen nicht unter den Namen der berühmten Frauen nennen wird, schrieb sie einmal, so wird sie doch, wenn sie die Leiden dieser Zeit erfährt, wissen, was ich durch sie gelitten habe, und sie wird sagen: sie duldete viel und harrte aus im Dulden. Dann wünsche ich nur, dass sie zugleich sagen möge: aber sie gab Kindern das Dasein, welche besserer Zeiten würdig waren.
Ihr Sarg im Mausuleum des Charlootenburger Schlossgartens war viel Jahre der Wallfahrtsort nationalgesinnter Menschen. In unserer Zeit scheint er fast vergessen, und nur selten tritt ein Besucher vor den Sarkophag der mütterlichen Königin. Nur wenigen ist der Name der mutigen Frau und Mutter heute noch ein Begriff, und noch viel weniger wissen, dass sie allein das Sinnbild war, das den Freiwilligen des preußischen Freiheitskrieges Kraft, Mut und Ausdauer gab. Noch nach ihrem schmerzvollen Tode siegte sie über Napoleon, siegte der Mensch über den Tyrannen.
Leicht gekürzt von mir.
Horst Koch, Herborn, im Mai 2025.
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