Hitler – Idee aus der Finsternis (K.Schein)
Kurt Schein
Idee aus der Finsternis – Adolf Hitler
Der Verfasser dieser Seiten muß um Verständnis bitten für diese besondere Art der «Biographie» und der Kommentierung von «Geschichte» in Geschichten.
Er muß dafür um Verständnis bitten, daß auch ein am Rande stehender Zeitgenosse, der keinen ausdrücklichen Ausweis dafür hat, aus seiner Sicht, reflektiert von der eigenen Erlebniswelt her, «Geschichte» betrachtet.
Er meint: Auch die Opfer, die Objekte, auch die Namenlosen, sollten ein Recht dazu haben. K. S.
INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1 … und die Welt entsetzte sich
Kapitel 2 Erste böse Saat
Kapitel 3 Aufbruch aus dem Dunkeln
Kapitel 4 Geschichte und Ethos
Kapitel 5 Aufmarsch aus der Bierstube
Kapitel 6 Eine Lawine wächst heran
Kapitel 7 «Machtergreifung»
Kapitel 8 Legalität und Lüge
Kapitel 9 Der Marsch ins Feuer
Kapitel 10 SCHEMA ISRAEL – Höre Israel
Kapitel 11 Jugend am Abgrund
Kapitel 12 Widerstand?
Kapitel 13 Totale Lüge – Totaler Krieg
Kapitel 14 Der Betrachter erinnert sich an eine Kriegsweihnacht
Kapitel 15 Dem Ende entgegen
Kapitel 16 Der große Krieg und eine kleine Stadt
Kapitel 17 Das Spiel ist aus
Kapitel 18 Geschichte und Schuld
Kapitel 19 Danach
- Neu durchgesehen und mit Hervorhebungen versehen, Horst Koch, Herborn, im Jahre 2019 –
Kapitel 1
… und die Welt entsetzte sich
«Die nationalsozialistische Bewegung hat ihr eigenes Gesetz … Blut und Boden … Persönlichkeit als Krönung eines Volkes, Führung gegenüber demokratischer Gleichmacherei …»
«Eine Idee braucht in dieser Welt zur Darstellung einen Leib.» «Mensch, Idee und Werk sind eine raumzeitliche, nie zu trennende Einheit geworden.»
So wurde einst von dem «Philosophen» Alfred Rosenberg die Bedeutung Adolf Hitlers definiert unter der Überschrift «Idee und Führer»!
Hitler selbst hat einmal in einer seiner vielen Reden ausgeführt: «Viele Nullen hintereinander ergeben immer nur null. Das ändert sich sofort, wenn man nur eine einzige Eins vor diese Nullen setzt …»
Welch ein unglaublicher Zynismus — denn Hitler verstand sich selbst als diese Eins.
Welch ein entsetzliches Geschehen aber schließt sich hier an? Diese Dunkelstunden der Geschichte sollten wir immer wieder aufzuhellen versuchen.
Die Epoche des sogenannten «Nationalsozialismus», eigentlich aber «Hitlerismus» oder auch «Hitlerfaschismus», wird immer wieder die Gemüter bewegen.
Trotz allem: Eine billige Schwarzweißmalerei ist nicht angebracht.
Die nachfolgenden Betrachtungen kommen aus der Sicht eines Christen, der irgendwie auch noch mit dabei war, und für den die Grundwertvorstellungen, die sich aus dem Verkündigungsinhalt des biblischen Evangelismus ergeben, eine umfassende, eine absolute Bedeutung haben.
Diese folgenden kurzen Ausführungen erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind nicht frei von Subjektivität, wie es in diesem Zusammenhang und bei dieser Gedrängtheit auch gar nicht anders sein kann.
Es geht hier nicht so sehr um eine Beschreibung Hitlers, sondern vielmehr um die Verhaltensweisen von Menschen, die mit ihm oder durch ihn in die Irre, in die Katastrophe gingen.
Das parallele Weiterbestehen der alten preußischen Ordnungsmechanismen hat manches kaschiert und viele getäuscht. Anstelle der liberalen Gesetzlichkeit traten «Führerbefehle», und die Zeit vor 1933 bezeichnete man abwertend als die «Systemzeit».
Eine Wahn-«Idee» «bewegte» damals die Menschen in Deutschland, und die Welt entsetzte sich.
Kapitel 2
Erste böse Saat
Ein Schüler oder ein sogenannter «Hitlerjunge», der in den Jahren der Nazidiktatur etwas vom Lebenslauf des Staatsoberhauptes zu erzählen hatte, sagte ungefähr folgende Geschichte auf:
«Unser Führer Adolf Hitler wurde am 20. April 1889 in Braunau am Inn als Sohn eines österreichischen Zollbeamten geboren. Schon in seinen Jugendjahren lebte er ganz nach der Idee an ein großes Deutsches Reich. Entgegen dem Wunsche seines Vaters, der ihn studieren lassen wollte, hegte er den Wunsch, Kunstmaler oder Baumeister zu werden. Mit dreizehn Jahren verlor er seinen Vater und wenige Jahre später seine Mutter. In Wien durchlief er seine harten, entbehrungsreichen Lehrjahre. Seine eigentliche Sehnsucht aber war Deutschland, und so siedelte er im Jahre 1912 nach München über. Hier erlebte er den Beginn des Weltkrieges. Als Kriegsfreiwilliger zog er mit dem Regiment List ins Feld. Mehrmals verwundet, überraschte ihn schließlich im Lazarett Pasewalk das Ende des Krieges. Angesichts der deutschen Schmach beschließt er, Politiker zu werden. Von nun an beginnt sein Weg zum Retter Deutschlands . . .»
Die Schwärmerei in dieser Version ist unverkennbar; sie ist typisch für jene Epoche. Leider ist der unmittelbare Zusammenhang der Lebensgeschichte Adolf Hitlers mit der späteren deutschen Misere nicht zu leugnen.
Es ist nur zu natürlich, daß die Nachkriegschronisten über den Lebensweg Hitlers Dinge an das Tageslicht zerrten, die nicht so ohne weiteres bekannt waren. Das Bild des einstigen Heroen wurde in vielfältiger Weise korrigiert und interpretiert.
Was wissen wir eigentlich von diesem Mann?
Fest steht: Er ist in der Tat ein Kind des Volkes.
Es fehlt die imposante Ahnenreihe. Es fehlt auch weiter die in halbwegs ruhigen Bahnen laufende gute bürgerliche Familiengeschichte. Eine spekulative Darstellung berichtet sogar, daß der Vater Hitlers außerehelicher Sproß eines jüdischen Dienstherrn und der Magd Maria Anna Schicklgruber gewesen sei. Diese Behauptung ist so ungeheuerlich, daß sie einem den Atem verschlägt. Nun, die Beweise fehlen.
Als Tatsache gilt, daß der 84jährige frühere Müllergeselle Johann Georg Hitler den bereits 40jährigen Alois Schicklgruber als seinen Sohn anerkannt und zur Führung seines Namens berechtigt hat.
Warum das so spät geschehen ist, wird sich heute kaum noch feststellen lassen.
Der ehemalige Schuhmachergeselle Alois Hitler heiratete, nachdem er bereits zwei Frauen verloren hatte, seine um 23 Jahre jüngere Pflegetochter Klara Pölzl.
Im Jahre 1889 wurde in dieser Ehe Adolf Hitler geboren. Von den übrigen vier Geschwistern starben drei in den ersten Lebensjahren. Aus der zweiten Ehe des Vaters sind außerdem der Bruder Alois und die Schwester Angela vorhanden. Auch wenn man bedenkt, daß in diesen Jahren die Säuglings- und Kindersterblichkeit sehr hoch ist, deuten alle Umstände auf ein etwas unglückliches Milieu hin.
Es wäre falsch, darüber irgendwelche hämischen Bemerkungen zu verlieren. Selbst die Tatsache, daß der ältere Halbbruder mehrfach wegen krimineller Delikte mit den Behörden in Konflikt gekommen ist, sollte nicht weiter berühren.
Vater Hitler ist schon Ende Fünfzig, als der kleine Adolf schulpflichtig wird. Die häusliche Erziehung kann nur mangelhaft gewesen sein. Die Kinder sind für den greisenhaften, kränklichen Mann, der 1895 in den Ruhestand versetzt wird, ein notwendiges Übel.
An der Mutter hängen die Kinder mit jener zärtlichen Liebe, die in dieser Situation nur allzu verständlich ist. Sicher war sie damals der einzige Halt in der Familie, aber auch sie scheint krank und hilflos gewesen zu sein. Der Vater konnte nicht ahnen, daß in seinen vier Wänden ein Stück Weltgeschichte heranwächst, und über sein Nichtwissen stirbt er hinweg. Sein Sohn kann sich seiner nur als an «den alten Herrn» erinnern. Er bezeichnet ihn als «einen durch Not und Harm in halber Kindheit alt Gewordenen».
Die liebenswürdige Schlamperei des Habsburger Reiches wird auch vor den Schultoren nicht haltgemacht haben. Da ist kein Lehrer und auch kein Pfarrer, den die einmalige, vitale Begabung dieses sonderbaren, aber auch sehr schwierigen Jungen zum Eingreifen veranlaßt. Niemand entdeckt den Zeitzünder, der hier zu entschärfen war.
Der künftige «Staatsmann» muß die Realschule mit miesen Zensuren aus pekuniären Gründen verlassen. Es ist die erste offizielle Demütigung. Da ihm auch später jede Art von beruflicher Ausbildung versagt bleibt, wird er schon hier der sensible Autodidakt, der alles in sich hineinschlingt, was seine Phantasie beflügelt.
Hitler selbst hat später in seinem Buch «Mein Kampf» die Kindheitserinnerungen mit einem soliden Anstrich übertüncht.
Er schreibt u. a.: «Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau zuwies . . .
In diesem, von den Strahlen deutschen Märtyrertums vergoldeten, bayrisch dem Blut, österreichisch dem Staate nach, wohnten am Rande der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts meine Eltern . . .
Nur wenig haftet aus dieser Zeit noch in meiner Erinnerung, denn nach wenigen Jahren mußte der Vater das liebgewordene Grenzstädtchen wieder verlassen, um innabwärts zu gehen und in Passau eine neue Stelle zu beziehen . . . Allein das Los eines österreichischen Zollbeamten hieß damals freiwillig häufig >wandern< . . . Er kaufte in der Nähe des österreichischen Landfleckes Lambach ein Gut, bewirtschaftete es und kehrte so in den Kreislauf eines langen, arbeitsreichen Lebens wieder zum Ursprung seiner Väter zurück.»
Diese an sich nicht ungeschickte Art der Darstellung erweckt nun allerdings den Eindruck, als berichte hier der Sproß eines alten Bauerngeschlechts.
Genaugenommen wanderte die Familie innerhalb von 10 Jahren von Braunau nach Passau, von Passau nach Linz, von Linz nach Lambach und von Lambach nach Leonding bei Linz. Die verwitwete Mutter siedelte nach dem Tode des Vaters wieder nach Linz über.
Der Eroberer Österreichs im Jahre 1938 legte Wert darauf, sich mit einem alten Lehrer aus Leonding öffentlich und fotogen zu konfrontieren. Wie mag dem guten Mann zumute gewesen sein, als der «große Führer», auf dessen Kindheit er sich nur schwerlich besinnen konnte, leutselig auf ihn herabblickte?
Die Familie Hitler soll in den genannten Kindheitsjahren von der Tbc, der Armeleutekrankheit, nicht verschont geblieben sein. Wenn die Nachforschungs-ergebnisse zutreffen, hat Hitler an der genannten Realschule nur 3 Jahre absolviert. Was er in den anschließenden beiden Jahren getrieben hat, ist unerfindlich. Anhaltspunkte für ein Arbeits oder Lehrverhältnis liegen jedenfalls nicht vor.
In diesem Zeitabschnitt (bis 1907) soll es nach den Worten Hitlers eine erste politische Beeinflussung gegeben haben. Er schreibt darüber:
«Beim Durchstöbern der väterlichen Bibliothek war ich über verschiedene Bücher militärischen Inhalts gekommen, darunter eine Volksausgabe des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71. Es waren zwei Bände einer illustrierten Zeitschrift aus diesen Jahren, die nun meine Lieblingslektüre wurden … Von nun an schwärmte ich mehr und mehr für alles, was irgendwie mit Krieg oder doch mit Soldatentum zusammenhing.«
Eine erste böse Saat wird somit jedenfalls gelegt. Die Verherrlichung des Krieges und der militärischen Gewalt hat damals schon in breitem Maße die Menschen erreicht.
Es entstand der Sumpf, auf dem Hitlers Demagogie später Blüten treiben konnte.
Kapitel 3
Aufbruch aus dem Dunkeln
Im Jahre 1907 reißt sich der jugendliche Träumer endlich vom mütterlichen Herd los. Es zieht ihn in die Kaiserstadt. Von der Mutter weiß er, daß auch der Vater einst in Wien sein «Glück gemacht hat».
Kunstmaler will er werden.
Zwei Anläufe, eingetragener Schüler einer Malakademie zu werden, schlagen fehl.
Waren seine Kenntnisse und Fertigkeiten wirklich unzureichend, oder hat sein unsympathisches Äußeres die Prüfenden abgestoßen?
Fehlte es an Empfehlungen und Beziehungen?
Wer weiß das heute noch zu sagen?
Als Staatsführer hat Hitler jedenfalls bei allen Entwürfen ein starkes Wort mitgeredet, und die akademisch gebildeten Fachleute haben sich oft genug seinen Ansichten gebeugt, und das um so mehr, als er wirklich einen Blick für diese Dinge hatte.
Nach diesem Fehlschlag hat sich der größte Dilettant aller Zeiten (auch so könnte man ihn nennen) keiner Prüfungskommission mehr gestellt.
Wie anders wäre wohl alles verlaufen, wenn man ihm Gelegenheit gegeben hätte, ein «Fachmann» zu werden.
Ein noch größeres Unglück wartet jetzt auf ihn. Es ist der Tod der Mutter im Dezember 1908.
Der verhinderte Künstler steht fortan, gelöst von allen menschlichen Kontakten, allein in der Welt. (Mit den verbliebenen Geschwistern hat er kaum Verbindung.)
Was tut ein junger Mann mit großen Plänen ohne Mittel und ohne Beziehungen in einer großen Stadt?
Er muß arbeiten, immer wieder arbeiten und dabei auch darben und hungern.
Wie viele haben das damals getan?
So ein unmittelbarer Kampf um das Dasein ist noch nie ein Zuckerlecken gewesen.
Einige gewinnen trotz alledem festen Boden unter den Füßen und damit eine Existenz. Andere gehen im Schmutz und Elend unter.
Bei Hitler ist alles ganz anders.
Seine Möglichkeiten, sich über Wasser zu halten, sind denkbar gering. Für schwere körperliche Arbeiten ist er völlig ungeeignet. Es bleiben ihm zeichnerische und ähnliche Gelegenheitsarbeiten. Ruhelos eilt er durch die Straßen Wiens. Mit brutaler Entschlossenheit will er die Erfolgsleiter hinaufklimmen.
Die marxistische Lehre, die den Verstoßenen, den Proletariern das Klassenbewußtsein anbietet, ist für ihn keine Hilfe. Nein, er sucht nicht die Solidarität mit den übrigen Unterdrückten und Enterbten. Er will nach oben, koste es was es wolle.
Mit Hilfe zweifelhafter Literatur aller Art eignet er sich in zäher Beharrlichkeit wenigstens die Terminologie der sogenannten Gebildeten an. Seine Aufnahmefähigkeit ist enorm. Als Autodidakt sortiert er selbst das aus, was er für wertvoll hält. Es können nur dunkelste und vergiftete Quellen gewesen sein, aus denen er nunmehr seine Wertvorstellungen bezieht. In dieser Situation wird ein anderes entscheidendes Moment für Hitler sichtbar.
Es ist die Begegnung mit den Juden. Bisher waren ihm diese Mitmenschen in ihrer besonderen Art und Religion kaum im Wege gewesen, er hat sie wegen ihrer Intelligenz, ihrer Gewandtheit sogar insgeheim bewundert. Der jüdische Hausarzt der Familie hatte noch freundliche Kartengrüße von ihm empfangen.
In der Weltstadt Wien mit den fast zweihunderttausend Einwohnern jüdischer Herkunft wird das plötzlich anders.
Immer wieder treten sie vor ihm auf: als Lehrer, Kunstsachverständige, Händler, Juristen und endlich auch als zugereiste Mitgenossen im Obdachlosenasyl, in dem er untergekommen ist.
Es reizt ihn, seine politischen und sonstigen Ansichten gerade bei ihnen an den Mann zu bringen. Er begreift wohl nicht recht, daß die Juden schon ein Volk waren, als an eine europäische Völkergeschichte noch gar nicht zu denken war. Diese Menschen hatten schon in fast hundert Generationen ein Gespür für Geschichte. Sie wußten, wer sie waren. Sie ahnten zumindest ihre Überlegenheit gegenüber allen anderen Völkern, die so etwas wie eine allgemeine Unterweisung kaum dreihundert Jahre kannten.
Während die anderen Gestrandeten und Heruntergekommenen Hitlers hochtrabenden, mit Fremdwörtern künstlich überladenen Ansprachen zuweilen bewundernd lauschen, stößt er gerade bei den Juden auf Verachtung und Ablehnung. Sie erkennen den Halbgebildeten, den Dilettanten, und sie lachen ihn einfach aus.
Hätten sie es nur nicht getan.
Wehe euch, ihr Spötter und Besserwisser; dieser da wird zurückschlagen. Er wird es tun, so hart und grausam, daß die Ordnung eines Kontinents, ja sogar der ganzen Welt ins Wanken gerät.
Wer kann es auch ahnen, daß jener, der in den Jahren um 1910 hungernd, grollend und bettelnd durch die große Stadt zieht, einst ein Mächtiger sein wird.
Der zornige junge Mann hat aber nunmehr seine Gegner gefunden. Er formt schon jetzt an einer Theorie herum, in der die Juden zu den Vertretern des Bösen schlechthin werden.
Gierig greift er nach den zugänglichen antisemitischen Schriften. Vier Jahre hält es Hitler in Wien aus, dann drängt es ihn nach München. Er träumt noch immer von seiner Künstlerlaufbahn.
Als kleiner Zuträger für Polizeidienststellen (sprich Spitzel) verschafft er sich einige Zuwendungen, mit denen er sich mühselig über Wasser hält.
Sein unstetes Leben ohne feste Arbeit endet erst im August 1914. Aber bereits in den Jahren bis zu diesem Zeitpunkt bildet und entscheidet sich der eigentliche Adolf Hitler. Wie aber sieht diese Entscheidung aus?
Eigentlich hätten wir allen Grund, Verständnis aufzubringen für die Fehlentwicklung, die sich aus der erbärmlichen Jugend, aus dem Versagen von Elternhaus, Schule und Kirche ergab.
Das Elend, das dieser intelligente junge Mann körperlich und seelisch erlitt, mußte ihn zwangsläufig total herausfordern. Wer mit wachen Augen in der Finsternis steht, mußte der nicht das Licht suchen?
Wer mit scharfem Verstand Lüge und Heuchelei erlebt, mußte der nicht die Wahrheit lieben?
Wer mit Idealen erfüllt soviel Ungereimtes erfährt, mußte der sich nicht nach Klarheit sehnen?
Die Verantwortlichkeit des Menschen ist absolut. Man müßte das Menschsein leugnen, wollte man das bestreiten.
Hitler hat auch die andere Seite erlebt, denn ohne einen Funken Menschlichkeit wäre er längst zugrundegegangen. Dieser Mann namens Hitler entflieht nicht der Finsternis, er stürzt sich in sie hinein.
Dieser Mann, der mehr und mehr seine Überlegenheit gegenüber der Masse der Gleichgültigen und der Engstirnigen zu spüren beginnt, saugt alle Demütigungen und Beschimpfungen fast wollüstig in sich hinein.
Er wird solange dienern und sich treten lassen, bis er selbst nach oben gelangt ist. Dann allerdings kann er zurückschlagen, und die Welt wird erzittern.
Es ist sehr beachtlich, daß Hitler in diesen frühen Jahren nicht einer primitiven Kriminalität verfällt.
Aus einer mystischen Deutung heraus könnte man hier sagen: Die Dämonen haben Größeres mit ihm vor.
Die in ihm schäumenden Gedanken und Ideen bannen selbst das banale Laster.
Es ist auch nichts zu spüren von einem natürlichen Hang zum Partner, zur Ehe. Die Frauen und Mädchen weichen ihm aus. Sein scharfer, stechender Blick erzeugt bei vielen eine Gänsehaut. Dieser Außenseiter kann keine unkomplizierten Gespräche führen. Alles, was er redet und tut, ist eingesponnen in seine große, phantastische Ideenwelt, und damit ist er allein.
Wer sollte ihn auch verstehen?
Als am 2. August 1914 die Flamme des Krieges auflodert, steht Hitler inmitten einer vaterländischen Kundgebung auf dem Odeonsplatz in München. Findigen Leuten ist es gelungen, ihn viele Jahre später auf einer Fotografie von diesem Ereignis herauszufinden. Es ist anzunehmen, daß auch Hitler von dieser hysterischen patriotischen Welle mit fortgerissen wurde.
Seine Ideenwelt wird nun notgedrungen in eine andere Region erhoben. Derselbe Mann, der sich bisher um den österreichischen Militärdienst herumgedrückt hatte, reicht plötzlich ein Gesuch ein, im deutschen Heere dienen zu dürfen.
Die Genehmigung, in ein bayerisches Regiment einzutreten, wird prompt erteilt. Als sich die Tore der Kaserne hinter dem Kriegsfreiwilligen Adolf Hitler schließen, ist auch ein höchst unproduktiver Lebensabschnitt beendet.
Von nun an hat er endlich ein regelmäßiges Essen, eine saubere Unterkunft und eine ordentliche Bekleidung. Er hat sogar ein paar Mark Sold in der Tasche, und das «Ehrenkleid» des Soldaten hat ihn herausgehoben aus der Kaste der Nichtsnutzigen und Verachteten.
Was scheren ihn die Beschimpfungen und Demütigungen des militärischen Drills? Er ist ganz andere Dinge gewohnt.
In den ersten Kriegsmonaten ist die militärische Ausbildung auch höchst oberflächlich. Man hat es eilig, um noch vor Kriegsende an die siegreiche Front zu kommen.
Bereits am 10. Oktober 1914 rückt Hitler mit den Angehörigen des 16. bayrischen Reserveinfanterieregiments ins Feld. Auf Grund späterer Nachforschungen wurde die Legende von dem unerschrockenen Frontkämpfer Adolf Hitler gründlich zerstört. Nachdem Hitler an einigen Gefechten teilgenommen hat, wird er Meldegänger im Regimentsstab. Sein Betätigungsfeld liegt damit mehr in der Etappe. Ob ihn körperliche Untauglichkeit oder andere Gründe zu solchem Posten verholfen haben, ist kaum feststellbar.
Dank seiner Intelligenz gelingt es Hitler, den größten Gefahren stets auszuweichen. Er drängt sich nicht nach Heldentaten, wie es später fälschlicherweise dargestellt wurde. Es gibt für ihn, außer der Ernennung zum Gefreiten, keine militärische Laufbahn.
Um so erstaunlicher ist die Tatsache, daß der spätere «Feldherr» seine ersten militärischen Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten zu dieser Zeit erwirbt.
Als Scharfblickenden fasziniert ihn das Funktionieren der Kriegsmaschinerie. Er sieht, wie das militärische Prinzip des Kommandierens die politischen und sonstigen Probleme vereinfacht und beseitigt. Den Regimentsmelder Hitler überwältigen die Erkenntnisse. Mit gierigem Interesse beobachtet er Umgangsformen und Sprache der Stabsoffiziere. Das ist die Welt, in der er leben möchte. Das ist die Welt ungeahnter Möglichkeiten. Die ungezählten Wartestunden in den Vorzimmern der Stäbe und Kommandanturen lassen genügend Zeit für Gedanken und Betrachtungen. Das Wanken und Brechen der Fronten in ihm, dem begeisterten Jünger des Krieges, ein wachsendes Ärgernis. Besonders die fehlende Kampfmoral und die Kriegsmüdigkeit der Menschen in der Heimat erregt seinen höchsten Unwillen und wieder beginnt er, über Möglichkeiten und Ursachen zu sinnieren Etwas sonderbar und fragwürdig ist die Gasvergiftung, die Hitler am 14. Oktober 1918, also in den letzten Kriegstagen erlitten haben will. Der angeblich Erblindete wird schon nach vier Wochen als geheilt entlassen.
Von diesem Zeitpunkt her datiert Hitler seine politische Laufbahn, da er angeblich im Lazarett Pasewalk den Entschluß gefaßt haben will, Politiker zu werden.
Die Wirrnis in den Novembertagen des Jahres 1918 ist groß, und vielfach ist nur der Übergang vom großen Völkerkrieg in den kleinen Bürgerkrieg zu spüren.
Die zermürbten und kriegsmüden Soldaten eilen in Massen heimwärts, um in ihr ziviles, friedliches Leben zurückzukehren.
Nicht alle können das. Der Gefreite Adolf Hitler kann und will das nicht. Er hat weder Heim noch Familie. Sein neue Mutter ist die Armee.
Bett und Verpflegung findet er vorerst in einer Münchener Kaserne. Der entschiedene Soldat ist aber viel zu klug, um etwa zu versuchen, sein kostbares Leben einem Freikorps anzuvertrauen oder sich in sonstige eisenhaltige Verwicklungen zu stürzen. Nein, da gibt es für ihn andere und bessere Möglichkeiten.
Wir finden ihn dann bald als Wachtposten im Gefangenenlager Traunstein, wo er nebenbei an einem vaterländisch politischen Lehrgang teilnimmt.
Das ist nun allerdings die richtige Luft für den Kampftheoretiker. Hier kann er seine Gedankengänge etwas systematisch einordnen und weiterentwickeln.
Die Vorgesetzten spüren die Brauchbarkeit dieses Außenseiters und machen ihn später zum Propagandisten.
Das kurze Intermezzo der Räteherrschaft in München übersteht Hitler trotz allem ungeschoren.
Infolge seiner Weigerung, zum österreichischen Heer überzutreten, war Hitler im Jahre 1916 die Staatsangehörigkeit entzogen worden. Der nunmehr staatenlose Patriot ist trotzdem bei seiner nationalistischen Agitationstätigkeit vollends im Element.
Zu seinen Aufgaben gehört es u. a., politische Versammlungen aller Art zu besuchen, um über die auftretenden Strömungen berichten zu können.
Eines Tages, wir schreiben den 12. September 1919, gelangt er unter diesen Umständen in das verqualmte Hinterzimmer des Sterneckerbräus in München, wo sich eine politische Gruppe namens «Deutsche Arbeiterpartei» mit einigen Gästen zusammengefunden hat.
Angesichts des hilflosen Gestammels dieser Leute wittert Hitler seine große Chance. Das aussichtslose Bemühen dieser Kleinbürger, einen starken Gegenpol für die immer stärker werdende marxistische Bewegung zu bilden, läßt ihn aufhorchen. Er meldet sich zu Diskussionen. Dann spürt er, daß diese Leute ihn ernst nehmen.
Im Kopf Hitlers spukte bisher die Idee von einer eigenen «Sozialrevolutionären Partei»; im Hinblick auf dieses Häuflein der Ratlosen beschließt er, mitzumischen. Bereits vier Tage später ist er Mitglied und vier Wochen später Propagandist dieser Partei.
Als erster bemerkt der Parteivorsitzende Karl Harrer, daß da anscheinend ein Kuckucksei ins eigene Nest gelegt wurde. Diesen Hysteriker möchte er am liebsten wieder abschieben. Er sagt Hitler auf den Kopf zu, daß er als Redner nichts tauge. Es ist zu spät, der so Kritisierte kann alle Vorhaltungen rasant überspielen.
Am 5. Januar 1920 legt Harrer den Parteivorsitz nieder. Nachfolger ist der Schlosser Anton Drexler, während Hitler vorläufig noch «Werbeobmann» bleibt.
Auf Betreiben Hitlers gelingt es, ein sogenanntes Parteiprogramm, bestehend aus 25 Punkten, auszuarbeiten.
Es hat unter anderem folgenden Wortlaut:
1. Wir fordern den Zusammenschluß aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu einem Großdeutschland.
3. Wir fordern Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses.
4. Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Hinsicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.
17. Wir fordern eine unserem nationalen Bedürfnis angepaßte Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke, Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation.
Der entschiedene Rassismus und die nationale Überheblichkeit halten auch später durch. Lediglich der Punkt 17 muß später ergänzt werden. Da die Finanzierung der Partei mehr und mehr von gewissen Geldgebern abhängig ist, kommt es zu der Feststellung, daß die «unentgeltliche» Enteignung in erster Linie gegen die jüdischen Grundspekulationsgesellschaften gerichtet sei.
Die Verkündigung dieser Thesen erfolgt im Hofbräuhaus München vor einer Zuhörerschaft von etwa zweitausend Menschen. Es ist die erste Massenversammlung.
Hitler sagt später wörtlich:
«Am 24. Februar 1920 haben wir es gewagt, die Bevölkerung einer Stadt aufzurufen für eine neue Partetei mit einem neuen Programm, mit neuen Männern, die alle unbekannt waren. Wir waren selbst entsetzt über unsere Kühnheit … Dann hatte ich die Ehre, zum ersten Mal zu reden vor einer großen Menschenmenge. Ich hatte noch nicht zehn Minuten gesprochen, da brüllte es in ununterbrochenen Zwischenrufen.
Ein ganz kleiner Trupp meiner getreuesten Anhänger griff manchmal dazwischen, manchmal blitzten Seitengewehre auf. Wir haben uns nach zwei Stunden langsam durchgesetzt … Alles, was später geschah, war nicht so schwer, wie dieser erste Schritt.»
Diese Massenversammlung scheint allerdings so eine Art Durchbruch gewesen zu sein. «Werbeobmann» Hitler legt seine letzten Hemmungen ab und stellt sich ganz auf Massen ein.
Als Reklamechef seines Vereins entwirft er natürlich selbst die Plakate. Von Häuserwänden und Litfaßsäulen leuchtet von nun ab fettgedruckt der Name «Adolf Hitler».
Das Selbstbewußtsein des jungen Mannes, dessen Gebaren vielen so lächerlich erscheint, wird hierdurch jedenfalls ungemein gehoben. Das politische Unternehmen floriert so gut, daß der unentbehrliche Propagandist am 1. April 1920 offiziell aus dem Militärdienst ausscheidet.
Mit Hilfe der Schriften H. S. Chaimberlains und der Einflüsterungen des sogannten Dichters Dietrich Eckart vervollständigt Hitler sein rhetorisches Vokabular.
Seine «Parteifreunde» werden allerdings nicht seine Freunde. Sie haben den Eindruck, daß dieser Sonderling, der stundenlang hinter seinem Glas Mineralwasser sitzt und dabei unentwegt redet, eigentlich gar nicht zu ihnen paßt. Wie dem auch sei, dieser Außenseiter mit seiner restlosen Hingabe für die politische Sache ist zur eigentlichen Triebfeder der Partei geworden.
In der Folgezeit hält die nunmehrige «Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei» zahlreiche Massenversammlungen ab. Der verhinderte Kunststudent Hitler entwirft im Sommer 1920 die schwarz‑weiß‑roten und anderen Hakenkreuzsymbole, und Ende des Jahres erwirbt die Partei mit Hilfe einiger Gönner die bisherige Halbwochenzeitung «Völkischer Beobachter».
Einige Monate später kommt es trotz aller Erfolge doch noch zu einer schweren Krise. Den Vorstandsmitgliedern ist das Verhalten des groß aufspielenden Hitlers schon lange zu einem Ärgernis geworden. Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 29. Juli 1921 wird nichts weniger verlangt, als die Entfernung Hitlers.
Die Ärmsten, sie ahnen nicht, daß sie schon längst überrundet sind. Wer will schon ernsthaft gegen Hitler argumentieren? Was will man gegen einen Mann vorbringen, der Tag und Nacht politisch arbeitet und der weder mit Schulden noch mit Liebesaffären belastet ist? Gewiß, er ist nicht ihresgleichen, aber er ist politisch zuverlässig.
Es kommt das Unvermeidliche: Die Mehrheit der Mitglieder erkennt, daß sie auf ihren Motor nicht verzichten kann und wählt den noch jungen Mann zum 1. Vorsitzenden.
Dieser Tag sollte aber noch so etwas wie eine geschichtliche Bedeutung haben; Hitler nimmt den Vorsitz unter der Bedingung an, daß ihm Sondervollmachten erteilt werden. Die Reste demokratischen Geistes innerhalb der Partei werden liquidiert.
An Stelle der Mehrheitsbeschlüsse tritt das «Verantwortungsprinzip». Der erst 32jährige Hitler ist geradezu verzückt über seinen Erfolg und stürzt sich mit doppelter Kraft in die politische Arbeit. Von nun an ist alles anders,. Als «Chef» darf er die Besonderheiten, Launen und Wutausbrüche haben, die ihm vorher niemand nachsehen wollte. Ein Chef ist eben ein Chef.
Jetzt kommt Schwung in den schon müde gewordenen Laden. Hitler versäumt nicht, einen neuen Geschäftsführer zu ernennen. Er hat eben auch seine Erfahrungen, und so wird sein früherer Feldwebel Max Amann der Spieß der Partei.
Dann aber verwirklicht Hitler seinen schon lange gehegten Wunsch. Es ist die Gründung der SA. Die Parteichronik gibt als Gründungstag den 3. August 1921 an.
Auch dieser Tag muß als bedeutungsvoll angesehen werden, denn von nun an entwickelt sich die Partei zu einer Armee.
Kapp‑Putsch‑Teilnehmer Ehrhardt stellt Hitler den Marineleutnant a. D. Klintzsch als Organisator zur Verfügung.
In der Öffentlichkeit erscheint ein Aufruf zum Einritt in die «Turn‑ und Sportabteilung der NSDAP».
Die Aufstellung der sogenannten «Sturm‑Abteilungen» war nicht so von ungefähr. «Ordnertrupps» waren bereits auf jeder durchgeführten Versammlung zugegen gewesen. Ihre Verstärkung ist Hitlers großes Anliegen. Im Gründungsruf schreibt er u. a. wörtlich:
«… Mit dieser Versammlung war nun erstmals die Notwendigkeit der Gründung unserer Sturmabteilungen auch dem Einfältigsten gegenüber klar geworden …
Hier in München, in der nationalsozialistischen Versammlung: erbitterter Widerstand, Hinauswerfen des Gegners mit blutigen Schädeln; die Versammlung kann nach 30 Minuten bereits wiederfortgesetzt werden.
In Nürnberg in der deutschnationalen Versammlung: jämmerliches Dulden der Störung. Davonlaufen und endlich blutige Verfolgung der Versammlungsteilnehmer durch die Terroristen. ‑ So etwas darf bei uns nicht einreißen. Der Gegner muß wissen, daß jeder Versuch einer Störung unserer Versammlung auf rücksichtslosen Widerstand stößt, ein Widerstand, der nicht im Besänftigen besteht …
Für die einzelnen Ortsgruppen soll sie eine warnende Lehre sein, frühzeitig den Geist der Entschlossenheit und des Draufgängertums zu wecken.»
Diese Sprache ist allerdings verständlich. Es ist der Geist des Krieges und der Barbarei, der aus diesen Worten spricht. Für Hitler ist der Krieg nicht zu Ende, und er wird auch nicht zu Ende sein, solange er lebt. Andererseits geht es hier durchaus nicht nur um das Schützen der eigenen Versammlungen. Die Annalen berichten, daß Hitler wegen der gewaltsamen Sprengung einer Versammlung des Bayernbundes im Januar 1922 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wird. Von dieser Strafe braucht er aber nur vier Wochen abzusitzen. «Blutige Schädel» und «Draufgängertum» sind und bleiben Hitlers Element.
So makaber es auch erscheint, es führt ein gerader Weg von diesen lokalen Schlägereien bis zu den Massenvernichtungslagern und den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges.
Aber die zahlreichen Saalschlachten bringen der Partei damals nur ungeahnte Vorteile. Die Presse muß sich wohl oder übel mit diesen Auswüchsen des politischen Kampfes beschäftigen. Dadurch wird die Partei Diskussionsobjekt, und gerade das beglückt die Nazis.
Für Schlägereien und Krawalle gibt es immer Interessenten, und so füllen sich die Versammlungen der Hitlerleute mehr und mehr. So manchem Kleinbürger imponiert die «Konsequenz», mit der hier die «Aktionen» durchgeführt werden.
Auch in organisatorischer Hinsicht tut sich etwas. Eine größere Geschäftsstelle wird in München, Cornelius‑Str. 12, in den Räumen einer ehemaligen Gastwirtschaft eingerichtet.
Die Partei wird zum Sammelbecken für Gestrandete und Heruntergekommene, für verjagte Offiziere und kleinbürgerliche Nationalisten und endlich mehr und mehr für kriminell und abenteuerlich veranlagte Jugendliche. Es stört scheinbar nicht, daß es neben der NSDAP noch andere zahlreiche nationale und sogenannte völkische Verbände und Gruppen gibt. Alle zusammen sind sich vorerst in einem Punkt einig: Haß und Verachtung für die junge Republik.
In die Periode der SA‑Gründung fällt auch die Entstehung des militärischen Appell‑Ritus. Es entwickelt sich ungefähr folgende Praxis: Die angetretenen Verbände, wie Kompanien, Bataillone, Gruppen, Sturmbanne, Stürme, Gefolgschaften u. ä. werden dem «Führer» oder dem jeweiligen Vorgesetzten «gemeldet». Nach der Begrüßung erfolgt eine bellende, haßerfüllte Rede. Sie zielt natürlich auf irgendwelche Gegner. Zuerst sind es die Kriegsgewinnler, Spekulanten und Novemberverbrecher, dann Juden, Demokraten und Bolschewisten und je nach Sachlage auch die Schwächlinge und Verräter in den eigenen Reihen.
Dazu gehört fast immer das Abschreiten der angetretenen Formationen. Der jeweilige Führer versucht dabei, möglichst vielen direkt in die Augen zu sehen. Es ist wie das Abtasten eines Hypnotiseurs, ein magisches Vereinnahmen der stumpf dastehenden Massen. Ein donnerndes «Sieg‑Heil» rundet dann diese kultisch anmutende Szene ab. Das alles erhält sich auch bei den rein militärischen Verbänden bis zum bitteren Ende des Regimes. Millionen wurden so vereinnahmt, getäuscht, überwältigt, in die Irre und schließlich in den Tod geführt.
Kapitel 4 Geschichte und Ethos
Was war das eigentlich mit diesem deutschen Volk? Wie stand es um die geistige Substanz dieser Menschen damals? Es scheint angebracht, an dieser Stelle einen flüchtigen Rückblick in die Geschichte zu tun.
Ein altes Geschichtsbuch aus der Vorkriegszeit (des Ersten Weltkriegs) gibt uns Aufschluß über die seit vielen Generationen herrschende Geschichtsauffassung. Wir lesen dort:
«Die alten Deutschen waren ein rauhes, kernhaftes Geschlecht. Aus ihren trotzigen Augen strahlte Mut und Einheit … Ackerbau gewährte den Männern kein Vergnügen. Ihre größte Lust war Jagd und Krieg … Der höchste Gott war Wotan der Himmelsgott. Er thront in der hunderttorigen Himmelsburg Walhalla. Hier ist auch der fröhliche Aufenthaltsort der im Kampfe gefallenen Helden …»
Sicher eine idealisierende Darstellung von zweifelhaftem historischem Wert. Es fehlen Hinweise auf die unvorstellbare Härte und die Grausamkeit des damaligen Lebens.
In den Geschichtsbüchern geht es weiter Seite für Seite: Kriege, Kriegshelden und Kriegsgeschrei. Auch die Einführung des Christentums brachte scheinbar keine Änderung.
Zwar traten an die Stelle von Götzenbildern Kirchen und Kapellen. Die Herzen der Menschen dagegen waren wohl auch in den darauffolgenden Jahrhunderten voll heidnischen Trotzes und Aberglaubens. Nur einige, die vor der Ungeheuerlichkeit des christlichen Evangeliums erschraken, flüchteten in Klöster und Einöden. Fürsten und Könige machten die Lehre der Kirche zur Staatsdoktrin, aber die Botschaft des waffenlosen Königs aller Könige konnte nur langsam und zögernd in die Herzen der Menschen einziehen.
Wir wissen heute, daß es auch in anderen Ländern so war und unter den waltenden Umständen gar nicht anders sein konnte. Das kriegerische Gegeneinander zwischen Päpsten, Königen und anderen Gewaltigen nahm kein Ende, und parallel zu den geschichtlichen Aufzeichnungen entstanden Heldenlieder und Heldensagen.
Bei einer oberflächlichen Betrachtung gibt es den Anschein, als wenn sich durch die Reformation im 16. Jahrhundert das kriegerische Durcheinander noch verstärkte.
Heute kann auch der einfachste Mensch nachlesen, daß in der frohen Botschaft des Menschensohnes keine Aufforderung zu irgendeinem bewaffneten «Kreuzzug» enthalten ist.
Zu einer Zeit, in der selbst Könige und Herzöge kaum lesen und schreiben und schwer begreifen konnten, mögen einige Größen der Staatskirche nach den Heldengeschichten des Alten Testaments geschielt haben, wenn sie ihre kriegerischen Pläne rechtfertigen wollten.
Dem glaubensstarken Martin Luther war zu seiner Zeit nichts anderes übriggeblieben, als die Kirche, die dem politischen Papsttum entrissen war, in die Hände der Fürsten zu geben.
Luther und die anderen Reformatoren hatten heilige Unruhe in die Christenheit hineingebracht. Für die Deutschen aber war Luthers Bibelübersetzung mehr als eine Revolution. Diese Sprache der Bibel ist zur Grundlage der Staatsbildung geworden.
Einige Geschichtsschreiber haben immer wieder bestätigt, daß die geistigen Kräfte der Christus‑Verkündigung der deutschen Seele das moralische Fundament gegeben haben. Hierzu ist allerdings festzustellen, daß die sogenannte «Christianisierung» ähnlich wie in den übrigen europäischen Ländern ein fragwürdiger und mit vielen Widersprüchen belasteter Prozeß gewesen ist.
Dieselben von Mord und Krieg blutbefleckten Hände bauten dem Gott gewaltige Kirchen und Kathedralen, der keine steinernen Monumente, sondern die Herzen der Menschen wollte.
Der Spötter, Zyniker und Raubkrieger Friedrich II. bezeichnete sich ungeachtet seiner sonstigen Einstellung als der vornehmste «Diener» seines Volkes.
Dies als Beispiel für die damalige Widersprüchlichkeit. Der Krieg und das idealisierte Soldatentum waren wohl bis zum Ersten Weltkrieg der selbstverständlichste Bestandteil der Politik. Es war schon ein langer Weg, bis der als Blut‑ und Eisenkanzler bekannte Staatsmann Bismarck sagen konnte und mußte:
«Ich betrachte auch den siegreichen Krieg an sich immer als ein Übel, das die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muß.»
Alle Staatskunst verhinderte aber nicht den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Zu dieser Zeit galt wohl die vielgepriesene Christlichkeit höchstens als etwas für den Hausgebrauch. In der Politik herrschte der Geist des alten römischen Imperiums oder sogar noch die verwegene Selbstbehauptung germanischer Stammesfürsten. Für die «Gebildeten» war auch oft die Christlichkeit zuviel. Die Jammergestalt des Dornengekrönten konnte doch kein Leitbild für den «vorwärtsstrebenden» Menschen sein. Da waren die Ideale der Klassiker gefälliger.
Vielleicht aber ist noch dieses festzuhalten: Kirche und christliche Verkündigung haben trotz allem umfassend und intensiv Brauchtum, Ethik und Recht im Leben der europäischen Völker beeinflußt. Der Rückgriff der Humanisten auf die antike Vorstellungswelt ändert hieran nichts. Kulturdenkmäler und kulturhistorische Dokumente liefern dafür auch heute noch ein beredtes Zeugnis.
Die Grundsubstanz der deutschen Seele war wohl zu jener Zeit vielfach ein Gemisch von heidnisch‑trotziger Verwegenheit und rationalistisch durchsetzten christlichen Vorstellungen.
Der geschichtlich bedingte Nationalismus war so stark, daß auch die Führer der Sozialdemokratie im Jahre 1914 vor der Kriegshysterie kapitulierten. Das große Völkermorden zerstörte dann aber viele Hoffnungen und Ideale. Die Folge war ein großes Vakuum im Denken der Menschen. Man fand sich einfach nicht mehr zurecht.
Die mehrfach gespaltene marxistisch‑sozialistische Bewegung war nicht imstande, ein radikales Umdenken im Sinne eines proletarischen Internationalismus herbeizuführen.
Dazu kam die unfertige Ethik und das viel zu tief verwurzelte falsche Geschichtsbild.
Die anfänglich sozialistische Revolution führte zu einer bürgerlich ‑demokratischen Republik.
Wirren der Nachkriegszeit vergrößerten das deutsche Unglück, und es war nur zu billig, die neuen Machtträger dafür verantwortlich zu machen.
Wie konnte das alles geschehen, und wer ist schuld daran? Das waren die Fragen, die die Menschen bewegten. Unzufriedenheit und Ausweglosigkeit waren somit der Nährboden, auf dem die Bewegung Adolf Hitlers ihre Saat ausstreuen konnte. Wie viele Spötter und Zyniker konnte auch Hitler auf «allerchristlichste» Staaten und Machthaber hinweisen, die die vom Evangelium geprägten Normen offensichtlich ignorierten. Im Laufe der Geschichte war etwas wie eine neue Ideologie entstanden: der Patriotismus ‑ die Vaterlandsideologie.
‑ Schiller. ‑ «Ans Vaterland ans teure, schließ dich an.»
‑ Goethe: «Wo wir uns bilden, da ist unser Vaterland».
‑ E. M. Arndt: «O Mensch, du hast ein Vaterland, ein heiliges Land … »
Soweit es die allgemeine politische Entwicklung betrifft, war dies alles erträglich und zeitgerecht. Verhängnisvoll allerdings wurde, daß das besondere völkische und vaterländische Gedankengut mehr und mehr in die christliche Verkündigung hineingenommen wurde. Dazu einige Zitate aus Kriegspredigten eines evangelischen Pastors:
«Ein großer Dienst wird von euch gefordert, das ist der, daß ihr euer Leben nicht länger als eine Spielerei ansehen sollt, sondern, daß ihr es hinstellt in den Kampf um eine heilige, geläuterte Zukunft unseres deutschen Volkes, die das Ziel dieses ungeheuren Krieges ist, eine Zukunft, die die Siegeszeichen Jesu Christi tragen muß.»
«Kein schönrer Tod ist auf der Welt als wer vom Feind erschlagen… So haben deutsche Landsknechte vor 400 Jahren gesungen. So klingt es noch heute durch jedes deutsche Herz. Der Tod fürs Vaterland ist ein herrlicher Tod! Ehre denen, die ihn sterben. Dankbar gedenkt ihrer das Vaterland. Und gnädig neigt sich zu ihnen der allmächtige Gott. Denn es steht geschrieben im 116. Psalm: Der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten vor dem Herrn … »
Das alles erregte damals kaum oder nur sehr wenig Anstoß; aber die fortschreitenden Ereignisse haben das große Nachdenken, die Besinnung zum Fundamentalen hin, nach und nach bewirkt. Trotz aller Anbiederungsversuche mancher Kirchenmänner war die Widersprüchlichkeit zwischen Evangelium und Kriegsgeist nicht mehr zu übersehen, denn der durchaus annehmbare Patriotismus erlebte sehr schnell eine Ausweitung zum völkischen Rassismus. Einer der ganz Großen des Krieges, Erich Ludendorff, Generalquartiermeister und die eigentlich treibende Kraft des deutschen Generalstabes im Ersten Weltkrieg, hat dies deutlich genug zum Ausdruck gebracht.
In seinem Buch «Der Totale Krieg» (herausgegeben 1935), dessen Titel kommendes Unheil geradezu prophetisch proklamierte, schreibt er u. a. wörtlich: «Christenlehre ist eine Glaubensfremdlehre, die im tiefsten Widerspruch mit unserem Rasseerbgut steht, es abtötet, dem Volke arteigene seelische Geschlossenheit nimmt und es abwehrlos macht… Notgedrungen nur belassen Jude und christliche Kirche den Völkern noch nationale Werte, da sie das Blut nicht völlig zum Ersticken bringen können.» « … nimmt diese Lehre dem Christen jedes völkische und rassische Gefühl … »
«Christenlehre und die Lebensgestaltung nach ihr ist die tiefste Ursache völkischen Zusammenbruchs in der Not des totalen Krieges … » «Das Verstummen der Volksseele im weiteren Verlauf des Krieges zeigte klar und deutlich als überaus ernste Kriegserfahrung daß Christenlehre eben nicht die Glaubenslehre ist, die unserem Volk die Ausdauer gewährleistet, wie wir sie bei dem Ansturm der Unzufriedenen gegen sie bedürfen … »
Ludendorff, der selbst eine gutbürgerliche und auch christliche Erziehung genossen hatte, erkannte sehr gut die Diskrepanzen. Ihm war klar geworden, daß man bewußte Christen eigentlich nicht so ohne weiteres und auf Dauer in die Kriegsschlachten hineinjagen konnte. Dazu war wohl ein besonderer Verbildungs‑ und Vernebelungsprozeß erforderlich. Die von Ludendorff und seiner Frau Mathilde ins Leben gerufene völkische «Glaubensbewegung» erscheint aus der heutigen Sicht geradezu pathologisch, aber sie hatte damals einen sehr ernstzunehmenden Hintergrund. Die Widersprüchlichkeit im schulischen und sonstigen Erziehungsprozeß einiger Generationen, das Nebeneinander von Christlichkeit und Kriegsheldenverehrung, von Humanismus und Deutschtümelei begünstigte nun eine Horde von Aufrührern, die sich anmaßten, ein «Programm» vorzuweisen.
Kapitel 5 Aufmarsch aus der Bierstube
In der Parteigeschäftsstelle Corneliusstraße schläft man indessen nicht.
Die Mitgliederkartothek wird von Monat zu Monat umfangreicher, denn die SA bekommt Zuwachs aus allen Winkeln und Gassen. Aufbewahrungsort der Akten ist ein ehemaliger Eisschrank. Anfang 1922 zählt die Partei 8 000 eingeschriebene Mitglieder, und die Mehrzahl davon sind stramme Marschierer.
Angesichts solcher Aktivitäten wird selbst die gemütvolle bayrische Verwaltung unruhig, und sie plant die Ausweisung des staatenlosen Hitler. Die allzu demokratische Demokratie rettet jedoch den Antidemokraten vor solchem Schicksal. Das später in millionenfacher Auflage verlegte Buch «Mein Kampf» enthält u. a. auch die Schilderung einer sogenannten Saalschlacht aus dieser Zeit.
Hitler berichtet dort wörtlich:
«… Ein paar zornige Zwischenrufe, und ein Mann sprang plötzlich auf einen Stuhl und brüllte in den Saal hinein <Freiheit!>. Auf welches Signal hin die Freiheitskämpfer mit ihrer Arbeit begannen. In wenigen Sekunden war der Saal erfüllt von einer brüllenden und schreienden Menge, über die Haubitzenschüssen ähnlich unzählige Maßkrüge flogen; dazwischen das Krachen von Stuhlbeinen, das Zerplatzen der Krüge, Gröhlen und Johlen und Aufschreien. Es war ein blödsinniges Spektakel. Da hätte ich eine bürgerliche Versammlung sehen mögen! Der Tanz hatte noch nicht begonnen, als schon meine Sturmtruppler, denn so hießen sie von diesem Tage an, angriffen. Wie Wölfe stürzten sie in Rudeln von acht oder zehn immer wieder auf ihre Gegner los und begannen, sie nach und nach aus dem Saal zu dreschen. Schon nach fünf Minuten sah ich kaum einen von ihnen, der nicht schon blutüberströmt gewesen wäre. Wieviele habe ich damals erst richtig kennengelernt, an der Spitze meinen braven Maurice, meinen heutigen Privatsekretär Heß und viele andere, die selbst schon schwer verletzt, immer wieder angriffen, solange sie sich nur auf den Beinen halten konnten.
Zwanzig Minuten dauerte der Höllenlärm, dann waren die Gegner, die vielleicht sieben‑ oder achthundert Mann, aus dem Saal geschlagen und die Treppe hinuntergejagt.
Nur in der linken rückwärtigen Saalecke hielt sich noch ein großer Haufen und leistete erbitterten Widerstand. Da fielen plötzlich vom Saaleingang zum Podium her zwei Pistolenschüsse, und nun ging eine wilde Knallerei los. Fast jubelte einem doch wieder das Herz angesichts solcher Auffrischung alter Kriegserlebnisse.
Wer schoß, ließ sich von nun ab nicht mehr unterscheiden; nur das eine konnte man feststellen, daß sich von dem Augenblick an die Wut meiner blutenden Jungens noch mächtig gesteigert hatte und endlich die letzten Störer überwältigt aus dem Saale hinausgetrieben wurden. Es waren ungefähr 25 Minuten vergangen, der Saal selbst sah aus, als ob eine Granate eingeschlagen hätte. Viele meiner Anhänger wurden gerade verbunden, andere mußten weggetragen werden, allein wir waren Herr der Lage geblieben.»
Dieses Zitat ist mehr als aufschlußreich. Bereits im SA-Gründungsaufruf waren Stichworte gegeben wie «blutige Schädel» und «Draufgängertum». Hier geht es weiter: «wie Wölfe auf die Gegner stürzen», «aus dem Saal dreschen», «blutüberströmte Gegner», «wilde Knallerei» und schließlich «das jubelnde Herz» des Autors angesichts solcher Vorgänge. Wo blieben später die Weltweisen und Geisteswissenschaftler, die dieses Stück «Literatur» nach dem geistigen Hintergrund zu hinterfragen hatten? Wo blieben sie, die auf den Geisteszustand des Autors hinzuweisen hatten, der sich anbot, politische Macht auszuüben? Wo blieb sie, die gutbürgerliche Wissenschaft mit ihrer akademischen Gründlichkeit?
Jahre später sangen zehn‑, zwölf‑ oder vierzehnjährige sogenannte «Hitlerjungen» das Lied: «Haut se, haut se in de Schnauze, haut se mit vergnügtem Sinn in de Fresse rin, haut se … »
Sicher, manch einer schüttelte den Kopf über die, die da so frisch, fröhlich und unbekümmert einhermarschierten.
Wo blieben sie, die ihnen zu sagen hatten, wes Geistes Kinder sie nun geworden waren?
In diesen ersten zwanziger Jahren ist die politische Lage in Deutschland so verworren, daß sie Hitler Grund für waghalsigste Spekulationen geben. Schon 1921 hatte er Fühlung mit nationalen, sprich antirepublikanischen Kreisen aufgenommen. Selbstverständlich mißtrauen ihm die Führer der übrigen nationalen Gruppen, und das um so mehr, als es sich in der Mehrzahl um Herrschaften mit gehobener Lebensart handelt. Trotzdem, sie respektierten die Hakenkreuzbewegung.
Es gibt zahlreiche Querverbindungen zur Reichswehr, deren Offiziere die Republik für ein kaum erträgliches Übel halten. Durch Vermittlung des Reichswehrhauptmanns Ernst Röhm wird Hitler eines Tages dem Feldherrn a. D. Erich Ludendorff vorgestellt. Der Exgeneral ist zunächst schockiert. Das ist er ja nun wahrhaftig nicht, der germanische Recke, den er sich als den Retter Deutschlands vorstellt. Da der Mensch bei ihm sowieso erst beim Stabsoffizier anfängt, scheint es im ersten Moment keine Verbindung zu geben.
Will er ihn nicht erkennen, diesen: gezeugt aus seinem Geiste, geboren von der Mutter Armee? Der Psychopath Ludendorff sieht aber eines sehr bald: Dieser dunkelhaarige, undeutsche Jüngling, der da vor ihm herumdienert, verfügt über neue Soldaten. Er, der Feldherr, hat nur einige Bewunderer. Er wird es ihm zwar nie verzeihen, daß er es nur bis zum Gefreiten gebracht hat, aber es kommt doch noch zu einer Art Zusammenarbeit zwischen diesen beiden geistig so verwandten Männern.
Anfang 1923 macht Hitler den ehemaligen Fliegerhauptmann Hermann Göring zum Oberbefehlshaber seiner Sturmtruppen. Über dem Ausguß der früheren Wirtschaftsstube liegen ein paar Bretter. Das ist der Schreibtisch des Kommandeurs. Für diese Primitivitäten wird sich Göring nur ein Dutzend Jahre später ausgiebig entschädigen.
Am 1. Mai 1923 fühlt man sich schon sehr stark, und so wird in Verbindung mit anderen «vaterländischen Verbänden» ein bewaffneter Aufmarsch inszeniert. Draufgänger Hitler möchte eigentlich sofort gegen die «Roten» losschlagen, aber es gibt noch einige besonnene Männer, die den Heißsporn bremsen.
In der deutschen Politik ist es zu dieser Zeit so verworren, daß es in den nächsten Monaten zur Verhängung des Ausnahmezustandes kommt. Die junge Republik muß sich der alten Militärs bedienen, um eine leidliche Ordnung aufrechtzuerhalten.
Durch die französische Ruhrpolitik werden erneut völkisch‑nationalistische Leidenschaften entfesselt. Ausgerechnet Bayerns Hauptstadt München wird in dieser schwierigen Situation zu einer Hochburg der Nationalisten. Es kommt zu einem echten Konflikt zwischen Bayern und dem Reich.
Hitler, der aus der Ferne über den Siegeszug Mussolinis in Italien sehr gut informiert ist und der das politische Vorgehen der Faschisten mit lüsternem Interesse verfolgt, träumt nunmehr von einem «Marsch nach Berlin». Es gelingt ihm allerdings nicht, feste Verbindung mit übrigen Gruppen zu finden. Nur Ludendorff, der mit Lobhudeleien geradezu überschüttet wird, dem man schmeichelt und dabei wohl über die realen politischen Zusammenhänge hinwegtäuscht, bleibt irgendwie auf der Seite Hitlers. Als die alten Reaktionäre am 8. November 1923 eine vaterländische Kundgebung abhalten, hält Hitler seine Stunde für gekommen.
Jetzt glaubt er, die Großmäuligen, die seinem Drängen zum Losschlagen nicht nachgaben, durch einen Handstreich zu Verbündeten zu machen. Gegen 21 Uhr dieses Abends dringt Hitler mitten in die Versammlung, in den Bürgerbräukeller ein. Er springt auf einen Stuhl, feuert mit einer Pistole gegen die Decke und ruft: «Die nationale Revolution ist ausgebrochen! Der Saal ist von Schwerbewaffneten besetzt, niemand darf den Saal verlassen!» Die bärbeißig aussehenden Begleiter Hitlers lassen nichts Gutes vermuten.
Der Schreck der Anwesenden wird nicht geringer, als sie wenig später von der Absetzung der Reichsregierung und der Bildung einer neuen Regierung erfahren. Ludendorff, der angehende neue Reichsverweser, deckt mit seinem Namen und mit seinem Mitwirken diesen kitschig anmutenden Rummel. Er ist Hitlers größter Trumpf.
Der zwangsverbündete Generalstaatskommissar Dr. Kahr und andere haben am nächsten Tage Mühe genug, mit Hilfe der Reichswehr aus diesem Abenteuer wieder auszusteigen. Sie haben Wind gesät und nun diesen Sturm geerntet.
Hitlers Marsch von der Bierstube bis zur Feldherrenhalle, der ein «Marsch auf Berlin» werden sollte, endet hier mit blutigen Köpfen und einigen Toten.
Die verantwortlichen Akteure dieses Unternehmens setzt man natürlich hinter Schloß und Riegel. Einige von ihnen fliehen ins Ausland. Nur Ludendorff, der wohl auf Grund seiner «Verdienste» eine gewisse Narrenfreiheit besitzt, entgeht der Inhaftierung und später auch der Bestrafung.
Hitler wird im Februar 1924 vom Volksgerichtshof München zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt. Dieser Urteilsspruch ist mehr als milde, ja, er kann fast als eine Rechtfertigung angesehen werden.
Leider hat das Unternehmen auch noch einige andere Folgen. Die Bewegung bekommt ihre Märtyrer und tritt nun offiziell in die große politische Arena ein. Hitler erhält die Gelegenheit, den Gerichtssaal zur Tribüne für eine vaterländische Rede auszunutzen, in der er äußerst geschickt versucht, diese makabre Aktion als die Verzweiflungstat ehrbarer Männer darzustellen. Hitlers Schlußwort erscheint auch geradezu prophetisch, wenn es darin heißt:
«. . . Die Armee, die wir herangebildet haben, wächst von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde schneller. Gerade in diesen Tagen habe ich die stolze Hoffnung daß einmal die Stunde kommt, daß diese wilden Scharen zu Bataillonen, die Bataillone zu Regtimentern, die Regimenter zu Divisionen werden, daß die alten Fahnen wieder voranflattern, daß dann die Versöhnung kommt beim ewigen Gottesgericht, zu dem wir anzutreten willens sind … Denn nicht Sie, meine Herren, sprechen das Urteil über uns, das Urteil spricht das ewige Gericht der Geschichte . . . »
Der Sturm, der sich hier gelegt hatte, wuchs in der Tat nur zehn Jahre später zu einem Orkan heran, der die Welt erbeben ließ. Sie sind kein Hirngespinst, die «wilden Scharen», sondern bittere Realität.
Das Fiasko des Novemberputsches bedeutet wahrhaftig nicht das Ende der Hitlerbewegung. Auch als Hitler hinter Gittern sitzt, arbeitet die Zeit für ihn. Die Partei zerfällt zwar in zwei Gruppen, aber sie existiert auch so weiter. Der Chef der Bewegung fixiert erneut seine Ideen und beginnt, sein bereits genanntes Buch «Mein Kampf» zu schreiben.
Dieses Machwerk erhält auch als Verkaufsobjekt für die Partei später besonderen Wert. Die satanischen Gedankengänge, die in diesem Buch aufblitzen, werden auch von den Intellektuellen übersehen oder ignoriert. Der Verfasser hatte sich ja nicht gescheut, seine Verachtung für die Massen, seinen pathologischen Judenhaß und die Verdrängung der christlichen Ethik öffentlich zu dokumentieren.
Kapitel 6
Eine Lawine wächst heran
Kapitel 7
«Machtergreifung»
Nach diesen für die Nazis so günstigen Wahlen ist aber eine leidlich normale Arbeit der Regierung noch lange nicht möglich. Hatte man bereits vorher praktisch nur mit «Notverordnungen» operiert, so ging jetzt erst recht nichts mehr.
Keine Partei wollte die unpopulären «Notverordnungen» auf die Dauer bieten. Als Herr von Papen merkt, daß er praktisch den gesamten Reichstag gegen sich hat, löst er ihn mit einer vorher beschafften Blankovollmacht des Reichspräsidenten auf. Für den Durchschnittsbürger sieht das alles wie eine Bankrotterklärung des gesamten parlamentarischen Systems aus. Der deutsche Ordnungssinn kann sich wohl kaum mit diesem politischen Gerangel abfinden.
Anfang November 1932 strömen die Massen wohl oder übel wieder zu den Wahlurnen. jetzt passiert aber etwas, das Hitler und seine Trabanten am wenigsten erwarten: Das Spiel ist überreizt, sie verlieren bei nachlassender Wahlbeteiligung 2 Millionen Stimmen. Und wie ein Signal dagegen die Kommunisten gewinnen 700.000 Stimmen.
Reichskanzler von Papen, dem wohl nichts mehr einfällt, tritt Mitte November von seinem Posten zurück.
Wiederum wird Hitler zur Verhandlung über eine Regierungsneubildung nach Berlin gerufen.
Die reaktionären Kräfte in Deutschland: Altfeudale, Großbürgertum und Finanzkapital würden wohl gern einen ihrer Gewährsleute mit Hitlers Mandaten regieren lassen, aber Hitler läßt sich auf Kompromisse nicht ein. Schließlich gibt es jetzt eine erhöhte «rote Gefahr», und so beansprucht er noch immer den Kanzlerposten.
Man zögert, und es wird an seiner Stelle eine zwielichtige Gestalt, der General von Schleicher, zum Reichskanzler berufen. Die Drahtzieher und Dunkelmänner in der deutschen Politik haben aber hinter den Kulissen eine Kanzlerschaft Hitlers nunmehr ernsthaft in Erwägung gezogen. Das Anwachsen der KPD‑Stimmen mag dazu sicher der entscheidende Anlaß gewesen sein. Der einflußreiche Dr. Schacht kann in diesen aufregenden Wochen Hitler einen tröstlichen Brief zukommen lassen.
Es heißt u. a. darin:
«Sehr geehrter Herr Hitler! Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen zu der festen Haltung, die Sie unmittelbar nach den Wahlen eingenommen haben, meine besonderen Glückwünsche ausspreche. Es unterliegt für mich gar kein Zweifel, daß die Entwicklung der Dinge nur das eine Ende haben kann, und das ist Ihre Kanzlerschaft. Es scheint, als ob unser Versuch, eine Reihe von Unterschriften dafür zu bekommen, doch nicht ganz umsonst ist, wenn ich auch glaube, daß die Schwerindustrie kaum mitmachen wird, aber sie trägt ihren Namen <Schwerindustrtie> mit Recht von ihrer Schwerfälligkeit.. Ich bin mit Zuversicht erfüllt, weil das ganze gegenwärtige System sich mit Sicherheit tot läuft. Mit deutschem Gruß Ihr sehr ergebener Dr. H. Schacht.»
Ein Ersuchen führender Männer der Wirtschaft zugunsten Hitlers ist tatsächlich zustandegekommen. Der greise Reichspräsident, der sowieso von allen möglichen Leuten mit allen möglichen Ratschlägen überschüttet wird, kann sich aber keineswegs entschließen, zu diesem Zeitpunkt Hitler zum Kanzler zu machen. Ahnt er das Unheil, oder ist es nur die Abneigung einer Militärkaste gegenüber einem Exgefreiten?
So sieht sich also Herr von Schleicher Anfang Dezember 1932 in der schwierigen Lage, Unterstützung für seine neue Regierung zu erlangen.Da er mit den Hitlerleuten nicht mehr und mit den Kommunisten auf keinen Fall rechnen kann, plant er eine Art Einheitsfront von halbrechts bis halblinks.
Es sollte sich aber bald zeigen, daß der Herr General, der so gut intrigieren konnte, als Verantwortlicher in der großen Politik recht hilflos ist. Überhaupt ist die akademische Umständlichkeit, mit der Hitlers Gegenspieler operieren, nicht dazu angetan, einen solchen Partner matt zu setzen. Selbst als ein führender Mann der NSDAP, der Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser, seine Mitarbeit anbietet, kann Schleicher daraus nichts machen.
Andererseits könnte er mit Hitlers Personalakte, die sich in seinen Händen befindet, und anderen handgreiflichen Dokumenten Hitlers menschliche und moralische Integrität entlarven. War es nicht geradezu eine Pflicht, dies jetzt endlich zu tun? Die Aufweichung der ethischen Grundsubstanz wird hier schon offensichtlich.
Die erste Reichstagssitzung unter Kanzler Schleicher ist dann ein einziges Fiasko. Eine ordentliche Aussprache kann überhaupt nicht durchgeführt werden, da ständig Tintenfässer und andere Gegenstände durch die Luft fliegen. Die Abgeordneten werden sogar tätlich und benehmen sich im ganzen gesehen schlimmer als unmündige Schulkinder.
Das politische Leben ist nun so korrupt geworden, daß dem Einzug des absolut Kriminellen nichts mehr im Wege steht. Den Unterschied zwischen einem erträglichen Patriotismus und einem blindwütigen Rassismus scheint niemand mehr erkennen zu wollen. Was viele naive Gemüter für vorübergehende Ausartungen eines politischen Kampfes halten, ist bei der NSDAP von höchster Stelle abgedeckte Aktion.
Und das ist der Fluch der Stunde: Der Demagoge mit seinen Haßtiraden kann sich verständlich machen. Die Größen des Geistes mit ihrer intellektualistischen Terminologie können das nicht. Drastische, aber berechtigte Warnungen der Kommunisten gingen schon vorher im harten Wahlkampf unter. Kirchenmänner, im Obrigkeitsdenken befangen, sind ratlos und schweigen.
In diesen Tagen, in denen aus der Sicht des ordnungsliebenden Bürgers die junge Demokratie eine Bankrotterklärung abgibt, arbeitet die Zeit für Hitler. Der Ruf nach dem starken Mann wird lauter und lauter.
General von Schleicher ist bald völlig isoliert. Die Sozialdemokraten trauen ihm nicht, weil er seine Herkunft und seinen Umgang nicht verleugnen kann, und die bürgerlichen Gruppen nehmen es ihm übel, daß er mit den Linken und mit den Gewerkschaften anbandeln will.
Die reichsten Männer Deutschlands, die sich seit 1924 im «Deutschen Club», dem sogenannten Herrenclub zusammengefunden haben, beauftragen angesichts dieser verfahrenen Situation ihr attraktives Mitglied, Herrn von Papen, nochmals Verhandlungen mit Hitler aufzunehmen.
Gegen Hitler spricht zwar seine Herkunft, für ihn aber sein Versprechen, die Linken auf der ganzen Linie auszuschalten. So glauben es jedenfalls diese Herren.
Am 4. Januar 1933 kommt es zu der verhängnisvollen Begegnung zwischen Hitler und von Papen im Kölner Hause des Bankiers Schröder. Von Papen fühlt sich nunmehr ermächtigt, Hitler die Kanzlerschaft anzubieten, mit der Bedingung, die Konservativen an der Regierung zu beteiligen. Die Naivität dieses Angebots ist geradezu erschütternd.
Die Intriganten haben jetzt nur noch eine Hürde zu nehmen, und die erhebt sich in der Gestalt des alten, verknöcherten Hindenburg. Als der aalglatte braune Parteichef die ruhmreiche Vergangenheit beschwört und etwas von seiner Mitwirkung bei einer möglichen Restauration der Monarchie faselt, beginnt dieser preußische Eisblock zu schmelzen.
Die Ablösung Schleichers, der sich vollständig festgefahren hat, ist dann nur noch eine Formsache.
Am 30. Januar 1933 wird Hitler offiziell zum Reichskanzler ernannt. Ein neues Kabinett ist schnell zur Stelle. Franz von Papen fungiert als Vizekanzler und der deutschnationale Parteiführer Hugenberg, der sich vorher noch gewunden und gedreht hatte, übernimmt das Wirtschaftsministerium.
Die konservativen und nationalistischen Mitspieler glauben, die Dinge trotzdem noch in der Hand zu haben. Ihr Irrtum ist gewaltig. Hitler läuft ihnen davon und bringt seinen ersten staatsmännischen Theatercoup an: Der 30. Januar wird zum «Tag der nationalen Erhebung» erklärt, und ein nächtlicher Fackelzug mit zugehörigem Brimborium erzeugt den ersten nationalen Rauschzustand der aufgewühlten Massen.
Am 1. Februar erklärt Hitler im Namen seiner Regierung über den Rundfunk:
«… Indem der ehrwürdige Herr Reichspräsident uns in diesem großherzigen Sinne die Hände zum gemeinsamen Bunde schloß, wollen wir als nationale Führer Gott, unserem Gewissen und unserem Volke geloben, die uns übertragene Mission als nationale Regierung entschlossen und beharrlich zu erfüllen … So wird es die nationale Regierung als ihre oberste und erste Aufgabe ansehen, die geistige und willensmächtige Einheit unseres Volkes wiederherzustellen …
Sie wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks‑ und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen …
Sie will die Ehrfurcht vor unserer großen Vergangenheit, den Stolz auf unsere alten Traditionen zur Grundlage machen für die Erziehung der deutschen Jugend. Sie wird damit der geistigen, politischen und kulturellen Nihilisierung einen unbarmherzigen Kampf ansagen . . . »
Hier spricht der gewiefte Wahlkämpfer, der bereit ist, alles zu versprechen, um nichts zu halten. Herr von Papen glaubt, einen gezähmten Tiger neben sich zu haben, aber Monate später wird er um seine Position und sogar um sein Leben fürchten müssen.
Zu einer Regierungserklärung vor den gewählten Vertretern des deutschen Volkes kommt es natürlich nicht. Der neue Reichskanzler wird diese politische Arena nur als absoluter Sieger betreten, und so löst er kurzerhand den Reichstag auf. In vier Wochen sollen abermals Wahlen stattfinden.
Bis dahin manövriert Hitler außerordentlich geschickt. Mit Hilfe von Schatzanweisungen des Reichsfinanzministeriums organisiert er ein sogenanntes Arbeitsbeschaffungsprogramm. Hunderttausende von Arbeitslosen werden bei einer monatlichen Zulage von 25 Mark zur Arbeitslosenunterstützung für Reparaturarbeiten an öffentlichen Gebäuden eingesetzt. Das ist sicher sehr dürftig, aber es erweckt Hoffnungen. Andererseits erwirbt er sich durch Fürsprache seines einflußreichen Gönners Dr. Schacht einen Wahlfonds von 3 Milliarden RM bei der Großindustrie. Die stark verschuldete Hitlerpartei hat das mehr als nötig. Die noblen Herren lassen sich nicht lumpen, sind sie doch von Hitler nochmals auf die rote Gefahr hingewiesen worden.
Für die braunen Heerscharen der Bewegung gibt es nunmehr eine neue Aufgabe. Etwa fünfzigtausend werden als Hilfspolizei verpflichtet.
Der Terror der Saal‑ und Straßenkämpfe bekommt dadurch einen regierungsamtlichen Charakter, denn nicht umsonst heißt der Innenminister Frick und der preußische Ministerpräsident Hermann Göring. Der Fraktionsführer und der Reichstagspräsident haben jetzt Regierungsgewalt in den Händen. Die übrigen oppositionellen Parteien werden bald ausgeschaltet oder mundtot sein.
Am 27. Februar brennt der Reichstag. Ein Vorgang, den die Nazis in Regie genommen hatten. Dieses angebliche Signal des Aufstandes dient als Vorwand, um Kommunisten und Sozialdemokraten je nach Belieben zu verhaften. Grandiose Täuschungen für die breite Masse, blutiger Terror für die entschiedenen Gegner, so geht man in die Reichstagswahl am 5. März 1933. Die NSDAP erreicht tatsächlich 17 Millionen Stimmen und 288 Mandate.
Für Hitler ist das nicht genug. Was er braucht, ist eine Zweidrittelmehrheit.
Bei den Präsidentenwahlen im Vorjahr hatten 13,4 Millionen Wähler nazistisch und 19,4 Millionen traditionell national gewählt. Das ist die geistige Substanz, die Hitler vor sich hat. Sie gilt es jetzt zusammenzuschmieden.
In diesen verhängnisvollen Wochen beweist der neue Reichskanzler ein erstaunliches Gespür für die politische und psychologische Situation. Was viele später als Genialität bezeichnen, ist weiter nichts als absolute und konsequente Brutalität. Er hat immer das «Böse» gewagt und er wird auch weiter die schrecklichsten Dinge tun.
Noch aber steht Täuschung auf dem Programm. Es gilt, die nationalistische Vernebelung, den Rauschzustand des deutschen Volkes zu verstärken.
Sieben Tage nach der Wahl am 12. März wird der «Heldengedenktag» gefeiert. Die Hakenkreuzbewegung wird zu diesem Anlaß sehr rührig. In der Staatsoper Berlin, am Ehrenmal und gleichlaufend in vielen Orten des Reiches macht man bärbeißige, feierliche Gesichter, legt Kränze nieder, während die Kapelle das Lied vom «Guten Kameraden» spielt. Das sinnlose Massenmorden des Weltkrieges wird mythisch verbrämt. Ein Akt, der bei Millionen Kriegstrauernden nicht ohne Wirkung bleibt.
Das Hochjubeln soldatischer Traditionen und unentwegte Lobhudeleien für Hindenburg, den einstigen Feldherrn und amtierenden Reichspräsidenten, stehen ständig auf der Tagesordnung.
Die neuen Machthaber benötigen aber auch eine Art Weihe. Dazu wird am 21. März in Potsdam ein großer Staatsakt organisiert. Offizieller Anlaß ist die erste Tagung des neugewählten Reichstages.
Ganze Divisionen von SA, SS, Hitlerjugend und Frontkämpferbund überschwemmen die fahnengeschmückte Stadt. Der große propagandistische Bluff hält die Menschen in Erregung. Die endlos marschierenden Kolonnen, begleitet von Marschmusik, lassen die Augen von Kindern und Jugendlichen aufleuchten. Von den Gesichtern der Älteren und Veteranen strahlt so etwas wie Genugtuung.
Eine eigenartige Hochzeit wird an diesem Tag gefeiert. Es ist die Vermählung der alten preußisch‑deutschen Traditionen mit der braunen Schlägerbewegung.
Der greise Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg ist mit voller Kriegsausrüstung aufmarschiert, während der Herr der braunen Heerscharen ausgerechnet diesmal die eigenartige Uniform mit dem bürgerlich biederen Bratenrock vertauscht hat. Die ehrfurchtsvolle Verbeugung des jungen Kanzlers vor dem hochdekorierten, ehrwürdigen Reichspräsidenten läßt beinahe so etwas wie eine Übergabe, eine Unterwerfung vermuten. Einige der führenden braunen Mitkämpfer beginnen bereits zu murren. Sie fürchten, in dieser Verbindung zu kurz zu kommen. Adolf Hitler weiß genau, was er tut. Jeder Schritt ist mit diabolischer Schläue berechnet. Seine Energie wird alle Professionellen im Bereich der Politik restlos an die Wand spielen. Die Schwankenden und Unentschlossenen haben ihm gegenüber keine Chance.
Er baut auf den Erfolg, und sein Leitsatz ist und bleibt dieser: «Den Sieger fragt niemand, ob er die Gesetzlichkeit eingehalten hat.» Der Erfolg fasziniert und bedingt dadurch wiederum Erfolg. Überzüchteten Intellektuellen sowie hochgebildeten Ästhetikern, die sich vielleicht damit rühmen, von Politik nichts zu verstehen, wurde damit eine schmerzhafte Lehre erteilt, wie sich für alle sichtbar herausstellen sollte. Urteil in der Politik setzt allerdings Maßstäbe voraus, Maßstäbe, die zu dieser Zeit wohl schon verlorengegangen waren. Ein Relativismus, der keine Festpunkte mehr kennt, konnte hier nichts ausrichten. Demokratische Freiheitsbegriffe ohne oder mit verschwommenen Wertvorstellungen sind wertlos gegenüber hochgepeitschten Emotionen.
Es ist beängstigend zu sehen, wie auch Männer der Wissenschaft in dieser Situation kapitulieren. Da entdecken Leute, die es eigentlich besser wissen müßten, etwas von der absoluten Größe der nicht so fleckenlosen deutschen Vergangenheit. Sie entdecken sogar etwas vom Rasse‑ Erbgut und von der Verderbtheit der Juden. Die Erfolgreichen mußten ja wohl doch und mindestens teilweise recht haben. «Erfolg» als Wertbegriff, wie dumm und wie gefährlich das war (und ist).
Es geschieht viel Eigenartiges an diesem 21. März in Potsdam. Neben dem Jubel, den Salutschüssen und den Marschklängen läuten auch noch die Kirchenglocken. Vor dem Staatsakt in der Garnisonskirche finden Gottesdienste statt, an denen Abgeordnete und Minister getrennt nach Konfessionen teilnehmen. Gottes Wort und die Verkündigung des gekreuzigten Christus ‑ was soll das hier in dieser überheizten Atmosphäre? Die Botschaft der Bibel als Rückendeckung für die «neue Epoche» ‑ welch ein gewaltiges Mißverständnis! Noch einmal wird die tragische Synthese zwischen Staat und Kirche offenbar.
Nur zwei Hellsichtige sondern sich in dieser Situation ab. Es sind Hitler und sein Propagandaminister Josef Goebbels, Doktor der Philosophie. Goebbels ist ein Intellektueller, der genauso brutal agitieren und lügen kann, wie sein Herr und Meister handelt und zuschlägt.
Während die anderen Choräle singen, verharren diese beiden «ehrfürchtig» in den Gärten von Sanssouci oder vor den Särgen der Preußenkönige. Ihrer Taufe entsprechend hätten sie an dem katholischen Gottesdienst teilnehmen können.
Der große Verführer und sein Prophet spüren aber wohl den Riesenabstand ihrer Pseudoideologie von der Botschaft des Menschensohnes. In der Entwicklung, die sie jetzt einleiten, wird sich manches ändern. Bald wird man in Deutschland von einer konfessionslosen «Gottgläubigkeit» sprechen, und wen oder was meint wohl Hitler, wenn er die sogenannte «Vorsehung» anruft?
Vielleicht ist aber geradezu dieser Tag dazu ausersehen, dem deutschen Menschen ein altes Leitbild neu aufzupolieren. Es ist der militante Söldner, Landsknecht und Marodeur, der Kriegsheld, der den soldatischen Geist als die höchste Mannestugend feiert. Dieser Rückfall in barbarische Vorzelten wird scheinbar nur sehr wenigen bewußt.
Der «ehrwürdige Reichspräsident» und kaiserliche Generalfeldmarschall als Schirmherr dieses Tages beruhigt viele Zweifler. Die braune Bewegung ist damit augenscheinlich legalisiert.
Dem Anführer der Schlägerbanden, dem vorbestraften Staatsverbrecher und Randalierer, ist die Würde eines Staatsmannes nunmehr feierlich zuerkannt worden.
Es ist kaum auszudrücken, wieviel Tragik sich an diesem Tage zusammenballt, denn auch die Verbindung von Preußentum und Nazismus ist illegal.
Das, was man als «preußischen Geist» bezeichnen könnte, hatte immerhin einen, wenn auch sehr lückenhaften, christlichen Hintergrund. Preußentum, das war eben nicht nur stumpfer Kasernenhofdrill und unmenschliche Werbemethodik.
Preußentum, das war auch Lauterkeit, Sauberkeit und Unbestechlichkeit. Der Soldatenkönig und eigentliche Urahn des Preußentums war nicht nur ein schwieriger bigotter Querulant, sondern er gewährte auch vielen verfolgten Menschen Schutz und hat immerhin trotz allen Säbelrasselns keinen einzigen Krieg vom Zaune gebrochen.
Das Versagen von Christen und Kirchenleuten in dieser eigenartigen Umbruchsituation liegt auf der Hand. Die nationalistische Stimmungsmache hatte kirchliche Kreise genau so erfaßt wie bürgerliche Gruppen. Wo ein Großteil des Volkes umfiel, da konnten die Zugeständnisse der Volkskirche nicht ausbleiben.
Bereits 1932 hatten sich die sogenannten «Deutschen Christen» gebildet, die in völliger Verkennung der weltanschaulichen Frage dem Nationalsozialismus innerhalb der Kirche Raum verschaffen wollten.
Es gab Anbiederungsversuche und obrigkeitstreue Ergebenheitserklärungen von Vertretern aller Kirchen. Der Wahlkämpfer Hitler hatte ja im Gegensatz zu seinem Vorläufer und geistigen Verwandten Ludendorff die «Christenlehre» nicht offiziell verdammt.
Im Vergleich zur katholischen Kirche, die auf Grund ihrer inneren Geschlossenheit dem Regime eine relativ große Widerstandskraft entgegensetzte, hat die evangelische Kirche in der Folgezeit schwere innere Krisen zu überwinden gehabt. Irrtum und Verwirrung haben hier wahre Triumphe gefeiert.
Zu einer Gleichschaltung von Kirche und Naziregime ist es allerdings nie gekommen, denn nach und nach schieden sich die Geister.
Beängstigend waren oft die Anbiederungsversuche aus intellektuellen Kreisen. So schlugen Korpsstudenten plötzlich NS‑Mensuren.
Es schien, als sollte das SA‑Rabaukentum nunmehr auf eine höhere Stufe gehoben werden. Die Gleichschaltung aller Gruppen, insbesondere aber der Jugendverbände, war aber vorprogrammiert. Die Gleichschaltung aller und die Integrierung in die große «Volksgemeinschaft», das war das erklärte Ziel.
Jeder Art von selbständigem Denken, von Unabhängigkeit, wurde der entschiedene Kampf angesagt.
Ganz offen erklärte man in den Versammlungen: «Politik ist nach dem Willen des Führers nicht mehr die Kunst des Möglichen, sondern die Fähigkeit, das Unmögliche möglich zu machen.»
– Das Unmögliche wurde möglich.
Kapitel 8
Legalität und Lüge
Der Potsdamer preußische Ritterschlag für den vorbestraften Umstürzler und Mörderkumpanen ist aber nur die Einleitung für die Reichstagssitzung am 23. März 1933 in der Berliner Kroll‑Oper.
Zur Durchsetzung seiner Ziele benötigt Hitler Vollmachten. Er ist keineswegs gewillt, sich den üblichen demokratischen Spielregeln anzupassen. Niemals hat und wird er den Reichstag betreten, um Debatten zu führen. Als Sieger allerdings, mit seinen Schlägertrabanten auf den Wandelgängen, fühlt er sich sicher.
Dem Reichstag wird an diesem Tage ein «Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich» vorgelegt, das die Regierung zum Erlaß von Gesetzen ermächtigt.
Da diese absolute Verfassungsänderung einer Zweidrittelmehrheit bedarf, ist noch eine entscheidende Abstimmung im Reichstag notwendig.
Wie aber sieht dieser Reichstag aus?
Die 81 kommunistischen Abgeordneten sowie etwa 20 sozialdemokratische Abgeordnete sind inhaftiert oder sonst irgendwie verhindert.
Die Mandate der NSDAP und der Deutschnationalen machen etwa 52 % aus. Viele Vertreter der bürgerlichen Parteien befinden sich wie ihre Wähler in einem Zustand des nationalen Rausches. Schadenfroh schielen sie nach den Bänken der Kommunisten: Endlich sind sie einmal ausgeschaltet, diese ewigen Störenfriede von links.
Da Hitler in seiner Rechtfertigungsrede den Einsichtigen und Gemäßigten spielt, zögern sie nicht allzusehr, dem neuen Gewährsmann des kaiserlichen Marschalls ihre Zustimmung zu geben. Vielleicht ist es aber neben der Schadenfreude und dem Wohlwollen auch die nackte Angst, die manchem Abgeordneten ein «ja» abzwingt.
Angst und Schrecken spricht auch aus den Worten des sozialdemokratischen Sprechers, dessen Fraktion das «Ermächtigungsgesetz» ablehnt.
Mit bewegter Stimme wendet er sich gegen die willkürlichen Inhaftierungen. Im ganzen mäßigt er seine Ablehnung so sehr, daß er von Hitler nur noch verhöhnt wird. Das folgenschwere Gesetz wird auch ohne die Stimmen der SPD angenommen. Die deutsche Geschichte ist damit um einen tragischen Moment reicher, denn dies alles ist mit den Konsequenzen totaler Rechts‑ und Verfassungsbruch.
Solche Vollmachten reichen für Hitler und seine Organe aus, um binnen weniger Monate alle unbequemen Gruppen und Parteien zu liquidieren.
Es gibt dann nur noch die NSDAP mit ihren Gliederungen.
Aufrechte deutsche Männer und Frauen, die man als verbleibende Opposition bezeichnen kann, werden als sogenannte «Schutzhaft‑Häftlinge» gequält und geschunden.
Kommunisten und Juden werden zu Untermenschen erklärt, und mit dem Kampf gegen dieses angebliche Untermenschentum werden alle verbrecherischen Maßnahmen des Regimes gerechtfertigt.
Analog zu diesem Terror laufen einige geschickt angelegte sozial‑politische Maßnahmen, die den Durchschnittsbürger zu neuen Hoffnungen anregen. Der 1. Mai wird zum «Tag der nationalen Arbeit» erklärt.
Neben diesem gestohlenen Feiertag werden andere, neue nationale Feiertage eingerichtet, die mit viel Pomp und Aufwand die neuen Machtverhältnisse demonstrieren sollen. Als jeweiliger Höhepunkt ist dabei immer die mehrstündige «Führerrede» anzusehen.
Der neue Regierungschef meldet sich ziemlich oft zu Wort. Am 17. Mai 1933 kann er es sich sogar leisten, einen großen «Friedensappell» an die Welt zu richten.
In Deutschland gibt es bis zu diesem Zeitpunkt nur eine versteckte Aufrüstung, da der Versailler Friedensvertrag erhebliche Beschränkungen auferlegt hatte. Hitler hatte es also leicht, den übrigen Staaten Abrüstungsvorschläge zu machen. Die Art und Weise, wie der Staatsmann im Braunhemd seine Angebote macht, kann aber niemand in der Welt bewegen, darauf einzugehen.
Es gibt wohl nicht viele Menschen in Deutschland, die dieses durchsichtige Propagandamanöver sofort erkennen. Das betretene Schweigen in der Welt wird für Hitler die Rechtfertigung der geplanten Aufrüstung sein. Man hatte ja seine «Friedenshand» zurückgestoßen. In diesen Monaten nach der «Machtergreifung» wird ein neuer Gruß in Deutschland eingeführt. Man wünscht sich keinen «Guten Tag» mehr oder etwa ein «Grüß Gott». «Heil Hitler» heißt dieser Gruß. In Schulen, Verwaltungen, Büros, Betrieben und Geschäften wird dieser eigenartige Gruß schnell durchgesetzt. Was soll er eigentlich bedeuten?
Ist es eine Variante des alten preußischen «Heil Dir im Siegerkranze» oder ist es die verkürzte Formel für «Unser Heiland heißt Adolf Hitler»? Neben einer entsetzlichen Erniedrigung für das ganze Volk ist der neue Gruß eine Gotteslästerung. Und dann sind sie auch wieder da, die vielen Tausend und Abertausend kleinen Wichtigtuer, die nun ganz genau darauf achten, daß auch richtig gegrüßt wird.
Die Geschäftsinhaber erhalten Emailleschilder mit der Aufschrift: «Der deutsche Gruß heißt Heil Hitler» für die Eingangstür.
Wer nicht richtig grüßt, wer den Arm nicht in der richtigen Höhe hält, wird oft genug korrigiert. Die Folge sind Zögern, Unbehagen und dann doch ein Nachgeben.
Aus dem einst so lässigen «Morgen», «Mahlzeit» oder «Abend» wird dann auch ein ebenso lässiges «Hitler».
Im Geschäftsverkehr und auf Briefbogen geht das allerdings nicht. Hier wird der deutsche Wahn für alle Zeiten festgehalten und dokumentiert.
Die Wichtigtuer sehen es in dieser Zeit ganz anders:
War denn nicht eine «Große Zeit» angebrochen? War es denn nun nicht vorbei mit der Erniedrigung und der deutschen Schande? Mußte nicht jeder bewegt sein in dieser Zeit der «neuen Größe» und der «Einmaligkeit»? Die Abseitsstehenden und die Nichtmitmacher gehen nun einen schweren Weg, und viele spielen mit ihrem Leben.
Nach innen proklamieren die Nazimachthaber die sogenannte «Volksgemeinschaft». Alle zur Verfügung stehenden Propagandamittel werden eingesetzt, um den Menschen klarzumachen, daß es in Deutschland keine Standesunterschiede, geschweige denn Klassengegensätze gibt.
Kam nicht der neue Regierungschef aus einfachen Verhältnissen? War er nicht der schlechte Sohn des Volkes und der unbekannte Soldat des Weltkrieges?
Reichspropagandaminister Josef Goebbels hatte ein weites Feld für seine Betätigung. Als wortgewandter falscher Prophet wird er das teuflische Spiel seines Herrn und Meisters bis zum bitteren Ende begleiten.
Wie sieht es sonst noch bei den Kumpanen Adolf Hitlers aus? Da ist Hermann Göring, der großspurige, eitle, ehemalige Offizier und SA‑Kommandeur. Er hat eine leidliche Allgemeinbildung und kennt sich in den gehobenen Kreisen aus. Von Hitler wird er oft mit repräsentativen Aufgaben bedacht. Der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, besitzt den Verstand eines Spießers und den Ehrgeiz eines Despoten. Als Chef der Eliteabteilungen Hitlers wird er neben Goebbels die dunkelste Rolle in der künftigen Entwicklung spielen.
Aus dem einst so lässigen «Morgen», «Mahlzeit» oder «Abend» wird dann auch ein ebenso lässiges «Heitler».
Im Geschäftsverkehr und auf Briefbogen geht das allerdings nicht. Hier wird der deutsche Wahn für alle Zeiten festgehalten und dokumentiert.
Die Wichtigtuer sehen es in dieser Zeit ganz anders:
War denn nicht eine «Große Zeit» angebrochen? War es denn nun nicht vorbei mit der Erniedrigung und der deutschen Schande? Mußte nicht jeder bewegt sein in dieser Zeit der «neuen Größe» und der «Einmaligkeit»? Die Abseitsstehenden und die Nichtmitmacher gehen nun einen schweren Weg, und viele spielen mit ihrem Leben.
Nach innen proklamieren die Nazimachthaber die sogenannte «Volksgemeinschaft». Alle zur Verfügung stehenden Propagandamittel werden eingesetzt, um den Menschen klarzumachen, daß es in Deutschland keine Standesunterschiede, geschweige denn Klassengegensätze gibt.
Kam nicht der neue Regierungschef aus einfachen Verhältnissen? War er nicht der schlechte Sohn des Volkes und der unbekannte Soldat des Weltkrieges?
Reichspropagandaminister Josef Goebbels hatte ein weites Feld für seine Betätigung. Als wortgewandter falscher Prophet wird er das teuflische Spiel seines Herrn und Meisters bis zum bitteren Ende begleiten.
Wie sieht es sonst noch bei den Kumpanen Adolf Hitlers aus? Da ist Hermann Göring, der großspurige, eitle, ehemalige Offizier und SA‑Kommandeur. Er hat eine leidliche Allgemeinbildung und kennt sich in den gehobenen Kreisen aus. Von Hitler wird er oft mit repräsentativen Aufgaben bedacht. Der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, besitzt den Verstand eines Spießers und den Ehrgeiz eines Despoten. Als Chef der Eliteabteilungen Hitlers wird er neben Goebbels die dunkelste Rolle in der künftigen Entwicklung spielen.
Der Idealist und Sonderling Rudolf Heß leidet offensichtlich an geistigen Störungen, aber Hitler hält es trotzdem für angemessen, seinen ehemaligen persönlichen Sekretär zum Stellvertreter in Partelangelegenheiten zu machen.
Der Bürochef von Rudolf Heß heißt Martin Bormann. Er wird die Unfähigkeit seines Vorgesetzten oft genug zu überspielen haben. Dieser überführte ehemalige Mörder wird mit seiner gefährlichen Brutalität auf ganz besondere Weise das sich anbahnende Unheil beeinflussen.
In der großen Schar der Reichsleiter, Gauleiter, SA‑ und SS-Führer gibt es aber noch eine Gestalt, die besonders herausragt. Es ist der Stabschef der SA, Ernst Röhm.
Die gesamte SA und SS einschließlich der Jugendverbände hatte bis zum August 1930 dem Obersten SA‑Führer Franz von Pfeffer unterstanden.
Im September dieses Jahres macht sich Hitler selbst zum Oberbefehlshaber der gesamten uniformierten Verbände. Die Hauptmasse der Uniformierten stellen aber nach wie vor die Sturm‑Abteilungen dar. Zum Stabschef der SA wird der aus Bolivien zurückgekehrte Röhm ernannt, nachdem er dort als eine Art militärischer Berater fungiert hatte.
Wie Hitler ist auch Röhm der Sohn eines kleinen Beamten. Gegenüber seinen Mitkameraden aus Adelskreisen hatte er es wohl schwer gehabt, bis zum Generalstabsoffizier aufzurücken. Verwegenheit, Härte und Draufgängertum haben dabei sicher eine Rolle gespielt. Aufgrund seiner Erlebnisse und Erfahrungen ist er zu einem «revolutionären Soldaten» herangewachsen.
Sein persönliches Verhältnis zu Hitler kann man fast als Freundschaft bezeichnen. Es war Röhm, der dem damals noch recht hilflosen Hitler die notwendigen Beziehungen zu Reichswehrkreisen vermittelt hatte. Auch sonst hatte er der Hitlerbewegung mit selbstlosem Einsatz gedient. Eine leichte Rivalität zwischen der braunen SA und der schwarzbraunen SS Himmlers konnte immer noch gut ausbalanciert werden. Bis auf eine kleine SA‑Revolte in Berlin im Jahre 1931 war Hitler zu jeder Zeit Herr der Lage geblieben. Nicht umsonst nannte der Volksmund die braunen Marschierer einfach die «Hitlers».
Nach der Machtübernahme im Jahre 1933 ist manches anders geworden. Es sind weder Saal- noch Wahlschlachten zu schlagen. Die Staatsführung liegt unverrückbar fest in den Händen Adolf Hitlers, der allerdings noch einige Rücksichten gegenüber dem senilen und inzwischen todkranken Hindenburg walten läßt.
Einzige Waffenträger im Staat sind Reichswehr und Polizeiverbände. Ernst Röhm hatte andere Pläne gehabt. Ihm schwebt eine Art Volkswehr oder Volksmiliz unter der SA-Führerschaft vor. Vielleicht hatte ihm Hitler einmal entsprechende Zusicherungen gemacht. Nach dem Potsdamer Bündnis Hitlers mit der alten Reaktion sieht nun alles etwas anders aus.
Hitler hatte zu wählen. Auf der einen Seite das gut ausgebildete Offizierskorps der Reichswehr und auf der anderen die braunen «Revolutionäre».
Die Entscheidung fällt zugunsten der Reichswehrgeneralität aus. Der Scharfblickende entscheidet gegen die SA‑Führer, deren fragwürdige Qualitäten ihm nur zu gut bekannt sind. Die SA soll nach seinem Willen eine Repräsentativtruppe ohne Waffen bleiben, die sich bedingungslos der Staatsräson zu fügen hat. Der Unwille mancher SA‑Rabauken ist groß. Sie wollen jetzt noch näher an die große Futterkrippe heran. Sollen andere die Früchte ernten, die sie gesät hatten?
Von den üppigen Zechgelagen der SA‑Führer dringt unwilliges Gemurmel bis zu den Ohren Hitlers, darunter auch wohl einige abfällige Bemerkungen über den undankbaren Chef.
Während der harten «Kampfzeit» hatte es manche Auseinandersetzung mit diesen «besten Kämpfern» gegeben. Stabschef Ernst Röhm war nicht zimperlich, wenn er Forderungen anbrachte und dafür wohl auch Zugeständnisse erhielt. Immerhin war er jetzt Minister, wenn auch ohne Geschäftsbereich.
Der «Oberste SA‑Führer» hatte vieles akzeptiert, aber auch zähneknirschend und allergisch registriert. Als Regierungschef wird er sich neuer Macht bewußt.
Und dann geschieht das Ungeheuerliche:
Am 30. Juni 1934 rasen einige Todeskommandos der SS quer durch Deutschland. Schwerpunkt ist dabei Bad Wiessee bei München, wo eine Führerkonferenz der SA einberufen war. Hitler eilt persönlich herbei, um die Festnahme und anschließende Erschießung seines Freundes Röhm zu überwachen. Das gleiche Schicksal erleiden zahlreiche übrige SA-Führer. In Berlin wird unter der Aufsicht Hermann Görings eine ähnliche gut vorbereitete Aktion eingeleitet.
Da werden auf einmal deutsche Staatsbürger wie tolle Hunde abgeschossen, ohne Verhör, ohne Verhandlung, ohne Urteil. Das übersteigt sogar die Normen des Kriegsgerichts.
Aber nicht nur einige Hundert SA‑Führer müssen ihr Leben lassen. Auch der General Schleicher mit Ehefrau, der Führer der Katholischen Aktion, Klausener, Vizekanzler Papens persönlicher Referent und viele andere, die mit der SA überhaupt nichts zu tun hatten, werden kurzerhand miterledigt. Der Berliner SA‑Gruppenführer Karl Ernst stirbt mit dem Ausruf «Heil Hitler», weil er glaubt, das Opfer eines örtlichen Aufstandes zu sein. Ähnlich geht es den übrigen Betroffenen. Sie können keinen Zusammenhang erkennen, der sie des Todes schuldig gemacht hätte.
Presse und Rundfunk berichten in der offiziellen Version über den Zusammenbruch eines Aufstandes, eines Putsches. Wer weiß schon, was sich hinter diesem allem verbirgt?
Es ist schon entsetzlich und beispiellos in der Geschichte der zivilisierten Völker. Selbst die blutigsten Diktatoren der letzten hundert Jahre hatten immer noch eine Art Gerichtsbarkeit walten lassen.
In dem Kulturstaat Deutschland darf zu dieser Zeit ein Staatsmann persönliche Rache üben und sinnlos morden, denn es gibt auch nicht den geringsten Beweis für einen geplanten oder bevorstehenden Aufstand.
Wegen der fehlenden Dokumente tun sich Historiker etwas schwer mit diesem Ereignis. Es gab eben keinen Röhm-Putsch oder eine Röhm‑Affäre, genauso wie es fünf Jahre später keinen polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz gab. Hier wie später gab es immer nur eine «Mordaktion Hitler».
Der Mörderkumpan von 1932 war nun selbst zum Mörder geworden, und das vor den Augen der ganzen Welt.
Die Vorgänge zu diesem 30. Juni 1934 sind überhaupt ein entscheidendes Ereignis der ganzen Nazi‑Epoche, denn von jetzt ab konnten alle diejenigen, die sich aufgrund ihrer Stellung und Bildung im Recht und im Staatswesen auskannten, keinesfalls behaupten, daß sie das Regime nicht durchschauten.
Leider war die breite Masse des deutschen Volkes zu diesem Zeitpunkt weder fähig noch willens, das Verhängnis in seinem ganzen Umfange zu erfassen. Betrug, Täuschung und Verbrechen sind so groß, daß einfache, unkomplizierte Menschen so etwas für unmöglich halten.
Dazu kommt: Der senile, bereits vom Tode gezeichnete Reichspräsident sendet ein Danktelegramm, der Reichswehrminister anerkennt «das entschlossene und mutige Handeln», und der Reichstag legalisiert den offenen Mord als «Staatsnotwehr».
Als Hitler in der Reichstagssitzung am 13. Juli mit schäumender Wut erklärt, daß er jede Form von Meuterei «bis auf das rohe Fleisch ausbrennen werde», wird wohl manchen das Entsetzen gepackt haben. Es gibt auch genug andere, denen imponiert diese Forschheit, diese Konsequenz, dieses schneidige Durchgreifen.
Wer ahnt schon in dieser Stunde den gewaltigen Abgrund, der sich jetzt auftut? Eine Revolution, die ihre eigene Brut verschlingt, wird die Stiefkinder nicht verschonen. Wo aber bleiben die Feinde dieses Regimes? Mit soviel Haß kann man die ganze Welt mit Mord und Terror überschütten. Für Hitler selbst stellt sich dieses blutige Intermezzo nur positiv dar.
Alle, die als gefährliche Mitwisser, Kritiker, Intriganten oder Querulanten irgendwie unbequem geworden waren, sind nun mit einem Schlage beseitigt. Mit ziemlicher Sicherheit muß angenommen werden, daß Hitler die Abschußliste mit eigener Hand gefertigt hat. Zu den Opfern gehören vor allem auch Leute, die in irgendeiner Form die Fähigkeiten des «Führers» öffentlich angezweifelt hatten, mochten die Vorgänge auch Jahre zurückliegen.
Den Übriggebliebenen überkommt schreckhaft die Erkenntnis, wer der Herr im Hause ist. Es erscheint vielen auf einmal ratsam, mitzumarschieren und das «Maul» zu halten. Eine echte preußisch anmutende Ordnung ist nunmehr in Deutschland eingekehrt.
Inwieweit Reichspräsident Hindenburg diese Vorgänge noch mit Verstand erlebt hat, ist schwer zu sagen. Seine Verantwortlichkeit für den Teufelspakt, den er im Hinblick auf die sogenannte bolschewistische Gefahr abgeschlossen hatte, kann ihm niemand abnehmen.
Als der greise Feldmarschall a.D. am 2. August 1934 die Augen für immer schließt, liegt bereits ein Beschluß der Regierung vor, der Hitler gleichzeitig zum Staatsoberhaupt und Regierungschef macht.
«Führer und Reichskanzler» so lautet der neue Titel. Das ist an sich Aufhebung der Verfassung, aber wer fragt jetzt noch danach?
Der letzte etwaige Bremsklotz ist nunmehr für das Regime beseitigt. In den kommenden Jahren ersetzt der Wille Hitlers jedes gültige oder notwendige Gesetz.
Dem oberflächlichen Beobachter muß sich der Eindruck aufdrängen, daß diesem Mann einfach alles gelingt. Seine Gewaltaktionen, die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes, innenpolitische Maßnahmen, alles wird augenscheinlich erfolgreich durchgesetzt.
Für die führenden Männer der Wirtschaft ist ein wahrhaft goldenes Zeitalter angebrochen. Hitler hatte unabhängig von seinen «Friedensbemühungen» auf Rüstung umgeschaltet. Das erschließt ungeahnte Möglichkeiten für Krupp, IG-Farben und die vielen anderen.
Es gibt nun keine Arbeitslosen mehr, aber die Zahl der Uniformträger wächst von Monat zu Monat.
Das Marschieren der Alten sowie der jungen ist ganz groß in Mode gekommen.
Wehe euch ‑ ihr Törichten!
Zehnjährige Pimpfe mit Koppel und Schulterriemen, Achtzigjährige Greise mit der Kriegerfahne, Frauen und Mädchen in leuchtenden Blusen, reife Männer mit blankgewichsten Stiefeln, sie alle lauschen dem Klang der Trommeln und Fanfaren.
Wehe euch ‑ der Totentanz wird bald beginnen!
Kapitel 9
Der Marsch ins Feuer
Ganz gleich, ob man dem Geschehen um Hitler eine mystisch‑dämonische oder eine sozialökonomisch‑wissenschaftliche Deutung gibt, die Einmaligkeit, das Phänomen bleibt.
Mögen auch Psychologen herumstochern und womöglich Machtgier und Erotik miteinander in Verbindung bringen, so ist doch dieser menschliche Vulkan, der statt Lava Haß herauswirft, rational nicht eindeutig zu erklären.
Aber auch das andere sollte hier gesagt werden: Er war ja nicht nur der Hysteriker und Teppichbeißer. Er konnte sehr gescheit daherreden, und er war zuweilen durchaus offen für den Rat und die Meinung anderer. Er konnte hochgestellten Frauen artige Dinge sagen, kleinen Kindern den Kopf streicheln und junge Hunde tätscheln.
Seine Persönlichkeit, so fragwürdig sie auch immer erscheinen mag, sollte aber trotz allem nicht ins unheimlich Mystische verklärt und überbewertet werden. Das geistige Reservoir, aus dem er schöpfte, dachte und handelte, das war letzten Endes das Entscheidende.
Er war kein Über‑ oder Untermensch, aber ganz sicher ein einmaliges Medium der finsteren Kräfte seiner Epoche.
Dazu kommt die Willenlosigkeit derer, die ihm gegenüberstanden und sich damit selbst disqualifizierten. Dazu kommen auch die vielen Nullen, die sich hinter diese Eins setzen und so die Summe des Wahnsinns und der Unmenschlichkeit produzierten.
Spätestens seit Hitler sollten wir uns fragen, ob es überhaupt notwendig ist, menschliche Persönlichkeiten wegen irgendwelcher Leistungen oder Erfolge zu verklären und ins Überdimensionale zu erheben. Es könnte ja sein, daß «menschliche Größe» etwas ganz anderes ist.
Es ist ein enormer Kult, der in dieser Zeit um Hitler entwickelt wird. Überall, wo er erscheint, werden ihm pompöse Empfänge bereitet. Herbeigeeilte Massen brechen in frenetischen Jubel aus. Sein Bildnis glänzt in allen Gazetten, und die Propaganda bejubelt ihn als «Deutschlands größten Sohn». Hitlers Handlungsweise kennt augenscheinlich keine Hemmungen. Er tat und tut alles, was dem Normalbürger das Blut in den Adern stocken läßt. Das Diabolische fasziniert.
Auf seinen Befehl wird die Rüstung mit ungeheurem Aufwand hochgetrieben. Das bedeutet Krieg, denn die Waffen veralten nach wenigen Jahren.
Die Generalstäbler, mit denen sich Hitler nach der Ermordung der SA‑Führer umgibt, arbeiten fieberhaft an den Plänen: Fall Richard, Fall Otto, Fall Rot, Fall Grün, Fall Barbarossa und so fort. Es ist unerheblich, daß es hin und wieder zum Austausch irgendwelcher Militärs kommt. Hitler braucht sie, und wenn sie ihm nicht zu arrogant oder zu zögernd gegenüberstehen, ist ihnen der Aufstieg sicher. So klug aber sind alle, um eines Tages zu erkennen, daß sie des «Teufels Generale» geworden sind.
Mit dem faschistischen Italien werden lebhafte Beziehungen angeknüpft. Hitler pflegt regen Gedankenaustausch mit seinem einstigen Idol Benito Mussolini.
Im Jahre 1936 greifen größere deutsche und italienische Verbände in den spanischen Bürgerkrieg ein.
Nur zwei Jahre später wird die deutsche Politik noch deutlicher und aggressiver. Nach raffiniert geführten diplomatischen Manövern, begleitet von einer verlogenen Propaganda, wird im März 1938 Österreich einverleibt, und ein Jahr darauf befindet sich die gesamte Tschechoslowakei unter den Fittichen des «Großdeutschen Reiches».
Intrigen und brutale Drohungen hatten von Erfolg zu Erfolg geführt. Deutsche Truppen waren in Bewegung gesetzt worden, aber außer in Spanien hatte es kaum eigene Blutopfer gegeben.
Als schließlich am 1. September 1939 die deutsche Wehrmacht in Polen einrückt und damit der Zweite Weltkrieg ausgelöst wird, überkommt mehr Deutsche als bisher das Gefühl, Opfer einer verhängnisvollen Entwicklung zu sein.
Krieg war auf einmal wieder, und da klärte sich manches ab. Die Einberufungen der Männer verursachten nicht nur Angst, sondern sie unterbrachen auch Ehe‑ und Geschäftskrisen. Nicht nur Lebensfreude und stilles Glück, auch kleinlicher Streit und Haß in Gruppen und Familien wurden jäh abgebrochen. Krieg war. Halbwüchsige und Snobs wurden aufgeschreckt, denn nun war endlich «etwas los».
Krieg war ausgebrochen. Die Älteren wußten sehr gut, was nun zu erwarten war.
Das ganze Deutschland, vorher eine Waffenschmiede, war nun ein einziges Aufmarschgebiet geworden. Marschkolonnen und Uniformierte belebten die Öffentlichkeit. Wieder ist eine große Zeit der kleinen Wichtigtuer angebrochen. Das Brüllen und Fluchen der Ausbildungsunteroffiziere übertönt das Murmeln der Verängstigten und Ratlosen.
Der militärische Drill hört auch an den Kasernentoren nicht auf. Da die absolute Grußpflicht bereits für Unterführer besteht, gibt es ein lebhaftes Beobachten auf Straßen und Plätzen.
Es gehört nunmehr zur Tagesordnung, daß sogenannte «Vorgesetzte» die unteren Dienstgrade in aller Öffentlichkeit reglementieren und beschimpfen, und dieses auch oft genug in Gegenwart von Frauen und Kindern.
Das satanische Leitbild Hitler, die rücksichtslose Brutalität, überträgt sich auf die SS‑Männer und viele andere. Die Eskalation des Unmenschlichen schreitet voran. Dem einzelnen, ob er Uniform trägt oder nicht, muß sich die Erkenntnis aufdrängen, daß er zu klein und machtlos ist, um aus dieser Situation zu entrinnen.
Jetzt muß Joseph Goebbels zeigen, was er kann. Die Propagandawalze läuft. Die erstaunten Zeitungsleser und Rundfunkhörer konnten schon vor geraumer Zeit zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland das Opfer einer sogenannten Einkreisung geworden ist.
In Wirklichkeit aber hatte die prodeutsche, pangermanistische Politik der Nationalsozialisten die europäischen Staaten alarmiert, und die Deutschen mit fremder Nationalität gerieten dadurch in eine schwierige Lage.
Nachdem die Nazimachthaber die Sudetenkrise radikal gelöst und kurz darauf die gesamte Tschechoslowakei liquidiert hatten, standen plötzlich die Deutschen in Polen auf der Tagesordnung. Jedem, der einigermaßen begeisterungsfähig war, wurde propagandistisch nachgewiesen, daß die Märtyrer des Deutschtums befreit werden mußten. Ein mit Hilfe abscheulichster Methoden vorgetäuschter Angriff auf den Sender Gleiwitz ist dann der offizielle Anlaß zum Losschlagen.
Obwohl einige Tage später Frankreich und England den Krieg gegen Deutschland erklären, wird Polen in 18 Tagen von den deutschen Streitkräften niedergerannt. Dann folgt eine relativ ruhige Phase. Später gibt es dann neue Blitzfeldzüge. Bis zum Sommer 1941 befinden sich auch Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Frankreich, Jugoslawien und Griechenland militärisch in deutscher Hand. Deutsche Truppen eilen von Sieg zu Sieg. Immer spielt der Überraschungseffekt dabei eine Rolle, denn Völkerrecht und ethische Normen werden mehr und mehr ignoriert.
Am 22. Juni 1941 beginnt völlig überraschend ein Feldzug gegen die Sowjetunion, mit der das Reich 1939 einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatte. Es ist der Gipfel des Wahnsinns, aber im Gefolge Deutschlands befinden sich nunmehr außer Italien auch Finnland, Rumänien und Ungarn. Zur Entlastung der Italiener bei ihrer Auseinandersetzung mit britischen Verbänden sind deutsche Verbände bis nach Nordafrika geschafft worden. Ein Weltkrieg mit noch nie dagewesenem Ausmaß ist entbrannt, denn später werden auch Japan einerseits und die USA andererseits in diesen Weltbrand verwickelt.
Unsagbares Leid kommt in diesen Jahren über einen großen Teil der Menschheit. Die braune Propaganda aber spricht von einer Neuordnung Europas und von einer Neuordnung der Welt, um den Frieden für ein Jahrtausend zu sichern.
Kapitel 10
SCHEMA ISRAEL – Höre Israel
Wer dachte in dieser bewegten Zeit schon ernsthaft darüber nach, warum Juden in einer christianisierten Umwelt lebten, warum Juden Juden und Christen Christen waren, oder warum Juden eben keine Juden mehr waren, genauso wie die Christen ihr Christentum verdrängt und vergessen hatten?
Für Hitler dagegen war das Thema «Judentum» etwas Herausragendes, ja der entscheidende Antipol seines gesamten politischen Denkens. Diesen Judenhaß hat er bis in die letzten Stunden seines Lebens durchgehalten.
Entgegen allen historischen, kulturgeschichtlichen und theologischen Erkenntnissen war der Antijudaismus der Nazis vordergründig, emotional angelegt. Die Argumentation entstammte einer intellektualistischen Dreigroschenliteratur. Sie war rassistisch, obwohl es keine «jüdische Rasse» gab. Die Aufteilung der Menschen in Juden und Nichtjuden, in sogenannte Arier und Nichtarier war fiktiv und wissenschaftlich unhaltbar.
Kulturgeschichtlich gesehen war der Unterschied zwischen Judentum und Christentum durchaus erheblich. Es erscheint auch heute noch wenig sinnvoll, dies nicht sehen zu wollen. Judentum und Christentum sind nicht nur als sogenannte «Religion», sondern in erster Linie auch als «Geschichte» zu verstehen.
Von ihrer «Geschichte» her haben Juden in aller Welt ihre großen bedeutungsvollen Leistungen erreicht. Von ihrer «Geschichte» und ihren Traditionen her haben Juden dieses hohe Maß an Intelligenz und Weisheit gezeigt, das die Welt immer wieder in Erstaunen versetzt. Für die christianisierten Völker hat aber JESUS CHRISTUS selbst so in die «Geschichte» eingewirkt, daß eine bewußte Abkehr davon uns immer wieder in die Barbarei zurückversetzt. So ist auch das zu verstehen, was wir heute so selbstverständlich als «Humanismus» bezeichnen.
Ludendorff, der Mann des Krieges, hatte nicht umsonst die bewußte radikale Abkehr vom Christentum gefordert.
Der Mensch als Maß aller Dinge wird für uns erst verständlich, wenn wir immer auch das Bild dieses Jesus Christus vor Augen haben und nicht nur ein verwaschenes sogenanntes Christentum. Christliche Ethik ‑ das ist nicht eine Sammlung statischer Vorschriften, die nur von hochgebildeten Gelehrten oder Moraltheologen interpretiert werden können. Die dynamischen Normen, die in der Christusverkündigung deutlich werden, sind auch für einfache Menschen einsichtig und überschaubar.
Und wenn wir heute so furchtbar klug reden können, wenn wir so scharfsinnig monotheistisch, pantheistisch, atheistisch, orthodox und liberal, objektiv und abstrakt argumentieren, so verdanken wir das letzten Endes nur diesem Einen: Jesus Christus, der uns von der primitiven Vorstellungswelt unserer Vorväter‑Generation nach und nach befreit hat.
Für bewußte Juden ist das Geschehen um Jesus Christus nur ein winziges Randereignis im Laufe der Geschichte ihres Volkes. Um so mehr sind die spätere Bedeutung und die Dynamik des Christentums für die Juden im vollsten Sinne des Wortes peinlich gewesen. Der jüdische Traditionalismus mit seinem ungeheuren Reichtum an «Geschichte» hob sich deutlich von der relativ kurzen «Geschichte» der europäischen und auch anderer Völker ab. Ein gewisses Maß von Überlegenheitsgefühl und Überheblichkeit der Juden leitet sich hiervon ab.
Die sogenannten Christen kannten ihr Evangelium wohl zu wenig, um immer das notwendige Maß an Gelassenheit gegenüber den «Anderen» aufzubringen. Das heidnisch-germanische Sippendenken war unbewußt noch viel zu tief im Denken der Menschen verankert.
Hitler wollte abweichend von Ludendorff das Christentum mit seiner demagogischen Rassenidee überspielen und dabei jeden offenen Angriff auf Kirche und Christenheit vorerst vermeiden. Heute, Jahrzehnte später, gehört es wohl schon eher zum Allgemeinwissen, daß nicht kurze oder lange Nasen, dunklere oder hellere Hautfarbe die Fähigkeiten und das Leistungsvermögen der Menschen bestimmen, sondern die geistig‑kulturelle Entwicklung, die allen offenstehen muß.
Nicht «Gesichte», sondern «Geschichte» bestimmt in erster Linie das Leben der Völker.
Die Christusverkündigung hatte den jüdischen Traditionalismus in Frage gestellt und nicht umgekehrt.
Die Juden waren die Bedrängten, Gefährdeten und die, die immer wieder neu um ihre Identität ringen mußten. Das hatten die Jahrhunderte bestimmt.
Hitlers Rassenwahn sah das ganz anders, denn er und seine Kumpane verstanden nichts von Geschichte, aber erstaunlich viel von praktischer Politik, von Machtpolltik in allen Spielarten. Schon seit 1933 war Leid und Elend über die Juden gekommen. Die sogenannten Nürnberger Gesetze hatten die in Deutschland lebenden Juden entrechtet und wehrlos gemacht.
Dann folgte es Schlag auf Schlag: Die erzwungene Änderung der Vornamen für vermeintliche Juden ‑ Israel und Sarah hießen nun viele zusätzlich ‑, die besondere Erfassung des jüdischen Vermögens, die «Kriegserklärung» an das Weltjudentum durch die Propagandaorgane mit der abscheulichen Kristallnacht des Novembers 1938 und schließlich die Massenverhaftungen, Judensterne, Ghettoisierungen und Vernichtungslager.
Es muß dazu gesagt werden, daß die breite Masse der deutschen Bevölkerung diesen ausschließlich vom Regime organisierten Maßnahmen mit Verständnislosigkeit bis hin zur brüsken Ablehnung gegenüberstand. Angst und unangebrachte Gleichgültigkeit spielten sicher auch eine Rolle.
Wer las schon die Haßtiraden der Presse im «Stürmer», im «Schwarzen Korps» oder auch im weitverbreiteten «Völkischen Beobachter»?
Der erheblich kleinere Teil des Volkes, der in dieser Haßwelle mitschwamm, reichte aber schon aus, um alle diese zum Himmel schreienden Vorgänge möglich zu machen, die in diesem Zusammenhang geschehen sind.
Sicher gab es schon vorher, wie auch in übrigen europälschen Ländern, gewisse antisemitische Stimmungsäußerungen. Jeder kennt diese vordergründige allgemeine menschliche Verhaltensweise, die man täglich bereits bei spielenden Kindern beobachten kann: Der «Nichtangepaßte» ist ein Anstoß, eine Provokation für die Angepaßten.
Bewußte Juden waren immer solche, die sich wohl einfügten, aber die sich nie voll anpaßten. Es bedarf immer einer geistig fundierten Haltung und Entscheidung, um dieser menschlichen Vordergründigkeit zu begegnen. Auch Christen und Kirchenmänner haben hier nur allzu oft versagt.
Dieses wird berichtet: Als Anfang 1938 Beauftragte der Finanzbehörden bei angesehenen jüdischen Männern erschienen, um die angeordnete Vermögenserfassung durchzuführen, hatten diese ihr «Eisernes Kreuz» aus dem Weltkrieg an die Brust geheftet, um auch jetzt noch ihre deutsche Loyalität zu bekunden. Sie hatten noch immer nicht begriffen, was da eigentlich geschah.
Welch eine entsetzliche Tragik!
Dieser ungeheuerlich brutale Angriff auf den «Ewigen Juden» konnte auch als die radikalste Rechtfertigung des «Zionismus» angesehen werden, und in der Tat haben die Massenauswanderungen schließlich doch noch die Gründung des Staates «Israel» zur Folge gehabt.
Es gehört auch zur Tragik dieses Geschehens, daß sich große Teile des «jüdischen Volkes» in einem Assimilierungsprozeß befanden. Da gab es sogenannte jüdische Kinder, die ihre Eltern erst fragen mußten: «Was ist das, ein Jude» Da gab es bereits Millionen Juden, die kein Wort Hebräisch und die uralten Riten nur vom Hörensagen kannten, die jeden Kontakt mit den Synagogen längst verloren hatten. Nun hörten sie in den Vernichtungslagern von Auschwitz und Buchenwald, von Maydanek und Treblinka zum ersten und zum letzten Male in ihrem Leben das SCHEMA ‑ «Höre Israel», das uralte jüdische Glaubensbekenntnis. Nun waren sie im Tode wieder ein Volk geworden.
«Höre Israel, ER dein Gott … »
Es war ihnen nicht gelungen, aus der «Geschichte» ihres Volkes auszusteigen wie aus einem überfüllten Zug.
Wie hätte sich wohl die Christenheit in einer ähnlichen Situation verhalten, wenn man ihr die «Geschichtlichkeit», die sich nicht einfach abschwören läßt, aufgrund von Grabsteinen, Taufurkunden und der Weihnachtsfreudigkeit nachgewiesen hätte?
Ist das wirklich so unvorstellbar?
Kapitel 11
Jugend am Abgrund
«Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie die Windhunde» ‑ so wollte Adolf Hitler die deutsche Jugend sehen. Eine Materialbeschreibung mit einem Vergleich, der ins Tierreich geht ‑ welch ein Wahn steht hinter diesen Worten?
Und so erfolgte Jahr um Jahr die Ausgießung des «Unheiligen Geistes». In braune Uniformen gesteckt, von Appell zu Appell gejagt, dazu donnerten die Haßgesänge des «Führers» und seiner Führer auf kindliche und jugendliche Köpfe hernieder.
Irgendwie war der Gegner, waren die Gegner ausgemacht, irgendwie mußten sie alle vernichtet werden, irgendwie findet man immer Gegner, die man bekämpfen, vernichten kann, und irgendwann standen dann die Kinder von einst in den großen Vernichtungsschlachten des größten aller Kriege.
Irgendwie fing das alles ganz harmlos an: Kindliche Soldatenspielerei, Pfadfinderromantik, Sport und Spiel waren irgendwie neu eingeordnet. Uniformen, Drill, Unterführer mit bunten Schnüren und Tressen, Kommandolaute aus kindlich jugendlichen Kehlen ‑ da hatte die braune Führerschaft der Jugend einen neuen Weg gewiesen. So einfach war das!
Lehrer, an Grundschulen bis hin zu den Universitäten, resignierten. Offene Konflikte zwischen Schule und Jugendverbänden hat es kaum gegeben. Und so haben Lehrer und Erzieher entgegen besserem Wissen diesen Verbildungsprozeß mit vorangetrieben, denn irgendwie ließ sich dieses «Kämpfertum», dieser «deutsche soldatische Geist» auch mit Zitaten von Schiller und Goethe, von Bismarck und Friedrich II. hochjubeln.
Das an sich noch obligatorische Morgengebet wurde bald durch markige Sprüche und militante Lieder ersetzt. Mit verstecktem Trotz hielten nur wenige Lehrer an der alten Sitte fest. Irgendwie wurde die noch verbliebene christlich ‑humanistische Substanz verhöhnt und verdammt.
«Jüdische Parasiten, vaterlandslose Demokraten und Kommunisten, frömmelnde Heuchler mit windschiefen Köpfen» standen nunmehr gegen nordisch‑germanische Recken, die eine neue, bessere Welt errichten wollten.
In den «frischen, fröhlichen» Lagern der Hitlerjugend ging man an die Mahlzeiten mit dem Tischspruch: «Es ißt der Mensch, es frißt das Pferd, doch heute ist es umgekehrt. Haut rein!» Irgendwie waren sie ins Reich der Tiere geraten, in das Hitler sie verwiesen hatte.
Jahrgang auf Jahrgang der Heranwachsenden forderte nun der ausgebrochene Krieg. Irgendwie mußte die Saat doch aufgehen, die so wild und wuchtig gesät worden war.
Der Krieg forderte Opfer über Opfer, und so standen sie bereit, Stabsärzte und Rekrutenschinder, das neue «Material» in Empfang zu nehmen.
Im Laufe der Feldzüge bekamen die bewaffneten SS‑Einheiten, die mit dem Geist der schwarzen «Schutzstaffeln» nunmehr in feldgrauen Uniformen operierten, eine große Bedeutung.
Sie galten als Hitlers Elite und waren mit größter Rücksichtslosigkeit in die Schlachten geworfen worden. Die blutigsten Verluste waren die unvermeidliche Folge.
In den Jahren 1942 und 1943 waren die Verluste so groß geworden, daß man stärker als vorher auf jüngste Jahrgänge zurückgriff. Vielleicht kann ein prosaisch gehaltener Erlebnisbericht des Betrachters aus dieser Zeit einen Einblick geben. Die Erzählung könnte den Titel «Die Werbung» tragen.
Ein Barackenlager, etliche Kilometer vom Bahnhof entfernt, umgeben von Wald, Dreck und Einsamkeit:
«Wehrertüchtigungslager der Hitlerjugend» nannten sich diese Art von Umschlagplätzen zu den Schlachthöfen des Zweiten Weltkrieges. In einer regennassen Frühjahrsnacht des Kriegsjahres 1943 waren wir hier hereingepoltert.
Bärbeißig aussehende Ausbilder, die Mehrzahl Männer von der Waffen‑SS, hatten uns höhnisch gemustert, zusammengebrüllt, auseinandergebrüllt und wie Kälber in den Buchten verteilt, ein Erholungsurlaub war hier nicht zu erwarten.
Und dann kam es ja auch über uns: dieses Lärmen und Fluchen, das Jagen und Hetzen: Geländedienst, Schießen, auf und nieder, Laufen, Laufschritt! Briefe schreiben und Pakete empfangen war verboten, und es blieb uns kaum Zeit, um über den Hunger nachzudenken, der in den Därmen rumorte.
Eines Tages, es war kurz nach dem spärlichen Abendbrot, hieß es wieder einmal: «Alles raustreten!»
Unterscharführer Rübenthaler lächelte fast milde, als er diesmal durch die Reihen blickte.
«Der Rübezahl hat einen guten Tag» ‑ meinten einige, aber bald kannten wir das Geheimnis: Die SS hatte Werbeaktion. Ausgerechnet die…
Wieviel falsche Vorstellungen hatten sie uns zerstört? Da war Rottenführer Küchel, der unsere Betten immer einriß und den Inhalt der Schränke durch die Stuben feuerte. Da waren Langer und Rübenthaler, die oft genug wie die Besessenen brüllten. Da war der dicke SS‑Koch, der sogar handgreiflich wurde, wenn die Jungen vom Küchendienst einige Mohrrüben in den Mund schoben.
Wir waren wohl noch zu jung, um nicht den Abgrund zu sehen, der sich da vor uns auftat. Wir hatten Angst bekommen, kalte, nackte, trotzige Angst.
Gewiß, die Heldengesänge in unseren Schullesebüchern und das Propagandagetöse des «soldatischen Zeitalters» hatte uns den Verstand verkleistert. Wir wollten auch Soldaten sein, nicht zurückstehen in dieser harten, «sieghaften» Zeit.
Aber das hier? ‑ Das hier war zuviel.
Wohl war uns gerade nicht, als wir nunmehr einzeln oder in Gruppen in die Schreibstube treten mußten.
So ein Stück Papier sollte unterschrieben werden, das zum freiwilligen Eintritt in die Waffen‑SS verpflichtete.
Ratlos standen wir vor der Tür. ‑ «Besitz stirbt, Sippen sterben, du selber stirbst wie sie, doch ewig lebt der Toten Tatenruhm.» So, oder so ähnlich stand es über dem Eingang.
Verflucht noch einmal, was kümmerte uns der Toten Tatenruhm. Kohldampf hatten wir, und die Tage waren schon gezählt, bis wir wieder herauskamen aus diesem Affenzirkus.
Endlich war unsere Reihe soweit. Wir gingen diesmal zu dreien in den Raum. Das war Bimbo, die Brillenschlange, der Kleine und ich. Hauptscharführer Langer blinzelte uns lüstern an, als wir vor seinen Schreibtisch traten. Der Kleine war zuerst dran.
«Zu welchem Truppenteil möchtest du einmal?» war die Frage. ‑ «Zu den Panzern.» ‑ «Dann komm zu uns, zur Waffen‑SS!»
«Nein, nicht zur SS», sagte der Kleine hastig, viel zu hastig. Langer stieß den Kopf nach vorn. ‑ «Gehören deine Eltern zu einer Sekte?» ‑ «Meine Eltern arbeiten in der Landwirtschaft», meinte der Kleine. Er wußte wohl nicht recht, was er unter einer Sekte verstehen sollte. ‑ «Ob deine Eltern in irgend so einem frommen Verein sind, will ich wissen», röhrte Langer und schob den Oberkörper noch weiter vor. «Mein Vater ist in der Volkswohlfahrt und im Bienenverein, Herr Hauptscharführer», piepste der Kleine, und das war dann doch wohl ein bißchen viel.
Langer ruderte mit den Armen, als wenn er den Schreibtisch wegschieben wollte. Er konnte wild werden, wenn er mit «Herr» angesprochen wurde.
Andererseits gab es im Lager Ausbilder der Luftwaffe, die unbedingt der «Herr Unteroffizier» oder der «Herr Feldwebel» waren. Zum Lagerführer in HJ‑Uniform konnte man du sagen. Hatte derselbe Mann jedoch seine Offiziersuniform an, war auf jeden Fall der «Herr Leutnant» fällig. Die Folge war ein ständiges Durcheinanderbringen.
Als nächsten hatten sie Bimbo in der Zange. Langer lehnte sich jetzt zurück und blickte fragend zu Bimbos dicken Augengläsern. «Bist du kurzsichtig, oder weitsichtig» ‑ «Ich bin übersichtig, Hauptscharführer», sagte Bimbo trocken und ließ gleichgültig den Kopf hängen, viel zu gleichgültig.
Langer sah ratlos zu Rübenthaler, der mit einer Liste in der Hand neben ihm stand. «Übersichtig? Was ist denn das schon wieder? Vielleicht so eine Art Hellseher, das hat uns gerade noch gefehlt.»
Während noch ein paar belanglose Worte hin und her gingen, war mein Blick auf Rübenthalers Koppelschloß gefallen. «Meine Ehre heißt Treue» stand da zu lesen.
«Treu wie ein Hund und beschränkt wie ein Ochse», so dachte ich gerade bei mir, aber das hätte ich nicht tun sollen. Inzwischen war ich selbst an der Reihe. Die letzte Frage für meinen Nebenmann noch im Ohr reagierte ich: «Siebzehn Jahre, Hauptscharführer!»
Das wollte man jetzt nicht wissen, wurde mir plötzlich bewußt als ich in zwei böse funkelnde Augen hineinsah.
«Hast du noch mehr Gebrechen, außer Schwerhörigkeit?» lärmte es dann über mich her. Schwerhörig? Donnerwetter, das war ja die Masche. «Nein Hauptscharführer», erwiderte ich, machte das dümmste Gesicht und blickte möglichst hilflos umher. Das weitere machte nicht viel Umstände. Vielleicht hatte man aber auch schon genug andere gefunden. Rübenthaler brüllte auf bayrisch, daß die Barackenwände zitterten.
«Alle drei zum Sterben zu dämlich», das war auch Langers abschließendes Urteil.
Als «Belohnung» hatten wir das Klo der Unterführer zu scheuern. Rübenthaler schüttelte bedenklich den Kopf, nachdem er uns bescheinigt hatte: «Ihr werdet nie Soldaten!»
Draußen standen schon achtzehn Mann, die unterschrieben hatten. Sie sahen nicht glücklicher aus als wir.
Den Scheuereimer hin und her schwenkend, pfiffen wir uns eins. Irgendwo in noch weiter Ferne tobte das große Morden.
Hände, zum Töten wurden gesucht, und die Kriegsgötter lechzten nach unserem jungen Blut. Alle waren sie ja nicht «zum Sterben zu dämlich».
Irgendwie wurden sie dann doch noch alle aufgefüllt: die SS‑Division «Das Reich», «Der Führer» und schließlich die «Hitlerjugend».
Irgendwie wurden die Worte «Blut und Ehre», eingeprägt auf den Fahrtenmessern «frischer, fröhlicher» Hitlerjungen, zum Symbol in eine ganz andere Richtung.
Sie haben es oft genug drangeben müssen, beides, ihr «Blut» und ihre «Ehre».
Kapitel 12
Widerstand?
Eine große Frage wird sich immer wieder erheben: Inwieweit hat die Mehrheit der Deutschen Hitlers Alleinherrschaft akzeptiert?
Das preußisch‑deutsche Autoritätsverständnis begünstigte die Tätigkeit der Naziführer. Fast 33 Millionen Deutsche hatten 1932 in völlig freien Wahlen Hindenburg oder Hitler ihre Stimmen gegeben. Sie hatten die Geister der militanten Vergangenheit gerufen, und nun war ihnen die Antwort der Hölle zuteil geworden. Der Teufel, den die Kommunisten an die Wand gemalt hatten, war nun kein Phantom mehr, sondern bittere Wirklichkeit.
Gewiß, die Mehrheit war dem Massenbetrug erlegen, aber mit dem beginnenden Krieg änderten sich Meinungen und Einstellungen. Hatte es schon vorher keinerlei Kriegsbegeisterung gegeben, so sank jetzt die Stimmung mit jeder Gefallenenmeldung, mit jedem Luftalarm und mit jeder neuen Einberufung oder Dienstverpflichtung. Das bombastische Propagandagetöse hatte nur eine sehr bedingte Wirkung. Es gab eine gewisse Lethargie, ein Bewußtsein, dem Verhängnis nicht entrinnen zu können. Es gab aber auch Hoffnungen, Hoffnungen, zu denen Menschen immer fähig sind.
Wo aber gab es Widerstand?
Die entschiedensten politischen Gegner, die Kommunisten, waren schon 1933 weitgehend ausgeschaltet worden. Die Aktivsten von ihnen waren inhaftiert, zu Tode gefoltert oder ins Ausland entkommen. Die Widerstandskraft der verbliebenen Gruppen reichte zu großen Aktionen nicht mehr aus, so bedeutungsvoll sie auch sonst war.
Aber auch in den bürgerlichen oder sozialdemokratischen Gruppen regte sich Widerstand. Da gab es einige Zauberlehrlinge der deutschen Politik, die den großen Hexenmeister wieder loswerden wollten, den sie einst gerufen hatten. Da gab es genug Leute, die einen realen Einblick in das gesamte Kriegsgeschehen hatten und die die Aussichtslosigkeit erkannten.
Da gab es Gruppen, die endlos berieten und sich Gedanken machten, was nach Hitler kommt, aber praktisch keinen Finger rührten, um dem Geschehen ein Ende zu machen. Da gab es verantwortliche Beamte und Militärs, die es aus der Nähe wußten: «Lumpen und Verbrecher regieren uns.»
Da blieben eigentlich nur die Feldmarschälle und Generale der Wehrmacht übrig, die eine reale Chance hatten, das Blatt zu wenden.
Was aber war vorher geschehen? Hatte nicht das Offizierskorps der Sache Hitlers mehr Dienste geleistet als jemals vorher die Parteiführerschaft?
Mit einem Gleichmut ohne Maßen waren die verbrecherischen Angriffspläne fixiert worden, und mit einer geradezu unverständlichen Leichtfertigkeit und Arroganz haben dann die deutschen Militärs Hitlers Ideen in die Tat umgesetzt.
Es waren deutsche Generale, die Hitler Auge in Auge gegenüberstanden und die allein dadurch erkennen mußten, daß dieser Mann keine ethischen Bindungen besaß, daß er niemals seine Worte halten würde, daß er ein Verbrecher war. Als eine der wenigen Ausnahmen muß hier der Generaloberst Beck genannt werden, der bereits 1938 als Generalstabschef des Heeres zurückgetreten war, weil er die verbrecherische Abenteuerlichkeit der Kriegsvorbereitungen erkannte.
Im Laufe der Feldzüge, insbesondere nachdem sich die Kriegsmaschine im Osten festgefahren hatte, begannen dann auch die anderen Generale zu überlegen, wie man die Dinge ändern könnte. Es wurde vielseitig intrigiert. Dabei muß auch auf das eigenartige Doppelspiel des Abwehrchefs Canaris hingewiesen werden.
Die Intriganten hatten sich ständig um Garantien bemüht, die die Westmächte im Falle eines Umsturzes gewähren sollten. Allein daraus geht hervor, daß diese Herren lediglich das Erbe Hitlers antreten wollten. Die bisherigen politischen und militärischen Erfolge sollten zugunsten ihres Kontos umgebucht werden.
Ein Vergleich mit Papen und Schleicher drängt sich auf, die im Jahre 1932 vergeblich versucht hatten, mit Hitlers Mandaten große Politik zu machen. Was wollten diese Männer schon erreichen, die Hitler als Person ablehnten und doch dem hitlerschen Ungeist Tür und Tor öffneten?
Auch die Haltung anderer Verschwörer ist von dieser Zwiespältigkeit gekennzeichnet.
Die gesamte militärische Widerstandsbewegung wäre wohl für immer unglaubwürdig geblieben, wenn es nicht einen Mann gegeben hätte, es ist der Oberst Graf von Stauffenberg.
Der Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres Stauffenberg ist vom Kriege stark gekennzeichnet. Ein Auge fehlt ihm, dazu die rechte Hand und zwei Finger der linken. Trotzdem lebt in ihm ein unbändiger Wille, den Wahnsinn dieses Krieges so schnell wie möglich zu beenden.
Mißtrauisch sehen die alten Militärs auf diesen jungen Draufgänger, und nur ängstlich und zögernd ordnen sie sich seinen Plänen unter. Ein phantastischer Plan ist es ja auch, Hitler zu beseitigen und dann die Macht zu übernehmen. Der junge Oberst übernimmt freiwillig die Rolle des Henkers. Nach einer Lagebesprechung im Führerhauptquartier am 20. Juli 1944 läßt er eine Zeitzünderbombe zurück, während zur gleichen Zeit die Generale in Berlin die Übernahme der Regierungsgewalt vorbereiten.
Es kommt alles ganz anders. Der Anschlag auf den Massenmörder läuft nicht so ab, wie vorgesehen. Auch in Berlin geht alles schief, der Kommandeur des Wachbataillons zerschlägt die Konzeption der vorsichtigen Generale. Dem Reich der Finsternis ist eben so nicht beizukommen. Die Lehren aus dem 20. Juli 1944 wären wohl diese:
An Stelle des Anschlages oder auch trotz des gescheiterten Anschlages hätte die Übernahme des Großdeutschen Rundfunks» erfolgen müssen bei gleichzeitiger Abschneidung Hitlers von den Nachrichtenmitteln im Führerhauptquartier. Der Kreis der Beteiligten wäre dazu ohne weiteres in der Lage gewesen.
Ein Aufruf an das deutsche Volk und an die Wehrmacht, getragen von allen politischen Gruppierungen von den Kommunisten bis hin zu den Konservativen, hätte unter anderem beinhalten können:
Ein medizinisch‑psychiatrisches Gutachten über den Zustand Hitlers, denn Hitler war zu diesem Zeitpunkt bereits ein physisches Wrack, einen Befehl an alle Truppenteile, die militärischen Aktionen unmittelbar einzustellen, eine Note an die Kriegsgegner mit der Bitte, bis zu weiteren Verhandlungen alle Kampfhandlungen vorerst zu beenden, die Distanzierung von Hitlers Verbrechen bei einem Eingeständnis eigner Schuld, den Befehl zur Aufhebung der Vernichtungslager, den Befehl zur Ausschaltung der Parteiorgane der NSDAP.
Hitlers rasante Demagogie hier einmal nicht für ihn, sondern gegen ihn in Aktion gesetzt, hätte ganz sicher seine politische Vernichtung zur Folge gehabt.
Die Kriegsmüdigkeit des deutschen Volkes und vor allem der Soldaten war damals schon so groß, daß mehr als achtzig Prozent aller Deutschen voll mit eingestimmt hätten, das ging ganz einwandfrei aus den Stimmungen und Meinungen nach dem gescheiterten Attentat hervor. Aber das alles hatten sie nicht gelernt von ihrem Obersten Befehlshaber, die Herren Generale: das scharfsinnige Ausnutzen der politischen Situation, der Emotionen und das konsequente, rücksichtslose Abrechnen mit Widersachern.
Auch im Falle der Durchführung all dieser Maßnahmen wären ein heilsamer Schock, Verwirrung und Komplikationen nicht ausgeblieben, aber Millionen Menschen hätten gerettet werden können. Das ist die eine Seite des Fazits.
Noch anderes gibt es zu bedenken.
Bekanntlich haben bewußt christlich orientierte Menschen am Widerstand teilgenommen. Graf Stauffenberg muß dazu gerechnet werden. Konnte der Wahn des Nazireiches aber mit einem Attentat beendet werden?
War nicht zuerst die politische Vernichtung Hitlers statt der physischen Beseitigung notwendig?
Es wird uns allen wohl nie an einem tiefen menschlichen Verständnis für das Handeln Stauffenbergs fehlen. Trotzdem, aus christlicher Sicht ist programmierte Gewalt nicht zu rechtfertigen.
Auch Christen werden immer wieder durch Angst, Verzweiflung und Überreaktion in Gewaltakte hineingedrängt werden ‑ welch tragischer Irrtum aber, ein satanisches Regime mit einem Meuchelmord und mit halben Wahrheiten oder Lügen aus der Welt schaffen zu wollen? Gemäß der Planung der Offiziere sollte ein Grundbefehl herausgehen, der mit den Worten begann:
«Der Führer Adolf Hitler ist tot. Eine gewisse Clique frontfremder Parteiführer hat es unter Ausnutzung dieser Lage versucht, der schwerringenden Front in den Rücken zu fallen … »
Welch ein Irrtum auch zu glauben, daß man dem Volke nur schrittweise die Wahrheit beibringen könne.
Hitlers Tod allein, ohne einen großen politischen Appell, hätte den «Führer» wohl für viele und für alle Zeiten zur mythischen Gestalt gemacht. Wenigstens davor sind wir durch das spätere erbärmliche Fiasko bewahrt worden.
Offiziere, die sich an einen Fahneneid gebunden fühlen, gleichzeitig aber mit dem Gedanken spielen, durch einen Mordanschlag davon entlastet zu werden, lassen eine eigenartige Geisteshaltung erkennen.
Erbärmlich auch, wie viele Mitwisser nach dem Scheitern des Unternehmens sich beeilten, Ergebenheitserklärungen gegenüber Hitler abzugeben, um auf jeden Fall ihre Haut zu retten.
Stauffenberg wäre im Falle gelungener Aktionen als Mörder zur Rechenschaft gezogen worden, und wahrscheinlich gerade von denen, die diese Ereignisse für sich ausgenutzt hätten. Sie hatten es ja vorher nicht gewagt, Hitler rechtmäßig zum Tode zu verurteilen.
So gesehen, sind die Ereignisse um den 20. Juli 1944 kein Ruhmesblatt. Hier wurde die Chance vertan, ein ganzes Volk mit möglichen Mitteln zu mobilisieren, um so in echter Weise Geschichte zu machen.
Kapitel 13
Totale Lüge ‑ Totaler Krieg
So eigenartig es heute erscheint, der Krieg blieb für Millionen in der sogenannten «Heimat» lange Zeit eine ferne Sache, für manche sogar bis in die letzten Tage.
Natürlich gab es die hart arbeitenden Väter und Männer, die weinenden, bangenden Mütter und Frauen, aber auch der Krieg hatte viele graue Alltage. So furchtbar es auch klingt: Menschen gewöhnen sich auch an den Krieg. Es gab ja zu viele, die noch nicht unmittelbar betroffen waren.
Die in den ländlichen, dörflichen Bereichen bemerkten sehr wohl das Fehlen vieler Männer, aber der Krieg als solcher war nicht gegenwärtig. Die Kriegsgefangenen, die Fremd‑ und Zwangsarbeiter hatten es relativ gut, denn außerhalb der Lager gab es sie so gut wie nicht: die befohlene Unmenschlichkeit.
Die Kriegspropaganda, auf Siege und Erfolge gestützt, vermochte Hoffnungen wachzuhalten.
Alles das änderte sich zunehmend Ende 1942. Die Kämpfe an der Ostfront wurden erbitterter und verlustreicher. Die deutsche Luftwaffe war merklich dezimiert, sie konnte britisch‑amerikanische Angriffe auf offene Städte nicht mehr verhindern. In diesem Zeitabschnitt etwa Anfang 1943 fällt auch das Erlebnis eines ehemaligen Frontsoldaten im Osten. Es soll hier mit kurzen Worten eingefügt werden:
Unsere Einheit wurde nach schweren Kämpfen verlegt. Während des Transportes hatte man uns ausgesondert, etwa zwanzig Mann. Es ging alles sehr eilig. Auf einmal hieß es: «Der Führer Adolf Hitler will mit Soldaten sprechen, will euch sehen, mit euch sprechen!»
Die Nachricht traf uns wie ein Blitz. Gewiß, davon hatten wir gehört, das Führerhauptquartier sollte hier irgendwo in der Nähe sein. Das betraf uns nicht. Wir waren viel zu klein, ein Nichts in dieser großen Kriegsmaschine. Die meisten von uns hatten vor knapp einer Woche das EK I bekommen, eine ziemlich hohe Auszeichnung für Mannschaften und Unteroffiziere. Aber auch das war schon viel zu alltäglich. Und nun waren wir unterwegs. Sicher kam jetzt eine kurze Ruhepause, und dann hinein in den nächsten Schlamassel.
Unter uns Ausgesonderten auch Josef G., irgendwo aus dem Kohlenpott stammte er. Vor Wochen hatte er Frau, Kind und das eigene Heim verloren: britischer Luftangriff.
Als einziger fing er an zu reden: «Ich werde es ihm sagen, ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen, ich habe nichts mehr zu verlieren.»
Dann ging alles sehr schnell: Kurze Kommandos, aufgeregte Offiziere.
Nahe einer Straßenkreuzung hatten wir Aufstellung genommen, da kamen sie auch schon. Es waren mehrere Gruppen. Aus der einen löste sich Hitler, wie wir bald deutlich erkannten. Begleitet von zwei Adjutanten ging er langsam auf uns zu. Ein junger Leutnant meldete.«Mein Führer! Ich melde Ihnen, … Soldaten der … Division, wie befohlen zur Stelle …» Eisige Stille, dann überfiel es uns doch. Wie erstarrt blickten wir geradeaus. Standen wir doch unmittelbar vor dem Mann, dessen Name und Erscheinung Menschen und Mächte faszinierte, der die ganze Welt erregte.
Es waren nur kurze Fragen, die er einigen stellte: welche Einheit, über den letzten Einsatz, Namen der Kommandeure und auch über Herkunft, Familie, letzter Urlaub, Verwundungen. Die Stimmen vibrierten bei den Antworten, so erregt waren wir. Der Zufall wollte es so, auch Josef G. kam an die Reibe. Wie mechanisch gab er seine Antworten, auch über seinen schweren Schicksalsschlag. Hitlers stechender Blick unter dem nach unten gezogenen Mützenschirm ließ ihn nicht los. Da kam es über ihn. Mit fast schluchzender Stimme rief er aus: «Mein Führer, ich habe alles verlorern ich habe nur noch Sie!» Hitler zögerte einige Sekunden. Sein flammender Blick schien uns alle zu erfassen. Die linke Faust leicht erhoben, stieß es dann förmlich aus ihm heraus: «… Und das sage ich Ihnen, wenn wir nach England kommen, wir werden auch das Kind in der Wiege nicht verschonen … »
Es lief uns eiskalt über den Rücken, und wir erstarrten mehr noch als zuvor.
Ehe wir uns fassen konnten, war diese Begegnung schon vorüber, keine Ansprachen, keine Ermahnungen. Wir kehrten sofort zu unserem Transport zurück.
Die Zeit der Offensiven, der Invasion war damals schon längst zu Ende, aber das konnten wir nicht fassen. Wir hofften auf irgendeine Wende, eine Wende auch für uns. Ich weiß nicht mehr, wo wir Phantasie, Kraft und Hoffnungen hernahmen. Diese gespenstische Szene hatte uns erregt, überwältigt, irritiert. Ich habe sie noch immer ganz deutlich vor Augen. So etwas vergißt man nicht.
Nachfolgende Generationen werden derartige Berichte wohl verständnislos und abweisend zur Kenntnis nehmen, aber so hatte diese Zeit eben die Menschen geprägt.
Anfang 1943 erklärte Josef Goebbels, der Feldherr an der Propaganda‑ und Verdammungsfront, den «Totalen Krieg» – ein Rückgriff auf Ludendorff.
Wenn in den bombastischen Propagandareden von Goebbels und Hitler die «Verschwörung des internationalen Judentums» gegen das deutsche Volk vorangestellt wird, je nach Bedarf eine jüdisch‑kapitalistische‑plutokratische oder eine jüdisch‑bolschewistische Verschwörung, so ist das für die Mehrheit der Deutschen weder rational noch emotional faßbar. Was sie aber alle begreifen ist dies: Deutschland, allseitig umgeben von Gegnern, ist in einen unbarmherzigen Krieg hineingestoßen worden. Zusammenhänge und Hintergründe sind für die meisten nicht mehr durchschaubar, aber sie, die Deutschen, sind offensichtlich für die Welt die «Nazis» die «bösen Deutschen» geworden. Die Identifizierung des Volkes mit Hitlers Krieg ist auch das propagandistische Anliegen von Josef Goebbels.
Seine Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 enthält u. a. auch diese Sätze:
«Ich gebe meiner tiefsten Überzeugung Ausdruck, daß das deutsche Volk durch den tragischen Schicksalsschlag von Stalingrad auf das tiefste geläutert worden ist. Es hat dem Krieg in sein hartes erbarmungsloses Antlitz hineingeschaut. Es weiß nun die grausame Wahrheit und ist entschlossen, mit dem Führer durch dick und dünn zu gehen … Nie wollen wir in diesem Kriege jener falschen und scheinheiligen Objektivitätsduselei verfallen, der die deutsche Nation in ihrer Geschichte schon so viel Unglück zu verdanken hat … »
Entgegen aller Vernunft, entgegen auch aller militärischen Einsicht und Vernunft, hatte Hitler eine ganze Armee, etwa eine Viertelmillion Soldaten, bei den Kämpfen an der Wolga getäuscht und dem Untergang preisgegeben. Das ist die «grausame Wahrheit», von der Goebbels so ganz anders spricht. Das ökonomische und militärische Potential war bereits mit Ablauf des Jahres 1942 erschöpft. Das Debakel von Stalingrad wird nun zum Fanal der hereinbrechenden Niederlage.
Die Verantwortlichen des Nazireiches, und ganz besonders die militärischen Führer, hatten das ganz klar erkannt.
Jetzt erreichten Tod und Vernichtung nicht nur die Menschen in den besetzten Gebieten und in den Zwangsarbeitslagern, auch Millionen Menschen des eigenen Volkes sind dem Untergang geweiht.
Kapitel 14
Der Betrachter erinnert sich an eine Kriegsweihnacht
24. Dezember 1943 im Hinterland der Ostfront: ein Ausbildungslager, fern der Heimat im fremden Land.
Spät am Nachmittag wurde die Kompanie in die Gemeinschaftsbaracke kommandiert, ab Mittag schon dienstfrei, es war eben Weihnachtszeit. Briefpost und Päckchen sind längst verteilt. Weihnachten? Gab es so etwas noch?
Dienstfrei hatten wir ‑ und gebangt, geträumt, gehofft wie alle Tage.
Einen Urlaub hatten wir noch zu erwarten: Abstellungsurlaub gab es, bevor wir abrückten ins Schlachtengetümmel. Urlaub, das war unser Traum, unsere Hoffnung, das allein hielt uns hoch.
Heiliger Abend, Weihnachten. ‑ Es war, als wenn Kommendes, Befehle diesmal gedämpfter klangen, nicht ganz so wuchtig, nicht ganz so brutal.
Der Raum war bescheiden ausgestaltet: Ein mittelgroßer Weihnachtsbaum, Lametta, hin und wieder einige Lichter. Vor uns ein Teller mit trockenem, hartem Gebäck. Das war viel, mehr hatten wir nicht erwartet.
Weihnachtszeit ‑ Heiliger Abend. Die Kompanie war vollzählig. Der Spieß meldete, der etwa 24 jährige Leutnant F. begrüßte uns.
Das große Licht wurde gelöscht, bevor die Ansprache begann. Heiliger Abend ‑Weihnachtszeit: «Kameraden! Zum fünften Male feiert die deutsche Nation Kriegsweihnachten … Wir, die wir nicht bei den Lieben daheim sind, wissen um die Bedeutung dieser Stunde … Noch immer hält der Ansturm der asiatischen Horden, der Ansturm des Bolschewismus an. Der Krieg im Osten ist in eine entscheidende Phase getreten … Unsere Gedanken sind bei unseren Kameraden, die jetzt und heute im unmittelbaren Einsatz stehen … »
Leutnant F. war kein brutaler Typ. Sein schmaler Kopf mit dem blonden Schopf und den wasserblauen Augen wirkte eher sympathisch.
« … Deutscher Geist ist auch immer Soldatengeist gewesen … im festen Glauben an den Führer und im Vertrauen darauf, für die besten Soldaten auch die besten Waffen zu haben, sehen wir den kommenden Monaten entgegen … »
Leutnant F. sprach auch nicht im Pathos. Er wirkte selbst jetzt noch natürlich, männlich, bestimmt.
« … Unsere germanischen Vorfahren feierten das Fest der Sonnenwende, den Umbruch von der Finsternis zum Licht. Auch wir werden diesen Umbruch erleben … »
Er war kein Rekrutenschinder, dieser junge Offizier. Das Rumbrüllen besorgten die anderen, es gab genug davon. Immerhin, er wirkte sympathisch, auch auf uns, die wir um Jahre jünger waren.
«… Wir feiern Weihnachten, weil sich die Welt erneuert, wie ein neugeborenes Kind … » Irgendwie war wohl alter preußischer Soldatengeist und nazistischer Ungeist in ihm zusammengeschmolzen. Er war ein Opfer geworden, wie viele. Diese Feierstunde hat er nur drei Monate überlebt.
«… Und so feiern wir als gottgläubige Menschen Weihnachten nicht wie in der Kirche, sondern als deutsche Soldaten, die um die Größe ihrer Aufgabe wissen. Dieser Jesus Christus der Bibel, der Kirche, hat uns nichts zu sagen. Wir können seine Sanftmut, seine Barmherzigkeit nicht gebrauchen, wenn wir diesen unbarmherzigen Kampf um das Sein oder Nichtsein unseres Volkes führen. Wir brauchen für unsere Stoßtruppenführer, Stukaflieger und U‑Boot‑Kommandeure, für alle die, die in der unmittelbaren Auseinandersetzung stehen, einen anderen, einen kämpferischen Geist.»
Es war nicht das erste Mal, daß wir solche Reden hörten. Und nun war «Heilige Nacht». Noch immer brannten die Kerzen. Feierlich war es. Zusammen mit einem Schifferklavier erklangen nun aus unseren Kehlen die alten und neuen Weihnachtslieder: «O Tannenbaum … », «Leise rieselt der Schnee … », «Hohe Nacht der klaren Sterne … »
Und nun brach es doch noch durch: «Stille Nacht, heilige Nacht».
Leutnant F. sah etwas betreten zur Seite. Die «Geschichte» hatte sich als stärker erwiesen, stärker als alle demagogischen Verwirrungen. «Stille Nacht! ‑ Christ der Retter ist da.» Wer verstand das noch? «Christ der Retter ist da.» Die Ahnung, die Sehnsucht nach irgend etwas, was verlorengegangen war, hier wurde es stärker als die Bitterkeit dieser Stunde, als die Dunkelheit, als die Kälte der Nacht.
Kapitel 15
Dem Ende entgegen
Nur keine Vernunft, nur keine «Objektivitätsduselei», so hatte Goebbels die Massen zu beschwichtigen versucht.
Hitlers Saalschlachttaktik aus den Münchner Bierstuben blitzschnell angreifen, zuschlagen, vernichten ‑ ist nicht mehr anwendbar.
Geblieben waren und potenziert wurden nun die «blutigen Schädel», die Hitlers Herz erfreuten angesichts der Auffrischung «seiner Kriegserlebnisse».
Inmitten dieser beginnenden Katastrophe für das deutsche Volk gelingt Hitler am 21. März 1943 nochmals ein grandioses Täuschungsmanöver. Er eilt nach Berlin, um anläßlich des sogenannten Heldengedenktages eine Rede zu halten.
Da fallen dann solche Sätze wie diese:
«… Dank dem Opfer‑ und Heldentum unserer Soldaten ist es gelungen, nunmehr endgültig die Krise, in die das deutsche Heer durch ein unverdientes Schicksal gestürzt worden war, zu überwinden . . . Daß es unter diesen Umständen verantwortet werden kann, die nunmehr seit vielen Monaten bestehende Urlaubssperre mit dem heutigen Tage aufzuheben . . .»
Mit demagogischer Raserei stellt er sich dann als Sachwalter der Menschheitskultur und als Kämpfer gegen die Barbarei dar:
«. . . Was der deutsche und die mit ihm verbündeten Soldaten heute im Osten beschirmen, ist nicht das steinerne Antlitz oder das soziale und geistige Gepräge dieses Kontinents, sondern es sind die ewigen menschlichen Substanzen, von denen seit grauen Vorzeiten alle Werte ausgegangen sind . . . »
Da ruft einer die «Geschichte» oder sogar die «Vorsehung» an, von der er nichts aber auch rein gar nichts begriffen hat. Die schöngeistigen Phrasologien der letzten hundert oder zweihundert Jahre ermöglichen ihm diese Art von Täuschung.
Es ist ein Betrug, der nur durch die ständige Aufweichung und Verdrehung von Wertvorstellungen möglich ist.
Jahrhundertelang hatte man sich gegen das Wirken des HEILIGEN GEISTES, einem Geist auch des Friedens, der Brüderlichkeit, der Nächstenliebe, irgendwie immer gewehrt.
Die «Gebildeten», die «Aufgeklärten», die «Fortschrittlichen» und auch die Gleichgültigen, sie hatten wohl immer gezögert. «Gut deutsch», «kameradschaftlich», «anständig», «ehrlich und rechtschaffen» ‑ das wollten sie sein ‑ nicht «heilig» und «fromm».
Nun waren die Uniformen gekommen. Nun war der Geist des Krieges, der unheilige Geist ausgegossen worden. Nun hatte der Diabolos, der Durcheinanderwerfer, die Menschen verwirrt und in das große Chaos geführt.
Im vierten Kriegsjahr wurden aus Offensiven Rückzüge, und anfängliche Siege endeten in eklatanten Niederlagen.
Die offizielle Propaganda konnte es nicht mehr vertuschen: Die große deutsche Kriegsmaschine hatte sich festgelaufen. In dieser Situation entsteht ein ganz eigenartiger Ideenkomplex: der Mythos vom «Verrat» ‑ ein Verrat, den man aber nicht bei den großen und wirklichen Verantwortlichen suchte, sondern irgendwo auf einer mittleren Ebene. Es gab genügend Phantasten, die noch jahrelang in diesen Wirrgedanken verhaftet blieben.
Die Wirklichkeit war anders.
Der Krieg wurde im Osten entschieden, das war auch für Hitler eine ausgemachte Sache.
In der unendlichen Weite des russischen Gebietes aber, im fremden Land fern der Heimat, ergreift mehr und mehr ein Gefühl der Verlassenheit und Verlorenheit die Soldaten.
Und da ist auf einmal ein ganzes Volk, das sich gegen die Eindringlinge wehrt. Die sowjetischen Soldaten kämpfen mit einer Verbissenheit, mit einer Energie, die jeder Voraussicht, jeder Propagandadarstellung Hohn spricht.
Jede Niederlage, jeder Rückzug verursacht Panik, denn als unbeabsichtigte Folge der Propaganda geht die Parole um: «Nur nicht dem Iwan in die Finger fallen!»
Sonderkommandos und Elitetruppen können die zurückströmenden Massen nur zeitweise aufhalten. Dunkel und unheimlich ist für Millionen Soldaten jeder neu beginnende Tag. Dazu kommt die quälende Sorge um die Angehörigen zu Hause, die unter dem Feuer der westalliierten Luftangriffe Hab und Gut verlieren und oft genug das Leben lassen müssen.
Das Jahr 1944 bringt dann die Eröffnung der zweiten Front durch die angloamerikanischen Truppen, ein Ereignis, das die eingeleitete Niederlage nun noch beschleunigt.
Die Generale und Feldmarschalle erweisen sich bei den Ereignissen im Juli des Jahres weiterhin als Nullen, als Nullen hinter Hitler. Unfähig und untauglich lassen sie die neue mögliche Eins, den tapferen Obersten Graf von Stauffenberg, schmählich im Stich.
Schließlich ist es Anfang 1945 soweit, daß im Westen wie im Osten reichsdeutsches Gebiet in der Kampfzone liegt.
Durch flammende Aufrufe werden deutsche Menschen dazu aufgefordert, ihre Städte, ihre Häuser zu Festungen zu machen. Ein irrsinniger Befehl jagt den anderen, während sich Hitler am 16. Januar 1945 in die Bunker der Berliner Reichskanzlei zurückzieht.
Als wenige Wochen später sowjetische Truppen nach einer weitreichenden Offensive die Oder erreichen, hat die Agonie des «Dritten Reiches» einen dramatischen Höhepunkt erreicht. Immer mehr sogenannte Volkssturmeinheiten werden formiert. Das sind auch Kinder und Greise, denen man Panzerfäuste, Eierhandgranaten und einige Beutegewehre in die Hand drückt, um das «Vaterland in höchster Not» zu verteidigen.
Außer einigen blindwütigen Fanatikern hat zu diesem Zeitpunkt auch jeder Durchschnittsdeutsche begriffen, daß der Krieg verlorengegangen sein muß.
Hitler, aber auch seine Trabanten, geben nicht auf. Der Urheber phantastischer Hirngespinste, die großen politischen Abenteurer der deutschen Geschichte, werden nunmehr das Opfer ihrer eigenen Lügen.
Der Zeitpunkt des endgültigen Zusammenbruchs ist fast mit mathematischer Genauigkeit zu errechnen, aber die Helden der braunen Epoche träumen von einem Wunder. Es ist geradezu unwahrscheinlich, wie Männer, die es aufgrund ihrer Bildung, ihrer Erfahrungen, eigentlich besser wissen müßten, mit kindlicher Zuversicht auf ein Auseinanderbrechen der gegnerischen Koalition hoffen.
Schon seit Jahren war Hitlers Kriegsapparat Stück für Stück zerbrochen. Die endgültige Aufweichung des so sorgsam gezüchteten kriegerischen Geistes war nun menschlich allzu verständlich. Leben wollten sie alle und nicht sterben. Die Nazis nannten das Feigheit, während sie den Wahnsinn als Tapferkeit deklarierten. Adolf Hitler ist in diesen Tagen ein gebrochener Mann, ausgebrannt auch durch die ständigen Aufputschmedikamente. Der fanatische Glanz in seinen Augen ist fast erloschen, und seine Hände zittern, wenn sie über die ausgebreiteten Karten tasten.
Da hilft kein Fluchen und kein Beschwören. Die taktischen Züge auf dem Papier lassen sich jetzt nicht mehr in die Wirklichkeit übertragen. Der große Kriegsmechanismus ignoriert die Handgriffe seiner Erbauer.
Aber etwas anderes wird jetzt sichtbar: Die anderen, die ausgezogen waren, um den «Bösen» zurückzudrängen und in die Schranken zu verweisen, waren nun selbst «böse» geworden. Die Bombardierung offener deutscher Städte, die Angriffe aus der Luft, werden bis in die letzten Tage des Krieges durchgeführt.
Ist es Rache? Ist es Überreaktion aus Angst? Warum soviel Furcht vor dem am Boden liegenden Gegner?
Kapitel 16
Der große Krieg und eine kleine Stadt
April 1945, ein kleines märkisches Städtchen, hundert Kilometer nordwestlich Berlin:
Wie überall in Deutschland sind auch hier die Menschen niedergeschlagen. Die schwarz umränderten Anzeigen mit dem «Eisernen Kreuz» sind eine tägliche Erscheinung. Die Tageszeitungen bringen auch sonst nur unerfreuliche Nachrichten.
So haben auch sie ihre Sorgen, diese etwas entlegenen Kleinstädter. Abgelegen sind sie. Deshalb hatte man seit zwei Jahren Frauen, Kinder und wertvolles Gepäck aus bedrohten Gebieten hierhergeschafft.
Ziemlich bedeutungslos sind sie, und so war ein Luftangriff wohl kaum zu befürchten. Allerdings ‑ wie überall im weiten Land hört man auch hier die Luftlagemeldungen. Es wird eifrig verdunkelt, und man kennt Warnsirenen und Luftschutzkeller.
Ein herrlicher sonniger Frühling ist hereingebrochen, aber auf den Straßen gibt es die Trecks der Flüchtenden aus dem Osten, bewaffnete Hitlerjungen und marschierende Volkssturmkolonnen. Abgelegen, weit vom Schuß sind sie, aber auch sie wagen es nicht, die Konsequenzen eines verlorenen Krieges zu Ende zu denken.
Es ist alles zu furchtbar, zu grausam, zu unverständlich. Eine Provinzstadt, aber der Bahnhof ist ein Knotenpunkt mit durchgehender Verbindung von Ost nach West, von Nord nach Süd. Straßen und Schienenwege sind gleichermaßen verstopft. Sie sind abgelegen, aber der Krieg, das deutsche Unglück, hatte sie nun doch erreicht.
Da läuft am 15. April, es ist Sonntag, ein Eisenbahnzug mit vielen sorgfältig verplanten und getarnten Rungenwagen ein. Es sind, wie sich bald herausstellt, Sprengstoff und Flugkörper der sogenannten Vergeltungswaffen. V‑Waffen, Raketen, waren eines Tages als geheimnisvolle Vergeltung bis nach England geschossen worden. Sehr viel weiß man damals noch nicht von den Raketenwaffen.
Der Kommandoführer, ein Major, möchte sofort weiter. Irgendwie in Richtung Mecklenburg soll dieser gut bewachte Zug abgefertigt werden.
Auch den Eisenbahnern ist bei einem solchen Transport nicht wohl, denn gegnerische Aufklärungsflugzeuge und Tieffliegerbeschuß gibt es jetzt auch hier.
Loswerden wollen sie ihn schon, diesen Teufelszug, aber sie haben ihre Schwierigkeiten: verstopfte Strecken, beschädigte Lokomotiven, ausgefallene Technik.
Während in den Diensträumen des Bahnhofes die Fernsprecher schrillen, Telegrafen klappern und aufgeregte Worte hin und her gehen, gibt es keine hundert Meter davon entfernt noch die sonntägliche Kleinstadt.
Vor dem Kino, dem Lichtspieltheater am Bahnhof, drängen sich zweihundert und mehr Menschen. Einwohner, unterwegs befindliche Soldaten und viele, die hier irgendwie hängenblieben.
Kino und Filmkunst, die einzige verbliebene Abwechslung, die letzte Illusion: Wer kann es den Menschen verdenken, daß sie trotz allem hierhergehen.
Die Unruhe, die Unsicherheit auf dem Bahnhof aber läßt nicht nach. Es ist 20 Uhr, die Vorstellung beginnt. Vorher tönt aus dem Lautsprecher Musik: Flotte Weisen, Marschlieder, Schlager.
«Schau nicht hin, schau nicht her, schau nur geradeaus, und was dann auch kommt, mach dir nichts daraus.» Das ist der große Schlager dieser Jahre. So hatte es oft, viel zu oft hier geklungen.
Die Eisenbahner werden indessen nicht ruhiger. Ein Aufklärungsflugzeug kreist über dem Bahnhof. Dazu kommt, daß ein Wagen eines eingelaufenen Güterzuges durch Flieger-MG in Brand geschossen worden ist.
Im Kino ertönen die Fanfaren der Deutschen Wochenschau. Der Krieg, geflimmert und unwirklich an der Wand: ein Propagandamittel. Flotte Musik untermalt gespenstische Szenen: ein Mittel zur Täuschung.
Dann läuft der Hauptfilm. Ein bedeutungsloser Film mit dem bedeutungsvollen Titel: «Es fing so harmlos an», eine Komödie mit den Hauptdarstellern Johannes Heesters und Theo Lingen. Das Bahnhofsgelände gleicht indessen einem riesigen Pulverfaß und mittendrin ein brennender Wagen, der das Aufklärungsflugzeug immer wieder anzieht.
Im Kino hört man Lachen, immer wieder Lachen, aber dann erfolgt Luftalarm.
Der Kinobesitzer läßt den Film stoppen und stürzt in den Zuschauerraum. «Luftgefahr, der Saal ist sofort zu räumen.»
Da kommt es ihm aus hundert Kehlen entgegen: «Weiterspielen! Laßt uns zufrieden mit dem verfluchten Krieg da draußen, weiterspielen! Weiterspielen!»
Der damalige Filmvorführer Fritz Gl. erzählt später darüber: «Trotz des Alarms erhielt ich den Auftrag, weiter vorzuführen. Das Feuer auf dem Bahnhof hatte ich von meinem Fenster aus sehr wohl bemerkt. Es war die letzte Rolle des Hauptfilms, die ich einspielte. In der Filmszene erschien der Schauspieler Will Dohm mit einem Riesenblumenstrauß. Dann erfolgte die ungeheure Detonation. Staub und Dreck, alles um mich brach zusammen. Schwerverletzt wie ich war, haben mich dann einige Jugendliche herausgerettet … »
Eine Riesendruckwelle, Feuer und Funkenregen erfaßt die ganze Umgebung, die kleine Stadt mit ihren ahnungslosen Einwohnern. Der Krieg hatte sie erreicht. Der Krieg war nun keine flimmernde Unwirklichkeit an irgendeiner Leinwand mehr. Der Krieg war blutige Wirklichkeit.
Das Lachen der Kinobesucher verkehrt sich in Schreien und Weinen. Häuser brennen, Mauern und Wände stürzen ein. Eisenbahnwagen werden bis zu fünfhundert Meter weit durch die Luft geschleudert. Ein riesiger Krater kennzeichnet später den Ausgangspunkt der Explosion.
Im Stadtgebiet greift Panik und Entsetzen um sich. Die überraschten Einwohner haben den Eindruck, Opfer eines großen Luftangriffes zu sein. In wilder Hast fliehen viele in den nahe gelegenen Wald. Auf dem Bahnhof aber explodieren noch immer Güterwagen; bis in die frühen Morgenstunden hört man die Detonationen.
Am nächsten Tage ist die Umgebung des Bahnhofes ein Trümmerfeld. Trümmer und Brandstätten auch im weiteren Stadtgebiet, Türen und Fensterscheiben zersprungen. Tote müssen geborgen und Verletzte versorgt werden. Die Zahl der Opfer erscheint unübersehbar.
Der Krieg hatte sie alle erreicht, der Krieg, den sie so noch nicht erwartet hatten.
In den nächsten Tagen werden die verbleibenden Größen des Regimes noch einmal aktiv. Nazikreisleiter Erich K. sitzt nun wie ein großer Chef in Berlin vor einem Trümmerhaufen, aber er läßt nach Schuldigen suchen. Verrat? Sabotage?
Parolen sind schnell durch die Stadt gegangen: «Die Eisenbahner sind schuldig, die Eisenbahner, sie hätten diesen Zug vom Bahnhof schaffen müssen.»
Noch einmal flackert er auf, dieser «Mythos vom Verrat». Die Schergen des untergehenden Reiches lassen einige Eisenbahner kommen, die sie mit den Worten anherrschen: «Man müßte euch aufhängen, mitten auf dem Marktplatz.»
Die so Beschuldigten aber kennen die Situation und ihre Vorschriften. Nur mürrisch, zögernd läßt man sie laufen. Noch einmal hat er sich aufgebäumt, dieser Geist des Krieges und des Terrors, dieser Geist des Chaos und der Lüge.
Der Krieg hat diese kleine Stadt erreicht, später als Großstädte und Industriegebiete, früher als viele andere im Lande. Die Uhr der Mörder und Betrüger aber ist abgelaufen. Das Spiel ist aus.
Und so ist diese kleine Stadt mit ihren zerstörten Häusern, mit ihren verstörten Menschen, mit ihren Toten und Verwundeten, mit den Trümmern und mit der Angst, zum Symbol geworden für das ganze große Reich. Es fing so harmlos an, aber nun: Das Spiel ist aus.
Kapitel 17
Das Spiel ist aus
Was denken sich diese Strategen, diese Techniker der Macht eigentlich, wenn sie mit einer Handbewegung das Schicksal von Millionen Menschen beeinflussen?
Millionen haben das Kriegsabenteuer schon mit dem Leben bezahlt.
Millionen haben Haus, Hof und Heimat verloren.
Millionen Familien kennen nur noch Tränen, Kummer und Ungewißheit.
Das Chaos in Deutschland wächst von Stunde zu Stunde. Aber die «Elite der Nation» sitzt dicht geschart um den Obersten Kriegsherrn, um das große Wunder des deutschen Endsieges zu erleben. Einige von ihnen haben allerdings schon Friedensfühler nach dem Westen ausgestreckt, um die Anglo‑Amerikaner zu einem Stillhalteabkommen gegenüber den Operationen im Osten zu bewegen.
Ganz besonders aktiv in dieser Richtung ist der SS‑Chef Heinrich Himmler, der mit einem baldigen Ableben Hitlers rechnet. Auch Hermann Göring möchte sich aus der Katastrophe herausretten.
Er weiß sehr gut, sein Millionenvermögen ist wertlos, wenn er seinen politischen Einfluß verliert oder gar den Heldentod stirbt.
Für ihn ist die Politik nie Selbstzweck, sondern immer nur Mittel zum Zweck gewesen.
Eigentlich ist es in dieser Stunde nur Dr. Josef Goebbels, der sich fest an die Rockschöße seines Herrn geklemmt hat. «Ich bin ein geschichtsgläubiger Mensch», so hatte er einmal gesagt, «die Geschichte hat ihren Sinn verloren, wenn wir diesen Krieg nicht siegreich bestehen.»
In der Umgebung Hitlers spielt aber jetzt ein anderer Mann eine wichtige Rolle. Es ist Martin Bormann.
Seitdem der «Stellvertreter des Führers», Rudolf Heß, im Mai 1941 in einem Anfall von Hysterie nach England geflogen war, um dort Verhandlungen aufzunehmen, ist Bormann, der bis dahin Stabsleiter war, praktisch an dessen Stelle gerückt.
Der perfekte Bürokrat wurde für Hitler als Sekretär und Vertrauter unentbehrlich. Bormann ist Lakai in Vollendung.
Beflissen lauscht er den Phantastereien und Wutausbrüchen seines Herrn, um wenig später daraus die Führererlasse, Befehle und Anordnungen zu formulieren. Über Himmler und Goebbels hinaus ist er damit zum gefährlichsten Werkzeug in der deutschen Politik geworden. Er hat bis in die letzten Tage seinem kranken Chef die Wahnsinnsbefehle entlockt.
Am 20. April dieses traurigen Jahres vollendet Hitler sein 56. Lebensjahr. Es ist ein gespenstischer Festtag.
Das Geburtstagskind hockt mit seinen Getreuen tief unter der Erde, während die Reichshauptstadt selbst Kampfgebiet geworden ist.
Die sowjetischen Truppen haben zu «Ehren des Führers» eine letzte große Offensive in Gang gesetzt, die nun auf vollen Touren läuft.
Noch einmal erscheint die Führerschaft des braunen Reiches vor ihrem Souverän. Bange Ungewißheit hat sie schon lange ergriffen. Viele aber, die aus anderen Gebieten des Reiches hierher gekommen sind, hoffen zu erfahren, wie es jetzt weitergehen soll. Als sie dem Garanten des Sieges gegenüberstehen, packt sie das Entsetzen. ‑ Es ist zu Ende mit ihm ‑ das ist der Eindruck, den sie alle mitnehmen.
Von den Feldherren oder Kommandeuren fährt oder fliegt keiner zurück, um etwa folgenden Tagesbefehl zu erteilen: «Kameraden! Ich habe den Mann gesehen, der sich euer Oberster Befehlshaber nennt. Dieser Mann ist todkrank, ist wahnsinnig. Es ist schade um jeden Tropfen Blut, der noch vergossen wird. Kameraden! Legt die Waffen nieder! Das große Spiel der Betrüger ist aus.»
Nein, ein solcher oder ein ähnlicher Befehl wird auch jetzt nicht gegeben.
Noch immer wird administriert, operiert, gehofft und intrigiert. Himmler und Göring bemühen sich mit Nachdruck um ein Teilabkommen mit den Westmächten.
Hitler weiß zunächst nichts davon, aber als er später davon erfährt, stößt er diese seine «getreuen Mitkämpfer» aus allen Ämtern aus.
Ich war in diesen Tagen Soldat einer Einheit im Südteil des äußeren Berliner Verteidigungsgürtels.
Wegen des sich immer wiederholenden Luftalarms hatten wir ganze Nächte im Keller zugebracht. Unsere Unterkunft in Wünsdorf war nur wenige Kilometer vom Lager Zossen, dem Sitz des Oberkommandos, entfernt, eine Tatsache, die wir nur so ganz nebenbei zur Kenntnis nahmen.
Die Kompanie bestand zum größten Teil aus Scharfschützen in der Ausbildung, die nun plötzlich Fronttruppe geworden waren. Ich selbst gehörte mit einigen anderen zum Troß, und wir waren laufend in irgendwelche Transport‑ und Versorgungsarbeiten eingespannt.
Angst vor dem Kommenden? Wir hatten keine Zeit dazu. Der Kampf um ein bißchen Schlaf, um die tägliche Ration in der Verpflegung nahm uns voll in Anspruch.
Die Schlacht um Berlin hatte bereits begonnen. Es waren die Tage zwischen dem 16. und dem 20. April.
Am 20. April, dem «Geburtstage des Führers», gab es noch eine «Truppenbetreuung». Eine Künstlertruppe aus Berlin servierte ein buntes Programm. Da waren eine Kapelle in SA-Uniformen, ein halbverhungerter Komiker, der alte Witze erzählte und sich für die Erbsensuppe bedankte, eine hochschwangere Sängerin, die Lieder aus Operetten vortrug, ein Vogelstimmenimitator und Jongleur. Mitten in diese Vorstellung platzte ein neuer großer Alarm. In der anschließenden Nacht spitzte sich die Situation zu: Geschützdonner, Luftangriff auf das Lager Zossen.
Die Herren des Oberkommandos waren inzwischen längst über alle Berge. Sowjetische Panzerspitzen waren aus Richtung Baruth bis zu unseren Stellungen vorgedrungen. In den nächsten Stunden erfuhren wir mehr: Unsere Kompanie war aufgerieben worden, und der fürsorgliche Kompaniechef gab das Zeichen zum «Absetzen». Die alten Fronthasen wußten, was in solcher Situation zu tun war. Wir, einige vom Troß, erfuhren das erst später. Man hatte uns im Stich gelassen. Aber auch unsere Parole konnte jetzt nur lauten: «Absetzen!»
Auf der Straße strömten uns neue «Kampftruppen» entgegen: alte Volkssturmmänner, Sechzehnjährige in Arbeitsdienstuniformen und dann überwiegend Luftwaffensoldaten. Sie sahen uns entgeistert an: «Da vorne ist die Front!» Es waren Einheiten, die dann zum großen Teil in den Kessel bei Halle abgedrängt wurden, wie es sich später herausstellte.
«Da vorne ist die Front!» In der Höhe von Zossen Lager wurden wir von einem schwerbewaffneten Kommando gestellt. Man führte uns wie ertappte Deserteure ab. Vier Mann waren wir. Zum ersten Male betraten wir das raffiniert angelegte Bunkergelände des Oberkommandos der Wehrmacht.
Man sperrte uns in den Vorraum eines gut getarnten Bunkers. Irgendwie sollten wir verhört und zur Rechenschaft gezogen werden. Es kam nicht dazu, denn draußen fing es an zu krachen: Fliegerbeschuß, Panzergranaten, Panik hatte auch die verbliebene Lagermannschaft ergriffen. Ein schnoddriger Oberleutnant jagte uns wieder ins Gelände, aber wir kamen nicht weit, denn da stellte sich uns ein wild aussehender junger Offizier in den Weg: «Verteidigt euch, ihr Hunde!» Seine Pistole hatte er auf uns gerichtet. Die Panzerspitzen waren augenscheinlich schon bis ans Lager vorgedrungen. Einer von uns vier entgegnete in angstvoller Schlagfertigkeit: «Herr Leutnant, wir haben keine Munition.» Es entsprach nicht den Tatsachen, aber der fanatische Offizier mit seinen brachialisch aussehenden Begleitern ließ uns laufen.
Das Geschützfeuer und die Einschläge um uns herum hatten sich inzwischen verstärkt. Vergrößert hatte sich auch die Panik der hier noch Anwesenden. Einer von uns erwischte noch einen ausfahrenden LKW. Wir anderen bemühten uns, kriechend, laufend, robbend zu entkommen. Auch die Straße nach Zossen lag unter Feuer. Wir brauchten fast zwei Stunden, bis wir die Stadt erreicht hatten. Hier herrschte helle Aufregung. Die Zivilisten plünderten die Verpflegungslager.
Ein alter hinkender Oberst und ein jugendlicher Ritterkreuzträger stellten eine Kampftruppe aus Versprengten auf. Ein bunter Haufen hatte sich da angesammelt, einer kannte den anderen nicht. Wieder hatte man uns vereinnahmt. Die Stadt Zossen sollten wir nun verteidigen. Unser Zug wurde am Westeingang in Stellung gebracht. Dies war eine große Gelegenheit, wie ich schnell bemerkte, denn vorsorglich hatte ich mir eine Karte eingesteckt.
Später überredete ich einen Kameraden, die anbrechende Dunkelheit mit mir zur weiteren Flucht zu benutzen.
Was dann folgte, war eine abenteuerliche Flucht über Stock und Stein, über Wege, Straßen und Wiesen, durch Dörfer und Städte, vorbei an Kampfwütigen und Flüchtenden, an Plündernden und Verjagten, vorbei an Feldjägern und Standgerichten.
In Potsdam gab es am 22. 4., zehn Tage nach dem großen Luftangriff, noch sonntägliche Spaziergänger, alte Menschen, die die ganze Katastrophe noch nicht fassen konnten. Sie fragten: «Kommen die Russen auch zu uns»
«Es dauert nicht mehr lange.»
Die Schlacht um Berlin war nun in vollem Gange. Nur knapp konnten wir in der Nacht vom 23. zum 24. April aus dem umklammerten Bereich der Hauptstadt noch entweichen.
Am 25. April hatte ich die heimatliche Stätte, die noch nicht im Kampfgebiet lag, erreicht. Meine «soldatische» Laufbahn war beendet.
Was war aus mir geworden?
«Feige» und «fahnenflüchtig», wir hatten die Truppe verlassen. «Unwürdig» und «ehrlos», wir hatten die verlassenen Bunker der Feldmarschälle nicht verteidigt. Was war ich jetzt? Verraten und vergessen, ein verlorener Soldat in einem verlorenen Krieg.
Die «Großen» dieser Welt hatten mit mir nichts anfangen können. Weder die Gefallenen- noch die Gefangenenstatistik konnte mich nun erfassen.
Noch Tage dauerte der Geschützdonner, der Lärm des Krieges, für Millionen noch Tage voller Angst und Schrecken.
Kein Heldentum, keine großen Taten mehr, nur Furcht und Ungewißheit.
So erbärmlich war der Krieg.
Das Schicksal Berlins ist durch die umfassende Einkreisung besiegelt, aber noch gibt es Lagebesprechungen im Führerbunker. Noch immer werden Truppeneinheiten auf der Karte markiert, die es überhaupt nicht mehr gibt.
Noch immer rechnet man mit dem kämpferischen Einsatz deutscher Soldaten.
Noch immer hofft man auf Ersatz oder irgendein Wunder. Erst am 29. April, als das Gelände der Reichskanzlei unmittelbar Kampfgebiet geworden ist, als die Verbindungen zur Außenwelt abreißen, sind die Finsterlinge mit ihrem Latein am Ende. Wie oft hatte der «größte Feldherr aller Zelten» die göttliche Vorsehung zitiert, wenn er wieder einmal einem Verhängnis entgangen war? Er fühlte sich aufbewahrt für Größeres.
Jetzt aber zeigt sich, daß er für ein schreckliches, jämmerliches Ende aufbewahrt wurde. Sein vorzeitiger Abgang hätte vielen den Blick für diese ganze Wahrheit genommen.
Das, was sich am 29. und 30. April 1945 unter der Berliner Reichskanzlei abspielt, kann man wohl als das erbärmlichste Fiasko der Weltgeschichte bezeichnen.
Da sitzt der Mann, der mit der Leichtfertigkeit eines Spielers Millionen Menschen in den Tod geführt hat.
Da sitzt er, auf dessen Befehl Unzählige ermordet wurden.
Da sitzt er und schreit: «Verrat! Verrat!»
Dann allerdings geschieht etwas völlig Unverständliches: Ein Standesbeamter wird herbeigeschleppt, und er erhält den Auftrag, Adolf Hitler mit der ehemaligen Sekretärin Eva Braun zu trauen.
Niemandem in der Öffentlichkeit war bisher bekannt, daß in der unmittelbaren Nähe Hitlers eine Frau lebte.
Niemand im Bunker hatte auch nur im entferntesten an eine Hochzeit in dieser Situation gedacht.
Während in und um Berlin blutige Kämpfe toben und von den Häuserwänden Inschriften leuchten, die da lauten: ‑ Mit Adolf Hitler kämpfen und siegen ‑ wird einige Klafter unter der Reichskanzlei eine seltsame Hochzeit gefeiert.
Der erste Soldat Großdeutschlands flüchtet in die Bereiche des Kleinbürgers.
Es ist die Welt, die er den anderen nunmehr zerschlagen hat. Diese Flucht allerdings ist nur markiert.
Das neuvermählte Paar kann sich nicht in die grünen Auen unter den wuchtigen Erhebungen des Berchtesgadener Landes zurückziehen, wie es der Bräutigam in seinen schwachen Stunden einmal erträumt hatte.
Vernichtung und Untergang sind als Trauzeugen erschienen. Die um Jahrzehnte jüngere Braut hat Tod und Teufel an ihrer Seite.
Wieviele rührselige Storys können sentimentale Poeten aus diesem Ereignis herausspinnen?
Der größte Vernichter aller Zeiten muß aber nunmehr sein Testament diktieren.
Da entsteht auf dem Papier eine neue Reichsregierung.
Reichspräsident wird Großadmiral Dönitz. Josef Goebbels ist dadurch neuer Reichskanzler.
Das Oberkommando der Wehrmacht erhält von Hitler noch einen letzten Funkbefehl: «Es ist festzustellen, inwieweit die Operationen deutscher Kräfte um Berlin vorangekommen sind.»
Am 30. April trifft die erschütternde Antwort ein: Es hat sich nichts aber auch rein gar nichts gerührt, um die Umklammerung der Reichshauptstadt zu zerreißen.
Nachmittags um 15.09 Uhr bringt sich daraufhin der Mann um, dessen Name in den Lettern der Weltgeschichte sicher nicht zu tilgen sein wird.
Unmittelbar davor hatte Eva Braun Gift genommen.
Nur wenig später verbrennen SS‑Männer die beiden Leichen.
Goebbels und Bormann sind nun die Herren des Geschehens, denn der Reichspräsident sitzt weit vom Schuß in Flensburg.
Der schlaue Josef ist aber als Reichskanzler plötzlich hilflos wie ein Kind.
Naiv und unbescheiden schickt er einen General zur sowjetischen Führung, der um vorübergehende Waffenruhe ersuchen soll, damit die «Friedensverhandlungen» vorbereitet werden können.
Als er erfährt, daß die bedingungslose Kapitulation nicht mehr zu umgehen ist, greift er zum Revolver.
Was aber tut das neue Staatsoberhaupt Karl Dönitz?
Setzt er dem unsinnigen Blutvergießen ein Ende?
Viele Deutsche hören oder lesen in den ersten Maitagen eine Proklamation ihres neuen Staatspräsidenten.
Es ist ein Musterbeispiel politischer Dummheit. Da werden die deutschen Menschen zum Weiterkämpfen aufgefordert, weil die Gefahr des Bolschewismus drohe.
Gegen die Westmächte soll nur noch bedingt gekämpft werden. Die Kaltblütigkeit und Kaltschnäuzigkeit deutscher Militärs hat sicher oft Verwunderung hervorgerufen.
Was sich hier offenbart, kann allerdings auch dem Wohlwollendsten nur ein Kopfschütteln abnötigen.
Da sind einem Menschen mit angemessener Bildung die Geschicke eines geschlagenen Volkes in die Hände gelegt, und seine Aufgabe könnte es jetzt sein, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Die Niederlage ist ja schon längst vollzogen.
Dieser Großadmiral setzt aber, statt an allen Fronten den Krieg einzustellen, das politische Falschspiel der Nazis fort.
Auch er und seine Ratgeber haben die kindliche Hoffnung auf einen großen Streit zwischen Ost und West, bei dem sie der lachende Dritte sein könnten.
Sie verwirken damit jede Chance, evtl. als Überzeugungsregierung von allen Siegermächten zugleich anerkannt zu werden. Das Schicksal Deutschlands ist damit besiegelt.
Es hat aufgehört, in seiner bisherigen einheitlichen Form zu existieren.
Kapitel 18
Geschichte und Schuld
Im Hinblick auf diesen Zusammenbruch und vor allem auf dieses Meer von Leid und Tränen werden viele Fragen laut.
Eine davon könnte lauten: Warum ist soviel Haß und Krieg unter der Menschheit?
Der Arzt Albert Schweitzer erzählte einmal.
«In meinem Spital habe ich Primitive. Wenn ich von einem der nicht bettlägerigen Spitalinsassen zu verlangen genötigt bin, er möge einem Kranken, der das Bett hüten muß, mit kleinen Diensten behilflich sein, so wird er sich nur bereit zeigen, wenn der Betreffende seinem Stamm angehört. Ist das nicht der Fall, wird er mir treuherzig antworten: <Dies ist nicht mein Bruder>. Kein Überredungsversuch und keine Drohung werden ihn von seiner Weigerung abbringen».
So also ist das:
Er ist nicht mein Bruder, also geht er mich nichts an.
Er ist nicht mein Bruder, also ist er gar mein Feind.
Er ist nicht mein Bruder, also muß ich ihn vernichten, bevor er mich tötet.
Wer gibt schon zu, daß auch heute noch Reste dieses Denkens in seinem Herzen flackern?
Wie auch die großen chinesischen und indischen Denker, die griechischen Philosophen bis hin zu den alttestamentlichen Propheten das Ethisch‑Humane gefördert haben mögen, der entscheidende gewaltige Umbruch erfolgte allein durch JESUS CHRISTUS.
Seine Botschaft und sein Kreuzestod machten die Gotteskraft des Heiligen Geistes frei für alle Menschen, einer Botschaft allerdings, der auch widersprochen wird.
Die Vollendung der Menschheit zum Reich Gottes, zum Reich des Friedens, das ist das Ziel der Weltgeschichte.
Wenn Adolf Hitler eine Größe in der Geschichte war, dann doch nur deshalb, weil durch ihn die Schuld eines Volkes, einer ganzen Epoche transparent wurde.
Er hat mit gewaltigen glatten Worten eine ganz andere Richtung angeboten. Er hat das Tor zur Hölle aufgerissen. Jetzt wissen wir, was uns erwartet, wenn wir den Ungeistern Raum geben.
Sie sind eben doch erlogen, diese Verse von der Nibelungentreue.
Am Ende des Krieges steht immer die nackte Angst, der kalte Schrecken.
Stolze Sagen und mehr oder weniger nüchterne Geschichtsbeschreibungen haben es uns jahrhundertelang verschwiegen. Diesmal wollen wir sie beim Namen nennen, diese schlotternde Erbärmlichkeit, diese abgrundtiefe menschliche Verworfenheit.
Doch nicht allzu billig sollten wir auf die Schreckenstaten des «Dritten Reiches» hinweisen und sagen: «Es war seine Schuld!»
Aus der Kenntnis geschichtlicher Zusammenhänge heraus sollten wir ehrlich erkennen: «Es war unsere Schuld!
Kapitel 19
Danach
Inmitten der Kriegskatastrophe hatte ein verzweifelter Soldat ausgerufen: «Mein Führer! Ich habe alles verloren, ich habe nur noch Sie!»
Gab es nichts anderes, woran er sich hätte klammern können? Wo waren sie geblieben, sie, die diesen «Führer» als geradezu mythische Größe aufgebaut hatten, eine Größe, die sich als ein riesiges Irrlicht erweisen mußte?
Die einst so großtönend politisch verantwortlich waren, hatten sich wie durchgefallene Schmierenkomödianten von der politischen Bühne verabschiedet.
Auch ihr geschriebenes oder ihr ungeschriebenes Vermächtnis war nur Haß, ein unverständlicher, pathologischer, diabolischer Haß.
Jahrzehnte oder ein halbes Jahrhundert danach erscheint die Gegenwart um vieles klüger als die Vergangenheit.
Ist sie das wirklich?
Irrlichter, falsche Propheten, Menschen deren Image den frenetischen Jubel irgendwelcher Massen erzeugt, gab und gibt es sicher immer.
Wer aber legt die Elle an, mit der man diese mißt?
Wer lehrt uns, hier die Geister zu unterscheiden? Was einst ein falsches Geschichtsbild verschleierte, könnte Generationen später in einer gesellschaftlichen Situation des Überflusses und des Überdrusses verdrängt und vergessen werden.
Wenn eine «pluralistische Gesellschaft» wertfrei ist, Grundwerte ignoriert, ist sie letzten Endes dem Chaos, dem Verbrechen preisgegeben.
Sie werden ganz gewiß wiederkommen, sie, die in ein Vakuum hineinstoßen und ganz offen Mord und Terror als Heldentum und Barmherzigkeit als Schwachsinn deklarieren.
Dies ist nun die Erfahrung von Generationen: Es gibt keine «heiligen» Befehle und keine «Freiheit ohne Werte».
Es gab sie einmal, eine «öffentliche Meinung» für Hitler. Wer aber bestimmt «öffentliche Meinung» ‑ gestern und heute? Christen und Kirche haben ganz sicher in vielfältiger Weise versagt in diesen furchtbaren Jahren vor und innerhalb der Nazidiktatur.
Dieses bleibt uns nun: Wir sind gerufen, klarer zu erkennen und freudiger zu bekennen.
Es ist zuviel geschehen, so ungeheuer viel Gleichgültigkeit und Schuld sind sichtbar geworden. Millionen Menschen, viele Millionen haben das Schrecklichste erleiden müssen.
Es waren Juden und solche, die keine Juden mehr sein wollten. Es waren Christen und solche, die ihr Christsein abgestreift hatten.
Viele Fragen bewegen uns heute noch, viele müssen immer wieder neu gestellt werden, auch diese: Begreifen wir nun «Geschichte»?
Der Verfasser gehört einer Generation an, die das, was wir Vergangenheit und Geschichte nennen, teilweise in gefährlicher Weise verdrängt, vergessen oder sogar idealisiert hat.
Da gibt es einige, die von dem unvergeßlichen Gemeinschaftserlebnis dieser Jahre reden. Ersatzgrundwerte wie Vaterland, Kriegsheldentum, Kameradschaft, Solidarität, spielen dabei eine Rolle.
Nachkriegsliteratur, die das Verbrechen, das Unheil dieser Jahre zu primitiv verteufelt und als einen eigentlich unverständlichen politischen oder sozialökonomischen Irrtum darstellt, hat sicher provozierend dazu beigetragen. Der betrogenen Generation wird es naturgemäß schwerfallen, sich als «verirrt» zu bekennen.
Allerdings ist dieser Irrtum viel umfassender und weitgreifender als er gemeinhin dargestellt wird. Es geht schließlich um die Schuld einer ganzen Epoche.
Als im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß der Führer-Nachfolger Großadmiral Dönitz nach seiner politischen Haltung in den unheilvollen Jahren befragt wurde, entgegnete er rasch und schneidig, daß sein politisches Wirken im Gegensatz zu seiner militärischen Laufbahn erst mit seiner Beauftragung als Staatsoberhaupt begonnen hätte und demnach gleich Null wäre. Das war nicht nur eine geschickte Ausrede. Es war das Eingeständnis, die Offenbarung politischer Naivität, einer gefährlichen, sträflichen Dummheit, stellvertretend für viele ausgesprochen. Die totale Fehleinschätzung der geistigen und kulturgeschichtlichen Gesamtsituation durch Soldaten, Politiker und andere war aber durchaus auch in anderen Ländern und Staaten an der Tagesordnung.
In Deutschland traf das leider im hohen Maße auf hervorragende Persönlichkeiten der Wissenschaften und der Kirchen zu, die sich als unfähig erwiesen hatten, rechtzeitig genug «die Geister zu unterscheiden».
In Deutschland erfüllten zu viele «Nullen» ihre «Pflicht», obwohl sehr oft eine ehrenhafte persönliche Einsatzbereitschaft und Tapferkeit nicht abgesprochen werden kann.
Doch auch dieses gilt: Tapferkeit ist kein Alibi für eklatantes Fehlverhalten.
Für bewußte Christen ergibt sich doch wohl die Lehre, auch in großer persönlicher Not und bei erschwerter Einsicht in größere politische Zusammenhänge nicht einfach in einen nur eschatologischen Bereich auszuweichen. Zu viele falsche Propheten haben sich hier schon getummelt.
Und wo die falschen Propheten verwirren, da liegen auch die Scharfmacher und die großspurigen Weltverbesserer auf der Lauer.
Angesichts der gegenwärtigen großen nuklearen Bedrohung bahnt sich wieder eine unermeßliche Verwirrung an.
Aber nicht das Ausmaß der technischen Möglichkeiten sollte uns zuerst erregen, sondern der so leichtfertige Abbau christlicher Werte auf allen Gebieten, die Negierung des wahrhaft Menschlichen.
Hier könnte eine Lawine beginnen, die viele überrollt.
Hier aber haben wir ohne Bitterkeit und Resignation Zeugnis auf JESUS CHRISTUS hin abzulegen, denn verschwommene Freiheits‑ und Friedensideale helfen nicht.
Das Letzte aber, das Endgültige anzukündigen, wem steht das zu? Es ist in erster Linie die Gegenwart, die wir zu bewältigen haben.
Einmal ganz anders «Biographie» und über «Geschichte» zu schreiben, das war mein Anliegen, und ich kann nur hoffen, verstanden worden zu sein.
Kurt Schein
Bibliographie
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Maser, W, Adolf Hitler. Legende, Mythos, Wirklichkeit, München 1971.
Anmerkung
Die Literatur zu Adolf Hitler, dem Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg ist fast unüberschaubar. Um hier einigermaßen auf dem laufenden zu bleiben, sei auf die Veröffentlichung des Institutes für Zeitgeschichte in München verwiesen. Im Rahmen seiner Vierteljahresschrift wird hier alle zwei Jahre eine aktuelle Bibliographie erstellt. Darauf möchte derjenige aufmerksam sein, der nähere Informationen zu Hitler etc. sucht.
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