Gethsemane (Pfr. Huhn)
GETHSEMANE
Ein Blick ins Heiligtum
Von Karl Huhn, Pfr. i. R.
Vorwort zur siebenten Auflage
Ich begleite die neue Ausgabe dieser Schrift mit einer Erklärung über ihre Entstehung. Sie soll nicht als eine wissenschaftlich-theologische Ansicht, die ich mir durch tiefes Nachdenken gebildet hätte, verstanden werden. Die in ihr dargebotene Erkenntnis wurde vielmehr in einer ganz eigenen Art geschenkt. Unter dem Versenken in den Text der biblischen Berichte wurde meine Aufmerksamkeit, wie ich fest überzeugt bin und dankbar bekenne, unter der Leitung des Heiligen Geistes auf das immer wiederkehrende Wort „Tod“ gelenkt, so dass ich in demselben mit einem Mal die Lösung des Geheimnisses erkennen konnte. Es handelt sich um den wirklichen Tod, mit dem der Herr Jesus hier zu ringen hatte. Mit dieser Erkenntnis fiel das volle Licht auf den Vorgang. Es lösten sich mir alle Fragen so, wie ich es in den Ausführungen dargestellt habe. . . .
So biete ich der Gemeinde Gottes das Empfangene abermals dar. Möge es ihr mit dazu dienen, auch in dem Gethsemane-Vorgang den Herrn Jesus Christus als den Sieger über den Tod und alle Macht der Finsternis zu erkennen!
Der Verfasser
Inhalt
1. Das Leiden
2. Der Kelch
3. Das Gebet
4. Die Erhörung
5. Die Bedeutung von Gethsemane
Biblische Berichte über den Kampf Jesu in Gethsemane
Matth. 26,36-46:
36. Da kam Jesus mit ihnen zu einem Hofe, der hieß Gethsemane, und sprach zu Seinen Jüngern: Setzet euch hier, bis dass Ich dorthin gehe und bete.
37. Und nahm zu sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen.
38. Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet mit Mir!
39. Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf Sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von Mir; doch nicht, wie Ich will, sondern wie Du willst!
40. Und Er kam zu Seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit Mir wachen?
41. Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
42. Zum andernmal ging Er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch von Mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe Dein Wille!
43. Und Er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voll Schlafs.
44. Und Er ließ sie und ging abermals hin und betete zum drittenmal und redete dieselben Worte.
45. Da kam Er zu Seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist hier, dass des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird.
46. Stehet auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der Mich verrät!
Mark. 14,32-42: 32. Und sie kamen zu einem Hofe mit Namen Gethsemane. Und Er sprach zu Seinen Jüngern: Setzet euch hier, bis Ich hingehe und bete. 33. Und Er nahm zu sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an, zu zittern und zu zagen. 34. Und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet! 35. Und ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde vorüberginge, 36. und sprach: Abba, Mein Vater, es ist Dir alles möglich; überhebe Mich dieses Kelchs; doch nicht, was Ich will, sondern was Du willst! 37. Und kam und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen? 38. Wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. 39. Und ging wieder hin und betete und sprach dieselben Worte. 40. Und kam wieder und fand sie abermals schlafend; denn ihre Augen waren voll Schlafs, und sie wussten nicht, was sie Ihm antworteten. 41. Und Er kam zum drittenmal und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen? Es ist genug; die Stunde ist gekommen. Siehe, des Menschen Sohn wird überantwortet in der Sünder Hände. 42. Stehet auf, lasst uns gehen. Siehe, der Mich verrät, ist nahe!
Luk. 22,39-46: 39. Und Er ging hinaus nach Seiner Gewohnheit an den Ölberg. Es folgten Ihm aber Seine Jünger nach an den Ort. 40. Und als Er dahin kam, sprach Er zu ihnen: Betet, auf dass ihr nicht in Anfechtung fallet! 41. Und Er riss sich von ihnen einen Steinwurf weit und kniete nieder, betete 42. und sprach: Vater, willst Du, so nimm diesen Kelch von Mir; doch nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe! 43. Es erschien Ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn. 44. Und es kam, dass Er mit dem Tode rang und betete heftiger. Es ward aber Sein Schweiß wie Blutstropfen; die fielen auf die Erde. 45. Und Er stand auf von dem Gebet und kam zu Seinen Jüngern und fand sie schlafen vor Traurigkeit 46. und sprach zu ihnen: Was schlafet ihr? Stehet auf und betet, auf dass ihr nicht in Anfechtung fallet!
Hebr. 5,7-9: 7. Und Er hat in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geop- fert zu dem, der Ihm von dem Tode konnte aushelfen; und Er ist auch erhört worden, darum dass Er Gott in Ehren hatte. 8. Und wiewohl Er Gottes Sohn war, hat Er doch an dem, was Er litt, Gehorsam gelernt. 9. Und da Er vollendet war, ist Er allen, die Ihm gehorsam sind, der Urheber ewigen Heils geworden.
1. Das Leiden
„Ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Ort, darauf du stehst, ist ein heilig Land.“ Dieser Zuruf gilt jedem, der an die Schrift herantritt. Das Wort Gottes ist heiliges Land vom Anfang bis zum Ende. Aber es gibt Gebiete in demselben, die den Stempel der Heiligkeit spürbar an sich tragen, auch für den natürlichen Menschen erkennbar. Solches Gebiet ist Gethsemane. Gott verbot dem Mose nicht, auf den heiligen Boden zu treten, aber Er verbot ihm, ihn mit seinen Schuhen zu berühren. So heilig der Boden von Gethsemane ist, Gott hat ihn uns nicht verschlossen, uns nicht den Zutritt gewehrt. Aber „ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen“ bei dem Herzutreten. Lass deine eigenen Gedanken beiseite, so richtig und so tief sie dir erscheinen mögen. Lass Gott reden und Seine Gedanken kundtun. Anders ausgedrückt: Lassen wir Seinem Worte in der Schrift seine volle Autorität und folgen wir den Spuren, die es vorzeichnet; gehen wir nicht darüber hinaus und bleiben wir nicht dahinter zurück! In diesem Sinne wollen wir an die Betrachtung des geheimnisvollen Vorganges in Gethsemane herantreten.
Wir finden diesen Bericht bei den ersten drei Evangelisten, in Matth. 26,36-46, Mark. 14,32- 42 und Luk. 22,39-46. Dazu kommt die Stelle Hebr. 5,7-9, die ohne Zweifel von Gethsemane handelt.
Die erste Frage, die sich uns aufdrängt, ist die: Worin bestand das Leiden des Herrn in Gethsemane?
Ein Wort geht durch alle Berichte hindurch, und dies Wort heißt: Tod. „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“ (Matth. 26,38; Mark. 14,34). „Er hat – Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der Ihm vom Tode konnte aushelfen“ (Hebr. 5,7). Es handelte sich also um nichts weniger als um den Tod, um wirkliches leibliches Sterben. Um den Begriff ,,Tod“ lässt sich ja nicht streiten. Jeder weiß, was es darum ist. „Betrübt bis an den Tod“ sein, bedeutet: am Rande des Todes stehen, seine Schrecken, seine Gewalt an sich zu spüren und in der nächsten Stunde ihm erliegen.
„Vom Tode aushelfen“ heißt: das Leben in letzter Stunde retten, einen Sterbenden dem Leben wiedergeben. Das Leiden des Herrn wird uns aber noch näher geschildert.
Luk. 22,44 lesen wir: „Und es kam, dass Er mit dem Tode rang. Es ward aber Sein Schweiß wie Blutstropfen; die fielen auf die Erde.“
Todeskampf und Schweiß – was kann die Situation drastischer und klarer darstellen? Wörtlich heißt es: „Als Er in der Agonie war“. Das Wort haben wir herübergenommen, um einen ganz bestimmten Zustand damit zu bezeichnen, nämlich jenes letzte Stadium des Lebens, unmittelbar vor dem Aushauchen der Seele, welches von unwillkürlichen Zuckungen der Glieder und von Röcheln begleitet ist, als den Boten des in kürzester Frist zu erwartenden Todes. Wo dieser Zustand mit seinen ihm eigentümlichen Äußerungen, insbesondere mit dem Schweiße, eintritt, da weiß man, dass nichts mehr zu hoffen ist, – wenn nicht ein Wunder geschieht. Der Todeskampf und der Todesschweiß sind die Zeichen der äußersten Schwachheit. Treten sie ein, dann hat der Tod die Oberhand gewonnen. Das Leben unterliegt ihm und entweicht. Die Kraft ist aufs Geringste zusammengeschmolzen. Es ist keine Widerstandskraft mehr da. In den nächsten Augenblicken ist das Leben erloschen. Nehmen wir die Worte, wie sie in den vier Berichten stehen, und lassen ihnen ihre ganze Stärke, was allen Worten der Schrift zukommt, so ist es klar, dass das Leiden des Herrn in Gethsemane darin bestand, dass Er am Rande des Todes, ja der beginnenden Auflösung war. Der körperliche Zustand ist als ein solcher unmissverständlich gekennzeichnet.
Ebenso deutlich wird uns auch der seelische Zustand als der, wie er mit dem Sterben verknüpft ist, dargestellt. Der Herr sagt: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“ Damit schildert Er Seinen Jüngern Seinen Seelenzustand als denjenigen eines unmittelbar vor dem Tode Stehenden. Der Tod macht sich schon fühlbar, seine dunklen Schatten legen sich auf Ihn. Wir sagen in solchem Falle: mir ist sterbensweh zu Mute, ich habe eine Todesangst. Das war bei dem Herrn nicht bloß eine Todes-,,Stimmung“, wie sie aus der Erwartung des kommenden Tages entstehen konnte, sondern es war der finstere, überwältigende Eindruck, wie ihn der andrängende Tod vor sich hersendet.
Es heißt weiter: „Er fing an zu trauern und zu klagen“ (Matth. 26,37);
„Er fing an zu zittern und zu zagen“ (Mark. 14,33).
Da wird mit dem bedeutungsvollen „fing an“ ein neu und plötzlich eintretender Zustand angekündigt, etwas in die Augen Fallendes, vorher nicht Bemerktes, jetzt aber im Moment des Eintretens als auffällig von den Jüngern Beobachtetes. Die Ausdrücke, welche uns diesen Zustand schildern, stellen denn auch etwas dar, was wir nie in dem Leben des Herrn gefunden und weder auf dem Wege nach Golgatha noch unter den Kreuzesleiden an Ihm wiederfinden, es sei denn der Augenblick, da Er rief: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
Luther übersetzt die Ausdrücke mit: trauern, zagen, zittern. Die Elberfelder Übersetzung mit: betrübt werden, beängstigt werden, bestürzt werden. Besonders der letztere Ausdruck scheint anzudeuten, dass der Herr auf solchen Zustand durchaus nicht gefasst war, dass er Ihn wie „außer sich“ brachte und als etwas Fremdes über Ihn kam. Auch das Wort für „zagen“ kennzeichnet etwas wie „außer der Fassung bringen“. Die Worte „trauern“, „betrübt“ sagen ebenfalls etwas Passives aus, was dem Herrn auf die Seele gelegt wurde, ein „Umringt“-Werden von Traurigkeit im Übermaß.
Wie man die Ausdrücke erklären mag, als Angst, Entsetzen, Traurigkeit – jedenfalls sind sie als Begleiterscheinungen und Vorwirkungen des unmittelbar andringenden Todes von der Schrift hingestellt, als Vorgänge in der Seele, welche der körperlichen Verfassung entsprechen. Es ist eine Last, unter welcher der Mensch Jesus erliegt, wenn nicht Hilfe kommt, – ein Gewicht, dem auch eine fleckenlose menschliche Natur, wie der Herr sie trug, physisch nicht gewachsen war und nicht gewachsen sein konnte.
Nur außerordentliche Hilfe konnte vor dem Erliegen bewahren. „Es erschien Ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn“, berichtet Luk. 22,42, und fährt fort: „Und es kam, dass Er mit dem Tode rang.“
Die Stärkung sollte also dazu dienen, den Herrn für das sofort noch Kommende fähig zu machen. Er hätte das ohne die außerordentliche Stärkung von oben nicht tragen können. Wir verstehen dabei unter der Stärkung durch den Engel ein Zuführen von physischer Kraft, eine Stärkung des Organismus für den noch sich steigernden Seelenkampf der nächsten Minuten, ohne die der Herr nicht fähig gewesen wäre, den Kampf zu Ende zu führen. Wäre die Stärkung eine geistliche gewesen, so wäre sie auch wohl als eine Wirkung des Geistes hingestellt und nicht als ein Engelsdienst bezeichnet. Es ist wohl etwas Ähnliches, wie es der Herr nach der Versuchung in der Wüste erfahren hatte, wo wir auch lesen: „Und die Engel dienten Ihm“ (Mark. 1,13).
Eine besondere Beachtung erfordern noch die Worte Hebr. 5,7: „…mit starkem Geschrei und Tränen“; „Der Ihm vom Tode konnte aushelfen“; „in den Tagen Seines Fleisches“.
Um was für Hilfe handelt es sich hiernach bei dem Gebet und Flehen, bei dem starken Geschrei und Tränen des Herrn? Um nichts Geringeres als um „aushelfen vom Tode!“ Wörtlich heißt es „aus dem Tode“, als wäre der Herr schon drin.
Und das war auch wirklich der Fall, wie die Worte „rang mit dem Tode“ und „Schweiß“ es bereits bezeugt haben. Der Herr wendet sich in Seinem Gebet und Flehen zu Gott als zu dem, der Ihm vom Tode aushelfen kann, ohne dessen Aushilfe aber Er dem Tode verfallen ist. Dass es sich aber ganz und gar nicht um den Kreuzestod handelt, sondern um den augenblicklichen, gegenwärtigen Tod, ist klar.
Mit dem Tode hat Er jetzt eben zu tun, wie alle Ausdrücke es auf das deutlichste darstellen. Hier ist mit keinem Wort von der Macht der Sünde oder von dem Leidensweg nach Golgatha oder sonst etwas die Rede, sondern vom Tode, Todeskampf, Todesschweiß, Todesangst, – und vom Bitten, Flehen, Schreien und Weinen um Abwendung des schon gegenwärtigen Todes. „Mit starkem Geschrei und Tränen“ – das spiegelt uns die Dringlichkeit und den Ernst des Anliegens ab.
Wie völlig entgegengesetzt ist diese Seelenverfassung derjenigen, mit welcher der Herr immer Seinem Kreuzestod entgegengesehen und zu Seinen Jüngern davon gesprochen hat! „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem.“
Petri Sinn war: „Herr, schone Deiner selbst, das widerfahre Dir nur nicht!“ Jesu Antwort war: „Hebe dich, Satan, von Mir! Du bist Mir ärgerlich, denn du meinest nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist“ (Matth. 16,23).
Es hieße, dem Herrn den Sinn des Petrus unterschieben, Seinen Tadel auf Ihn selbst zurückbringen, wenn wir meinen, Er bete um Abwendung des Kreuzestodes.
Johannes der Täufer stellte Ihn schon hin als ,,das Lamm Gottes“. Das Lamm war nur zum Schlachten da. Er sprach zu Seinen Jüngern: „Siehe, Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“ (Matth. 10,16), und Er sollte selbst angesichts der Wölfe den Mut verloren haben, unter sie zu gehen?
Er stellte Seinen Jüngern alles Schreckliche, das ihrer wartete, vor Augen und fügte dann hinzu: „So fürchtet euch denn nicht vor ihnen“ (Matth. 10,26). „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ (Joh. 14,27).
Wie viel mehr aber ist Er als Seine Jünger, Er, „der Stärkere“ (Luk. 11,22); Er, der „die Welt überwunden hat“ (Joh. 16,33); Er in der Gemeinschaft des Vaters (Joh. 16,32).
Wie viel mehr ist der Meister als die Jünger; der Herr als die Knechte (Matth. 10,25); der Hirt als die Lämmer der Herde! – Oder meint man, die Angst vor dem Kreuzestode damit zu erklären und zu entschuldigen, dass die damit verbundenen Leiden jetzt mit noch nie erkannter Macht Ihm vor die Seele traten?
Dann machen wir Ihn jenem Menschen gleich, der die Kosten nicht überschlagen hatte, als er einen Turm bauen wollte, oder seine Streitkräfte nicht abschätzte, ehe er in den Streit gegen einen Übermächtigen zog, und dem Menschen, der seine Hand an den Pflug legt und dabei zurücksieht. „Dieser Mensch fing an zu bauen und kann es nicht hinausführen“ (Luk. 14,30). Sondern vielmehr: „Er achtete der Schande nicht“ (Hebr. 12,2), die Er wohl kannte. Wir werden noch im weiteren Verlaufe der Betrachtung sehen, wie völlig wir unsern Herrn missverstehen in Seinem ganzen Sinn, in Seinem tiefsten Herzensdrang, wenn wir glauben, Er suche in Gethsemane einen Ausweg vor dem Kreuze.
Andererseits müssen wir die einfachen, klaren Schriftworte erst ihres nächstliegenden Sinnes berauben, wenn wir in ihnen etwas anderes finden wollen als das Todesleiden, die unmittelbare Sterbensgefahr. Das Leiden des Herrn in Gethsemane ist darnach das Leiden eines Menschen, der momentan „sterben“ muss und doch nicht sterben will, der aber keine Kraft hat über den Tod. Jesus ist im Begriff‚ dem Ansturm des Todes zu erliegen, und sieht nur eine Aushilfe dagegen: das Eingreifen der göttlichen Allmacht. Ohne diese sinkt Er kraftlos unter den Bäumen des Gartens nieder, und wenn die Häscher kommen, Ihn zu fangen, finden sie Ihn tot.
Wird mit dieser Erklärung den Schriftworten irgendein Sinn untergeschoben, den sie nicht haben oder nicht haben können? Nein, wir haben nur die Worte selbst reden lassen. Um unserm Verständnis zu Hilfe zu kommen, fügt der Hebräerbrief noch wie zur Erklärung hinzu:
„…in den Tagen Seines Fleisches“.
Was bedeutet in Gottes Augen das Wort „Fleisch“? „Alles Fleisch ist Gras!“ „Und das Wort ward Fleisch.“
Wenn nun das Wort „Fleisch“ ward – ist da das Fleisch etwas anderes geworden, oder ist das Wort nicht so völlig Fleisch geworden, dass es auch unter diesem Gotteswort stand? Wo wird aber alles Fleisch als Gras offenbar? Beim Sterben, vor der Macht des Todes, der nicht nach Geistesgröße fragt, sondern dahinstreckt, was Fleisch ist.
Wenn wir nun den Heiland in Gethsemane dem Tode preisgegeben sehen, so macht Ihn das vor dem Auge des Glaubens nicht kleiner, sondern nur größer. Wir sehen, zu welchem tiefsten Maß der Schwachheit und Armut Er herabstieg, da Er Fleisch, d.h. Gras, wurde. Wie völlig Er „in allen Dingen Seinen Brüdern gleich werden“ musste; wie, „nachdem die Kinder Fleisch und Blut haben, Er dessen gleichermaßen teilhaftig geworden“ ist (Hebr. 2,7.14).
Er wird uns nur größer, wenn wir Ihn ohne jeden Vorzug vor unserer Schwachheit sehen, und wenn Er in sich nichts hatte, womit Er dem Tode überlegen war. So tief wie Seine Schwachheit, so tief ist Seine Demut durch Sein Herabsteigen. Wie nahe Er auch schon Seine Verklärung bei dem Vater vor sich sah (Joh. 17,1.5) und wie gewiss sie Ihm war – noch war Er in den Tagen Seines Fleisches, und hier in Gethsemane sollte es Ihm fühlbarer werden als selbst in der Krippe und am Kreuze.
Nie aber ist jemand, wenn es mit ihm dahin kam, dass er „mit dem Tode rang“, endgültig über ihn Herr geworden, und nie wird es jemand, der „Fleisch“ ist, durch das Ringen mit ihm werden. Auch Jesus konnte es nicht werden, wenn nicht die Kraft Gottes Ihm „vom Tode aushalf“. „Das Fleisch ist schwach.“
Welchen Hintergrund bekommt dieses Wort, das Jesus zu den schlafenden Jüngern spricht, wenn wir bedenken, dass Er es aus der tiefsten eigenen Erfahrung des Augenblicks heraus spricht. Und wir lernen daraus, dass „schwach“ nicht bedeutet: wenig Kraft, sondern: gar keine Kraft, ohnmächtig, kraftlos. Dieses Fleisch hat Er an sich genommen aus Liebe zu uns; und wenn wir Ihn denn alle Konsequenzen davon bis zur äußersten auf sich nehmen sehen, so wollen wir es Ihm umso tiefer danken.
2. Der Kelch
Wir sahen, worin das Leiden des Herrn in Gethsemane bestand. Als nächste Frage ergibt sich die: Was hat der Herr gemeint, wenn Er betete: „So gehe dieser Kelch von Mir“; „überhebe Mich dieses Kelchs“; „nimm diesen Kelch von Mir“?
Es kann zunächst nicht damit das seelische und körperliche Leiden gemeint sein, in dem der Herr tatsächlich stand. Denn Er bittet und fleht um Bewahrung vor dem Kelch, um ein „Vorübergehen“, „Vorbeiführen“, also Abwenden dessen, was Er kommen sieht.
Wenn nun der Hebräerbrief mit Bezug auf dieses Gebet und Flehen sagt: „Und Er ist auch erhört worden“, so ist damit festgestellt, dass der Kelch tatsächlich an Ihm vorübergeführt, von Ihm weggenommen worden ist. Der Kelch kann also nicht das Leiden sein, das Jesus mit den Worten ausspricht: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“, und das in dem Bericht liegt: „Er fing an zu zittern und zu zagen“, – auch nicht in dem: „Es kam, dass Er mit dem Tode rang…, und Sein Schweiß war wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde“.
Das alles ist ja nicht von Ihm abgewandt worden, sondern das hat Er durchgemacht. Sein Leiden und der Kelch sind durchaus zweierlei Dinge.
Das Leiden lag auf Ihm. Der Kelch ist etwas, das tatsächlich nicht eingetreten ist, so nahe es auch war, – etwas, das durch das Gebet des Herrn und die Erhörung des Vaters noch abgewendet wurde.
Was war das? Aus dem Bericht geht hervor, dass es etwas unmittelbar Bevorstehendes, unbedingt Eintretendes, etwas Unabwendbares sein musste, wofür es nur eine einzige Zuflucht gab, nur einen Schimmer von Hoffnung: den Appell an die unbegrenzte Allmacht Gottes. „Abba, Mein Vater, es ist Dir alles möglich“.
Es war etwas, was nicht mit einem – wenn auch noch so inbrünstigen – Gebet abgelenkt war, ja, was scheinbar nicht gegeben werden konnte, denn bei Matthäus, der allein das Gebet zweimal im Wortlaut wiedergibt, klingt das zweite Gebet mehr wie Ergebung in etwas Unvermeidliches. Wenn Lukas sagt: „…und betete heftiger“, so mögen diese Worte den dritten Anlauf darstellen, den der Herr Jesus „mit starkem Geschrei und Tränen“ machte, jenes Anklopfen, wonach Ihm aufgetan wurde, indem die Allmacht des Vaters auf den Plan trat und das Drohende hinwegräumte.
Stellen wir uns so die Sachlage vor, so wird es klar, dass nach dem Zusammenhange der Kelch nur sein kann: der Eintritt des wirklichen Todes dort unter den Bäumen Gethsemanes, das Fortschreiten des Todeskampfes bis zum Aushauchen der Seele. Denn dies war das Bevorstehende, was der Herr von sich aus abzuwenden zu schwach war, was Er aber doch auf Leib und Seele eindringen fühlte, was Er um keinen Preis (außer wenn des Vaters Wille damit geschehen würde) erfahren wollte, und was nur Der abzuwenden vermochte, „Der Ihn aus dem Tode erretten konnte“. Und Er hat Ihn errettet; denn der Herr starb nicht in Gethsemane. Er durfte dort dem Tode trotz Todeskampf und Todesschweiß entgehen.
Der ganze Bericht über den Vorgang in Gethsemane trägt den Stempel geheimnisvoller Tiefen in sich, in welche kaum ein menschliches Auge hineinschauen kann, während doch jeder Leser sie ahnt, auch wenn er nicht sagen kann, wo eigentlich die Tiefen liegen. Man fühlt es aber dem Bericht ab, dass er nicht ein bloßes Vorspiel von Golgatha enthält, sondern, dass hier Entscheidungen von gleicher Bedeutung wie dort gefallen sind. Bei dem bisher entwickelten Verständnis des Berichtes werden unserem Auge solche Tiefen, Geheimnisse und Entscheidungen aufgedeckt, wenn wir weiter dem nachsinnen, was „dieser Kelch“ zu bedeuten hatte. Was er war, wann er bestand, haben wir gesehen: Es war das Sterbenmüssen. Nun aber: Warum sträubt sich in dem Herrn Jesus alles mit aller Energie unter Bitten und Flehen bis zum starken, in die stille Nacht hinein hallenden Geschrei und bis zu bitteren Tränen gegen dieses Sterben-Müssen?
War das Sterben nicht Sein Zweck bei dem Kommen auf die Erde? „Des Menschen Sohn ist gekommen, dass Er gebe Sein Leben zur Bezahlung für viele“ (Mark. 9,45).
War Er nicht nach Jerusalem hinaufgezogen, um zu sterben? War Er nicht eben an diesen Ort gegangen, um sich hier von Judas an Seine Mörder überliefern zu lassen, und hatte Er ihm nicht noch gesagt: „Was du tust, das tue bald“?
Ja, Er wollte sterben, und Todesfurcht im gewöhnlichen Sinne kannte Er nicht. Wogegen Er sich sträubte, war aber auch nicht der Tod überhaupt, sondern der Tod in Gethsemane, und was dieser Tod zu bedeuten gehabt hätte! Das, was an dem Sterben hier hing und was daraus folgte und damit gegeben war, das war der eigentliche Kelch. Denn das war nichts weniger als – der Verlust der Erlösung!
Die Erlösung der Welt war nicht durch das Sterben des Menschensohnes überhaupt erkauft, sondern durch Sein Sterben am Kreuz, das Hingeben Seines Lebens in Freiwilligkeit, das Vergießen Seines Blutes, das Töten durch Menschenhände.
„Gleichwie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden“ (Joh. 3,14).
„Und Ich, wenn Ich erhöht werde von der Erde, so will Ich sie alle zu Mir ziehen“ (Joh. 12,32). „Des Menschen Sohn muss noch viel leiden und verworfen werden von den Ältesten“ (Luk. 9,22). „Musste nicht Christus solches leiden? Und fing an von Mose und allen Propheten, und legte ihnen alle Schriften aus, die von Ihm gesagt waren“ (Luk. 24,25-27). Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung“ (Hebr. 9,22).
Und wie oft mag das Lamm Gottes in den Spiegel von Jes. 50,6ff und Kap. 53 geschaut und sich vertieft haben, der Ihm Sein Bild am Kreuze und auf dem Wege zum Kreuz Zug für Zug vorhielt. Wie mag Ihm, je mehr Sein Wirken dem Ende zuging, manchmal das Herz gebrannt haben vom Verlangen, dass Er auch dieses „Muss“ des Kreuzes, wovon die ganze Schrift voll war, erst erfüllen dürfte! Sein ganzes Leben und Wirken drängte auf diesen Ausgang der Selbsthingabe am Kreuz hin.
Mose und Elia hatten noch mit Ihm geredet „von dem Ausgang, welchen Er sollte erfüllen zu Jerusalem“ (Luk 9,31). Jetzt war die große Stunde herangekommen, wo Er das Erlösungsopfer für die Welt bringen, Sein Leben zur Bezahlung für viele geben und so den herrlichen, von Ewigkeit her vorbereiteten Heilsplan erfüllen durfte. Und da sollte Er vor dem Kreuze gezittert und nach einer anderen Möglichkeit der Erlösung ausgeschaut haben? Das Gegenteil ist der Fall!
Gerade vor der Möglichkeit eines anderen Sterbens hat Er gezittert, vor der Möglichkeit, das vorgehaltene und von Ihm erwählte Kreuz zu verlieren und mit demselben die ganze ewige Erlösung! Sie war nun einmal unlöslich mit dem Tod am Kreuz verbunden!
Und nun entschwand das Kreuz, nun wurde es dem in Todesschwachheit Dahinsinkenden durch die Übermacht gleichsam aus den Händen gewunden, und Er, Er konnte es nicht festhalten. Dort in Gethsemane sterben, hieß nicht: das Leben hingeben, sondern nur: es verlieren.
Dieser Tod war nicht eine Bezahlung für andere, sondern ein Tribut des Fleisches an den Machthaber „Tod“. Es war kein Blutvergießen, nicht Opfer und nicht Erfüllung der Schrift. Darum aber entschwand dem Heiland mit dem Kreuze auch die ganze Erlösung aus den Augen. Oh, wer kann nachfühlen, was für eine Perspektive sich vor Ihm in ewige Nacht hinein unter dem Todeskampf und Schweiß auftat!
Es handelte sich nicht um Seine Person in dem Sinne wie bei dem Tode eines andern Menschen, über dessen ewiges Wohl und Wehe damit die Würfel fallen. Für Seine Person gab es keine Verdammnis. „Dies ist Mein lieber Sohn, an dem Ich Wohlgefallen habe“ (Matth. 3,17). „Es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an Mir“ (Joh. 14,30). „Ich gehe zum Vater“ (Joh. 14,12). Aber um andre Dinge von unermesslicher Bedeutung handelte es sich:
Es handelte sich a) um die verlorene Welt. Ihr Heil steht mit dem Kreuz auf dem Spiel! Durch das Kreuz ist sie gerettet, ohne das Kreuz ist sie ewig verloren. Ein anderer Erlöser kommt nicht, ein anderes Heil gibt es nicht. Die Perspektive über die Welt hin ist: Zorngericht Gottes über die Sünde der ganzen Welt; Gericht, das nicht mit Gnade verbunden ist, sondern ausnahmslos Verdammnis bedeutet; Gericht, das jede Hoffnung auf Erlösung in alle Ewigkeit vernichtet!
Es handelte sich b) um den Fürsten der Finsternis. Der Herr hatte im Hinblick auf Seinen Kreuzestod gesagt, „dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist“ (Joh. 16,11). Der Richtplatz konnte nur Golgatha sein. „Er hat uns geschenkt alle Sünden und ausgetilgt die Handschrift, so wider uns war … und an das Kreuz geheftet; und ausgezogen die Fürstentümer und die Gewaltigen und sie schaugetragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht an demselben“ (nämlich am Kreuz; Kol. 2,13-15).
Der Triumphplatz konnte nur das Kreuz sein. Sollte nun der Satan seinem Gericht entgehen, seine Macht über die nicht versöhnten und gereinigten Seelen behaupten?
Sollte Er, Jesus, der Weibessame, nicht der Schlange den Kopf zertreten? Und sollte Satan, was ihm durch die Versuchung am Anfang (Matth.4) und durch den Rat des Petrus (,‚Herr, schone Deiner selbst“) nicht gelungen war, auf diesem Wege erreichen und das Kreuz zunichte machen?
Es handelt sich c) um das Wort Gottes, „die Schrift“. Aus dem Wort hat der Herr Seinen Weg erkannt zum Kreuze hin. Mose und alle Propheten haben Ihm davon geredet. Und was sie im Wort niedergelegt haben, das haben Mose und Elias dem Herrn noch vor kurzem auf dem Berge der Verklärung in mündlicher Unterredung als Boten des Vaters vom Himmel her bestätigt. „Die erschienen in Klarheit und redeten von dem Ausgang, den Er erfüllen sollte zu Jerusalem“ (Luk. 9,31). „Und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden“ (Joh. 10,35).
Alle Schrift war dem Herrn Jesus Wort des Vaters und stand Ihm fester als Himmel und Erde bis auf jedes einzelne „Strichlein vom Gesetz“ (Matth.5,18. 24.35).
Sie war Ihm der Ausdruck des absoluten Willens Gottes, neben dem es keine Macht und kein Wissen und keinen Willen gibt. Das war Ihm die Schrift aber nicht nur als eine äußerlich vor Ihm stehende Autorität. Wir haben kaum eine Vorstellung davon, wie Er mit der Schrift eins, innerlich eins gewesen ist.
Denn Er war „das Wort“ in Person. Er war das Wort, das im Anfang war, noch vor dem geschriebenen Wort. Nie hat Er in den Tagen Seines Fleisches einen Widerspruch zwischen der Bibel und Seiner Erfahrung und Lebensführung gekannt oder zwischen der Schrift und der Weltregierung Gottes. Das war Ihm eine absolute Unmöglichkeit.
Und nun? So gewiss Ihm der Ratschluss Gottes zur Erlösung durch das Kreuz war, und so unverbrüchlich dieser mit ewiger Gültigkeit vor Ihm stand und in Ihm lebte –‚ ebenso gewiss und real und unwiderstehlich fühlte Er hier in Gethsemane den Tod über sich kommen. „Betrübt bis an den Tod“, – „es kam, dass Er mit dem Tode rang“, – „Er opferte Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen zu dem, der Ihm (jetzt allein noch) vom Tode konnte aushelfen“.
Das gehörte wohl zu dem Quälendsten in diesem Leiden, dass, wie es schien, ein Wille Gottes gegen den andern stand, die Schrift gegen die Wirklichkeit, in der doch ebenso Gottes Wille sich kundtat. Der Herr lebte in der Glaubensgewissheit, zu der Er auch Seine Jünger zu erziehen bemüht war: „Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupte alle gezählt“ (Matth. 10,30). So konnte Er auch in diesem Überfall des Todes und in dem von ihm Überwundenwerden nichts anderes als den Willen des Vaters erkennen. „Wie aber würde die Schrift erfüllt?“ (Matth. 26,51), wie Seine eigenen Voraussagen an Seine Jünger?
Wie die ganze Geschichte des Alten Bundes, die auf dieses Ziel hindrängte und jetzt „vollendet“, nach allem bisherigen Schattenwesen zu Wirklichkeit und Wesen werden sollte? Wie sollte der Neue Bund gestiftet werden und der Heilige Geist, die Frucht der Selbsthingabe am Kreuz, auf alles Fleisch kommen, wenn nicht „das Blut des Neuen Testaments“ wirklich „vergossen“ wurde?
Es handelt sich d) um die Ehre Gottes. Sie herzustellen, war der Sohn Mensch geworden. Sie in Gericht und Gnade, in Zorn und Liebe vor der Welt zu offenbaren und aufzurichten, dazu war das Kreuz der einzige Ort und der zerschlagene Leib Jesu, das geschlachtete Lamm Gottes, das einzige Werkzeug oder doch die unentbehrliche Grundlage – „sintemal darinnen offenbart wird die Gerechtigkeit Gottes“ (Röm. 1,17).
Es handelt sich aber auch e) um Ihn selbst, den Menschensohn. Warum ist das Lamm „würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel“? „Denn Du bist erwürgt und hast uns Gott erkauft mit Deinem Blut.“ Sonst also nicht würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel, – nicht würdig, „zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob!“ (Off.5,9.12).
Ohne das Kreuz keine erkaufte Gemeinde, kein königliches Priestervolk, kein Volk des Eigentums, keine Braut, kein würdiger, ebenbürtiger Gegenstand der brennenden Gottesliebe im Sohn, mit dem Er Seine Herrlichkeit teilen kann!
Um was es sich in Gethsemane vor den Augen des sterbenden Heilands handelte, das können wir nur soweit mit schwachen Worten aussprechen, als uns die Fülle des auf Golgatha Errungenen durch Jesum geoffenbart ist. Es handelte sich eben um alles im Himmel und auf Erden. Und des Herrn Jesu Augen überschauten das alles mit einem Male und bis in seine ewigen Tiefen!
Da verstehen wir, was „dieser Kelch“ für Ihn war, warum Er ihn nicht trinken wollte, sondern zum „Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen“, zum Bitten und Betteln und Stammeln (,‚Abba, Mein Vater“) angetrieben wurde. Wir verstehen die Konflikte der Seele, die innere Qual aus der äußeren, das „Bestürzt-Werden“, das Wie-außer-sich-Kommen, das Von-Betrübnis-umringt-Werden, das Nicht-sterben-Wollen. Wir verstehen aber auch die herrliche vollkommene „Erhörung“, die der Vater dem Sohne zuteil werden ließ.
3. Das Gebet
Wir wenden uns nun zu der Betrachtung des Gebetes des Herrn in Gethsemane. Es ist sehr verschieden von der Art, wie sonst die Schrift Ihn uns als betend darstellt, so schon nach der äußeren Seite hin. Wir lesen Joh. 17,1: „Solches redete Jesus und hob Seine Augen auf gen Himmel und betete.“ Das war vielleicht kaum eine Stunde vor dem Gebet hier unter den Bäumen. Joh. 11,41: „Jesus aber hob Seine Augen empor und sprach: Vater, Ich danke Dir…“ Luk. 9,16: „Da nahm Er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf gen Himmel und dankte darüber.“ So sahen Ihn die Menschen beten. Anders mag es gewesen sein Mark. 1,35: „Und des Morgens vor Tage stand Er auf und ging hinaus. Und Jesus ging in eine wüste Stätte und betete daselbst“, und Luk. 6,12: „Und Er blieb über Nacht in dem Gebet zu Gott“, worauf Er am folgenden Tage die zwölf Jünger berief. Da mag Er unter Betrachtung und Nachsinnen über das Wort Gottes gebetet haben, sei es im Sitzen oder im Beugen Seiner Knie.
Einen anderen Charakter dagegen trägt der Bericht von Seinem Beten in Gethsemane. Lukas schreibt: „Und Er riss sich von ihnen bei einem Steinwurf und kniete nieder, betete und sprach…“, – Matthäus: „Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf Sein Angesicht und betete und sprach… Zum andernmal ging Er wieder hin, betete und sprach… und ging abermals hin und betete zum drittenmal und redete dieselben Worte“, – Markus: „Und ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde und betete… und ging wieder hin und betete und sprach dieselben Worte“, – Hebr. 5,7: „Er hat in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem dargebracht, der Ihn von dem Tode erretten konnte, und Er ist auch erhört worden, weil Er Gott in Ehren hielt. Und wiewohl Er Sohn war, hat Er doch an dem, was Er litt, Gehorsam gelernt.“
Die Worte: „…kniete nieder, fiel auf die Erde, fiel nieder auf Sein Angesicht, – Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen“ führen uns das Bild eines außergewöhnlichen Betens vor die Augen. Alles spiegelt die höchste innere Erregung wider, die denkbar tiefste Beugung in den Staub der Erde, das Ergriffensein des ganzen Menschen in seinem physischen, psychischen und geistigen Wesen. Worte reichen nicht hin, der Bewegung des Herzens Ausdruck zu geben, die Dringlichkeit der Bitte wiederzugeben, die Angst (wenn dies der angemessene Ausdruck ist) vor dem Eintritt des zu Befürchtenden und Andringenden dem Vater darzustellen — Geschrei und Tränen, ja starkes Geschrei mischen sich in die gepressten Worte. Was sie wiedergaben von Vorgängen im Herzen des Menschensohnes, das schaute nur das Auge des Vaters, der ins Verborgene sieht und der „weiß, was des Geistes Sinn sei“ (Röm. 8,27).
Vor unseren Augen heben sie nur in unvollkommenem Maße den Schleier von den Gedanken und Empfindungen unseres Heilandes. Aber sie nötigen uns zum Anschauen und Nachsinnen. Starkes Geschrei und Tränen! So stelle dir deinen Heiland vor, so sieh Ihn vor dem Vater liegen, ein Bild der tiefsten Schwachheit, und doch, wie wir sehen werden, der stärksten Energie des Willens in Liebe und Glauben, Gehorsam und Leiden! Dieses starke Geschrei und diese Tränen, sie haben neben dem Erlösungsblut eine Kraft und einen Wert für uns, die wir nicht ermessen können. Dass das Blut auf Golgatha floss, ist nur die Frucht des Bittens, Flehens, Geschreis und Weinens in Gethsemane.
Betrachten wir nun das Gebet und Flehen selbst nach dem Inhalt. Das Gebet hat drei Bestandteile, es enthält zwei Bitten:
1. dass der Kelch von Ihm genommen werde;
2. dass des Vaters Wille geschehe; sodann
3. ein Bekenntnis oder Zeugnis: Abba, Mein Vater, es ist Dir alles möglich.
a) Die erste Bitte lautet: „So gehe dieser Kelch von Mir“ (genauer: von oder vor Mir vorüber); „dass, so es möglich wäre, die Stunde vorüberginge…“ „…überhebe Mich dieses Kelchs“, „nimm diesen Kelch von Mir“.
Die Bitte des Herrn ist also: dass der Vater Ihn nicht hier sterben und der Schwachheit des Fleisches erliegen lassen möge. Das Eintreten dieses Möglichen mit seinen ewigen Folgen, das wie ein Kelch Ihm schon hingesetzt, ja, in Seinem Todesschweiß eigentlich bis an Seine Lippen gebracht wurde, solle der Vater verhindern, vorüberführen. „Die Stunde“ mit dem furchtbaren Ausgang, welcher natürlicherweise geschehen wird – ohne Hilfe des Vaters –, wolle der Vater von Ihm weggehen lassen.
Wäre der Herr dort gestorben, so wäre „die Stunde gekommen“ zu Ihm, an Ihn; so aber ist sie an Ihm vorübergegangen, die Sterbestunde, welche auch wir als „die Stunde“, „unser Stündlein“ bezeichnen. „Lass, o Vater, das nicht geschehen, was zu geschehen im Begriff ist, was Ich kommen fühle und was Ich nicht verhindern kann.“
Und je ohnmächtiger Er selbst, und je mächtiger der Tod wird, desto mehr wird aus dem Bitten ein Flehen, aus dem stillen Reden und Seufzen ein Geschrei mit Tränen. Gegen den übermächtigen Tod und die mit ihm verbundenen Gewalten, gegen die eigene Schwachheit und das Dunkel im Herzen – kein anderes Hilfsmittel als das Gebet, Flehen und wieder Flehen und Schreien und Weinen zu dem, der einzig von dem Tode erretten kann. „…und betete dieselben Worte: Nimm den Kelch von Mir, lass die Stunde vorübergehen.“
Keine Wortfülle im Beten, kein Vorhalten der wogenden Gedanken des Herzens, keine Variationen in den Worten desselben Gebets, sondern „dieselben Worte“ zum zweiten Mal und dieselben Worte zum dritten Mal, aber mit dem Angesicht auf der Erde, mit Schreien auf den Lippen, Tränen auf den Wangen, das bloße Flehen: „… nimm den Kelch von Mir“.
Ja, muss nicht dahinter etwas stehen, was viel schrecklicher ist als das Kreuz, das wohlgekannte, gern erwählte und erwartete Kreuz, das doch auch in dem Worte einbegriffen war: „Deinen Willen, Mein Gott, tue Ich gern“, und für das Ihm doch gerade der Leib bereitet war, Hebr. 10,5.7? Nachdem wir zuvor gesehen, was hier auf dem Spiele stand, können wir auch dieses Flehen um Abwendung verstehen.
b) Die andere Bitte des Herrn: Sie lautet bei Matthäus: „Doch nicht, wie Ich will, sondern wie Du willst“ und: „wenn dieser (Kelch) nicht vorübergehen kann, ohne dass Ich ihn trinke, so geschehe Dein Wille“, – bei Markus: „Doch nicht, wie Ich will, sondern was Du willst“, – bei Lukas: „Doch nicht Mein Wille geschehe, sondern der Deine.“
Wir sahen, mit welcher Inbrunst der Herr das Wegnehmen des Kelches erflehte. Aber es gab ein noch höheres Interesse, etwas Ihm noch mehr am Herzen Liegendes – der Wille des Vaters.
Mit unzweifelhafter Klarheit stellt die Schrift in allen drei Evangelien das hin mit dem jedesmaligen ausdrücklichen: „Doch nicht wie Ich will, Dein Wille geschehe!“ Das ist das ganz bestimmte, unbedingt ausgesprochene Verlangen des Sohnes. Für Seinen eigenen Willen lässt Er Bedingungen gelten (,‚ist‘s möglich“) – für des Vaters Willen setzt Er keine Bedingungen. Ebenso klar spricht der Herr auch Seine Bereitschaft zum Trinken des Kelches aus, wenn er Ihm nicht weggenommen werden kann. „Wenn dieser Kelch nicht vorübergehen kann, als dass Ich ihn trinke, so geschehe Dein Wille.“ Als unantastbar, als ganz einzig gültig steht der Wille des Vaters vor des Sohnes Augen und auch in Seiner Seele, in Seinem eigenen Willen, und es besteht keinen Augenblick auch nur eine Disharmonie zwischen jenem und diesem im Sinne von „gegeneinander“. Der Sohn hat keinen Willen als den, des Vaters Willen zu vollenden. Kann es entschiedener ausgesprochen, klarer ausgedrückt werden als positiv und negativ in einem Atemzug: „…nicht was Ich will, sondern was Du willst; Dein Wille geschehe“? Und das ist nicht im Sinne von Resignation gemeint, nicht als ein schmerzliches, im Grunde widerwilliges Verzichten auf den eigenen Willen, sondern in voller innerster Wahrhaftigkeit der Übereinstimmung des Sohnes mit dem Vater.
Gleichwohl bleibt irgendeine Disharmonie unleugbar bestehen. Aber sie liegt nicht auf dem Gebiete des Willens, sondern der Erkenntnis. Dort die Schrift: „Gleichwie Moses…, so muss des Menschen Sohn erhöht werden“, der klar erkannte Wille Gottes, Seinen Sohn am Fluchholze zum Fluch für die Welt zu machen, und damit übereinstimmend die ganze Lebensführung des Sohnes und die Leitung des Erlösungswerkes bis zu dieser Stelle und Stunde. Hier nun dies, wovon nichts geschrieben stand“ – wenn nicht vielleicht Ps. 22,16 auch so gemeint war: „Du legst Mich in des Todes Staub.“
Hier in Gethsemane plötzlich und ungeahnt in den schon angetretenen Kreuzesweg hineinfallend ein Angriff auf Sein Leben, dem Er unterliegen musste. Hier ein Erliegen vor der Zeit, ein Hinweggenommen-Werden in der Hälfte Seiner Tage (Ps. 102,25), ein Hineingeführt-Werden bis in den Todeskampf und Todesschweiß, ohne Kraft und Aussicht zum Überwinden des Todes.
Ist aber nun hier nicht ebenso gewiss der Wille Gottes wie dort? „Ist auch ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tue“? (Amos 3,6). – „Der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der Ich Frieden gebe und schaffe das Übel. Ich bin der Herr, der solches alles tut“ (Jes. 45,7). – „Wer darf denn sagen, dass solches geschehe ohne des Herrn Befehl, und dass nicht Böses und Gutes komme aus dem Munde des Allerhöchsten?“ (Jer. 3,37.38).
Wie das eine mit dem andern zu vereinigen sei, das Sterben-Müssen in Gethsemane mit dem Sterben-,,Müssen“ auf Golgatha, und wie da der Sohn Seinen Weg hindurchfinden soll – das ist der Widerspruch. Immer war der Wille des Vaters bis dahin nur einer vor dem Sohne. Wohl hat Er manches Mal sagen müssen:
„Meine Stunde ist noch nicht gekommen“, wo Er doch wusste, dass etwas geschehen soll. So bei der Hochzeit in Kana, so bei Lazarus‘ Sterben, so bei jenem Hinaufziehen nach Jerusalem (Joh. 7,6.8.10). Da war aber einfach Warten der Wille Gottes für diesen Augenblick. Aber jetzt verhüllte sich Ihm der Wille Gottes.
Warten war hier gleichbedeutend mit Sterben, denn unter dem ausbrechenden Todesschweiß entschwindet das Leben fühlbar, und es handelt sich nur um Minuten bis zum Entfliehen der Seele. Warten hieß Sterben, und Sterben hieß: das Kreuz verlieren! Wiederum, nicht sterben wollen hieß: gegen Gottes Führung, die Ihm das bereitete, sich auflehnen, mit des Vaters Willen sich in Widerspruch setzen. Da überlässt der Sohn dem Vater selbst die Entscheidung für Ihn. Der Widerspruch hier unten auf Erden kann nicht auch ein Widerspruch des Vaters wider sich selbst im Himmel sein. Gott hat nur einen Willen, und dieser „Dein Wille – den Du allein kennst, welcher es auch sein mag – geschehe.“
„Nicht Mein Wille.“ Welcher war das? Ans Kreuz! War das „eigener“ Wille? War das „Sein“ Wille wider oder ohne Gottes Willen? Nein, es war des Vaters klar aufgezeigter und unmissverständlicher Wille, der göttliche Wille von Ewigkeit her, vor Grundlegung der Welt, da wir durch Christum erwählt wurden (Eph 1,4). Es war aber auch der Wille, den der Vater im Sohne fand, in dessen freiem, eigenem Triebe, in tiefster, ewiger Harmonie mit dem Vater. Wenn Er nun diesen Willen niederlegt vor dem Vater – nicht Mein Wille geschehe –, wenn Er bereit ist, darauf zu verzichten!
Oh, welche Beugung, welcher vollkommene, vollendete Gehorsam, welches Aufgehen im Vater wird damit offenbar! Da bleibt wirklich keine Spur von Disharmonie zwischen Vater und Sohn. Macht doch auch schon das Stammeln: „Abba, Mein Vater“ die tiefste kindliche Ergebenheit, das völlige Vertrauen offenbar. Und diese Bitte „nicht Mein Wille geschehe, sondern Dein Wille!“ ist ebenso dringlich und wahrhaftig wie die erste: „…nimm diesen Kelch von Mir!“, und ist doch kein Widerspruch zwischen beiden. Des Vaters Macht und des Vaters Weisheit waren das Auskunftsmittel, das beide vereinigen konnte. An diese klammert sich der Sohn.
c) So legt Er das Zeugnis und Glaubensbekenntnis ab: „Abba, Mein Vater, es ist Dir alles möglich.“ Woran denkt der Herr bei dieser Versenkung in des Vaters Allmacht? Vielleicht, dass der Vater auch dann einen Weg zur Erlösung schaffen könne, wenn der, den der Sohn als den einzigen kannte, sich verschließe? Vielleicht, was Abraham ehemals in entfernt ähnlicher Lage dachte: „Gott kann auch wohl aus den Toten erwecken“? (Hebr. 11,19). Zu allernächst gewiss dachte Er, wie der Hebräerbrief es nahelegt, an die Macht Gottes, der „vom Tode aushelfen“ kann.
Wie übermächtig muss der Tod auf Ihn eingedrungen sein, wie nahe muss Er an seinem Rande gestanden haben, nur um Haaresbreite ab, wenn er Ihm nur noch durch die grenzenlose Allmacht Gottes abwendbar erschien, und wenn diese Allmacht – wenn wir so re- den dürfen – nur durch starkes Geschrei und Tränen in Wirksamkeit gesetzt werden konnte, und wenn ihr Eingreifen dem Herrn nur als ein außerordentliches denkbar und erreichbar erscheint! Für den Sohn gab es aber nichts, was der Vater nicht könnte, und dieser Glaube ist Seine Zuflucht, Sein Stab in der Stunde der Ohnmacht, Seine Ruhe in dieser Unruhe, das Meer, in das Er sich fallen lässt.
Ist es aber denn ein solches großes Wunder der Allmacht Gottes, wenn Er dem sterbenden Sohne das Leben gibt? Ist nicht Auferweckung vom Tode, die der Herr hinter dem Kreuzestode auf sich warten sah, mehr als Verhinderung des Todes? Und doch erscheint dem Herrn selbst die letztere hier als das Schwerere, fast Unmögliche (menschlich geredet). In Bezug auf die Hilfeleistung an sich, die Kraftwirkung selbst, ist ja für Gott das eine so leicht wie das andere. Aber „Zion muss durch Recht erlöst werden“ (Jes. 1,27). Und bis das Recht zur Erlösung herausgestellt war, konnte Gottes Hand auch Seinem Sohn nicht zu Hilfe kommen. Das Folgende wird zeigen, wie „das Recht“ der Allmacht den Weg bahnte.
4. Die Erhörung
„Und ist auch erhört worden, darum dass Er Gott in Ehren hatte“ (,‚um Seiner Frömmigkeit willen“, Elb. Üb.), sagt der Hebräerbrief (5,7) mit Bezug auf dieses Gebet und Flehen, das Geschrei und die Tränen. Das Wort Gottes stellt also fest,
1.: dass der Herr in Gethsemane erhört worden ist, und 2. auch, warum Er erhört worden ist. Er ist erhört worden. Inwiefern? Wie wunderbar einfach und klar löst sich nach unserem Verständnis der Geschichte diese Frage, ohne Rest und ohne künstliche Deutungen.
Was der Herr bat und flehte, war einmal: Rettung vom Sterben in Gethsemane; Rettung aus den Händen des Todes, die Ihn umklammerten. Und das wurde Ihm zuteil. Der Ihm von dem Tode konnte aushelfen, der half Ihm auch aus und gab Ihm das Leben und gebot dem Tode zu weichen. Nach dem dritten Flehen durfte Er alsbald den Häschern entgegengehen und Sein Leben ihnen darbieten. Dass Er nun den freigewordenen Kreuzesweg gehen konnte, das war die Erhörung Seines Gebets:
„…nimm den Kelch von Mir“. Was der Herr bat und flehte, war sodann: „Dein Wille geschehe“. Und der Vater offenbarte, dass auch Sein Wille dieser eine war: den Sohn hinzugeben an das Kreuz für die Welt. Die Disharmonie löste sich herrlich auf, alles war wieder klar, der Herr sah Seinen Weg so frei und bestimmt vor sich wie nur je. Dass Er nach Golgatha gehen konnte, war die Erhörung des Gebets: „Dein Wille geschehe!“ So ist der Sohn erhört worden in vollem Sinne und nach allem Begehren, das Er wollte. Er ist erhört worden „in einer Kürze“. Dem Anklopfenden wurde weit aufgetan. „Ich weiß, dass Du Mich allezeit hörst.“
Die Schrift lässt uns auch noch tiefer in den Zusammenhang von Gebet und Erhörung des Herrn hineinschauen. „Weil Er Gott in Ehren hatte“, übersetzt Luther so herrlich. Worin die Frömmigkeit bestand, zeigt uns Sein Gebet. Da steht in erster Linie die absolute, bedingungslose Unterwerfung unter Gott und Seinen Willen. Das Liegen im Staube auf der Erde mit Seinem Angesicht spiegelt die Stellung ab, die Seine Seele vor dem Vater einnahm: die der schrankenlosen Ehrfurcht. „Aber (auch bei Meinem tiefsten Dunkel weiß Ich:) Du bist heilig, der Du wohnest unter dem Lobe Israels“ (Ps. 22,4). – „Aber doch sprach Ich: Ich muss das leiden“ (Ps. 77,11).
Gott ist Alles. Der Blick des Herrn haftet nicht an den Dingen, wie sie nun wohl laufen sollen, verliert sich nicht in das Heer von auftauchenden Fragen. Es scheint, dass es auch kein spezielles geschriebenes Gotteswort gab, das Ihm diese Lage erklärte, so dass Er sich daran zurechtfinden konnte. Das Herz stand allein zu dem lebendigen Gott Selbst. Am Kreuz finden wir Ihn mit Worten der Schrift Seine Empfindungen wiedergeben; da waren für Ihn „Vorgänge“ geschaffen. Hier aber tritt alles, alles zurück; nichts Haltbares ist unter Ihm und vor Ihm, Gott ist verborgen und dunkel vor Ihm, sogar die Schrift, die unverbrüchliche, ist wie in Frage gestellt, – aber Gott hat die Ehre und behält sie in der Seele des Sohnes unangetastet. „Dein Wille geschehe“, das ist das Zeugnis und der Ausdruck davon, die Offenbarung des im Herzen des Sohnes lebenden Verlangens nach der unumschränkten Herrschaft Gottes.
Man kann in einer Lage, die man ganz und gar nicht begreift, Gott die Ehre geben in einer gewissen kalten Weise; man lässt Seine Weisheit und Hoheit unangetastet, aber die Stellung des herzlichen, völligen, kindlichen Vertrauens wird dabei verlassen. Das bloße Eingehen in das Verfahren Gottes ist nicht auch ein Einstimmen und Zustimmen des eigensten Wollens, sondern mehr eine Tat der Unterwerfung unter die höhere Vernunft. Das ist aber mehr ein „die- Ehre-Lassen“ als „die-Ehre-Geben“. Es ist nicht alles klar zwischen Gott und dem Menschen, nicht völlige Gemeinschaft, und Gott muss gleichsam Seinen Weg allein gehen.
Dies ist nicht der Sinn, in dem wir beten sollen: „Dein Wille geschehe!“ Das war auch nicht der Sinn des Herrn Jesu in Gethsemane. „Um Seiner Frömmigkeit willen“, die vor dem durchschauenden Auge des Vaters unbedingt lauter und „völlig erfunden“ war, ist Er erhört worden. In Seiner Unterwerfung fehlte nicht das, was vor Gott gerade die Hauptsache darin ist: das aufrichtige Vertrauen, das herzlichste, innerste Einstimmen, das die Hingabe des eigenen Willens und das Annehmen und Aufrichten des Willens Gottes begleitet. Das brachte der Sohn dem Vater entgegen mit dem Anruf „Mein Vater“, „Abba, Mein Vater“, das in diesem Munde mehr als nur Anrede, vielmehr kindliches Hangen am Vater bedeutet. Darin liegt das ganze unerschütterliche, ungeschmälerte, ungetrübte Vertrauen, die Stellungnahme des Kindes zu dem, „der der rechte Vater ist“, und das „Bleiben im Vater“.
„Um Seiner Frömmigkeit willen“. Sie kommt auch in dem „Vater, es ist Dir alles möglich“ zum Ausdruck. Das ist die Glaubens-Stellung, die Gott verlangt. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“
Was Abraham auf Morija stehend glaubte; was Maria und Martha auf dem Wege zum Grabe des Lazarus an des Herrn Seite glauben lernen sollten; was die Jünger unterm Kreuz und vor dem abgenommenen Leichnam des Meisters hätten glauben sollen – das tat Jesus selbst hier in Gethsemane.
„Ich werde Einer sein, der auf Ihn vertraut hat“ (wörtl. Übers.), sagt daher die Schrift von Ihm Hebr. 2,13. Gegen das Unmögliche setzt Er Gottes Allmacht fest. Über allem, was dem Sohn unentwirrbar, unvereinbar ist, lässt Er die Macht Gottes thronen. Er „meisterte“ den Heiligen in Israel nicht, setzte Ihm keine Schranken, rechnete nicht mit den Ihn überwältigenden Verhältnissen, sondern allein mit dem allmächtigen Gott. Er lässt Gott Gott sein. Da lehrt Er uns „glauben“ und „Glauben halten“. Er wird „der Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr. 12,2).
Die Erhörung, die Jesus erfuhr, ist denn auch nicht bloß eine Hilfeleistung für Seine Schwachheit, sondern (wie jede Erhörung) eine Rechtfertigung des Beters in Seiner Stellung zu Gott. Jesus gab Gott die Ehre, und Gott zeigte, dass sie Ihm gebührte, dass Seine Führung kein Missgriff, kein Irrweg war, sondern die Heiligkeit Jehovas offenbaren sollte vor der ganzen Welt. Jesus glaubte an die Allmacht Gottes, und die Allmacht trat hervor und griff ein. Jesus brachte dem Vater völliges Vertrauen entgegen, „Er hat Gott vertraut“, und der Vater belohnte das Vertrauen mit Enthüllung Seiner Wege, mit der Führung aus dem Dunkel ins Licht.
„Um Seiner Frömmigkeit willen“. Noch ein besonderes, wesentliches Kennzeichen Seiner Frömmigkeit müssen wir beachten. Das war das Anhalten am Gebet. „Zum andernmal ging Er wieder hin, betete und sprach“, – „Und ging abermals hin und betete zum drittenmal und redete dieselben Worte“ (Matth. 26,42.44). „Und betete heftiger“ (Luk 22,44). „Und Er hat Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert“ (Hebr. 5,7).
Diese Worte malen ein sich immer steigerndes Ringen im Gebet; ein Kommen, Gehen und Wiederkommen; ein Stehen, Knien und Liegen vor Gottes Angesicht. Das Verharren im Gebet ist neben der Inbrunst noch ein eigenes Hauptmerkmal der richtigen Stellung zu Gott, der wahren Frömmigkeit, denn es erprobt das Vertrauen und die Demut und den Gehorsam auf ihren tiefsten Grund. Und wahrlich, hier hätte es ohne dieses Verharren keine Erhörung gegeben.
Die Erhörung war die Frucht gerade davon, dass der Sohn wieder und wieder kam, während die Unwahrscheinlichkeit der Erhörung zunahm („…es kam, dass Er mit dem Tode rang, und betete heftiger“), während Gott schwieg zu Seinem ersten und zweiten Flehen. An dem Ausdauern Seines Flehens, an dem, was Er selbst einmal Seinen Jüngern als „das unverschämte Geilen“ (gemeint ist: beständiges demütiges Fordern in beharrlicher Zudringlichkeit, Unverschämtheit, in unablässigem Bitten (Luk. 11,8) und das „Nicht-lass-Werden“ (Luk. 18,1) ans Herz legte, hing für Ihn selbst hier die Erhörung. Um des willen wurde Er auch erhört, gleichwie Er selbst einst das kanaanäische Weib nur um ihrer Ausdauer willen erhört hatte. „O Weib, dein Glaube ist groß!“ (Matth. 15,28
5. Die Bedeutung des ganzen Vorgangs in Gethsemane
Wie immer man den Vorgang in Gethsemane ansehen mag, so ist der Eindruck, je genauer man die Begebenheit betrachtet, desto stärker: dass es etwas ganz Besonderes darum ist. Es ist nicht ein beliebiges Glied in der Kette der Leidenserfahrungen des Herrn, sondern es ist ein Glied von außerordentlicher, ja unermesslicher Bedeutung. Die Betrachtung der Person unseres Heilandes, Seiner Gebärden, Seines leiblichen und seelischen Zustandes, Seines Ringens im Gebet, Seines Gestärktwerdens durch einen Engel vom Himmel, wie die geheimnisvolle Weihe, die auf der ganzen Geschichte ruht, verstärkten je länger desto mehr die Überzeugung, dass hier eine Stelle im Leben des Herrn ist, die das größte Gewicht, die stärkste Tragweite und zentrale Bedeutung im Erlösungswerk hat.
Unter der Betrachtung des Leidens, des Kelches, des Gebets und der gewährten Erhörung hat sich schon die große Bedeutung dieses Vorgangs nach verschiedenen Seiten gezeigt. Aber die Schrift gibt uns selber noch weitere Anleitung zum Auffinden der eigentlichen und hauptsächlichsten Bedeutung.
In Hebr. 5,7-9 lesen wir: „Der in den Tagen Seines Fleisches, da Er sowohl Bitten als Flehen … dargebracht hat und … erhört worden ist, – obwohl Er Sohn war, an dem, was Er litt, den Gehorsam lernte; und, vollendet worden, ist Er allen, die Ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden“. Da ist also mit dem Vorgang in Gethsemane, auf den diese Worte allgemein bezogen werden, eine dreifache Bedeutung verknüpft:
1. Er lernte Gehorsam;
2. Er ist vollendet;
3. Er ist der Urheber ewigen Heils geworden.
a) Er lernte Gehorsam an dem, das Er litt. Das ganze Leben des Herrn ist eine Gehorsamsübung. „Ich bin vom Himmel gekommen, nicht, dass Ich Meinen Willen tue, sondern des, der Mich gesandt hat“ (Joh. 6,38). Das Leben Jesu auf Erden ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu dem Zweck, einen höheren Willen zur Ausführung zu bringen. Er hat nur eine Mission auszurichten, Sein Leben ist Sendung. „Ich lebe um des Vaters willen“ (Joh. 6,57). „Was Er sieht den Vater tun, das tut gleich auch der Sohn.“ „Wie ich höre, so richte Ich“ (Joh.5,19.30).
„Wie Mich Mein Vater gelehrt hat, so rede Ich“ (Joh. 8,28). „Ich habe Dich verklärt auf Erden und vollendet das Werk, das Du Mir gegeben hast, dass Ich es tun sollte“ (Joh. 17,4).
Der Herr hat Gehorsam gelernt Sein Leben lang, „in den Tagen Seines Fleisches“. Aber es gab Lektionen von außerordentlicher Bedeutung. So in der Versuchung in der Wüste. So hier in Gethsemane.
„Denn Er hat Gehorsam gelernt an dem, das Er litt.“ Was litt Er hier in Gethsemane? Todesleiden, ein Hineingeführt-Werden in die äußerste Schwachheit und Hilflosigkeit, in ein undurchdringliches Dunkel und in ein Preisgeben Seines ganzen heiligen Lebenswerkes.
Auf Golgatha ward Er „gekreuzigt in Schwachheit“ (2.Kor. 13,4), da ward Er schwach vor den Augen der ganzen Welt. In Gethsemane litt Er in anderer Weise die äußerste Schwachheit. „Er hat andern geholfen und kann sich selber nicht helfen“ (Mark. 15,31), musste Er am Kreuz als Gespött der Leute hören. Hier in Gethsemane erfuhr Er in der Verborgenheit dasselbe, als Er keine Kraft wider den Tod in sich fand. Aber Er litt die Schwachheit, und eben unter dem Durchmachen des Todeskampfes und Todesschweißes lernte Er Gehorsam, wie es in dieser Weise bisher noch nie an Ihn herangetreten war.
Er lernte Gehorsam, d. h. Er ließ es sich gefallen, als völlig schwach hingestellt zu werden, nichts zu können. Er nahm die Schmerzen des Leibes und die Angst der Seele aus des Vaters Hand und weigerte sich derselben nicht. Er war bereit zu allem, was der Vater tun würde und was daraus folgen würde, bereit, auch Sein Leben auszuhauchen. Tiefer und tiefer beugte sich Seine Seele unter das, was auf Ihm lag. Er lernte, den Leib auch zu solchem Tode herzugeben, wenn es der Vater haben wollte, und den Geist auch so in des Vaters Hände zu befehlen; Er lernte, keinen Willen zu haben und den Vater unumschränkt mit Ihm selbst, mit der Welt, mit Seinem Wort handeln zu lassen. Er lernte, auch ohne Einblick in des Vaters Absichten, Ihn walten zu lassen, in dem lichtlosen Dunkel dem Vater zu folgen, alle Vernunft gefangen zu geben unter den Gehorsam gegen die Führung Gottes, preiszugeben auch alles, wofür Er gelebt hatte, zurückzugeben an den Vater, was Er von Ihm empfangen hatte.
„An dem, das Er litt“. So viele Seiten und Tiefen dieses Leiden hatte, das unser Auge hier nicht zu ergründen vermag, so viele Bewährungen ließ der Herr an sich finden. Aber die eine steht im Mittelpunkt, die Schrift stellt sie dahin: der Gehorsam. Er hat „an dem, das Er litt, Gehorsam gelernt“.
b) „Da Er vollendet war“. Er ist vollendet, d.h. vollkommen gemacht worden. In erster Linie handelt es sich nach dem Zusammenhang um die Vollendung im Gehorsam. Die Betrachtung über das Leiden und über den Kelch hat uns gezeigt, vor welche Forderungen der Herr gestellt wurde, wieviel schwieriger und wodurch schwieriger diese waren als die Forderung des Kreuzes. Am Kreuze befand Er sich bewusst auf Schriftboden; kein Schlag, kein Wort, keine Handlung, kein Schmerz, den Er nicht nach der Schrift zuvor erwartete oder darin die Schrift alsbald erfüllt sah. Am Kreuz war volle Klarheit der Lage für Ihn vorhanden, mag Er doch selbst, wenn Er Ps. 22 gelesen hatte, in dem Ausruf:
„Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen!“ einen Wink gefunden haben für einen Schmerz, auf den Er sich werde gefasst zu machen haben. Ganz anders in Gethsemane.
Da schien die Schrift völlig zu schweigen, da verbarg sich das Licht des Verständnisses der Vorgänge, und der Herr kann nach der einen Seite hin nur mit einem „Wenn“ bitten. Am Kreuz stimmte alles mit Seinem innersten je und je gehabten Wollen zusammen; in Gethsemane trat Seinem Willen ein anderer Wille entgegen und reichte Ihm einen Kelch dar, der den auf Golgatha dargebotenen an Bitterkeit übertraf, soweit wir es aus den Worten der Schrift, aus dem Verhalten des Herrn erkennen können.
Aber gerade durch dieses Leiden wurde Er „vollendet“ in dem Gehorsam. Er leistete die allerhöchste Probe des Gehorsams, als Er sich zum Trinken dieses Kelches völlig bereit zeigte und Seinen Willen mit dem entgegenstehenden in völligen inneren Einklang und in die gleiche Richtung brachte. Auch darin besteht die Vollendung im Gehorsam, dass in diesem nicht ein Rest oder Schatten von Unwilligkeit zu finden war, sondern der vollkommene Gehorsam mit vollkommenem Vertrauen verbunden war.
Als Abraham auf dem Punkt war: „Er reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete“ (1.Mo. 22,10), da war sein Gehorsam vollendet, auch ohne dass Isaaks Blut floss.
Und als Jesus vor dem Vater auf dem Angesicht lag und bat: „Nicht Mein Wille geschehe, sondern Dein Wille“, und Er betete das mit dem Todesschweiß auf der Stirn an der Pforte der Ewigkeit, ja, fast im Eintreten aus der Zeit in die Ewigkeit – ohne eine vollbrachte Erlösung hinter sich zu haben, ohne Sein Blut vor den Vater bringen zu können –, da war Er „vollendet“ im Gehorsam des Glaubens, auch ohne dass der Lebensfaden wirklich zerriss.
Ein völligeres Maß des Gehorchens und Eingehens auf den Willen und die Führung Gottes gab es nicht. Er aber hat es gelernt an dem und unter dem, „das Er litt“. So war dieses Vollendetwerden die reifende Frucht und Krone eines ganzen im Gehorsam geführten Lebens.
c) „Und vollendet worden, ist Er allen, die Ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden.“ Wenn der Herr hier in Gethsemane „vollendet worden“ ist, dann liegt auch hier, im Zusammenhang mit dem Kreuz, die Grundlage des ewigen Heils für die Erlösten. Ohne Gethsemane, ohne die hier erreichte und bewährte Vollkommenheit wäre Er der Urheber dieses Heils für andere nicht geworden. Das Blut am Kreuz bekommt seinen Wert auch durch Gethsemane. Die Hingabe am Kreuz wird Gott wohlgefällig durch die vorausgegangene Hingabe an Gott in Gethsemane. Als „Vollendeter“ ist Er fähig geworden zu dem Erlösungswerk am Kreuz. Gott baut immer das eine auf das andere in dem großen Gefüge des Heilsplans für die Welt und legt mit dem Vorangegangenen die Grundlage für das Folgende, so in Gethsemane die Grundlage für Golgatha. Was irgend die Erlösten ihrem Herrn und Erlöser verdanken, geht auf Gethsemane zurück und hängt an der dort gefallenen Entscheidung.
Das ist die Bedeutung, die durch die Stelle Hebr. 5,7-9 ins Licht gerückt wird.
Wenn wir die Geschichte von Gethsemane als ganze betrachten, so fällt aber noch manche andere wichtige Bedeutung derselben ins Auge.
Die Herrlichkeit des Herrn strahlt nach allen Seiten hin hervor. Den vollkommenen Gehorsam fanden wir offenbar werden, ebenso den vollkommenen Glauben.
In gleicher Weise lässt uns die Geschichte in die Tiefen der vollkommenen Liebe des Menschensohns zur Welt hineinschauen. Er will aus eigenstem Triebe den Kreuzestod mit all seinen Leiden ertragen. Wäre es nur Gehorsam gegen den Vater, nur Ausführung des göttlichen Willens gewesen, dass Er nach Golgatha zog, so musste es hier ans Licht treten, wo Ihm ein Gotteswille vor die Augen trat, der Ihn vor den Kreuzesleiden bewahrte. Natürlich gesehen, war es doch gewiss unendlich viel leichter, hier in Gethsemane in friedlicher Einsamkeit Sein Leben auszuhauchen. Was blieb da dem Herrn alles erspart!
Die ganze Leidensgeschichte, wo sich Stich an Stich, Pein an Pein reiht, wo Tropfen an Tropfen zu einem tiefen Wermutskelch zusammenkommt, von dem Judaskuss bis zum Neigen des Hauptes am Kreuz – alles blieb Ihm erspart, wenn Er hier Sein Lebensziel fand.
Wahrlich, wenn Seine Bitte: „… dass dieser Kelch an Mir vorübergehe“, dem Kreuzesleiden gegolten hätte, so war Er ja eben daran, ihm zu entgehen, ihm mit einem kurzen Todeskampf oder ohne solchen überhoben zu werden! Er brauchte sich ja nur der Schwachheit des Fleisches zu überlassen. Er brauchte nur die Dinge gehen zu lassen, wie Gott sie fügte und gehen ließ – und Er war vom Kreuzesleiden errettet! Sein Todeskampf kam gerade von Seinem Widerstreben gegen diesen Tod und von Seinem Beten dagegen. Er brauchte nur weniger zu flehen, nur eher aufzuhören zu bitten, und Er entging dem Tode am Kreuz. Und Sein Entgehen wäre nur Schickung in den scheinbar offensichtlichen Willen Gottes gewesen.
Aber dass Er „der Schande nicht achtete und erduldete das Kreuz, da Er wohl hätte mögen Freude haben“ (Hebr. 12,2) für Seine Person durch einen leidenslosen Hingang zum Vater, und erflehte sich das Kreuz und schrie um Bewahrung vor dem für das Fleisch so bequemen und leichten Sterben – das zeigt im strahlendsten Licht die Tiefe und die Wahrheit Seiner Liebe zu uns, die neben dem Gehorsam gegen den Willen des Vaters hergeht. „Wie Er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende, bis zu dem Ziel und dem erschöpfenden Ausgang und dem abschließenden Beweis, dass Er Sein Leben für die Seinen hingab aus eigenstem Triebe, dass Er Macht hatte, Sein Leben zu lassen „von Mir selber“ (Joh. 10,18).
Wenn eine solche Probe auf die vollkommenste Freiwilligkeit und innerste Übereinstimmung des Herrn Jesu mit dem Willen des Vaters für das Opfer am Kreuz nötig war; wenn vor der Welt und vor dem Himmel und vor der Hölle der Beweis erbracht werden musste, dass das Opfer auf Golgatha kein erzwungenes, kein nur auferlegtes, nur von Gott gebrachtes war, sondern dass der Menschensohn und Gottessohn wirklich „selber sich dargegeben hat für uns“, der Erstgeborene für die Brüder, das Haupt für den Leib, der König für das Volk, der Hirt für die Herde, – so ist die Probe in Gethsemane geliefert und das Innerste des Herzens Jesu an das Licht gebracht worden.
Wie die eine Bitte „Dein Wille geschehe, nicht Mein Wille“ die Probe auf den vollkommenen Gehorsam gegen Gott, so erbringt die andere Bitte „Ist‘s möglich, so gehe dieser Kelch von Mir!“ die Probe für die vollkommene Liebe Jesu zu den Menschen, zur verlorenen, noch unerlösten Welt. O Welt, du bist geliebt, wie du nur geliebt werden konntest, von dem Vater wie von dem Sohne; geliebt mit der Liebe, die „stark wie der Tod ist (und sie war in Jesus stärker als der Tod!), und ihr Eifer fest (d.h. unerweichlich), wie die Hölle. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, dass auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ertränken“ (Hohel. 8,6.7).
Es gibt keine Vollendung ohne die tiefgehenden Proben, Proben, die das Grundwesen des Herzens erreichen und offenbar machen.
Abraham konnte nicht der Vater der Gläubigen werden, nicht der Mann werden, in dem sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde, nicht der Mann, dessen Same sein soll „wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres“, ohne dass er die Probe auf Morija bestand und das Zeugnis erhielt:
„Nun weiß Ich, dass du Gott fürchtest“, – so fürchtest, wie Er gefürchtet werden muss.
Moses konnte nicht „der“ Knecht Gottes werden, „Sein Auserwählter“ (Ps. 106,23), nicht der Mittler zwischen Gott und Menschen und Träger des Alten Bundes, ohne dass er in jenem Vorgange, den er 5.Mo. 9,25ff wiedererzählt, bewährt wurde. Da trat es an den Tag, dass ihn die Aussicht: „Ich will aus dir ein stärkeres und größeres Volk machen, denn dies ist“ (V. 14), nicht locken und abziehen konnte von der Liebe zu dem einmal erwählten, ob auch noch so halsstarrigen Volke. Die Probe zeigt ihn als „treu“ (Hebr. 3,2) und als Vorbild auf den Mittler des Neuen Bundes.
Und Jesus – „wiewohl Er Gottes Sohn war, hat Er doch an dem, das Er litt, Gehorsam gelernt, und (erst) da Er vollendet war, ist Er geworden … eine Ursache zur ewigen Seligkeit“.
Neben der Bedeutung, die Gethsemane für den Herrn selbst hatte, war es noch nach einer anderen Seite hin von großer Wichtigkeit. Der Herr hatte es mit der Überwindung des Satans zu tun.
Der Satan wusste seine Stunde jetzt gekommen. „Jetzt wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden“ (Joh. 12,31).
Ist das Opferblut Christi erst wirklich geflossen, ist das Kreuz erst hingestellt und der Sohn Gottes an das Fluchholz gehängt, dann ist es auch mit der Herrschaft Satans aus, sein Prozess ist verloren durch das Blut des Lammes, sein Verklagen vor Gott nützt ihm nichts mehr, – denn „Gott ist hier, der da gerecht macht … Christus ist hier, der gestorben ist … und vertritt uns!“ (Röm. 8,33ff).
Der Satan hat schon von Anfang an alles versucht, um das Kreuz Christi zunichte zu machen. Es war umsonst. Da ist hier unmittelbar vor der Kreuzigung noch eine letzte Gelegenheit, in der die List und Gewalt des Bösen auf die Spitze getrieben werden und das Äußerste darin von ihm aufgeboten wird. Jesus war im Begriff, „dass Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel“ (Hebr. 2,4).
Noch aber hatte der Satan des Todes Gewalt und konnte sie unter den Augen des „allein gewaltigen“ Gottes gebrauchen. Ist es da zu verwundern, wenn er mit ihrem ganzen Aufgebot nach Seiten des Rechts, das ihm an alles, was Weibessame auf dieser Erde ist, zusteht, und nach Seiten der Kraft, die er als Fürst der Finsternis hat, den Menschensohn überfällt mit einem Angriff auf Sein Leben, um es womöglich vor Golgatha zunichte zu machen?
Und sollte er sich nicht die Situation des vom Tode, wie es scheint, plötzlich und unversehens Angefallenen nach Möglichkeit zunutze gemacht haben mit einem Heer versucherischer Gedanken und Gefühle, die er in des Herrn Jesu Herz zu werfen sich bemühte?
Gedanken wie diese: Hier sind Gotteswort und Gottesführung in Widerspruch. Der Vater ist mit sich selber in Widerspruch. Auf diesen Weg kann Ich nicht eingehen. Diesen Kelch kann Ich nicht trinken. Bist Du Gottes Sohn, so sprich, dass der Tod von Dir fliehe, und hilf Dir selbst. Dein Gebet und Flehen wird nicht erhört. Du bist verlassen von Gott.
Oder Gedanken nach der anderen Seite hin: Hier ist ein Ausweg vor dem Kreuz. Du hast ihn nicht gesucht, Du kannst Dich aber seiner nicht erwehren. Lass Dir diesen Tod gerne gefallen. Sieh, sogar Deine Jünger, die Du Dir als die Besten aus dem Volke ausgesucht hast, schlafen jetzt und lassen Dich in dieser Lage im Stich. Das sind die Menschen, an die Du Deine Liebe verschwendet hast. Das ist ihre Treue, dies ihr Verstehen Deiner Absichten.
Oh, sollte der Satan nicht mit seinem ganzen Arsenal höllischer Gedanken gearbeitet haben, wo es sich für ihn selbst um Sein und Nichtsein handelte?!
Da aber erfand sich‘s, was der Herr vorher gesagt hatte: „Es kommt der Fürst dieser Welt, und an Mir hat er nichts; aber auf dass die Welt erkenne…“ (Joh. 14,30).
Also zum Offenbarmachen des ganzen Herzens Jesu und zu dem Ergebnis, dass der Fürst dieser Welt nicht eine Spur von dem Sinn und der Art dieser Welt an Ihm fand, noch in Ihn hineinbringen konnte, dazu musste diese Versuchung ebenso wie der Leidensgang nach Golgatha dienen. Sie musste noch vor dem Kreuz zum Zuschandenmachen des Satans und zur Verherrlichung des Sohnes vor der Welt gereichen.
Es erscheint auffallend, dass, soviel wir sehen, von dem Vorgang in Gethsemane die Schrift nichts vorhersagt, während der Herr alle Einzelheiten der weiteren Leidensgeschichte aus der Schrift vorweg kannte und erwartete.
Das dürfte eine Bestätigung dafür sein, dass in dem Erlebnis ein satanischer Überfall zu erblicken ist, der durch die Plötzlichkeit umso mächtiger wirken sollte.
Dafür spricht auch das: „Er fing an (also mit einem Male) zu zittern und zu zagen (bestürzt zu werden)“, wahrend Er Seinerseits Gethsemane nur aufgesucht hatte „nach Seiner Gewohnheit“ (Luk. 22,39).
Dasselbe wird bestätigt durch die mehr als natürliche Schlaftrunkenheit der Jünger, die eine Beeinflussung der Macht der Finsternis zu sein scheint, um den Herrn völlig zu isolieren und Ihn jedes tröstenden Blickes und Haltes zu berauben. Doch je furchtbarer die Versuchung, desto glänzender die Bewährung und desto völliger die Überwindung des Satans. „Versucht allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde!“ (Hebr. 4,15).
Nachdem dies aufs völligste erwiesen ist, ist auch das Recht Gottes, Seinem Sohn zu helfen, erwiesen, und die Macht des Satans scheitert an der eingreifenden Allmacht Gottes.
Welche Bedeutung und welche Geheimnisse Gethsemane noch in sich schließt, darüber wird uns erst die Ewigkeit volles Licht geben. Genug, dass der Sohn Gottes uns so tief in Sein Herz und in Seinen Leidensweg hier schon blicken lässt. Er wolle durch Seinen Heiligen Geist auch diesen Teil des Erlösungswerkes immer tiefer Seiner Gemeinde aufschließen zur Verherrlichung Seines Namens und zur völligeren Hingabe au Ihn.
Lasset uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der auch, selbst vollendet, der Urheber ewigen Heils geworden ist allen, die Ihm gehorsam sind, so wie Er dem Vater gehorsam war. Ehre sei dem Lamme!
(Das Büchlein war in der alten Antiqua-Schrift geschrieben, die heutzutage von vielen nur noch mit Mühe gelesen werden kann. Deshalb habe ich es abgeschrieben. Unterstreichungen und Hervorhebungen sind von mir. CW)
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