Geistesausgießung (A. Seibel)
Bibelstellen zu dem Thema Ausgießen des Geistes
von Alexander Seibel
Gemäß Hebr. 1, 2 bzw. rabbinischer Lehre beginnen die letzten Tage mit dem Auftreten des Messias. „Er hat in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat.“ Ähnlich Hebr. 9, 26: „sonst hätte er oft leiden müssen vom Anfang der Welt an. Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer, die Sünde aufzuheben.“
Petrus drückt es ähnlich aus: „sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen“ (1.Petr. 1,19-20). All das bezieht sich auf das erste Kommen des Messias. Johannes schreibt sogar vor fast 2000 Jahren: Kinder, es ist die letzte Stunde! (1. Joh. 2,18).
Dies allein legt nahe, dass die Erwähnung der Joelstelle und des Ausdrucks letzte Tage in Apg. 2,17-18 sich nicht auf unsere Zeit, sondern auf das damalige Ereignis des Beginns der Gemeinde bezieht. Die Endzeit im engeren Sinne allerdings meint die Tage, die dem 2. Kommen vorangehen, wie es in der Kirchengeschichte gewöhnlich interpretiert wird.
Die Verse von Joel 3,1ff. werden nun, besonders in charismatischen Kreisen, in Verbindung mit Apg 2,17-18 als Verheißung für die Zeit der Gemeinde am Ende der Gnadenzeit interpretiert, um die heutige Betonung von Zeichen und Wundern „biblisch“ zu rechtfertigen. Dies ist jedoch durch die obigen Ausführungen und besonders auch durch Vergleich mit den anderen Bibelstellen zu dem Thema Geistesausgießung mehr als fragwürdig.
„Denn die Paläste werden verlassen sein, und die Stadt, die voll Getümmel war, wird einsam sein, daß Burg und Turm für immer zu Höhlen werden, dem Wild zur Freude, den Herden zur Weide, so lange, bis über uns ausgegossen wird der Geist aus der Höhe. Dann wird die Wüste zum fruchtbaren Lande und das fruchtbare Land wie Wald geachtet werden“ (Jes 32,14-15). Hier handelt es sich um eine Verheißung für die Wiedererstehung Israels, offenbar zum Beginn des 1000jährigen Reiches. In gleicher Weise sind die Verse aus Hesekiel zu verstehen: Hes 11,16-19. Ein neuer Geist wird dem Überrest Israels gegeben, wenn sie am Ende der Tage in das verheißene Land zurückkehren. Das gleiche steht Hes 36,24-30. Auch Jes 44,3 kündigt die Ausgießung des Geistes an.
Besonders deutlich ist in diesem Zusammenhang Hes 39,28-29: „Dann werden sie Erkennen, daß ich, der Herr, ihr Gott bin, der ich sie unter die Heiden weggeführt habe und wieder in ihr Land sammle und nicht einen von ihnen dort zurücklasse. Und ich will mein Angesicht nicht mehr vor ihnen verbergen; denn ich habe meinen Geist über das Haus Israel ausgegossen, spricht Gott der Herr.“ Siehe auch Hes. 37,9-10. Der von Luther mit Odem übersetzte Begriff ist im Hebräischen das gleiche Wort für „Geist“.
Es ist unmöglich, solche Aussagen allegorisierend auf die Gemeinde anzuwenden. Diese Verheißungen für Israel, die besagte Joelstelle in ein ganz neues Licht rücken (nämlich in zweiter Erfüllung nicht eine gewaltige Geistesausgießung mit Zeichen und Wundern in der Endzeit für die Gemeinde, sondern die Bekehrung des Überrests Israels am Ende der Tage; siehe auch Röm 11, 25-26) werden von Anhängern der charismatischen Bewegung sehr oft ignoriert, um Joels Prophetie für sich vereinnahmen zu können. Doch für die Gnadenzeit ist der Heilige Geist längst reichlich ausgegossen (Tit 3,6). Der an dieser Stelle verwendete Aorist für „ausgießen“ weist ebenfalls auf die Unwiederholbarkeit dieses Ereignisses hin.
Sach 12,10 zeigt wiederum einleuchtend die Bekehrung Israels am Ende der Tage, nachdem alle Völker sich gegen Jerusalem versammelt haben (Vers 3) und Jesus wiederkommt: „Aber über das Haus David und die Bürger Jerusalems will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets. Und sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben.“ Auch bei Joel wird der Aufmarsch aller Heiden gegen Israel erwähnt (Kap. 4,2). Sonne und Mond verlieren ihren Schein (Kap. 3,4); siehe auch Mt 24,29 und Offb
6,12. Es behandelt dies deutlich die letzte Phase der Endzeit in Zusammenhang mit Israel.
Nach Eph 3,3-6 und Kol 1,26-27 findet sich der vollendete Ratschluß für die Gemeinde primär in den Briefen. Demgemäß war auch das Geheimnis der Gnadenzeit den alttestamentlichen Propheten im Prinzip nicht offenbart, die vorausschauend nur von dem ersten und zweiten Kommen Jesu, manchmal sogar in einer Einheit, gesprochen haben (siehe auch Luk 16,16).
Was die Gemeinde am Ende der Tage erwartet, ist deswegen primär in den Briefen bzw. Wiederkunftsreden unseres Herrn nachzulesen, die ja genau die nun für uns aktuelle Endzeit schildern. Hier aber findet sich das absolute Gegenteil zu der schwärmerischen Eschatologie, nämlich: Falsche Propheten am Ende der Tage, die große Erfolge haben und viele verführen werden (Mt 24,11). Über-handnahme der Gesetzlosigkeit (V. 12). Zeichen und Wunder in der Macht der Verführung (Mt 24,24), greuliche Zeiten (2. Tim 3,1) am Ende der Tage, Lehren der Dämonen, die in der Endzeit zunehmen werden (1. Tim 4,1), falsche Lehrer (2. Petr 2,1-2) und Spötter in den letzten Tagen (3,3). Der besondere Brief über die Zeit der Wiederkunft Jesu, der 2. Thessalonicherbrief, erwähnt den großen Abfall (2,3b), eine Zeit der Verführung (2,3a) und eine machtvolle Bewegung, die die Kräfte der Urgemeinde verblüffend genau imitiert und mit Zeichen und Wundern am Ende der Tage viele verführen wird (2,9). All das erfüllt sich heute buchstäblich vor unseren Augen. Der Herr Jesus fragt sogar: „Wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinest du, er werde den Glauben finden auf Erden?“ (Luk 18,8).
Da dies alles aber negativ ist und der gegenwärtige Mensch unserer letzten Tage nicht mehr nach wahr oder falsch unterscheidet, sondern nach angenehm bzw. positiv oder eben unangenehm bzw. negativ, möchte er viel lieber von endzeitlichen Machterweisungen mit gewaltigen Zeichen und Wundern hören. Deswegen lädt man sich gerne die Lehrer bzw. Lehren auf, wonach einem die Ohren jücken. Auch dies hat die Bibel für das Ende vorausgesagt, daß die Fabellehrer erfolgreich sein werden (2. Tim 4,3-4).
Diese Fülle von biblischen Belegstellen für den Niedergang am Ende der Tage mit der Prophetie bei Joel neutralisieren zu wollen und ganz im Gegenteil den Leuten am Ende der Tage eine machtvolle Erweckung durch Zeichen und Wunder zu verheißen, ist nun wiederum leider eine traurige Erfüllung von 2. Petr 3,15-16.
Tatsächlich sehen wir heute eine Geisterausgießung, die Gottes Wort ebenfalls für die Endzeit vorausgesagt hat (2. Thess 2,11) und deren verführerischer Charakter mit dieser Joelstelle verschleiert wird. Bemerkenswert ist auch, daß die Begriffe Zeichen und Wunder in den Abschnitten über die Zeit vor der Wiederkunft Jesu ausnahmslos in Verbindung mit Verführung Stehen. Dazu die bereits erwähnten Bibelstellen Mt 24,24 und 2. Thess 2,9, aber auch Offb 13,13-14; 16,14 und 19,20.
Diesen wiederum eindeutigen Stellen zur Warnung vor verführerischen Zeichen und Wundern, was dem Herrn und Seinen Aposteln so am Herzen lag, wird gewöhnlich die Verheißung am Ende des Markus-evangeliums (Kap. 16,17-18) entgegengehalten, um zu „belegen“, solche besonderen Kräfte seien normale Begleiterscheinungen.
Zunächst verkehrt John Wimber, die Schlüsselfigur für „Kraftevangelisation“ mit Zeichen und Wundern, genau den Sachverhalt, wenn er fordert, diese Zeichen müßten vorangehen, um die Leute für den Glauben zu öffnen. Bei Markus werden sie nachfolgende Zeichen genannt. Außerdem steht dort ein Partizip Aorist (den gläubige Gewordenen werden diese Zeichen folgen), was nahelegt, daß es die waren, die damals schon glaubten, also die Apostel bzw. Jünger der Urgemeinde. Vers 20 erwähnt auch, wie der Herr damit Sein Wort bekräftigte. Hebr. 2,3-4 macht nun eindeutig, daß dies in die urgemeindliche Zeit hineingehört. Im Vers 3 steht dieses „bekräftigt“ wiederum im Aorist.
Aus diesen Versen von Mk 16 Zeichen als allgemeine Verheißung für alle Zeiten zu folgern, heißt einen Widerspruch in die Bibel hineinzulegen. Denn Paulus erklärt ausdrücklich in 1. Kor 12,28, wie eben nicht alle heilen können. Die Anhänger der charismatischen Bewegung sehen hier jedoch einen „Freibrief“ um jedermann zum Heilen die Hände auflegen zu können.
Außerdem müßten dann Jünger Jesu mit der gleichen Selbstverständlichkeit Gift trinken und Schlangen
handhaben (Vers 18) können. Mit keiner Silbe soll dies heißen, daß Gott nicht seine Kinder vor Vergiftung bewahren kann, wenn es Sein Wille ist, jedoch gehört es zur Ursünde der Schwärmerei, Übernatürliches zu fordern, bzw. das Außergewöhnliche zum Normalen zu erklären.
Außerdem zeigt ein kurzer Blick in die Kirchengeschichte, wie diese Zeichen nicht durch die Jahrhunderte die Gläubigen begleitet haben. Danach zu urteilen, wären weder Martin Luther, noch William Carey, David Livingstone, George Müller, Hudson Taylor, Charles Spurgeon usw. gläubig, denn sie alle hatten diese Zeichen nicht.
Die Reformatoren betonten bewußt „Sola Scriptura“ und nicht, wie es die römische Kirche tat, Wort und Zeichen. Deswegen Können sich in unseren Tagen die Gläubigen immer mehr mit Rom verbinden, weil schon längst eine Preisgabe des reformatorischen Erbes stattgefunden hat.
In der Kirchengeschichte waren es interessanterweise die Gnostiker, die Montanisten, die Mormonen und die Vertreter der Christlichen Wissenschaft, die wiederholt Mk 16,17ff. für ihre Offenbarungen und Heilungen wie Krafttaten zitierten. Heute sind es die Neugnostiker, nämlich die Anhänger der charismatischen Bewegung und ihre Sympathisanten, die wiederum mit Mk 16 Zeichen als legitim ausgeben. Gemäß Mt 7,21-23 ist es aber Gerade ein Kennzeichen der Verführten, daß sie sich auf ihre Zeichen und Wunder berufen.
Der Herr Jesus klagt: „Ein arges und ehebrecherisches Geschlecht sucht ein Zeichen.“ Kaum eine Generation ist so arg und auf sexuellem Gebiet so verwahrlost und hemmungslos wie die gegenwärtige. Von daher überrascht es nicht, daß man nun auch Zeichen fordert.
Alexander Seibel
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