Amulette (P.Bauer)
Paul Bauer
Fetische und Amulette
Der Fetischismus ist der abergläubische Kult um Fetische, Amulette, Talismane. Das Wort Fetisch geht auf das portugiesische feitico (Zauber) und auf das spätlateinische factitius (zauberhaft, wirksam) zurück. Man versteht religionsgeschichtlich unter einem Fetisch einen künstlichen Gegenstand, der als beseelt, als kraftbegabt angesehen, zur persönlichen Sicherung als Schutz getragen oder verehrt wird. Der Fetischismus ist die gläubige Haltung diesen vermeintlichen Kraftträgern und Schutzsymbolen gegenüber.
Amulett kommt vom lateinischen amuletum und bedeutet Abwehrmittel. Ein Amulett ist ein kraftgeladener Gegenstand zum Schutz gegen magische oder dämonische Gefahr.
Talisman kommt vom arabischen tilasmun und vom griechischen telesma und bedeutet zunächst Vollendung, Weihe, dann auch Aneignungszauber. Als Amulette und Talismane kommen alle Gegenstände und Teile aus der organischen wie anorganischen Welt in Frage, denen der antike, primitive oder moderne Mensch eine Kraftladung zumißt. Die Wirkung der Fetische, Amulette, Talismane wird erhöht durch Inschriften, vor allem durch das Zauberwort. Wichtig für die Behandlung dieses Fetischismus heute ist die Tatsache, daß dieser Kult in der Magie des Heidentums seine Wurzeln hat.
Der Fetischismus ist nicht nur eine Erscheinung der antiken und primitiven Religionen, sondern auch ein Phänomen des Aberglaubens in der Gegenwart. Die Verehrung von Haaren, Federn, Nägeln, Hörnern, Klauen, Zähnen, Spinnen, Skarabäen, Schweinchen, Lorbeer, Knoblauch, Halmen, Fäden, Schnüren, Quasten, Bändern, Feuersteinen, Speerspitzen usw. in der Antike und bei den Primitiven hat ihre Parallele in derselben dinglichen Vergötzung von vierblättrigen Kleeblättern, Glückspfennigen, Glückspilzen, Glücksschweinchen, Hufeisen, Glücksbriefen, Amuletten, Reliquien, Osterwasser, Maskottchen, Bordtieren, Schornsteinfegern als Symbolzeichen des Glückes, ferner in der Furcht vor Käuzchen, Raben, Spinnen, schwarzen Katzen, alten Frauen, Stillstand der Uhr, Zahl 13 und dergleichen mehr als Unglücksboten. Einige Beispiele sollen die Situation dieses modernen Aberglaubens und Fetischdienstes einmal deutlich machen.
Ein besonderes Problem ist die Verwendung von Glücks- und Abwehrzaubern zum Schutz gegen Brand, Unfall und Kriegsverletzungen. Brandbriefe werden unter das Gebälk des Daches gelegt. Amulette sollen vor feindlichen Kugeln schützen. Das silberne Hufeisen an der Uhrkette oder am Schlüsselbund schützt vor Einbruch oder Diebstahl. Das Heiligenmedaillon, im Boden des Viehstalles vergraben, soll vor Viehseuchen schützen. Der mit Reliquien bestrichene Ehering soll den Träger des Ringes vor Ehebruch bewahren. Das im Acker vergrabene Medaillon mit dem Heiligenbild soll den Ertrag des Feldes segnen. So ließe sich die Reihe beliebig fortsetzen. Vielleicht hat auch das am Halskettchen getragene Kreuz magische Bedeutung. Es wird hier deutlich, wie das Christentum heidnisch magischen Einflüssen erlegen ist. In neutestamentlicher Sicht ist dieser Einbruch magischer Elemente eine Verdinglichung, eine Vergötzung des Christusglaubens. Die Erfahrung der Seelsorge zeigt in vielen Fällen, wie dieser Aberglaube den Menschen in einen Bann schlägt und unter magische Beeinflussung bringt. Es ist sogar kein seltenes Phänomen, daß mit Brandbriefen und anderen Fetischen und Amuletten geschützte Häuser gern Spukhäuser werden.
Außer den erwähnten magischen Wurzeln des ganzen Fetischismus muß jetzt die geheimnisvolle Wirkung dieser Fetische auf den Menschen untersucht werden. Ein wichtiger Schlüssel, um diese Wirkung zu erfassen, ist die Erkenntnis der Imagowirklichkeit im UB des Menschen. Das Bewußtsein des Menschen Umfaßt, wenn man vom OU absieht, zwei Funktionsbereiche. Das Oberbewußtsein ist geprägt durch rationale Kategorien wie Analyse, Logik, Abstraktion. Das UB ist beherrscht von Imagokräften. Die Tiefenpsychologie lehrt uns, daß die verborgenen Bildkräfte des UB stärker sind als der bewußtseinsmäßige Willensvorsatz. An diesen Bildern haften ungeheure Kräfte. Sie steuern und beeinflussen die Begriffswelt des OB. Von dieser Erkenntnis aus ist es dann verständlich, daß viele Menschen in die Abhängigkeit von den Fetischen geraten. Es wird ferner auch einsichtig, wie gefährlich es ist, das erste Gebot zu übertreten – du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen – und sich den Bildkräften der Fetische, Amulette und Talismane auszuliefern.
Noch schwieriger wird das Problem der Bildverhaftung, wenn zu der Abhängigkeit von den Wirkungsmächten der Bilder der zauberhafte Verspruch an den Urgrund aller Magie tritt. Es handelt sich hier um das unheilvolle Gebiet der Amulettverschreibungen, die den Blutsverschreibungen parallel laufen. Dazu einige Beispiele:
Das beste Beispiel auf dem Gebiet der Amulettverschreibungen dürfte wohl Samuel Kellers Bericht über Frau Brandstätter sein. Frau Brandstätter hatte morgens und abends um 9 Uhr Anfälle, bei denen eine Männerstimme aus ihr sprach. Während des Anfalles konnte sie Pfr. Keller Dinge berichten, von denen sie unmöglich wissen konnte. Sie sprach auch in diesem Zustand ein fließendes Hochdeutsch, das sie sonst als Krimdeutsche nicht beherrschte. Charakterlich war sie völlig umgewandelt. Im Normalzustand war sie demütig, bescheiden, anständig, während des Anfalles war sie roh, unanständig, tobsüchtig und hatte unheimliche Kräfte. Eines Tages sah Pfr. Keller ein Ledersäckchen am Hals der Frau. Er packte es, um es abzunehmen. Da schrie eine Männerstimme, die sich sonst als die Stimme eines Zigeuners Elkimo ausgab: »Gib das Säckchen nicht her!« Keller riß es ab. Der Anfall ließ sofort nach, und die Frau wurde restlos gesund. In dem Säckchen war ein Zettel mit einem Verschreibungszauber. Am Anfang standen einige sinnlose hebräische Redensarten. Dann folgte in lateinischer Schrift: „Ich bin es, der die sieben Fieber in seiner Hand hat und die sieben Kräfte kann ausgehen lassen, und wenn du dies verbirgst und in meinem Namen lebst, wird dir alles gelingen, und ich werde dich behüten.“ Den Schluß bildeten wieder einige hebräische Worte. Frau Brandstätter bekannte, daß sie einige Jahre zuvor dieses Amulett von einem Zigeuner gekauft hätte. Keller schreibt dazu: „Offenbar lag hier ein Zusammenhang vor zwischen abergläubischem Gebrauch solcher Zaubermittel und der Einwirkung dunkler Mächte.“
Die Frau gesundete, als der Verschreibungszauber abgelegt wurde. Ein ähnlicher Fall spielte sich in den letzten Jahren in einem bekannten christlichen Heim ab.
Eine Mutter zog für ihr 12jähriges, krankes Töchterchen viele Ärzte zu Rate. Alle Behandlungen hatten keinen Erfolg. Schließlich wandte sie sich an einen Reichgottesarbeiter, der sie sowohl in eigenem Anliegen als auch in dem Krankheitsfall des Kindes beraten sollte. Die Mutter blieb wochenlang in dem Heim, ohne daß in dem merkwürdigen Zustand des Mädchens eine Besserung eintrat. Eines Tages beobachtete der Seelsorger an dem Hals des Kindes ein Kettchen mit einem Amulett. Er bat die Mutter um dieses Metallkäpselchen. Die Frau weigerte sich zuerst mit dem Hinweis, es sei ihr stark anbefohlen worden, das Amulett nie von dem Hals des Kindes zu entfernen, sonst würde der Zustand des Kindes noch schlimmer werden. Der Seelsorger, der sich in den okkulten Praktiken auskannte, schöpfte Verdacht, klärte die Mutter auf und erhielt dann die Kapsel. Er entnahm tatsächlich einen Verschreibungsspruch, den er der erstaunten Frau vorlas und dann vernichtete. Von diesem Tag an wurde das Befinden des Kindes besser, und es konnte geheilt das Heim verlassen.
In diesen beiden Fällen muß die rückläufige Koinzidenz festgehalten werden. Die psychischen Störungen verschwanden mit der Vernichtung der Amulettverschreibung. Diese Häufigkeitsbeziehungen haben den gleichen Charakter wie die zeitliche Kongruenz der Entstehung psychischer Störungen und der okkulten Betätigung.
In diesen Zusammenhang des Fetischismus und der Amulettverschreibung gehört auch das indirekte Verschreiben durch den Besitz und die Aufbewahrung von Zauberbüchern. Unter die Zauberbücher, die im Volke im Umlauf sind, gehören folgende Titel: „Tennenbronner Zaubersprüche“, „Romanus Büchlein“, „Der schwarze Rabe“, „Heiliger Segen“, „Der wahrhaftige, feurige Drache“, „Der wahre, geistliche Schild“, „Das siebenmal versiegelte Buch“, „Engelshülfe“, „Geheime Kunstschule“, „Der Gesundbetungspsalter“, „Das 6. und 7. Buch Moses“, „Das 8. bis 13. Buch Moses“ . Das weit verbreitete und in seinen unheimlichen Auswirkungen am besten zu verfolgen ist das sogenannte 6. und 7. Buch Moses. Wenn in diesem Abschnitt von der indirekten Verschreibung die Rede ist, so kann das mit diesem 6. und 7. Buch Moses belegt werden. In dem 6. Kapitel des 6. Buches wird folgender Vertrag gemacht: Dem jeweiligen Besitzer des Buches verspricht Luzifer zu helfen und alle seine Befehle auszu¬führen, aber nur, solange er das Buch besitzt. Wenn nun diese Beziehungen, die hiermit zwischen dem Buchbesitzer und Luzifer angekündigt werden, alle aus Dummheit und törichtem Volksaberglauben geboren sind, wenn der Teufelsglaube nur der bemitleidenswerte Wahn einer urerleuchteten Zeit ist, so kann man das mit einer Handbewegung abtun. Im rationalen Zeitalter hält man sich dann nicht mehr über solche Banalitäten auf. Merkwürdig ist allerdings die seelsorgerliche Beobachtung, daß in allen Häusern und Familien, in denen das 6. und 7. Buch Moses aufbewahrt oder gar damit gearbeitet wird, seelische Erkrankungen mancherlei Art zu finden sind. Unter den vielen Beispielen, die in der Seelsorge bekanntgeworden sind, soll eines herausgegriffen werden.
Ein Kirchenältester, der jahraus, jahrein treu zum Gottesdienst kam, lag auf dem Sterbebett. Der Mann, der sonst immer die Haltung des kirchlichen Menschen einnahm, ließ auf dem Sterbebett die bisher gewahrte Haltung fahren. Er fing an, schrecklich zu fluchen und Gott und Christus zu lästern. Er wehrte den geistlichen Zuspruch seiner Angehörigen ab, wollte nichts mehr wissen von Gottes Wort und Gebet und verschied unter schrecklichen Verwünschungen. Nach seinem Tode fand man im Nachlaß das 6. und 7. Buch Moses.
Wenn man die Besitzer dieser Zauberbücher nach einheitlichen Gesichtspunkten zusammenfassen will, so schälen sich drei Typen heraus.
Die erste Gruppe arbeitet unter frommem Deckmantel. Sie hält das Zauberbuch für ein frommes Buch. In allen mir bekannten Fällen fiel dann auf dem Sterbebett die fromme Maske ab.
Die zweite Gruppe ist von der Verwerflichkeit ihres Treibens überzeugt. Sie hält den Besitz des Buches ängstlich geheim. Oft weiß niemand in der ganzen Familie, außer dem Besitzer, von der Existenz des Buches. Vor dem Tod wird dann das Buch dem Ältesten übergeben, der dann in diese Geheimnisse eingeweiht wird.
Die dritte Gruppe wagt es, vor dem Angesicht der Ewigkeit das finstere Treiben zu offenbaren. Sie ruft vom Sterbebett aus die Familie zusammen, enthüllt das okkulte Treiben und bittet darum, die Zauberbücher zu verbrennen. Allen drei Gruppen gemeinsam ist das Behaftetsein mit mancherlei seelischen Störungen. In den vielen in der Seelsorge kennengelernten Beispielen ist kein Besitzer des 6. und 7. Buches Moses dabei, der ohne seelische Komplikationen ist. Es ist auf Grund dieses empirischen Befundes nicht möglich, diese Häufigkeitsbeziehungen zu verharmlosen und sie einfach als Auswirkung einer Dämonengläubigkeit abzutun. Merkwürdig ist im Blick auf diese beobachteten psychischen Störungen die Tatsache, daß die Auswirkungen der direkten und der indirekten Verschreibung fast die gleichen sind. Es ist lediglich ein kleiner Unterschied in der Intensität zu bemerken.
Aus Der Aberglaube, von Paul Bauer
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