Der Segen des Leides (Sondheimer)
Friedrich Sondheimer
Der Segen des Leides
Allgemeines über den Segen des Leides
Manche Menschen fragen: „Wie soll ich an einen gerechten, liebevollen und allmächtigen Gott glauben, wenn ich all das Leid auf dieser Erde wahrnehme? Er müßte doch dann jedem Kriege mit einem Male ein Ende bereiten und die Menschen aus allen Leiden befreien!“
Wir werden sehen, daß das Leid einen Sinn hat und von weit größerer Bedeutung ist, als es weithin erkannt wird. Deshalb reden wir auch vom Segen des Leides und bekennen uns damit zu einer vernünftigen Weltordnung. Wir müssen dabei etwas weiter ausholen.
Der Mensch ist die Krone einer sinnvollen Schöpfung.
Gott hat alle Dinge erschaffen, auch den Menschen. Daß der Mensch die Krone der Schöpfung ist, geht daraus hervor, daß er
die Tierwelt beherrscht;
einen geistigen Hunger hat;
wissenschaftliches Interesse bekundet;
Kunstsinn besitzt und
einen religiösen Zug in seinem Wesen aufweist.
Der Mensch beherrscht die Tierwelt.
Er hat durch seine Intelligenz Macht über die größten Tiere, denn er erlegt oder zähmt sie. Ein Elefant hat noch keine Schußwaffe erfunden, ein Löwe noch keinen Menschen in einen Käfig eingesperrt. Der viel schwächere Mensch aber ist dazu imstande, was seine große Überlegenheit der Tierwelt gegenüber beweist.
Der Mensch hat geistigen Hunger
Das Tier kennt solchen Hunger nicht. Ein Pferd mag sich ganz wohl fühlen, wenn es gut versorgt ist, bei der Arbeit nicht überfordert wird und einen ordentlichen Stall hat. Der Mensch hingegen ist mit der Befriedigung rein körperlicher Bedürfnisse keinesfalls zufrieden, er hat einen geistigen Hunger. Ein Hühnervolk liest keine Tageszeitung, ein Bienenschwarm erfreut sich nicht an einer Symphonie, ein Ameisenvolk kommt nicht zu einer politischen oder religiösen Versammlung zusammen, und eine Affenherde besucht kein Kino.
Der Mensch hat wissenschaftliches Interesse.
Er richtet seine Fernrohre auf den Himmel und durchforscht die Sternenwelten; er nimmt ein Mikroskop und untersucht die Herrlichkeiten, die für unser bloßes Auge nicht mehr sichtbar sind; er treibt Chemie, Physik, Mathematik, Geschichte Geographie u.a.m. Wo haben wir schon ein Tier gefunden, das wissenschaftliches Interesse bekundet hat?
Der Mensch hat Kunstsinn.
Das Tier hat nur Instinkt. Wohl baut die Biene ihre sechseckige Zelle, dies Wunderwerk der Raumausnutzung, der Webervogel flicht ein kunstvolles Nest, und die Spinne webt ihr Netz zum Fang ihrer Beute, so daß wir darüber nur stauenen müssen, aber sie handeln dabei nicht nachdenkend, sondern rein intinktiv. Wie töricht sie dabei manchmal sind, beweist die Tatsache, daß etwa die Singvögel es noch nicht einmal merken, wenn ein Kuckuck sein Ei in ihr Nest gelegt hat, obwohl das heranwachsende Tier später ihre eigenen Jungen über den Nestrand hinauswirft und sich allein groß füttern läßt. Selbst Hunde und Affen handeln nur instinktmäßig, aber nicht mit Verstand und Vernunft, wenn es ihnen auch gelegentlich angedichtet wird. Der Mensch hingegen meißelt, malt dichtet, komponiert und zeigt allerlei Kunstfertigkeiten.
Der Mensch hat einen religiösen Zug in seinem Wesen.
Bei dem Tiere finden wir etwas derartiges nicht. Der Mensch glaubt, er hofft, er liebt, er betet, er spottet, er lästert je nach seiner Einstellung. Er unterscheidet sich auch darin wesenlich vom Tiere. „Das geistige Band fehlt zwischen Tier und Mensch“. Deshalb kann er auch nicht ins Tierreich eingeordnet werden, sondern stellt für sich ein ganz besonderes Reich dar, wenngleich er in gewissen körperlichen Funktionen den Säugetieren ähnlich ist.
Das Dasein des Menschen, der die Krone einer sinnvollen Schöpfung ist, muß in ihr den höchsten Sinn haben und ebenso das Leid, das ihn durchs Leben begleitet.
Wir müssen immer wieder staunen, mit welcher Weisheit alles in der Schöpfung eingerichtet ist, ob wir nun die Ordnung der Sternenwelten bewundern oder den Bau des Menschenleibes, die Schönheit des Schmetterlings oder einer duftenden, farbigen Blume, ob wir die Majestät eines Gebirges oder des Meeres, die Formung einer Muschel oder die Pracht eines Edelsteines bestauen. Überall wunderbare Weisheit, Ordnung und Schönheit! Nur das Böse in der Welt ist nicht zu bewundern, es gehört nicht hinein. Und doch haben gerade um des Bösen willen Kriege, Inflation, Hungersnöte Epidemien, Naturkatastrophen und Unglücksfälle einen Sinn und eine Bedeutung. Dächten wir anders, so müßten wir erklären, daß das Weltgeschehen sinnlos sei und wir in einem Tollhaus säßen. Wie könnte das aber denkende Wesen befriedigen?
Um den Sinn des Leides recht zu würdigen und vom Segen des Leides reden zu können, müssen wir einiges beachten.
Das Leid ist eine gottgewollte Reaktion auf das Böse.
Wie ein Damm die wilden Fluten des Meeres bezwingt und zähmt, so werden die Mächte des Bösen im Leide bezwungen und gebändigt. Wie unendlich würde sich das Böse steigern, wenn die Menschen darin nie aufgehalten würden! „Wer am Fleische leidet, hört auf zu sündigen“, heißt es in 1. Petri 4, 1. Gesetzmäßig wirkt sich das Handeln der Menschen entsprechend ihrer Einstellung für oder wider sie aus, und so wird das Leid für sie eine Korrektur.
Manche Geschehnisse können wir jetzt schon verstehen; sie sind offenbare Strafgerichte des Höchsten über die Bosheit der Menschen.
So war die Sintflutkatastrophe, die übrigens in den Sagen fast aller Völker ihren Niederschlag gefunden hat, ein Gericht über die Menschen, weil sie sich von Gottes Geist nicht mehr strafen lassen wollten (1. Mose, Kap. 6+7). So war der Untergang von Sodom und Gomorrha eine Abrechnung des Höchsten mit der Ruchlosigkeit jener Menschen (1.M.19). Ähnliche Beispiele ließen sich noch mehr anführen. – Und sehen wir nicht auch heute, wie der Allmächtige mit schwerem Schritt durch die Geschichte geht? Wie viele Menschen haben denn ihrem Schöpfer für all Seine Güte gedankt, Ihn verehrt und angebetet, als es ihnen gut ging? Wollten nicht die allermeisten ohne Gott in eigener Kraft und Weisheit fertig werden? Wollten sie nicht unabhängig sein, obgleich sie mit jedem Bissen Brot und jedem Schluck Wasser, jedem Atemzug und jedem Schlaf ihre völlige Abhängigkeit Tag und Nacht bekunden mußten?
Mit dem Tode ist nicht alles aus.
Auch diesen Punkt müssen wir sehr deutlich betonen, wenn wir den Segen des Leides recht würdigen wollen. Es gibt ein Fortleben nach dem Tode, ein zukünftiges Gericht und eine ewige Vergeltung. Was hätte das Leben für einen Zweck, wenn wir nur geboren würden, um zu sterben? Verbrechen, Irrsinn und Selbstmord sind die Folgerungen des Unglaubens. Denn wenn mit dem Tode alles aus wäre und ich mich doch keinem ewigen Richter gegenüber zu verantworten hätte, dann könnte ich machen, was ich wollte. Nur müßte ich schlau genug sein und dürfte mich nicht erwischen lassen. Warum sollte ich mir dann das Leben nicht auf allerlei Weise auf Kosten anderer angenehm machen? Träte mir jemand dabei hindernd in den Weg, so ginge ich mit dieser gottlosen Gesinnung über Leichen. Bei einer solchen Einstellung hätte auch das Opfer keinen Sinn mehr. Paßte mir schließlich die ganze Sache nicht mehr, nähme ich mir das Leben. Dahin führt der Unglaube. Aber er irrt gewaltig! Mit dem Tode ist nicht alles aus. Wir sind keine höheren Affen, die irgendwo verenden. Die Sittlichkeit bekommt ihren eigentlichen Wert erst dadurch , daß es ein Fortleben nach dem Tode und ein zukünftiges Gericht gibt. Tugend und Opfer bekommen nur so ihre Bedeutung.
Wir müssen alles Geschehen von einer ewigen Warte aus ansehen.
Im Lichte der Ewigkeit müssen wir die Ereignisse werten. Wer das nicht tut, der findet sich nicht zurecht. Das Kleine muß uns klein und das Große muß uns groß werden. Wir dürfen nicht an Kleinigkeiten und Einzelheiten hängen bleiben, sondern müssen in Verbindung mit dem schon Erwähnten eine Gesamtschau zu gewinnen suchen. Dann sehen wir ewige Pläne zur Durchführung kommen, und das Leid bekommt einen rechten Sinn im Gesamthaushalt der Schöpfung für uns (Jes. 55, 6-9).
Wir dürfen nicht fragen: Warum?, sondern müssen fragen: Wozu?
Wir dürfen also nicht nach dem Grunde, sondern müssen nach dem Zwecke des Leides fragen. Vieles können wir zwar noch nicht verstehen, weil es uns nie möglich sein wird, jetzt schon eine letzte Gesamtschau über alles Geschehen zu gewinnen, dazu müßten wir an Gottes Stelle stehen. Wenn wir, wie Gott, alles wüßten, hinter jede Weltkulisse schauen und alle Fäden zusammenlaufen sehen könnten, dann würde wir gewiß alles verstehen und die Gerechtigkeit Gottes bewundernd anbeten. Sobald wir alles Leid in unserem Leben sinnvoll werten, wird es uns zum Segen werden, auch wenn wir noch nicht alles verstehen. Und diese Überzeugung müssen wir gewinnen, denn Gott meint es nicht böse mit uns; Er hat nur Gedanken der Liebe und des Friedens mit den Menschenkindern, auch wenn Er sie durch Gerichte hindurchfüht.
Welchen Sinn hat nun das Leid im Leben der Menschen?
Wer vom Segen des Leides redet, muß nachweisen, daß das Leid einen Sinn hat. Wir haben eben dargelegt: Das Dasein des Menschen als Krone der Schöpfung hat den höchsten Sinn auf dieser Welt. Da er nun durch so mannigfaches Leid geführt wird, muß das Leid in seinem Leben auch einen höchsten Sinn haben. Das trifft auch zu, weil er für ewige, herrliche Ziele geschaffen worden ist und nicht in der Gottesferne untergehen soll. Das Leid soll uns zum Segen und Gewinn werden. Wir werden in den Ausführungen der weiteren Kapitel darüber im einzelnen noch manches erfahren. Doch soll hier zu Beginn wie bei einer Ouvertüre schon das Thema in seiner mannigfachen Variation aufklingen.
Das Leid soll und von der Erde lösen.
Ohne Zweifel könnte der allmächtige Gott alles Leid aus der Welt mit einem Schlage beseitigen, wenn Er es wollte. Er tut es aber nicht, weil Er uns für ewige Aufgaben ertüchtigen will. Auf keinen Fall dürfen wir uns an die Erde verlieren, sondern müssen unseren Blick der Ewigkeit zuwenden, um die Krone des Lebens zu erlangen. Wie kann Gott aber den Menschen dahin bringen, wenn Er ihm alle seine irdischen Wünsche und Pläne erfüllte oder gelingen ließ? Wie selbstsicher und stolz wäre der Mensch dann!
Das Leid soll uns auf unsere Echtheit prüfen.
Ohne Zweifel könnte Gott die Menschen von seinem Dasein so erschütternd überzeugen, daß sie alle zitternd vor Ihm niederfallen würden. Er tut es nicht und bleibt in der Verborgenheit, um keinen Menschen in seinem freien Entschluß, Ihm zu dienen oder nicht, zu vergewaltigen. Aus diesem Grunde mischt Er sogar die Lose der Menschen so, daß es Gläubigen vorübergehend oft recht übel ergeht, während Gottlose sich ebenfalls vorübergehend eines außerordentlichen Glücksstandes erfreuen dürfen. Im 73. Psalm wird das ausgesprochen. Angenommen, Gott ließe es allen Frommen äußerlich sichtbar sehr gut ergehen, allen Gottlosen aber sehr schlecht, so würden die Menschen durch diese Tatsache zu einer schäbigen Händlergesinnung erzogen werden. Alle wollten dann natürlich fromm sein oder doch erscheinen, damit es ihnen gut erginge. So aber verwirrt Gott absichtlich das falsche und selbstsüchtige Denken der Menschen, damit die Frömmigkeit echt und lauter erscheine. Das Leid muß also im Leben der Menschen manches wirken, bei den einen Lösung von der Erde, bei anderen führt es zu einer Prüfung ihrer Echtheit und Treue. Der Goldschmied wirft das Gold ins Feuer und läßt es solange darin, bis er sein eigenes Bild erschauen kann. Dann erst ist der Läuterungsprotzeß beendet.
Das Leid macht uns barmherzig und mitleidig.
Es erweckt in uns Verständnis für andere. Wie hart, lieblos und unbarmherzig würden wir werden, wenn nie eigenes Leid uns die Augen öffnen würde für die Schmerzen anderer. Als die bekannte Engländerin Mrs. Butler einst von einer längeren Reise heimkehrte, eilte ihre ebenso begabte wie schöne Tochter der Mutter die Treppe herab entgegen, stürzte aber dabei über das Treppengeländer und war – tot. Die Mutter schreibt dann: „Als ich nun die lange, furchtbare Nacht bei der Leiche meines einzigen Kindes saß, da tat ich das Gelübde, mein Leben der Rettung tiefgefallener Mädchen zu widmen, die noch viel, viel unglücklicher sind als mein Kind.“ Ihre ganze Kraft galt fortan dem Kampf gegen die Prostitution. Welch ein Segen ist durch das Leid in die Welt geflossen! Die Ewigkeit wird es voll offenbar machen.
Das Leid soll uns in die Arme des Heilands treiben und vollenden.
Bei einer Explosion in einer Fabrik verunglückten verschiedene Arbeiterinnen, besonders ein junges Mädchen wurde im Gesicht so verbrannt, daß alles eine einzige Brandwunde war, die ihre frühere Schönheit für immer vernichtete. Als sie der Genesung entgegenging, sagte ihr eine Besucherin: „Nicht wahr, das war der schrecklichste Tag in Ihrem Leben, als das Unglück geschah?“ „Im Gegenteil“, versetzte die Kranke, „es wurde mein bester. Denn dadurch wurde ich nicht nur gründlich von all meiner Eitelkeit geheilt, sondern ich lernte auch den Heiland kennen und lieben, der für mich noch Schwereres erduldet hat. Ich bin jetzt glücklicher als zuvor.“
Ein früherer Kollege von mir, Oberjustizsekretär H. in Th., wollte lange nichts von Gott wissen, bis ihm Gott sein einziges Söhnchen nahm, dann bekehrte er sich und pries Gottes ernste, aber heilsame Wege.
Überblick.
Das Ziel des Leides ist immer zunächst Lösung von der Erde, wir sollen die Nichtigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen erkennen. Dann sollten wir von der Sünde befreit werden, wie das Gold von den Schlacken befreit wird. Wir sollen ferner Verständnis für unsere Mitmenschen in Liebe und Barmherzigkeit bekommen. Das Höchste aber ist es, daß wir durchs Leid in die Arme unseres Erlösers Jesus Christus getrieben werden und in der Gemeinschaft mit Ihm zur Vollendeung gelangen.
Zu unserem Troste dürfen wir dabei wissen, daß das Leid abgemessen und abgegrenzt ist. Es muß immer erst an Gottes Thron vorüber, ehe es zu uns kommen darf. So ist es ein Beweis, daß sich Gott um uns bemüht, wenn Er uns Leidenswege führt. Gott weiß alles; Er trägt mit uns und hilft uns. Er will unser Bestes und unser Wohl. Alles Leid ist nicht wert der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll (Röm. 8,18). Im Lichte der Ewigkeit währt es ja nur einen Augenblick, wenn es uns auch lang erscheinen mag. Nach dem Regen scheint die Sonne um so schöner. Wir werden das Leid einmal segnen, weil es uns außerordentlich nützlich gewesen ist.
„Herr, schicke, was Du willst,
ein Liebes oder Leides;
ich bin vergnügt, daß beides
aus Deinen Händen quillt.“
(Eduard Mörike)
„Der aus den kahlen Dornenhecken,
die roten Rosen glühend schafft,
der kann und will auch dich erwecken
aus tiefem Leid zu junger Kraft.“
(Emanuel Geibel)
„Gott schickt am End’ uns Leiden,
auf daß uns diese Welt,
wenn wir nun von ihr scheiden,
nicht mehr so mächtig hält.“
(Justinus Kerner)
„O, klage nicht, daß Not und Fährde
zernichte jedes Glück der Erde!
Des Menschen wahrer Segen taut
nur dem, der auch sein Leid geschaut“.
(Peter Sirius)
„Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach Seinem Vorsatz berufen sind“ (Röm. 8, 28).
„Siehe, zum Heil ward mir das bittere Leid (Jes. 38, 17).
Der Segen des Leides ist offenbar und überaus mannigfaltig. Gepriesen sei Gott fürs Leid! Einmal wird Er alle Tränen von unseren Augen abwischen (Offbg. 7, 17; 21,4). Über alles hinweg schau auf das Kreuz von Golgatha! Dort litt und starb Gottes Sohn für dich. Gott selbst nimmt in Seinem Sohne den regsten Anteil am Menschheitsleid, tilgt die Sünde als Urheberin alles Leides und führt die Welt zur herrlichen Erneuerung und Vollendung durch Christus. Dann wird es kein Leid, keinen Schmerz, kein Geschrei und keinen Tod mehr geben (Offbg. 21,4).
Das Strafleiden des David
Gott ist ein heiliger und gerechter Gott, der nicht das Krumme grade sein lassen kann. Er treibt auch keine Günstlingswirtschaft mit Seinen Kindern, sondern Er erwartet von ihnen ein besonderes Maß von Heiligkeit. In dem Maße, wie Er sie auf allerlei Weise begnadet und begabt hat, stellt Er auch besondere Anforderungen an sie. Das müssen wir einleitend ernst betonen, wenn wir jetzt über das Strafleiden des David reden wollen.
Die außerordentliche Begnadigung Davids
David war der Sohn eines schlichten Mannes, der in seiner Jugend das Kleinvieh seines Vaters Isai gehütet hatte. Als einfacher Hirt wurde er auf Gottes Weisung hin von dem Propheten Samuel zum König gesalbt (1. Sam. 16, 6-13). Durch Gottes Führung kam er bald danach als Harfenspieler an den Königshof und lernte auf diese Weise höfisches Leben kennen (1.Sam. 16, 14-23). Weil Gott fernerhin mit ihm war und ihn groß machen wollte, erweckte Er in ihm einen heldenhaften Geist und ließ es ihm gelingen, die Riesen Goliath im Zweikampf zu besiegen und so ein berühmter Mann zu werden (1.Sam. 17, 41-54).
Im weiteren Verlauf der Dinge wurde er ein persönlicher Freund des Prinzen Jonathan, der ihn in sein Herz schloß und ihn wie sein eigenes Leben liebgewann (1.Sam. 18,1). David hatte fernerhin außerordentliches Kriegsglück unter der schirmenden und segnenden Hand seines Gottes und wird sogar der Schwiegersohn des Königs Saul, der ihm seine Tochter Michal zur Frau gibt (1.Sam. 18, 6-9; 20-30).
Als dann der König auf seinen tüchtigen Schwiegersohn eifersüchtig wird und ihm sogar nach dem Leben trachtet, ja, ihn zweimal mit seinem Speer zu töten sucht, wird David wunderbar bewahrt und kann sein Leben durch die Flucht retten (1.Sam. 18, 10-12; 19, 8-17). Gottes hand ist auf manchen Kriegszügen mit ihm, so daß es ihm gelingt, was er vornimmt (1.Sam.18, 13-16). Als er schließlich von dem Könige wie ein Rebhuhn auf den Bergen längere Zeit hindurch verfolgt wird, entgeht er allen Nachstellungen Sauls und wird nach dem Tode seines Schwiegervaters König in Hebron (1.Sam. 20-30; 2.Sam. 1, 1-11).
Aber noch mehr schenkt ihm sein Gott. David wird nach mehr als sieben Jahren König in Jerusalem. „Seine Macht wuchs immer mehr, weil der Herr mit ihm war“ (2. Sam. 5, 6-10). Alle seine Feinde ringsum kann er besiegen und für Israel eine goldene Zeit heraufführen (2. Sam. 5, 17-25; 8, 1-15).
Infolge dieser außerordentlichen Gnade Gottes hatte David nun auch eine besondere Verantwortung vor Gott, denn Gnade verpflichtet. In diesem Sinne redete der Herr beim Tode Nadabs und Abihus (3. Mose 10, 1-3): „An denen, die Mir nahestehen, will ich Mich als heilig erweisen und vor dem ganzen Volk Meine Herrlichkeit offenbaren.“ Und das Wort Hes. 9, 6: „Und bei Meinem Heiligtum macht den Anfang (mit Gerichtsvollzug)“, liegt auf derselben Linie. Deshalb durfte Mose auch nicht in das Heilige Land kommen, weil er nach außergewöhnlichen Gnadenerfahrungen Gott nicht die Ehre gegeben hatte. Gott hatte sich diesem großen Propheten herrlich in seinem Leben geoffenbart. Am Haderwasser aber handelte Mose so, als wenn durch seine eigene Weisheit und seinen starken Arm dem Volke Hilfe in der Not zuteil geworden wäre. Gott ließ Seinen Knecht nicht im Stich, sondern er sandte wirklich Hilfe, aber zur Strafe durfte er den Jordan nicht überschreiten, sondern er konnte nur vom Berge Nebo aus der Ferne das Land seiner Sehnsucht sehen (4. Mose 20, 6-13; 5. M. 3, 23-29). Je mehr Gnade uns der Allmächtige in unserem Leben geschenkt hat, desto schlimmer ist jeder Ungehorsam gegen Ihn und desto schwerer wird aus erzieherischen Gründen die Bestrafung sein.
Davids tiefer Sündenfall
Solange David mit seinen Kämpfern ins Feld zog, lesen wir nichts von einem Sündenfall. Der große Mann fiel erst in Sünde, als er es sich bequem machte, während seine Mannen im offenen Kampfe standen. Er beging Ehebruch mit Bathseba. Das mißfiel dem Herrn sehr. (2. Sam. 11, 1-27). Die nächste tiefere Stufe war, daß er zum Mörder ihres Mannes wurde, indem er den Befehl gab, ihn an einen Brennpunkt des Kampfes zu stellen, nachdem es dem König nicht gelungen war, die Spuren seiner Schandtat zu verwischen. Nach dem Tode Urias und nach Ablauf der Trauerzeit nahm er dann Bathseba zur Frau. Damit war der Sündenfall vollendet. Aber jetzt redet Gott zu dem so hoch begnadeten Manne in sehr ernster Weise.
Das von Gott über David verhängte Strafleiden.
Wir können im Leben Davids geradezu einen Schnitt machen. Vor seinem Sündenfall gelang ihm in auffälliger Weise alles, was er sich vornahm. Nach dem Sündenfall wich das Leid nicht mehr von seinem Hause und verursachte ihm schwere Demütigungen. Der König mußte nun erleben, daß er es mit einem heiligen und gerechten Gott zu tun hatte, der Seinen hohen Namen nicht von den Seinen in den Schmutz ziehen läßt. Zunächst geriet David in eine furchtbare Gewissensnot- und pein. Der 32. Psalm läßt uns einen Blick in seine innere Verfassung tun. Er spricht dort aus: „Da ich’s wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine duch mein tägliches Heulen. Denn Seine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird.“ Diese Gewissens- und Seelenqualen um der Sünde willen sind ein Stafleiden für alle Übeltäter.
Dazu kam dann noch die Strafrede und Unheilsverkündigung des Propheten Nathan, der dem David von dem reichen Manne erzählte, der seinem Besuch das einzige Lamm des armen Mannes vorsetzte, so daß der König zur Sündenerkenntnis und Reue bewegt wurde (2. Sam. 12, 1-14). David bekannte jetzt endlich seine Sünde und fand dafür auch Vergebung durch göttliche Zusage. Das bedeutete aber nicht, daß nun alles erledigt gewesen wäre. Das Stafleiden ging weiter. Gott ließ das Kind der Bathseba krank werden und sterben. Alles Bitten, Flehen und Fasten Davids half nichts, Gott übte Gericht an dem reich begnadeten Manne (2. Sam. 12, 15-23). Und nun sehen wir, wenn wir die Berichte über Davids weiteres Leben verfolgen, daß immer neue Gerichtsschläge sein Haus trafen. Er hatte eine schwerde Sünde der Unreinheit und des Mordes begangen, und jetzt wurde ihm vergolten, wie er gehandelt hatte. Sein Sohn Amnon beging eine Schandtat an seiner Halbschwester Thamar (2. Sam. 13, 1-22). Diese gemeine Tat sühnte Absalom damit, daß er seinen Halbbruder Amnon erschlagen ließ (2. Sam. 13, 23-29). Schließlich empörte sich der ruchlose Absalom wider seinen Vater David und suchte die Herrschaft des Reiches an sich zu reißen, kam aber dabei ums Leben (2.Sam. 15-19). Mit Entsetzen sehen wir hier, wie Gott trotz vergebener Sünde am Hause Davids Gericht übt, weil er die Feinde des Herrn lästern gemacht hatte. Obwohl Nathan dem David göttliche Vergebung zugesichert hatte und David selbst im 32. Psalm mit tief empfundenen Worten die Seligkeit solcher Vergebung rühmt, muß er doch zu seiner Läuterung von nun an ein Stafleiden durchmachen.
Gewiß haben wir heute durch das Opfer von Golgatha ein Sühn- und Sündopfer, das unsere Sünden tilgt, so daß Gläubige nicht ins Jüngste Gericht kommen können und dem Zorne Gottes entronnen sind. Aber viele Jünger Jesu haben eine falsche Vorstellung von der Sündenvergebung, indem sie ganz das Gesetz von Saat und Ernte übersehen. Es muß sehr ernst betonte werden, daß das Opfer von Golgatha das Gesetz von Saat und Ernte auf keinen Fall aufhebt, wenn wir auch wunderbar errettet sind. Es gibt genug Stellen in der Heiligen Schrift, aus denen der ganze Ernst unserer Verantwortung hervorgeht. Wäre es anders, würden wir wahrscheinlich alle leichtfertig werden und das furchtbare Gewicht der Sünde nicht tief genug empfinden. Galater 6, 7-8 wird an Gemeinden Christi geschrieben:
„Irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät das wird er auch ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird vom Geist ewiges Leben ernten!“
Wir brauchen dieses ernste Wort gern, um es Spöttern entgegenzuhalten, es ist jedoch offensichtlich zunächst an gläubige Menschen gerichtet. Ganz auf derselben Linie liegt auch das Wort 1. Petri 4, 17: „Es ist Zeit, daß das Gericht am Hause Gottes anfange; wenn aber bei uns, was wird mit denen werden, die der Heilsbotschaft nicht gehorchen?“
Und 2. Kor. 5, 10: „Wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, auf daß ein jeglicher empfange, nach dem er bei Leibesleben gehandelt hat, es sei gut oder böse“.
Zur Zeit Friedrich des Großen waren in seinem Heere unter den Offizieren immer wieder Ausschreitungen vorgekommen, so daß sich der König genötigt sah, strenge Maßnahmen zu ergreifen. Kurz darauf machte sich ein angesehener Offizier einer solchen Zuchtlosigkeit schuldig und sollte nun schwer bestraft werden. Vornehme Männer verwandten sich für ihn beim König und wiesen darauf hin, was für ein gebildeter und angesehener Mann jener Offizier sei. Der König könne ihn deshalb doch nicht so drakonisch bestrafen. Friedrich der Große aber erwiderte, er habe noch garnicht gewußt, daß es sich um einen so hervorragenden Mann handele, da müsse er ihn ja noch viel schwerer besrafen, denn von einer solchen Persönlichkeit könne man doch viel mehr erwarten als von einer weniger vornehmen.
In derselben Weise denkt der Ewige über Seine Kinder, die vor vielen anderen reich begnadigt worden sind. Infolgedessen haben sie auch mehr Verantwortung, und Gott bestraft sie in dem Maß schwerer, als er ihnen Gnaden und Gaben geschenkt hat.
Das Demütigungsleiden des Paulus
Die Begabungen und Charakterveranlagungen der Menschen sind sehr verschieden. Deshalb geht Gott auch verschiedene Erziehungswege mit Seinen Kindern, wie Er es in Seiner ewigen Weisheit für nötig hält. Johannes konnte auf Patmos ein ganzes Buch hoher Offenbarungen empfangen, ohne daß es ihm zu innerem Schaden, zur Sünde des Hochmuts gereicht wäre. Infolge seiner Gesinnung und Einstellung wissen wir nichts von einem Demütigungsleiden bei ihm, Paulus hingegen bekam nach 2. Kor. 12, 1-14 nur eine außerordentliche Offenbarung. Und Gott hielt es bei ihm für nötig ihm ein Demütigungsleiden aufzuerlegen, damit er sich nicht überhebe.
Paulus geriet außer sich und wurde bis in den dritten Himmel entzückt und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch aussprechen kann. Vierzehn Jahre behielt er diese hohe Offenbarung für sich, ehe er sie mitteilte; gewiß ein gutes Zeichen seiner keuschen Zurückhaltung. Um den Einfluß unlauterer Gegner lahmzulegen, zeigt er, als er nun das Erlebnis preisgibt, daß er keinesfalls hinter diesen falschen Aposteln zurücksteht, und wir erfahren auf diese Weise auch von seinem Demütigungsleiden. Ein Pfahl, ein Dorn oder Stachel wurde ihm ins Fleisch gegeben, damit er sich der hohen Offenbarung nicht überhebe. In dem ganzen Abschnitt sind verschiedene schwer zu erklärende Stellen, so die bei Paulus eingetretene Ekstase, bei der er nicht wußte, ob er im Leibe oder außer dem Leibe gewesen ist, dann die Entrückung bis ins Paradies, in den dritten Himmel, ferner die unaussprechlichen Worte und endlich der Pfahl im Fleische. Manche meinen, Paulus hätte vielleicht ein Augenleiden gehabt, das ihm sehr hinderlich bei seinem Dienst gewesen sei, was aus Gal. 4, 15 und 6, 11 hervorginge, denn dort heißt es: „Ich muß das Zeugnis geben, daß ihr euch damals womöglich die Augen ausgerissen und mit geschenkt hättet“ und „Sehet, mit was für großen Buchstaben ich euch nun noch eigenhändig schreibe!“ Man könnte ein solches Augenleiden wirklich als einen „Dorn im Fleische“ beteichnen. Aber schlecht paßt dazu der Satansengel, von dem Paulus redet. Jedenfalls hat Paulus zu seiner Demütigung am Fleiche leiden müssen, damit er sich der hohen Offenbarung nicht überhebe. Worin dieses Leiden bestand, können wir nicht mit Gewißheit sagen. Er hat es auch nicht so ohne weiteres hingenommen, sondern in ernstem Flehen Gott gebeten, ihm das Leiden abzunehmen. Und als er nicht gleich erhört wurde, hatte er in weiterem Gebet angehalten, bis er schließlich vom Herrn die Antwort bekam, er solle sich an Gottes Gnade genügen lassen. Diese Antwort war keine Erhörung nach dem Wunsche des Apostels, sie war aber doch ein Ja Gottes: „Meine Gnade sei dir genug! Denn Meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit!“ Damit gab sich Paulus zufrieden, ja, er ging so darauf ein, daß er Wohlgefallen an Schwachheit, an Schmach, an Mangel, an Verfolgungen und Ängsten fand (V.10), mit der Begründung: „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“, weil er dann nicht mehr sich, sondern nur noch seinem Gott vertraute.
Aus dieser neutestamentlichen Stelle vom Demütigungsleiden des Paulus kann man aber nun nicht alle „Gottergebenheit“ herleiten, denn es gibt Stellen im Neuen Testament, die kräftig ermuntern, uns nicht mit unserem „Schicksal“ zufrieden zu geben, sondern im Gebet auf Gott zu vertrauen und von Ihm eine Änderung bitterer Verhältnisse zu erwarten. Nicht alles in unserem Leben ist Demütigungsleiden wie bei Paulus, sonst müßten wir auch, wie er, hoher Offenbarungen teilhaftig geworden sein. Hast du überhaupt schon mal durchgebetet, bis du eine klare Antwort Gottes bekommen hast? Hast du dich schon mit beiden Füßen auf die Verheißungen Gottes gestellt? Die vielen Motive des Neuen Testamentes ermuntern uns jedenfalls zu einem kühnen Vertrauen.
Wenn manche dann darauf hinweisen, daß Jesus doch gebetet habe: „Vater, Dein Wille geschehe!“, so muß hier festgestellt werden, daß Er nur in Gethsemane so gebetet hat, sonst niemals. Unser Herr dankte schon im voraus für die Erhörung Seiner Gebete und sagte: „Vater, Ich weiß, daß Du mich allezeit hörst!“ (Joh.11, 42). Und das geschah sogar bei einer Totenauferweckung. Wir dürfen uns mit unserem Unglauben nicht hinter dem „Willen Gottes“ verschanzen und diese Einstellung dann noch mit dem Mäntelchen der Gottergebenheit umhüllen, sondern müssen kindlich erwartungsvoll uns auf Gottes Zusagen gründen und Großes von Ihm erwarten, so lange Er uns nicht wie Paulus bestimmt hat wissen lassen, welchen Weg Er mit uns gehen will.
Bei der Auswertung der Wahrheit vom Demütigungsleiden nach 2. Kor. 12 kommen wir zu wichtigen Erkenntnissen. Durch den rechten Wechsel von Sonnenschein und Regen ist die Fruchtbarkeit in der Natur begründet. Würde es immerfort regnen, würde alles verfaulen. Würde die Sonne ohne Aufhören scheinen, würde alles verdorren. So ist es auch im geistlichen Leben: Segnungen und Demütigungen wechseln entsprechend unserer Charakterveranlagung im rechten Verhältnis miteinander ab, damit wir von Verzagtheit und Hochmut bewahrt bleiben. Somit wird unsere Fruchtbarkeit garantiert, und wir wachsen in der Heiligung, bis Phil. 2, 14 erfüllt ist, daß wir ohne Murren und ohne Zweifel als tadellose Gotteskinder erfunden werden.
Demütigungsleiden macht fruchtbar! Das Demütigungsleiden hat den Zweck, daß wir uns nicht mehr wegen unserer Vorzüge und Tüchtigkeiten rühmen, nicht mehr uns selbst bespiegeln und an uns selbst Wohlgefallen finden, sondern unserem Gott in Jesus Christus alle Ehre bringen und uns Seiner und Seiner Gnade allein rühmen.
Zum Schluß wollen wir noch einen Blick auf unseren Erlöser werfen. Niemand hat sich freiweillig so tief erniedrigt wie Er. Niemand ist aber auch so hoch erhöht worden wie Er. Laßt uns Ihm nachfolgen und uns freiwillig selbst erniedrigen, damit Gott uns zu Seiner Zeit erhöhen kann. Dann bleiben uns auch viele Leiden erspart, die uns sonst aus erzieherischen Gründen zu unserer Demütigung auferlegt werden müssen.
Das Zurüstungsleiden des Mose
Hierzu ist zu lesen 2. Mose 2 und 3, 1-12. Die Lebensgeschichte des Mose ist eine ganz eigenartige. In schwerer Drangsalszeit seines Volkes wurde er geboren und ausgesetzt. Aber Gott hielt Seine Hand über ihn und verkettete die Zusammenhänge so, daß er ägyptischer Prinz und als solcher in aller Weisheit der Ägypter unterrichtet wurde (Apg. 7, 22). Er war ein Mann, gewaltig in Wort und Tat. Gleich nach seiner Entwöhnung dem Elternhaus entrissen, erging es ihm gewiß sehr gut, aber er war nicht bei seinen Angehörigen. Sein Zurüstungsleiden begann schon bei seiner Geburt, steigerte sich aber im Laufe seines Lebens. – – Der ägyptische Prinz wurde aus natioalen Gründen zum Mörder und Flüchtling und schließlich im Lande Midian ein Kleinviehhirt. Mose war in der Erziehungsschule seines Gottes und wurde für große Dinge zugerüstet, aber er verstand die Wege des Herrn nicht. Fern der Heimat und dem gewohnten höfischen Leben, weilte er unter einfachsten Umständen in der Fremde. Zwischen Gebirge und Meer hütete er vierzig Jahre lang das Kleinvieh seines Schwiegervaters Jethro und wurde in der gewaltigen Natureinsamkeit zugerüstet für außerordentliche Aufgaben. Apg. 7, 23 lesen wir, daß er mit 40 Jahren den Mord begangen hatte, Apg. 7, 30, daß er nach weiteren 40 Jahren am Berge Sinai berufen wurde. Als er im Alter von 40 Jahren in eigener Kraft seinem Gott dienen wollte, konnte Er ihn nicht gebrauchen. Als er aber im Alter von 80 Jahren mit seiner eigenen Kraft zu Ende war, berief ihn der Ewige zu hohen Aufgaben. – – Jetzt endlich erkennen wir, warum Mose durch so viele Leiden hindurchgehen mußte. Er wurde in Gottes Hochschule zugerüstet für besondere Dienste. Und im weiteren Verlauf von 40 Jahren bis hin zu seinem Tode auf dem Nebo erkennen wir immer deutlicher, wie wunderbar Gott dieses Werkzeug zugerüstet hatte. Im Verhältnis zur größe seiner Aufgabe stand sein Zurüstungsleiden.
Aber nicht nur bei Mose sehen wir ein solches Zurüstungsleiden, sondern auch bei anderen Gottesmenschen. Denken wir nur an Paulus. Die Gefangensetzung des Apostels Paulus war auch ein solches Zurüstungsleiden. Wie viele Gebete um seine Freilassung mögen wohl zu Gott aufgestiegen sein, und doch blieb der Apostel im Kerker und mußte nach Rom. Damals verstanden die Gemeinden den Weg Gottes wohl nicht; heute sehen wir mit Staunen Gottes Wunderwege. Dieser große Apostel mußte langsam von den Gemeinden gelöst werden, ehe ihn Gott in die Ewigkeit berief. Aber Paulus war ja noch da und schrieb nun Briefe voll Geist und Leben, durch die die Gemeinden Jesu zu allen Zeiten und unter allen Nationen gestärkt, erquickt und geführt werden sollten. Von den 21 Briefen des Neuen Testaments sind 13 von Paulus, und der Hebräerbrief, dessen Schreiber man nicht genau kennt, seinem Inhalt nach ebenfalls. Gott rüstete Paulus zu, ein Werkzeug für die Gesamtheit aller Gemeinden von Pfingsten bis zur Entrückung zu sein. Deshalb mußte er schweres Zurüstungsleiden durchmachen. Heute preisen wir Gott dafür. Und wie wird der große Apostel einmal in der Ewigkeit Gott noch danken, wenn er dann sieht, welch ein unaussprechlicher Segen durch seine Gefangenschaft ausgelöst worden ist. Lernen wir daraus!
Auch heute müssen Kinder Gottes immer wieder durch Zurüstungsleiden hindurchgehen, oft ohne daß sie wissen warum. Wir sollten viel mehr auf solche Zurüstungen achten. So wurde Spurgeon einst zugerüstet, einem verzweifelten Manne zu dienen. Der berühmte Prediger stand einst tagelang unter schwerstem Druck im Gemüt. Er bekam die ganze Woche hindurch keinen anderen Text als Matth. 27, 46: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Spurgeon wehrte sich bis zum Samstagabend gegen diesen Text und wollte nicht darüber predigen. Schließlich sagte er seinem Herrn: „Wenn du mir denn keine Freudigkeit zu einem anderen Gotteswort schenkst, werde ich morgen in dem Gefühl meiner ganzen Verlassenheit über diesen Text predigen“. Und er tat es in einer erschütternden Weise. Nach dem Gottesdienst kam ein Mann zu ihm, der erklärte: „Herr Spurgeon, Sie sind der einzige Mensch in der weiten Welt, der mich versteht. Ihnen ergeht es ja ganz genau so wie mir! Ich war im Begriff, mich von der Themsbrücke hinabzustürzen und mir das Leben zu nehmen. Da sagte eine Stimme zu mir, ich solle erst noch einmal Sie hören. Und nun helfen Sie mir!“ Spurgeon konnte diesen Mann zu Christus führen und so retter einer Seele werden. Und gewiß hat er anderen auch dienen müssen. Zurüstungsleiden!
In irgendeiner Weise erleben das wohl alle Gotteskinder. Viel öfter, als wir es denken, führt uns Gott durch Zurüstungsleiden. Wir sollen die gleiche Not wie unsere Mitmenschen durchmachen, damit wir ihnen in Liebe, Geduld, Barmherzigkeit und dem rechten Verständnis dienen können. Das führt dann zu ihrer Errettung, Förderung und Zubereitung für Gottes ewiges Reich. Im Himmel wird noch viel offenbar werden, was wir hier auf Erden nicht erkennen konnten.
Richten wir unseren Blick auf den Herrn Jesus Christus. Seine Menschwerdung, Sein sündloser Gehorsam Seinem Vater gegenüber, Sein bitteres Leiden und Sterben waren doch schließlich Zurüstungsleiden im höchsten Maßstab. Er wurde durch Leiden vollendet, damit Er Verständnis für uns hätte und ein treuer Hoherpriester würde, der da barmherzig wäre und uns helfen könnte (Hebr. 2, 18; 4, 15). Jesu Leiden und Sterben war nicht mehr Zurüstung für seine höchste Aufgabe, sondern ihre Erfüllung.
Das Bewahrungsleiden des Abraham
Abraham hatte seine Heimat nach dem Befehl Gottes verlassen und auch seinen Neffen Lot mitgenommen. Bald zeigte es sich aber, daß ihm durch Lot manches Leid zugefügt wurde. Zwischen den Hirten Abrahams und den Hirten Lots war oft Streit, was dem friedliebenden Abraham weh tat (1. Mose 13, 5-7). Dazu kam, daß Lot ein selbstsüchtiger Mann war. Als Abraham ihm die Wahl zur Rechten oder zur Linken freistellte, hob Lot seine Augen auf und erwählte sich das überall wohlbewässerte Land am Jordan, das wie ein Garten Gottes vor ihm lag. Abraham konnte dann ja mit dem weniger guten Lande zufrieden sein. Dadurch wurden dem friedliebenden Manne Leiden verursacht.
Aber wir sehen später, daß Lot in seiner Selbstsucht einen Fehlgriff getan hatte. Die Einwohner von Sodom waren böse Leute und arge Sünder gegen den Herrn (1. Mose 13, 13). Ihre Sittenlosigkeit wird uns 1. Mose 19 näher geschildert; sie trieben widernatürliche Unzucht, so daß Lot in ihrer Mitte sehr zu leiden hatte (2. Petri 2, 6-8). Es kommt eines Tages das Gericht Gottes über Sodom und Gomorrha. Zunächst wird es bei einem Kriege ausgeplündert und auch Lot samt seinem Hab und Gut mitgenommen, aber durch Abraham wieder befreit (1. Mose 14, 1-16). Später aber geht Sodom und Gomorrha im Feuer- und Schwefelregen unter; Lot verliert dabei alles, und seine Frau wird vom Gericht ereilt; mit seinen beiden Töchtern wird er wie ein Scheit aus brennendem Feuer herausgerettet. Dazu kommt noch das sündhafte Verhalten der beiden Töchter (1.Mose 19). So endete die schlaue und selbstsüchtige Entschließung Lots!
Wie mag Abraham später sein Leben gesegnet haben, denn alle Schläge, die Lot hinnehmen mußte, blieben ihm erspart. Ihn quälte nicht die gemeine Lasterhaftigkeit der Sodomiter, er brauchte nicht zu leiden wie sein Neffe Lot. Abraham wurde nicht im Kriegsgeschehen ausgeplündert, ja, er konnte sogar seinen Neffen siegreich befreien. Abrahams Besitz blieb ihm im fremden Lande erhalten. Er und seine Frau brauchten nicht die Schrecknisse eines Untergangs, wie Lot ihn in Sodom durchmachte, zu erkleben. Schließlich löste Gott Seine Zusagen ein; dem Abraham wurde der Sohn der Verheißung geboren, über den die Linie zur Volkwerdung Israels führte, woraus uns dann der Erlöser geschenkt wurde. So wurde Abraham ein Segen für alle Völker, während Lot ihm gegenüber bedeutungslos blieb.
Dieses Bewahrungsleiden Abrahams ist ein Abbild vieler ähnlicher Fälle, in denen Gott uns auch durch Leiden hindurchgehen läßt, um uns vor Schlimmerem zu bewahren. So wurde einem Prediger B. einmal kurz vor Antritt einer Reise sein Koffer gestohlen. Welche Not, als der D-Zug abfuhr, und unser Bruder mußte zurückbleiben, so daß er nicht rechtzeitig ans Ziel kam. Wenig später erhielt er seinen Koffer zurück, aber – der D-Zug verunglückte, wobei auch Menschen ums Leben kamen. Gott hatte unseren Bruder mindestens vor einem großen Schrecken bewahrt. – – Ich selbst habe in meinem Leben verschiedene Male solche Bewahrungsleiden erlebt und habe rückblickend mit tiefem Dank Gott preisen müssen, daß Er in Seiner Weisheit alles so herrlich hinausgeführt hat.
So mußte ich aus Krankheitsgründen einmal drei Monate in der Schule aussetzen, blieb dadurch ein Jahr zurück und meldete mich zu Beginn des ersten Weltkrieges nicht freiwillig, wie es alle meine Kameraden taten. Keiner von meinen Klassenkameraden ist wieder zurückgekehrt. Gemeinsam waren sie in dieselbe Truppengattung eingetreten, gemeinsam nach Ypern ausgerückt, und alle sind in den schweren Kämpfen dort auf dem Schlachtfeld geblieben. So wurde mir meine Krankheit und mein Zurückbleiben in der Schule ein Bewahrungsleiden. Zunächst litt ich unter diesen für mich unangenehmen Tatsachen, aber später erkannte ich, daß es mir zur Bewahrung gedient hat.
Das Ermüdungsleiden des Elia
Elia ist eine gewaltige Prophetengestalt. Er ist geradezu eine Lust, seine Lebensgeschichte in den Kapiteln 1. Könige 17 bis 2. Könige 2 zu lesen. Herrliche Gotteserfahrungen hatte er in seinem Leben gesammelt. Gewiß hatte er schon vor seinem öffentlichen Auftreten seinen Gott mannigfaltig erlebt. Was uns von ihm mitgeteilt wird, macht es verständlich, daß er neben Mose mit Jesus zusammen auf dem Verklärungsberg stand. (Matth. 17, 3). Elia führt das Gericht der Regenlosigkeit über das götzendienerische Volk herbei; er selbst wird am Bache Krith von Raben ernährt und später von der Witwe zu Zarpath, bei der in schwerer Teuerung das Mehl im Kasten und das Öl im Kruge nicht ausgeht. Den verstorbenen Sohn jener Witwe erweckt der Prophet mit glaubensmächtigem Gebet zum Leben. Auf dem Karmel führt er das gewaltige Gottesurteil über die Götzenpriester herbei, indem Feuer vom Himmel fällt und das Opfer verzehrt, so daß das gesamte Volk ausruft: „Der Herr ist Gott!“
Rauschenden Regen betet er nach dreieinhalbjähriger Trockenheit herbei und läuft über 30 km vor Ahabs Wagen einher bis nach Jesreel. Welch eine kraftvolle, herrliche Prophetengestalt!
Kann es bei einem solchen Glaubensmann eigentlich zu einem Ermüdungsleiden kommen? Wir möchten mit einem Nein antworten, und doch werden wir sehen, daß es der Fall ist. Leib und Seele sind so innig miteinander verbunden, daß leibliche Schmerzen auf die Seele zurückwirken und umgekehrt seelische Erlebnisse den Leib beeinflussen. Schon Zahnschmerzen können die Seele derartig niederdrücken, daß ein Mensch an nichts anderem Interesse mehr bekundet. Umgekehrt können Sorge, Angst, Kummer Herzeleid, Schreck und Scham das körperliche Befinden beeinflussen. Das Erblassen bei Schreck und das Erröten bei Scham weisen ja darauf hin, daß seelische Vorgänge auf den Herzmuskel wirken und so sichtbar werden. Deshalb ist ein fröhliches Herz wirklich die beste Medizin für den Leib. Alle Pillen, Spritzen, Bäder und Bestrahlungen vermögen das nicht auszurichten was ein fröhliches Herz bewirkt.
So ist das Ermüdungsleiden des Elia, von dem wir jetzt reden, als leibliche Nachwirkung gewaltiger Seelenspannungen zu erklären. Der Prophet stand als Held den achthundertundfünfzig heidnischen Priestern samt dem gottlosen König und dem götzendienerischen Volke gegenüber. Welche inneren Erregungen mußte Elia allein schon bei den Vorbereitungen für die Volksversammlung auf dem Karmel durchmachen! Und dann erst, als er schließlich der gottentfremdeten Menge entgegentrat. Was für ungeheure Spannungen, bis das Feuer vom Himmel fiel und der rauschende Regen niederging! Das alles müssen wir recht erwägen, wenn wir ihn unter dem Ginsterstrauch in der Wüste verstehen wollen.
Wie ein unerschrockener Held steht Elia vor der Volksmasse. Als er aber dann die drohende Botschaft der gottlosen Königin Isebel erfährt, die ihm sagen läßt, sie würde ihn bis zum nächsten Tag umbringen lassen, da bricht dieser große Glaubensmann zusammen und flieht aus Furcht in die Wüste, setzt sich unter einen Ginsterstrauch und betet: „Es ist genug! So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; ich bin nicht besser als meine Väter.“ Elia will nicht mehr leben, so niedergeschlagen ist er jetzt nach dem großen Gottessieg auf dem Karmel. Eine tiefe Mutlosigkeit hat ihn ergriffen. Sie ist die Nachwirkung der erlebten fast übermenschlichen seelischen Spannungen.
Und was tat Gott? Er gibt dem ermüdeten Knecht Schlaf, reicht ihm dann durch einen Engel eine kräftige Kost dar, läßt ihn nochmals in langem Schlaf Erquickung finden, und – – Elia ist wiederhergestellt. Sein Ermüdungsleiden ist vorüber; er bekommt von seinem Gott neue Aufträge, wandert in der Kraft Gottes 40 Tage lang bis an den Berg Gottes Horeb, erlebt dort eine einzigartige Gottesoffenbarung und fährt am Ende seines Lebens in einem feurigen Wagen gen Himmel. Wie gut, daß Gott sein Gebet um Hinwegnahme damals nicht erhörte! Hätte Er das getan, wären Elia wunderbare Erlebnisse und der Triumph der Himmelfahrt nicht zuteil geworden! So wurde sein Erleben eine Mahnung für uns, in Ermüdungsleiden nicht rasch zu verzagen.
Jedenfalls müssen wir wissen, daß es Ermüdungsleiden gibt und daß auch wir nach großen seelischen Spannungen einem solchen verfallen können. Deshalb ist es weise, wenn wir rechtzeitig dafür sorgen, daß unser Leib seine nötige Ruhe, Stille und Erholung bekommt, um neue Kraft sammeln zu können. Finden wir Menschen, die „mit ihren Nerven herunter“ sind und keine Freude mehr am Leben haben, sollten wir immer die Ursachen solcher Niedergeschlagenheit feststellen. In vielen Fällen wird es die Sünde sein, die Menschen in diesen Zustand hineingebracht hat. Oft ist aber auch Überarbeitzung daran schuld. Einem solchen abgearbeiteten Menschen können wir keinen besseren Dienst erweisen, als dafür zu sorgen, daß er eine Erholungsmöglichkeit erlangt und vor allem mit seinem Gott in Ordnung kommt. Rasch werden wir es dann erleben, daß Niedergeschlagenheit und Lebensunlust wieder schwinden und neue Freude und neuer Mut einkehren.
Das Rechtfertigungsleiden des Hiob
Wir sahen bis jetzt, daß das Leiden recht verschiedene Ursachen und Zwecke haben kann. Es kann über uns als eine Strafe verhängt werden. Es mag für uns als Demütigung zur Erhaltung unserer Fruchtbarkeit dienen. Es wird uns hin und wieder zum Zurüsten helfen, damit wir anderen recht dienen können. Es muß uns sogar zur Bewahrung gereichen, wenn es Gott in Seiner Weisheit so führt. Es ist möglich, daß es eine Folge außergewöhnlicher Seelenspannungen darstellt. Bei allen diesen besprochenen Leidensformen geht es um mich selbst o. um meine Mitmenschen, denen ich dienen soll. Beim Rechtfertigungsleiden des Hiob haben wir es aber mit einer ganz anderen Leidensform zu tun; da geht es nicht um Menschen, sondern um Gott und die Engelwelt.
Hiob genoß außergewöhnliches Glück. Er hatte sieben Söhne und drei Töchter. 7000 Stück Kleinvieh, 3000 Kamele, 500 Joch (also 1000) Rinder und 500 Eselinnen nannte er sein eigen. Dazu hatte er ein sehr zahlreiches Gesinde. Und was mehr war als dieser äußere Besitz: Er hatte ein ungetrübtes Verhältnis zu seinem Gott. Das lesen wir in Hiob 1, 1-5.
Da kam es plötzlich zu einer völligen Vernichtung seines gesamten äußeren Glücks. Während er sich noch mitten in seinem Wohlstand befand, war schon im Himmel beschlossenworden, daß Hiob alles genommen werden sollte. Und so kam es nun auch. Die Sabäer rauben ihm seine 1000 Rinder und 500 Eselinnen. Feuer fällt vom Himmel und verzehrt seine 7000 Stück Kleinvieh. Die Chaldäer fallen ein und nehmen seine 3000 Kamele mit. Und was am schlimmsten ist: Ein Sturmwind zerstört sein Haus, in dem seine zehn Kinder weilen, und wirft es auf sie, daß sie sterben (Hiob 1, 6-19). Dazu kommt dann, daß Hiob selbst von bösen Geschwüren am ganzen Körper befallen wird, daß seine Frau ihm dabei keine Stütze wird, sondern ihn noch zu veranlassen sucht, seine Frömmigkeit aufzugeben, und daß seine besten Freunde in seinem Leben nach schwerer Sünde suchen (Hiob 2).
Hiob wird ein glänzendes Zeugnis seiner Frömmigkeit ausgestellt: „Er war war schlicht und recht, gottesfürchtig und mied das Böse“ (1,1). Und auch nach schweren Schicksalsschlägen ändert er seine Gesinnung nicht, denn es heißt von ihm: „ . . . und fiel auf die Erde und betete an und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt! In diesem allem sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott“ (1,20-22).
Und als seine Frau ihn mitten in seinem großen Schmerz verführen will zur Gottlosigkeit, sagt er: „Du redest, wie die närrischen Weiber reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“. „In diesem allem versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen“ (2, 10). Also ein tadelloser Mann muß hier durch unbeschreiblich tiefes Leid hindurchgehen. Was soll das bedeuten?
Hiob leidet um Gottes und der Engelwelt willen. Sein Leiden ist ein Rechtfertigungsleiden. Er soll den Beweis erbringen, daß Gott Menschen auf Erden hat, die Ihm nicht um Seiner Gaben willen anhängen, sondern um Seiner selbst willen. Satan hatte vor den Gottessöhnen erklärt, Gott hätte niemand auf Erden, der Ihn wirklich um Seiner selbst willen liebe. Da entschließt sich der Allmächtige, einen Seiner treuesten Knechte in ein schweres Leiden hineinzuführen, damit auf diese Weise erwiesen würde, daß Gott doch Menschen auf Erden hat, die unter allen Umständen an Ihm festhalten. Diesen Beweis muß Hiob vor der Engelwelt antreten. Gott will eben „Reinkulturen der Frömmigkeit“ haben. Er kann es nicht zugeben, daß Gottesfurcht und Frömmigkeit zu einem Handelsartikel herabgewürdigt werden. Wenn Gott es allen Frommen gut, aber allen Gottlosen schlecht ergehen ließe, wollten schließlich alle Menschen fromm werden, damit es ihnen gut erginge. Nun aber vermischt Gott die Menschenlose so miteinander, daß neben einem Gottlosen, der im Glücke schwimmt, sich ein Gottesfürchtiger befindet, der durch Tiefen hindurchgehen muß, wie es ja auch im 73. Psalm zum Ausdruck gebracht wird, damit niemand um der Gaben und Geschenke willen fromm sei. Früher oder später müssen wir als Gotteskinder alle einmal den Beweis liefern, daß wir Gott wirklich um seiner selbst willen lieben und verehren und nicht nur um seiner Gaben willen. Du weißt nicht, was morgen geschehen kann, weil heute im Himmel etwas über dich beschlossen worden sein mag, von dem du noch nichts ahnst. Wir dürfen uns nicht von den augenblicklichen Umständen täuschen lassen.
Psalm 37, 37 bleibt bestehen: „Bleibe fromm und halte dich recht, denn solchen wird es zuletzt wohlergehen“. Und der 73. Psalm sagt uns in den Versen 16 und 17: „Ich dachte ihm nach, daß ich’s begreifen möchte; aber es war mir zu schwer, bis ich ging ins Heiligtum Gottes und merkte auf ihr Ende“: Wir wollen uns fest zu Gott halten, auch wenn es einmal durch Tiefen geht. So gewiß nach Sturm die Windesstille und nach Regen der Sonnenschein wiederkommt, so gewiß ändern sich die schweren Verhältnisse unter Gottes Segenshänden zum Guten.
Wenn ich von meinen vielen Reisen nach Hause zurückkehrte, hatte ich für meine Kinder in der Regel ein kleines Geschenk, um ihnen eine Freude zu machen. Mit der Zeit waren sie daran gewöhnt und fragten darum meist nach meiner Rückkehr, was ich ihnen denn Schönes mitgebracht hätte. Eines Tages nahm ich mir vor, ihnen nichts mitzubringen, um zu sehen, ob sie sich wirklich über meine Heimkehr freuten. Als ich zur Tür eingetreten war, kam richtig wieder die Frage: „Vati, hast du uns auch etwas Schönes mitgebracht?“ Ich erklärte: „Ja, etwas ganz Feines!“ „O, was denn?“ „Ich habe euch heute viele Küsse mitgebracht!“ „Ach, nur Küsse“, sagte enttäuscht ein Töchterchen. Aber eine andere äußerte sich „Wie kannst du nur so etwas sagen? Ist es nicht das Schönste, daß unser Papa wieder da ist?“ – Wir lieben Gott nicht um Seiner Gaben, sondern um Seiner selbst willen, wenn wir uns auch über Seine Gaben freuen und Ihm herzlich dafür danken. Ist es anders, dann ist Er betrübt über unsere Gesinnung.
Das Läuterungs- und Erziehungsleiden der Kinder Gottes
In der Heiligen Schrift wird die Tatsache des Läuterungs- und Erziehungsleiden klar ausgesprochen, besonders deutlich Hebr. 12, 4 -11. Es wird dort ein Zitat aus Sprüche 3, 11 aufgenommen und verwertet. Von einer Züchtigung des Herrn, von einer Heimsuchung durch Leiden und von Züchtigung eines jeden angenommenen Sohnes wird dort gesprochen. Auch der Zweck solcher von Gott vorgenommener Handlungen wird angegeben (V. 7-10): Erziehung, Verfahren wie mit Kindern, Zucht.
Unsere eigene Erfahrung als Gotteskinder bestätigt die Wahrheit des Schriftzeugnisses. Im Laufe vieler Jahre ist mir folgendes Gesetz klar geworden: Segnungen und Demütigungen wechseln im rechten Verhältrnis miteinander ab, damit wir vor Verzagtheit und vor Hochmut bewahrt werden und somit unsere Fruchtbarkeit erhalten bleibt. Das sind auch die Erfahrungen vieler Brüder und Schwestern, so daß wir uns gegenseitig im Läuterungs- und Erziehungsleiden trösten und ermuntern können.
Dieses Leiden birgt einen großen Segen in sich.
Es dient uns zur Erziehung.
Erziehung hängt mit „ziehen“ zusammen. Ein Bäumchen zieht man, damit es recht wachse. Erziehung hat es mit Bildung und Gestaltung zu tun. Das, was mit dem Ton in der Hand des Töpfers geschieht, das geht mit uns in der Hand Gottes vor; Er gestaltet uns. – Das, was sich die Reben durch das Winzermesser des Weingärtners gefallen lassen müssen, nämlich die Reinigung zum Fruchtbringen, das bewirkt das Leid im Leben der Kinder Gottes. – – Das, was das Feuer des Schmelztiegels für das Gold und Silber bedeutet, nämlich, daß es die Schlacken vom Edelmetall scheidet und es lauter und unvermischt hervorgehen läßt, das ist das Leid im Leben der Gläubigen, sie sollen tadellos hervorgehen. – Das, was der Schleifstein für den Edelstein ist, – seine ganze Herrlichkeit und Schönheit soll im Lichte offenbar werden – das ist das von Gott uns geschickte Leid; es schafft Herrlichkeit.
Es dient uns zum Leben.
Leben ist das Gegenteil von Tod. Tod ist etwas Grauenhaftes, Leben etwas Wunderbarers. Leben, Licht, Wärme, Kraft, Bewegung liegen auf einer Linie, Tod, Nacht, Kälte Ohnmacht, Starre auf der anderen. Wenn das Leid Leben schafft, so erlöst es uns also aus finsteren Erstarrungszuständen, macht uns beweglich und brauchbar für den Dienst am Menschen.
Es bewirkt unser wahres Bestes, die Heiligkeit Gottes.
Es geht also nicht nur um bloße Erdenbelange, sondern um ewige Frucht. Ohne Heiligkeit, die das Ziel der Heiligung ist, wird niemand Gott schauen. Wer möchte da das Leid missen, wenn es so hochbedeutsam für die Ewigkeit ist? Wir können unsere Vollendung gar nicht ohne Leid erreichen. Selbst Jesus ging diesen Weg nach Hebr. 2, 10.
Es bewirkt eine friedevolle Frucht, nämlich die Gerechtigkeit
Ohne Läuterungs- und Erziehungsleiden gibt es also in unserem Leben keine Gerechtigkeit und keinen Frieden. Eigenartig! Das Leid treibt uns in die Arme Gottes zu unserem Heiland, durch den wir allein Vergebung, Frieden und Freude erlangen können. Es übernimmt die Aufgabe eines Schäferhundes, der die Schafe zum Hirten treibt. Wo würden die Menschen hingelangen, wenn ihnen alles nach Wunsch ginge und sie niemals durch Leid zur inneren Einkehr unde Umkehr genötigt würden?
Wie sollen wir uns in solchem Leide verhalten?
Das erfahren wir Hebr. 12, 4-11.
Vergiß Gottes Mahnwort nicht!
Wer gläubig ist und im Worte Gottes lebt, der wird nie im Murren und Zweifeln verharren können. Er kennt ja den Ewigen als seinen Vater, der es nur gut mit ihm meinen kann. Und aus Gottes Wort bekommt er gesunde Unterweisung und Halt. Das Leid soll aufmerken lassen auf Gottes Stimme.
Halte geduldig aus, um dich erziehen zu lassen.
Wörtlich: Bleibe unter der Züchtigung! Darunterbleiben und aushalten, nicht fortlaufen und abschütteln! Wir sollen eine Lektion lernen, die uns nützlich ist, zu dem Zweck hat uns Gott heimgesucht. Je schneller wir sie gelernt haben, desto rascher geht es nach bestandenem Examen weiter. Lernen wir sie nicht, so bleiben wir sitzen und müssen wieder von vorne anfangen, was noch schmerzlicher ist.
Unterwirf dich dem Vater der Geister!
Gedenke daran, Gottes Weg ist heilig. Er macht keine Fehler. Er führt uns zum herrlichen Ziel. Deshalb sollen wir willige Unterwerfung zeigen. Vater und Kind sind ein mattes Abbild für Gott und die Seinen. Ein Vater ist klüger als das Kind. Seine Gedanken und Pläne könnten einmal ganz anders sein als die des Kindes. Dennoch tut das Kind wohl, wenn es willig sich dem Vater unterordnet. Ein irdischer Vater könnte immer noch irrren, aber der himmlische Vater gewiß nicht.
„Aber hernach!“
Das hat Jesus in Joh. 13, 7 dem Petrus gesagt: „Was Ich tue, das weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.“ Wir müssen es fest im Auge behalten. Und Hebr. 12, 11 heißt es: „Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind.“ „Aber hernach!“ Diese beiden Wörtchen sollte man malen, meißeln, mit goldener Seide auf roten Samt sticken. Sie gehören zur Sprache des Glaubens, der etwas von Läuterung, Erziehung, Ausreifung, Verklärung und Vollendung weiß und damit nicht dem Augenblick lebt, sondern sein Auge auf die Zukunft und aufs Ziel lenkt.
Laß dich deshalb üben!
Üben, Lernen, darum geht es in der Schule des Lebens. Herrlich ist die Frucht, die daraus erwächst. Ohne Fleiß kein Preis, das gilt auch hier. Darum wollen wir dankbar sein für alle Übungen, die der Vater im Himmel mit uns vornimmt.
Das Stellvertretungsleiden Jesu Christi und der Seinen
Wir stehen im Leide nicht einsam und verlassen da. Einer versteht uns gewiß, denn Er ist durch die größten Leidenstiefen freiwillig hindurchgegangen, nämlich unser Herr und Heiland Jesus Christus. Schau hin aufs Kreuz von Golgatha! Sieh dir den Mann der Schmerzen an, wie Er die Dornenkrone trägt und wie Ihm die Hände und Füße durchbohrt sind! Werde stille im Gedenken an den der für dich gestorbenen und auferstandenen Erlöser. Er nahm auf Sich unsere Sünden und unsere Leiden (Jesaja 53). Er hat durch Sein Leiden alles Leid in der Welt verklärt und geheiligt. Und aus Seinem Leben ersehen wir, daß auf das Leid die Herrlichkeit, auf das Kreuz die Krone, auf die Erniedrigung die Erhöhung gefolgt ist.
Und auch der Apopstel Paulus spricht von diesem stellvertretenden Leiden, wenn er Kol. 1, 24 schreibt: „Jetzt freue ich mich meiner Leiden für euch und trage das, was an den Trübsalen Christi noch fehlt, an meinem Fleisch für Seinen Leib ab, nämlich für die Gemeinde“. Und 2, 1: „Ich möchte euch nämlich wissen lassen, welch schweren Kampf ich für euch und die Laodizener und für alle, denen ich bis jetzt persönlich noch unbekannt bin, zu bestehen habe.“
Petrus denkt nicht anders, denn wir lesen in 1. Petri 2, 20: „Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr geduldig aushaltet, wo ihr trotz eures guten Verhaltens leiden müßt, das ist wohlgefällig bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen, weil auch Christus für euch gelitten und euch dadurch ein Vorbild hinterlassen hat, damit ihr in Seine Fußstapfen tretet.“
Und in 1. Petr. 3, 17 schlägt der Apostel diesselben Töne an: „Es ist doch besser, wenn Gottes Wille es so fügt, für Gutestun zu leiden als für Bösestun. Denn auch Christus ist einmal für uns um der Sünden willen gestorben, ein Gerechter für Ungerechte, um uns zu Gott zu führen. . . „
Paulus und Petrus bringen das Leiden also in Beziehung zu Christus als dem Haupt zu einer Einheit verbunden ist und die Zellen Seines Leibes hier auf Erden den Haß der Welt und damit Leiden zu ertragen haben, kann Paulus von den Trübsalen Christi reden, die noch fehlen. Diese Trübsale werden erst aufhören, wenn der Herr Seine Gemeinde aus dieser Welt zu sich genommen hat. Insofern wir diese Leiden willig auf uns nehmen, wirken wir in der Gesinnung Jesu mit an der Erlösung der Menschen, denn ohne Opfer kommen andere Menschen nicht zu Christus und Seinem wunderbaren Heil.
Bedeutsam sind in dieser Hinsicht zwei Stellen des Hebräerbriefes, die uns noch einen tiefen Einblick in das stellvertrtende Leiden unseres Heilandes tun lassen. Hebr. 2, 17-18 lesen wir. „Deshalb mußte Er auch in allen Stücken Seinen Brüdern gleichgemacht werden, um barmherzig sein zu können und ein treuer Hoherpriester Gott gegenüber zur Sühnung der Sünden des Volkes. Denn eben deshalb, weil er selbst Versuchung erlitten hat, vermag Er denen zu helfen, die versucht werden.“
Und Hebr. 4, 15-16: „Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitgefühl mit unseren Schwachheiten haben könnte, sondern einen solchen, der in allen Stücken ebenso wie wir versucht worden ist, nur ohne Sünde. So wollen wir denn mit freudiger Zuversicht zum Thron der Gnade hinzutreten, um Barmherzigkeit zu erlangen und Gnade zu finden zu rechtzeitiger Hilfe.“
Was sind das für köstliche Worte! Wie Balsam wirken sie auf das wunde Herz und stellen das Leid mit letzter Sinngebung ins helle Licht der Ewigkeit.
Wir als Jünger müssen durch ähnliche Leiden hindurchgehen wie unser göttlicher Meister. Wir wollen, daß andere den Weg zu Christus finden, werden aber von ihnen nicht verstanden, sondern im Gegenteil verlacht, verspottet und verfolgt. Ja, manche haben im Laufe der Jahrhunderte ihr Leben um Jesu willen lassen müssen. In allen solchen Fällen müssen wir um Jesu willen still leiden, damit unsere Mitmenschen durch unser liebevolles Leiden überwunden und zu Christus gebracht werden. Das ist aber stellvertretendes Leiden. Selig ist, wer vom Herrn gewürdigt wird, ein solches Leiden auf sich zu nehmen, und wer dann die Gnade hat, es geduldig zu tragen. Es wird herrliche Frucht zeitigen. Wertvoll ist es, hier noch 1.Petri 4, 1-4. 12-18 zu lesen, besonders aber Vers 14: „Wenn ihr um des Namens Christi willen geschmäht werdet, so seid ihr selig zu preisen; denn der Geist der Herrlichkeit und Kraft, der Geist Gottes, ruht auf euch“.
Mitten in Angst Erquickung
„Wenn ich zu Dir rufe, erhörst Du mich und gibst meiner Seele große Kraft. – – Wenn ich mitten in der Angst wandle, erquickst Du mich“ (Psalm 138, 3 u. 7). Jesus Christus spricht: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, Ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16, 33).
David hat in seinem Leben viele Ängste durchstanden; er redet aus Erfahrung, wenn er vom Wandeln mitten in Angst spricht. Angst kommt von eng; wer Angst hat, dem wird es eng ums Herz. Es mag jemand im Kampfe von einer Seite bedrängt werden, aber noch Rückendeckung haben, das geht immer noch an. Schlimm ist es aber, wenn einer von allen Seiten bedrängt wird. „Mitten in Angst“ zu sein, erlebte David, weil er zeitweise wirklich von allen Seiten bedrängt worden ist. Das Wörtchen „wandeln“ weist dann noch darauf hin, daß dieser Zustand nicht rasch vorüber war, sondern längere Zeit hindurch angehalten hat.
Wie wurde David in diesen schweren Zeiten fertig? Er setzte sein Vertrauen auf den ewigen Gott und Seine mächtige Hilfe. Er blickte von seinem ängstlichen Ich weg auf das große Du seines Gottes, und dabei wurde er erquickt. Erquickung ist ein köstliches Wort. Wir haben im Deutschen nur noch wenige Wörter, die mit dem Stamm „quick“ zusammenhängen. Aber bei all diesen Wörtern sehen wir, daß es um Leben und Bewegung geht „Quickborn“ ist ein lebendiger Quell, wie er im Walde aus dem Felsen springt. Quecksilber“ ist kein Hartsilber, sondern ein lebendiges Silber, das auseinandergeht und wieder gesammelt werden kann. „Quecke“ heißt jenes Gras deshalb, weil es mit unverwüstlicher Lebenskraft wächst und kaum auszurotten ist. Erquickung hat es also im Gegensatz zur Angst mit Kraft, Leben, Bewegung zu tun. Wir reden von einem erquickenden Regen, einem erquickenden Trunk und einem erquickenden Schlaf und spüren in diesen Zusammensetzungen die Erfrischung, die der Pflanzenwelt und uns Menschen dabei zuteil wird. Im Englischen gibt es etwas 25 Wörter die mit „Quick“ zusammengesetzt sind und alle auf Kraft und Bewegung hinweisen, so wird der Flugsand der Wüste, die lebendige Hecke, der ungelöschte Kalk, der wilde Knabe mit quick wiedergegeben. Mitten in Angst und Leben!
Aber nicht nur der alttestramentliche Fromme wußte etwas von Angst zu sagen, sondern auch die Glieder des Neuen Bundes haben damit zu tun. Wenn es anders wäre, hätte unser Herr in Seinen Abschiedsreden nicht ausdrücklich darauf hingewiesen. Hier der gleiche Vorgang: Wenn wir nach dem Worte Jesu von unserem kleinen, armen, ängstlichen Ich auf Ihn hinwegblicken, werden wir wunderbar erquickt. Deshalb: Seid getrost, Ich habe die Welt überwunden!“
Inwiefern werden wir bei dem Blick auf Jesus erquickt? Es gibt Ängste, die aus der Vergangenheit, aus der Gegenwart und aus der Zukunft zu uns kommen. Und in jedem Falle ist es unser Herr Christus, der uns aus diesen Ängsten befreien kann.
Jesus Christus befreit uns aus der Angst der Vergangenheit
Es geht dabei um Sündenangst, die aus dem unreinen Herzen und bösen Gewissen kommt. Wie quälend kann diese Angst sein! Aus meinem eigenen Leben weiß ich von dieser Angst der Vergangenheit. Wir alle haben irgendwie und irgendwann gesündigt und dadurch ein böses Gewissen bekommen. Da ist Jesus Christus als der gekreuzigte Heiland das rechte Heilmittel für unseren Schaden. Wir können uns unsere Sünden ja nicht selbst vergeben, wir brauchen einen Erlöser, der die Vollmacht hat, es zu tun. Das kann nur der heilige Sohn Gottes sein, der ohne Sünde geblieben ist und in großem Erbarmen zu uns Menschenkindern gekommen ist, um uns zu erlösen. Schau hin nach Golgatha und vertaue dem Heiland der Welt, der auch für dich Sein Herzblut vergossen hat, und du wirst wunderbar erquickt werden. Die Angst der Vergangenheit muß schwinden, und göttliches Leben wird dir geschenkt werden.
Jesus Christus befreit auch aus der Angst der Gegenwart
Er kann es deshalb, weil er von den Toten auferstanden ist, alle Gewalt im Himmel und auf Erden empfangen hat und nie mehr stirbt. Wir haben einen lebendigen Heiland, zu dem wir mit allen unseren Nöten kommen können. Er hat das mitleidvollste Herz in der Welt und hilft allen ehrlichen, aufrichtigen Menschen so gern. Ängste können aus der Gegenwart plötzlich über uns kommen. Da ist Krankheit, Sorge, Not und Tod, die uns zu schaffen machen und oft schwere Ängste über uns bringen können. Wohin wollen wir da fliehen? Wer kann durchgreifend helfen? Wer kann auch von finsteren Mächten befreien? Jesus, Jesus, Jesus! Er hat die Vollmacht von Gott, Sünden zu vergeben, Krankheiten zu heilen und Dämonen auszutreiben. Wenn Er nur Glauben findet, dann geschehen Seine Wunder. Unsere Zeit ist so bodenlos ungläubig! Kein Wunder, daß der Herr sich nicht offenbart! Mache aus allem ein Gebet! Irgendwie wird der Herr Sich dir schon offenbaren, wenn es auch nicht immer so ist, wie du dir das gerade gedacht hast.
Jesus Christus befreit sogar aus der Angst der Zukunft.
Gibt es denn solche Angst? Sind die Menschen wirklich so töricht, daß sie sich um etwas ängstigen, was überhaupt noch gar nicht an sie herangekommen ist? O, durchaus! Die Erfahrung lehrt es, daß sehr viele Menschen von der Angst vor der Zukunft gequält werden. Eine Dame, die dauernd in solchen Ängsten schwebte, nahm den Rat eines Predigers in Anspruch. Er riet ihr, sich ein Heft zu kaufen und alle ihre Ängste, die sie vor der Zukunft hatte, hineinzuschreiben. Sie tat es, und nun wuchs erst recht ihre Not, denn jetzt hatte sie ja schwarz auf weiß vor sich, wovor sie sich fürchtete. Der kluge Mann hatte ihr aber auch geraten, von Zeit zu Zeit diese Aufzeichnungen durchzugehen und mit einem roten Stift auszustreichen, was nicht eingetroffen wäre. Bald stellte die Dame fest, daß weitaus die meisten Ängste völlig unbegründet gewesen waren. – Unser Herr kommt mit großer Kraft und Herrlichkeit wieder und wird dann sein ewiges herrliches Reich aufrichten. Wir erwarten als Seine Jünger Seine Wiederkunft, wissen, daß alles sich nach dem prophetischen Wort abspielen wird und daß wir Gottes Schutz genießen. Das macht uns sehr froh und vertreibt die Angst vor der Zukunft aus unseren Herzen. Wir haben es in der Vergangenheit erlebt, daß wir unserem Gott zuversichtlich vertrauen dürfen. Er wird kein anderer bis in die dunkle Zukunft sein. Wir sind getrost und erquickt.
Schließlich möchte ich noch ein Erlebnis mit einem achtjährigen Mädchen schildern, weil es mir für mein Glaubensleben eine Ermunterung geworden ist. In Weißwasser O=L. hielt ich zur Winterszeit 1928/29 in einer Bauernstube etwas außerhalb des Ortes eine Bibelstunde ab. Es lag viel Schnee. Ich war auf dem Wege zur Versammlung. Es war schon völlig dunkel. Hinter mir her lief ein kleines Mädchen wie ein verirrtes Hündchen. Ich drehte mich schließlich um und fragte das Kind: „Hast du Angst, daß du immer so hinter mir herläufst? Woher kommst du? Und wohin gehst du?“ Da wurde das Kind gesprächig und erzählte mir: „Meine Mutter liegt krank zu Hause im Bett. Ich habe meinem Vater das Essen bringen müssen. Ich sollte dann mit dem Omnibus wieder nach Hause fahren, als ich aber an die Haltestelle kam, war der Autobus schon weg. Und nun muß ich den Weg zu Fuß nach Hause gehen, und der Weg führt noch durch einen Wald, weil wir ganz weit draußen wohnen.“ Ich brachte nun das Kind selbst nach Hause. Als wir nun mitten in dem Walde waren, fragte ich das Kind an meiner Hand: „Sag’ mal, hast du nun gar keine Angst?“ Es erwiderte: „Nein. Ich habe gar keine Angst, denn ich fühle ja Ihre Hand!“ Wie Musik klang mir dieses Kinderwort im Ohr: „Ich habe gar keine Angst, ich fühle ja Ihre Hand!“ Mein Thema für den Abend war nämlich Psalm 138, 7: „Wenn ich mitten in Angst wandle, so erquickst Du mich!“ Gott hatte mir eine treffliche Illustration für meine Bibelstunde gegeben. – – Wenn wir voller Vertrauen an das Herz des großen Vaters im Himmel fliehen in aller Traurigkeit, Angst und Not, dann wird unser Herz bald jubeln: „Vater, ich habe gar keine Angst, denn ich fühle ja Deine Hand!“ Hast du schon die unsichtbare Hand deines himmlischen Vaters gespürt?
Man fühlt sich nie geborgener, als wenn man die liebe Hand dieses Vaters in Christo Jesu ergreift. Wie oft durfte ich sie in meinem Leben so deutlich spüren, als ob sie mich fühlbar ergriffen hätte. Unser Leben ist erst dann recht lebenswert, wenn wir die Hand des Vaters im Himmel fühlen. „Fürchte Dich nicht! Glaube nur!“ „Euer Herz erschrecke nicht. Vertaut auf Gott, und vertraut auf Mich!“ Ja, liebes Kind Gottes, vertraue nur deinem Gott und Heiland, und fliehe stetes im Gebet zu Ihm, Er wird dir alle Sorgenwolken verscheuchen, du wirst Seine unsichtbare, töstende Hand zu fühlen bekommen und fröhlich deinen Weg auch im finsteren Tal gehen können.
Hand, die nicht läßt, halte mich fest !
Nicht verzagen, sondern vertrauen; nicht klagen, sondern beten!
Viele kluge Menschen haben schon darüber nachgedacht, welches der Sinn des Lebens sei und welchen Wert eigentlich die Welt habe. Auch deutsche Philosophen haben sich darüber ausgelassen, sind aber zu ganz gegensätzlichen Schlüssen gekommen. Der Philosoph Leibniz, ein hervorragender Gelehrter, der auch Mathematiker, Physiker, Techniker, Jurist, politischer Schriftsteller und Sprachforscher gewesen ist (1646-1716) hat die bestehende Welt für die beste aller möglichen erklärt. Der Philosoph Schopenhauer dagegen hat sie als die miserabelste bezeichnet, die keinerlei Wert besitze. Wer von beiden hat recht? Beide nicht! Leibniz ist in seinem grenzenlosen Optimismus – es ist übrigens gut, wenn man einen kräftigen Schuß davon hat – zu weit gegangen. Wenn wir die Sünde und das Böse ausschalten, mag die Behauptung Leibniz’ richtig sein. Er muß die Welt immer mit einer rosigen Brille angesehen haben, denn er hat den Sündenfall mit all seinen furchtbaren Folgen wie Sünde, Krankheit und Tod nebst dem Strom von Tränen außer acht gelassen. Wir können uns die Welt sehr wohl viel besser vorstellen als sie ist. Schopenhauer wiederum ist in seinem finsteren Pessimismus viel zu weit gegangen, er muß immer eine schwarze Brille auf der Nase gehabt haben. Denn die Welt enthält wirklich so viel Herrliches und Schönes, daß man sie niemals als die miserabelste bezeichnen kann. Das könnte man nur dann tun, wenn man seine Augen eigensinnig und verbohrt immer nur auf die Bosheit, Ungerechtigkeit und Gemeinheit richten würde, die durch den Sündenfall in die Welt gekommen sind. Die Welt ist also in ihrem jetzigen Zustand weder die denkbar beste noch die denkbar schlechteste. So wie Tag und Nacht miteinander wechseln, ist es überhaupt auf dieser Erde. „Alles Sichtbare ist nur ein Gleichnis.“
Es ist schließlich ein gewaltiger Unterschied, ob ich in einer dunklen, kalten regnerischen und stürmischen Novembernacht meinen Weg allein durch einen unbekannten Wald finden soll, oder ob ich an einem leuchtenden, warmen, sonnigen Maitag inmitten herrlicher Blütenpracht an der Seite meiner Frau und meiner Kinder durch Gottes wunderbare Schöpfung wandern darf. In einer finsteren Nacht wären wir wohl alle geneigt auszurufen: „Wie grausig ist es doch in der Welt!“ An einem schönen Maientag sind wir vielleicht so freudig gestimmt, daß wir voller Entzücken rufen: „Kann es noch schöner auf der Welt werden?“
Durch den Wechsel von Tag und Nacht hat der Schöpfer die Erde mit ihrem Geschehen richtig symbolisiert. Noch einmal wird alles Sichtbare verändert werden und dann die ewige Welt erscheinen. (Hebr. 12, 26; Offb. 21, 1-5; 23-25). Dann wird es auch keine Nacht mehr geben, weil dann wirklich die denkbar beste Welt in unerschütterlicher Schönheit und Herrlichkeit da sein wird. Jetzt aber spüren wir noch den Riß im All; wir empfinden dauernd den Zwiespalt, den Satan verursacht hat.
Schauen wir uns die Schönheit der Erde an, die vielgestaltigen, fesselnden Formen und Farben nebst der unendlichen Lebensfülle der Tier- und Pflanzenwelt, vor allem aber die Krone der Schöpfung, den Menschen mit seinen Höhen, so möchten wir jubeln und jauchzen. Blicken wir dann aber hinein in die Leidensfülle dieser Welt, sehen wir den Strom von Blut und Tränen, betrachten wir den Menschen in seinen Tiefen, dann möchten wir laut aufweinen vor Schmerz und Traurigkeit.
Doch nur Geduld, liebes Herz. Unser Herr und Heiland spricht. „Fürchte dich nicht. Glaube nur!“ Und: „Euer Herz erschrecke nicht. Vertraut auf Gott und vertraut auf mich.“
Wenn wir auf unser vergangenes Leben zurückschauen, so müssen wir feststellen, daß Freud und Leid miteinander abwechseln wie Sonnenschein und Regen, wie Windstille und Sturm draußen in der Natur. Ich für meinen Teil möchte aber gleichzeitig feststellen, daß mir der gütige Gott in meinem Leben viel mehr Freud als Leid zugemessen hat. Jedenfalls wissen wir aus vielfacher Erfahrung der Vergangenheit, daß Freude und Leid miteinander wechseln und daß beides plötzlich kommen, aber ebenso rasch auch wieder gehen kann. Das soll uns demütig und zuversichtlich zu gleicher Zeit machen. Wenn heute die Sonne noch so hell scheint, morgen kann kann es schon anders sein; morgen kann es stürmen um dich her.
Während Hiob noch im Glücke schwamm, war schon im Himmel eine gewaltige Veränderung über sein Leben beschlossen worden, die an einem Tage sein ganzes irdisches Glück zerbrach. Nur Gott war ihm geblieben, mit Ihm aber alles. So könnte es uns auch einmal ergehen.
Diese Erkenntnis soll uns klein und demütig machen. Andererseits mag es heute stürmen, als wollte die Welt untergehen, und morgen – ist der lieblichste Sonnenschein. Denken wir nur an eigene Erfahrungen zurück. Diese Erkenntnis soll uns zuversichtlich stimmen, wenn wir auch augenblicklich durch noch so große Tiefen hindurch müssen. Eben waren wir noch tief niedergebeugt, da richtet der Herr uns schon wieder auf und läßt uns viel Gutes geschehen. Und wenn wir nun an die Zukunft denken, so werden wir aus den Erfahrungen der Vergangenheit schließen, daß wir sicherlich auch in den kommenden Tagen hin und wieder durch Gottes erzieherische Weisheit finstere Täler durchwandern müssen und schwere Stunden uns nicht völlig erspart bleiben werden. Für uns ist es wichtig, daß wir jederzeit gewappnet sind, wenn plötzlich Stürme über uns hereinbrechen.
Das geschah Jairus, als sein geliebtes zwölfjähriges Töchterchen krank wurde und starb. Der Herr rief ihm das töstliche Wort zu: „Fürchte dich nicht. Glaube nur!“ Er half dann in Seiner göttlichen Vollmacht so wunderbar, daß Er das Kind zum Leben erweckte und den Sturm im Herzen des Jairus in lachenden Sonnenschein verwandelte. (Das wird Er einmal völlig tun, wenn alles Erdenleid und auch der Tod beseitigt sein wird). Die Jünger standen am Gründonnerstag vor schwerstem Sturm, denn ihr geliebter Meister sollte durch den Kreuzestod von ihnen gerissen werden. Der Herr aber gab ihnen ein ermunterndes Wort mit auf diesen bitteren Weg: „Euer Herz erschrecke nicht. Vertraut auf Gott! Und vertraut auf mich!“ Und dann weist Er sie hin auf die himmlischen Wohnungen, in die sie einmal nach allem Erdenkampf einziehen sollen. Ja, diese Wissen macht uns stets froh, daß wir einen Herrn haben, der die Macht hat über Leben und Tod, der dem Tode die Macht genommen hat und nach Seiner Auferstehung von den Toten nie mehr stirbt. Und Er hat den Seinen ewiges Leben und himmlische Wohnungen zugesagt. Wir haben im Leben die Probe aufs Exempel gemacht, daß die Worte Jesu Geist, Leben und Wahrheit sind. Gewiß wird er auch all das einlösen, was Er verheißen und zugesagt hat, aber noch nicht erfüllt istt!
Wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf und nach jeder Nacht erstrahlt ein neuer Morgen!
Diese Klarheit bekam ich eines Nachts in Magdeburg, als ich die schwere der Zeit überdachte und noch unter dem Eindruck eines Terrorangriffes stand.
Alles Sichtbare ist ein Gleichnis für ewige, köstliche Wahrheit. Unser Gott hat die Welt so erschaffen, daß Natur- und Geistesgesetz übereinstimmen. Deshalb ist die ganze Welt ein großartiges Bilderbuch, wenn wir darin zu lesen verstehen. Sonne, Mond und Sterne, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Tag und Nacht, Stille und Sturm, Tier und Pflanze, Wald und Feld, Tau und Regen, Wolke und Nebel, Bach und Meer, Berg und Tal, Saat und Ernte: alles, alles redet eine vernehmliche und bedeutsame Sprache. Wohl dem, dem der Ewige das Ohr und das Herz hat öffnen können, so daß er in diesem Bilderbuch mit seiner unendlichen Fülle zu lesen versteht. Wir greifen heute nur ein wenig heraus und lassen eine zwiefache Wahrheit mit ihren erquickenden Trost auf uns wirken: Wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf; und nach jeder Nacht erstrahlt ein neuer Morgen.
Wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf.
Am hellen Tage kann man die Herrlichkeit und Pracht des Sternenhimmels nicht sehen. Die Sonner überstrahlt mit ihrem Glanze alles und gießt eine solche Fülle von Licht aus, daß uns nicht ein einziger Stern leuchtet. Aber achte darauf, wenn die Sonne im Westen versinkt. Es dauert gar nicht lange, da flimmert es hier und da auf. Wie oft haben wir als Kinder in der Dämmerung auf das erste Funkeln eines Sternes gewartet und dann gezählt, wie viele wir nach und nach, zunächst ganz schwach, dann aber immer stärker blitzen sahen. Die Astronomen unterscheiden ja Stern verschiedener Größe mit zwölf Abstufungen. Von den Fixsternen übertrifft der wunderbare Sirius im Süden sogar noch die Sterne erster Größe. Und ihn überstrahlen noch die Wandelsterne Venus und Jupiter. Zu allererst sehen wir meist in der Dämmerung die Venus, unseren bekannten Abendstern, der zeitweise auch Morgenstern sein kann. Und je nach der Größe der Sterne und der Klarheit des Wetters blitzen bei Einbruch der Dunkelheit immer mehr Sterne hervor, so daß wir schließlich in einer mondlosen und klaren Nacht staunend stillstehen vor all dieser fernen Pracht und mit tiefer Ehrfurcht den großen Schöpfer anbeten müssen. Diese herrliche Pracht des gestirnten Nachthimmels hätten wir aber nicht, wenn die Sonne ihr rosiges Licht immer erstrahlen ließe. Erst wenn sie untergeht, können wir die Sterne funkeln sehen.
Welch ein feines Gleichnis für unser geistliches Leben. Ja, wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf. Der große, ewige Gott hat in Seinem väterlichen Erbarmen durch die Propheten, durch Seinen Sohn Jesus Christus und dessen Apostel in mannigfacher Weise zu uns geredet. Wie viele köstliche Verheißungen hat Er uns geschenkt. Aber es ist wirklich so, daß wir in „guten Tagen“, wenn die Sonne uns scheint und alles nach Wunsch und Willen geht, diese Verheißungen Gottes nicht strahlen sehen. Erst wenn es dunkel um uns wird, fängt es an zu leuchten, und es tut sich vor uns eine Herrlichkeit auf, von der wir vorher gar keine Ahnung hatten.
Wir haben uns unserem Heiland für Zeit und Ewigkeit übergeben. Er ist unser größter Schatz, den wir mehr lieben als irgend etwas anderes in der Welt. Aber nicht alle denken so, wie wir Jesusjünger es tun. Im Gegenteil, viele verachten und verlachen den Glauben an den Sohn Gottes, durch den wir so reich und froh geworden sind. Sie hassen auch uns um Jesu und Seines Wortes willen. Es ergeht uns so, wie Jesus es Joh. 15, 18 gesagt hat. Nacht der Verfolgung umfängt uns. Sofort aber fangen die lieblichen Stern göttlicher Verheißungen an zu funkeln. Worte, die uns bisher völlig gleichgültig ließen, bekommen auf einmal Klang und Farbe. Aussprüche des Höchsten, die uns verschlossen und versiegelt waren, werden in unseren Herzen lebendig. So beginnt in der Nacht der Verfolgung etwas Joh. 15, 18 zu uns zu sprechen: „Wenn euch die Welt haßt, so wisset, daß sie Mich vor euch gehaßt hat. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern Ich euch von der Welt erwählt habe, darum haßt euch die Welt.“
Welch ein heller Stern! Gerade in der Verfolgung kommt es uns besonders deutlich zum Bewußtsein, daß wir des Herrn sind. Oder Matth. 5, 10-12: „Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihrer. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um Meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“
Wir müssen erst Verfolgung erleiden, um die Herrlichkeit dieses Jesuswortes verstehen zu lernen. In der Nacht leuchten die Sterne göttlicher Verheißungen auf. Oder 1. Petri 4, 12-14: „Ihr Lieben, laßt euch die Hitze, die euch begegnet, nicht befremden, als widerführe euch etwas Seltsames, sondern freuet euch, daß ihr mit Christo leidet, auf daß ihr auch zur Zeit der Offenbarung Seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget. Selig seid ihr, wenn ihr über den Namen Christi geschmäht werdet; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch.“ Und viele andere Sterne göttlicher Verheißungen leuchten uns gerade in der Nacht der Verfolgung auf, deren Bedeutung wir sonst nie in unserem Inneren empfinden würden.
Wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf. Das ist auch so in der Nacht der Anfechtung.
Als Gotteskinder haben wir Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott, haben die Gotteskindschaft und ewiges Leben empfangen. Satan, der Widersacher Gottes und unser größter Feind hat aber kein Gefallen daran, daß Gottesmenschen in der Freude und Kraft Gottes ihren Weg gehen. Er ficht uns an, und Gott läßt es zeitweise zu, damit wir nicht träge und gleichgültig werden und auch immer wieder unsere Ohnmacht und Abhängigkeit von unserem Heiland erkennen. Stunden kommen, in denen wir niedergeschlagen sind und Satan uns jagt wie ein Jäger das Wild. Wir möchten mit dem Psalmisten ausrufen. „Der Feind verfolgt meine Seele und schlägt sie zu Boden“ (Psalm 143, 3). Und wir beten. „Gib nicht dem Raubtier preis die Seele deiner Taube“ (Ps. 74, 19). Satan ficht uns an und will uns rauben, was Gott uns geschenkt hat.
Aber da leuchten auch schon die Sterne auf, die wir vorher gar nicht funkeln sahen. So Psalm 42, 6: „Was betrübst du dich, meine Seele, und stürmst so ruhelos in mir? Harre auf Gott, denn ich werde Ihm noch danken, daß Er mir hilft mit Seinem Angesicht.“ Oder Jesaja 28, 19: „Anfechtung lehrt aufs Wort merken.“ Oder Joh. 16, 22: „Und ihr habt auch nun Traurigkeit; aber Ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ Oder Joh. 16, 33: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, Ich habe die Welt überwunden.“ Oder 1. Joh. 3, 20: „Daran erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind, und können unser Herz vor Ihm damit stillen, daß, so uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz und weiß alle Dinge.“ Oder Phil. 1, 6: „Ich bin desselben in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.“ Und viele andere Sterne leuchten in der Nacht der Anfechtung auf, die unsere Seele mit ihrem lieblichen Schimmer stärken und erquicken.
Ja, wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf. Das gilt auch für die Nacht der Versuchung, durch die wir gelegentlich wandern müssen, damit wir auf unseren inneren Wert geprüft werden. Neue Stern leuchten uns auf. So Hebr. 2, 17-18: „Daher mußte Er in allen Dingen Seinen Brüder gleichwerden, auf daß Er barmherzig würde und ein treuer Hohepriester vor Gott, zu versöhnen die Sünden das Volkes. Denn worin Er gelitten hat und versucht ist, kann Er helfen denen, die versucht werden.“ Oder Matth. 4, 1. 4. 7.10: „Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf daß Er vom Teufel versucht würde. – – Er sprach: ‚Es steht geschrieben!’“ Oder 1. Kor. 10, 12-13: „Darum, wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle. Es hat euch noch noch keine denn menschliche Versuchung betreten; aber Gott ist treu, der euch nicht über euer Vermögen versuchen läßt, sondern macht, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihr’s ertragen könnt.“ Und mancher andere Stern erglänzt uns in dem Wort Gottes und zeigt uns den Weg zum Vater und seine Hilfe.
Wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf. Das gilt auch in der Nacht des Leides, sei es nun, daß wir Enttäuschungen erleben, krank darniederliegen, irgendwelche Verluste erleiden oder unsere Pläne durchkreuzt werden. In heutiger Zeit haben ja viele Menschen und auch Gotteskinder durch die Kriegsgreuel Hab und Gut verloren, mußten Heimat und Herd verlassen und wurden aus ihrer liebgewordenen Umgebung und Ordnung herausgerissen. Sofort leuchten aber da für Gottesmenschen Sterne des Himmels auf, die ewigen Glanz in ihre Seele fallen lassen. So Hebr. 12, 11: „Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit geben denen, die dadurch geübt sind.“ Oder Jes. 38, 17: „Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast Dich meiner Seele herzlich angenommen, daß sie nicht verdürbe; denn Du wirft alle meine Sünden hinter Dich zurück.“ Oder Jes. 55, 8-9: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. Sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch Meine Wege höher als eure Wege und Meine Gedanken als eure Gedanken.“ Oder Joh. 13, 7: „Was Ich tue, das weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.“ Oder Jes. 66, 13: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Und sehr viele lieblich Sterne schimmern aus dem Worte Gottes in der Nacht der leiden, so daß unsere Seelen wunderbar gestärkt und getröstet werden.
Wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf. Das gilt auch dann, wenn wir eines unserer Lieben hergeben müssen und Gott uns an ein Grab stellt. Wir spüren da etwas von der grausigen Nacht des Todes. Wie arm wären wir dann, wenn nicht göttliche Verheißungssterne uns in solcher Nacht aufleuchten würden. Gott Sei gelobt und gepriesen, daß auch da wieder so viele Lichtstrahlen in unsere Seelen fallen, bis schließlich der ewige Morgen aufgeht und alles mit seinem nie mehr endenden Strahlenglanz erfüllt. Gerade angesichts des Todes wird uns die Größe des Erlösungswerkes Jesu Christi besonders deutlich. Da funkelt es uns Joh. 11, 25 entgegen: „Jesus spricht zu ihr: ’Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an Mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebet und an Mich glaubt, der wird nimmermehr sterben!’“
Oder 2. Tim. 1, 10: „Christus hat dem Tode die Macht genommen und hat Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht.“ Oder 1. Kor. 15, 55-57: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? – – Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesus Christus!“ Oder Offb. 21, 4-5: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen; und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron sitzende sprach: ’Siehe, Ich mache alles neu.’ Und er spricht zu mir: ‚’Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß.’“ Wer die Heilige Schrift kennt, der weiß, wie die vielen göttlichen Verheißungen wie eine Milchstraße mit ihrem geheimnisvollen Glanze das arme Menschenherz erhellen. Ja, es ist wahr: wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf.
Und nach jeder Nacht erstrahlt ein neuer Morgen
Auch das ist eine köstliche Wahrheit für alle aufrichtigen Herzen. So schön und prächtig auch der nächtliche Himmel in seinem Sternenschmuck ist, so geht doch nichts über das Licht des Tages. Wir freuen uns über alle Sterne göttlicher Verheißungen und möchten diese Gottesoffenbarungen und Erfahrungen nicht missen, aber wir sehnen uns doch aus der Leidensnacht wieder heraus und begehren den Anbruch der Morgenröte in ihrer Schönheit.
Da erleben wir es nun durch unser ganzes Menschendasein hindurch, daß nach jeder Nacht wieder ein neuer Morgen erstrahlt, und dieses Erleben wird uns zu einer Offenbarung. Auch in geistlicher Hinsicht bricht nach jeder Nacht wieder ein neuer Morgen an. Die Nacht der Verfolgung, der Anfechtung und Versuchung, die Nacht der Leiden und des Todes wird auch nicht ewig währen, sondern gewiß von dem Anbruch eines neuen Tages abgelöst. Deshalb freuen wir uns mit Dankbarkeit der tröstlichen Sterne der göttlichen Verheißungen in solchen Nächten, blicken aber erwartungsvoll mit gläubiger Zuversicht aus nach der kommenden Dämmerung, dem Morgenrot und dem hellen Aufgang eines neuen Tages. Und wir können darin nicht enttäuscht werden, wenn uns auch die Nacht noch so lang erscheinen mag. Es entspricht einem unvergänglichen Gottesgesetz auf dieser Erde, daß Nacht und Tag miteinander wechseln. Unsere Erfahrungen stimmen damit völlig überein. Weiter ziehen wir dann den Schluß, daß all die übrigen Gottesworte Wahrheit sind und daß schließlich nach Seiner Zusage ein ewiger Morgen erstrahlen wird, der nie wieder enden kann. Es wird einmal ein letztes Morgenrot aufleuchten, das in einen unaufhörlichen Tag einmündet, so daß keine Nacht mehr folgen kann. Lies darüber Offb. 21, 23-25; 22, 5.
In dem kalten Winter 1941/42 gab es viel Eis und Schnee. Ich mußte eines Tages wieder über Land gehen. Während ich mich durch hohe Schneeverwehungen hindurcharbeite, kam mir zum Bewußtsein, daß die Tage schon länger wurden. Mit froher Gewißheit legte ich meine beiden Hände an den Mund und rief mit lauter Stimme über die weite, weiße Schneelandschaft: Eis und Schnee, das sage ich euch: Ihr müßt davon, denn die Sonne steigt immer höher! An einem darauf folgenden Sonntag sprach ich über den neuen Himmel und die neue Erde. Ich begann meine Predigt damit, daß ich meinen Hörern ankündigte, es würde in zwei bis drei Monaten etwas geschehen sein, das nicht nur alle Bewohner des deutschen Vaterlandes, sondern weit über seine Grenzen hinaus viele Menschen sehr erfreuen würde. Und das wüßte ich so gewiß, daß darüber keinerlei Zweifel bestehen könnte. Die Aufmerksamkeit meiner Hörer wurde immer gespannter. Manche meinten wohl, ich würde etwas über den Ausgang des Krieges sagen. Endlich erklärte ich, was ich denn mit solcher freudiger Gewißheit behaupten könne. Ich erzählte meinen Hörern von meinem Weg über das verschneite Land und rief noch einmal: Eis und Schnee, ihr müßt davon denn die Sonne steigt immer höher! Ein Aufatmen ging durch die Versammlung. Das hatten alle schon gewußt, aber wer bedenkt recht den tiefen Sinn der Naturvorgänge und zieht daraus die entsprechenden Schlüsse auch für sein geistliches Leben?
So gewiß wie Eis und Schnee davon müssen und der Frühling mit all seiner Lust und Wonne ins Land zieht, so gewiß geht auch die Nacht vorüber und ein neuer Morgen erstahlt. Während wir das Frühlingserleben in jedem Jahre nur einmal genießen, erstrahlt uns in jedem Jahre 365mal ein neuer Morgen. Haben wir schon die tröstlichen Schlüsse daraus gezogen? Ein Sonnenuntergang mit seinen glühenden Farben ist gewiß ein herrlicher Naturgenuß. Viel ergreifender ist aber noch ein Sonnenaufgang, weil wir hier erleben, wie die Nacht besiegt wird und die Sonne triumphiert. Nie werde ich einen solchen Sonnenaufgang vergessen, den ich im Sommer 1933 auf der Schneekoppe im Riesengebirge schaute. Er wurde mir zu einem prophetischen Gleichnis, daß Christus, die ewige Sonne, alle Nacht besiegen und einen unvergleichlichen Ewigkeitstag mit ewiger Freude und Wonne triumphierend herbeiführen wird. Dank sei dem großen, ewigen Gott für Seine schimmernden Verheißungssterne, aber noch viel mehr für den ewigen Strahlenkranz unseres Heilandes! Merke: Wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne auf; und nach jeder Nacht erstrahlt ein neuer Morgen. Einmal aber wird alle Nacht vergehen und ein ewiger Morgen anbrechen ohne Aufhören. Dahin führt Christus die Seinen.
Adler, im Sturm erprobt
(Lies dazu 5. Mose 32, 11+12)
Mose, der Mann Gottes, hatte schwere Wege gehen müssen, um dabei für göttliche Aufgaben gerüstet zu werden. Mose mußte viele Lektionen lernen, um vielen dienen zu können.
Nach seiner wunderbaren Errettung aus dem Nil wurde er ein ägyptischer Prinz und als solcher in aller Weisheit der Ägypter erzogen. Als 40jähriger Mann wurde er aus patiotischen gründen und aus Liebe zu seinen Volksgenossen zum Mörder und mußte fliehen. Vierzig Jahre lang mußte er dann im Lande Midian leben, wo er Hitendienst bei dem Priester Jethro tat, der ihm seine Tochter Zippora zur Frau gab. Als Mose Gott in eigener Kraft dienen wollte, konnte ihn der Allmächtige nicht gebrauchen, als sich Mose aber nach 40 Jahren selbst für untüchtig hielt, war Gottes Zeit gekommen, ihn für außerordentlich große Aufgaben zu verwenden. Mose hatte auf den harten, langen Erziehungswegen Gottes so viel gelernt, daß er nun zu großen Dingen fähig war. Dort im Lande Midian, wo sich Gebirge und Meer berühren, wurde der Mann Gottes in erhabener Natur und in schweigender Einsamkeit erzogen. Dort hat er auch gesehen, wie der Adler sein Nest aufstört und mit seinen Jungen verfährt. Dieses Gleichnis aus Gottes Schöpfung soll uns köstliche Wahrheit veranschaulichen und nahe bringen.
Im warmen Nest geborgen
Es kommt hier wohl der Steinadler in Frage, den es auch noch in den Alpen gibt. Hoch oben auf steilen, vorspringenden, kaum zu erreichenden Felsen legt er sein Nest sicher an. Zur Brutzeit legt das weibliche Tier meist zwei Eier. Wenn die Jungen ausgebrütet sind, so liegen sie im weichen, warmen Nest, und wenn es nötig ist, werden sie von den schützenden Fittichen der Eltern gedeckt. Um nichts brauchen sich die Jungen zu sorgen; das tun zunächst die Eltern. Es ist ein schönes, angenehmes Dasein, so warm gebettet, so treu versorgt und so sicher geborgen zu sein.
So lieben wir es auch als Menschen, ja selbst als Gotteskinder. Wir freuen uns, wenn die Sonne Gottes lacht und wir einen lieblichen, leuchtenden Tag in aller Ruhe und Sorglosigkeit verleben dürfen. Wenn alles nach unseren Wünschen geht, dann loben wir die Güte und Freundlichkeit unseres Gottes.
Aus dem Nest geworfen.
Es bleibt aber nicht immer so, daß die Adlerjungen im warmen Neste liegen können, sie sollen ja heranwachsen; sie sollen es lernen, selbst den stärksten Stürmen zu trotzen. Was geschieht da? Eines Tages – die Adler wissen instinktiv ganz genau, wie weit die Jungen gediehen sind – stören die Alten bei geeignetem Wetter das Nest auf; sie werfen ihre Jungen über den Rand des Nestes hinaus, damit sie fliegen lernen. So müssen die Jungen wohl oder übel ihre Flügel gebrauchen. Sie werden wohl zunächst ängstlich schreiend umherflattern, aber das schadet nichts, denn die Adlerjungen müssen fliegen lernen. Wie mag es ihnen dabei zu Mute sein? Verlassen, ängstlich, erschreckt mögen sie ihre ersten Flugversuche machen, aber das alles ist nötig, denn die Adlerjungen sollen ja, wie die Alten, Beherrscher der Luft werden.
So ergeht es auch uns Gotteskindern, wenn wir von unserem himmlischen Vater durch Leid geführt werden, wenn Gott so mit uns handelt, daß wir es zunächst nicht verstehen und viel Schmerzen erleiden müssen. Aber je heißer die Sonne scheint, desto reifer wird das Getreide und desto süßer die Früchte. Gott erzieht seine Kinder so, wie es sich für Prinzen geziemt. Um die Straßenjungen wird sich der König nicht weiter kümmern, die dürfen sich manches erlauben, was Prinzen nicht gestattet ist. Gotteskinder sind königlichen Geschlechtes; sie sind den Adlern verwandt. Deshalb geht Gott mit ihnen durch harte Schulen, wirft sie aus dem warmen Neste ihrer eigenen Wünsche heraus und nötigt sie, ihre Gaben und Kräfte in Kämpfen, Gefahren und Schwierigkeiten zu entfalten und zur höchsten Leistung zu steigern.
Kind Gottes, erschrick nicht, wenn dich Gott durch finstere Täler und tiefe Wasser führt, wenn dich dein Gott schwere Lektionen lehrt. Es muß sein, sonst würde es dir der Vater ersparen. Die Adlereltern handeln nicht grausam, sondern verständig mit ihren Jungen. Auch dein Gott handelt nicht grausam, sondern höchst weise. Die Gemeinde Jesu Christi hat ewige Aufgaben zu erfüllen, da muß sie zugerüstet werden. Das Leid dient zum Heile. Alle Dinge dienen den Gottesmenschen zum Besten. Wenn uns Gottes Handeln jetzt nicht klar ist, es wird uns noch sonnenklar werden. Wie bei einem kunstvoll gewirkten Teppich die Fäden auf der linken Seite wirr durcheinanderlaufen, aber auf der rechten Seite ein sinnvolles Muster ergeben, so ist es mit den unverstandenen Wegen Gottes. Nur Geduld! Gottes Erziehungswege dünken uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein, aber danach wirken sie eine friedvolle Frucht, nämlich die Gerechtigkeit. Bedenke: Gott weiß alles; Er handelt nur gut mit dir, und einst wirst du am Ende der Wege Gottes anbeten.
Auf Adlers Flügeln getragen.
Die Adlerjungen mögen bei ihren ersten Flugversuchen wohl denken, ihr Ende sei gekommen, sie müßten rettungslos an den Felsen zerschellen. Aber das kommt nicht vor. Über ihnen schweben die Alten und wachen sorgsam mit scharfen Augen über jede Bewegung der Jungen. Sobald sie in irgendeine Gefahr geraten, stoßen die Alten nach unten, breiten ihre majestätischen Flügel unter dem gefährdeten Jungen aus, nehmen es auf ihre Fittiche und tragen es hinauf ins Nest. Wie wohlgeborgen und sicher mögen sich die Jungen jetzt nach den überstandenen Schrecken fühlen! So behaglich mag ihnen das Nest noch nie vorgekommen sein.
Nicht anders handelt Gott zu rechter Zeit mit den Seinen. Denke doch ja nicht, daß du von Gott verlassen seiest. Gerade dann, wenn du meinst, es wäre aus mit dir, es ginge unmöglich mehr weiter, kommt dein Gott und Heiland mit seiner allmächtigen Hilfe, breitet unter die Seine Fittiche aus, nimmt dich auf und trägt dich mit ewiger Gnade. So erlebst du deinen Gott herrlich, wirst in deinem Glauben gefestigt und für neue Glaubensproben ausgerüstet.
Im Sturm erprobt
Wohl mögen die jungen Adler sich freuen, nach den erlebten Schrecknissen des ersten Fluges wieder im sicheren Neste zu sein. Doch dabei bleibt es nicht. Nach einiger Zeit wird das Nest wieder aufgestört, und das Lernen beginnt von neuem. Dabei aber erstarken die Flügel immer mehr, und auch schon bei ungüstigem Wetter können Flüge unternommen werden. Und eines Tages finden die Jungen Freude am Fluge, sie verlassen das Nest von selbst und trotzen schließlich mit Adlerstolz dem Sturme, der ihnen nichts mehr anhaben kann, sondern sie erst recht dem Lichte mit Windesschnelle entgegenträgt. Adler, im Sturm erprobt! Welch köstliche Wahrheit.
So wird es Gott auch mit uns halten. Wir sollen sturmerprobt werden. Gott hat Freude am Echten, Starken und Bewährten. Gewiß hat Er ein Herz für das Schwache, Zerbrochene und Elende. Aber Er will nicht, daß es so bleibt, sondern Seine Gnade will stärken, heilen und erneuern. Wir sollen in Seiner harten Schule gründlich lernen, um für Ihn brauchbare Werkzeuge zu sein. Hernach werden wir es klar erkennen, warum Gott uns so geführt hat. Dann werden wir das Leid segnen, denn es diente uns zum Besten, zum Heile. Gerechtigkeit hat sich als friedvolle Frucht daraus entwickelt. Im Sturme sind wir erprobt und bewährt worden und können dann auch als Königskinder an der Herrlichkeit Gottes teilhaben.
Kind Gottes, nimm diese köstliche Wahrheit auf dein Herz. Und wenn du in kommenden Tagen aus dem warmen Neste geworfen wirst, so verzage nicht. Wisse vielmehr: Adlersflügel sind unter dir; sie werden dich tragen. Und geht es schließlich durch erneute Proben und Prüfungen, so danke und jauchze, denn Herrliches hat dein Gott mit dir vor nach Seinen ewigen Plänen.
Die letzte Träne
Die Tränen Jesu
Unzählbare Tränen werden täglich auf der weiten Erde geweint. Sie sind ein Ausdruck des Schmerzes und des Leides. Die Arten der Tränen sind aber recht verschieden. So gibt es Tränen der Sünde: Tränen der Wut, des Zornes, der Eifersucht, des Neides, des Hasses, der Enttäuschung, des Ärgers, der Verstimmung. Solcher Tränen sollten wir uns schämen. Es gibt aber auch heilige Tränen, die unser Herr Jesus geadelt hat, weil sie sogar Seinen Augen entflossen sind: Tränen über die Sünden anderer, Tränen der Trauer und Tränen innerer Seelenkämpfe. Dreimal wird uns in den Evangelien berichtet, daß Jesus geweint hat. Wir lesen Lukas 19, 41: „Und als Jesus nahe hinzukam, sah er die Stadt (Jerusalem) an und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinem Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, daß deine Feinde um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängsten werden.“ Hier weint Jesus also über die Hartnäckigkeit und Unbußfertigkeit der Bewohnen Jerusalems Tränen der Barmherzigkeit. Solche Tränen sind heilige Tränen, deren wir uns nie zu schämen brauchen. – – Dann vergoß der Herr auch Tränen am Grabe des Lazarus. Darüber schreibt Johannes im Kap. 11 V. 35: „Und Jesus gingen die Augen über“. Wenn uns liebe Menschen von der Seite gerissen werden und Schmerz darüber verständlicherweise unsere Seele erfüllt, dürfen wir getrost unseren Tränen freien Lauf lassen, auch dann, wenn wir gläubig sind, denn selbst unser Heiland hat an einem Grabe geweint und dadurch diese Tränen geheiligt. – – Schließlich hat der Sohn Gottes während Seines Erdenlebens auch in heftigen Seelenkämpfen geweint. Hebr. 5, 7 lesen wir: „Er hat in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu Dem, der Ihm von dem Tode konnte aushelfen; und ist auch erhört, darum daß Er Gott in Ehren hatte.“ Als die Schatten des Kreuzes in Gethsemane auf den Weg des heiligen Gottessohnes fielen und Er das Sündenlamm für die ganze Welt werden sollte, geriet Er in furchtbare Seelenkämpfe und weinte Sich dabei aus. Damit hat unser Herr also die Tränen geheiligt, die von uns in großen seelischen Nöten geweint werden.
Unsere Tränen.
Die Macht eines Gewitters ist gebrochen, wenn der Regen herabströmt. So hat Gott in Seinem Erbarmen den Menschen Tränen gegeben, um auf diese Weise den Leidgeborenen Erleichterung zu verschaffen. Sünde, Sorge und Tod sind die drei furchtbaren Mächte, die auf dieser Erde einen Strom von Tränen verursachen. Würden Sünde, Sorge und Tod von dieser Erde beseitigt, wir wüßten wahrlich nicht mehr, über was Menschen noch weinen sollten.
Tränen der Sünde.
Das können, wie wir vorher schon betont haben, wirklich sündhafte Tränen sein, nämlich, wenn sie aus Wut, Zorn, Enttäuschung oder aus anderen unordentlichen Regungen unserer Herzen vergossen werden. Es können aber auch Tränen sein, die wir weinen, weil andere wider uns sündigen und uns Böses antun. Bedrückung, Gewalttat, Raub, Plünderung und allerlei sonstige Bosheit vermögen uns so viel Schmerz zu verursachen, daß wir weinen müssen. Dann ist es eben nicht unsere eigene Sünde, die uns Tränen verursacht, sondern die Sünde der anderen. Leider werden auf unserer Erde sehr viel mehr Tränen in dieser Hinsicht geweint, als wir denken. Die Sünde ist überaus mächtig gewordsen, daher so viel Leid.
Anders ist es schon, wenn wir aus Barmherzigkeit, wie unser Herr, Tränen vergießen, weil wir rings um uns her so viel Sündennot erblicken müssen. Es gibt nicht allzu viele Menschen, die solche heilige Tränen kennen. Die Liebe ist weithin unter den Menschen erkaltet, und die Ungerechtigkeit nimmt überhand. Da ist es kein Wunder, wenn wir wenig Tränen Mitleides und der Barmherzigkeit finden. O, daß unser Herz weicher und unsere Anteilnahme am Ergehen anderer größer wäre, die Welt würde dadurch gewiß heller und wärmer.
Es gibt aber noch Tränen über die Sünde, die unser Heiland nie hat weinen brauchen, weil Er nie gesündigt hat, das sind die Bußtränen. Wir aber sind alle sündig und brauchen Reinigung von der Schuld durch Jesu teures Blut, das Er für uns auf Golgatha vergossen hat. Wer Bußtränen weint, braucht sich nicht zu schämen, im Gegenteil: die Engel im Himmel freuen sich mit, wenn solche Tränen vergossen werden. (Luk. 15, 7.10). Und wie viel Erleichterung können gerade solche Tränen uns bringen! Das weiß ich aus eigenem Erleben. Wie nahe ist Gott im Heiligen Geist einem Menschen, bereit, alle Sünden ins Meer der Vergessenheit zu werfen und das unreine Herz von aller Befleckung zu reinigen und Frieden und Freude zu schenken. Laß deinen Tränen über deine Sünde freien Lauf und rufe den Namen deines Erlösers um Vergebung an!
Tränen der Not.
Nach dem Willen des Schöpfers haben wir Menschen mancherlei Bedürfnisse, wodurch wir übrigens ständig unsere Abhängigkeit zum Ausdruck bringen. Wir müssen atmen, essen, trinken, schlafen; wir brauchen Kleidung, Wohnung und Heizung. Und wenn es an diesen lebensnotwendigen Dingen gebricht, leiden wir Mangel und fühlen Sorgen. Wir kennen Brot- Wasser- Kleider- Wohnungs- Heizungs- und andere Nöte. Wie viele Tränen sind deshalb schon geweint worden. Der gütige Schöpfer reicht ja in übergroßer Fülle alle Güter völlig umsonst dar, die die Menschen brauchen, um glücklich und froh auf dieser Erde leben zu können. Aber die Sünde mischt sich hinein, verdirbt weithin die Gnade Gottes und schafft Not, Sorge, Leid und Tränen. In dieser Welt müssen wir alle mehr oder weniger etwas von Not und Sorge kennenlernen. Wie gut ist es da, wenn wir in Christo Gott als unseren fürsorgenden Vater kennengelernt haben und nun alle unsere Sorge auf Ihn werfen können, der ja für uns sorgen will. Doch auch dieser unvollkommene Zustand der Not wird einmal grundlegend geändert werden.
Tränen des Todes.
Sünde und Sorge bewirken schließlich den Tod. Auf dem Wege der Krankheit oder des Unglücks müssen wir einmal davon. Viele Menschen sterben nicht den „Stohtod“ auf einem Lager an irgendeiner Krankheit, sondern werden in den besten Jahren ihres Lebens durch Unglücksfälle oder durch Kriegseinwirkungen dahingerafft. Wie viel Mühe und Arbeit macht es, um einen Säugling groß zu ziehen, bis er schließlich als Erwachsener selbständig wirken kann. Aber oft werden Menschen in einem Augenblick aus der Zeit in die Ewigkeit gerufen. Diese Trennungen verursachen Schmerz und Tränen. Die beiden letzten Weltkriege, entstanden durch Bosheit der Menschen, durch Habsucht, Hochmut, Rachgier und Konkurrenzneid, haben Ströme von Tränen hervorgebracht, denn an 100 Millionen Menschen sind in diesen Gerichtszeiten hinweggerafft worde.
Die letzte Träne und dann – – ewige Freude!
Es wäre furchtbar, wenn die Menschen keine Hoffnungen hätten. Gott Sei Dank, Er hat uns aber durch die Propheten, durch Seinen Sohn Jesus Christus und dessen Apostel eine lebendige Hoffnung geschenkt. Er hat einen neuen Himmel und eine neue Erde verheißen, in welchen Gerechtigkeit wohnen wird. (2. Petri 3, 13). In einer großartigen Schau hat uns der Seher Johannes in Offenbarung 21 und 22 einen Blick in diese vollendete und verklärte Welt tun lassen. „Dabei hörte ich eine laute Stimme aus dem Himmel rufen. ’Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Er wird unter ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein; ja Gott Selbst wird unter ihnen sein und alle Tränen von ihren Augen abwischen; und es wird keinen Tod mehr geben; kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.’ Da sagte der auf dem Throne sitzende: ‚Siehe, Ich mache alles neu!’ Dann fuhr Er fort: ‚Schreibe! Denn diese Worte sind zuverlässig und wahr!’.“ Gott lügt nicht, Er wird alle Seine Zusagen einlösen!
Frage nicht mehr: Warum? Sondern frage fortan: Wozu? Wenn du durch Leid hindurchgehen und weinen mußt. Das Leid soll dich lösen, läutern, verklären und vollenden helfen. Wenn wir auch jetzt noch leiden unter dem Riß, der durchs All geht, unser Erlöser Jesus Christus ist erschienen und wird die Weltverklärung herbeiführen. Vom Kreuze von Golgatha aus gehen heilende und erneuernde Kräfte hinein in das ganze All. Wenn wir auch noch manchesmal durch dunkle Täler und tiefe Wasser schreiten müssen, Gott ist in Christo als Licht und Trost, als Beistand und Helfer bei uns und läßt alles zu unserem Besten sich auswirken. Am Ende der Wege Gottes wird es nur noch Anbetung geben, denn Gott hat uns eine unzerstörbare Heimat, eine ungetrübte Gemeinschaft und einen unsterblichen Herrlichkeitsleib zugesagt. Dann müssen, dann können wir nicht mehr weinen.
So wollen wir unsere Häupter emporheben und auf die Erscheinung unseres hochgelobten Heilandes Jesus Christus warten. Ihm sollen wir unser Leben weihen und dann treu Ihm nachfolgen, bis es vom Glauben zum Schauen geht und wir in ewiger Freude und Wonne mit allen Erlösten um Ihn sein dürfen.
Friedrich Sondheimer
Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im Januar 2024
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