Das Leben Jesu (A. Fruchtenbaum)
Arnold Fruchtenbaum
Das Leben Jesu
Das Folgende stellt einen Auszug einer zwanzigstündigen Vortragsreihe des amerikanischen Judenchristen Arnold Fruchtenbaum dar. Der Schwerpunkt dieser tiefen Auslegungen, die durch eine genaue Kenntnis des Judentums der Zeit Jesu möglich wurden, liegt auf den MESSIANISCHEN ZEICHEN UND WUNDERN.
Dem Leser dieser Zeilen wünsche ich großen Gewinn. Er möge gleich dem Hausbesitzer sein, der aus seinem Schatz altes und neues hervorholt.
Jürgen Neidhart, Pfr.
Johannes der Täufer begann laut Matthäus 3,1-3 seinen Dienst damit, daß er das Kommen eines Königs – nämlich des Messias – verkündigte. Und indem er vom kommenden Messias predigte, begann eine messianische Bewegung. Laut den Gesetzen der Mischna (= mündlich überliefertes Gesetz der Juden) mußte der Hohe Rat beim Aufkommen einer messianischen Bewegung zwei Dinge unternehmen: Die erste Phase war die Phase der Beobachtung. Eine Delegation wurde von Jerusalem ausgesandt, um zu beobachten, was gesagt und getan wird. Sie sollten keine Fragen stellen und auch keine Kommentare abgeben. Nur beobachten: Nach einer gewissen Zeit des Beobachtens sollten sie zum Hohen Rat zurückkehren und dort einen Rapport erstatten und auch Fragen wie folgt beantworten: Ist die Bewegung von Bedeutung oder nicht? War sie unbedeutend, so hat man die ganze Sache fallen gelassen.
War sie bedeutend, dann formierte man in einer zweiten Phase eine neuerliche Delegation. Und die wurde nun ausgesandt, um konkrete Fragen zu stellen: „Wer bist du, und wer behauptest du zu sein? Und durch welche Vollmacht lehrst und tust du das, was du tust?“
In Matthäus 3, 7 -10 sehen wir die erste Phase der BEOBACHTUNG in Bezug auf Johannes des Täufers. Wir lesen, daß die Pharisäer und die Sadduzäer zu ihm und seiner Taufbewegung kamen, aber nicht, um getauft zu werden. Sie sind nur zum Beobachten da. Es wird deutlich gesagt, daß, als sie ihre Beobachtungen abgeschlossen haben, sie dem Hohen Rat berichten, daß es sich um eine bedeutende Bewegung handelt. Denn dann kommt eine zweite Delegation in Johannes 1,19 – 28, und dort stellen sie konkrete Fragen. Dreimal wird besonders erwähnt, daß sie von Jerusalem gesandt wurden: Verse 19, 22 + 25. Sie wurden also von den Pharisäern gesandt und stellen nun Fragen: Wer bist du? Wenn du nicht der Messias bist, bist du dann Elia? Wenn du nicht Elia bist, bist du dann der verheißene Prophet aus 5. Mose 18, 15?
In jeder Hinsicht betont Johannes, daß er nicht der Messias oder Elia oder der Prophet ist, sondern bezeichnet sich als Vorläufer des Messias, der in Jesaja 40 & Maleachi 3 vorhergesagt wurde.
Wir werden gleich sehen, wie diese beiden Phasen der Untersuchung des Hohen Rates auch auf Jesus angewandt werden.
Kurz nachdem Johannes vom Hohen Rat untersucht wurde, beginnt Jesus seinen Dienst. In Johannes 2,23 -25 lesen wir, daß er seinen öffentlichen Dienst in Jerusalem mit öffentlichen (WUNDER-) ZEICHEN anfängt. Zu Beginn seines Dienstes dienten die Wunder als Zeichen für die NATION (Volk Israel):
Nämlich, um das Volk Israel zu einer Entscheidung zu bringen, daß er der Messias sei. Später änderte sich dieser Zweck, dieses Ziel seiner Wunder, wie wir sehen werden. Doch am Anfang hatten die Wunder Jesu die Zielsetzung, als Zeichen für die Nation zu gelten.
Unter denen, die diese Wunder beobachten, ist auch ein Mann namens Nikodemus, einer der Pharisäer. Laut Johannes 3 kommt dieser zu Jesus, um Erkundigungen anzustellen. Wir müssen daran denken, daß Nikodemus ein Pharisäer war und deshalb auch an den pharisäischen Judaismus glaubte. . .
Mit diesem Bericht über Nikodemus haben wir den Inhalt des Konflikts Jesu mit den Pharisäern aufgezeigt bekommen (Als Jude geboren zu sein, reicht nicht aus, um errettet zu sein). Obgleich wir nirgends lesen, daß Nikodemus sich gegen Jesus stellte. Jesus stellte in Joh. 3 jedoch seine pharisäische Lehre in Frage.
In der folgenden Zeit proklamiert Jesus weiter, daß er der Messias sei, und er beweist auch diese Behauptung durch viele Wunder.
Jetzt kommen wir zu einem sehr entscheidenden Abschnitt in Lukas 5. Denn hier wird uns die Geschichte von der Heilung eines Aussätzigen (Leprakranken) berichtet. Nirgendwo wird im Alten Testament nach dem Abschluß des Gesetzes die Heilung eines Juden vom Aussatz berichtet. Oft war es den Rabbinern möglich, andere Krankheiten zu heilen – doch nicht den Aussatz: Auch gab es in jüdischen oder alttestamentlichen Quellen keinen einzigen Bericht von einer Heilung von Aussatz nach der Gesetzesmitteilung.
Mose schrieb jedoch zwei Kapitel in 3. Mose 13 + 14 mit detaillierten Angaben für die Führer des Volkes, wie sie sich im Falle der Heilung eines Juden vom Aussatz verhalten sollten. Wenn ein Jude kommt und behauptet, er sei jetzt vom Aussatz; geheilt, dann mußte der Priester zuerst zwei Vögel opfern. Und dann mußte der „Geheilte“ sich sieben Tage lang einer gründlichen Untersuchung unterziehen, um herauszubekommen, ob er wirklich Aussatz hatte, und wie er geheilt worden war. Wenn die Priester nach den sieben Tagen zufriedengestellt sind, wurden am achten Tag nochmals drei Opfer gebracht, und das Blut dieser Opfer wurde beim ehemaligen Aussätzigen angewandt. Danach wurde er mit Öl gesalbt. All diese Anweisungen gab es; doch sie wurden nie gebraucht.
Und weil es keinen Bericht eines vom Aussatz geheilten Juden gab, haben die Rabbiner dies als ein MESSIANISCHES WUNDER deklariert. – Die Rabbiner teilten Wunder in zwei Kategorien ein: Zuerst gab es da die Wunder, die jeder tun konnte, wenn er die Kraft Gottes hatte. Auf der anderen Seite gab es die Wunder, die nur der Messias vollbringen konnte.
In dieser zweiten Kategorie führten sie drei Hauptwunder auf, von denen das erste die Heilung eines Aussätzigen war.
In Lukas 5,12 -16 heilt Jesus einen Aussätzigen. Und dann sagt er zu ihm in Vers 14, er solle es niemanden erzählen, sondern sogleich zu den Führern Israels (den Priestern) gehen, „ihnen (den Führern) zum Zeugnis“.
Und dieses Zeugnis besteht darin, daß Jesus der Messias ist. Indem Jesus ihnen einen geheilten Aussätzigen schickte, forderte er sie dadurch heraus, eine Entscheidung (betreffend seiner Messianität) zu treffen. Sie hätten zum Schluß kommen müssen, daß dieser Mann aussätzig gewesen war und nun geheilt war. Und indem sie so vorgegangen wären, hätten sie den Messiasanspruch Jesu anerkennen müssen.
Wie sie aber in Wirklichkeit reagierten, sehen wir in den Versen 17 – 26. In Vers 17 wird uns mitgeteilt, daß die Führer des Volkes Israel von überall her zusammengekommen waren: Pharisäer und Schriftgelehrte, die aus allen Orten in Galiläa und Judäa und von Jerusalem gekommen waren. Und das Ganze fand in Galiläa statt, wohin Rabbiner nicht gerne gingen. Nun, was machen all diese Führer des Volkes Israel dort? Was hat sie dazu bewegt, aus ganz Israel zusammenzukommen? Das ist ihre REAKTION auf die Herausforderung, die sie durch die Heilung des Gelähmten bekommen hatten. Jesus muß sich jetzt der ERSTEN PHASE, der Phase der Beobachtung, unterziehen. Die Pharisäer stellen keine Fragen, sie beobachten nur.
Während sie gerade Jesu Lehre untersuchen, wird nun ein Gichtbrüchiger (Gelähmter) zu Jesus gebracht. Doch anstatt ihn zu heilen, sagt Jesus nur: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ (Lk. 5,20).
Das löst dann einen Sturm der Empörung aus unter den jüdischen Führern. Bekanntlich kann ja nur einer Sünde vergeben, und das ist Gott.
Wieso kann dann also Jesus behaupten, er habe die Vollmacht, Sünden zu vergeben? – Die Führer sind lediglich untereinander aufgebracht, denn sie dürfen jetzt noch keine Fragen stellen. Doch Jesus wendet sich ihnen zu und sagt: „Ich weiß, was ihr denkt:“ Und er stellt ihnen eine Frage: „Was ist leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder dem Gichtbrüchigen zu sagen: Stehe auf und wandle?“ Leichter ist es zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben. Denn dafür benötigt man keine äußeren Beweise. Nichts, was man beobachten könnte. Ich könnte jetzt zu euch allen sagen: „Alle eure Sünden sind euch völlig vergeben“, und ihr könnt mir nicht nachweisen, ob ich recht habe oder nicht. Denn solch eine Art von Feststellung erfordert keine sichtbare Manifestation. Wenn aber jemand mit zwei gebrochenen Beinen zu mir kommt, und ich zu ihm sage: „Ich heile dich jetzt, damit du laufen und tanzen kannst“, so ist das eine schwierige Aussage, denn sie verlangt einen sofortigen Beweis. Denn dann mußt du tatsächlich aufstehen und laufen können:
Jesus will hier sagen, daß er beweisen wird, daß er das Einfachere sagen kann: Deine Sünden sind dir vergeben, indem er das Schwierigere tut – indem er diesen Mann heilt.
Er tut also nun das Schwierigere und heilt ihn. Dafür gibt es einen sofortigen Beweis, da der Mensch aufsteht und geht. Deshalb kann Jesus auch das Einfachere sagen: Deine Sünden sind dir vergeben. Und indem Jesus die Vollmacht, Sünden zu vergeben, für sich in Anspruch nimmt, sagt er damit, daß ER GOTT IST.
Und gemäß des Alten Testamentes mußte der Messias beides sein – Gott und Mensch.
Von diesem Zeitpunkt an muß sich Jesus der ZWEITEN PHASE unterziehen, der Phase der UNTERSUCHUNG. Von nun an stellen sie ihm Fragen, warum er dies oder jenes tue, oder warum er es nicht tue. Und dies solange, bis sie das Urteil fällen, daß er nicht der Messias sei.
Liest man weiter in Lukas 5, dann sieht man, wie sich der Konflikt weiterentwickelt (Fastenfrage, Sabbatfrage etc.). Jesus bringt etwas völlig Neues, doch die Pharisäer entscheiden sich lieber für das Alte (Lk. 5, 36ff.) . . .
Wir sahen, daß der Konflikt mit den Pharisäern schon mit Johannes dem Täufer begann. Nun kommen wir zu Matthäus 11,2-19, wo Jesus den Grund angibt, warum die Pharisäer Johannes abgelehnt hatten. In den Versen 16-19 wird ein Unterschied sichtbar zwischen den angegebenen und wirklichen Gründen. Der wirkliche Grund, warum sie Johannes ablehnten war der, daß er nicht nach ihrer Weise handelte; d.h. daß er den pharisäischen Judaismus ablehnte.
Und so nimmt er dieses Beispiel von den Kindern, die nicht tanzen oder spielen, so wie es ihnen vorgeschrieben wird. Das ist der wirkliche Grund, weshalb sie ihn ablehnten: Er war nicht bereit, nach ihrer Art und Weise zu handeln. Aber der angegebene Grund war, der, daß Johannes von Dämonen besessen war. Mit dieser Begründung lehnten sie ihn ab.
Schauen wir jetzt Matthäus 12 an, weil dies das wichtigste Kapitel im Leben Jesu ist, mit Ausnahme der Kapitel, die seinen Tod und seine Auferstehung behandeln.
In diesem Kapitel finden wir einen WENDEPUNKT im öffentlichen Dienst Jesu. Vieles wird sich von nun an verändern. Wenn wir es nicht verstehen, was hier passiert, werden wir auch später nicht verstehen, warum gewisse Dinge sich gerade so zutragen und nicht anders. In V. 22 treibt Jesus einen Dämon aus, der eine Person so in Besitz genommen hat, daß sie nicht sprechen konnte. In V. 23 sehen wir, wie das Volk deshalb eine Frage stellt: „Ist dieser nicht der jüdische Messias? Ist er nicht der Sohn Davids?“ Nun, warum würden sie so reagieren, wenn Jesus hier einen stummen Dämon ausgetrieben hat? Jesus hat früher auch schon andere Dämonen ausgetrieben, aber sie haben nicht diese Frage gestellt. Warum nicht? Warum gerade jetzt?
Im Judaismus wurden Dämonenaustreibungen auch praktiziert. Die Pharisäer und ihre Jünger haben oft Dämonen ausgetrieben. Jesus sagt es auch in Vers 27, wenn er die Pharisäer fragt „Durch wen treiben eure Söhne die Dämonen aus?“ .
Im Judaismus mußte man, um Dämonen auszutreiben, ein spezielles Ritual befolgen. In diesem Ritual mußte man zuerst eine Kommunikation mit dem Dämon herstellen. Wenn ein Dämon spricht, dann gebraucht er die Stimmbänder des Menschen, den er beherrscht. Nachdem der Kontakt hergestellt worden war, mußte man auch den Namen des Dämons erfragen. Und nur nachdem man den Namen erfahren hatte, konnte man diesen benutzen und ihn damit zwingen auszufahren. Bei anderen Gelegenheiten benutzt Jesus diese jüdische Methode.
Als Beispiel fragt Jesus in Markus 5,9 „Wie heißest du?“ Der Dämon antwortet: „Ich heiße LEGION, denn wir sind viele.“ Doch eine Art von Dämonen konnte der Judaismus nicht austreiben: die Art eines Dämons, die eine Person stumm machte, so daß er nicht sprechen konnte. Und wenn er nicht sprechen konnte, dann konnte man auch keine Kommunikation herstellen. Man konnte auch nicht den Namen des Dämons feststellen, und somit konnte man ihn nicht austreiben. Doch die Pharisäer lehrten: Wenn der Messias komme, dann würde er auch diese Art eines Dämons austreiben können. Das ist das zweite der messianischen Wunder.
Und in V. 22 lesen wir, daß es diese Art eines Dämons ist, die der Herr Jesus austreibt. Und darum stellen die Leute die Frage: „Ist dieser nicht Davids Sohn?“ Schließlich vollbringt hier Jesus exakt die Wunder, die – so waren sie von Kindheit an gelehrt worden – nur der Messias tun konnte. Das jüdische Volk wollte diese Frage aufgreifen, aber sie wollen nicht selber eine Entscheidung darüber treffen. Lieber schauen sie zu ihren Führer, damit diese für sie eine Entscheidung träfen.
Auch heute, wenn wir Juden, die wir an Jesus glauben, unseren anderen jüdischen Freunde mitteilen, warum wir glauben, daß Jesus der Messias ist, haben sie immer den gleichen Einwand: Wenn Jesus wirklich der Messias ist, warum glauben dann unsere Führer nicht an ihn?
Die Pharisäer stehen jetzt vor einer Alternative. Sie müssen im Licht dieses messianischen Wunders und aufgrund der Frage des Volkes wählen. Entweder müssen sie erklären: Er ist der Messias, oder, wenn er es nicht ist, wie er solche Wunder tun konnte, die wie sie selbst gelehrt hatten – nur der Messias tun könnte.
In Vers 24 entscheiden sich die Pharisäer für die zweite Erklärungsmöglichkeit. Sie erklären, daß er nicht der Messias ist, und der Grund, warum er diese Wunder tun kann, ist der: Jesus ist durch den Obersten der Dämonen, Beelzebub, besessen. Das sind zwei hebräische Wörter und bedeuten: der Herr der Fliegen.
Das wird nun die Grundlage für die Ablehnung des messianischen Anspruches Jesu: Er ist nicht der Messias, weil er dämonisch besessen ist.
In den Versen 25 – 28 trägt Jesus seine Verteidigung vor.
Erstens kann das nicht stimmen, weil es bedeuten würde, daß im Reich Satans eine Trennung ist („uneins“).
Zweitens wurde anerkannt, daß die Gabe des Exorzismus eine Gabe des Heiligen Geistes war.
Drittens bewies dieses Wunder laut ihrer eigenen Theologie, daß er der Messias ist.
Viertens zeigt es, daß Christus stärker ist als Satan und nicht sein Gefangener.
In den Versen 29 – 37 spricht er dann eine Verurteilung dieser Generation Israel seiner Tage aus. DIESE Generation hat sich nun der unvergebbaren Sünde schuldig gemacht. Und diese Sünde ist die Ablehnung des unter ihnen gegenwärtigen Messias mit der Begründung, daß er von Dämonen besessen sei.
Dies ist keine individuelle, sondern nationale Sünde, die von der Generation zur Zeit Jesu begangen wurde. Und diese kann man nicht auf andere jüdische Generationen anwenden, Es ist keine Sünde, die ein Einzelner begehen könnte, auch kann sie heute nicht begangen werden.
J e n e Generation unterliegt jetzt dem Gericht. Und weil diese Sünde unvergebbar ist, kann auch das Gericht nicht abgewendet werden. Dieses Gericht kam 40 Jahre später, im Jahre 70 nach Christus, mit der Vernichtung Jerusalems und des Tempels und der weltweiten Zerstreuung des jüdischen Volkes.
Wir werden sehen, daß von diesem Zeitpunkt an immer wieder zwei wichtige Wörter auftauchen werden: DIESE GENERATION, weil diese Generation sich einer einzigartigen Sünde schuldig gemacht hat.
In Vers 38 sehen wir, daß die Pharisäer noch ein anderes Zeichen fordern. Als ob Jesus bis jetzt noch nichts getan hätte, um seine Messianität zu beweisen. Er hatte viele Wunder getan, sogar die Wunder, die sie messianische Wunder genannt hatten. Trotz alledem haben sie seinen Messiasanspruch abgelehnt. Darum sagt Jesus, daß es für diese Generation keine weiteren Zeichen mehr geben würde, außer einem: das Zeichen Jona, welches ist das Zeichen der Auferstehung.
Bisher war der Zweck der Wunder Jesu: Zeichen für die Nation zu sein damit die Nation (Israel) zu einer Entscheidung käme.
Jetzt ist diese Entscheidung gefallen: Er ist nicht der Messias, weil er dämonisch besessen ist. Darum erhält die Nation kein Zeichen mehr mit Ausnahme dieses einen: das Zeichen Jona, das ein Zeichen der Auferstehung ist.
Nachdem Jesus sein neues Vorgehen, betreffend der Zeichen, verkündigt hatte, spricht er weiter Gerichtsworte aus. Er erwähnt das Beispiel zweier heidnischer Gruppen: die Leute von Ninive und die Königin von Saba (Verse 41 + 42).
Diese Heiden werden im Jüngsten Gericht bestehen können und diese besondere jüdische Generation verdammen, weil sie die unvergebbare Sünde begangen hat. Und wiederum liegt die Betonung auf DIESE GENERATION.
Und das, weil diese Heiden nicht so viel Licht (Erkenntnis) hatten um verantwortlich zu sein, aber sie antworteten (auf den Ruf zur Buße). Doch diese Generation hatte das ganze Alte Testament, auch den Dienst Johannes des Täufers, der das baldige Kommen des Königs angekündigt hatte, und sogar den Dienst Jesu selbst. Doch trotz all dieses besonderen Lichtes (Erkenntnis), haben sie Jesus abgelehnt. Und daher haben sie eine sehr einzigartige Schuld auf sich geladen.
Die Gerichtsworte werden mit dem Bericht über einen Dämon zum Abschluß gebracht.
Ein Dämon verläßt einen Menschen, um eine bessere Behausung zu finden, in der er wohnen kann. Er sucht einige Zeit, aber er findet nichts frei. So kehrt er zurück zu jener Person, in der er zuvor gewesen war. Und die findet er immer noch leer vor. Darum geht er wieder hinein in diesen Menschen, aber er will nicht allein bleiben. Er lädt sieben seinen Freunde ein, mit ihm die Wohnung zu teilen. Und der letztere Zustand ist schlimmer als der erstere. Denn am Anfang war er nur von einem Dämon besessen, doch nun hat er acht Dämonen in sich. Der Schlüssel zu dieser Geschichte ist der letzte Satz von Vers 45:
„So wird es auch diesem bösen Geschlecht ergehen.“ Wieder liegt die Betonung auf DIESEM GESCHLECHT (dieser Generation).
Als diese Generation begann, stand sie unter römischer Herrschaft. Die Nation war nichtsdestoweniger intakt. Jerusalem stand noch, und der Tempeldienst funktionierte. Doch 40 Jahre später sollte Jerusalem und der Tempel vernichtet werden und die Juden zerstreut werden. Also war der letztere Zustand dieser Generation schlimmer als der erstere. Von diesem Zeitpunkt an ändert sich das Wesen des Dienstes Jesu total. Es ändert sich in vier Bereichen:
Erstens im Bereich der ZEICHEN. Diese sind jetzt nicht mehr dafür da, daß die Nation eine Entscheidung treffen kann, sondern vielmehr für die Schulung der zwölf Jünger, für die neue Aufgabe, die sie jetzt zu vollbringen hatten, wegen dieser Zurückweisung Jesu.
Zweitens im Bereich der WUNDER. Es sind nicht mehr Wunder für die Volksmassen, sondern vielmehr Antwort auf die Nöte einzelner: Und diesen Einzelnen wurde verboten, jemandem davon etwas weiterzusagen. Bisher wurde einer Person, die geheilt worden war, aufgetragen, sie solle all das, was Gott an ihr getan habe, hinausrufen. Doch ab jetzt wurde ihnen befohlen, darüber zu schweigen.
Drittens im Bereich der BOTSCHAFT. Bisher hatte Jesus überall proklamiert, daß er der Messias sei. Zwei Kapitel zuvor, in Mt. 10, sandte Jesus seine Jünger aus, um zu proklamieren, daß er der Messias sei. Doch nun wurden seine Jünger angewiesen, sie sollten niemandem sagen, daß er der Messias sei.
Viertens im Bereich der WEITERGABE SEINER LEHRE. Bisher lehrte Jesus das Volk so klar, daß sie es verstehen konnten. Als Beispiel sei auf Mt. 5 – 7 verwiesen. Am Ende seiner langen (Berg-)Predigt wird berichtet, daß das Volk klar verstanden hat, was er gesagt hat, und worin er sich von den Pharisäern und Schriftgelehrten unterschieden hat. Doch nun – mit dem Beginn des nächsten Kapitels (Mt. 13) – lehrt Jesus das Volk nicht mehr klar (und deutlich), sondern in Gleichnissen.
In Matthäus 13,10 fragen die Jünger: „Warum redest du in Gleichnissen zu ihnen?“ Und Jesus antwortet: Der erste Grund ist, um die Wahrheit den Jüngern klarzumachen. Aber dem Volk soll die Wahrheit verborgen bleiben. Später, in den Versen 34 + 35, wird berichtet, daß Jesus zum Volk nur noch in Gleichnissen gesprochen hat. Doch wenn er mit seinen Jüngern allein war, hat er ihnen alles erklärt. Die unvergebbare Sünde ist nun bereits begangen worden. Und weil sie nicht vergeben werden kann, werden sie auch kein weiteres Licht bekommen.
Von diesem Zeitpunkt an ändert sich der Dienst Jesu in allen diesen vier Bereichen.
Wir sehen, daß er jetzt auch außerhalb des Landes reist. Er will auch nicht, daß die Juden wissen, daß er gegenwärtig ist. Denn jetzt ist ja sein Ziel, seine zwölf Jünger zu schulen. Und wenn er zu dem Volk spricht, dann immer in einer Sprache (Gleichnisse etc., die es nicht verstehen kann. Denn das ist von jetzt an seine Methode… Vgl. Mt. 16, 20:
Nun kommen wir zu Johannes 9.
In den Versen 1 + 2 wird berichtet, daß Jesus mit seinen Jüngern an einem Mann vorbeiging , der von Geburt an blind war. Die Jünger stellen eine seltsame Frage: „Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, so daß er blind geboren ist?“
Diese eigenartige Frage besteht darin: Man könnte vielleicht verstehen, warum dieser Mann blind geboren wurde – nämlich wegen der Sünde seiner Eltern. Das Gesetz sagt ja, daß Gott die Sünden der Eltern an den Kindern heimsuchen wird (2. Mose 20,5). Dieser Teil der Frage ist daher nicht seltsam. Aber sie haben auch gefragt: „Hat dieser Mensch gesündigt, so daß er blind geboren wurde?“ Wie hätte dieser Mensch sündigen können, bevor er geboren wurde und ist dadurch eben blind geboren worden?
Die Frage zeigt etwas darüber auf, wie die Jünger in einer judaistischen Schule gelehrt worden waren. Im pharisäischen Judentum hat der Fötus im Mutterleib eine gute und eine schlechte Seite. Und es könnte sein, daß seine böse Seite im Mutterleib die gute Seite überwand, und so wurde er seiner Mutter böse und trat sie. Daß man seine Mutter im Mutterleib trat, war eine Sünde. Daher ist er blind geboren worden. Im pharisäischen Judaismus war jeder „Defekt“ durch eine spezielle Sünde verursacht worden, entweder durch die Sünde der Eltern, oder dieses Kindes im Mutterleibe.
Zuerst verneint Jesus die Wahrheit dieser Lehre. Weder er noch seine Eltern haben sich einer speziellen Sünde schuldig gemacht, so daß er dadurch blind geboren wäre. „Sondern an ihm sollen die Werke Gottes offenbar werden.“ In den Versen 1-11 sehen wir, wie er den Blindgeborenen heilt. In den folgenden Versen sehen wir, wie die Pharisäer dadurch wieder aufgebracht werden. Warum schuf diese Heilung solch eine Reaktion?
Weil es das dritte der drei messianischen Wunder ist. Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Heilung eines Menschen, der blind wurde, und der eines Blindgeborenen.
Und weil dies ein messianisches Wunder ist, reagieren die Pharisäer. Zuerst fragen sie den Geheilten und mögen seine Folgerungen nicht. „Ja, vielleicht war er gar nicht blind geboren worden.“ Dann rufen sie seine Eltern, und diese bestätigen: „Ja, er ist blind geboren worden.“ Jetzt versuchen sie, das Ganze unwirksam zu machen und fangen an, den Mann noch einmal zu befragen. In Vers 24 sagen sie etwas Seltsames: „Gib Gott die Ehre: Wir wissen, daß dieser Mensch (Jesus) ein Sünder ist.“ Doch normalerweise ehrt man Gott nicht dadurch, daß ein anderer sündigt. Wer geht schon umher und sagt: „Preis den Herrn, er ist ein Sünder.“ Aber hier denken sie nicht mehr logisch. Der Geheilte stellt nun ihnen eine Frage. „Was er ist, das weiß ich nicht. Aber erklärt mir das: Ich bin blind geboren, doch nun kann ich sehen. Ihr habt mich gelehrt, daß dies ein Wunder ist das nur der Messias tun könnte.“
Da fragen sie ihn: „Erzähl uns noch einmal die ganze Geschichte, wie hat er es gemacht?“ Doch nun sagt der Geheilte etwas, was vielleicht nicht so ganz klug war. In Vers 27 fragt er sie: „Warum wollt ihr die ganze Geschichte noch einmal hören? Wollt ihr auch seine Jünger werden?“ Es war kein Geringes, das den Pharisäern zu sagen. Nun fangen sie an, ihn zu verspotten. „Vielleicht bist du einer seiner Jünger, wir aber sind Moses Jünger. Wir wissen woher Moses ist, woher aber dieser kommt, wissen wir nicht.“ Und da antwortet der Mann in Vers 30: „Das ist doch seltsam, daß ihr nicht wißt, woher er kommt, und dabei hat er mich sehend gemacht.“ Und in V. 32 „Vom Anfang der Welt an hat man noch nie gehört, daß jemand einen Blindgeborenen sehen gemacht hat.“ Er erinnert sie an ihre eigene Theologie: Derjenige, der einen Blindgeborenen heilen kann, ist der Messias.
Die Reaktion auf das dritte messianische Wunder ist die Exkommunikation (der Ausschluß) des Geheilten aus der Synagoge.
So erkennen wir den GRUNDTREND:
Die Reaktion auf das erste messianische Wunder, der Heilung eines Lepra-Kranken, war der Beginn der Untersuchungen des Hohen Rates (Synedriums).
Die Reaktion auf das zweite messianische Wunder, das Austreiben eines stummen Dämons, war die Ablehnung der Messianität mit der Begründung, Jesus sei besessen.
Die Reaktion auf das dritte messianische Wunder, der Heilung eines Blindgeborenen war der Ausschluß aus der Synagoge.
Jetzt schauen wir uns Lukas 16,19-31 an.
Während des Dienstes Jesu nach seiner Verwerfung kommen die Pharisäer in regelmäßigen Abständen zu Jesus, um ein weiteres Zeichen zu fordern. Aber die Antwort bleibt immer dieselbe: Für das Volk wird es keine Zeichen mehr geben, außer einem, dem Zeichen des Jona, das ein Zeichen der Auferstehung ist. Für Israel werden drei verschiedene Zeichen kommen:
Zuerst das Zeichen der Auferstehung des Lazarus;
zweitens die Auferstehung Jesu und
drittens die Auferstehung der zwei Zeugen in den letzten Tagen.
Bevor nun Jesus dieses erste Zeichen des Jona gibt, erzählt er die Geschichte über den reichen Mann und den armen Lazarus.
Im pharisäischen Judaismus heißt es: Wen der Herr liebt, den macht er reich. Also war Reichtum ein Zeichen der göttlichen Gunst. Laut pharisäischer Theologie war der Reiche im Himmel und der Arme in der Hölle.
Doch das Gegenteil passiert nun: Beide sterben, einer kommt in den Hades, der Reiche, und der Arme kommt in Abrahams Schoß. Das ist noch nicht der Himmel, sondern ein vorübergehender Ort, bis Jesus für die Heiligen gestorben sein wird.
An diesem Ort, (hebräisch: Scheol; griechisch: Hades) gab es zwei Abteilungen: die schlechte und die gute Seite. Sie konnten sich sehen und miteinander sprechen, aber sie konnten sich nicht gegenseitig besuchen. Einer ist in Qual und der andere wird getröstet. Der Reiche bittet um einige Tropfen Wasser, damit es ihm kühler wird. Und Abraham erinnert ihn, daß der Arme unmöglich auf die andere Seite hinüber kann. Nun beschäftigt sich der Reiche mit seinen noch lebenden Brüdern. Er bittet Abraham, daß der Arme wieder zum Leben erweckt würde. Er soll jene Brüder warnen, damit sie nicht auch an diesen Ort der Qual kämen. Abraham sagt jedoch: „Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören.“ Doch der Reiche antwortet: „Sie werden Mose und den Propheten nicht glauben, aber sie werden glauben, wenn einer von den Toten aufersteht.“ Da sagt Abraham: „Wenn sie Mose und den Propheten nicht glauben, dann werden sie auch nicht glauben, wenn einer von den Toten aufersteht.“ Wenn man der Heiligen Schrift nicht glaubt, dann sind auch Wunder nutzlos.
Es ist kein Zufall, daß der Name des Lahmen LAZARUS ist. Es ist nicht der gleiche Lazarus, der auferweckt wurde. Doch es ist derselbe Name. Und durch diese Assoziation warnt Jesus schon, daß, wenn das Zeichen des Jona, also der Auferstehung gegeben werden wird, es abgelehnt werden wird.
Und an dieser Stelle kommen wir zu Johannes 11.
Hier werden uns 44 Verse gegeben, die uns in einer detaillierten Weise die Auferweckung des Lazarus beschreiben. Lazarus ist nicht die erste Person, die Jesus von den Toten auferweckte, doch die anderen Auferweckungsberichte wurden mit drei oder vier Versen erzählt. Und sie wurden auch nur von einigen wenigen miterlebt. Und die sollten auch den anderen nichts davon sagen. Im Falle des Lazarus gibt es sehr viele Verse.
Warum hat dies eine Bedeutung? Weil dies das Zeichen ist, das Jesus dem Volk versprochen hatte. Und wenn dieses Zeichen gegeben wird, dann müssen sie darauf reagieren. Und wenn wir die verstehen, dann verstehen wir, warum die Dinge so geschehen, wie sie geschehen.
In den ersten fünf Versen bringt man Jesus die Nachricht: Lazarus ist krank. Der Grund für diese Nachricht ist der, daß Jesus zu Lazarus kommen sollte, bevor er stürbe.
Als Jesus hört, daß Lazarus krank ist, unternimmt er jedoch nichts. In Vers 6 wird uns berichtet, daß Jesus wegen der Erkrankung seines Freundes gerade am gleichen Ort blieb. Es ist notwendig, daß Lazarus stirbt. Nach seinem Tod macht sich Jesus auf den Weg. Als er dann am Ziel ankommt, ist Lazarus schon vier Tage tot. Die Erwähnung der „vier Tage“ ist von Bedeutung, denn laut jüdischer Tradition bewegt sich der Geist des Toten drei Tage lang über seinen Leib. Und während dieser drei Tage gibt es noch eine Möglichkeit der Wiederbelebung. Doch am vierten Tag geht der Geist nach unten. Zu diesem Zeitpunkt besteht keine Wiederbelebungsmöglichkeit mehr. Also auch laut jüdischer Tradition kann das, was nun geschieht, nicht als Wiederbelebung abgetan werden.
In Vers 42 erzählt uns Jesus genau, für wen das Wunder geschehen ist. Es ist um des Volkes willen geschehen. Und wenn dieses Zeichen gegeben wird, dann müssen sie darauf reagieren. Als nun Lazarus auferweckt wurde, und das erste Zeichen des Jona gegeben wurde, da kommen auch viele Juden zum Glauben. Doch ihre zweite Reaktion besteht darin, daß sie zu den Pharisäern rannten, um das zu berichten. Weil diese sehr wohl wissen, daß das das Zeichen ist, das Jesus ihnen versprochen hat, müssen sie auch reagieren.
Und jetzt trifft sich der Hohe Rat in den Versen 47 – 53. Ihr jetziger Beschluß geht über den von Matthäus 12 weit hinaus. Dort lehnten sie lediglich seinen messianischen Anspruch ab. In Johannes 11 jedoch beschließen sie, die Todesstrafe über Jesus zu verhängen. Und der Hauptverantwortliche (Führer) für diese Entscheidung des Hohen Rates ist der Hohepriester.
Das nächste, was nun passiert, steht in Lukas 17, 11 – 19. Nun heilt Jesus zehn Aussätzige und schickt sie zum Hohenpriester. Hier können wir so etwas wie göttlichen Humor feststellen. Zuvor heilte Jesus nur einen Aussätzigen. Danach begann der Hohe Rat mit seinen Untersuchungen. Das war nämlich ein messianisches Wunder. Und nun werden gerade zu dem, der den Hohen Rat dazu gebracht hat, daß sie Jesus umbringen wollen, zehn Aussätzige geschickt. Zehn mal mehr als früher! Dieses Wunder muß er nun auch untersuchen. Zehn mal mehr muß er nun die Heilung von Aussätzigen bestätigen. Zehn mal mehr muß er anerkennen, daß Jesus dieses Wunder vollbracht hat. Zehn mal mehr bekommt er das Zeugnis, daß Jesus der Messias ist, obgleich Jesus vom Hohenpriester (Hohen Rat) verworfen wurde.
Zum Schluß betrachten wir noch Matthäus 23.
Das ganze Kapitel stellt eine Warnung vor den Führern Israels dar. Sieben Wehe-Rufe werden über die Pharisäer ausgesprochen. Wir sehen darin folgende Entsprechungen: Das erste und das letzte Wehe behandeln die gleiche Sünde. Im ersten Wehe in Vers 13 werden die Pharisäer wegen zwei Dingen verurteilt: Erstens lehnen sie seine Messianität ab und zweitens führen sie auch das ganze Volk dazu, Jesu Messianität abzulehnen.
Dann kommen die 2., 3., 4., 5. + 6. Wehe-Rufe, die alle spezifisch – pharisäische, heuchlerische Sünden behandeln. In Vers 29 kommt Jesus dann zum 7. Wehe-Ruf. Dort sagt er als Quintessenz: Für alles, was bisher geschehen ist, sind sie verantwortlich, einschließlich des gesamten Alten Testaments.
In Vers 35 nennt Jesus dann die Namen zweier Personen. Warum gerade diese zwei? Die jüdische Reihenfolge des Alten Testaments unterscheidet sich von der unsrigen. Jesus gebraucht natürlich die jüdische, nicht die moderne christliche Reihenfolge. Das erste Buch in der hebräischen Bibel ist dasselbe: 1. Mose, doch das letzte Buch ist nicht Maleachi, sondern 2. Chronik.
ABEL kommt im ersten Buch Mose vor, und Zacharias im letzten Buch, der 2. Chronik. Jesus sagt also mit anderen Worten: Ihr seid verantwortlich für den ganzen Umfang der Schrift, von 1. Mose bis 2. Chronik, oder wie wir heute sagen würden: von 1. Mose bis zur Offenbarung.
Merken wir, wer sich laut Vers 36 schuldig gemacht hat? „Wahrlich ich sage euch, daß solches alles wird über diese Generation kommen.“ DIESE GENERATION wird verantwortlich gemacht werden für alles vergossene Blut der alttestamentlichen Heiligen. Und diese Generation hat sich auch dieser einzigartigen, unvergebbaren Sünde schuldig gemacht.
In den Versen 37- 39 beendet Jesus seinen öffentlichen Dienst mit einer Klage. In Vers 37 faßt er seinen Dienst für Israel folgendermaßen zusammen: Wie oft wollte er Jerusalem den durch die Propheten verheißenen Schutz geben, doch sie wollten es nicht. Und darum wird laut Vers 38 ihr Haus, der Tempel, nun zerstört werden. Und dann sagt Jesus in Vers 39 noch etwas Wichtiges: Sie werden ihn von jetzt an nicht mehr sehen, bis sie sprechen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Diese letzten Worte stellen ein Zitat aus einem messianischen Psalm dar: Psalm 118,26. Das wußten die Rabbiner und lehrten deshalb, daß wenn der Messias kommen würde, man ihn mit diesen Worten begrüßen müßte:
„Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Der entscheidende Punkt hier ist der: So, wie einst die jüdischen Führer das Volk dahin geführt haben, Jesus zu verwerfen, genauso müssen die Führer eines Tages das Volk zur Annahme Jesu führen. Es wird keine Wiederkunft Jesu geben, bis die Juden ihn bitten werden, wiederzukommen.
Einige kennen sicherlich den Unterschied zwischen der ENTRÜCKUNG und dem 2. KOMMEN JESU (Wiederkunft). Es gibt keine Vorbedingungen für die Entrückung, die jederzeit stattfinden kann. Doch die WIEDERKUNFT Jesu, wenn er kommen wird, um sein tausendjähriges Reich aufzurichten, kann erst dann stattfinden, wenn das jüdische Volk ihn als ihren Messias erwarten wird. Und so ist die nationale Erlösung Israels eine Voraussetzung für das 2. Kommen Jesu.
Ergänzung zu der Niederschrift von Pfr. Jürgen Neidhart, von A. Seibel:
WAS WAR DIE LÄSTERUNG DES HEILIGEN GEISTES?
In Mt. 9,32 lesen wir bereits vor dem Wendepunkt in Mt. 12, wie man zu Jesus einen stummen Menschen bringt. „Als aber der böse Geist war ausgetrieben, redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich und sprach: So etwas ist noch nie in Israel gesehen worden“ (Vers 33). Noch nie! Wir sehen hier den Einmaligkeitscharakter, den Jesus auch noch besonders in Joh. 15,24 unterstreicht. Der Messias tat Werke, die kein anderer jemals getan hat.
Ähnlich wie in Mt. 12 weisen die Pharisäer die Aussagekraft dieses Wunders mit der Anschuldigung zurück, die Geister würden durch ihren Obersten ausgetrieben (Vers 34).
In vielen pfingstlichen und charismatischen Kreisen wird die Vorstellung vertreten, ein Wunder Gottes dem Teufel zu unterstellen, sei die Lästerung des Heiligen Geistes. Wenn dies zuträfe, müßte nun unser Herr bereits hier (Mt. 9,34) von der unvergebbaren Sünde sprechen. Wir lesen nichts dergleichen. Er wirkt weiter unter dem Volk, bis es nach dem siebten Widerspruch der Pharisäer schließlich in Mt. 12 zum Bruch kommt.
Gemäß Johannes 16,9 ist die Sünde in Gottes Augen die Weigerung, an Jesus zu glauben. Das ist die entscheidende Weichenstellung: Nimmt Israel den Messias an oder nicht, werden sie an Ihn glauben oder nicht? Gott hat sich in Jesus und dem Heiligen Geist so weit herabgelassen, daß er genau die Wunder gewirkt hat, die nach ihrer eigenen eher willkürlichen Definition niemand anderer tun konnte als allein der Messias. So weit ist ihnen Gott entgegengekommen, ähnlich wie dem ungläubigen Thomas.
Doch wer sich weigert, ähnlich wie die Schriftgelehrten zur Zeit Jesu, an Christus zu glauben, für den gibt es keine Hoffnung. Von daher kann ein Gläubiger überhaupt nicht den Heiligen Geist lästern, ist er doch längst mit Gott versöhnt. Von dieser Lästerung hat außerdem das Recht zu reden nur der Herr selber, da Er der Richter ist. Der Apostel Paulus, über den die fleischlichen Korinther zu Gericht saßen (1. Kor. 9,3), deutete nie an, nun haben seine Gegner die unvergebbare Sünde begangen. Sonst würde nämlich ein Mensch einen anderen mit dieser bestimmten Drohung buchstäblich gnadenlos verdammen, und dies steht niemandem als allein dem lebendigen Gott zu.
Solch eine Begebenheit, daß eine Generation die Gnadenstunde Gottes versäumte, ist dem Volk Israel nicht das erste Mal widerfahren. Nach der Rebellion der Kundschafter, die das Gelobte Land ausgespäht haben, erklärt der lebendige Gott: „Alle die Männer, die meine Herrlichkeit und meine Zeichen gesehen haben, die ich getan habe in Ägypten und in der Wüste, und mich nun zehnmal versucht und meiner Stimme nicht gehorcht haben, von denen soll keiner das Land sehen, das ich ihren Vätern zu geben geschworen habe; auch keiner soll es sehen, der mich gelästert hat“ (4. Mose 14,22-23).
Für die damalige Generation war eine heilsgeschichtliche Stunde unwiederbringlich vorbei. Man konnte danach tun und lassen, was man wollte, nach dieser „Lästerung“ stand das Urteil Gottes, ähnlich wie in Mt. 12,31-32, unverrückbar fest. Ausgenommen sind nur Josua und Kaleb. Selbst Moses durfte dieses Land nicht mehr betreten.
Auch die Generation, die das Gericht Gottes durch das babylonische Exil erfuhr, befand sich in einer ähnlichen Weichenstellung. Es war so viel unschuldiges Blut vergossen worden, daß Gott nicht mehr vergeben wollte und die Zerstörung des Tempels, damals durch die Babylonier, Jahrhunderte später durch die Römer, zuließ. „Doch kehrte sich der Herr nicht ab von dem Grimm seines großen Zorns, mit dem er über Juda erzürnt war um all der Ärgernisse willen, durch die ihn Manasse erzürnt hatte“ (2. Kön. 23,26). “ .auch um des unschuldigen Blutes willen, das er vergoß, so daß er Jerusalem mit unschuldigem Blut erfüllte. Das wollte der Herr nicht vergeben“ (2. Kön. 24,4).
Zurück zu Matthäus 12. Nach diesem Urteilsspruch Jesu kommen die Pharisäer und Schriftgelehrten und bitten um ein Zeichen (Vers 38). Doch der Herr weist dies zurück. Er wendet sich von Israel auf dieser Basis der Zeichenforderung ab und spricht nun in den nachfolgenden Versen von dem Gericht, das über diese Generation (Verse 41-42) kommen wird.
Ab Mt. 13 haben wir den Dienst des verworfenen Königs. Er, der „für die verlorenen Schafe des Hauses Israel gekommen war“, hätte hier eigentlich die Welt räumen müssen. Doch die Tatsache, daß der Herr weiterhin wirkt, zeigt, daß Gott nicht nur einen Plan für Israel hat. In den Versen 3-9 folgt nun das erste Gleichnis Jesu, und zwar das Gleichnis vom Sämann und dem Wort (Vers 19). Und hier findet sich eine gewisse Vorschattung auf die neue Heilszeit. Nun steht das Wort im Mittelpunkt und der Herr betont: „Wer Ohren hat, der höre:“ (Vers 9).
An der Frage der Jünger, „warum redest du zu ihnen in Gleichnissen?“ erkennt man, daß dies tatsächlich das erste Gleichnis war, war ihnen doch diese Form des Wirkens Jesu noch fremd. Die Antwort Jesu: „Euch ist es gegeben, daß ihr die Geheimnisse des Himmelreichs verstehet, diesen aber ist’s nicht gegeben“ (Vers 11). Geistliche Wahrheiten werden nun primär über den Verstand durch das Wort mit dem Herzen begriffen. Der Neue Bund steht auch unter Geheimnissen und ist nicht mehr so offensichtlich wie das alttestamentliche Bundesvolk Israel.
„Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe“ (Vers 12a). Auf wen bezieht sich das? Die Jünger, die Jesus nachfolgten. Mit dem Heiligen Geist bekamen sie dann auch zu Pfingsten die Fülle. „Wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat“ (Vers 12b). Wer ist damit gemeint? Israel. Sie hatten den Tempel, den Opferdienst, das Priestertum, das verheißene Land usw. Es wurde ihnen alles weggenommen. Kein Stein blieb auf dem anderen. Es ging alles unter und die Juden wurden zerstreut unter alle Völker. „Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht. Und mit hörenden Ohren hören sie nicht; und sie verstehen es auch nicht“ (Vers 13). Der Beweis sind die vorherigen Kapitel. Diese Generation hat gesehen, wie der Blindgeborene geheilt wurde. Sie haben gesehen, wie der Aussätzige gesund wurde. Sie haben es wahrgenommen, wie der Stumme auf einmal reden konnte, und dennoch begreifen sie es nicht und verwerfen ihren Messias.
„Sehenden Auges und hörenden Ohres“ sagt dieser Vers. Israel war sowohl im Bereich des Auges wie des Ohres angesprochen. Sie hatten sowohl das Wort wie auch die Zeichen. Die Juden fragen ja bekanntlich nach Zeichen. Aber in Vorschattung für die Gemeinde lesen wir in dem bereits erwähnten ersten Gleichnis nur noch: „Wer Ohren hat, der höre!“ Man beachte auch Offenbarung Kap. 2-3, die sieben Sendschreiben an die Gemeinden in Kleinasien, wo der Herr siebenmal die gleiche Formulierung gebraucht.
Nach diesem Urteilsspruch über diese Generation, zeigt der Herr in den Versen 43-45 in Mt. 12, wie das Gericht kommt. Der böse Geist hat sein Haus, nämlich Israel, verlassen. Nachdem er umkehrt, „findet er’s leer, gekehrt und geschmückt“ (Vers 44). Wieso gekehrt und geschmückt? Johannes der Täufer und auch unser Herr haben eine Bußbewegung bewirkt und der böse Geist wurde ausgefegt, das Haus geschmückt. Wieso leer? Der Messias wird abgelehnt. Dann wird es mit diesem Geschlecht ärger als vorher, denn es ist ein göttliches Prinzip, daß nach einer gewissen Verhärtung Gott den Geistern nicht mehr wehrt bzw. sogar die bösen Geister zum Gericht aussendet (1. Kön. 22,20-21).
Ähnliches spielt sich nun vor unseren Augen mit dieser gegenwärtigen westlichen Generation ab, die immer offensichtlicher das Wort Gottes verwirft. Gleichzeitig sehen wir eine zunehmende Okkultflut.
In den Versen 46-50 von Mt. 12 ist die Geschichte von Jesu wahren Verwandten. Seine Mutter und Brüder wollen mit ihm reden, doch Er wendet sich ab. „Und er reckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“ (Verse 49-50).
Warum steht dies ausgerechnet hier? Es zeigt dies in typologisch prophetischer Darlegung die Verwerfung Israels, dieses Geschlechts bzw. dieser Generation. Denn man gehörte ja zum Volk Gottes nach dem Alten Bund aufgrund der sichtbaren Zugehörigkeit, aufgrund der sichtbaren Beschneidung. Man mußte Jude, also mit Jesus fleischlich verwandt sein, um Glied des Bundesvolkes, um erwählt zu sein. Gerade dieser Alte Bund wird aber durch die Erklärung, diese Generation habe den Heiligen Geist gelästert, vorwegnehmend aufgekündigt.
Danach aber möchten Jesu engste Verwandte ihn sprechen, also Menschen, die vom Alten Bund her das Volk Gottes in höchster Form darstellten, nämlich die Brüder, die Schwestern und die Mutter. Doch er wendet sich ab, denn das zählt in der neu anbrechenden Heilszeit nicht mehr. Im Neuen Bund, der hier allegorisch vorgeschattet wird, gilt nicht mehr die verwandtschaftliche Zugehörigkeit, sondern wir sind nun von Gott geboren, wenn wir den Willen des Vaters im Himmel tun. Der oder die Betreffende ist nun geistlich Jesu Bruder, Schwester oder Mutter. Man kann noch so nahe mit Jesus verwandt sein, man muß dennoch von neuem geboren werden. Die alte fleischliche Beziehung bzw. Beschneidung zählt nicht mehr.
Es findet sich somit in gewisser Hinsicht von Mt. 12 zu Mt. 13 ein Übergang von Israel zu den Nationen, vom Zeichen zum Wort, von sichtbaren zu unsichtbaren von fleischlichen zu geistlichen Bezügen. Der Vers, der das auch in den Briefen am deutlichsten bezeugt, ist 2. Kor. 5,16. „Darum kennen wir von nun an niemand mehr dem Fleische nach; und ob wir auch Christus früher dem Fleische nach gekannt haben (Alte Bund, Anm.), so erkennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. Darum, ist jemand in Christus (Neue Bund, Anm.), so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (Vers 17).
Jesu Brüder, Schwestern und seine Mutter kannten ihn dem Fleische nach. „Jetzt so nicht mehr“, erklärt Paulus. Hier ist ebenfalls ein Übergang von sichtbaren zu unsichtbaren Realitäten zu erkennen, vom Schauen zum Glauben (2. Kor. 5,7). Deswegen gibt es auch im engeren Sinne keine Apostel mehr, weil der Apostel kannte definitionsgemäß Jesus dem Fleische bzw. dem Auge nach (1. Kor 9,1; 1. Joh. 1,1-3 u.a.).
Im Neuen Bund muß man jetzt in Jesus sein und das ist man nicht durch die fleischliche, sondern durch die neue Geburt, wie der bereits oben zitierte Vers, 2. Kor. 5,17, so eindrücklich zeigt.
Mit folgender Darlegung möchte ich abschließen. In demselben Kapitel 12 von Matthäus, das streckenweise nun ausführlicher behandelt worden ist, in dem Israel die Herrlichkeit seines Messias verwirft, wird uns der Messias durch das Wort in anderer Weise in seiner unausforschlichen Größe nochmals dargestellt.
Messias heißt ja griechisch Christos, der Gesalbte. Gesalbt wurden in alttestamentlicher Zeit Könige, Priester und Propheten. In Mt. 12,6 erklärt Jesus: „Ich sage euch: Hier ist Größeres als der Tempel.“ Der Tempel stand bekanntlich in Verbindung mit dem Priesterdienst. Hier ist also mehr als der Tempel, hier ist mit anderen Worten, mehr als die Priester.
In Mt. 12,41 sagt der Herr: „Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona“. Jona war ein Prophet. Und im nächsten Vers lesen wir: „Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen, denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“ Salomo war bekanntlich ein König, und zwar der glanzvollste aller Zeiten. Hier ist nun mehr als die Priester, mehr als die Propheten, mehr als die Könige. Hier ist der wahre Gesalbte, hier ist der wahre Messias. In demselben Abschnitt, wo Israel (auf Zeit) verworfen wird, wird uns der Messias noch einmal durch das Wort in seiner Größe und Schönheit gezeigt. Er ist größer, Er ist höher, Er ist reicher, Er ist mehr als alle und alles. Möge auch uns der Herr der Herrlichkeit durch das Wort Gottes in seiner Einmaligkeit und unauslotbaren Fülle neu kostbar werden. Mögen wir neu erkennen, wie reich wir durch Gottes Wort beschenkt sind.
Alexander Seibel